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Die Wiederbelebung
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oder
das erſte Jahrhundert des Humanismus.
Von
Dr. Georg Voigt,
Prof. honor. an der Univerſität zu München.
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Berlin.
Druck und Verlag von Georg Reimer.
1859.
Alle Geſtalten find ähnlich und keine gleichet der andern,
Und ſo deutet das Chor auf ein geheimes Geſetz. |
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Vorwort.
Die Entveckungsfahrten und der Humanismus, zwei mäch⸗
tige Bewegungen im Ausgange der mittelalterliche Zeit, find
analogen Weſens und keine ſteht an Bedeutung der andern nach.
Beiden liegt die Tendenz der Ausdehnung, der Erweiterung zum
Grunde. Dort wird ein neuer Raum geſucht und gefunden,
auf welchem die geſchichtliche Menſchheit ihre geſellſchaftlichen und
ſtaatlichen Urformen wiederholt, hier wird die vergeffene Tiefe einer
Vorzeit heraufbeſchworen und dieſe in ihren edelſten Schöpfungen
noch einmal vurchlebt. Beide Richtungen haben ihren genialen
Propheten und Helden, beide haben ihre Abenteurer, beide ihren
begeiſterten Schwung und ihren moraliſchen Schmutz.
Den kühnen Seefahrern hat es an Theilnahme und Wür⸗
digung, ihrer Geſchichte an Forſchern nicht gefehlt. Dagegen
die ſogenannte Wiederherſtellung der Wiſſenſchaften, oder ſagen
wir treffender die Wiederbelebung des claſſiſchen Alterthums,
gehört zu jenen vertrockneten Begriffen, die ſich ſeit hundert
Jahren von einem Buche zum andern fortſchleppen, ausgeſtattet
mit einigen Notizen und Phraſen, die denn gleichfalls ihr origi⸗
miles Gepräge durch ven vielfachen Umſatz längſt eingebüßt ha⸗
Iv Vorwort.
ben. Erſt in neueſter Zeit hat man hin und wieder den Man⸗
gel gefühlt. Bernhardy deutet ihn mit glücklichem Blicke,
wenn auch faſt lediglich im Intereſſe des philologiſchen Faches
an: „Zunächſt und am meiſten bedarf einer Reviſion die her⸗
kömmliche Geſchichte der Herſtellung der Wiſſenſchaften; man
erfährt nichts oder unwahres vom Geiſt und von den Untiefen
dieſer auf einen ſchlüpfrigen Boden gepflanzten Philologie, vom
inneren Zuſammenhange der philologiſchen Arbeiten unter ſich
und mit den übrigen Richtungen der Zeit; auch ſind die gefeier⸗
ten Namen der früheſten Gelehrten von allzu glänzenden Lichtern
umgeben, und ihre Leiſtungen und Werke ſelten unbefangen ab⸗
geſchätzt.“ — Doch iſt eine Geſchichte der Philologie in dem
betreffenden Zeitraume nicht die Aufgabe, welche dieſes Buch ſich
geſtellt hat. Gleichwie die Länderentdeckungen des 15. Jahrhun⸗
derts eine viel zu großartige Bedeutung haben, als daß eine Ge⸗
ſchichte der Schifffahrt ſie erſchöpfen könnte, ſo war auch die
wachſende Kenntniß der claſſiſchen Sprachen nur das Mittel,
durch welches der Menſchheit ein neuer Nahrungs⸗ und Bildungs⸗
ſtoff zugeführt wurde.
Man kann nicht ſagen, daß die gtaliener die Periode des
Rinascimento, die ihnen vorzugsweiſe angehört, überſehen oder
vernachläffigt hätten. Man zollte ihr in der Mitte des vorigen
Jahrhunderts ein reges Intereſſe und ſeitdem iſt manche brauch⸗
bare Monographie geliefert worden. Aber Dank dem kleinlichen
Localpatriotismus und Dank der bekannten Methode der italieni⸗
ſchen Literatoren, nach welcher ein Jeder auf eigene Hand ar⸗
beitet und ſich um die Leiſtungen vor ihm und um ihn herum
meiſtens nur dann kümmert, wenn er ſchmähen oder ſchmeicheln
will — iſt Alles Stückwerk geblieben. Was der Nation gemein⸗
ſam angehört, ſoll vielleicht erſt dann an die Reihe kommen,
Borwort. V
wenn jedes Städtchen und Dörfchen, jedes Kloſter und Gottes⸗
haus alle feine winzigen Celebritäten mit biographiſchen Verherr⸗
lichungen verſorgt haben wird. Selbſt ein Name wie der Pe⸗
trarca's war nicht im Stande, die literariſchen Kräfte zu einer
irgend würdigen Ausgabe ſeiner lateiniſchen Werke zu vereini⸗
gen. Mehus entwarf einen ausführlichen Plan dazu, aber die
Ausführung, zu der er vor Vielen berufen war, überließ er
Andern, um lieber eine Menge von halben Büchern zu ma⸗
chen, um unzähligen Kleinkram zu ſammeln und um mit jedem
nicht⸗florentiniſchen Autor eine unerquickliche Fehde anzubinden.
Schon Banduri hatte verſprochen, wenigſtens die noch unedirten
Briefe Petrarca's bekannt zu machen, ſein Verſprechen iſt von
Andern mehrmals wiederholt, nie gelöft worden. So ſtolz Ita
lien auf ſeinen Petrarca iſt, kennt und lieſt es ihn nicht.
Auch die Humaniſten des 15. Jahrhunderts haben eine
Fülle von Werken hinterlaſſen, die ungekannt in den italieniſchen
Bibliotheken verſtauben oder in alten und ſeltenen Drucken kaum
zugänglich ſind oder in verderbteſter Geſtalt vor uns liegen.
Darunter zogen die Briefwechſel mit Recht das Intereſſe am
meiſten auf ſich. Aber keine Edition derſelben, ſelbſt nicht die
von Canneti beſorgte der Briefe Traverſari's, kann nur ent⸗
fernt genügen, ſchon weil ſie allemal nur nach einem und dem
andern zufällig aufgefundenen Codex veranſtaltet und darum völ⸗
lig unvollſtändig ſind. So iſt das Material in allerlei Werke
und Werkchen zerſtreut, deren einzelne ſelbſt ein Tiraboschi nicht
mehr zu Geſicht bekommen konnte.
Die fragmentariſche Natur dieſer Vorarbeiten kann vielleicht
manchen Irrthümern und Mängeln des vorliegenden Buches zur
Entſchuldigung dienen. Es wurde ferner in Königsberg geſchrie⸗
ben, mit Benutzung einer Bibliothek, die ſtarke Lücken empfinden
vi Vorwort.
ließ und mehr als einen Wunſch, der ſelbſt durch die bereitwil⸗
lige Unterſtützung der berliner Bibliothek nicht immer befriedigt
werden konnte. Seine Berufung nach München legte dem Ver⸗
faſſer andre Arbeiten auf, die ihm zu einer Reviſion der vor⸗
liegenden nicht Zeit ließen. Doch meinten Freunde, die Brauch⸗
barkeit des Buches hänge in dieſem Falle weniger von der
Vollſtändigkeit des Stoffes ab, da eben keine Bibliographie des
betreffenden Abſchnittes der Literatur geliefert werden ſolle und
auch nicht erſchöpfende Biographien der betreffenden Literatoren.
Mehr als die Hälfte des Materials bleibe immer noch hand⸗
ſchriftlich in den Bibliotheken Italiens liegen, und bei ver Fülle
des vorliegenden ſcheine es überall wichtiger, den Ballaſt auszu⸗
ſcheiden, als die Ladung zu vermehren. ö
München den 30. Januar 1859.
Inhalt.
Einleitung. Italien und das Vermächtniß des römiſchen Alterthums S. 1.
Italien als Stätte der Neubelebung deſſelben 3. Dürftiges Fortleben der römiſchen
Literatur im Mittelalter 4. Die Kirche und die Reſte des Heidenthums 5. Die
claſſiſchen Bücher in den Klöſtern 6. Ihr Inhalt ohne Einfluß auf die Bildung 7.
Kritik und Geſchmack als Ausflüſſe des Individualismus 8. N
Dante Alighieri und das Alterthum 9. Sein Verhältniß zur lateiniſchen
Sprache 10. Seine Perſönlichkeit 11.
Erſtes Buch.
Francesco Petrarca, die Genialität und ihre zündende Kraft.
Francesco Petrarca und der Schwerpunct ſeines Genius S. 12. Der
Schulmeiſter zu Avignon 14. Petrarca's Beſchäftigung mit Cicero's Schriften und
mit dem Wohllaut der lateiniſchen Sprache. Das Brodſtudium 15. Petrarca als
Verehrer Virgils und Cicero's 16. Sein Begriff von der Poeſie 17. Seine Elo⸗
quenz und Latinität, ſein Stil 19. Seine Schwärmerei für das Alterthum 22. Er
ſucht nach Cicero's Schriften 23. Ob er Cicero's Werk „vom Ruhme“ beſeſſen? 25.
Cicero's Reden und Briefe 27. Petrarca und feine Bibliothek 28. Er erhält einen
Homeros. Sein Verſuch, Griechiſch zu lernen 29. Petrarca unter den Ruinen des
alten Rom 30. Petrarca und Cola di Rienzo 31. Petrarca als politiſcher Ideologe
und Anwalt der römiſchen Freiheit 35.
Petrarca und der Humanismus 37. Sein Kampf gegen die Scholaſtik 38.
Seine Verachtung der Aſtrologie, Alchymie, Traumdeuterei und andern Aberglaubens 40.
Seine Polemik gegen die Aerzte 42. Gegen das Jus 44. Gegen die Schulphilo⸗
ſophie 45. Sein Verhältniß zu Ariſtoteles 46. Zu Platon 48. Seine Stellung zu
Glauben und Kirche 49. Petrarca und Auguſtinus' Confeſſionen 51. Sein Kampf
gegen die ſcholaſtiſche Theologie 52. Die Secte der Averroiſten und Petrarca 52.
Seine Motive, wenn er als Apologet des Chriſtenthums auftritt 56.
Petrarca als Weltweiſer 58. Die Lüge der Eloquenz 59. Petrarca als Repu⸗
blicaner und Fürſtendiener 60. Als Anachoret und Pfründenjäger 62. Der philo⸗
vin N Inhalt.
ſophiſche Einſiedler 64. Der Freundſchaftscultus 67. Petrarca's Neid gegen Dante,
Hochmuth und Eitelkeit 68. Seine Ruhmesſehnſucht und Ernüchterung 72. Die
Dichterkrönung und Petrarca's wechſelnde Empfindungen 74. Noch einmal Petrarca
und Cola di Rienzo 76. |
Petrarca als Individualmenſch und der mittelalterliche Gegenſatz 80. Die Scene
auf dem Mont⸗ Ventoux 82. Die Beſchäftigung mit dem Selbſt als Kampf 83.
Die claſſiſch⸗philoſophiſchen Tractate und der Pulsſchlag der Perſönlichkeit 84. Die
Acedia 85. Antiquariſches über ſie 87. Petrarca's Acedia 88. Sein Buch „über
den geheimen Kampf ſeiner Herzensſorgen“ oder „von der Verachtung der Welt“.
Selbſtbeichte und Bußkampf 90. Der Erfolg 95.
Petrarca's Ruf und Verehrung 96. Seine Schriften als Vorbilder neuer Lite⸗
raturzweige 99. Sein Blick in die Zukunft 100.
Zweites Buch.
Die Gründer der florentiniſchen Muſenrepublik. Die Wanderlehrer.
Erweckung der claſſiſchen Autoren aus den Kloſtergräbern.
Die unmittelbar von Petrarca ausgehenden Anregungen S. 102. Ihre Con⸗
centration in Florenz 103. Giovanni Boccaccio. Sein Bildungsgang 103.
Boccaccio und ſein Meiſter Petrarca 104. Boccaccio als mikrologiſcher Gelehrter 105.
Der Abfall von Petrarca's genialer Höhe 107. Die Akademie von San Spirito.
Luigi Marſigli 114. Coluccio di Piero de' Salutati. Sein Verhältniß
zu Petrarca 116. Ueberführung der Africa nach Florenz. Salutato als florentiniſcher
Staatscanzler und politiſcher Charakter 118. Seine Briefe als Muſter eines neuen
Canceleiſtils 122. Seine Leichenfeier und Dichterkrönung 123. Seine literariſche
Thätigkeit. Seine Schützlinge Poggio und Bruni 124.
Die Wanderlehrer 125. Giovanni Malpaghino da Ravenna 126. Gaspa⸗
rino da Barzizza 128. Manuel Chryſoloras 129. Seine Schüler in Florenz 130.
„Auſſchwung des Humanismus im Beginn des 15. Jahrhunderts 132. Die
literariſchen Entdeckungen. Die Bücher in den Klöſtern. Boccaccio zu Monte
Caſſino 133. Poggio auf literariſchen Entdeckungsreiſen 134. Er findet zu St. Gal⸗
len Quintilians Inſtitutionen 135. Weitere Funde. Bartolommeo da Montepnl⸗
ciano 136. Poggio findet acht Reden Cicero's 137. Sein Verfahren 138. Täu⸗
ſchende Gerüchte, zumal von den fehlenden Decaden des Livius 139. Der plautiniſche
Fund 140. Auffindung ciceroniſcher Schriften 141. Griechiſche Bücher aus Byzanz.
Alterthümer. Ciriaco de Pizzicolli der Anconitaner 143.
Drittes Buch.
Das erſte mediceiſche Zeitalter. Der Humanismus in den
Republiken Italiens.
Stabilifirung der Humaniſten S. 147. Die Muſenrepublik von Florenz. Der
Adel der Republik 148. Coſimo de Medici 149. Sein Mäcenat. Sein Bruder
Lorenzo 151. Andre florentiniſche Adlige als Literatoren: Roberto de Roſſi, Rinaldo
Inhalt. IX
degli Albizzi, Palla de Strozzi 152. Die Acciajoli, Piero de Pazzi, Matteo Pal-
mieri, Leonardo de Dati, Lapo da Caſtiglionchio 153.
Der um Coſimo gruppirte Literatenkreis. Niccolo de Niccoli 153. Lionardo
Bruni d' Arezzo 161. Carlo Marſuppini d' Arezzo 164. Ambrogio Traverſari der
Camaldulenſer 165. Giannozzo Manetti 171. Poggio Bracciolini der Florenti⸗
ner 172. Seine literariſche Muße in der Valdarniana 173. Seine Fehden und
Invectiven 174.
Die nach Florenz berufenen Lehrer: Guarino 178, Aurispa, Filelfo 179. Sein
erſtes Auftreten in Florenz 180. Gegnerſchaften 181. Marſuppini als ſein Katheder⸗
Rival 183. Filelfo's Satiren. Ein Meuchelmörder gegen ihn 184. Die Staats-
revolution vom September 1433: Coſimo verbannt, Filelfo's Triumph; die Vergel⸗
tung, Poggio's Invectiven gegen Filelfo 185. Fortſetzung des Kampfes nach Filelſo's
Abzug 187. Griechische Lehrer in Florenz: Georgios Trapezuntios. Joannes Argy⸗
ropulos 188.
Ein Blick auf die bildende Kunſt in Florenz. Leo⸗Battiſta degli Alberti 190.
Verbindung der Künſtler mit den Literatoren. Der antike Geiſt der florentiniſchen
Republik 192. Die Hochſchule. Der heilige Antoninus, Erzbiſchof von Florenz, als
Gegenbild 193. Angriffe gegen Dante, Petrarca und Boccaccio 195. Verehrung
dieſer literariſchen Ahnen zu Florenz 196. Die humaniſtiſchen Geſchichtſchreiber der
Republik, ihre Staatscanzler 198. Das Bücherweſen. Florenz als Centralpunct des
Buchhandels 199. Etwas über die Preiſe der Bücher 200. Niccoli's Plan einer
öffentlichen Bibliothek 201. Die Marciana zu Florenz 202. Tommaſo Parentu⸗
celli (ſpäter Papſt Nicolaus V) als Bibliothekar. Coſimo's bibliothekariſche Unter⸗
nehmungen 203. Privatbibliotheken 204. Die Verherrlichung der Republik durch
Wiſſenſchaft und Kunſt 205.
Der Humanismus in Siena 206.
Der Humanismus in Venedig. Die Regierung ohne literariſches Intereſſe.
Dieſes eine Privatſache einzelner Adliger 207. Carlo Zeno 208. Leonardo Giuſti⸗
niani. Sein Sohn Bernardo. Francesco Barbaro 209. Die vaterländiſche Ge⸗
ſchichtſchreibung. Mißliche Stellung der berufenen fremden Lehrer 212. Büͤcherſamm⸗
lungen 213.
Der Humanismus in Genua. Jacopo Bracelli. Niccolo Ceba 214.
Viertes Buch.
Der Humanismus an den Höfen Italiens.
Dynaſten und Humaniſten S. 215. Der Muſenhof zu Neapel. König Ro⸗
bert und Petrarca 218. Paolo de Perugia. Barlaamo. König Alfonſo der Arago-
nier 219. Die Freiheit des Wortes an ſeinem Hof. Lorenzo Valla. Seine Dialoge
über die Wolluſt 222. Seine Schrift über die conſtantiniſche Schenkung 224. Sein
Streit mit den Zionswächtern 225. Valla vor der Inquiſition 226. Sein Triumph.
Beccadelli's Hermaphroditus 227. Die Urtheile der Humaniſten 228. Zetergeſchrei
der Mönche 229. Der Dichter als Hofrath 230. Sein Streit mit Valla. Barto⸗
lommeo Fazio. Die Verherrlichung Alfonſo's 231. Porcello 232. Filelfo und Enea
Silvio de Piccolomini in Neapel. Theodoros Gaza. Manetti 234. Alfonſo's Frei⸗
gebigkeit. Sein Sohn Fernando 235.
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x | | Inhalt.
Die Visconti in Mailand. Filippo Maria 236. Die Hofredner: Antonio
Loschi, Gasparino und Guiniforte da Barzizza 238. Filelfo in Mailand, ſein Ver⸗
hältniß zum Tyrannen 239. Sein Gegner Pier⸗Candido Decembrio 240. Seine
Erniedrigung zur Vulgärſprache. Die Zeit der Republik 241. Filelfo's politiſche
Stellung 242. Francesco Sforza, ſeine Bildung und fein Mäcenat 243. Cicco
Simonetta 244. Guiniforte da Barzizza als Lehrer der fürſtlichen Kinder. Decem⸗
brio. Lodriſio Crivelli 245. Filelfo am fforzeschiſchen Hofe 246. Die Sforziade 247.
Seine Anſprüche an das Leben, poetiſche Betteleien, * Handel mit Unſterblichkeit 248.
Er erlebt den Verfall ſeines Ruhmes 251.
Die kleineren Dynaſten Italiens. Die Gonzaga zu Mantua. Vittorino Ram⸗
baldoni da Feltre, der Pädagog in der Caſa Giocoſa 251. Die Eſte zu Ferrara 255.
Markgraf Niccolo III 256. Guarino da Verona 257. Giovanni Aurispa. Ugo
Benzi 258. Markgraf Lionello, der fürſtliche Humaniſt 259. Sein Bruder Börſo 261.
Die Carrara zu Padua. Pier⸗Paolo Vergerio. Federigo di Montefeltro, Herzog
von Urbino 263. Die Malateſta in Rimini und Ceſena 264. Eine Rundreiſe
Filelfo's zu verſchiedenen Fürſten 266. Die Humaniſten als Politiker 267.
Fünftes Buch.
Der Humanismus an der päpſtlichen Curie. Das Zeitalter
Nicolaus’ V. Die helleniſtiſchen Studien.
Der Humanismus und die bhierarchiſche Kirche S. 269. Das Schisma führt
die Humaniſten an die Curie 270. Die Secretarie 271. Petrarca's Anſicht. Za⸗
nobi da Strada, Coluccio Salutato, Giacomo d' Angelo da Scarparia in der päpſt⸗
lichen Cancelei 272. Poggio als Curiale 273. Poggio unter den Monumenten und
Trümmern Roms 274. Das Bugiale und Poggio's Facetien 275. Sein Kampf
gegen die Bettelmönche 276. Lionardo Bruni als Curiale 277. Antonio Loschi und
ſein neues Formelbuch. Papſt Martin V 278. Anſprüche der humaniſtiſchen Secre⸗
tarie 279. Papſt Eugen IV 280. Humaniſtiſche Cardinäle 281. Das Unionsconcil
in Florenz: Auxispa und Marſuppini als apoſtoliſche Secretäre. Traverſari 282.
Ermolao Barbaro. Verhandlung mit Decembrio. Giovanni Tortello 283. Flavio
Biondo 284. Maffeo Vegio 285. Die römiſche Hochſchule. Georgios Trapezuntios
als Lehrer an derſelben 286.
Tommaſo Parentucelli, als Papſt Nicolaus V. Seine Vergangenheit 287.
. Sein Charakter 289. Seine Bildung 290. Die Zeit feines Pontificats 292. Seine
Politik. Das Jubeljahr und feine financiellen Folgen 293. Die Ruhmliebe des
Papſtes. Luxus der Curie 294. Bauten und Entwürfe 295. Seine Vorliebe für
die Florentiner. Sein Mäcenat 298. Vernachläſſigung der Hochſchule 299. Die
Gelehrten um die Perſon des Papſtes verſammelt 300. Piero da Noceto. Poggio
und der Papſt 301. Seine Invectiven gegen Felix, den Gegenpapſt, und das basler
Concil 303. Seine Schrift gegen die Heuchelei. Sein Rücktritt von der Curie 305.
Flavio Biondo und der Papſt 306. Manetti und der Papſt 310. Balla, er bittet
Papft Eugen um Verzeihung 311. Valla in Rom 313. Giovanni Tortello als.
Präfect der päpſtlichen Bibliothek, ſein Buch de Orthographia 315. Aurispa in
Rom 316. Decembrio. Filelfo und der Papſt 317. Seine N a
Seine Aufnahme in Rom 320.
Inhalt. xl
Epiſode über die Wiederbelebung der helleniſchen Sprache und Literatur 323.
Barlaamo und Petrarca 325. Leonzio Pilato und Boccaccio 326. Pilato's Ueber⸗
ſetzung der homeriſchen Epen 327. Der Hellenismus zur Zeit Petrarca's 328. Chry⸗
ſoloras. Die Griechen und die Lateiner. Ihr Wettſtreit während des Unionscon⸗
eils 329. Plethon und Platon, Coſimo's Gedanke einer platoniſchen Akademie,
Marſiglio Ficino 330. Disputationsſieg der Lateiner zu Ferrara 331, Die Byzan⸗
tiner in Italien 332. .
Die Griechen an Nicolaus' Hofe. Cardinal Beſſarion 332. Seine Anteceden⸗
tien 333. Seine Rolle an der Curie 334. Sein Literatenhof. Niccolo Perotti 335.
Beſſarion als Theologe und Philoſoph 336. Als Latiniſt, als Bücherſammler 337.
Georgios Trapezuntios 338. Theodoros Gaza aus Theſſalonike 339.
Rom als Schauplatz der ſeandalöſen Gelehrtenchronik 340. Fehde zwiſchen Pog⸗
gio und Valla. Perotti's Einmiſchung 341. Filelfo als Friedensprediger 342. Fehde
zwiſchen Poggio und Trapezuntios 343. Streit der Griechen unter ſich über den
Vorzug des Ariſtoteles oder Platon 345. |
Vergleich der römiſchen Literatencurie mit der florentiniſchen Gruppe 347. Die
Leiſtungen unter Nicolaus’ V. Die Ueberſetzungsliteratur 348. Ihr Verdienſt 349.
Ihr Stolz. Die griechiſche Eloquenz 350. Florentiniſche Arbeiten 351. Bruni's
Ueberſetzungen zumal platoniſcher und ariſtoteliſcher Werke 352. Der neue Ariſtoteles.
Andre Ueberſetzungen der Florentiner 353. Ueberſetzungen vor der Zeit Nicolaus’ V
Vergerio's Arrhianos 354. Die Ueberſetzungsfabrik Nicolaus’ V: Ariſtoteles 355.
Platon. Die Geſchichtſchreiber der Griechen 356. Strabon 357. Der lateiniſche
Homeros als letzter Wunſch des Papſtes 358. Kirchliche Autoren 360. Nicolaus V
als Bücherſammler. Alberto Enoche aus Ascoli ſein Entdeckungsreiſender 361. Grie⸗
chiſche Bücher 362. Nicolaus V als Begründer der Vaticana 363.
Sechſtes Buch.
Propaganda des Humanismus jenſeits der Alpen.
Der Humanismus als weltbürgerliches Element S. 366. Die Weiſe der Pro⸗
paganda 368. Ihre Verſchiedenheit bei den romaniſchen und bei den germaniſchen
Völkern 369. «
England. Cardinal Henry Beaufort und Poggio 370. Enea Silvio und
Adam Mulin 371. Herzog Humphrey von Glocefter 372. William Gray 373.
Deutſchland. Antagonismus des deutſchen und des italieniſchen Sinnes 374.
Deutſchlands Fürſten: König Sigmund 375. Pier⸗Paolo Vergerio bei ihm. Sig⸗
mund in Italien 376. Albrecht II und Friedrich III. Enea Silvio de' Piccolomini
in der deutſchen Reichscancelei 377. Friedrich III in Italien, ſeine Dichterkrönun⸗
gen 378. Enea Silvio und Deutſchlands Fürften und Adel 379. Seine Caneelei⸗
Collegen 380. Verbreitung und Nachahmung ſeiner Schriften 381. Enea Silvio
als Verfechter des Humanismus in Deutſchland 382. Sein Antipode Gregor Heim⸗
burg, der Juriſt 383. Italieniſche Humaniſten und deutſche Barbarei 390. Der
Humanismus und die Preſſe 392. Durchbruch des Humanismus in Deutſchland 394.
Ungarn. Leichter Eingang der italieniſchen Bildung 395. Joannes Vitéz 396,
Janus Pannonius 397. König Matthias 398.
Polen. Cardinal Zbignew Olesnicky 398.
XII Inhalt.
Siebentes Buch.
Die Erſcheinungsformen und Tendenzen des italieniſchen Humanismus
im Allgemeinen.
Das claſſiſche Alterthum ein geſichertes Gut S. 400. Der nationale Stolz der
italieniſchen Humaniſten 401. Ihr perſönliches Selbſtgefühl 403. Ihre moderne
Auffaſſung des Alterthums und alterthümelnde der Gegenwart 406. Schein und
Sein in der ſittlichen Sphäre 409.
Die Gelehrtenrepublik 412. Ariſtokratie des Talentes. Entfernung von der
Kirche und den Hochſchulen 413. Die Epiſtolographie als Bindemittel, ihre Entwicke⸗
lung 414. Der Freundſchaftscultus als Umgangston 423. Die Feindſchaften unter
den Humaniſten, ihre Invectiven 424. Die Stiliſtik und ihre Entwickelung 428.
Die Poeſie, tusciſche und lateiniſche 431. Die Redekunſt und ihre Ausbildung 433.
Die philoſophiſchen Tractate 437. Die Geſchichtſchreibung 439.
Die deſtructiven Tendenzen des Humanismus. Schöngeiſterei und Pedanterie 445.
Der Kampf gegen die Weisheit der Hochſchulen, gegen die ſcholaſtiſche Methode 446.
Gegen die Juriſten, ihr Uebergewicht auf den Kathedern 447. Verknöcherung der
Rechtsſtudien 448. Polemik der Humaniſten gegen ſie, anbei auch gegen die Aerzte 449.
Polemik gegen die Theologie 454. Das frivole Spiel der Humaniſten mit dem
Heidenthum 457. Sittliche Frivolität 459. Die Zote als Literaturzweig 463. An⸗
griffe auf die Außenwerke der Religion und Kirche 466. Der Humanismus und
das Mönchthum 469. Poggio's Kampf mit den Bettelmönchen 472. Aufnahme
des Humanismus in die Kirche ſelbſt, ſein Sieg. 475. Pius II, der Humaniſt auf
dem apoſtoliſchen Stuhl 478. Scheinbare Reaction unter Paulus II 479. Die ca⸗
tilinariſche Bande in Rom und die platoniſche Akademie 480. Triumph des Hu⸗
manismus im päpſtlichen Rom 484.
3 J 61
Einleitung.
Kein Boden Europa's iſt von ſo verſchiedenen Völkern getreten
und zertreten worden als der italiſche, keiner war Zeuge ſo mannig⸗
facher und tiefgreifender Wandelungen. Auch die größte Veränderung,
welche die geſchichtliche Menſchheit bisher erlitten hat, die Auflöſung
der antiken Weltherrſchaft und das Emporwachſen einer neuen, auf das
Blut Jeſu Chriſti gegründeten, mußte vorzugsweiſe Italien in Gährung
und Sturm durchleben. Damals war es berufen, die Brücke zwiſchen
dem Alterthum und der chriſtlichen Zeit zu bilden. Für dieſe be-
wahrte es das Palladium der Zukunft, den Stein, auf welchem die
Kirche gegründet war; vom Alterthum barg es mannigfache Reſte, ein
größeres Vermächtniß, als der erſte Anſchein uns wohl glauben macht.
Wenn irgendwo der antike Geiſt wieder aufleben und in die Poren
der neuen Organismen eindringen konnte, ſo mußte es in Italien ſein.
Italien hat das Idiom, in welchem die alten Römer ihre Gedan⸗
ken niederſchrieben, trotz allen Völkermiſchungen am reinſten und treuſten
bewahrt. Mehr als irgendwo ſonſt blieb die weltbürgerliche Sprache
von Latium hier, im Brennpunkte des kirchlichen und gebildeten Lebens,
die Sprache des Geſchäftstreibens, der Gelehrſamkeit, der Gottesvereh⸗
rung. Ferner weiß man, daß die letzte und neben der Völkerherrſchaft
die rieſigſte Schöpfung der alten Römer, ihr Recht und ihre Rechtswiſſen⸗
ſchaft, in Italien niemals außer Geltung kam. Dieſes Römerrecht hat
allmählig und unbeachtet, wie ſich das Blut der Völker der alten Welt
mit dem der neuauftretenden Stämme vermiſchte, auch die Denkweiſe
der letzteren, den geſelligen Verkehr und das politiſche Leben bald leich⸗
Boigt, Humanismus. 4 1
2 5 Einleitung.
ter gefärbt, bald eindringender inficirt. Es vererbte ſich auf die neue
Bevölkerung eine Fülle von Erinnerungen an das Heldengeſchlecht des
Romulus, welches die Welt bezwungen. Oft iſt nur noch das Monument
vorhanden und ſteht als ein räthſelhafter Spuk da, wie die mittelalter⸗
lichen Märchen von der Reiterſtatue Marc⸗-Aurels oder vom Bau des
Pantheon bezeugen. Oft iſt die Vorſtellung dunkel und verworren, wie
die vom Cäſarenthum, als es unter dem fränkiſchen Karl wiederher⸗
geſtellt wurde, oder von der alten römiſchen Republik, als Arnoldo
da Brescia den Senat, die Conſuln und den Populus Romanus wie⸗
der aufrichten wollte. Oft auch war eine Inſtitution am Leben geblie⸗
ben, ohne daß man ſich ihres antiken Urſprungs bewußt wurde, wie
denn zum Beiſpiel die municipalen Einrichtungen des römiſchen Alter⸗
thums in einzelnen Städten, zumal in Rom und Florenz, niemals ganz
erloſchen. Vor Allem aber hat Italien und insbeſondre Rom nimmer
vergeſſen können, daß von hier aus eine Welt unterworfen und gelenkt
worden iſt.
Man wird nicht leugnen können, daß Italien dem Geiſte nach die
Wiege nicht nur der Hierarchie, ſondern auch die des germaniſchen
Kaiſerthums geweſen. Es hat ihr Aufwachſen, ihre mächtigen Kämpfe
gegen einander, dann ihren Niedergang geſehen. Beide aber, die Hie⸗
rarchie und das römiſche Reich veutſcher Nation, find von alt⸗romiſchen
Ideen unmerklich durchdrungen worden, beide haben durch ſie die welt⸗
bürgerliche und univerſalmonarchiſche Richtung erhalten. Desgleichen
haben die Sprache Roms, das Recht Roms und die Kirche Roms den
Boden für eine europälſche Geſammtbildung geebnet und ein geiſtiges
Band um die Völker geſchlungen, deſſen Handhabung Italien zur He⸗
gemonin Europa's machte.
Der erſte Blick, den wir auf die Geſchichte Italiens während des
14. und 15. Jahrhunderts vom politiſchen Geſichtspuncte aus werfen,
lehrt uns ſofort, daß die Halbinfel zur Fortführung ihrer großen Auf.
gabe durchaus unfähig geworden war. Wir glauben nicht mehr als einen
Tummelplatz zerreißender und zweckloſer Leidenſchaften wahrzunehmen.
Bon keiner mächtigen Kaiſerhand mehr zuſammengehalten, benutzen dieſe
kleinen Staaten ihre Freiheit nur, um einander mit unruhiger Eifer⸗
ſucht zu quälen und zu ſchaben. Der unaufhoͤrliche Widerftreit der
Oynaſten und Uſurpatoren gegen die Republifen und in letzteren der
ewige Kampf zwiſchen Adel und Volkspartei, der Adelsgeſchlechter gegen
einander und der demokratiſchen Gewalten gegen einander, ein vielge⸗
1.
Ginlettung. 8
ſtaltiger Bürgerkrieg hilft die Zerrüttung und die Ohnmacht vollenden.
Die Halbinſel reifte der Fremdheryſchaft und doch nicht der eines einzi⸗
zen Herrſchers entgegen. Die Entfernung der Curie aus Italien und
das kirchliche Schisma unterwühlten auch die religiöſe Eintracht der
Gemätber, und die Vorboten der großen Kirchentrennung denteten be⸗
reits auf ein Auseinandergehen der Nationen in Glauben und Cul⸗
tus. Wie hätte Rom noch der Altar der weltbürgerlichen Idee bleiben
können 5 |
Wie nun Italien das Herz des mittelalterlichen Staatenorganis⸗
mus genannt werden kaun, ſo repräſentirt feine Geſchichte gleichſam die
generelle. Es iſt, als ſchneide die aufſteigende Entwickelung des Mittel⸗
alters überhaupt ſeit der Mitte des 13. Jahrhunderts faſt plötzlich ab.
Das, Fortleben aller mittelalterlichen Schöpfungen iſt nur noch ein
mechaniſches Weiterſpinnen ihrer dürftigen Exiſtenz. Das Kaiſerthum
mit feinen weitfichtigen Entwürfen ſinkt ſeit dem Ausgange der Hohen⸗
ſtaufen zuſammen; die Hierarchie mit ihrer gottesſtaatlichen Tendenz
folgt ihm nach, ſobald ſie des anſpannenden Gegenſatzes entbehrt.
Geiſt und Gemüth verdumpfen überall unter dem Zwange eines kalten
Formalismus. Die Hochſchulen find nur Gefängniſſe des Geiſtes, in
denen jede Regſamkeit durch die eiſernen Bande der Scholaſtik gebro⸗
chen wird, dieſe aber, obwohl ſie einen gewiſſen Fond von Kenntniſſen
und Anſchauungen im Umſatz erhielt, iſt eben keine Wiſſenſchaft, ſon⸗
dern nur die disciplinirende Methode aller Wiſſenſchaften, die in ihrem
ſtrengen Banne wie im Kloſter und unter der umſchränkenden Regel
fortleben. Auf dieſer Bahn war kein Fortſchreiten möglich, der arbei⸗
tende Geiſt drehte ſich immer nur im Kreiſe herum.
Da nun keimte in Italien die Saat einer neuen Bildungs vegeta⸗
tion, die ihre Blüthen zunächſt auf dem literariſchen und küuſtleriſchen
Gebiete treiben ſollte und eine neue Einigung Italiens nicht nur, ſon⸗
dern der gebildeten Welt überhaupt, unter dem Banner der Muſen zu
vollbringen berufen war. Dieſe Entwickelung tritt nun in den Vorder⸗
grund, während pas Intereſſe an der kirchlichen Politik, an den Krie⸗
gen und Revolutionen, ſelbſt an den wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen
immer mehr zurückſchwindet. Sprechen wir die neue Aufgabe Italiens
aus, ſoweit ſie zu faſſen uns gegeben iſt. Das Alterthum und die
Blüthe des chriftlich-romantifchen Lebens zu recapituliren, die Form
und ſinnliche Schönheit als das Erbe der claſſiſchen Völker mit dem
Geiſte der Romantik im Kunſtwerke zu vereinigen, das iſt das Ziel,
1 *
4 leitung.
dem fich fortan die edelſten Kräfte zuwenden, das ift die Bedeutung
eines Arioſto und Taſſo, eines Bramante und . eines eio-
nardo da Vinci und Rafaele Sanzio.
Wir haben hier nur ein Stadium und eine Seite diefes cultur⸗
geſchichtlichen Proceſſes zu verfolgen, die Wiedergeburt des claſſifchen
Alterthums und ſein Eindringen in das geiſtige Leben zunächſt Ita⸗
liens. Wir haben ferner nur das Kindes⸗ und das Jünglingsalter
dieſer Beſtrebungen vorzuführen, wie jenes ſich aneignet und lernt, ge⸗
fördert durch den Trieb der Nachahmung, wie dieſes die erworbenen
Kräfte und Kenntniſſe übt, muthig gebraucht und keck mißbraucht.
Das Entſtehen und Wachſen wird daher unſer Intereſſe auf ſich zie⸗
hen, noch nicht Schöpfungen, die den Stempel der Reife und Dauer
tragen.
Vom claſſiſchen Alterthum 88 vorzugsweiſe ſeine lrerarischen
Monumente, mit ihnen ſank es in den Winterſchlaf, mit ihnen ſollte
es zu einem neuen Frühling erweckt werden. Seine Geſchichte knüpft
ſich alſo an die ſeiner Literatur. Die Männer ſelbſt, welche die rö⸗
miſchen und griechiſchen Autoren wieder in das Leben führten, ſprachen
regelmäßig von ihrem ſiebenhundertjährigen Schlummer. Sie rechneten
nicht falſch; mit dem römiſchen Reiche ſchwand auch der Sinn für die
römiſche Literatur allmählig dahin, im 7. Jahrhundert war er ſo gut
wie erloſchen. Aber wir dürfen ihnen jenes Wort doch ſo unbedingt
nicht nachſprechen; mitten in der Flamme ſtehend, ſahen ſie die glim⸗
menden Funken nicht. Wie die römiſchen Rechtsbücher, ſo blieb auch
die geſchichtliche, philoſophiſche und poetiſche Literatur der Römer nie⸗
mals ganz unbeachtet liegen, immer ſind Livius und Salluſtius, einzelne
Schriften Cicero's und Seneca's, Virgilius und Lucanus, Horatius
und Ovidius, Terentius und Plinius einmal in der ſtillen Kloſterzelle
geleſen und in die kirchlichen, ſcholaſtiſchen und geſchichtlichen Werke
verwebt worden. Schon die Kirchenväter wieſen vielfach auf die pro⸗
fanen Autoren hin, denen ſie ja ihre Erudition zum guten Theile ver⸗
dankten. Durch ihre Schriften ſowie durch die ſpäterer kirchlicher
Sammelgeiſter, etwa des Biſchofs Iſidorus von Sevilla, blieben einige
Kenntniſſe und Notizen aus dem claſſiſchen Alterthum in ftetem Um-
lauf. Andre pflanzten ſich, wenn auch noch ſo verſtümmelt, durch Sage,
Legende und Dichtung fort, wie die wirren Märchen vom trojaniſchen
Kriege, von Alexander dem Großen, von einzelnen römiſchen Impera⸗
toren. Boethius, deſſen chriſtlich⸗philoſophiſches Troſtbüchlein allezeit
Einleitung. 5
in hohem Anſehen ſtand, gab in feinen Commentaren zugleich einen
Impuls zum Studium oder doch zur Beachtung der ariſtoteliſchen Phi⸗
loſophie. Aehnliche Berührungen gab es hundertfach. Auch haben im⸗
mer Einzelne die griechiſche Sprache entweder im apuliſchen Reiche
oder in Griechenland ſelbſt gelernt. Endlich beſitzen wir aus allen
Perioden der mittelalterlichen Zeit die handſchriftlichen Copien clafft-
ſcher Auteren, die doch ein thätiges Intereſſe für dieſe Literatur be⸗
zeugen. 8
Dennoch überwogen bei Weitem die Momente, welche dem Alter⸗
thum entgegenſtanden. Noch kannten der chriſtliche Glaube und die
Kirche keine Ausſöhnung mit demſelben. Im ſteten Kampfe mit der
heidniſchen Welt waren ſie groß gewachſen, und wenn auch noch ſo
kümmerlich, glimmte doch zu allen Zeiten der Funke des Heidenthums
unter den Trümmern ſeiner Tempel fort, es blieb, auch beſiegt, mit
ſeinen freien, durch Kunſt verſchönten Lebensanſchauungen immer noch
ein furchtbarer Feind. War es doch in den Zeiten des Unterganges
ſelbſt manchem ehrwürdigen Lehrer der Kirche, der vorher Sophiſt oder
Phetor geweſen, wie eine lockende Sirene erſchienen. Man führt wohl
den Rigorismus Gregors des Großen als Beweis an, wie tief und
mit welcher Verachtung zu feiner Zeit die heidniſchen Dichter unter die
Füße getreten ſeien, aber gerade daß Gregor ſich genöthigt glaubte,
energiſch gegen ihre Leſung anzukämpfen, zeigt uns doch wieder, daß
der Sinn dafür und die verführeriſche Macht dieſer Todten keinesweges
dahin war. Selbſt als der Kampf mit den Reſten des Heidenthums
wirklich in den Hintergrund trat, als der Streit der Kirche des Occi⸗
dentes mit der des Orientes, das Ringen der römiſchen Biſchöfe mit
der Kaiſergewalt die Gemüther in Anſpruch nahm, als dann im Anta⸗
gonismus der kirchlichen Gewalten gegen einander die Wiſſenſchaft vor⸗
zugsweiſe bemüht war, theolegifche und canoniſtiſche Waffen zu ſchmie⸗
den, ſelbſt damals konnte man ſich eines furchtſamen Grauens nicht
erwehren, wenn man an die bezwungenen Mächte dachte, die wie ge⸗
feſſelt in der Hölle, aber doch noch lebend und Rache ſinnend drohten.
Die Zeit der Griechen und Römer erſchien als eine Nacht, in welcher
die Menſchen unreine Dämonen angebetet; dieſe Dämonen aber, mit
denen einſt der chriſtliche Glaube gebrochen, webten im Aberglauben
ihr unheimliches Daſein fort. Nein, die Kirche, ſo lange ſie beſtrebt
war dem weltlichen Treiben gegenüber das Gottesreich auf Erden dar⸗
zuſtellen, konnte nimmer dem Alterthum die ausſöhnende Hand reichen.
6 Einleitung.
Sie konnte es nicht dulden, daß der Geiſt ſich mit Liebe in eine Ver⸗
gangenheit verſenkte, die nicht ihre eigene war, daß er abgelenkt wurde
von dem Blicke in das Reich, welches Jeſus der Zukunft e hat
und beſſen Schlüſſel fie allein führte.
Demnach hat die Kirche, während der Geiſt der Reinigung in ihr
noch lebendig und eine heilige Herrſchaft ihr Ideal war, die mächtig⸗
ſten Hebel menſchlicher Thaten, Gefühl und Phantaſie, für ihre Zwecke
abſorbirt. Das Denken hielt fie durch ihre Dienerin, die Scholaſtil, in
Zucht und Banden. Den Sinn für das Schöne erdrückte ſie lieber,
als daß fie ihm den Nahrungsſtoff, den er bei den claffifchen Völkern
finden konnte, gegönnt hätte. Es iſt kein Zufall und noch oft wird
in dieſem Buche darauf hingewieſen werden, daß erſt mit dem Erblei⸗
chen der kirchlichen Sonne das Mondlicht des Heidenthums, welches
lange von ihr überſtrahlt worden, wieder hervortrat.
Finden wir hierin nicht den tiefſten Grund, ſo wäre die Erſchei⸗
nung ganz unerklärlich, daß alle die Beſchäftigung Einzelner mit der
claſſiſchen Literatur, die uns während des Mittelalters nicht ſelten ent-,
gegentritt, doch für die Geſammtbildung deſſelben völlig unfruchtbar
blieb. Das Alterthum iſt einmal eine Welt für ſich; nur demjenigen,
ber es als ſolche auffaſſen und mit unbeirrter Hingabe betrachten kann,
bietet es ſeinen bildenden Stoff. Kein Theil der Wiſſenſchaft kann
gedeihen, ſo lange er einem andern zu dienen verurtheilt iſt.
Gewiß verdanken wir die Erhaltung der elaſſiſchen Literatur, fo-
weit ſie uns eben erhalten ift, vorzugsweiſe den Kloſterbrüdern. Jahr⸗
hunderte lang haben fie treu das von ihren Vorgängern erworbene Gut
aufbewahrt und geſchützt, auch durch Abſchriften vervielfältigt. Aber
ihr Beruf war es niemals, Geiſt und Herz haben ſie dieſer Arbeit
nicht gewidmet. Das Bücherabſchreiben war gemeinhin nur ein dürres
Handwerk, von der Ordensregel bald geboten, um durch friedliche Be⸗
ſchäftigung die rohe Sitte zu brechen, um die Muße ſchwächlicher Brü⸗
der zu füllen oder um dem Kloſter einen Erwerb zuzuwenden, bald
mi geftattet, in andern Fällen auch wieder verboten. Wurden dann
in den berühmten Häuſern der Benedictiner zu Monte Caſſino, Cluny,
St. Gallen oder Fulda neben den theologiſchen, Meß⸗ und Gebetbüchern
auch einmal claſſiſche Werke copirt, ſo geſchah es nach dem Gebote des
Abtes oder es war vielleicht auch die ſpielende Liebhaberei des Bruders
ſelbſt. Immer aber blieb es bei dem todten Buchſtaben. Oft auch,
an Ye vornehme Abt mit dem Falken auf der Hand durch die
Einleitung. | 7
Felder ſtrich, zu Turnieren und Hoffeſten zog oder beim ſchlemmeri⸗
ſchen Mahle den Poſſeureißern zuſchaute, während die Brüder umher⸗
ſchlenderten oder ein müßiges Geſpräch durch Wein belebten, verſtaub⸗
ten und verrotteten die Bücher in der dunkelſten und feuchteſten Zelle,
aukgenommen vielleicht die Urbarien, auf denen die Einkünfte und
Nutzbarkeiten des Kloſters beruhten, therapeutiſche, aſtrologiſche und
Gebetbücher. Da iſt im Laufe der Jahrhunderte von den claffiſchen
Autoren vielleicht ebenſoviel zu Grunde gegangen und für ewig verlo⸗
ren, als auf der andern Seite gerettet worden. Sie waren auf Gaſt⸗
freund ſchaft gewieſen geweſen, ein Heimathsrecht hatte man ihnen nie
gönnt.
Daſſelbe Daſein, welches die claſſiſchen Bücher in den Klöſtern
führten, lebte ihr Inhalt in den Geiſtern. So lange die Bildung über⸗
haupt und der Unterricht insbeſondre faſt ausſchließlich in geiſtlichen
Händen war, wurde die antike Literatur mit ſtiefmütterlicher Laune be⸗
handelt. Daher iſt der ſcheinbare Aufſchwung im karolingiſchen Zeit⸗
alter und fein Nachhall im ottonifchen ohne Wirkung geblieben wie
die Berührungen mit Byzanz, dem Archive des Hellenismus, die hin
und wieder im Abendlande flüchtige Moden erzeugten, wie die oft er⸗
ſtaunlichen Anſtrengungen Einzelner. Es fehlte die Contivuität des
Strebens, es fehlte das Zuſammenwirken der Strebenden. Die Mei⸗
ſten hatten keinen andern Begriff, als daß die lateiniſche Sprache eine
Magd der Kirche ſei. Man lernte ſie aus Donatus und Priscianus,
man las einzelne Schriften Cicero's oder einen Dichter dazu, um Bei⸗
ſpiele für die Regeln der Grammatik zu finden. Ein armſeligeres
Fortleben der römiſchen Autoren iſt kaum zu denken, als wie ſie da⸗
mals zur propädeutiſchen Ausbildung der Kleriker oder als mattherzige
Nebenbefshäftigung dienten. Und es ging ihnen nicht beſſer, wenn fie
aus dem Kloſter in die Kloſterſchule und dann in die Hochſchule ver⸗
pflanzt wurden. Auch hier dienten ſie den großen Facultätswiſſenſchaf⸗
ten; ein ſelbſtſtändiges Leben haben ſie ſelbſt bei den Geiſtern erſten
Ranges, bei einem Abailard und Johannes von Salisbury nicht er⸗
langt. Notizen aus dem Alterthum halfen höchſtens die Lücken eines
theologiſchen oder philoſophiſchen Syſtems verſtopfen, gleichwie man
die Marmorſänlen alter Tempel und Paläſte ohne Schaam zu gemei⸗
nem bürgerlichem Gebrauche verwendete. |
Wir wiederholen nicht das alte Lied von der Urtheils⸗ „Kritik⸗ und
Geſchmackloſigkeit der mittelalterlichen Zeiten. So gedankenlos es oft
8 Einleitung.
nachgeſungen worden, ſo bleibt unleugbar, daß der geiſtige und zumal
der äſthetiſche Erwerb des Alterthums Jahrhunderte lang ſo gut wie
verloren war. Nur einige minder beachtete Erſcheinungen wünſchten wir
hier hervorzuheben, weil fie die verzehrende Dictatur der Kirche ain
ſchlagendſten beweiſen und weil wir in den folgenden 838 gerade
dieſe Geſichtspunkte feſtzuhalten gedenken.
Die herrſchende Kirche duldet den individuellen Menſchen nicht.
Alles ſoll zum fügſamen Gliede in der Kette ihrer Syſtematik werden
und ſich dem Geſetze ihrer Inſtitutionen unterordnen. Sie kennt kein
beſonderes Geiſteseigenthum und in dieſem Sinne iſt fie auch mit der
claffifchen Literatur verfahren. Darum wurden die Werke derſelben nach
Belieben verkürzt und erweitert, verchriſtlicht und verſtümmelt, darum
ohne Abſicht einer Fälſchung angeſehene Autorennamen zu modernen
Machwerken mißbraucht. Es iſt bekannt, wie zum Beiſpiel Donatus
ein Collectivbegriff für jede Grammatik, Servius für jeden Commen⸗
tar zum Virgilius wurde. Die Kraft, die ſolchem Beſtreben entgegen⸗
tritt, iſt die Kritik: in ihr ſetzt ſich der Einzelne, auf den ihm eigen⸗
thümlichen Geiſt vertrauend, der zwingenden Autorität gegenüber.
Die Kirche ruhte ferner ſelbſt auf einer Fülle ſehr verſchiedenar⸗
tiger Autoritäten und die kirchliche Wiſſenſchaft hatte den Beruf, ihre
Widerſprüche auszugleichen und das Lehrgebäude nach beſtimmten Ten⸗
denzen abzurunden. Um keine dieſer Autoritäten zu untergraben, hielt
ſie alle in gleicher Achtung. Solche Behandlung mußten ſich auch die
Claſſiker gefallen laſſen. Die philoſophiſche Moral des Ariſtoteles
durfte der kirchlichen nicht widerſprechen; Cicero, Seneca und Boethius
wurden betrachtet, als ſtänden ihre Schriften in gleichem Range neben
einander; Florus, Eutropius und Valerius Maximus galten daſſelbe
wie Salluſtius und Livius; neben Virgilius, Statius, Lucanus, Juve⸗
nalis und Perſius behaupteten ſich in demſelben Anſehen Dichtwerke
eines Marbod von Rennes, Alanus ab Inſulis und Johannes von
Salisbury. Eine Scheidung zwiſchen ſolchen Autoritäten erforderte
gleichfalls die Kraft der Kritik, mehr aber noch ein ſich bildendes Ge⸗
fühl für die edlere Form und den tieferen Gehalt. Der Geſchmack
aber, den die Kirche nicht duldete, war wiederum Sache des Einzelnen.
Um dieſer individuellen Kraft Spielraum zu ſchaffen, mußte die
neue Wiſſenſchaft, die das Erbe der claſſiſchen Nationen antrat, das
Kloſter, die geiſtliche Zucht und die zünftigen Univerſitäten verlaſſen.
Ihre Jünger mußten Kutte und Meßgewand von ſich werfen und ſich
Euleltung. 9
als Sühne des alten Rom gleichſam in Tunica und Toga kleiden. Ein
neuer Stand mußte in die Geſellſchaft treten mit einer neuen und
ſelbſtſtändigen Bildung, bald neben die Kirche, bald feindlich ihr gegen⸗
üͤbergeſtellt, immer aber weſentlich von ihr geſondert.
Wer der Bildung des neueren Italien nachſpürt, in welcher Rich⸗
tung es auch ſei, kann bei Dante Alighieri nicht achtlos vorüber⸗
gehen. Den Reſtauratoren des claſſiſchen Alterthums können wir ihn
freilich nicht beizählen. Seine Größe liegt darin, wie er die ſyſtema⸗
tiſche Scholaftil und die provencaliſche Romantik fo wunderſam in ſich
vereinigt. Seine Bildung beruht noch ganz auf den Disciplinen
des Trivinms und Quadriviums, feine Leitſterne find die Bibel und
„der Philoſoph“, in zweiter Reihe ſtehen ihm abwechſelnd Auguſtinus
und Thomas von Aquino, Boethius und Cicero. Der Geiſt Dante's
ift ein ſchwerwandelnder, leichte, anmuthige Formen reizen ihn nicht;
er ſucht in den Tiefen nach dem Golde der Weisheit und bleibt unbe⸗
rührt von der heiter lockenden Pracht der Fläche. Vom leichten Blute
der Hellenen und der helleniſirten römiſchen Dichter iſt kein Tropfen
in ihm. Seiner Phantaſie hält die ſtrenge Logik den Zügel, ein freies
Tummeln gönnt er ſeinem Genius niemals.
Und doch, wie die Wirkungen großer Geiſter unberechenbar find,
ahnen wir ſchon in Dante 's Werken etwas von den geheimnißvollen
Impukfen, die zu den Schätzen der claſſiſchen Römerzeit hinzutreiben
ſcheinen. Er las ihre beſten Dichter, Ovidius, Virgilius, Horatius
und Juvenalis, und findet er gleich ihren Werth nur in ihren lebens⸗
weiſen Sentenzen und nicht auch, wie die fpäteren Humaniſten, im
Wohlklang ihrer Verſe und der Eleganz ihres poetiſchen Stils, ſo war
es doch ſchon bedeutſam, daß er Dichterwort neben die hergebrachten
Autoritäten zu ſtellen und zu ſeinen Kunſtſchlüſſen zu verwenden wagte.
Eine Fülle von Beweiſen dafür hat man weniger in ſeinem großen
Gedichte als in ſeinen proſaiſchen Werken zu ſuchen. Aber auch in
jenem iſt bemerkeuswerth, wie er heidniſche und chriſtliche Materien,
alte und moderne Geſchichte, helleniſchen Mythus und kirchliche An⸗
ſchauungen oft gar wunderlich durcheinandermiſcht. Er führte das Al⸗
terthum, wenn auch nur notizenweiſe und zerſtreut in die tusciſche
Poeſie ein, gleichwie fein Lehrer und Freund Brunetto Latini zuerſt
10 Einleitung 5
römiſche Autoren, den Ovidius und Boethius, in die Vulzärſprache
überſetzt hat.) Einen Autor wie Livius las Dante mit Gefühl: hier
erſchloß ſich ihm der Begriff jener patriotiſchen Tugend, in deren Lichte
die Thaten des alten Rom ſchimmern; davon zeugt das zweite Buch
ſeines Werkes über die Monarchie.
Dante hat es wohl erkannt, daß die lateiniſche Sprache der Volks⸗
ſprache, die noch nicht Norm und Ausbildung erhalten hatte, an Adel
und Schönheit überlegen ſei.) Auch begann er ſeine göttliche Comö⸗
die in lateiniſchen Hexametern: Ultima regna canam ete. Wenn er
trotzdem in der Folge zur erlauchten Mundart von Si griff, ſo lag der
Grund wohl ſchwerlich in dem ſtolzen Gedanken, den der Dichter ein⸗
mal geäußert haben foll: er ſehe, wie die großen Dichter der Alten
von den Menſchen ſeines Zeitalters nicht verſtanden und gering geach⸗
tet würden; deshalb habe er die claſſiſche Lyra bei Seite gelegt und
eine andere bereitet, die für dieſe modernen Menſchen paſſe, denn dem
Säugling biete man vergebens feſte Speiſe an.) Dagegen hat ihn
gewiß ein anderer nicht minder ſtolzer Gedanke gereizt: er wollte gerade
die mißachtete Vulgärſprache, indem er fie zur Form feines hohen
Geiſtes wählte, zu Ehren bringen. Als ihm Giovanni di Virgilio
zumuthete, ſeine edlen Geiſteswerke nicht dem Pöbelhaufen, ſeine Perlen
nicht den Schweinen zuzuwerfen und die caſtaliſchen Schweſtern nicht
in ein unwürdiges Gewand zu zwängen, wies Dante dieſe Aufforde⸗
rung in der erſten ſeiner Eclogen ſcherzend zurück.) Am Ende ſeines
Lebens hat er in der Abhandlung de vulgari eloquio den Triumph
der erlauchten Vulgärſprache auch theoretiſch gefeiert und zwar in bar⸗
bariſchem Latein. Und doch ſind die beiden lateiniſchen Eclogen, die
wir von Dante beſitzen, gerade deshalb ſo denkwürdig, weil zuerſt in
ihnen die Eleganz der Alten wiederangeſtrebt und Virgilius auch in
der Form zum Vorbilde genommen wird. Selbſt der Gebrauch der
Volksſprache in der göttlichen Comödie hat eine Frucht getragen, die
) Mehus Vita Ambrosii Traversarii vor deſſen Epistolae recens. Canneti.
Florentiae, 1759. p. 157 sq.
) Convito tr. I. cp. 5.
) Nach der bekannten Erzählung des Mönches Jlario, die er in einem Briefe
an Uguccio da Faggiola mittheilt, b. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 321. Sie
liegt offenbar auch der vielfach nachgeſprochenen Anſicht Boccaccio's (Comento sopra
la Commedia di Dante. Opere vol. IV. Firenze, 1724. p. 17) zu Grunde, nur
daß dieſer ſie ein wenig ſeinem Gedankenkreiſe angepaßt hat.
) Die Ecloge Giovanni s b. Mehus J. c. p. 320.
Einleitung. 11
freilich nicht in des Dichters Abſicht lag, aber doch den kommenden
Zeiten in die Hand arbeitete: jene Sprache entfremdete nämlich das
große Gedicht dem kirchlichen Kreiſe und übergab es einem Theile der
Nation, welcher dann zum Träger der humaniſtiſchen Richtung beru⸗
fen war.
Höher indeß als alles das ſchlagen wir Dante's Perſönlichkeit an.
Einſam und in ſtolzer Selbſtſtändigkeit durchſchritt der große Laie das
Leben. Die Majeſtät des Denkers und Dichters, die ſeine Zeitgenoſſen
auf der gewaltigen Stirn und den dunkeln Geſichtszügen thronen ſahen,
war kein Heiligenſchein, auch keine Würde, die Fürſten der Kirche oder
Fürſten der Welt verleihen N es war die e des auf ſich
felber rußenden Mannes.
12
Erbes Duc.
Francesco Petrarca, die Genialität und ihre bbs. Kraft.
*
Es war höchſtens eine dunkle Ahnung, mit der Dante in das
gelobte Land hinüberzuſchauen vergönnt war, ſeinen Boden hat er noch
nicht betreten. Der Prophet und zugleich der Entdecker der neuen
Welt des Humanismus war Francesco Petrarca. Er hat nicht
nur vorwärtsweiſend ihre Bahnen und Perſpectiven eröffnet, er hat ſie
bereits in allen Richtungen mit ſichern Schritten des Triumphes durch⸗
meſſen. Was die Bedeutung des Genius in der Weltgeſchichte iſt und
daß er wirklich mehr wie eine ſinguläre Wundererſcheinung als wie ein
aus nachweisbaren Factoren gewordenes Product zu betrachten iſt, wird
an ſeiner Geſtalt auf das Ueberraſchendſte klar. Wer dieſe Einſicht
gewinnen will, wird ſich freilich von dem gebräuchlichen, in Italien
und Frankreich beinahe canoniſch geltenden Urtheil über Petrarca loswin⸗
den und derjenigen Meinung wieder nähern müſſen, die unter den
Zeitgenoſſen des Mannes die allgemeine war.
Hier iſt nämlich nicht weiter vom Sänger Laura's, von feinen
majeſtätiſchen Canzonen und ſterbensſüßen Sonetten die Rede. Wenn⸗
gleich Schöpfungen von ſirenenhaftem Zauber, zeigen ſie ihn doch nur
als den Meiſter einer melodiſchen Sprache, die er ausgebildet vorfand,
als gewandten Beherrſcher jener Welt von Liebes vorſtellungen, die un⸗
ter einem andern Himmel entſtanden war und dort ihre Blüthe bereits
ausgehaucht hatte. Und dieſes Gebiet, deſſen Beſchränktheit an ſich
einleuchtet, beutete er ſo unerſättlich aus, daß er den unzähligen Nach⸗
folgern zwar die Wege plattgetreten, aber die Früchte vorweggenommen
I. Petrarca's weltgeſchichtliche Bedeutung. 13
hatte. Die Verſuchung, in die er gerieth, ſeine Reime als „frivol“
den Flammen zu übergeben, wird nicht größer geweſen ſein als bei
Hunderten, die ſeit Virgilius damit gedroht, indeß ſprach er von ihnen
bekanntlich immer nur wie von jugendlichen Spielereien, in welchen er
dem Geſchmacke des ungelehrten Volkes gehuldigt und von denen er
die Unſterblichkeit feines Namens nicht erwartete). So dachten auch
die Beften feiner Zeitgenoſſen, fo urtheilte man noch ein paar Jahr⸗
hunderte nach ihm und zwar mit richtigem Inſtinct oder vielleicht
auch mit noch warmer und dankbarer Anerkennung jener großartigeren
Leiſtungen, die unſerm Blicke nur deshalb leichter verborgen bleiben,
weil ſie das in der Tiefe der Vorzeit ruhende Fundament des Gebäu⸗
des find, in deſſen ausgebauten Gemächern wir bereits mit Behaglich⸗
keit wohnen.
Der Genius Petrarca's ruht, um vorerſt nur vielen Sinn in ein
Wort zu drängen, in der von ihm erſchloſſenen Welt des Humanis⸗
mus. Nicht nur daß er dem in langen Winterſchlaf gehüllten Alter⸗
thum das Erwache zugerufen, daß er eine erſtarrte Welt neubelebt, er
hat ſie auch in den Kampf mit der ihn umgebenden geführt und aus
dieſem Kampfe ahnungsvoll ein neues Zeitalter emporſteigen geſehen.
Hier wies er auf ein Feld mühevollen und unendlichen, aber reichloh⸗
nenden Strebens, gab Hunderten von Talenten ihre Richtung, und
wurde er auch nach wenigen Menſchenleben in mehr als einer Bezie⸗
hung ſchon überflügelt, ſo geſchah es nur in der Weiſe, wie der Ent⸗
decker des vierten Welttheiles an Kenntniß deſfelben bald freilich einem
Schulknaben hätte weichen müſſen. Nicht nur in der Literargeſchichte
Italiens, ſondern in der der civiliſirten Welt, und nicht nur in dieſer,
ſondern in der Geiſtesgeſchichte der Menſchheit überhaupt, ſoweit man
) Sonetto I; epist. de reb. famil. VIII, 3. de reb. senil. V, 3; XIII, 10.
XV, 1 (p. 1047). Auch die Widmung des Tractates de vita solitaria ſpricht wohl
von den Liedern in tuseiſcher Sprache. Gleich hier ſei bemerkt, daß alle Citate
aus den lateinischen Werken Petrarca's ſich auf die Ausgabe ſeiner Opera omnia
Basil., 1554 beziehen. — Ich bedaure allerdings, die Lebensbeſchreibungen Petrarca's
von Baldelli und Campbell bei der Bearbeitung dieſes Abſchnittes entbehrt zu
haben. Indeß find die äußeren Umriſſe feines Lebens und das Bibliographiſche über
feine Werke keines großen Studiums mehr bedürftig. Wem es nur darum zu thun
ift, der findet z. B. in dem Artikel, den Blanc für die Allgemeine Eueyklopädie der
Wiſſenſchaften und Künſte lieferte, genügenden Aufſchluß. Aber wahr mag es den⸗
noch bleiben, was Bettinelli bemerkte, daß die dreißig Lebensbeſchreibungen des
Laura Sängers uns nur Eine wünſchen laſſen, die feiner würdig wäre.
14 I. Petrarta nad der Schalmeier.
dieſen Begriff auch faffen mag, glänzt Petrarca's Namen als an Stern
erſter Größe, und er würde nicht geringer erſcheinen, wenn er auch nie
einen Vers in der Sprache von Si gedichtet.
Wer das Thun eines ſolchen Mannes zu ſchildern und ſeinen G.
dankengängen zu folgen unternimmt, wird immer feine Geſichtspuncte
beſchränken, ja eingeſtehen müſſen, daß viele ihm verſchloſſen geblieben
fein und glücklicheren Forſchern vielleicht aufleuchten mögen. Genug,
wenn es gelänge, durch die Hüllen zum Kerne zu dringen. Wir möch⸗
ten vorzugsweiſe diejenigen Momente aus Petrarca's Leben und Stre⸗
ben darlegen, in denen er gleichſam tonangebend für die ihm nachfel⸗
genden Jünger und Schulen des Humanismus geworden iſt. Denn es
iſt überraſchend, wie ſich bei ihm nicht nur Geiſtes richtungen, ſondern
aus ihnen ſelbſt Geſinnungen und äußere Lebensverhältniſſe herausbil⸗
deten, denen wir dann Jahrhunderte lang auf jedem Schritte durch das
literariſche Gebiet wieder begegnen.
Die erſten Auregungen eines reichbegabten Geiſtes find oft die be⸗
ſtimmendſten, immer aber am ſchwerſten nachzuweiſen. Einen Lehrer
von Bedeutung hat Petrarca nicht gehabt. Der alte Schulunsiſter, der
ihm zu Avignon die erſten Elemente der Grammatik und der herge⸗
brachten Rhetorik einprägte, war es ſicher nicht. Zur Zeit, da Pe⸗
trarca noch ein Jüngling war, hatte jener bereits, wie man ſagte,
ſechszig Jahre lang Schule gehalten, eine Generation wie die andre
behandelt, immer aber in Armuth und Noth gelebt. Ex war ganz
ſtumpfſinnig geworden und es beherrſchte ihn die ſonderbare Vorſtellung,
daß er Bücher ſchreiben müſſe, doch über einen ſehr wunderlich gewähl⸗
ten Titel und über das Prosmium kann er nicht hinaus. Petrarca 6
Vater ließ dem armſeligen Greis manche Unterſtützung zukommen und
das that nach ſeinem Tode auch der Sohn, der überdies der ganze
Stolz des Lehrers war. Wenn dieſen der Cardinal Giovanni da Co⸗
lonna ſcherzend fragte: Nun ſagt mir, Magiſter, gehört zu Euren gro⸗
ßen Schülern, die Ihr ſo zärtlich liebt, nicht auch unſer Franciscus?
dann ſtiegen dem ehrlichen Grammatiker ſogleich die Thränen in die
Augen, er ging mit rührendem Schweigen bei Seite oder er ſchwur
hoch und theuer, nie habe er einen Schüler ſo ſehr geliebt. Man
wußte, daß der junge ae dem Alten ein Gegenfians .
Schwärmerei war.
Y Petrarca epiat. rer. senil. XV. 1. Filippo Villani (bei Mehus Vita
5
I. Petraten als junger Schöngeiſt und Inriſt. 15
Pekrarca's Vater beſaß einige Schriften Cicero's umd hielt ſte in
ren, doch mehr wegen des juriſtiſchen Intereſſe. Sie fielen in die
Hände des Knaben, noch bevor dieſer von ihrem Inhalt und Werth
eine Vorſtellung haben konnte, und während ſeine Spielgenoſſen ſich
mit ver Schulgrammatik und den äſopiſchen Fabeln abquälten, freute
er ſich bereits des majeſtätiſchen Klanges und des ſüßen Wohllautes
der lateiniſchen Worte. Je mehr er verſtehen lernte, deſto mehr ſchien
ihm Cicero's Sprache alles Andere zu übertreffen.) Wir ſehen wohl,
wie das Ohr, der Sinn für Klang und Rhythmus dasjenige Organ
war, durch welches er zuerſt und am eigenthümlichſten auffaſſen lernte,
durch welches er aber auch gerade zu jenem Gefühl für Formenſchön⸗
heit geleitet wurde, welches der Welt des Mittelalters am meiſten ver:
loren gegangen war. Vers und Wohlklang waren ihm wie angeboren.)
Selbſt' ſeine Stimme, fo rühmt Filippo Villani, war fo tönend und
füß, daß man nicht fatt werden konnte, ihn anzuhören. Auch wird in
Mefer Sphäre der Zufammenhang erkennbar zwiſchen dem, was Pe⸗
trarca in lateiniſcher, und dem, was er in tusciſcher Sprache erſtrebte.
Die gereimten lateiniſchen Hexameter, die er in jüngeren Jahren ge⸗
dichtet, darf man als einen Uebergang anſehen.
Dieſe Liebhaberei für das Muſicaliſche der lateiniſchen Sprache
und des antiken Verſes wuchs unter einem äußeren Drucke deſto leben⸗
diger hervor. Petrarca ward von ſeinem Vater für das Brodſtudium
ber Rechte beſtimmt und ſieben Jahre lang auf den Hochſchulen zu
Montpellier und Bologna mit Strenge dazu angehalten. Die Schrif⸗
ten Cicero's und der römiſchen Dichter wurden nun eine verbotene
Frucht, um deren Genuß er oft ausgeſcholten wurde und die er vor
dem Zorne des Vaters im Verſteck hüten mußte. Dennoch als es einſt
eine Scene zwiſchen beiden gab, riß der Vater alle die Bücher, die den
ſchöngeiſtigen Jüngling von feinen Rechtsſtudien abzuhalten ſchienen,
aus dem Verwahrſam im Bette und unter dem Bette herdor und über⸗
gab fie vor feinen Augen dem Feuer. Erſt als er ſah, wie Francesce
Ambr. Travers. p. 195) nennt den alten Lehrer Couvennole (beſſer Convenevole)
da Prato. ef. ibid. p. 208.
1) Sola me verborum dulcedo quaedam et sonoritas detinebat, ut quicquid
aliud vel legerem vel audirem, raucum mihi longeque dissonum videretur.
2) Er ſelbſt jagt: Sponte sua carmen numeros veniebat ad aptos:
Quicquid tentabam dicere, versus erat.
Filippo Villani l. c. p. 196.
16 I. Petrarca als Verehrer Virgils und Cicero’.
bitterlich weinte und gleich einem Ketzer daſtand, der ſelbſt dem Flam⸗
mentode geweiht iſt, rettete er noch einen Virgilius und die Rhetorik
Cicero's vor dem Untergange: nimm jenen, ſagte er lächelnd, zu einer
feltenen Erholung des Geiſtes, dieſen zum Beiſtand in den Rechtsſtu⸗
dien! Was half es? der Genius brach ſich doch ſeine eigene Bahn,
warf das bürgerliche Recht bei Seite und eilte mit weiten Flügeln den
Höhen des Parnaſſes zu.) Virgilius und Cicero — fie waren gerade
die beiden hellen Puncte, die zuerſt wieder aus dem Nebel des Alter⸗
thums aufſtrahlten. Von ihnen ausgehend, erſchloß ſich Petrarca
die neue Welt voll Schönheit und wunderbarer Weisheit. Sie ſind
ihm die beiden Väter der römiſchen Eloquenz, die Augen der lateini⸗
ſchen Sprache.) Den Virgilius hat das ganze Mittelalter in Ehren
gehalten, aber bald wie einen unheimlichen Wahrſager und Schwarz⸗
künſtler, deſſen man ſich zu ſpukhaften Dingen bedienen könne und bei
deſſen Grabmal an der Via Puteolana der Eingeborene mit einem ge⸗
wiſſen Grauſen vorüberging, bald wie einen halben Heiligen. Petrarca,
den noch Papſt Innocenz VI für einen Zauberer hielt, weil er den
Virgilius leſe '), ſah in ihm den ſinnreichen, gottbegeiſterten, melodi⸗
ſchen Sänger. Cicero war bisher ein geachteter Name geweſen, aber
vor ihm, darf Petrarca ſagen, hätten nur ſehr Wenige ſeine Werke
ſtudirt, er habe zuerſt ſeine Verehrung in Schwung gebracht. Was
Andere trocken und nüchtern hinſchwatzen, das hat Cicero geiſtreich und
blühend geſagt; zum Nutzen kommt die Ergötzung und zur Majeſtät
des Inhalts der Glanz und die Würde der Worte, *) Er iſt die ſtrah⸗
lende Sonne der Eloquenz, neben der ſelbſt Salluſtius, Livius und
Seneca erbleichen. „O erſter Fürſt der römiſchen Wohlredenheit —
ruft Petrarca aus — nicht nur ich, ſondern wir Alle danken dir, die
wir uns mit den Blumen der lateiniſchen Sprache ſchmücken. Denn
mit deinem Quell wäſſern wir unſre Gefilde. Gern bekennen wir, daß
wir, von dir geleitet, durch dein Vorbild auf den Weg gewieſen, in
deinem Namen ſelber verherrlicht, gleichſam unter deinen Auspicien zu
) Petrarca epist. rer. senil. XV, 1. Villa ni l. c.
2) Petrarca Rer. memorand. Lib. II. (Opp. p. 461); Trionfo della Fama
opt. III, 16 e seg.
3) Petraroa epist. rer. senil. I, 3.
a ) Petrarca de vita solitaria Lib. II. sect. VIII cp. 2; cf. Praefat. in n Epistt.
famil. (Opp. p. 634).
I. Petrarca als Kuwait der Poeſte. 8 17
unſerer Kunſt ves Schreibens gekommen ſind, wie en fie auch
ſei.“ 9.
Wohl hat ſich Petrarca erlaubt, an Cicero's politischem und mensch
lichem Charakter ein wenig zu kritteln, da ja auch Auguſftinus in ſei⸗
nem „Gottesſtaate“ nicht Alles gebilligt, was Cicero geſagt; dennoch
ift er bereit, Männer wie ihn und Seneca „gleich Gottheiten zu ver⸗
ehren.) Und dieſe Gefinnung, die ihn in frühen Jugendjahren ange-
facht, bewahrte er noch als Greis. Als er im „Triumphe des Ruhmes“
die Helden des Alterthums im Gefolge der Ruhmesgöttin voranſchreiten
ſah, ging der Mantuaner ebenbürtig neben Homeros, ihm folgte Mar⸗
cus Tullius, unter deſſen Füßen das Kraut grünt, an dem die Blu⸗
men und Früchte der Eloquenz ſich darlegen.
Es ſtand in der That jo, daß Begriff und Name der Poeſte erſt
wieder zu Ehren gebracht werden mußten. Der Dichter, hörte man
einfach behaupten, macht die Lüge zu ſeinem Beruf, und die antiken
Dichter verführen noch dazu zur Frivolität, zu ſchändlichen Laſtern und
zum Heidenthum. Selbſt Virgilius wurde von Manchen nicht aus⸗
genommen. Schon als Jüngling ſah, ſich Petrarca veranlaßt, gegen
einen ſolchen Verächter eine Vertheidigung der Poefie und eine Ehren⸗
rettung Virgils zu ſchreiben.) Und mit demſelben Feuer nahm er
ſie noch als Greis gegen diejenigen in Schutz, welche über die Frivoli⸗
täten und Obſcönitäten der römiſchen Dichter nicht hinweg konnten.
Den ſtrengen Theologen ſtellte er entgegen, daß auch Hieronymus, Lac⸗
tantius und Auguſtinus ſich den redenden und dichtenden Künſten, der
Philoſophie und Geſchichte ergeben und ohne ſolche Studien ſchwerlich
die Ketzer ſo glorreich bekämpft hätten, daß auch die Poeſie endgültig
durch einen guten und frommen Genius das Lob Chriſti und der wah⸗
ren Religion verkündigen jolle. *)
Mit hohem Stolze nannte ſich Petrarca einen Dichter, Poeta;
zwiſchen einem „Gedicht“ und „Reimen“ zeg er eine ſcharfe Scheide⸗
linie. Jenes konnte die lateiniſche Sprache und die antike Form nicht
entbehren und auch dem Inhalte nach wurde ſoviel Alterthum hinein⸗
gebracht als irgend möglich, Nachbildungen altrömiſcher Dichtung und
unmittelbare Reminiscenzen aus ihr. Um ſo zu dichten, mußte man
) Petrarca epist. II. ad viros quosdam ex veteribus illustres.
) Petrarca epist. var. 27.
) Epist. rer. senil. IV, 4. |
) Epist. rer. senil. I. 4; XIV, II.
Voigt, Humanismus, N 2
18 I. Petrarca's Begriff von der Poeſie.
tüchtig ſtudirt haben. Die Reime waren ein gentales Jongleurſpiel mit
Wörtern, Bildern und Gefühlen. Die Reime Petrarca's ſind nie ver⸗
klungen, noch nach Jahrhunderten haben Tauſende ihnen mit Entzücken ge⸗
lauſcht; die Gedichte durchblättert nur noch hin und wieder der Gelehrte,
nicht um des Genuſſes willen, den er leichter und reiner am Borne des
Alterthums ſelber ſchöpft, fondern wegen der Notizen, die darin verſtreut
ſind, und um ſich eine Anſchauung zu bilden, die den Dichter ſelbſt
gewiß wenig erbauen würde. Die Gedichte aber waren damals das
neue und unerhörte Verbienft, die Brücke, die zu den herrlichen Schöpfun⸗
gen des Alterthums führte, und an ſich Schöpfungen, in denen Pe⸗
trarca einzig daſtand, durch welche er den Lorbeer auf dem Capitol
verdiente. Er ſelbſt hat ſich über die Ehre, welche die Welt dem Dich⸗
ter ſchuldet, oft und feierlich genug ausgeſprochen. „Die Dichter ſtrah⸗
len im Ruhme, in ihrem Namen und in der Unſterblichkeit, die ſie
nicht nur ſich ſelbſt, ſondern auch andern erwerben; denn ihnen iſt es
vor andern gegeben, der Vergeſſenheit der Namen vorzubeugen. Auch
die Tugend (der Tugend hafte) bedarf ihrer Hülfe, zwar nicht an ſich,
aber doch deshalb, weil ſie mit den Laſtern und mit der en
im Streite liegt.“)
Bei dem hohen Range, den er für den Dichter beansprucht, tft es
merkwürdig, daß Petrarca über die Dichtkunſt den engherzigen Begriff
beibehielt, den die Virgilius⸗Verehrung früherer Jahrhunderte mit einem
myſtiſchen Chriſtenthum zuſammen erzeugt hatte. Auch er nämlich ſetzt
das Weſen der Dichtkunſt in die Allegorie und ihren Endzweck in die
Moral. Als Handwerkerſeelen bezeichnet er diejenigen, denen in den
Werken der Poeſie der feine allegoriſche Sinn verborgen bleibt; er
findet denſelben überall, zumal im Virgilins und im Texte der heiligen
Schriften. „Es iſt die Bemühung des Dichters, die Wahrheit in ſchöne
Hüllen zu kleiden, fo daß fie dem ungebildeten Pöbel verſchloſſen bleibt,
dagegen für den geiſtvollen und gelehrten Leſer zwar mühſam zu ſuchen,
aber deſto ſüßer iſt, wenn er fie gefunden.“) Go find wir in der
That ſehr überraſcht, wenn wir Petrarca's Eclogen ohne beſonderes
) Lib. I. Inveetivarum contra medicum quendam (Opp. p. 1905).
) Ibid. Offenbar nach dieſer Stelle oder vielleicht von Petrarca ſelbſt iſt der
Beruf des Poeten in feinem Dichterprioilegium vom 9. April 1343 (ſo in den Opp.
p. 1254, richtiger vom 8. April 1341) dargelegt: Virtutem rei sub amoenis colori-
bus absconditam — — altisonis oelebratam carminibus et dulois eloquii suavi-
tate respergat, quae sit quaesitu difficilier magis atque inventa dulceseat.
I. Petrareca's Begriff don der Poefle. 19
Intereffe geleſen und nun von Boccaccio hören, daß er hier unter der
Hülle von Hirtengeſprächen das Lob des wahren Gottes und der heili⸗
gen Trinität und zugleich ihren Zorn über die ſchnöde Lenkung des
Schiffleins Petri geſungen.) Wir leſen jene Gedichte aufmerkſamer
noch einmal und finden nun allerdings die Anſpielungen auf Avignon,
feine Päpfte und Eardinäle, die bildliche Bedeutung von Hirt und Heerde
und dergleichen mit leichter Mühe heraus. Das Geheimniß ift alſo nichts
mehr, als was Petrarca unzählige Male in deutlicher, ſchlichter Proſa
ausgeplaudert. Gehen wir aber mit jener Vorausſetzung an die „Africa“,
fo müſſen wir unſer völliges Unverſtändniß beklagen. Viel leichter ließe
ſich jene Symboliſtrung bei den italieniſchen Reimen Petrarca's durch⸗
führen, und ſchon einer ſeiner Freunde hat die Meinung aufgeftellt,
unter der gefeierten Madonna Laura dürfe wohl der Lorbeer und unter
diefem die Sehnfucht nach dem Dichterruhme zu verſtehen fein. Bon
den „Triumphen“ iſt es gewiß, daß ſich Petrarca darin gefiel, fie mit
geheimnißvollen Andeutungen auszuſtatten, nur find hier die Bezüge
weniger von ſinnbildlicher Natur wie bei Dante, mit dem er vielleicht
in Wetteifer treten wollte, als vielmehr Räthſel⸗ Aufgaben, die durch
claſſiſche Gelehrſamkeit, verbunden mit einigem Scharffinn, ohne Schwie⸗
rigkeit gelöſt werden können. Auch kam es Petrarca ſelbſt wohl nur
beranf an, die Fülle feiner hiſtoriſchen und mythologiſchen Kenntniſſe
zu zeigen, wie denn überhaupt fein Stolz auf den allegoriſchen Sinn
3 Poeſien vom Beigeſchmack der Charlatanerie nicht ganz freizu⸗
ſprechen ift |
Die Dichter, fagt Petrarca einmal, find ſchon felten, aber feltener
noch find die Redner.) Unter Beredtſamkeit verſteht er weniger die
Kunſt, durch das Wort auf einem Forum zu wirken, als vielmehr vie
Fähigkeit überhaupt, feine Gedanken durch künſtlichen Wortputz eindring⸗
licher, anziehender zu machen, alſo die Wohlredenheit oder Eloquerz.
Seine Abhandlungen und ſeine Briefe hielt er für nicht minder ewig
als ſeine Gedichte, durch feine Proſa verdiente er den Lorbeerkranz nicht
weniger. Und in der That, er hat dieſe Eloquenz aus dem Alterthum
N) De Genealogia Deorum XIV, 10. 32. und Comento sopra la Commedia
# Dante cap. 1 (Opere vol. V. Firenze, 1724) p. 35. cf. Mehus Vita Ambros.
Travers. p. 256. — Schon bei Petrarca’s Lebzeiten verfuchte ſich Mancher in der
Erklärung ſeiner Gedichte.
*) De remedio utriusque fortunae Lib. 2: dial, 102: insignis poetarum,
major oratorum raritas. EN
3°
E I. Petrarca's Latinität.
in ſein Zeitalter hinübergepflanzt, er iſt ihr Vater in der modernen
Welt geworden.
Auch hier müſſen wir einem se Urtheil entgegentreten,
welches ſeit 400 Jahren aus einem Buche ins andre gewandert iſt und
doch zuletzt der naiven Meinung der Zeitgenoſſen gegenüber kleinlich
erſcheint. Man hat nämlich über die Selbſtgefälligkeit, mit welcher
Petrarca von ſeinem Stil zu ſprechen pflegt, und über den Beifall,
den feine Freunde demſelben zollten, nicht genug lächeln und den Vor⸗
zug ſpäterer Zeiten nicht genug rühmen zu können geglaubt. Man hat
an ſeinem Latein gemäkelt, es ſei doch zu voll von grammatiſchen Feh⸗
lern und Barbarismen, der Satzbau ſei oft noch recht unklar und un⸗
geſchickt, die Redeweiſe bald durch Alterthümeleien verziert und ver⸗
ſchroben, bald ohne alle Eleganz, die Tractate ſeien mit claſſiſchen
Gemeinplätzen überfüllt, die Briefe weitſchweifig und redſelig. End⸗
lich hat man, gleichſam aus Mitleid und um den gefeierten Namen
zu retten, die Schuld auf die allgemeine Geſchmackloſigkeit und Bar⸗
barei des Zeitalters geſchoben und Petrarca doch aus Gutmüthigkeit
einen kleinen Antheil an dem Ruhme gegönnt, den ſeine Nachfolger
eingelegt haben.) |
Wir find durchaus nicht gemeint, in Betrarca’g lateiniſcher Proſa
ſtiliſtiſche Muſterſtücke finden zu wollen. Aber wir ſuchen in großen
Literatoren auch keine Stilmeiſter, die für den Schulgebrauch immerhin
ihren Werth haben mögen, in reiferen Jahren aber die Geiſtasentwicke⸗
lung eher hemmen als fördern. Wir ſehen im Stil den Ausdruck einer
Perſönlichkeit und meſſen den Werth deſſelben nicht nach dem äſtheti⸗
ſchen Vergnügen, das er uns bereitet, ſondern nach der Einwirkung,
die er oder vielmehr die Perſönlichkeit ſelbſt auf ſpätere Geſchlechter
geübt hat. In dieſem Sinne war Petrarca der erſte Schriftſteller der
neueren Zeit, der überhaupt einen Stil ſchrieb. Denn er ſchrieb eben
frei heraus, wie ein lebhafter und angeregter Menſch ſpricht, erzählt, con⸗
verſirt. Während der ſcholaſtiſch⸗gebildete Geiſt wohlgezähmt und einge⸗
) Einige ältere Urtheile der Art werden wir im dritten Buche noch erwähnen.
Sie find in derſelben Weiſe noch in den neueren Literargeſchichten nachgebetet worden.
Vergl. z. B. Tirabeschi Storia della letteratura Italiana T. V. 2a edis. (Mi-
lano, 1823) p. 820, wo die für die Kenntniß jener Zeit brauchbaren infinite notisie
und die Aufrichtigkeit Petrarca's als Gegengewicht dienen müſſen!
) Epist. de reb. famil. VI, 4. Praefat. in Epistt. famil.: soribendi enim
mihi vivendique unus finis erit.
yo.
*
I. Petrarca's Latinität und Stil. 21
ſchukt am Leitfeil der Logik geführt wird, hat Petrarca dieſe Krücken
von ſich geworfen, das Wort iſt bei ihm wieder der unmittelbare Aus⸗
druck der Seele geworden. Er will ſich im Schreiben frei bewegen
und gehen laſſen, er will nicht nur ſeinem Jahrhundert nützen und
andere belehren, ſondern ſchreiben, um ſeinen Geiſt der drängenden
Falle zu entlaften und zu erheitern, er will nicht Menſch fein und
nebenbei Schriftſteller, ſondern Schreiben und Leben iſt ihm eins.)
Alle feine Schriften, zumal feine Briefe, waren zunächſt für ihn ſelbft
von Wichtigkeit und Nutzen. Was man als Weitſchweifigkeit und Ge⸗
ſchwätze bezeichnet hat, iſt vielmehr die behagliche Plapperhaftigkeit eines
Kindes, das ſeine Freude nur an dem mühſam erlangten Gebrauch der
Sprache hat und wie durch Inſtinct zu ihrer eifrigen Uebung getrieben
wird. Die Fülle der neuen Anſchaunungen und Kenntniſſe, verbunden
mit dem freudigen Gefühl des leichten Ausdrucks, drängt zur Mitthei⸗
lung. Da erhält jeder Einfall, das heißt der Zufall der Geiſtesope⸗
ration, den ein ſcholaſtiſcher Dogmatismus zurückgewieſen haben würde,
ſofort ſein Recht. Wenn Petrarca dem Cardinal Colonna erzählen
will, mit welchen Gedanken er in Rom umhergewandelt ſei, ſo fällt
ihm bei dem Worte „Umherwandeln“ die peripatetiſche Schule ein und
er kann nicht umhin, bei dieſer Gelegenheit ſeine Meinung über die
verſchiedenen alten Philoſophenſchulen und ihr Verhältniß zur chriſtlichen
Lehre darzulegen, um dann plötzlich wieder abzubrechen und von den
Alterthümern Rom's weiter zu erzählen.) Gerade eines ſo beweg⸗
lichen Geiſtes bedurfte es, um mit der dürren ſcholaſtiſchen Methode
zu brechen. Ihr gegenüber den freien Menſchen geltend zu machen,
das war Petrarca's ſchriftſtelleriſcher Beruf, das war die edelſte Frucht
feiner claffiſchen Studien.
Neben dieſem großartigen Bemühen, welches von ſeinen Zeitge⸗
noſſen bewundert, wenn auch natürlich nicht mit Reflexion ausgeſprochen
wurde, ift die Latinität oder der Ciceronianismus des Stils nur ein
unbedeutender Zuſatz. Jenes Streben allein würde Petrarca nicht min⸗
der epochemachend erſcheinen laſſen, wäre auch ſein Latein noch zehn⸗
mal ſchlechter geweſen. Indeß lag auch die Herſtellung einer reineren
und edleren Sprache ihm am Herzen und ſo ſehr er darin übertroffen
worden iſt, hat er dennoch Bewunderns würdiges geleiftet. Nur muß
man ſein Latein nicht neben das eines Politianus, Bembus oder Mu⸗
) Epist. de reb. famil. VI, 2. vom Jaunar 1337.
22 I. Petrarcs's Schwärmerei für das Alterthum.
retus ſtellen, ſondern neben das mönchiſche früherer. Zeiten, welches er
ſelbſt gelegentlich mit einem verkrüppelten Baume vergleicht, der weder
grüne noch Früchte trage,) Man bedenke, daß er das alte Idiom
eigentlich ohne grammatiſche Grundlage gelernt — denn die elementare
wird man fo nicht nennen können — daß er nur allmählig in den Befig
verſchiedener alter Autoren und beſſerer Handſchriften gelangte, daß
er allein nach dem alterthümlichen Ausdruck, nicht nach dem des gol⸗
denen Zeitalters ſtrebte. Auch liegen ſeine Schriften in einer ſo ver⸗
derbten Geſtalt vor uns, daß ſeine Schuld und die ſpäterer Abſchreiber
und Drucker für's Erſte nicht geſondert werden können. Und wenn er
in ſeinen Werken oft den Rand voll Verbeſſerungen ſchrieb und gewal⸗
tig am Texte feilte, ſo iſt das eine an ſich bedeutungsvolle Erſcheinung,
gleichviel was er dadurch erreichte.
Von der Freude am ſüßen Klange virgiliſcher Verſe und tulliani⸗
ſcher Rede war Petrarca ausgegangen. Die Schönheit der rhythmi⸗
ſchen Formen und der melodiſche Reichthum des claſſiſchen Latein feſ⸗
ſelten ihn immer mehr, je aufmerkſamer ſein Ohr ihnen lauſchte und je
emſiger er ſich in Nachbildungen verſuchte. So mächtig war ſchon dieſe
erjte Berührung mit dem Alterthum, daß feine Bewunderung ihn ganz
in Feſſeln ſchlug, daß ſein Schritt wie von Geiſterhand vorwärts und
immer vorwärts gezogen wurde, bis er mit ſeinem edelſten Sinnen und
Trachten ganz in dieſer neuen alten Welt lebte und von hundert Zaubern
in ihren Bann geſchlagen, ein ſchwärmender Verehrer ihrer Größe wurde.
Was er von den Alten gelernt, war ihm mindeſtens von gleichem Werthe
mit dem, was ſein Geiſt ſelbſtſtändig ſchaffen mochte, ja er würde den
ihm eigenthümlichen Gedanken gern dem claſſiſchen unterordnen.) Er
fühlte, daß er durch das Alterthum Alles geworden, was er war, und
ſo vermengte er leicht die Hoheit des Alterthums mit ſeiner hohen
Meinung von ſich ſelbſt. Er hätte ein Träumer oder ein Wahnwitzi⸗
ger werden müſſen, wenn nicht zugleich dieſes ſtarke Gefühl ſeiner ſelbſt
ſich in ihm erhoben und ihn mit der Mitwelt in Verbindung erhalten
) &in Lexicon Petrarchicum, gleichſam ein ſtikiſtiſches Sündenregiſter, lieferte
C. E. Chr. Schneider in feiner Ausgabe von Franc. Petrarchae Historia Juli
Caesaris, Lips., 1827. Prooem. p. XXXXII sq.
) Eine merkwürdige Aeußerung in epist. de reb. famil. VI, 2: Testatus sum
tamen, me nihil novum, mihil fere meum dicere, immo vero nihil alienum;
omnia enim, undecunque dicimus e Bora sunt, nisi forsan abstulerit
en nobis oblivio. * e = .
J. Petraven ſucht Cicers's Schriften. 2
Uötte, die verſinkende Schwärmerei durch zurückbeziehende Perſönlichkeit
eufwiegend. So ging er denn mit Begeiſterung und doch auch mit
nüchterner Thätigleit an das Werk, das ihm als würdigſte Aufgabe
feines Meuſchenlebens erſchien, an die Neubelebung des erſtorbenen und
begrabenen Alterthums.
Unter dem Himmel der Provence, wo ſein Genius erwachte, wa⸗
ven Bücher die einzigen Monumente, die lebhaft an das alte Rom er»
innerten. Er wurde gewahr, wie die Schriften der Alten, in Staub
und Moder verborgen und zum Theil ſchon verloren, dem vollſtändigen
und ewigen Untergange unvermeidlich anheimfallen mußten, wenn nicht
bald die rettenden Hände ſich zeigten. Dieſer Drang zu retten, ver⸗
einigt mit dem Wunſche des Beſitzens, warf ſich natürlich zuerſt auf
die Schriften Cicero's, der mehr als andere Autoren in Vergeſſenheit
geſunlen war. Noch Dante hatte nur die Bücher über das höchſte
Gut, über die Freundſchaft, über das Alter, über die Pflichten, die
Paradora und die Rhetorik gekannt.) Man ſieht, wie ſich die philo⸗
ſophiſchen Schriften Cicero's noch in einigem Anſehen erhielten, wäh⸗
rend die eigentlichen Fundgruben der Eloquenz völlig ins Dunkel zu⸗
ruͤcktraten. Seine Briefe waren durchaus vergeſſen. Von alten Reden
las man im 12. und 13. Jahrhundert nur die catilinariſchen, die Phi⸗
Impiten, einen Theil der Verrinen, die für den mantliſchen Gefetzes⸗
vorſchlag und vielleicht einige kleinere, ſicher nicht über zwölf, und alle
nur ſelten.) Welcher traurige Reſt! aber wie viel war da auch noch
zu finden! und auf wie vieles Andere hat das Suchen geführt!
Schoen als Jüngling war Petrarca mit großem Eifer bemüht, die
Werke Cicero's zu ſammeln; denn ſeine Vergötterung dieſes Römers
wuchs durch Alles, was er von ſeinen Schriften las oder über ihn hörte.
Wie groß war zum Beiſpiel feine Freude, als er fand, daß ſchon Quin⸗
tiltanus den Cicero hoch über Seneca geſtellt. Jede Andeutung anderer
Autoren über ſolche Werke Cicero's, die er noch nicht beſaß, war ihm
ein heftiger Sporn, fie zu ſuchen. Befand er ſich auf Reifen und ſah
irgend ein altes Kloſter aus der Ferne auftauchen, ſo war ſein erſter
Gedanke: wer weiß, ob hier nicht etwas von dem ſein möchte, wonach
) So ſchließe ich daraus, daß ich nur dieſe Werke in Dante 's poetiſchen und
proſaiſchen Schriften erwähnt gefunden.
) Cf. Adami Clerici Flores historiarum bei Meh us Vita Ambr. Tra-
vers. p. 212; B. G. Niehuhr in edit. Ci ceronis Oratiemum pro M. e
et pro C. Rabirio. Romae, 1820. p. 86.
24 | I. Petrarca ſucht nach Cicero’ Schriften.
mich ſo fehr verlangt. Etwa in ſeinem 25. Jahre kam er nach Lüttich
und da er hörte, daß es hier viele alte Bücher gebe, entſchloß er ſuh
ſofort zum Bleiben. Zwei neue Reden Cicero's waren der glückliche
Lohn: die eine ſchrieb er mit eigener Hand ab, die andere copirte ihm
ein Freund, beide wurden durch ihn in Italien verbreitet.) Wie groß
die Gefahr des Verluſtes geweſen, macht er dadurch anſchaalich, daß
es ihm in der gewerbreichen und blühenden Stadt viel Mühe gekoſtet,
etwas Tinte aufzutreiben, die noch dazu mehr ſaffranfarben als ſchwarz
war.) Unaufhörlich regte er feine Freunde und Bewunderer an, in
den alten Klöſtern nachzuſpüren und bei gelehrten Männern nachzufra⸗
gen. Nach Rom und Tuscien, nach Frankreich und Spanien, nach
Deutſchland und Britannien ſchickte er Bitten und Mahnungen, Geld⸗
beträge, Zettel, auf denen er verzeichnet, nach welchen Schriften ſein
Sinn am meiſten ſtehe. Selbſt in Griechenland fragte er nach Werlen
Cicero's an, erhielt aber ſtatt ihrer einen griechiſchen Homeros. Oft
hatte er nicht die geringſte Hoffnung, das Erwünſchte zu erhalten, und
wollte durch fein Antreiben nur Nachforſchungen veranlaſſen; oft erhielt
er nach begierigem Warten nur ſolche Schriften, die er bereits in meh⸗
reren Exemplaren beſaß.) Faſt von jeder größeren Reiſe brachte er
irgend eine Schrift Cicero's mit, die er bis dahin nicht gelaunt; von
andern lernte er nur den Titel kennen und den Verluſt betrauern.)
An Cicero's Büchern von der Republik verzweifelte er nach langem
vergeblichem Suchen. Aber die Werke „vom Troſtee« und „vom Lobe
der Philoſophie “ meinte er immer noch finden zu müſſen. Letzteres
las er von Auguſtinus in einer Weiſe erwähnt, die ihn auf das Höchſte
geſpannt machte: wie bedeutend mußte ſein Inhalt ſein, wenn dieſer
ehrwürdige Mann der Kirche geſtand, es habe ihm zu ſeiner Bekeh⸗
rung und zu ſeiner Erkenntniß der Wahrheit viel genützt. Lange hatte
Petrarca geglaubt, die genannte Schrift Cicero's zu beſitzen; nur konnte
er durchaus nicht finden, was Auguſtinus fo beſonders zu ihr hinge⸗
zogen haben möchte. Endlich entdeckte er in Auguſtinus' Werke von
der Dreieinigkeit eine jener Schrift entnommene Stelle, von der in
ſeinem Exemplar kein Wort ſtand. Der Irrthum wurde ihm nun klar:
1) Wohl in Bezug hierauf erwähnt er epist. famil. XIII, 6, daß er von ſeiner
Streifpar tie durch Deutſchland die Rede Cicero's ie den Archias mitgebracht habe.
) Epist. rer. senil. XV, I.
) Epist. rer. famil. III, 18. senil. III, 9; XV, 1.
) Rer. memorand. Lib. I. (Opp. p. 447). =
I. Petrarca uud Cicero’s Schrift vom Ruhme. 25
eine fulſche Auffchrift feines Buches hatte ihn getäuſcht. Aber daß es
gleichfalls von Cicero war, darüber ließ ihm "feine himmliſche, unnach⸗
ahmliche Eloquenz, keinen Zweifel. Später lernte er vermittels eines
Codex, den er in Neapel geſchenkt erhielt, daß dieſes Werk, welches er
Mir das „Lob der Philoſophie gehalten, nichts weiter ſei als ein Stück
der Academica, und im Aerger über die Enttäuſchung erlaubte er ſich
über dieſe letztere Schrift ein ziemlich geringſchätziges Urtheil.)
Nicht vergeſſen konnte Petrarca den Verluſt der Bücher Cicero's
„vom Ruhme“. Einſt erhielt er nämlich von Raimondo Sopranzo,
einem alten Curialen, ver viele Bücher beſaß, aber als Juriſt von Fach
unter den Autoren des Alterthums nur am Livius ſeine Freude hatte,
einen Band vermiſchter Schriften zum Geſchenk: darunter waren Ci⸗
cero's Bücher „vom Redner“ und „von den Geſetzen“ in der mangel⸗
haften Geſtalt, in der man ſie damals allgemein las, „die beiden vor⸗
trefflichen Bücher vom Ruhme“ und einige Schriften Varro's.“) Dieſen
Band und einen andern, der gleichfalls Schriften Cicero's enthielt und
Petrarca ein theures Erbſtück von ſeinem Vater war, lieh er einſt ſei⸗
nem alten Lehrer, von dem wir oben erzählt. Die Armuüth verleitete
dieſen zur Unehrlichkeit: er verpfändete die Bücher, gab Petrarca auf
ſeine Mahnungen hinhaltende Antworten, ſchämte ſich auch wieder, die
Bücher von ihm auslöſen zu laſſen, und war plötzlich, während Pe⸗
trarca an den Quellen der Sorgue verweilte, aus Avignon verſchwun⸗
den. Er war nach feiner tusciſchen Heimath zurückgezogen und ließ
nichts mehr von ſich hören. Die geliehenen Bücher aber blieben allen
Nachforſchungen zum Trotz verloren und die „vom Ruhme“ für im⸗
mer. — Petrarca war überzeugt, ſie beſeſſen zu haben. Wir indeß
können uns des Gedankens nicht erwehren, auch hier möchte eine falſche
Aufſchrift die Urſache ſeiner Täuſchung geweſen ſein. Denn der Beſitz
dieſes Buches fällt in ſehr frühe Jahre, von denen Petrarca gelegent⸗
lich geſteht, genauer gekannt habe er damals von Cicero wenig mehr
als einige Reden und Briefe. Später konnte er ſich des Inhaltes je⸗
ner Schrift nicht mehr im mindeſten 1 ein Beweis, daß er
) Er nennt ſte epist. rer. senil. XV, 1. ein subtile opus magis quam ne-
cossarium aut utile.
) Ganz leichtfertig iſt der Bericht Manetti's, der fen Leben Petrarca’s um
die Mitte des 15. Jahrhunderts ſchrieb, als habe dieſer die Bücher vom Ruhme in
extremo fere Germaniae angulo abstrusos gefunden, Aue Mehus (Vita Aube.
Travers. p. 216) die Sache hingehen büßt.
26 | I. Petrarca ſucht nach Cirero's Schriften.
niemals mit ihr vertraut geweſen. Von der Exiſtenz jener Bücher de
gloria konnte er ans Cicero's Briefen und auch aus dem vielgeleſenen
Buche über die Pflichten wiſſen. Wie leicht ſieht man ein Geſpenſt,
wenn man nur erſt von feinem Daſein überzeugt iſt! Wäre Petrarca
der Sache gründlicher nachgegangen, wer weiß, ob ſich die Bücher vom
Ruhme nicht in einige Abſchnitte der Tusculauen aufgelöſt hätten.) Die
willkürliche Betitelung der Abſchreiber nach irgend einem Theile des
Buches, der ihnen gerade wichtig erſchien, hat mehr als einmal irre
geleitet.) |
Man hat ſich nicht einigen können, welche Werke Cicero's durch
Petrarca wiederaufgefunden ſeien. Es iſt allerdings ſchwer, den Bes
griff des Findens feſtzuſtellen, wenn man nicht weiß, welchen Grund⸗
ſtock ciceroniſcher Schriften man als bekannt voransſetzen darf. Bei
einzelnen Schriften iſt es offenbar ſo ergangen, daß ſie aus irgend einer
ſtillen Kloſterbibliothek an das Tageslicht gebracht, einmal oder ein paar
Male copirt wurden und dann wieder in eine gewiſſe Vergeſſenheit
zurückſanken, aus der fie von Neuem hervorgezogen, alſo zum zweiten
Male entdeckt werden konnten. Auch war das Verdienſt des Entdeckers
meiſtens doch nur das des Verbreiters, und als neu Tomate man mit
einigem Recht doch nur diejenigen Schriften bezeichnen, deren Andenken
völlig verſchwunden geweſen oder die in andern Ländern .
und nach Italien verpflanzt wurden.
) Z. B. Tuscul. Lib. I; III, 2; V, 15. etc.
) Petrarca epist. rer. senil. XV, 1; ef. epist. 2 ad viros ex veteribus
illustres. Da auch Schriften Varro's als in jenem Codex befindlich erwähnt wer-
den, fo gründet ſich vielleicht auch nur darauf die Erinnerung Petrarca's, deffen An-
tiquitates rerum humanarum et divinarum vormaleinſt geſehen zu haben? Epist.
7. ad vir. ex veter. ill. (Opp. p. 785): ilicet divinarum et humanarum rerum
libros — — puerum me vidisse meminerim. Noch unſicherer lautet gar eine
Variante dieſer Stelle, die Mehus Vita Ambr. Travers. p. 216. aus einem floren⸗
tmiſchen Codex mittheilt: Nullae tamen exstant seu admodum lacerae tuoram ope-
rum reliquiae, e quibus aliqua pridem vidi et reeordatione torqneor summis,
ut ajunt, labiis gustatae dulcedinis, et ea ipsa, praecipue divinarum et huma-
narum rerum libros — — adhuc alicubi latitare suspicor ete. Jedenfalls geht
auch hieraus hervor, wie dunkel Petrarca der Inhalt jenes Codex vorſchwebte; wie⸗
derum if ihm nichts, durchaus nichts aus Varro's Werken im Gedächtmiß geblieben. —
Ebenſowenig Werth legen wir auf Petrarca's Notiz in Ber. memorab. Lib. I. ch. 2
aus welcher man geſchloſſen hat, daß er die Epigramme und Briefe des Kaiſers
Auguſtus noch gekannt habe. Es iſt wieder eine Jugenderinnerung, die ihm im bo»
hen Alter vorſchwebte: quod opus inexplicitum et carie semeaum adolessenti
mihi admodum in manus venit frustraque postmedum qugesitum sto.
I. Beraten md Cicere's Briefe. 27
"Mo kt nun im Allgemeinen kein Zweifel, daß Ciceres Werke,
auch dit philsſephiſchen und rhetoriſchen, durch Petrarca's Anregung
mendlich mehr coptrt und geleßen wurden als vorher; davon zeugt ihre
Berbreitung im Beginne des folgenden Jahrhunderts. Aber um zwei
Alain derſelben hat Petrarca ein namittelbares Verdienſt, um die
Raden und Briefe. inen Codex, der eine Reihe von Reden enthielt,
cepirte er Jahre lang mit eigener Hand, damit ihm nicht die bezahlten
Abſchreiber den Text verdürben.) Mehrere einzelne Reden hat er auf
Reifen geßunden, doch beſaß er noch lange nicht alle diejenigen, die wir
jetzt lefen. Aber weichen Triumph empfand er, als ihm 1345 zu Ve⸗
rena die ſen dem 10. Jahrhundert völlig verschollenen ſogenannten fa⸗
miliären Briefe Eicero's in die Hand fielen!) Zwar beſaß er wahr⸗
ſcheinlich damals ſchan die beiden aubern Sammlungen dießer Briefe
und hatte bereits die tulläaniſche Epiſtolographie in die neuere Literatur
eingeführt, in der fie eine großartige Rolle zu ſpielen berufen war,
eber der neue Fund gab dieſem wichtigen Belebungsmittel des huma⸗
niſtiſchen Berkahrs ſofort einen erhöheteren Schwung und hat fo eine
mumehbere Wirkung geübt.
Wir haben den Cufer, mit dem ſich Petrarca gerade Cicero's Schrif⸗
ten winmete, nicht hne Grund weitlänfiger dargelegt; denn von Cicero
ans, darf mam faft ſagen, erſchloß ſich ihm das liebende Verſtändniß
der andern Autoren des alten Rom. Aus Cicero's Academica lernte
er Varro ſchätzen, in den Officten las er Ennius' Namen zum erſten
Male, aus den Tusculanen lernte er Terentius lieben u. ſ. w.) Jagte
) Auch einen Virginus, von Petrarca's eigener Hand geſchrieben, bewahrt die
Ambroſtana.
) Petrarcaepist. 1. ad vir. ex veter. ill. — Blond us Italia illustr. (Opp.
Basileae, 1599. p. 346) giebt, wohl durch irgend ein Verſehen, Vercelli als den Fund⸗
ort an. Welche Brieffammlungen Cicero's Petrarca überhaupt gefunden, iſt jetzt
wohl mit Entſchledenheit zu befiimmen. Er kannte ohne Zweifel die fogenannten
ſamilikren⸗Briaße (ad di versos), welche der veronteſer Coder enthält, aber nach ſeinem
Werke de republica optime administranda (Opp. p. 419) auch die ad Quintum fra-
trem und ad Atticum gerichteten, wogegen die Nachricht des Blondus (a. a. O.) in
ſich zuſammenfälkt, als habe die ad Atticum ein Unbekannter aufgefunden. In der
Apologia c. Galli cujusdam calumnias (Opp. p. 1195) ſpricht Petrarca bereits von
tria volumina epistolarum, und daß er fie wirklich gefunden und copirt hat, be⸗
weiſen auf das Klarſte die beiden in der Mediceo⸗Lautentiana aufbehaltenen Codices.
ef. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 213 sq. 220. Jahrbücher f. Philologie und
Paedagogik herausg. von Jahn. Jahrg. I (1826) Bd. II. Heft 2. S. 291.
) Epist. famil. IIl, 18.
28 I. Petrarea und feine Wöſtothek.
er auch vorzugsweiſe den vermißten Schriften Cicere’s nach, ſo bildeten
doch die römiſchen Claſſiker in feiner Phantaſie bereits eine Gefammtt⸗
beit und jede Lücke in derſelben erſchien ihm als ein ſchmerzlicher Ver⸗
luſt. Wie hat er ſich nach der zweiten Decade des Livius abgemiht,
als er die erſte, dritte und vierte beſaß, wie bedauerte er den Unter⸗
gang der Hiſtorien des Salluſtins ), wie quälend blieb ihm der Ge⸗
danke, Varro's Antiquitäten einft befeffen zu haben und 1 mehr 8
den zu können! ng
Es iſt wohl begreiflich, wie lieb dem Beſttzer eine Semlung von
Büchern wurde, die ſo mühſam geſucht, erworben und zuſammengebracht
werven mußten. Erſt im Privatbeſitz wurde das geiſtige Gut, welches
in ihnen lag, ein flüſſiges, es verkehrte gleichſam mit der freien Luft
und ward fruchtbar durch die Mittheilung an Freunde in der Nähe
und Ferne. Bücher, ſagt Petrarca, ſeien feine. unerſättlichſte Begierde,
ſie würden ihm wie ein lebendiger Umgang, wie ſprechende Freunde.)
Bei ihnen ſuchte und fand ſeine Seele, auch als er manches andere
Streben als Täuſchung und Eitelkeit erkannte, immer ein ſtilles Afyl.
Eine ſchöne, wenn auch unhaltbare Tradition, daß man ihn an feinem
letzten Lebensmorgen in ſeinem Studirzimmer und über einem Buche
eingeſchlummert gefunden. Seine Sammlung war die erſte moderne
Bibliothek. Immer waren ihm Peiſiſtratos und Ptolemäes Phitadelphes
unter ihren Bücherſchätzen viel edler erſchienen als Craſſus unter feinen
Reichthümern. Er hatte einſt den Plan, daß ſeine Bucher, zu denen
er eben noch die Boccaccio's zu erwerben wünſchte, unzerftrent „zu ſei⸗
nem ewigen Angedenken“ an einem frommen Ort aufgeſtellt werden
ſollten.) Iſt gleich dieſer Plan und auch ein ſpäterer, nach welchem
ſeine Bücher der Republik Venedig zufallen ſollten, nicht zur Ausführung
gekommen, iſt auch feine Sammlung nach feinem Tode verſchleudert
worden, ſo ging doch jener Gedanke ſeitdem nicht mehr unter und man⸗
cher edle Schatz der claſſiſchen Literatur wurde durch ihn gerettet. In
gleicher Weiſe hat Petrarca auch andern Schätzen des Alterthums ein
forſchendes Auge zugewendet und den Sinn für ihre Erhaltung geweckt.
Er konnte Karl IV. einige Münzen römiſcher Kaiſer als Denkmale
1) Rer. memorand, Lib. I (Opp. p. 447. 448).
) Epist. rer. famil. III, 18.
) Epist. rer. senil. I, 4 an Boccaccio.
1. Petraten und Hameros. 29
feiner Vorfahren zeigen, er war, fo. viel wir wiſſen, der erſte, der alte
Münzen und Medaillen ſammelte.)
Ein Bewunderer Petrarca's am Hofe von Byzanz, Nikolaos Si⸗
geros, ſchickte ihm ein Exemplar der Geſänge Homers als Geſchenk.
Trotz dem kirchlichen Schisma und trotz dem durch Jahrhunderte ein⸗
gewurzelten Haſſe reichen ſich hier Orient und Occident zum erſten
Male wieder die freundſchaſtliche Hand und zum Bindemittel wird der
ehrwürdige Sänger von Jlion. Er iſt gleichſam der erſte Flüchtling, der
vor der drohenden Türkenbarbarei im Abendlande Schutz ſuchte, und
trugen ihn auch nicht Engelshände herüber wie das Gnadenhäuschen
von Loreto, ſo war es doch eine ähnliche Verehrung, mit der Petrarca
ihn aufnahm. Dieſer einzelne Vorfall iſt Beginn und Typus einer
literariſchen Wanderung von unberechenbaren Folgen: die helleniſche
Literatur, mit dem Untergange bedroht gleich dem byzantiniſchen Staats⸗
körper, ſuchte und fand in Italien ein liebevolles Aſyl. Man hatte
hier gelernt, daß ſie die Mutter und das Vorbild der römiſchen ge⸗
weſen; ſo galt es alſo fortan, auch zu dieſer Quelle des Schönen vor⸗
zudringen, die griechiſche Sprache zu lernen oder fich doch ihre Schätze
durch Ueberſetzungen anzueignen.
Petrarca machte den Verſuch. Sein Lehrer Barlaamo — wir
ſprechen noch von ihm — war ein aufgeblaſener, geſchmacklofer Theo⸗
loge, der zwar die griechiſche Sprache in Konſtantinopel gelernt, aber
nicht im Stande war, ſeine Gedanken in der lateiniſchen auszudrücken.
Auch genoß Petrarca nur wenige Lectionen bei ihm, er kam nicht über
die Elemente hinaus.) Und dennoch iſt er mit ſeinem Homeros, den
er kaum leſen konnte, in der Hand, der anregeudſte Lehrer des Grie⸗
chiſchen geweſen. Er ſah das Buch mit Entzücken an, umarmte es
und wußte doch nur, wie hoch die Römer, ein Cicero, Horatius und
Plinius, dieſe Gefäuge gehalten.) Schon beſaß er mehrere Schriften
Platon's in griechiſcher Sprache; der erſte der Dichter, ſagt er, und
der erſte der Philoſophen hätten bei ihm Wohnung genommen. Er
faßte den Muth, jenen Sigeros auch um die Werke des Heſiodos
und des Euripides zu bitten, und gab die Hoffnung nicht auf, noch
1) Epist. rer. famil. X, 3.
) De ignorantia sui ipsius (Opp. p. 1162); Mehus Vita Ambr. Travers.
p. 220.
) Rer. memorand. Lib. II (Opp. p. 464); Petrarca's Antwort an Nik. Si⸗
geros epist. rer. variar. 21. vom 10. Jauuar (1354).
80 I. Petrarea unter den Ruinen des alten Rom.
einſt im hoheren Alter Griechiſch zu lernen. Zunchſt erhielt Bocenecio
durch ihn den Anſtoß: auf ihn wurde ver ſehniiche Wunſch verpffanzt,
den gefeierten Homeros in lateiniſcher Sprache zu besitzen.) Wir
werden ſehen, wie dieſer Wunſch noch nach hundert Jahren in den
Freunden beider Literaturen als ein Ideal fortlebte, wie Italkener nach
Byzanz hinüberſchifften und Byzantiner nach Italien kamen, fene um
zu lernen, dieſe um zu lehren, wie Alt und Jung Griechiſch treibt und
wie der Genius des alten Hellas, einmal durch nn herbeibeſchwo⸗
ren, nicht mehr zur Ruhe geht.
Seit ſeiner Jugend hatte Petrarca der Wunſch durchgtagt, Nom
zu ſehen. Er wurde ihm im Jannar 1337 erfüllt. Wie ein dieſer
Welt Entrückter wandelte er zwiſchen den ſieben Hügeln umher, Alles
fand er wieder, wovon er bei den Alten geleſen, Alles von ver Königs⸗
burg Evander's und der Höhle des Cacus bis zu den Stätten, we Pe⸗
trus und Paulus den Märtyrertod erlitten. Nur ſeine Phantaſtie war
geſchäftig, ihm die Trümmer zu deuten, die neuen Römer konnten es
nicht; Aberglauben und Unwiſſenheit umdunkelten ihnen die Werke ih
ter Ahnen. Nirgends, rief Petrarca aus, wird Rom weniger gekannt
als zu Rom felbit.”) Es war noch die alte Weltſtadt und ſie war es
Boch nicht mehr. Die alten Paläſte, in denen einſt „die ungeheuren
Männer“ gewohnt, ſah Petrarca verfallen, die Tempel und Triumphe
bogen eingeſtürzt, die Stadtmauer zerbröckelt. Dieſe Römer ſchämten
ſich nicht, mit den ehrwürdigen Trümmern ſchnöden Handel zu treiben,
mit den marmornen Säulen, Tempelſchwellen und Grabesdenimclern
das weichliche Neapel ausſchmücken zu laſſen. Auch die letzten Trüm⸗
mer, meinte er, würden bald verſchwunden ſein.) Er rief vie avenio⸗
nenſiſchen Päpſte zum Mitleid für die hinfinkende Tiberſtadt auf.)
Dieſe erſchien ihm wie eine gealterte Matrone mit grauem Haar, blaß
und kränklich von Geficht, mit zerriſſenem Gewande und dennoch mlt
) Epist. de reb. senil. III. 6; V, 1; VI, 2; XI, 9.
) Epist. de reb. famil. VI, 2 an Cardinal Giovanni Colonna.
) Ad Nicolaum Laurentii de capessenda libertate hortatoria (Opp. p. 596);
epist. metr. II, 13:
Quanta quod integrae fuit olim gloria Romae,
Reliquiae testantur adhuc, quas longior aetas
Frangere non valuit etc,
Funditus ita ruent (labentis patriae fragmenta) menibus convulsa nefandis.
) Epist. metr. I, 2. Benedicto XII; II, 5. Clementi' Vi et al.
I. Petrarca und Cola di Nienzo. 31
ungebeuztem Muthe und voll ehrwürdiger Erinnerungen.) „Aber wer
lann zweifeln, daß die alte Tugend Roms ſofort wieder auferſtehen
wird, wenn Nom anfängt, ſich ſelber zu kennen.“)
Dieſes prophetiſche Wort ſah Petrarca in Erfüllung gehen durch
das Unternehmen des Cola di Rienzo. Die politiſche Erſchütterung,
die Rom und Italien durch daſſelbe erfuhren, war wie das Brauſen
des Sturmes, lärmend und erſtaunlich, hier und dort zerſtörend, aber
endlich doch ſpurlos vorübergehend. Dagegen der Geiſt, der während
dieſes Sturmes durch die Gemüther der Menſchen rauſchte, blieb lange
im Andenken und iſt auch nicht wieder verſchwunden. Es iſt derſelbe,
in deſſen Namen Petrarca ſprach und ſchrieb. Darum die wunderbare
Berwandtſchaft zwiſchen beiden Perſönlichkeiten; fo verſchieden ihr Le⸗
benslauf und ihre Wirkungsſphäre, ſo verkörperte ſich doch in beiden
dieſelbe Idee. Es iſt wahrſcheinlich, daß durch Petrarca's Schriften
der zündende Funke in Cola's Bruſt geworfen wurde, gewiß, daß zu
Avignon ein Austauſch republicaniſcher Gedanken zwiſchen Beiden ſtatt⸗
fand.) Ihre Wege gingen dann nur ſcheinbar auseinander. Während
Petrarca in der weichen Luft der Provence dem Wohlklange der tullia⸗
niſchen Rede lauſchte und ſich in ſeine Bücherwelt einſpann, las Cola
in Rom den Livius, Salluſtius, Valerins Maximus und fühlte ſich
ſelber auf der Bühne, auf welcher ihre Erzählungen vom alten Rom
ſpielen. Niemand wußte beſſer als er die alten Inſchriften zu leſen,
die Statuen und Ruinen der Weltſtadt ſelbſt und ihrer Umgegend zu
deuten. Er würde vielleicht als Alterthumsforſcher und Schriftſteller
einen Namen erworben haben ), nur daß es ihn trieb, fich im öffent⸗
chen Leben hervorzuthun und als Redner vor dem Volke Beifall zu
erndten. Ganz wie Petrarca ging er von der Vorſtellung des alten
Rom aus und ſah, mit dieſem Maaßſtab in der Seele, auf die Römer
der Gegenwart. Wo ſind jetzt jene edlen Römer, fragte er, wo iſt
) De pacificanda Italia Exhortatio ad Carolum IV.
) Epist. rer. famil. VI, 2.
) Petrarca ad Nicol. Laurentii hortatoria (Opp. p. 595): Testis ego sibi
sum, semper eum hoc, quod tandem peperit, sub praecordiis habuisse.
) Der Verfaſſer der Vita di Cola Rienzo (Historiae Romanae Fragmenta)
bei Muratori Antiquit. Ital. T. III. nennt ihn nutricato de latte de Eloquen-
tie, dono Giramatico, megliore Rettuorico, Autorista bravo. — Petrarca ſagt
von ihm epist. rer. famil. XIII, 6: Nyeolaus Laurencii vir facundissimus est et
ad persuadendum effieax et ad oratoriam promptus, dietator (litterarum) quoque
dulcis ac lepidus non multe quidem sed suavis coloratequte senteneie.
32 I. Petrarca und Cola di Nienzo.
ihre erhabene Gerechtigleit? o könnten wir. doch zu ihrer Zeit leben!
Er konnte bitterlich weinen und andre zu Thränen rühren, wenn er
das geſunkene und geſchändete Rom beklagte. Von dieſem Gefühl, von
einer traumhaften Sehnſucht nach dem Glanze der Freiheit und Tu⸗
gend, in welchem ihm die römiſche Republik leuchtete, wurde er auf
ſich als den Herſteller dieſer Idealwelt, als den Befreier Roms und
Italiens geführt.) Bald ſchwebte ſeinem wüſten Hirn ein Brutus
und ein Volkstribun vor, dann wieder Roma als die Beherrſcherin der
Welt und ſo ſprach er auch gern und mit Feuer von Julius Cäſar.)
Ganz unklar war ihm die Grenze, bis zu welcher ſeine redneriſche Schwär⸗
merei reichte und auf welcher das eitle Hervordrängen ſeiner Perſön⸗
lichkeit begann; daher beging er auf dieſer Grenze ſeine lächerlichſten
Albernheiten.
Um aber die Begeiſterung zu verſtehen, mit welcher Cola's erſtes
Auftreten nicht nur in Rom und Italien, ſondern überall, wohin nur
ſein Ruf gelangte, begrüßt wurde, müſſen wir manches Moment in
Rechnung bringen, welches unſerm Gefühl, die wir den Ablauf dieſer
und ähnlicher Begebenheiten kennen, freilich ſtark verkümmert wird:
zunächſt alſo die völlige Neuheit des Ideals, die jugendliche Schnellkraft
der erſten Schritte Cola's, die ihn aus der Ferne als einen hochherzi⸗
gen Freiheitshelden, ja als Erretter der Menſchheit erſcheinen ließ, und
dann den Glorienſchein Roms, der gleichſam zum Hohne der avenio⸗
nenſiſchen Päpſte aus dem längſt verſunkenen heidniſchen Alterthum
aufleuchtete. Petrarca berichtet uns, wie man ſelbſt in Avignon dachte
und ſprach: die Briefe Cola's, die an die Curie gelangten, wurden ſo⸗
fort abgeſchrieben und verbreitet, als kämen ſie vom Himmel; man
wußte nicht, ob man die Thaten oder die Reden des Tribunen mehr
bewundern ſolle, man nannte ihn einen Brutus, weil er Rom die Frei⸗
heit gegeben, und einen Cicero, weil aus ſeinen Worten die hochherzige
Majeſtät des römiſchen Volkes ftrahle. °)
1) Vergl. ſ. Schreiben an Karl IV von 1350 bei Papen cordt Cola di Rienzo
Urk. 13. p. XXXIII: nichil actum putavi, si que legendo didiceram, non ag-
grederer exercendo etc.
) Vita di Cola Rienzo I. c. p. 399.
) Petrarca an Cola bei de Sade Memoires sur la vie de Frangois Pe-
trarque T. III. Pieces justificatives n. XXXI; Apologia contra Galli cujusdam
calumnias (Opp, p. 1181). Einen Brief des Tribunen an Petrarca, der Papencorpt
entgangen, bezeichnet Mehus Vita Ambr. Travers. p. 246. |
1. Petrarca und Cola di Rienzo. | 33
Petrarca ſelbſt aber war der volltönendſte Herold dieſer Begeiſte⸗
rung, er war erſtaunt und erſchüttert wie einer, dem plötzlich ein glück⸗
licher Traum in Erfüllung geht. Aus dem ärmlichen und nüchternen
Zeitalter ſah er wieder einen Helden emporſteigen, wie er ihn unter
ſeinen Büchern geträumt, und Rom von Neuem zur Königin der Welt
erheben. Er nannte ihn einen dritten Brutus, einen Camillus, einen
neuen Romulus. Du ſtehſt auf einer hohen Warte, rief er ihm zu,
Gegenwart und Zukunft finden kein Ende deines Ruhmes! ') Er ſah
in der neuen Republik „eine Umwandelung des öffentlichen Weſens, den
Anfang des goldenen Zeitalters, eine andre Geſtalt des Erdkreiſes.“)
Der Glückwunſch, den er an die „ruhmreichſte Siebenhügelſtadt“ und
an ihren Tribunen richtete, eine grüßende Freiheitsrede, zeigt uns recht
dentlich, wie er nur mit ſeinen aus Livius genährten Phantaſien poli⸗
tifirte, wie er ſich als Zuſchauer aus weiter Ferne in unermeßlichen
Hoffnungen erging.)
Dieſer jubelnden Erwartung entſprach dann freilich die bittere Ent⸗
täuſchung, die Niedergeſchlagenheit, als Cola immer deutlicher durch die
Maske des Alt⸗Römers den eitlen Narren durchblicken ließ und fein
eigenes Werk mit dem Fluche des Lächerlichen ſchändete. Es wurde
Petrarca ſchwer, dem ſeligen Traume zu entſagen und an die Wahr⸗
heit zu glauben. Er erhielt eine Abſchrift von einem der pomphaften
und thörichten Schreiben des Tribunen. „Ich erſtarre, ich weiß nicht,
was ich antworten ſoll. Ich erkenne das Geſchick unſers Vaterlandes,
und wohin ich mich wende, überall finde ich nur Grund und Stoff zu
Klagen. Wird Rom zerriſſen, wo bleibt Italien? und wird Italien in
Schande getreten, welches Leben bleibt mir? Mögen bei dieſer allge⸗
meinen und beſondern Trauer die Einen Geld, die Andern Körperkraft,
die Einen Macht, die Andern guten Rath beiſteuern; ich wüßte nichts,
was ich geben könnte, außer — Thränen.“
Nach Rom zu eilen und ſelber Hand ans Werk zu legen, war Pe⸗
trarca's Sache freilich nicht. War er doch derſelbe eitle Schwärmer im
ſtillen Studirzimmer, der Cola in ſeinem phantaſtiſchen Unternehmen war.
Darum wußte er ihm auch jetzt nur mit blaſſen Gemeinplätzen zu rathen,
) bei de Sade l. e.
) Epist. 8. tit. 4. |
) Ad Nicolaum Laurentii hortatoria (Opp. p. 595 sq.)
) Epist. rer. famil. VII, 5.
Voigt, Humanismus. 3
34 I. Petrarca und Cala's Niedergang.
er möge ſich nicht dem ſchlechteſten Theile des Volkes in die Arme
werfen, ſeine Tugend und ſeinen Ruhm wahren, lächerliche Narrheiten
meiden und dergleichen.) Mit Cola's Flucht aus Rom war er ſehr
unzufrieden: nach ſeinem Geſchmack hätte der Tribun, ſtatt als Bitten⸗
der vor dem Böhmenkönige und als Gefangener vor dem Papſte zu
Avignon zu erſcheinen, einen ruhmvollen Tod auf dem Capitole vor⸗
ziehen ſollen. Dennoch will er ſich, ſowie er einſt geglaubt, an dem
Ruhme Cola's einen ehrenvollen Antheil zu nehmen, wenn er ihn durch
Schriften anſpornte und entflammte, auch jetzt feiner früheren Begeiſte⸗
rung nicht ſchämen. Er kann den nicht verachten, auf den er ſeine
letzte Hoffnung für die Freiheit Italiens geſetzt, der dem Gefühle ſeines
Buſens den Ausdruck der That gegeben. „Wahrlich — ruft er bitter
aus — ein Verbrechen, des Kreuzes und der Geier werth, daß es einen
Römer ſchmerzte, wenn er ſeine Vaterſtadt, die dem Rechte nach die
Herrin Aller iſt, als die Magd der elendeſten Menſchen ſah!“ —
„Wie auch das Ende ſein mag, noch kann ich nicht anders: ich muß
den Anfang bewundern!“ ) Und auch jetzt noch rief Petrarca die Rö⸗
mer auf, ihrer Majeſtät zu gedenken, wenn nur noch ein Tropfen des
alten Blutes in ihnen ſei, die einmal erworbene Freiheit nicht wieder
aufzugeben und ſich für die Loslaſſung des um ſie hochverdienten Tri⸗
bunen zu verwenden. Er ſelbſt wolle ſich nicht weigern, für die Wahr⸗
heit zu ſterben, wenn fein Tod der Republik zu nützen ſcheine.)
Allerdings halfen der Republik und ihrem Tribunen weder die
Thränen Petrarca's noch jetzt feine Anbietung eines Vaterlandstobte,
doch bleibt es von eigenem Intereſſe, wie der Dichter ſich fo Erampf-
haft noch an die proftituirte Sache der römiſchen Freiheit klammaerte.
Es zeigt uns den congenialen Zug, der ihn mit Cola verknüpfte, und
fanden wir dieſen bisher nur in der gemeinſamen Schwärmerei für
das römiſche Alterthum, fo gedenken wir in der Folge, ſobald erſt Pe⸗
trarca's Seele noch von einigen Seiten beleuchtet iſt, auch auf Cola
noch einmal zurückzukommen und den verunglückten Freiheitsmann mit
dem geprieſenen Weltweiſen in weitere Parallele zu ſtellen.
Wir müſſen uns eine Zeit vorſtellen, in welcher die einfache Exfah⸗
rung, daß jemand ein großer Gelehrter und doch ein ſchlechter Staatsmann
) Epist. rer. famil. VII, 7 an Cola vom 26. Novemb.
) Petrarca an Francesco di Nello, dat. Vaucluſe 12. Auguſt 1352 in Epist.
rer. famil. XIII, 6, bei Papencordt Urk. 28. LXXVIII.
) Epist. 8. tit. 4.
I. Perarca abs Anwalt der römiſchen Freiheit. 35
fe: Wige, noch nicht gemacht, das heißt noch nicht beobachtet, in wel⸗
cher man an die Geſchäftsführung der Geiſtlichen völlig gewöhnt war,
in welcher man die populärſte Macht, die Hierarchie, ſtets mit weit⸗
ausgeſpaunten Theorien ihre Politik treiben ſah. Erſt dann wird es
uns verſtändlich, wie Petrarca ſich auch im Staatsweſen für einen der
Weiten: und Uufehlbaren halten, wie er, was viel wunderbarer iſt, von
fo Vielen, ja im Allgemeinen, dafür gehalten werden konnte. Daß
Cola's Unternehmen, dem er einſt freudig zugejauchzt, wie ein Poſſen⸗
ſpiel abgelaufen, daß er ſelbſt als der literariſche Herold jener komö⸗
dienhaſten Republik feinen Antheil an allen ihren Ausſchweifungen und
Lacherlichkeiten hatte, machte ihn nicht im mindeſten irre. Er blieb
überzeugt, daß die Schuld des Mißlingens nur an Cola's menſchlichen
Schwächen gelegen, ja er genoß das beruhigende Bewußtſein, immer
zur Mäßigkeit und Gerechtigkeit gerathen zu haben, und ſo ſah er die
literariſchen Thränen, die er der Tribunenherrſchaft nachzuweinen pflegte,
ganz erufiheft als den würdigen Tribut an, den ein edler Römer fei-
nem Baterlande zollte. |
Dem Bürgerrechte, welches Petrarca bei feiner Dichterkrönung
auf dem Capitol ertheilt worden, glaubte er ſich für ewig verpflichtet.
Am war, als wenn Roma nach dem Tode des Tribunen auf ihn
lliele wie sine gekränkte Mutter auf ven ſtarken Sohn, als ſetze fie ihre
letzte Hoffnung darauf, daß er mit weiſem Rath und mit feinem ge⸗
faerten Nen für fie in die Schranken trete. So fühlte er ſich ge⸗
beängt, für fein Vaterland wenigſtens das Wort zu ergreifen, da er
ihm durch Thaten nicht helfen könne. Der Papft hatte eine Commiſ⸗
fi: von vier Cardinälen ernannt, um die zerrüttete Organiſation des
viarischen Gemeinweſens herzuſtellen und auszubeſſern. Un. fie richtete
Petrarea zwei Deukſchriften, in denen feine aus Livius geſchöpfte Weis⸗
heit es unternahm, der unclaffiſchen Bildung jener Prälaten auf den
rechten Weg zu helfen.) Nichts zeigt uns deutlicher den Dünkel und
zugleich die Unfähigkeit Petrarca's, die reale Welt von der Welt feiner
Studien zu ſcheiden. Die Hauptfrage war, ob zur Stadtbehörde nur
Nobili oder auch Bürger zugelaffen werden ſollten. Petrarca nun ſpricht
ea. geraden aus, daß man, felle Rom in feinem Elend geholfen wer⸗
den, das Beiſpiel derjenigen Zeit vor Augen nehmen müſſe, in welcher
y Die Denkſchriften vom 18. und 24. Novemb. 1351 in Epist. rer famil. XI,
16. 17, verbeſſert bei Papencordt Urk. 29. 30. p. LXXXI 34.
8
36 J. Betraren als Anwalt ber römischen Freiheit.
die Stadt ſich „aus Nichts zu ven Sternen erhob.“ us beleben
Grundſatz ſuchte er der Commiſſton einzuprägen: kein Name tet: voll⸗
tönender (sonantius) als der der römiſchen Republik, der bloße Nam
der alten Königin der Welt müſſe noch Achtung auch für die Nou in
Trauer gebieten. Das Volk von Rom, die Bürgerſchaft — er ſagt
nicht, welche Claſſen er ſich darunter vorſtellt — erſcheint ihm als die
alte Plebs, die Nobili bezeichnet er als „fremde Tyrannen“ voll Stolz
und Räuberſinn. Dieſer Adel mißbrauche die allzu große Demuth des
römiſchen Volkes und behandle es, als ſeien es gefangene Punier odor
Cimbern. Man wiſſe, daß er die Orſini nicht haſſe, die Colonna fo⸗
gar liebe und verehre, aber theurer ſeien ihm das Gemeinweſen, Rom
und Italien. Wie könne man nur fragen, ob römiſche Bürger in den
Senat von Rom gehörten! Sie müſſen ihn vielmehr allein oder doch
vorzugsweiſe ausmachen und die fremden Adelsgeſchlechter können hoch
ſtens geduldet werden. Dafür beruft ſich Petrarca anf einen Ausſpvnch
des Manlius Torquatus, und wie er dem Abel bes 5 vie
Valerius Publicola, Menenius Agrippa, Cincinnatus, Fabricit
rius als Muſter vorhält, ſo geht ihm der Pöbel Roms, ber feine
Würde eben erſt unter Cola di Rienzo gezeigt, und der liwianiſche Po⸗
pulus Romanus in einen Begriff zuſammen. Wie fellte das xöimifche
Volk, ruft er aus, einſt Herrſcher über alle Völler, nicht auf ſeinem
Capitol, auf dem es den Senonen trotzte, wo es dis gefangenen Könige
hinter dem Triumphwagen ſah, wo es die demüthigen Gefandten frerr⸗
der Völker anhörte, wo es übermüthigen Bürgern den Nacken beach,
wie ſollte es da nicht an der Verwaltung des Staates Antheil haberrt
Das Volk des Mars, das in der Welt nimmer ſeinesgleichen hatte,
die römiſchen Tugendhelden, die im Gefolge der Ruhmesgöttin voran⸗
gehen,) Scipio Africanus der Aeltere, fein auserwählter Liebling un⸗
ter ihnen, fie beherrſchten Petrarca's Sinn bis zur Blindheit und gaben
ihm doch die Empfindung eines glänzenden Lichtſchimmers, die en deſto
ſicherer täuſchte. Als Kenner des Alterthums hielt er ſich für ein un⸗
fehlbares Orakel und als berühmter Mann glaubte er berufen zu ſotn,
bei wichtigen Fragen von vaterkändiſchem Charakter jedesmal fein Went
in die Waagſchale zu werfen. Wiederholt mahnte er die aweniemett⸗
ſiſchen Päpſte zur Rückkehr in das verwittwete und verwalſete Mom;
man nahm dieſe Mahnungen auf wie fromme Empfindungen eines
) v. Trionfo della Fama op. I. U, 3. ö
I Wetsuece ala Bbasloge. | 37
Dichters und mehr waren ſie in der That nicht. Mied er doch ſelbſt
ad Aufenthalt in Rom trotz feinem römiſchen Bürgerrechte, lebte er
dach trotz feinem italieniſchen Patriotismus der Behaglichkeit wegen viele
Jahre unter demſelben Himmelsſtrich, welchen er den Päpften zum bit⸗
ten Vorwurf machte. Er miſchte ſich in den venetianiſch⸗ genueſiſchen
Krieg, als bedürfe es zur Friedensſtiftung nur wohlgeſetzter Worte;
man gab ihm in Venedig ſehr ſchmeichelhafte, aber höflich⸗ abweiſende
Antworten.) Lim entſchiedenſten zeigte ſich feine eitle Zudringlichkeit,
als er Karl IV. aufrief, nach Italien zu kommen und dieſem unglück⸗
liihen Lande den Frieden zu geben:) um es Dante nachzuthun, ver⸗
leutuete en dabei Alles, was er fonft von der Würde Italiens und
von den barbariſchen Fremdlingen gepredigt. Im Erfolge war er über⸗
all, wo er ſich in die Politik einmiſchte, gleich unglücklich und mußte
in damit träften, daß man den hohen Schwung feiner Gedanken und
feiner Worte bereitwillig anerkannte. Die Praxis der Politik blieb
Männern wie dem Cardinal Albornaz vorbehalten, welcher den Helden
der altrömiſchen Politik glich, ohne es zu willen und vielleicht ohne je
ame: ihnen gelefen zu haben.
Wie ſehr das römiſche Alterthum Petrarca nicht nur Gegenſtand
des Sindiumse war, ſondern in alle ſeine Lebensanſchauungen eindrang,
das wird uns noch jede Seite des Folgenden zeigen. Alles gewinnt in
der claſſiſchen Sprache und durch die Brille des Rämerthums ſofort
eine andre Färbung, und Petrarca hätte ſich in dieſem unnatürlichen)
Dönmerlichte gleich einem irren Phantaften oder Nachtwandler bewegt,
wenn nicht der Kampf gegen das Hergebrachte, zu dem er berufen, der
Kampf in feinem Junern und die ſtarken Regungen eines perſönlichen
Dewußtſeins feine Träumereien mit der realen Welt im Gleichgewicht
erhalten hätten.
Dem Genius iſt es eigenthümlich, daß er ſich der Wirkung, die
von ihm ausgeht, ebenſowenig in ihrer ganzen Fülle bewußt wird wie
der in ihm arbeitenden Kraft. Der Fortſchritt, den er auf einem und
vielleicht nicht einmal dem bedeutendſten Gebiete hervorgebracht, wird
auf andre Gebiete übertragen, die er kaum berührt, und gewinnt den⸗
noch erſt hier feine Vollwichtigkeit. Wo die Reſultate ſichtbar und
‚greifbar find, wie zum Beispiel auf dem Felde der techniſchen Erfin⸗
) Die Correspondenz im Lib. epist. variar. 1—4.
9 De pacifeanda Italia Exhortatio ad Cerelum IV. (Opp. p. 500).
38 T. Petrared's Gumarismis.
dungen, laſſen ſich auch die Zuſammenhänge leichter nachweiſen. Die
Fortdauer und Propaganda rein⸗geiſtiger Potenzen dagegen iſt unbe⸗
rechenbar und hat etwas Dämoniſches. Wir fühlen fie aus Wort und
Schrift, aus Denk⸗ und Handlungsweiſe wohl heraus, aber wir ver⸗
mögen nicht immer, dieſes Herausgefühlte in Wort und Schrift auch
wiederzugeben. Was wir ſagen, erfcheint uns ſelbſt unvollkommen und
nicht erſchöpfend, und wollen wir es kurz zuſammenfaſſen, ſo erſcheint
es oft als eine vieldeutige Phraſe. So iſt es ſchnell ausgeſprochen,
daß das dem Geiſtesleben der Hellenen und Römer Eigenthümlichſte
die Darſtellung des Reinmenſchlichen war, und ebenſo ſchnell fügen wir
hinzu, daß Petrarca dieſes Princip des Humanismus in die geiſtigen
Gährungen der modernen Welt getragen hat. N
Statt aber zu erklären, was wir im Weſentlichen unter Humantos⸗
mus verſtehen, und den Begriff in feine poſitiven Merkmale zu zer⸗
legen, ſchildern wir Petrarca auf die Gefahr hin, den Kern nicht zu
finden und nur die Schalen darzulegen, in ſeinem Kampfe gegen Das,
was dem Humanismus als Gegenſatz oder Hinderniß gegenüberſtand.
Auch beſchränken wir uns zunächſt auf das Gebiet des wiſſenſchoftlichen
Strebens und der einzelnen Disciplinen, weil hierin Petrarca ſelber
am klarſten fühlte, was als Vorurtheil und gehaltloſe . lg
ſtürzt und vernichtet werden müſſe.
Er ging weder ſchüchtern und allmählig, noch einſeitig zu Werbe
Die ganze Wiſſenfchaft, wie fie durch die ſcholaſtiſche Methode zufam⸗
mengehäuft war, erſchien ihm als ein wüſter Schlackenhauſen, unter
dem kein Körnchen vom Golde der Wahrheit und Weisheit begraben
war, der als völlig unnütz, ja als ſchädlich betrachtet und ohne Scho⸗
nung weggeräumt werden müffe. Nichts gilt ihm, als was ummittel⸗
bar auf den Menſchen Bezug hat, keine Gelehrſamkeit iſt ihm ehrwür⸗
dig, deren Endziel nicht mit dem des menſchlichen Lebens zuſammenfällt.
Daher iſt er nie ſo voll Verachtung und heiligen Eifers, als wenn er
auf das handwerksmäßige Treiben der Scholaſtiker zu ſprechen kommt.
Daß es dem Geiſte Vergnügen gewähren und ein mit Luſt ergriffener
Lebensberuf fein könne, tft ihm ganz unglaublich. Dieſe Menſchen, ſagt
er, behandeln die Wiſſenſchaft lediglich als ein Mittel zum Gelben
werb, als eine kaufmänniſche Waare; ſelbſt diejenigen unter ihnen, bie
ſich den ſogenannten freien Künſten widmen, denken bereits an den
Lohn, ſobald ſie nur in die Schule treten. Dieſe Krämer bieten Geiſt
und Zunge feil und find darum verächtlicher als der Seemann oder
I. Pama als Senner der ſcholoßßiſchen Wifſenſchaft. 39
Kberbawer, der nur feine Hände und feine Körperkraft dem Erwerbe
winmet. ') Petrarca verhöhnt die Mugiſter⸗ und Doctorwürde, die
bloß durch pomphafte Ertheilung der Inſignien aus einem Dummkopf
plötzlich einen aufgeblafenen Weiſen mache.) Die Univerfitäten find
ihm Neſter der dünkelvollen Unwiſſenheit. Nennt er gelegentlich die
gefeierte pariſer Hochſchule mit Ehrfurcht „die Mutter der Gelehrſam⸗
leit“ oder „vie ungeheure Univerſität,“ ſo geſchieht das eben nur in
dem Augenblicke, wo fie ihm die Dichterkrone angeboten und wo er ihre
Ehre ohne die eigene nicht ſchmälern konnte.)
Der wahre Gelehrte iſt ihm der ſtrebende Menſch, die Wiſſenſchaft
die Dieuerzu der Tugend. Darum meint er Geſchichtsforſcher, Philo⸗
ſoph, Dichter, Theolog in einer Perſon fein zu müſſen. Während der
Scholaſtiker feine Diseiplinen möglichſt ſcharf zu trennen ſucht, will er
als Humaniſt die feinigen zu einer allgemeinen Menſchenbildung ver⸗
ſchmelzen. Fragt jemand ihn, zu welcher Kunſt er ſich bekenne, ſo ant⸗
wortet er, er wolle mar einer Kunſt und nicht Bekenner, ſonvern demü⸗
thiger Junger fein, fie nur erwänfchen, nicht fie beſitzen, und das ſei'
die Funſt, die in beſſer mache. Er bezeichnet fie daun im Allgemei⸗
nen als „Tugend und Wahrheit“.
Mit dieſem Maaßſtabe tritt er an die wiſſenſchaftlichen Beſtre⸗
bungen anderer und zeigt ihre Beſchränktheit oder Nichtigkeit. Der Gram⸗
matiker, fagt er, iſt ängſtlich hinter den Geſetzen der Sprache her, aber
wie leichtfertig den ewigen Geſetzen Gottes gegenüber! Der Dichter
mag lieber in feinem Lebenswandel als in feinen Verſen hinken. Der
Geſchichtſchreiber kümmert ſich um die Thaten der Könige und Völker,
won feinem eigenen kurzen Daſein aber weiß er nicht Rechenſchaft zu
geben. Die Arithmetiker und Geometer wollen Alles berechnen und
meſſen, nur mit ihrer Seele wiſſen ſie nichts anzufangen. Die Mu⸗
flker leben ganz für ihre Töne, aber nicht für vie Harmonie ihrer eige⸗
nen Handlungen. Die Aſtronomen berechnen aus den Sternen, was
mit Städten und Reichen geſchehen wird, achtlos gegen das, was mit
ihnen ſelbſt im taglichen Leben vorgeht; ſie ſehen die Verfinſterungen
der Sonne und des Mondes vorher, aber vie ihres eigenen Geiſtes er⸗
) Nu. MEERES I (Opp. p. 456); de vita selituria Lib. I. sect. IV;
cp. I. et al. a
) De vera sapientia Dial. I (Opp. p. 365).
eu. euer e
+) Epist, ser. senil, XII, 2 (Op. F. 10% - .
40 I., Petrarca als Geguer der ſcholaſtiſchen Wiſſanſchaft.
kennen fie. nicht. Die Philoſophen forſchen nach dem Ur gend aller
Dinge und wiſſen nicht, was Gott der Schöpfer ift; ſie beſchreben
die Tugenden und üben fie nicht. Aus den Theologen ſind Dialekuker
geworden, wenn nicht gar Sophiſten; fie wollen nicht liebende Kinder,
ſondern Kenner Gottes ſein, und auch das wollen ſie nur ſcheinen.
Selbſt diejenigen, welche die Eloquenz zu ihrem Studinm machen —
hier ſchließt Petrarca ſich ſelbſt nicht aus — wohl hüten ſie ſich, in
der Rede ungebildete und gemeine Worte zu gebrauchen, und vermeiden
doch nicht den elendeſten Schmutz des Lebens. „O wenn du wüßteſt
— ruft er bei dieſer Betrachtung dem Freunde zu — wie es wich nun
zieht und drängt, wie das Verlangen in mir glüht zu lehren und weit⸗
läufig darüber zu ſprechen!“)
Ja dieſes glühende Verlangen, dieſes raſtloſe Anſtreben ift es, was
uns Petrarca's Geiſt auf feinem Höhepuncte zeigt. Aber wa er es
nun wirklich unternimmt, dieſe höchſte Lehre, die mit ſo ahnungsreichem
Drange an feine. Bruſt pochte, im Näheren auszuſprechen und zu bes
gründen, geräth er entweder ins Stocken oder er verfällt ſeiner repſeli⸗
gen Eitelkeit. Doch zeigen wir ihn zunöchſt in feinem Kampfe gegen
die einzelnen Disciplinen, die ihm auf den Hochſchulen oder in der
Achtung der Menſchen als die vornehmſten entgegentraten. Er hat ſich
hier freilich mehr polemiſch als reformatoriſch verhalten, er hat ſcharf,
bitter und einſeitig geurtheilt, aber bedenken wir, daß überall enft der
unbrauchbare Schutt fortgeſchafft werden muß, ehe an den neuen Bau
die Hand gelegt werden kann, daß immer erſt die Skeptik die Mutter
der ſelbſtſtändigen Forſchung iſt und daß ein einzelner Menſch wohl
als Erneuerer der Wiſſenſchaft, nicht aber aller einzelnen Wiſſenſchaften
auftreten kann. Jenen Kampf hat Petrarca nicht immer in einzelnen,
mit abſichtlicher Tendenz angreifenden Schriften geführt, er zieht ſich
vielmehr durch alle ſeine Werke; zumal ſeine Tractate und ſeine Briefe
werden durch dieſen unaufhörlichen Kleinkrieg belebt. Wir ſehen auch
hier, wie es ihn reizt und treibt, wie er mit eruſthaftem Angriff und
mit verachtender Stichelei, mit lächelndem Scherz und mit ze
den Schmähungen immer demſelben Ziele zuſteuert.
Zunächſt und vor Allen zieht er vor ſeine Schranke die Aſtrels-
gen, Alchymiſten und alle die betrogenen Betrüger, welche ua ar
) Epist. rer. variar. 32. Si Ti rain e en
n IB en a
I. Petrarca gegen die Afvelsgie, gegen Traum und andern Mberglauben. 41
Aanſte das zulkänſtige Schickſal der Menſchen zu ergründen oder der
Natur ihre Geheimniſſe abzulauſchen vorgeben. Vielleicht ſind wir ver⸗
ſucht, über die unermüdliche Wiederkehr der Ausfälle zu lächeln, die
sc gegen fte richtet, und freilich ſind es für uns Gemeinplätze, die er
verbringt. Aber er ſprach fie zu einer Zeit aus, wo der Hofaſtrologe zu
den augeſehenſten Gelehrten zählte, wo in Bologna und Padua beſon⸗
vere Lehrſtühle für dieſe Wiffenſchaft errichtet waren, wo die Kirche es
noch nicht wagte, die morgenländiſche Thaumatologie, welche durch die
Berührungen mit dem Orient in Wiſſenſchaft und Leben gedrungen
war, ſtreng vom Glauben zu ſondern, wo fie den Aberglauben theilte
und feine Fietionen für Realitäten hielt, auch wenn fie dieſelben als
Werk des Teufels verdammte und beſtrafte, wo fie noch des Dämonis⸗
mus als eines Gegenſatzes ihrer erlöſenden Kraft bedurfte. Da war
es gewiß eine That des Muthes, ſo rückſichts⸗ und bedingungslos wie
Petrarca den Trug und den Aberglauben als ſolchen zu brandmarlen.
Hat er gleich noch Jahrhunderte lang fortgedanert, fo hat doch unaus⸗
geſetzt der Humanismus den Kampf dagegen wie ein Erbe ſeines Erz⸗
vaters auf ſich genommen und nahezu durchgeführt.
Gleichzültig gegen die vielfache Verſchlingung, in welche fich die
keirche mit den abergläubiſchen Vorſtellungen eingelaſſen, fußt Petrarea
theils auf dem Alterthum, am meiſten aber auf der freien Anſchaunng,
vie fein Geiſt ſich errungen. Schon gebildete Römer wie Cicero ſah
er über die Superſtition des Pöbels ſich hinwegſetzen; Auguſtinus hatte
mit philoſophiſchen und dogmatiſchen Gründen dagegen geeifert.) Den
Angurien und Prodigien, von denen er im Livius las, Glauben zu
ſchenken, war Petrarca nicht verſucht; die an ſie gelegte Kritik ſchärfte
ſeinen Geift gegen jeden ähnlichen Hokuspokus, der ihm im täglichen
Leben entgegentrat. Selbſt das Gebiet der Ahnungen und Träume
wies er mit rationellen Gründen zurück. Als ihm ſelbſt einſt in Traume
fein theuerſter Freund, der Biſchof von Lombds, in der Bläſſe des
Todes erſchien und er nach 25 Tagen die Beſtätigung dieſer Viſion er⸗
fuhr, wollte er doch an Träume nicht glauben und meinte, es ergehe ihm
wie Cicero, dem auch durch Zufall ein Traum eingetroffen. So be⸗
diente er ſich nur des geſunden Menſchenverſtandes, der ſich aus den
täglichen Erfahrungen eine Lebensphiloſophie abſtrahirt, um die geheim⸗
nißvolle Gaunerei und die e klar zu W Dieſe
) Perarea wieberhelt ihre 6 ver. famil, II, 8.
42 I. Petrarca gegen bie Aſtrolatzen, gegen die Aunzte.
Aſtrologen, eifert er, willen nicht, was am Himmel vorgeht, fie Fink
nur unverſchämt genug, dieſes Wiſſen vorzugeben, und frech müſſen fie
in ihren Lügen ſein, um ſich in Reſpect zu erhalten. Sie reden Dinge,
die nur Gott weiß, und ſchwatzen lieber Unſinn, ehe ſie ihre Unwiffenheit
eingeſtehen. Tüchtige Menſchen, beſonders aber ſolche, die ſich einer
wiſſenſchaftlichen Bildung rühmen, ſollten ſich ſchämen, ihrer Windben⸗
teleien zu achten und ſich darum zu kümmern, ob ſie zum Beiſpiel aus
einer langedauernden CTonjunctur zwifchen Mars und Saturn ein gro⸗
ßetz Unheil weiſſagen. Nur thörichtes Volk hängt immer von dem ab,
was die Zukunft in ſich trägt. Es waltet Einer über den Sternen
wie über den Menſchen, aus ſeiner gerechten Hand haben wir unſer
Schickfal zu erwarten und hinzunehmen; ſo lehrt die Schrift. Ein
unverdientes und blindes Geſchick giebt es nicht. — Mit beſonderm
Triumph erzählt Petrarca von einem alten mailändiſchen Hofaſtrologen,
den er einſt zu dem Geſtändniſſe gebracht, er denke darüber im Grunde
nicht anders wie Petrarca auch, doch müſſe er einmal mit feiner Kunſt
ſein Leben friſten.)
Von den Aſtrologen, deren ganze Wiſſenſchaft eine Charlatanevie
war, führte der nächſte Schritt zu den Aerzten, die ſich in der That
nicht minder als Charlatans zeigten. Petrarca war noch jung und voll
ſchwellenden Stolzes, als er ſeine erſte Lanze gegen die mediciniſche
Kunſt brach, und auch dieſen Kampf hat er dann unermüdlich bis in
fein hohes Alter fortgeführt. Gern ſtellt er die Sache jo dar, als fei
er zuerſt durch Aerzte, die von der Poeſie mit Geringſchätzung geſpro⸗
chen, gereizt worden. In der That aber knüpfte er ſelbſt die Fehde au.
Während einer Krankheit des Papſtes Clemens VI. richtete er an dieſen
ans freien Stücken einen Brief, in welchem er ihn vor den Aerzten als
umwifienden Betrügern warnte.) Ein päpſtlicher Leibarzt fand es albern,
daß Petrarca ſich in eine Sache miſche, von der er doch nichts ver⸗
ſtehe; der Dichter möge bei ſeinem Lügenhandwerk bleiben. Gegen ihn
richtete Petrarca jene vier Bücher Invectiven, die zugleich als das erſte
moderne Erzeugniß dieſer Gattung au Beachtung verdienen.) Er
) De reined. utr. fortune Lib. I. dial. 111. 112; epist. rer. sewil. I, .
* 1. ot l.
9 Epist. rer. senil. XII, 2. vom 12. März 1352; xv, 3.
) Libri IV Invectivarım contra medicum quendam (Opp. p. 1200— 1233).
Sie datiren: Mailand den 12. Juli 1853. of. Mehus vita Ambr. Travers.
p. .
I. Petrarea gegen die Terzte. 13
nahm die erste mit Gründen, die wir oben dargelegt, in Gchatz, une
priff dafür die ärztliche Praxis mit fo beißendem Spott an, daß er ſelbſt
wenigſtens ſich ſchmeichelte, den Gegner „für alle Gwigleiten zerfleischt
zu haben. Mit ſcharfem Sinn hatte er wirklich das Lächerliche im
Benehmen der Aerzte herausgefunden, ihr Geſchwätz über den Pula,
die Säfte, die kritiſchen Tage, über die Wunderkraft ihrer unzähligen
Heilmittel. Er war ſchon damals berühmt genng, um durch feine
kecken Angriffe Aufſehen zu erregen. Zu Avignon gerieth er oft mit
den Leibärzten des Papſtes und der Cardinäle in Streit und immer
vergalten ihm dieſe mit mißachtenden Aeußerungen über feine. Kunſt,
die Poeſie. Je mehr man ihn reizte, deſto ſchärfer wurde feine Anſicht
von der Arzeneikunde. Er bethätigte fie nun auch im Leben und pres
digte ſie in ſeinen Schriften mit einer Vorliebe, die faſt ſchon Sonderbar⸗
keit iſt. Noch als Greis, als er in der That ein wenig gebrechlich wurde,
rühmte er ſich gern, wie er die Aerzte von feiner Schwelle fern halte -
oder wenn er fie aus Rückſichten zulaſſen müſſe, ihre Verordnungen
nicht befolge. ) Sie wiverriethen ihm den Genuß des kalten Quell⸗
waſſers und des rohen Obſtes, der ihm gerade behagte, ſie erklärten
fein übermäßiges Faſten für nachtheilig, obwohl hier die Gefahr zuver⸗
Kfig nicht fo groß war, als er die Welt glauben machte. Er blieb bei
ſeiner Lebensweiſe geſund und rüſtig und lachte ihrer Mahnungen.
Mit Behagen pflegte er zu erzählen, wie ihm einſt bei einer Krankheit
die Aerzte geweiffagt, er werde um Mitternacht ſterben, und wie ſie
3 am Morgen wiederkehrend, vergnügt an feinem NS ge
2
funden.)
Doch weientlicher als fein perſönliches Verhalten, bei Kali nie
deſtens fo viel Laune als Ueberzeugung war, find uns die Gründe, die
er gegen das Treiben der Aerzte vorbringt. Von ihrer Wiſſenſchaft
verſtand er allerdings nichts, aber es war ihm doch klar, daß ſie bis
jetzt eben keine ſei und ſich entweder ihrer Unfähigkeit beſcheiven ober
tiuſt ganz andre Bahnen ſuchen müſſe. Er war auch in dieſem Fache
der erſte, der mit Unglauben an das alte Syſtem klopfte; darum ge
bührt ihm in der Geſchichte der Mediein ein ehrenvollerer Platz als
manchem geiſtvollen Erfinder neuer Qualen und unſeliger Mordeunren.
Am reinſten ſpricht er ſich aus, wenn er nicht im Tone des Spottes
9 A et. rer. Seni KEV, G. et al.
2) Epist. rer. senil. XIII, 8. XIV, 14.
44 I. Petrauca gegen bie Nerzte.
uud der Polemik dem nerhuften Stande der Hurmnephheten übauhanpt
zu Leibe geht, ſondern feine Meinung einem geſchätzten Freunde, wie
dem berühmten Arzte und Phyſiker Giovanni de Dondi, mit Mäßi⸗
gung darlegt. Dann beſtreitet er keinesweges, daß es eine Wiſſenſchaft
der Mediein gebe, aber er kann nicht glauben, daß die Aerzte feiner
Zeit oder ihre Vorgänger im Beſitze derſelben geweſen. Solbſt vie
Alten, meint er, helfen hier nicht aus; den wie eigentlich Hippokrates
geheilt habe, wiſſen wir nicht, dem Galenos aber ſei als einem Pvahler
nicht zu trauen und überhaupt können die griechiſchen Aerzte Kranken
eins andern Landes, deren Natur auch eine andre ſei, nicht helfen.
Die arabiſchen ſcheinen ihm die vollſte Verachtung zu verdienen. Fin⸗
den unn ſelbſt die Heilkünſtler des Alterthums keine Gnade vor ihm,
woher ſollten die modernen ihr Wiſſen haben? Sie ſtehen ihm den
Aſtrologen ganz nahe, treiben ein betrügeriſches und noch dazu ſchmutzi⸗
ges Gewerbe und ſind allzumal Charlatans, fie müßten denn ihre Un⸗
mifſenhett eingeſtehen. Sie mißbrauchen die Leichtgläubigkeit und vie
Lebeusluſt der dummen Menge, welche ihre geheimnißvollen Mienen
und Worte refpecktet und die kauderwelſchen Namen ihrer Gifte als
auiechifche Weisheit verehrt. Wenn fie die Apheriemen des Hippokra⸗
tes citiren, die. fie nicht verſtehen, thun fie in ihrer Anmaßung, als
hatten ſie den Himmel unter ihren Füßen und als lägen die Geheimm⸗
niſfe der Natur vor ihnen offen. Selbſt an ihre Erfahrung well Pe⸗
trarsa nicht glauben, weil das Wirken der Natur allzu tief und ver-
borgen ſei. Auch ſcheint es ihm gegen Philofophie und Religion, über
der Erhaltung des Lebens allzu ängſtlich zu wachen; der Natur. gemäß
müſſe man leben und wo ſie nicht ausreicht, auf Gott vertranen, nicht
auf Hippokrates, am wenigſten auf feine unwiſſenden Schüler, die *
ihr Morden noch hohen Lohn verlangen.) |
Nebſt der Medicin waren die Rechte das eigentliche Brodſtudium und
Shen das hätte Petrarea vermocht, von der Wolkenhöhe der Philosophie
mit. Verachtung auf fie herabzuſehen. Daß er ſelbſt ſieben Jahre lang
dem Rechts ſtudium obgelegen, wenn auch unter Zwang und Widerwillen,
. man 8 . . an. Die Abneigung und in Golge
) Episte rer. senil. XII, 1. 2. V, 4. xv, 3. es al. ae Wanferungen Pete
über die mediciniſche Wiſſenſchaft und die Aerzte findet man in Reihe und Glied ge
ſtellt, wodurch fie freilich ein allzu methodiſches Anſehen erhalten, in einem Auſſatze
von Henſchel (Janus. Zeitschrift für Gesch. und Literatur der Medici Ba. I.
Breslau, 1846. S. 183 fl.)
I. Petrarea und das Ins. Sein Kampf gegen bie Schulpkilefopfe: 45
derſelben das tiefere Bewußtſein ſeines humaniſtiſchen Berufes ſchen
die einzige Frucht jener oklademiſchen Jahre. Dennoch iſt er mit der
Rechts disciplin und mit den Juriſten noch glimpflicher umgegangen als
mit der Medpiein und den Aerzten. Entweder war ihm das Andemen
an jene Jahre der Zwangsarbeit ſo zuwider, daß er an ſie nicht den⸗
ken mochte, oder er kam mit ſeiner Anſicht nicht ins Reine. Denn
das bürgerliche Recht Italiens, wie auch entſtellt, war doch immer
eine auf dem Alterthum ruhende Disciplin, und das bürgerliche Leben
konnte der richterlichen Entſcheidungen nicht entbehren. Petrarca iſt in
dieſes Gebiet nicht ſonderlich tief eingedrungen. Er vermochte uicht
die geſchichtliche Auffaſſung von der Praxis zu trennen und ſich wieder⸗
um den nothwendigen Zuſammenhang beider zu verdeutlichen. Er ſtieß
ſich ſofort an der täglichen Erfahrung, die er mit der Moral im Ge⸗
genſatze ſah. Er fand, daß der Gebrauch des Rechtes durch die Nichis⸗
würdigleit der Menſchen geſchändet werde, er wollte das menſchliche
Recht geübt fehen, welches die alten Philoſophen gelehrt. Nur mit
wenigen Fingerzeigen hat er hier auf ein Feld der Polemik .
welches von ſeinen Nachfolgern reichlichſt ausgebeutet wurde. N
Am ſchärfſten mußte der Humanismus feinem Widerſpiel, der
ſcholaſtiſchen Methode, entgegentreten, wo er ſie losgelöſet van Leben
und Anwendung, in ihrer abſtracten Form, als Philoſophie antraf.
Bis zu dieſem Kern drang Petrarca erſt allmählig, indem die mit dem
Leben verknüpften Wiſſenſchaften ihn zuerſt reizten und ſeine ankämpfende
Kraft übten. Bildete aber die Dülektik ſtets die Waffe feiner Gegner;
ſo mußte entweder auch er ſie führen lernen oder ſie dem Feinde aus
der Hand ſchlagen. Mit Hülfe feiner wohlgeübten Rhetorik glaubte
er letzteres zu vermögen. Die Dialektik, erklärte er, möge eine vor⸗
treffliche Uebung für den jugendlichen Geift fein, gleichwie das Kind
ſeine Körperkraft zuerſt im Spiele übe, ſie ſei der Weg, nicht das Ziel,
ein alter Syllogismenkrämer aber höchſt lächerlich. In der That war
ein ſolcher gegen ihn aufgetreten und hatte die Poeſie und Rhetoril
für die unnützeſten aller Künſte erklärt.) Der Krieg Petrarca's gegen
die ganze Discipkin war dadurch entzündet. Fortan fühlte er ſich als
einen Sokrates, der das Treiben der Sophiſten enthüllte. In den
gefeierten Kathederphiloſophen ſah er nur noch Narren, die unter einem
geſchwätzigen Spiel mit Worten grau werden und dabei der en
') Epist. rer. mil 1. 6. 9. 11.
46 I. Pererea'e Kempf gegen vie Schulpyilsſaphie und Arihstrbes.
welche durch die Worte bezeichnet werden, ganz vergeſſen, die ſich mit
ihren unfruchtbaren Speculationen und Disputationen eitel und hof⸗
fährtig in leeren Kreiſen herumdrehen und nur vom dummen Volle
angeſtaunt werden.) Die wahre Philoſophie werde beſcheiden anfixe-
ten und den Weg zum Heile weiſen; nicht hohle Begriffe, ſondern der
fittliche Menſch und das Leben ſeien ihr Gegenſtand, fie. führe den
Weiſen zum Hafen des höheren Lebens.) Es iſt, wie man ſteht, die
Moral, in die ihm alle Philoſophie aufgeht.
Der Schild, den ſeine Gegner ihm ſofort entgegenhielten, war
natürlich Ariſtoteles, ein gefeierter Name, dem noch niemand feine hr:
furcht zu verweigern gewagt. Petrarca, der Verehrer des Alterihums,
wurde hier durch das Alterthum ſelbſt aus dem Felde geſchlagen. Ge
iſt höchſt anziehend zu beobachten, wie er um dieſen Einwurf herum⸗
zukommen ſucht und wie er endlich kühn dem hehren Namen mit
einem andern hehren Namen entgegentritt. In jenen Jünglingsfahren
nämlich, als er feine Invectiven gegen die Aerzte ſchrieb, beſchulvigte
er feine Gegner einfach, den Ariſtoteles nicht zu verſtehen und zu ale
deuten. Er kannte ihn aber felbft nur in derſelben verderbten Geſtalt
wie ſie und hat ſich zuverläſſig, ſeitdem er der Hochſchule entlaufen,
nie wieder mit der vort üblichen Philoſophie beichäftigt. Doch wüßte
er, vaß die Handbücher eben nicht den reinen Ariſtoteles, ſondern nur
eine Verarbeitung enthielten, deren unzählige Zuſätzt und Umſchreibun⸗
gen von dem alten Autor kaum noch eine Spur erkennen ließen. Er
wußte ferner, daß arabiſche und jüwiſche Commentatoren, zumal Awer⸗
roes, dabei thätig geweſen, und das war genug für feine Galle; wenn
er dachte ſogleich an die arabiſchen Aerzie, an wilde Heiden, hartanckige
Juden, wüthende Verfolger Chriſti und dergleichen. Mit der Zeit
mußte der ihm kaum bekannte Ariſtoteles unter dem Haſſe mitleiden,
den er gegen den ihm ganz unbekannten Averroes hegte, nur ſprach er
von jenem noch mit Zurückhaltung, während er auf Araber, Averroiſten
und Ariſtoteliker ſchon gewohnheitsmäßig eiferte und ſchmähte. Dabei
mußte er ſich im Stillen geſtehen, daß auch diejenigen Schriften des
Awiſtoteles, die er in unmittelbarer, wenn auch der Untreue ſehr ver⸗
mächtiger Ueberſetzung las, ihn nicht im mindeſten anzogen. Wie un⸗
) De remed. utr. fort. Prasfat. (Opp. p. 2); de oantemptu mundi Dial. I
(Opp. p- 379) et al.
) Invect. e. medicum Lib. II (Opp. p. 2212) Aehuliches an ä Stellen
dieſer Schrift.
I. Beiropen und Ariſtoteles. 47
ſicher er ſich fühlte, wie es ihn drängte, feine ganze Meinung über
Ariſtoteles herauszuſagen und wie er doch Scheu trug, dem ehrwürdi⸗
gen Alten zu nahe zu treten, zeigt am deutlichſten die Schrift „über
ſeine und vieler Anderer Unwiſſenheit“, die gegen eine Secte gerichtet
iſt, in welcher Ariſtoteles wie ein Gott verehrt wurde. In dieſer
Schrift wechſelt Petrarca zweimal ſeinen Standpunct. Er erzählt uns,
wie er ſich bisher geholfen habe, wenn ſeine Gegner in der Disputa⸗
tion einen ariſtoteliſchen Satz wie ein heiliges Axiom hingeſtellt: er
ſuchte nämlich entweder mit einem Scherz die Unterhaltung darüber
hinwegzuleiten oder er ſagte beſchönigend, Ariſtoteles ſei zwar ein gro⸗
ßer Mann von vielen Kenntniſſen, aber doch ein Menſch geweſen und
habe deshalb Vieles nicht gewußt.) Weil dann ſeine Gegner, Logiker
vom reinſten Waſſer, die Eloquenz als eines Mannes der Wiſſenſchaft
unwürdig erklärten und ſelbſt bereit waren, fie dem Ariſtoteles, finde
fie ſich an ihm, als Nachtheil anzurechnen, fo erklärt Petrarca den
Stagiriten plötzlich für ſüß und. wohltönend und nur durch feine ge⸗
ſchmackloſen Jünger ins Unfeine und Rauhe entſtellt.) Endlich aber,
nachdem er ſich im Fortſchreiben an ſeinen Gegnern tüchtig eingeärgert,
bricht er doch mit ſeiner wahren Meinung heraus. Er wolle wegen
der Zeugniſſe der Alten, zumal des Cicero, immerhin glauben, daß ſich
Ariſtoteles in ſeiner eigenen Sprache licht⸗ und ſchmuckvoll leſen möge,
aber er müſſe geſtehen, daß ihn der Stil ſeiner Werke, wie ſie nor
ihm lägen, nicht ſehr ergötze. Auch lehre Ariſtoteles wohl, was Tu⸗
gend ſei, aber er lehre nicht mit dem feurigen Eifer eines Gicern oder
Kane die Tugend lieben und das Laſter haſſen. Wohl wiſſe er, daß
die Ariſtoteliker ihn wegen dieſer kühnen Aeußerung verketzeru würden,
eber er müſſe fie herausſagen.)
An einer andern Stelle ſeiner Schriften ſpricht er ſich noch rüd-
beltiofer über Ariſtoteles aus. Er will es wagen, dem »wüthenden
Haufen“ der Verehrer des Ariſtoteles entgegenzutreten und »dem all⸗
gemeinen Irrthum nicht ſtill zu folgen“: an der Größe feines Geiſtes
könne man nicht zweifeln, wohl aber an ſeiner Beredtſamkeit; in den⸗
jenigen Büchern wenigſtens, die auf uns gekommen, finde ſich „leine
Spur von Wohlredenheit.“)
1) De sui ipsius et multorum (s. aliorum) ignorantia (Opp. p. 1149).
) Dulcis ac suavis, sed ab his scaber factus Aristoteles. ibid. p. 1143.
3) ibid. p. 1159.
) Rer. 3 Lib. I (Opp. p. 466).
48 I. Petrarca und Platon.
Ein ſolches Wort macht in der Geſchichte der Wifjenfchaften
Epoche, wie eine Völkerſchlacht in der Geſchichte der Staaten. Pe⸗
trarca trat damit nicht nur einem einzelnen Gegner oder einer beſon⸗
dern Schule, ſondern einer ſeit Jahrhunderten geläufigen und von
niemand noch angefochtenen Autorität entgegen. Der Schlag traf
nicht Ariſtoteles allein, zugleich auch die Kirche, das mittelalterliche
Syſtem. |
Als Gegengewicht hob Petrarca nun den Platon empor. Hiebei
war noch weniger Kenntniß und faſt Alles bloßer Inſtinct. Bei den
Ariſtotelikern ſtand Platon in ſehr geringer Achtung oder vielmehr in fo
geringer Kenntniß, daß ſie der Meinung waren, er habe gleich Pytha⸗
goras nichts oder doch nur ein paar unbedeutende Werke geſchrieben.
Petrarca beſaß etwa ſechszehn ſeiner Schriften, aber es waren griechiſche
Exemplare, die gleich ſibylliniſchen Büchern in ſeiner Bibliothek ſtanden.)
Boccaccio hat ſich einmal an ihre Ueberſetzung wagen wollen, bald aber
eingeſehen, daß der fromme Wunſch noch nicht das Können ſei. Folg⸗
lich war auch Petrarca's Vorſtellung von dem großen Athener eine
äußerſt dunkle und ſkizzenhafte. Er wußte nicht viel mehr von ihm,
als daß die Scholaſtiker auf ihn zu ſchmähen pflegten — ſchon ein
weſentlich zu ſeinen Gunſten ſprechendes Argument — daß Cicero,
Seneca, Apulejus, Plotinus, auch Ambroſius und Auguſtinus ihn hoch
gehalten, daß er ſchon im Alterthum den Beinamen des Göttlichen ge⸗
führt.) Aber das iſt ihm genügend. Will er auch einmal ſich nicht
zum Richter darüber aufwerfen, ob Ariſtoteles oder Platon größer ſei,)
ſo iſt doch dieſe Frage bei ihm längſt entſchieden. Er nennt Platon
bei andern Gelegenheiten geradezu den erſten der Philoſophen, erkennt
ihm den Principat zu, iſt von dem „göttlichen Redeſtrom“ feiner. Werke
überzeugt und ſchilt die Kathederphiloſophen, die ſeinem Lobe wider⸗
ſprechen, ein plebejiſches und kleinkrämeriſches Volk.) Ja ſogar den
neueren Griechen, die ſich ſonſt wenig ſeiner Hochachtung erfreuen, will
er beiſtimmen, wenn ſie Ariſtoteles ſeiner reichen Kenntniſſe wegen ach⸗
ten, Platon aber wegen der Hoheit ſeines Geiſtes als den Göttlichen
bewundern.) |
) De sui ips. et mult. ignorant. (Opp. p. 1162).
) Epist. rer. variar. 21.
De sul ips. et mult. ignorant. (Opp. p. 1161). f
) Epist. rer, variar. 21; famil. IV, 9. Rer. memorand, Lib. I (Opp. p. 452).
) Rer. memorand. Lib. I (Opp. p. 463).
I. Petrarca und Platon. Seine Stellung zur Kirche. 49
Auch hier iſt das, was uns überraſcht, nicht Petrarca's Urtheil,
welches er doch allzu dürftig begründet, es iſt vielmehr die Gabe der
Divination, die geniale Wegweiſung. Es bedurfte eines Jahrhunderts,
um den Kampf, den Ariſtoteles und Platon um die Hegemonie der
Geiſter führen ſollten, auf das Feld der wiſſenſchaftlichen Kunde zu
übertragen, dann verging etwa noch ein halbes Jahrhundert und der
Sieg Platons war entſchieden. War es für's Erſte nur von Bedeu⸗
tung, daß durch das Hervorheben Platons die Autorität des Ariſtote⸗
les deſto mächtiger erſchüttert wurde, ſo müſſen wir doch gleich hier
eine andre, wenngleich viel ſpätere Folge ins Auge faſſen. Während
Ariſtoteles eine Stütze der Kirche geworden war, indem ſeine dialektiſche
Methode, tauſendfach mit ihrem Dogma verſchlungen, demſelben Feſtig⸗
keit und Einheit gab, erhob ſich dagegen der Platonismus auf ſelbſt⸗
ſtändigen Grundlagen neben der Kirche und wurde, wie man ihn trieb,
zu einer Theoſophie, die durch myſtiſchen Zauber und als ſtolze Lehre
für Auserwählte gefährlich genug der Theologie und dem Glauben ge⸗
genübertrat.
Wie glich ſich denn dieſer Gegenſatz, des Humanismus nämlich,
der freien Kraft, die Alles aus eigenem Buſen ſchaffen will, und des
firchlichen Glaubens, der als Poſtulat an den Menſchen tritt, wie glich
er ſich in Petrarca's Seele aus? Seine Stellung zur Kirche, zur Theo⸗
logie und zum Glauben iſt keine einfache, in ihr liegt der Angelpunct
ſeines Geiſteslebens, ſie führt uns am tiefſten in das Verſtändniß ſei⸗
ner Perſönlichkeit. In andern Puncten werden wir oft finden, wie
Petrarca der Typus und Pfadweiſer für die ihm nachfolgenden Huma⸗
niſtenſchulen war; das iſt er in dieſem Puncte nicht oder er iſt es viel⸗
mehr in einem ungleich höheren und weitgreifenderen Sinne.
In jenen jüngeren Jahren, als der Wohllaut der tullianiſchen
Sprache und das im Helldunkel des Heroismus ſchimmernde Alterthum
ihn noch völlig beherrſchten, war er wenig verſucht, ſich um Glauben
und Kirche mehr zu kümmern als andre junge Leute, die eine Weihe
genommen, eine auskömmliche Pfründe abwarteten und das Schickſal
der Kirche ihrem unſichtbaren Lenker überließen. Aber der Ernſt der
Zeit riß auch ihn in ihr Intereſſe mit, um ſo mehr da er den Drang
fühlte, ſich hervorzuthun und als Sänger, als Vates, im Sinne der
Propheten des alten Bundes aufzutreten.
Die Zeit der avenionenſiſchen Reſidenz, der großen Peſt und aller
jener Uebel, welche damals das bürgerliche Leben und die Gemüther
Voigt, Humanismus. 4
50 I. Petrarea und die Kirche.
zerrütteten, hat ihre eigene Literatur von Klageltedern, Straſpredigten
und Weltgerichtsverkündigungen. Es herrſchte eine unheimliche religidſe
Erregung, die erſt gegen den Schluß des Jahrhunderts einer langen
und matten Gleichgüttigkeit Raum machte. Hunderte von Mönchen
ſahen den Antichrift hereinbrechen und riefen verzweifelt zur Buße, zu
Sack und Aſche auf. In dieſen Weheruf ſtimmt auch Petrarea ein,
wortreich und lamentabel wie jene Mönche, nur erfinderiſcher und ge
bildeter in der Ausdrucksweiſe. Auch er iſt unerſchöpflich, wenn er auf
die Sündhaftigkeit und das Elend ſeiner Zeit zu ſprechen kommt. Er
ſieht die Menſchheit an einem Abgrunde ſtehen, von dem ſie nur vor⸗
wärts in das allgemeine Verderben ſtürzen kann, er iſt der Prophet
eines furchtbaren Strafgerichtes, welches über die von Chriſto abgefallene
Menſchheit kommen muß, ja er bewundert die Geduld Gottes, der ſeinen
Zorn noch beſchwichtige und den großen Tag ſeiner Rache noch ver⸗
ſchiebe. Jetzt, ſagt er, ift die Zeit eines Nero und Domitianus noch
zu beneiden; denn jetzt kann man weder tugendhaft leben noch ehrenvoll
ſterben. Und muß einer die Summe der Schuld tragen, ſo iſt es der
Papſt, der nicht weilt, wo die Gräber der Apoftelfürften ſind und wo
vom Capitol aus eine Welt beherrſcht wurde. „Indem wir unſern
Fahnen folgen, werden wir verrathen und unter der Leitung unſers
Führers gehen wir ins Verderben, und wenn nicht Chriſtus noch ein⸗
mal als Rächer auftritt, iſt Alles verloren.“)
So folgt hier Petrarca einem allgemeinen Stichwort. Aber er
ift auch auf dieſem Gebiete nur der Redekünſtler, ein ſtrenger Genfer,
der aber nur um feines Amtes, nicht um der Sache willen eifert.
Man darf nur einige Seiten ſeines Lebenswandels mit ſeinen Worten
in Vergleich ſtellen. Gern rügt er mit ernſter Miene oder mit witzi⸗
gem Spott) das liederliche Leben der Kleriker und Mönche, und
doch hatte er ſelbſt eine Weihe empfangen und bezeichnete ſich als Prie⸗
fter, ohne die in der Theorie verehrte Enthaltſamkeit im Leben zu be⸗
währen. Gegen Schein und Heuchelei hat er tüchtig geeifert, aber feine
Gebete und Faſten nicht ohne Eitelleit zur Schau getragen. Wie ft
) Die Briefe ohne Adreſſe find vorzugsweiſe dem Weherufe gewidmet (vergl.
befonders epist. s. tit. 6. 7. 11. 12. 13), doch ſiuden ſich ähnliche Eppectorationen
ziemlich in allen Werken Petrarca's, z. B. epist. famil. II, 10: Sed, ut res ennt,
indies pejorg conjicio, quamvis jam pejora vix possim.
„) So iſt z. B. die epist. s. tit. 18. erzählte Geſchichte von dem alten verbuhl⸗
ten Cardinal der Facetien Poggio's ganz würdig.
T. Petravea end Anzuſtinus. | 51
verſichert er uns, daß er ein gläwbiger Shrift ſei und ſein wolle, und
duch konnte er den heivniſchen Philoſophen, den das Alterthum gebildet,
nummer derlengnen.
Noch zu verſelben Zeit, in weicher Cicero und Virgilius feine
verehrten Idole waren, fielen Petrarca die Bekenntniſſe des Auguſtinus
in die Hände. In der That ein wunderbares Buch, dieſe Confeſſionen!
Der Nhetor, der auf ſein blühendes Wort vertraut und für feine Kunſt
eine Bühne ſucht, ſtößt hier zuſammen mit dem Chriſten, der nichts
darch ſich, Alles uur durch die Gnade Gottes fein will. Etwas, düult
uns, von dem Hange, der Auguſtinus zum Schauſpielen zog, hat ihn
verleitet, fein Herz zur Bühne zu machen und vor einem Publicum
feine Couverſion darzuſtellen. tel und ſelbſtgefällig, fo lange er das
Leben als ein geiſtreicher Heide genoß, läßt er die rhetoriſche Verbil⸗
dung auch dann noch verſpüren, als er fi in das Meer der Gnade
ſtürzte und mit pathetiſchem Entzücken die Empfindung der tiefften
Demuth genoß. Er konnte nicht mehr zur Einfalt und Einheit ves
Weiens zurücklehren. So ſteht dieſer denkwürdige Menſch an einer Greuz-
ſchewe gleich Peitavca, beide find rückwärts⸗ und vorwärtsſchauende
Nannsgeſtulten, beide fefjeln uns durch vas Bild des ringenden und
kenipfenden Merſchen, der werden möchte wie ein Kind und doch 8
bertanenhen gleich einer Kette mit ich fchleppen unß.
Wir verſtehen nun wohl, was Petrarca an diefem Buche ber
Confeffionen fo mächtig anzog, warum es in ihm gährt und glüht,
wenn er von Auguſtinus ſpricht. Er empfand die verwandte Natur
wo: ſah in ihrem Spiegel ſein eigenes Bild; er fühlte, daß auch in
im dieſelben lemente ſchliefen und zum Kampfe erwachen mußten.
In der That ſtand er keinem Menſchen fo nahe als dieſem Kirchen⸗
lehrer, der ein Jahrtauſend vor ihm gelebt. Gern nennt er ihn: mein
Auguſtiuns. Im Stolze des Ciceronianers hatte er die Leuchten der
Arche, im Selbſtgefüchl des Dichters den Chriſten bis dahin wenig
leuchtet.“) Ans dirfem Buche hörte er den Menſchen zum Menſchen
reden und an das: Tiefiunerſte pochen, was er ſelber in feinem Buſen
barg; Heilige Empfindungen ſah er gepaart mit quellender, oft hin⸗
weißender Begemkeit. Ee wurde das Buch feines Herzens, viefts
) Bpist, rer. senil. XV, 1: Nondun sane sanctorum Aibros eee; 5
errore coecus et typo tumidus Beta, ae
4*
52 I. Petrarca und die Theologie. Die Averroiſten.
„thränenfeuchte“ Buch der Confeſſionen.) Er hatte feinen geiſtlichen
Helden gefunden, den er nun ſofort zu einem neuen Idole machte und
mit deſſen Cultus er ſich recht vor die Augen der Welt drängte, gleich⸗
wie er im weltlichen Gebiete feine auf Scipio Africamts gefalleue Lieb⸗
lingswahl bis ins Abgeſchmackte verfolgte. Aber vüllig neu war doch
dieſe Auffaffung eines Schriftſtellers der Kirche. An den Claſſikern
hatte Petrarca wieder gelernt, einen Autor leſen, aus deſſen Büchern
man bisher nur einzelne Stellen geriſſen, um ſie gepaart etwa mit
Thomas von Aquino's und Lyra's Gloſſen zur ſchulmäßigen N
zu verwenden.
Petrarca iſt ferner der erſte, der zwiſchen der Religion or,
wie fie in den Schriften des neuen Bundes, den Werken eines Hiero⸗
nymus und Lactantius, vor Allen aber feines geliebten Auguſtinus ge⸗
lehrt wird, auf der einen und der neueren Theologie auf der andern
Seite eine ſcharfe Scheidelinie zieht. Der ſcholaſtiſche Theolog ſteht ihm
nicht höher als der ſcholaſtiſche Philoſoph und Juriſt. Den heiligen Na⸗
men der Theologie, ſagt er, den einſt würdige Bekenner geziert, entehren
jetzt profane und geſchwätzige Dialektiler, daher dieſe Maſſe un brauchbarer
Magiſter.) Ihre Gelehrſamkeit flößt ihm nicht die mindeſte Ehrfurcht
ein und ebenſowenig iſt er für mönchiſchen Spuk empfänglich; denn
jene entbehren der Weisheit des Alterthums und dieſem widerſpricht
die Philoſophie der Römer. Wenn Petrarca dennoch als Apologet des
eee nicht geringen Ruhm erlangt, ſo müſſen wir die .
legenheit und die Motive mit in Betrachtung ziehen.
Eben zu feiner Zeit hatte die ſcholaſtiſche Philoſophie einen wan
derlichen Auswuchs getrieben und eine Schule erzengt, die der hum
niſtiſchen ſchroff entgegenſtand und den Vater des Humanismus an ſich
zum Kampfe herausforderte. Leider kennen wir biefe wiſſenſchaftliehr
Secte nur aus Petrarca's Schilderung, und dieſer hebt als ihr Gegwer
allein die negativen und anftößigen Lehren hervor. In Venedig lernte
er fie (etwa 1366) kennen, viel weiter verbreitet war fie jedeufalla,
aber herrſchend oder auch nur auf den Hochſchulen populär wer fie
ebenſo gewiß nicht. Ihre Tendenzen waren au ſich nur Wenigen zu⸗
gänglich, bie Mitglieder ſcheinen eine Art Gehrimband gebildet zu be
) Epist. rer. variar. 29. nennt er Augustini scatentes lacrymis Confessio-
num libros, de quibus quidam ridiculi homines ridere solent.
) De remedio utr. fortunae Lib. I. dial. 46.
I. Die Secte der Anerzsiften. 53
ben, der entwener nur durch ſtilles Einverſtändniß und gewiſſe Stich⸗
werte zuſammenhielt oder auch in ſeiner Berzweigung und feiner Stellung
neben der Kirche an das Freimaurer und Logenweſen wenigſtens er⸗
innern mag, wenn wir auch den behaupteten Zuſammenhang zwiſchen
Awerroiſten und Freimaurern deshalb nicht vertheidigen wollen. Von
einem Ausläufer dieſer Secte, der in Florenz fein Weſen trieb, N
ken wir noch zu ſprechen.
Es waren die „modernen Philoſophen“, „die Bekenner einer neuen
geheimeren Weisheit“, eine Geſellſchaft von Freigeiſtern. Im Stolze
anf ihre dialektiſche Kunſt erklärten fie nämlich jeden Autoritätsglauben
ſür einen Nothbehelf ſchwacher Seelen. Sie ſtellten den Geiſt möglichſt
auf den Geiſt allein, wieſen alle Vorausſetzungen zurück außer denen,
welche die finnliche Wahrnehmung und die Logik aufſtellen, und trium⸗
phirten nur in ſolchen Reſultaten, die fie dem abſoluten Denken zu
verdanlen meinten. Es war alſo, wenn wir recht ſehen, die ſcho⸗
laſtiſche Methode, die ſich von allem Stofflichen und von jeder Zucht,
auch der kirchlichen, loszumachen ſtrebte, um auf eigene Hand als
Wiſſenſchaft, als eigentliche Philoſophie aufzutreten. Wie aber gemein⸗
hin die eine Autorität nur bei Seite geſchoben wird, um eine andre
an ihre Stelle zu ſetzen, ſo wurde Ariſtoteles von dieſer Schule wie
dur Prophet und ſeine Commentatoren, zumal Averroes, wie die Evan⸗
geliſten verehrt. Die Naturwiſſenſchaften, inſofern ſie auf der reinen
Empirie beruhen, gaben häufig den Stoff zu Disputationen, aber ſtatt
den eigenen Augen zu vertrauen, ging man doch auch hier auf Ariſto⸗
wles und die Araber zurück und ſtritt ſich, dürfen wir Petrarca als
einem Gegner der Secte glauben, mit großem Ernſt über die unphilo⸗
ſaphiſcheſten Probleme, zum Beiſpiel wie viele Mähnenhaare der Löwe oder
wie viele Federn der Habicht im Schwanze habe, wie ſich die Elephan⸗
ten begatten, ob wirklich der Krokodil das einzige Thier ſei, welches
die obere Kinnlade bewegen könne, ob wirklich der Phönix in die aro⸗
matiſchen ä ſtürze und aus der Aſche neu geboren werde und
dergleichen.
Auch gegen das Chriſtenthum ſtellten ſich dieſe Philosophen ganz
ſalbſrſtändig obwohl ſie, verſtehen wir eine Andeutung Petrarca's recht,
zum großen Theil Mönche waren. Doch war dieſe Selbſtſtändigkeit
ſchon eine Oppoſition, nur daß ſie nicht laut zu werden wagte und ſich
damit begnügte, im Gefühl der Ueberlegenheit die gläubige Menge zu
verachten. War in dieſem Kretſe von Chriſto, den Apoſteln und dem
54 I. Petrares und die Awverrviſten.
Evangelium die Rede, fo gab es entweder frivole Scherze oder man
bezeugte ſich durch Lächeln und ſtumme Winke das ſtolge Wiumerftäntd
niß. Bei öffentlichen Dispatationen pflegte man n es
werde jetzt „abgeſehen vom Glauben“ geſprochen.
Weil Petrarea als der Großgeiſt feiner. Zeit verehrt werde und
auch dieſe Dialektiler ſich auf der Höhe derſelben fühlten, glaubten Fe
nicht anders, als er müſſe im Stillen mit ihnen einverſtanden ſein,
und einige, die ohnehin mit ihm befreundet waren, nahten ſich im mit
dieſer Vorausſetzung. Auch wollten fie wohl, gleich allen Sectirern, un⸗
ter angefehenen und gefeierten Männern Propaganva machen. Doch eben
das brachte Petrarca ihrer Gemeinſchaft um ſo ferner. Er hatte ſich
immer als ein Individnum angeſehen, das allein und ohne gleichen da⸗
ſtand. Nicht nur feine Gelehrſamkeit war einzig und über jede m
fechtung erhaben, er war auch der große Weiſe feines: Jahrhunderte
und ſelbſt feine religiöfe Anſchauung theilte er mit einem Lebenden.
Was ihm fein Auguſtinus war, vavon hatten jene keine Ahnang, 10
ihr Ariſtoteles war ihm längſt zuwider. Er war überdies ein Greis
geworden; man weiß ja, wie Leute ſind, welche das Alter in ur ide
ſtimmten Meinung von ſich befeſtigt hat.
So iſt es an ſich begreiflich, daß Petrarca ven ncbermmn While
ſophen“ abhold fein mußte. Er ſagt, fe hätten üder Sokrates und
Pythagoras, über Platon und Ariſtoteles gelacht, Cicero und Seneca
verachtet, über Virgilius gefpättelt, Ambrofins, Auguſtinns und Hiere⸗
nymus für Schwätzer erklärt. Ihnen liege nichts daran, daß die mei⸗
ſten Schriften der Alten verloren gegangen find; venn fie glauben ja
ſelbſt genug und Alles zu wiſſen. Die Wohlrevenhett verachteten ſte
als wiffenſchaftlicher Menſchen unwürdig. — Wir böten hier ohne
Zweifel Aeußerungen, die gerade und nur gegen Petrarca aufpeſtellt
werden konnten, die ihn, den Schüler und Verehrer des Alterthums,
mit Geringſchätzung trafen und vermuthlich viel von ihrer abſprechenden
Schärfe erſt der Phantaftie des Beleidigten verbunden. Es ſind m
möglich entwickelte Dogmen der Secte, die doch nicht den Comenentuter
Averroes, wie Petrarca ihr dorwirft, verehren und den commentirten
Ariſtoteles verlachen kennte. Ueberdies ſagt Petraren an einer andern
Stelle ſelbſt wieder, Ariſtstekes ſei ihr Abgott, und er nem fir mit
demſelben Spott bald Ariſtoteliler bald Averroiſten. Auch reiten ſte
ihn unmittelbar perſönlich. Der Eine ſprach von den Glaubenskämpfen
des Auguſtinus wie von einer leeren Fabelet und als Petrarea ihn
I. Peiwaree und die Arrroiften. 55
deshalb wie einen Unglücklichen bemitleiden wollte, entgegnete er lächelnd:
Wie thöricht mußt du fein, wenn du wirklich fo glauben ſollteſt, wie
du ſprichſt. Ein Anderer, der ihn in ſeinem Arbeitszimmer zu Venedig
beſuchte, zeigte im Geſpräche den ganzen Uebermuth feines Unglaubens:
r nannte den Apoſtel Paulus einen albernen Schwätzer, hieß Petrarca,
der ihn in Schutz nahm, ſpöttelnd einen guten Chriſten ſein und per⸗
ficherte, en glaube von allen den Dingen der Bibel nichts. Wie viel
her ſtehe Averroes als Paulus und Auguſtinus, die unwiſſenden
Dabelmacher. In Petraxca wallte der Zorn auf, er faßte den Ketzer
beim Klelde und warf ihn zur Thüre hinaus.
Mochte jo die Geſinnung einzelner unter den abfoluten Philoſophen
in, offenbar übertrieben iſt es, wenn Petrarca verſichert, fie zeigten
fh Abarall wie ein dichter Haufen von Ameiſen, ihre Zahl wachſe täg⸗
la, ße, füllten die Städte und Schulen, fie ſeien die Richter der Wiſſen⸗
schaft. Nur weil er felbft ſich in dieſem Kampfe als ein gegen die
Pulagieher eifernder Anguſtinus fühlte, brauchte er zu demſelben auch
elne funchtbaue Schaar von Gegnern; da ex fie nicht vorfand, erſchuf
ſie ſeine Phantaſie ſich ſelber. Wie hätte die Kirche gegen ſolche Schaa⸗
sen kacket Leugner gleichgültig, wie hätte uns, wenn auch dieſe Dialek⸗
tiker nur in Disputationen, nicht in Schriften ihre Weisheit fort⸗
pflanzten, alle weitere Kunde von ihnen außer Petrarea's Bericht
vorenthalten bleiben können! |
Petrarca forderte einen jungen Philoſophen, den Auguſtinermönch
digi Marfigli auf, gegen Averroes, den „wüthenden Hand“, der Chri⸗
ſtum und den katholiſchen Glauben anbelle und ſchmähe, und⸗ gegen ſeine
modernen Jünger zu ſchreiben.) Es geſchah nicht, vielmehr haben
wir Grund zu glauben, daß Marſigli ſich zu den Gegnern fchlug.
So ergriff denn der Meiſter ſelber die Feder und verfaßte das be⸗
rühmte Werk „über ſeine eigene und vieler Anderer Unwiſſenheit“.“)
Die Tendenz iſt einfach: Petrarca bringt die chriſtliche Einfalt zu Ehren
gegen die philoſophiſche Aufgeblaſenheit. Den Philoſophen zum Trotz
ſtürzt er ſich in die kriechendſte Demuth, auf welche er dann im Grunde
viel ſtalzer iſt als ſie auf ihre dialektiſche Weisheit. Jede Seite des
) Epist. 8. tit. 20 an Marſigli. (Opp. p. 812).
) De sui ipsius et multorum (s. aliorum) ignorantia (Opp. p. 1141 8g. ).
Petrarca beendete dieſes Werk zu Arqua am 25. Juni 1370 (Mehus Vita Ambr.
Travers. p. 238). Es ift natürlich die Hauptquelle des oben Erzählten. Dazu kom⸗
men epist. rer. senil. V, 3. und XIV, 8 und einige zerſtreute Bemerkungen,
56 I. Petrarea als Apologet des Chriſtenthums.
Buches zeigt uns, wie es nicht ſowohl darauf ankommt, einem über-
müthigen Dünkel zu Leibe zu gehen und ihm die abgeriſſene Larve vor
die Füße zu werfen, als vielmehr denjenigen ihre Armſeligkeit zu wei⸗
ſen, die an feinem Ruhme zu zupfen, feinem Weisheitsprineipat
zu widerſprechen gewagt. Statt der Sache ſelbſt, in welcher Stoff
genug zur Polemik lag, hat er immer nur die kleinen Confliete im
Auge, in welche er mit einzelnen Gliedern jener Secte gerathen. Das
Motiv, welches er ihnen unterlegt und auf welches er in dieſem Werke
unermüdlich zurückkommt, iſt wahrhaft abenteuerlich und gewiß nicht
von auguſtiniſcher Demuth erfunden. Mit dem Neide nämlich glaubt
er den Krieg zu führen: aus Neid gegen ſeinen Ruhm ſuchten ihn die
ariſtoteliſchen Ketzer zu ihrer eigenen Unwiſſenheit herabzuziehen und
verſchrieen ihn als Verächter des Ariſtoteles.) Ihre Mißachtung ver
Religion und ihre Mißachtung ſeines Ruhmes erſcheinen Petrarca als
zwei Verbrechen, die ziemlich auf gleicher Stufe ſtehen. Wenn fie un⸗
ter ſich ſind, ſagt er, lachen ſie über Chriſtus und verſchreien mich
als einen Unwiſſenden, weil ich aus Gläubigkeit ihnen nicht zuſtimme.)
Faſt ſollte man nach feinen Worten glauben, die ganze Secte verdanke
nur dem neidiſchen Widerſpruch gegen ſeine Autorität ihren Urſprung
und mit ihr ſei die ganze Welt der Wiſſenſchaft gegen ihn in den
Kampf getreten.
Wo ſich Petrarca am felgen als Chriſt ie als Vertheidiger
der chriſtlichen Religion ausſpricht, da ſtachelt ihn meiſtens der Anta⸗
gonismus gegen die Averroiſten an. Er vertheidigt daher nicht die
Hoheit des Chriſtenthums im Allgemeinen, ſondern immer nur die
ſeines Chriſtenthums. „Je mehr ich gegen den Glauben Chriſti ſpre⸗
chen höre, deſto mehr liebe ich Chriſtus, deſto feſter bin ich im Glan⸗
ben Chriſti. Denn mir ergeht es wie Einem, der in der Liebe zu
ſeinem Vater matter geworden iſt; wenn er aber hört, daß gegen ihn
geſprochen wird, ſo erglüht alsbald von Neuem die Liebe, die erloſchen
ſchien, und ſo muß es ſein, wenn er ein wahrhafter Sohn iſt. Oft
haben mich, und dafür rufe ich Chriſtum ſelbſt zum Zeugen an, die
Läſterungen der Ketzer aus einem chriſtlichen Gläubigen zu einem aller⸗
chriſtlichſten gemacht. Denn jene heidniſchen Alten, wenn fie auch viel
von den göttlichen Dingen fabeln, läſtern dennoch nicht, weil ſie die
) De ignorantia p. 1142. 1143. 1158. 1164. et al.
) ibid. p. 1156.
I. Petrarca als Apologet des Chriſtenthums. 57
Erkenntniß des wahren Gottes nicht haben und Ehrift Namen niemals
hörten“. )
So hat es die verhaßte Ueberhebung ſeiner Gegner dem tämpfen⸗
den Petrarca wohl weſentlich erleichtert, ſeine irdiſche, das heißt hier
daffiiche Weisheit vor der himmliſchen zu demüthigen und in dieſer:
Demuth feinen Ruhm zu ſuchen. Geſtehen wir zu, daß er in allen.
ſeinen Schriften von der chriſtlichen Lehre mit Ehrerbietung geſprochen,
aber erſt in ſpäteren Jahren und ſeit jenen Conflicten liebte er es,
fie recht gefliſſentlich und ausdrücklich ſelbſt den heidniſchen Philoſophen
gegenüber emporzuheben. Er ruft Gott zum Zeugen an, daß er lieber
ein tugendhafter Menſch als ein Gelehrter fein wolle, er erbittet ſich.
ton ihm Demuth, Einſicht in feine Unwiſſenheit und Gebrechlichkeit,
um vor dem Hochmuth der Ariſtoteliker bewahrt zu bleiben. Einer,
ver Kleinsten, die an Gott glauben, tft ihm größer als Platon, Ariſto⸗
teles und Cicero mit aller ihrer Weisheit; denn Chriſto gegenüber find
fie nur gebrechliche Menſchen, die vielfach irren, und ihre Lehre iſt
ohne Autorität. Hielten ihm ſeine Gegner vor, er ſei ein allzu eifriger.
Eiceronianer, fo antwortet er: ja ich bin Ciceronianer, aber wo die
höchſten Wahrheiten der Religion, wo das ewige Heil in Betracht
kommt, da bin ich weder Ciceronianer noch Platoniker, ſondern Chriſt.
Auch iſt er überzeugt, daß Cicero Chriſt geworden wäre, wenn das
Evangelium an ihn hätte kommen können, gleichwie Auguſtinus kein
Bedenken trägt, daſſelbe von Platon zu behaupten. Das Chriſtenthum
iſt ihm die einzige und unerſchütterliche Grundlage aller wahren Wiſſen⸗
ſchaft, auf die allein der menſchliche Geiſt bauen darf. Das Evange⸗
lium ſoll ihm immer im Ohre klingen, auch wenn er die San
philoſophiſchen und geſchichtlichen Werke der Alten lieſt.)
Wir finden es nun erklärlich, daß ſelbſt die ſtrengen Männer des
Glanbens und der Kirche Petrarca trotz feiner Beſchäftigung mit dem
Heidenthum nicht antaſteten, vielmehr bei feinen Bewunderern ſtanden.
Auch in ſpäterer Zeit hat die Kirche den Vater des Humanismus mit
Wohlgefallen zu ihren Streitern gezählt. Abgeſehen davon, daß ein
paar ſeiner poetiſchen Epiſteln, die gegen das avenionenſiſche Papſtthum
gerichtet ſind, im Index der von der katholiſchen Kirche verbotenen
Bücher ſtehen, hat keine Inqniſition in feinem Laura⸗Cultus oder in
) ibid. p. 1151.
) ef. de . p. 1145. 1146. 1162. 1163; epist. rer. anl. VI, 2 ot al.
58 | K Petrarca als Weltweiſer. 5
feiner ſchwürmiſchen Verehrung der Alten einen Auſtoß gefunden. Wir
freilich ſehen die Sache, vom Erfolge belehrt, anders an. Jene Künſt⸗
ler des formalen Denkens, gegen die er kämpfte, haben dem Glauben
keinen weſentlichen Schaden mehr zugefügt; denn ihre Lehre konnte auch
nicht den Schein eines neuen Inhaltes bieten. Die Jünger Petrarcais
dagegen find in jener religiöſen Schen am wenigſten ihrem Meifier
gefolgt: oft haben fie, die ſprühende Fackel des Heidenthmas in der
Hand, mit der ermatteten Sonne des Glaubens zu wetteifern sera!
und nicht ſelten ſich des Sieges rühmen dürfen.
Petrarca's Auftreten gegen die Averroiſten zeigte uns bereits ein
charakteriſtiſches Stück aus dem Gewebe ſeiner Serle; wir entrollen
dieſts Gewibe ganz und finden es entſprechend. Er wollte mehr ſein
als ein gefeierter Schriftſteller, er wollte als Weltweifer hoch über ſei⸗
nem Zeitalter thronen, bewundert und verehrt wie eine Sonne, von
deren Strahlen man nicht weiß, was fie ſind und von wannen fie
kommen. Ein Gedanke von ſtaunenswerther Kühnheit und Neuheit,
auch wenn wir im voraus eingeſtehen, daß er höchſt unvolllommen
ansgrführt wurde, daß der Prophet auf ‚nen Schritte die mrenſchliche
198 zurückließ.
Petrarca bedurfte auch hier der Folie, des dunkeln S
1 5 welchen feine eigene Geſtalt deſto leuchtender abſtach. Gleichwie
er ſich jeue Averroiſten nicht bösartig und gefährlich genug voyſtellen
kbeunte, kann er auch fein Jahrhundert, die ihn umgebende Welt nicht
ſchwarz genug ausmalen. Mag er ihr nun das roſige Alterthum en
getzeuſtellen oder mag er mit den Mönchen über den allgemeinen Sün⸗
deupfuhl zetern, immer fühlt er nur ſich ſelbſt als den großen Men⸗
ſchen, der in dieſes erbärmliche und entartete Daſein gebannt ſei.
Seinem Jahrhundert zu Liebe will er nicht ſchriftſtellern und wirken,
denn ihm könne in feinem Elend nicht mehr geholfen werden. Um
„diejenigen zu vergeſſen, mit denen ein ungünſtiger Stern ihm zu leben
beſchteden, will er im Geiſte mit feinen großen Ahnen des Alterthums,
in wirklichen Leben aber feine einſame Bahn wandeln.) Dennoch heat
er in jüngeren . den e der Luſt gekoſtet wie nur einer, und
) Epist. de reb. famil. VI, 4. Aehnliche Neußerungen finden ſich überall in
ſeinen Schriften. Noch in der epist. ad posteritatem (vor der Ausgabe ſeiner Werke
gedruckt), welche gleichſam ſein Teſtament an die Nachwelt iſt, ſagt er: Incubui
unice inter multa ad notitiam vetustatis, quoniam mihi semper astas ista
(kostxk) displiowit ect.
I. Pettatea als Weltweiſer. Ks
fo tief er ſein Iabchimbert: verachtete, hat er voch feine N
nie ewibehren knnen.
Auf welchem Felde wir nun Petrarca's Gedankenlauf Be
immer finden wir ein redliches Streben nach ber tiefften Wahrheit ge
miſcht mit dem eitelſten Haſchen nach dem Scheine, ein ſtetes Ringen
der beſſeren Einficht mit der unüberwindlichen Lüge im Herzen.
Peketrured wollte die ftotfche Philofophie nicht nur in ſeinen Schrif⸗
ten, ſondern auch in ſeinem Leben darſtellen. Das Merkmal eines
ichten philoſophiſchen Strebens ift ihm, daß ein hochbegabter OGeift ſuch
beſcheiden in anſpruchsloſe Verhältniſſe zurückziehe, Alles gering achte
außer Wiſfenſchaft und Tugend, vor Altern aber jede Eitelkeit und
Oſtentation verſchmähe. Als Schriftſteller und Dichter ruhte fein Stolz
auf der Eloquenz, jener gefährlichen Kunſt, weſche freilich ſchuell die
Bewunderung mit ſich reißt, aber oft den Schreibenden oder Rebenden
nicht minder täuſcht wie den Leſer oder Hörer. Diefe Gefuhr hat
Petrarca mit unbeirrtem Scharfſinn erkannt. Die Kloquenz ſoll ihm
eine keuſche Mufe ſein. Er weiß es, daß ſte, um Werth zu haben,
mit Tugend und Weisheit verbunden fein muß, nur dann fei ſie „ein
großes Mittel zum Ruhme“. Die ſchmeichleriſche Süßigkeit und den
trügerfſchen Schmuck der Rede vergleicht er dagegen mit der Schminke
ener Dirne oder mit honigſüßem Gift.“) „Es iſt eine windbentelhafte
Ruhmfucht, lediglich durch den Glanz der Worte ein Anſehen unter
den Menſchen zu ſuchen“.) — „Auf die Thaten richte deinen Geiſt!
In den Worten ft eitel Großthun, mühſeliges Ningen und hohler
Klang, in den Thaten iſt Ruhe, Tugend und Glück“.) So klef durch⸗
bringt ihn vie Erkenntniß dieſes Widerſpruches, daß er ſich ſogar ver⸗
pflichtet fühlt, dem hochverehrten Cicero feine Schwache vorzuhakten⸗
„Was hilft es, andre zu belehren, was nützt es, immer in den prüch⸗
tigſten Worten von den Tugenden zu reden, wenn du dir ſelber daber
nicht folgſt“? ) Er wirft dem Römer vor, daß er trotz feinen: ſchöͤnen
ſtotſchen Grundſäͤtzen, die er mit fo hinreißender Redekunſt auszuſpre⸗
chen wiſſe, doch immer zu klagen habe, bald über Verbannung und
—
1) De remed. utr. fort. Lib. I. dial. 9.
) Epist. ad posteritatem.
5) De remed. Lib. II. dial. 102.
) Brief an Cicero (Opp. p. 780). Zu Arezzo befand ſich ein Brief, in wel⸗
chem ein Spaßvogel als Cicero dem N antwortete. el. Leonardi Bruni
epist. IV, 4 ed. Mehus. |
0 I. Petrarea als Nepublicaner und Finſtendiener.
Krankheit, über die Wirren des Gerichtes und des Forums, bald über
den Verluſt von Geld und Gütern und über die Beeinträchtigung, ſei⸗
nes Ruhmes, daß man in ſeinen Briefen oft ſchmähende Angriffe auf
Männer finde, die er kurz vorher gelobt.) Dieſer Widerſpruch zwi⸗
ſchen Wort und Handlung, dieſe ſelbſtgefällige Geſinnungsloſiskeit, auf
die im Grunde Alles herauskommt, was man in unſerer Zeit gegen
Cicero ſcharf, und ſchärfer geltend gemacht hat, ſpürte alſo ſchon Pe⸗
trarra mit feinem Inſtinet heraus und zwar deshalb, weil er in ſich
ganz denſelben Antagonismus, daſſelbe Schwanken vorfand. Wie er zu
Cieero, ſo fügte fein Auguſtinus zu ihm: „Was nützt es dir, audern
nech ſo ſüße Dinge vorzuſingen, wenn du dich ſelber nicht hörſt “?)
„Wie viel mehr — fo geſteht Petrarca einſt — liegt uns Allen, die
wir im Staube der literariſchen Paläſtra leben, die Wohlredenheit am
Herzen als unſer Leben, wie viel eifriger 8 wir a dem .
als nach der Tugend“ !)
Es war eine freie ee rohe Stellung, die Petrarca der
Mitwelt gegenüber einzunehmen gedachte: er wollte ihr auf der Wolken⸗
höhe des Gedankens, der Philoſophie erſcheinen, erhaben. über irdiſche
Portheile und menſchliches Lob. Die Schranken, welche edlere Geburt
und Abkunft zwiſchen dem Menſchen und dem Menſchen ziehen, ſchwinden
vor feinem Blick. Berühmtheit, fagt er, wird nicht durch edle Geburt
erworben, ſondern durch das Leben. Es iſt lächerlich, ſich fremden
Verdienstes zu rühmen; ja die Flecken entarteter Enkel werden durch
den Glanz und Ruhm der Vorfahren erſt recht hervorgehoben.) Dem⸗
gemäß iſt Petrarca ein ſtolzer Republicauer, wo er ſeinen Theorien
den Lauf läßt, die Fürſten erſcheinen ihm dann als Phalariden und
Dionyſe, denen ein Platon mit freiem Wort entgegentreten muß. Den⸗
noch zog es ihn an die Höfe der Fürſten und in die Paläſte der Vor⸗
nehmen; er bürgerte hier den Humanismus ein, der dann Jahrhunderte
lang als ihr ſchönſter Schmuck galt. Er hat bei König Noberto von
Neapel, bei den Correggi zu Parma, den Visconti zu Mailand, den
Carrara zu Padua gelebt. Unter den Adelsfamilien, deren innigſter
Vertrautheit er ſich rühmen durfte, nennen wir nur die Colonna, die
) Praefat. in Epistt. famil. (Opp. p. 635).
) De contemptu mundi Dial. III (Opp. p. 415).
), Epist. rer. variar. 32. |
2) De remed. utr. fort. I, 16. II, 5.
I. Pemasta dis. Nepabldautt und Fusftrudiener. 61
er. zu berſaben Zeit mit Schmeicheleien bedachte, in welcher er als
Cola s Matteigänger und als Organ des Republicanismus den vn
ſchen Adel ein räuberiſches Geſchlecht von fremden Eindringlingen nan.
Der Dichter füß mit den Großen der Welt zu Tafel und empfing
ihre freundſchaftlichen Befuche. Wie vergötternd ſchauten ſelbſt Fürſten
zw ihm empor; er hat darin nur im Philksſophen von Ferney feines:
gleichen gehabt. Zu derſeiben Zeit rief ihn der römiſche König zu fich,
der König von Frankreich ind ihn mit Geſchenken, der Papſt übertrug
ihm zwei Pfründen und verſprach ihm viel mehr, wonn er zu ihm als
Secretär Tonnen wolle.) Petrarea war ſchon ein Greis, da wünſchte
ihn Urban V. bei ſich zu ſehen: er ſollte weder ein Amt noch eine N.
beit Übernehmen, ſondern nur durch feine Anweſenheit bie Curie zie;
ren.) Jummer entſchuldigte ſich der Philofoph mit feinem. Alter oder
feiner Kränklichkeit. Er ließ ſich aufſuchen und bitten und, erſchien um
jo großartiger, wenn er die Ehre abwehrte. Er habe nie zum Vor⸗
trauten der Herrſcher gepaßt, fchrieb er ſeinem Bruder, und paſſe jet
als Greis am wenigſten dazu; er wolle ſich zu einem ruhigen, mäßigen
und einſamen Leben zurückziehen, leſen, . und = =.
übungen au feiner Seele arbeiten. in
Aber alle jene Ehven erlangte Petraroa nicht ohne ige au a
phikofophiicheh ährunsfägen. Er wußte die Ohren der Füͤrſten dunch wit
ſüßen Töne der demüthigen Verehrung und jener Dankbarkeit zu gewen⸗
nen, die zum Entgelt fü Ehren und Wryhlthaten die Verherrlichung des
Namens durch den Mund des Dichters verheißt. Gern rühmt er ſich da;
mit, wie ſich die Könige und Bäpfte um ſeine Perſon bemuht. Aber ſtulzen
noch rühmt er ſich, daß er ſtets ein völlig freier Mann geweſen, daf
er nie in einer Lage geblieben fein würde, die ihn feinem Selbſt und
ſeinen Studien auch nur ein wenig entzogen hätte. Niemand könne
fügen, daß er viel Zeit im Dienſte von Bärſten verbereg. Ohr. State
uh habe ihn nie — daran zweifeln wir nicht — ihre Geſtmähler
feiten gefeſſelt. Wenn Alles ſich im Palaſte tummelte und Vn und. Hen
beängte, fer er im füllen Zimmer bei feinen: Büchern geblieben onen
infa nachdentend ins Grüne hinauagegangen. o ſei er nur zm
) Epist. rer. senil. I. 1. XIV, 6.
) ibid. XIV, 3. Vom Anbieten eines Cardinalats“ weiß allein 8 5
len tone (bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 200) zu . a
) ibid. XIV, 6. E
L
7 L Pema s Anachertt und MWinkubenjliner,
Schein bai den Jürſten, in Wahrheit aber die Fürſten bei Wut geweſen;
wollien fie ſein Geſealſchalt, ug müßen e m ſeiner Nonne on
qui...)
* ſolche Lage erwirbt man nicht 1 Bebenehunft, duch ber
Bllofopg will eſſen und trinken und an den Gütern biefer Welt kie⸗
ber einen etwas reichlichen Antheil haben als ben bittern Becher der
Embehrung koſten. In der Wirklichleit wußte Petrarea gerade die
goldene Mitte zu treffen, in der ſich's am behaglichſten lebt. Doch
ſchwankt er hier auch in der Theorie. Bald ſchien ihm die genleßenbe
Nuhe eines Horatius wünſchenswerth und er wollte die beeugende fx
muth in dem Sinne vermeiden, daß er in vollem Maaße hatte, was
ſein Herz begehrte; er habe, meinte er dang, die beſchräukte Mittel
mäßigleit zwar lieben, aber nicht ertragen gelernt.) Bald hüllte er
ih in den anacherstifchen Mantel, konute Gold und Schlitze nicht ger
ung verachten und verdammen, wollte fich nur von Früchten ud Quell-
weiler nähren, wünſchte ſich nichts als einen guten Tod. Einem Dienste,
una an der Exrie, wollte er ſeine Freiheit nimmer zum Opfer brin⸗
een; ein Secretariat, ja ein Bisthum und jedes mit Seslſopge ver⸗
bundene Beneficium wies er mit dem ſtolzen Grunde zurück, er habe
wit der Sorge für feine eigene Seele genug zu thun. Aber ven pfrün⸗
den zu leben, für die er nichts leiſtete, fuͤrſtliche Geſchnule zu weinen,
die ex nur mit ſchmeichleriſchem Danke vergalt, das beleidigte feinen
Stolz nicht im mindeſten. Wir erinnern an das ſchretendſte Bade
ſpiel, wie er mit der röntiſchen Deputation und als roͤmiſcher Bürger
m Avignon vor Clemens VI. ſtand und dem franzufüfchen Papſte ſo ger
füllig ſprach, R C
. wurde.
Noch als Greis, während er. im Rufe eines phikofopkikten Heilt
een int Argna feine letzten Oehre hintebte, verſcherähte er es nicht, bee
Gasft des Papſtes zur Erhöhung feiner Einkünfte zu benutzen. Mer
wich mund aber iſt ſetne Art zu bitten. Er habe wohl fo wiel, als etws
um Lein eitges Canonilers hiureiche. Da er indeß für mehrere Was
funde ır 85 gerade kein Erforderniß für einen Weltweiſen — ſorgen
) ibid. VI, 2. XVI, 2 an Boccaccio. Filippo Villani bei Mehus Vita
Ambr. Travers. p. 197: Ceterum quum curias trequentaret invitus et renuens,
in illis, quod dicte mirabile est, solitarius erat.
) Epist. rer. senil. VIII, 3.
I. Petrarca als Anachoret und Pfrfinbenjäger. 88
mirſfe, fo erwüͤchſen ihm daraus fo viel Koſten, als etwa die Erhaltung
eines ganzen Capitels verurſachen würde. Gern lebe er einſam und
einfach auf dem Lande. Doch müſſe er Diener halten — „o könnte
ich doch ohne fie leben!“ — ſich mit zwei Pferden und drei Schreibern
begnügen. Bisweilen, wenn er allein und in feiner Weiſe zu ſpeiſen
wünſche, komme eine Schaar von Gäſten, die er doch anuſtändig bewir⸗
then müſſe, um nicht geizig zu erſcheinen (!) ) Niemand könne ſo leicht,
wenn er nur wolle, eine Wohlthat ertheilen, als der Papſt; er aber,
der Dichter, wiffe nicht zu bitten, da er über ſolche Dinge wenig nach
gedacht. Doch Eines mache er bemerklich: übertrage man ihm eine
Pfründe, fo dürfe man feines Alters und feiner Hinälligleit wegen
darauf rechnen, fie bald einem Andern verleihen zu können.) — Go
zierlich Petrarca dieſe Operation eingeleitet, ſchlug fie doch fehl. Lin
Freund von der Curie ſchrieb ihm, der Papſt ſei ihm zwar fehr gün⸗
ftig, werde indeß ſchwerlich viel für ihn thun, weil vie Schaar ber
neu⸗creirten und heißhungrigen Cardinäle ihn ganz in Anſpruch nehme.
Jetzt warf ſich Petrarca deſto mehr in feinen Stolz, weil er das
beſchämende Gefühl nicht los wurde, daß er ſich im Bitten erniedrigt.
Jetzt verſicherte er erſt recht energiſch, er habe nach irviſchen Gütern
niemals Verlangen getragen, er werde ſich wenig darum kümmern; sb
man ihm ein großes oder ein beſcheidenes Theil oder nichts zukommen
laſſe. Aber feinem Aerger über die unerfättlichen ‚Brälaten muß er
Luft machen. Die verſagte Pfründe wird in ſeiner Phantaſie alsbald
zum Sinnbild und zum Merkzeichen der übolverwalteten Kirche: der
Papſt ſcheint ihm zu allem Guten willig, die Carpinäle aber ſind ihm
die Anwälte alles Böſen. „Ich und die Wahrheit, ſagt er, haben
an der Curie große Gegner, die meinem Vortheil und meiner Ehre
mit aller Gewalt entgegenfichen. Mit welcher Verachtung fieht er nun
auf den Haufen der aufgeblafenen Cardinale herab, während er fid
durch das freundliche Wort jedes einzelnen hochgeſchmeichelt fühlen würde.
An ihnen werde nur die Infel und der rothe Hut geehrt; die Ehre
dagegen, die ihm, dem Dichter, gezollt werde, gelte auch ihm ſelber.
Und weil ihm das Denken an den Tod das Hauptmerkmal des Pike
1) Zur beliebigen Auslegung diene folgende Notiz des Cecco Pol enton e
(bei Mehus l. c. p. 199) ifher Petrarca: Pinguior enim simul et senior factus est.
) Epist. var. 44. an Franc. Bruni. Im letzten Theile des Briefes ſtimmen
mehrere Sätze faſt wörtlich mit dem Schluſſe von epist. rer. senil. XIII, 12. an
denſelben Bruni überein. Letzterer Brief iſt ſeinem Inhalte nach der ſpätere.
64 I. Petrarca als phileſophiſcher Einſtedler.
ſophen zu fein ſcheint, ſtellt er die in Pomp und Schwelgerei genießen⸗
den Cardinäle, um ſie recht tief zu verachten, in die Reihe derer, welche
den Todesgedanken fliehen.)
Hundertmal erzählt uns Petrarca, wie er gern den Lärm der
Stadt und der Menſchen gemieden, ſich in die Eiuſamkeit zurückgezogen,
im ſtillen Studirzimmer über ſeinen Büchern geſeſſen, oder wie er durch
Wald und Fluren wandelnd, den Vögeln oder dem murmelnden Quell
lauſchend, allein und in ſich ſelbſt vertieft ſeinem Denken und Dichten
nachgehangen. So ſchildert er ſich nicht etwa nur in feinen Reimen, auch
in den Briefen und den philoſophiſchen Schriften iſt er unermüdlich,
dem Leſer dieſes Bild ſeines Dichterlebens einzuprägen.) In welchem
Lichte er da ſeinen Zeitgenoſſen erſchien, ſehen wir an Boccaccio, der
vou der Zurückgezogenheit ſeines Freundes jedesmal mit geheimnißvoller
Ehrfurcht wie von der Göttin des ariciſchen Haines ſpricht. Die
Quellen der Sorgue wurden ſchon unmittelbar nach Petrarca's Tode
den Reiſenden als die Wunderſtätte gewieſen, an welcher das Buch
uvom einſamen Leben“ entſtanden ſei.) Auch jetzt noch verknüpft die
Phantaſie das Andenken an den melodiſchen Sänger Laura's am lieb⸗
ſten mit dem zauberhaften Thale von Vaucluſe, und den gelehrten Pe⸗
trarea, über feine lateiniſchen Bücher gebückt, denken wir uns unwill⸗
lürlich im beſcheidenen Häuschen zu Arqua, vor dem Fenſter jener
Gärten, deſſen Olivenbäume er mit eigner Hand gepflanzt und gepflegt.
Die römiſchen Dichter fingen von dieſer idylliſchen Einſamkeit,
die Mönner des Krieges und der Staatsverwaltung im alten Rom
liebten die ländliche Zurückgezogenheit und die literariſche Muße.
Sie zunächſt waren Petrarca's Vorbilder. Dann aber fühlte er ſich
deſte erhabener über die Maſſe der gemeinen Menſchen, wenn er ihrer
Weiſe, das Leben mit plumpen Sinnen zu genießen, entſagend, ſeinen
Geiſt nur im traulichen Verkehr mit ſich ſelbſt und mit den Geiſtern
der Vorwelt ergötzte. Man hat viel von W
9) Epist. rer. senil. XIII, 12. 13, beide an jenen Bruni, feinen ee
an der Curie.
) Nur ein Beiſpiel, wie er fein Leben in Feld in Wald ſchildert, aus 8
metr. I, 7:
Saepe dies totos agimus per devia soli,
Inque manu calamus dextra est, at carta sinistram
| Occupat, et variae complent praecordia eurae.
) Dominicus Aretinus bei Mehus Vita Ambr. Travers, p. 198.
I. Petrarca als philoſophiſcher Einſtedler. 65
Zuge in Petrarca geſprochen, aber wie ſehr hat man ihn da mißver⸗
ſtanden! So gern er von ſeinen Faſten, Nachtwachen und Entbehrun⸗
gen redet und ſein beſchauliches Leben zur Schau trägt, ſo iſt doch
ungleich mehr von dem Stolze des gelehrten als von der demüthigen
Einfachheit des religioſen Standes in ihm. Er hat ein Buch über
das Leben in der Einſamkeit geſchrieben, welches zwar den Kloſterleu⸗
ten, die ihren Stand darin verherrlicht ſahen, unmäßig gefiel, aber ſich
von den erbaulichen Betrachtungen mönchiſcher Richtung ſchon durch
die philoſophiſche Behandlung und den glänzenden Rednerſtil deutlich
genug unterſcheidet, auch den ſtill⸗grübelnden Philoſophen des Alter⸗
thums und den chriſtlichen Einſiedler in bedenklicher Weiſe auf eine
Stufe ſtellt. Es predigt, genau genommen, nicht die einförmig⸗fromme
Stille des Kloſters, ſondern die Ungeſtörtheit des Studirzimmers und
die Wonne des einfachen Lebens mit der Natur, die den Lärm der
Außenwelt gern entbehren, um ein inneres, mannigfaches Leben deſto
reicher zu entfalten. Leſen, Schreiben und Denken, ſagt Petrarca, ſeien
immer feine hoͤchſte Luſt geweſen ); in dieſem Sinne rühmt er die
Güter, welche ihm die Einſamkeit gewähre und nur ſie gewähren könne:
Ruhe, Freiheit und Muße. Wenn er unaufhörlich arbeitet und ſchafft,
fühlt er die Fülle des Daſeins in ſeiner Bruſt. Als einſt Boccaccio
meinte, er dürfe endlich auf ſeinen Lorbeeren ruhen und ſich ein be⸗
quemes Alter gönnen, wies er dieſen freundſchaftlichen Rath als feiner
mwärbig zurück.) Ein ander Mal hatte ihm derſelbe Freund die Werke
des Auguſtinus in einem fehr ſtarken Bande geſchenkt. Nun, vorſicherte
ihm Petrarca, verſdume er bei der eifrigen Lectüre manche Mahlzeit und
manche Nacht gehe ſchlaflos hin. Dieſes Leſen ſei ſeine einzige Luſt; da⸗
von ahne freilich der Pöbel nichts, der außer dem Sinnenreiz kein Ver⸗
gnügen kenne.) Aus demſelben Nimbus, in den er ſo gern ſich hüllte,
erſchien ihm auch das Familienleben verächtlich. Sein abgeſchloſſenes
gelehrtes Treiben ſollte auch in dieſer Beziehung ein modernes Mönch⸗
thum ſein. Das Studium der Philoſophie und eine Gattin, findet er,
wohnen ſchlecht bei einander; denn das Weib ſei der wahre Teufel,
der Erzfeind des Friedens und der Seelenruhe. Oft führe die Ehe
zu Gefahren aller Art, öfter zur Schande und faſt immer zu Ueber⸗
) Epist. rer. senil. XIII, 7; Invect. c. medicum Lib. IV (Opp. p. 1225)
) Epist. rer. senil. XVI, 2.
) Epist. rer. variar. 23.
Voigt, Humanismus. 5
66 I. Petrarea als phllofophiſcher Einfiebler.
druß und Ekel. Wer die Wolluſt und den Kinderlärm liebe, möge
eine Gattin nehmen und auf dieſe Weiſe für die Ewigkeit ſeines Fa⸗
miliennamens ſorgen. „Wir werden, wenn es Uns gegeben wird, Un⸗
ſern Namen nicht durch die Ehe, ſondern durch den Geiſt, nicht durch
Kinder, ſondern durch Bücher, nicht mit Hülfe eines Weibes, ſondern
mit Hülfe der Tugend ausbreiten”. ')
In dieſe gelehrte Einſiedelei will Petrarca vor den Menſchen
fliehen, um ihren anſtaunenden Blicken zu entgehen und das Lob
ihres Mundes nicht zu hören. Deſto ungeſtörter genoß er in ſei⸗
ner Phantaſie die Fülle des Ruhmes, den ihm gerade der Ruf von
ſeiner geräuſchloſen philoſophiſchen Muße eintragen mußte. Je mehr
er ſich vor den Huldigungen der Menſchen zurückzuziehen ſchien, vefte
neugieriger ſuchten ſie den außerordentlichen Mann auf. Wie ehrend,
menn viele und namhafte Männer zum Thale von Vaucluſe wallfahr⸗
teten, nur um ihn zu ſehen und zu ſprechen!“) Wie ſüß, als ihn die
Einladungen zur Dichterkrönung an den Quellen der Sorgue aufſuchen
mußten! Zu König Syphax, erzählt er, kamen die Geſandten von Rom
und Karthago, um ihn zur Bundesgenoſſenſchaft und Hülfe aufzufordern,
ſie fanden ihn auf ſtolzem Thron und von Trabanten umgeben; mich
fanden jene Einladungen, während ich einſam morgens in den Wäldern,
abends am Ufer des Fluſſes umherſchweifte.“)
Und daſſelbe Gefühl, mit dem er jene beſuchenden Fremden und
jene Einladungen zur Lorbeerkrönung empfing, trieb ihn zu audern
Zeiten wieder recht mitten unter die Menſchen. Dann hatte er nirgend
lange Ruhe, zog von einer Stadt zur andern, unerſättlich überall den
dargebrachten Weihrauch einſchlürfend. Selbſt Scipio Africanus —
ſo entſchuldigt er dieſen Wechſel des Aufenthaltes — ſei durch den
täglichen Umgang in den Augen der Römer eine gemeine Perſönlichkeit
geworden; was habe da ein Anderer zu hoffen, der kein Scipio ſei und
nicht unter Römern lebe!)
Wir haben Petrarca's eigenes Geſtändniß, welches jeden Zweifel
abſchneidet und über feine Einſamkeit zu Vaucluse, in ſeinem Linternum
zu Garignauo und in den euganeifchen Bergen den einfachſten Aufſchluß
) Epist, rer. senil. XIV, 4 (Opp. p. 1034).
) Invect. c. medicum 1. c. (Opp. p. 1226).
) Petrarca Thomae Messanensi vom 23. Auguſt 1340; (Opp. p. 1251).
9 ar rer. senil. VI, 2.
I. Petrarca's Frenndſchaftsenltus. 67
giebt. Allerdings habe er oft die großen Städte und die Feierlichkeiten
der Menſchen gemieden, ſich in den einſamen Wald und die ſtille Flur
zurückgezogen. Aber das Motiv ſei doch gerade fein Ehrgeiz geweſen.
Er habe ſich dieſer Flucht vor der Verehrung der Menſchen zu rühmen
gedacht, er habe den gemeinen, vielbetretenen Weg des Ehrgeizes ver⸗
laſſen, aber auf einem andern Wege wieder demſelben Ziele zugeſtrebt:
der Endzweck ſeiner Einſamkeit, ſeiner ſtillen Studien ſei doch immer
der Ruhm geweſen.)
Cicero hat ein Buch über die Freundſchaft geſchrieben; wie oft
und emphatiſch ſpricht Seneca von ihr in ſeinen Briefen! Auch Petrarca
meinte ohne ſie kein vollgültiger Philoſoph zu ſein. Noch in ſeinem
Brief an die Nachwelt rühmte er ſich, er habe mit dem eifrigſten Ernſte
nach ehrenhaften Freundſchaften geſtrebt und ſei ihr treueſter Pfleger
geweſen.) Immer ſpricht er mit begeiſterter Liebe von ſeinen Freun⸗
den und als fie alle vor ihm das Zeitliche geſegnet, mit gerührtem
Andenken. Was ihm aber ſeine Freunde ihrerſeits geweſen, ſehen wir
nicht recht. Selbſt die vielgeliebten Lälius, Jacopo Colonna und Boc⸗
caccio nicht ausgenommen, erkennen wir nirgend die Natur eines per⸗
fönlichen Verhältniſſes, auf welchem der Freundesbund beruht hätte.
Sie waren eine Auswahl ſeiner Verehrer. Die Briefe, die Petrarca
an fie richtet, gehen auf ihre Verhältniſſe faſt niemals ein, es ſind
meiftens Selbſtgeſpräche, mit deren Adreſſe der Freund beehrt wird. So
iſt Petrarca die Freundſchaft nicht ein Genuß, der in der Fähigkeit
und Freude der Hingabe läge und die Menſchenliebe im engeren Kreiſe
übte, fie iſt ihm ein Apparat, deſſen er zum Aufbau feines philo⸗
ſophiſchen Thrones bedarf, der mit Freunden umgeben ſein muß wie
ein fürſtlicher mit edlem Hofgefolge. Die bewährteſten ſeiner Freunde
erhalten antike Pſeudonymen wie Sokrates, Lälius, Simonides. Andre
genießen aus Höflichkeit nicht nur den Titel der Freundſchaft, ſondern
noch einige ciceroniſche Wendungen über ſie dazu. „Wer nur Nutzen
von ſeinen Freunden ziehen will, iſt ein Krämer der Freundſchaft, nicht
ihr Verehrer“ — ſo ſchrieb Petrarca dem Francesco Bruni, der Ab⸗
breviator an der Curie war und von dem er offenbar nichts weiter
erwartete, als daß er ihm zu einer Pfründe verhelfe.) Meiſtens in
dieſem letzteren Sinne hat dann der Freundſchaftscultus ſeine Rolle in
) De contemptu mundi Dial. II (Opp. p. 389).
2) Epist. ad. poster. I. s. c.
) Epist. rer. senil. III, 13.
5 *
68 I. Petrarca's Neid gegen Dante.
der humaniſtiſchen Literatur fortgeſpielt, wie denn überhaupt ſo Man⸗
ches, was Petrarca noch mit einem großartigen Schimmer zu umkleiden
wußte, unter ſeinen Nachfolgern immer mehr der gemeinen Sphäre
anheimgefallen iſt. | |
Das Verdienſt und die Größe Anderer ohne Beziehung auf fich
ſelber zu wägen und anzuerkennen, war Petrarca völlig unmöglich, es
hätten denn die Alten ſein müſſen, an deren ferne Geſtalten der Neid
nicht reicht. Keiner der Neueren hatte einen Anſpruch, ihm an die
Seite zu treten, nur ragte unter der Menge der Literatoren, auf die er
fhanen mochte, Einer wie ein einſamer Felſen hervor, Dante Alighieri.
Petrarca vermeidet, von ihm zu ſprechen, er hält ihn mit einer ge⸗
wiſſen Scheu von ſich fern. Als Boccaccio ihm ein Exemplar der
göttlichen Comödie verehrt, welches er mit eigener Hand für ihn ab⸗
geſchrieben, glaubt Petrarca ſich entſchuldigen zu müſſen, daß er die
Begeiſterung des Freundes nicht theilen kann. Um dem Vorwurfe des
Neides zu entgehen, der ihm in der That ſchon damals allgemein zu⸗
gewälzt wurde, verſichert er, daß Dante ihm, hätte das Schickſal ihnen
zuſammen zu leben beſchieden, ein theurer Freund ſein würde, daß er
ſeinen hohen, durch Armuth und Verfolgung unbeirrten Lebensgang be⸗
wundere. Seine Verachtung müſſen nun die unverſtändigen Verehrer
Dante's tragen, die ihren Poeten auf Straßen und in Tabernen loben,
ohne ſeinen wahren Werth zu erkennen. Er erſinnt die wunderlichſten
Wendungen, um die Unmöglichkeit des Neides darzuthun. Wie könne
man glauben, daß er den beneide, der ſein ganzes Leben über, wenn
auch noch ſo erhaben, in jener Vulgärſprache geſchrieben, welcher er
ſelbſt kaum einen Theil ſeiner jungen Jahre und dieſe nur im Spiele
gewidmet. Sei er doch ſelbſt auf Virgilius nicht neidiſch. Auch könne
der rohe Beifall der Waſchweiber, der Weinſchenker und ſolcher Tagelöhner
ihn nicht reizen, ja er wünſche ſich mit Virgilius und Homeros Glück,
wenn er ſolcher Bewunderung entgehe. Nur die Neider ſeines Ruhmes
hätten die Albernheit erfunden, als beneide er Dante. Wie ſonderbar
Petrarca auch die Beſchäftigung mit der göttlichen Comödie ſelbſt ab⸗
weiſet! Er möge aus dem Gedichte nicht lernen, weil er fürchte, es wider
Willen zu beſtehlen. Man fage, was man will, ihn kränkte das bewun⸗
derte Werk und ſein lorbeergekrönter Dichter, er ſchob ſie bei Seite, um die
traurige Empfindung fremder Größe und eigenen Neides los zu werden.“)
) De Sade Mémoires pour la vie de F. Pétrarque T. IM p. 508. Bal-
—
U
I. Petrarec's Hochmuth und Eitelkeit. 69
Seinerſeits dagegen weiß Petrarca von Neidern und Feinden oft
zu ſprechen. Er bedurfte ihrer, weil dem niedrigen Haufen das Große
und Ungewöhnliche immer zuletzt zum Aergerniß wird, weil der Neid
den Ruhm zur Folie hat. Er hatte Gegner, ohne Zweifel: die Män⸗
ner der Katheder, die er angegriffen, die Meviciner und Ariſtoteliker
voran, werden ihrem Zorn nach Kräften Luft gemacht haben; andre
zogen ihr Fachſtudium den Humanioren vor; wieder andre mögen ſich
ein wenig reſpectlos über ihn oder über die Poeſie geäußert haben oder
ſie verhielten ſich gegen die allgemeine Bewunderung ſeiner Perſon mehr
ablehnend, ja mancher wurde offenbar durch das Uebermaaß dieſer Ber
wunderung zum Widerſpruch angeſtachelt. Petrarca ſtand ſo glücklich
da, daß er weder in ſeinen äußeren Lebensverhältniſſen noch in ſeinem
Studienkreiſe von ſolchen Gegnern beläſtigt oder geſtört werden konnte.
Er hätte ſie ſo ruhig überſehen können. Aber wo ihm ein laues Ur⸗
theil, ein Angriff auf ſeine Studien oder gar auf ſein Verdienſt zu
Gehör kam, wo ſich ihm nicht Alles beſcheiden unterordnete, ſah er
ſogleich eine Schaar hämiſcher Feinde und Verſchwörer gegen ſeinen
Ruhm, dann brechen ſofort die gereizte Eitelkeit und der Hochmuth,
und oft in recht kleinlicher Weiſe, hervor. Jemand, den er zuvor als
Freund behandelt, hatte ſich erlaubt, an ſeinen Schriften ein wenig zu
kritteln; ſofort griff er ihn mit Heftigkeit als einen „Feind“ an und
ließ ihn das ſtolze Sus docet Minervam hören.“) Andre hatten,
wie man ihm zutrug, geringſchätzig über ſeinen Geiſt geurtheilt: ſie
ſind ihm alsbald „eine Schaar plebejiſcher Geiſter“, die in ihrem Ur⸗
theil um ſo kühner und ſchneller verfahren, je ungebildeter und leicht⸗
fertiger fie find; man muß ihr leeres Geſchwätz verachten und durch
Tugend und tiefe Gelehrſamkeit ihren Neid überwinden. Sie können
das Licht verdecken, aber nicht auslöſchen, es lebt fort und wird plötz⸗
lich wieder ſtrahlend durch die Wolken brechen. „Viele urtheilen über
mich, die ich nicht kenne, auch nicht kennen will und zu kennen nicht
würdige. In der That wundert mich, wer ſie zu Richtern über mich
geſetzt.) Wieder andre wollten die Poeſie und die Dichter der Alten
delli Vita di Giov. Boccacci. Firenze, 1806. p. 130 e seg. So eben lieſt man
in den Zeitungsblättern, daß zu Florenz ein von Petrarca's Hand copirtes Werk
Dante's aufgefunden ſei. Doch würde dieſe Nachricht, auch wenn ſie ſich beſtätigte,
unſer obiges Urtheil ſchwerlich ändern. 5 |
) Epist. metr. II, 18.
2) Epist. rer. senil. II, 3.
70 I. Petrarea's Bochenuth und. Eitelkeit.
ſo hoch nicht ſchätzen wie er: Maro und Flaccus, ſprachen ſie wohl,
ſind ja längſt begraben, warum von ihnen noch viel Aufhebens machen!
So ſprachen ſie nach Petrarca's Meinung nur, um ihre Zeitgenoſſen,
denen ſie es nicht nachthun können, vom Studium der Alten abzu⸗
ſchrecken, dieſe Literatoren ſind „ein aufgeblaſenes und fauliges Ge⸗
ſchlecht“.) Aehnliche Gegner hatte einſt Boccaccio in einer Streit⸗
ſchrift zurückgewieſen. Petrarca dagegen meinte anfangs auf ſeinem
philoſophiſchen Throne zu Arqua, ſie ſeien als alberne Menſchen des
Zornes nicht werth, ihr Urtheil habe ihm nur ein Lachen abgelockt;
indeß wurmte es ihn doch ſo lange, bis er endlich — wie er uns glau⸗
ben machen will, auf einer Reiſe durch die Langeweile geplagt — die
Feder gegen ſie ergriff.) Am bezeichnendſten aber iſt ein Vorfall,
der ſeine Bedeutung durch den hohen Kreis erhielt, in dem er ſich zu⸗
trug. Petrarca's Jugendfreund, der Cardinal Colonna, hatte ihn einft
dem Papſte Urban dringend empfohlen und in der Wärme der Be⸗
wunderung mehrmals als einen wahren Phönix bezeichnet, der einzig
auf dieſer Erde ſei. Dieſes Lob zwar wies Petrarca als das eines
übernachſichtigen Freundes zurück, aber er ergrimmte doch ſehr gegen
einen andern Cardinal, der über den begeiſterten Collegen und über
den Phönix ſeinen Spott losgelaſſen: jener Cardinal ſei ſein Feind,
haſſe die Wahrheit und Freimüthigkeit (1), ſei mit dem Teufel recht
eigentlich der Vater der Lüge, eine wahre Nachteule.) In feinem
Kampfe mit den Averroiſten hätte er es nicht unpaſſend gefunden, wenn
eine Art Inquiſition das Heiligthum ſeines Ruhmes geſchützt hätte.
Indem er nicht etwa die Ketzer, ſondern nur ſeine perſönlichen Gegner
in ihnen angreift, findet er das größte Uebel in der zu weit getriebe⸗
nen Freiheit der Worte, die thörichten Menſchen geſtatte, berühmte
Namen durch Spott herabzuziehen; ſie hätten gar leicht die Maſſe, die
eben auch aus Thörichten beſtehe, auf ihrer Seite, *)
Für ſolchen Aerger entſchädigte ſich Petrarca durch das Wohlbe⸗
hagen, mit welchem er die Huldigungen auch unbedeutender Perſonen
hinnahm.) Zwar verſtand er Lob und Bewunderung mit feiner Ma⸗
nier und freundlicher Beſcheidenheit abzulehnen, aber ſelbſt mit dieſen
1) Brief an König Robert von Sicilien (Opp. p. 1253).
) Epist. rer. senil. XIV, 8.
3) Epist. rer. senil. XIII, 12 an Franc. Bruni.
) De ignorantia (Opp. p. 1165).
) ef. epist. rer. famil. VII, 14. 16. senil. II, I. VI, 3.6. et al.
I. Petrarca's Hochmuth mb Eitelkeit. 11
beſcheidenen Wendungen buhlt er mir um das Lob einer neuen Tugend.
Ebenſo oft iſt er ſelbſt die Poſaune ſeines Ruhmes geweſen, ja er be⸗
ruft ſich dafür auf Ovidius, Seneca und Statius, die gleichfalls ihr
Fortleben im Nachruhm kühn in ihren Werken geweiſſagt.) Wie ge⸗
wohnlich tritt auch bei ihm die Eitelkeit im höheren Alter mit lächer⸗
licher Unbefangenheit hervor; der Menſch vergißt ſo leicht keine Schmei⸗
chelei, gewöhnt ſich immer mehr an die Imagination feines Werthes
und ſeiner Werthſchätzung, wird überhaupt geſchwätziger und darum
auch ruhmrediger. Nur ſo läßt es ſich erklären, wie Petrarca feine
befſere Einſicht oft glücklich durch einen Schwall von Beſcheidenheits⸗
floskeln zu betäuben vermochte. Als Jüngling, ſo geſtand er einſt,
habe er aus Uebermuth Alles verachtet außer ſich ſelbſt; im ernſten
Mannesalter habe er nur ſich ſelbſt verachtet; jetzt als Greis verachte
er vor Allem ſich ſelbſt und laſſe nur das Wenige gelten, was fich
durch Tugend über die Verachtung erhebe.) Gerade auf der Warte
des Greiſenalters meinte er am ſicherſten die Frucht feiner Philoſophie
zu genießen, wenn er auf ſeinen ſchwellenden Jünglingsſtolz, der doch
mir ein andres Kleid angelegt, gleich Einem herabblickte, der über
folche Regungen längſt erhaben iſt. Einſt hatte er ſich in feinen jun⸗
gen Jahren vor einem Freunde zu dem ſokratiſchen Bekenntniß er⸗
niedrigt, daß er nichts wiſſe; in älteren Jahren erzählte er nun dieſe
Selbſtdemüthigung wieder mit dem vollen Stolze feines philoſophiſchen
Bewußtſeins.) So haben wir hier denſelben Widerſpruch, der ſein
Leben und Denken in allen Richtungen durchzieht.
Petrarca's grenzenloſe, untilgbare, gleichſam mit allen Faſern ſei⸗
nes. Geiſtes zuſammengewachſene Eitelkeit, ließe fie noch einen Zweifel
zu, wir könnten fie durch eine Blüthenleſe aus feinen Werken und
) De remed. utr. fortunae Lib. I. dial. 117.
) Epist. rer. senil. XIII, 7. Petrarca ſcheint ſich dabei unmittelbar auf einen
Ausſpruch zu beziehen, den er einſt ſelbſt in feinen Mannesjahren der Welt kund⸗
gethan. Er hatte in epist. metr. I, 7 geſungen:
Nil usquam invideo, nullum ferventius odi,
Nullum despicio nisi me, licet hactenus idem
Despicerem cunctos et me super astra levarem.
Aehnlich in der epist. ad poster. (I. c.): Sensi superbiam in aliis, non in me, et
cum parvus fuerim semper, minor judicio meo fui. — Eloquio, ut quidam di-
xerunt, claro ac potenti, ut mihi visum est, fragili et obscuro.
) Epist. rer. senil. XV, 6.
72 | I. Petrarca's Ruhmesſehuſucht. N
ſeine eigenen Geſtändniſſe bis zur ſchreiendſten Evidenz darthun. Doch
was fangen wir mit dem gewonnenen Reſultate an? Sollen wir dieſe
Eitelkeit entſchuldigen und beſchönigen, wie die Literatoren Italiens zu
thun pflegen, ſollen wir ſie mit Stacheln und Keulenſchlägen verfolgen,
wie einer der neueſten deutſchen Beurtheiler gethan hat, ſollen wir uns
mit dem Gemeinplatz tröſten, daß große Männer auch ihre Schwächen
haben? Uns dünkt, die geſchichtliche Wiſſenſchaft ſoll vom Richterſtuhl
herabſteigen, ſie ſoll, den Gang eines Ganzen im Auge haltend, ſich
der alltäglichen und unſicheren Maaße der Moralität, der Abwägung
von Tugenden und Laſtern begeben, ſie ſoll redlich nach dem Wie, dem
Woher und Wohin der Erſcheinung forſchen. Dann tritt als der letzte
Maaßſtab, den wir an eine weltgeſchichtliche Perſönlichkeit zu legen
haben, ihre Stellung zu einem Größeren, ihre Auswirkung ins Ganze
hervor. Und von dieſen Standpunct aus erhebt ſich Petrarca auch
vor unſern Augen zu der großartigen Hoheit, in welcher N Zeitge⸗
noſſen ihn ſahen.
Seine Eitelkeit mit allen ihren lächerlichen Extravaganzen, was
iſt ſie anders als eine krankhafte und verkümmerte Sehnſucht nach
dem Ruhme? Dieſe Sehnſucht aber, vielleicht das edelſte und tiefſte
Handlungsmotiv bei den Völkern der claſſiſchen Welt, der innerſte Puls⸗
ſchlag ihrer Geſchichte, auch fie iſt durch Petrarca aus dem Grabe er-
weckt und als eine neue Triebfeder der modernen Welt zugeführt wor⸗
den. Das asketiſche Chriſtenthum hatte ſie verdammen müſſen; denn
führt ſie gleich den Geiſt des Individuums über Tod und Aſche hin⸗
aus, ſo bleibt ſie doch am Dieſſeits haften und findet ihr Ziel unter
den Menſchen, unter den Geiſtern der vorgeahnten Generationen. Erſt
der Sinn für eigentliche Geſchichte, erſt die Erfahrung, daß der längſt
verwehte Staub Verſtorbener ſich vor unſerm innern Auge wieder zur
wandelnden Geſtalt zuſammenfügen und von unſerm Geiſte aus neubelebt
werden kann, erſt die Anerkennung, daß Geiſtesgröße und Verdienſt in
ihren Wirkungen auf Erden nicht hinſterben, daß ein Geſchlecht vom an⸗
dern zu lernen und ſeine hervorragenden Lehrer dafür mit dankbarem Au⸗
gedenken zu ehren hat, alſo erſt eine Ahnung von dem, was der Menſch
als einzelnes Weſen für die unſterbliche Menſchheit fein kann — konnte
das Idol des Ruhmes, der Unſterblichkeit des Namens wieder aufkommen
laſſen. Es trat Petrarca aus der Römerwelt, zumal aus Cicero, den
Geſchichtſchreibern und den Dichtern entgegen. Die alte Geſchichte über⸗
haupt erſchien ihm als eine Ruhmeshalle und diente zugleich zum deut⸗
I. Petrarca's Ruhmesſehuſucht. 73
lichen Beiſpiel, wie trotz der Ferne der Zeiten und gerade durch fie
die Geſtalten immer leuchtender und heldenhafter werden. Jene Män⸗
ner, die ein mühevolles Leben und ſelbſt den Tod nicht geſcheut, um
ihren Namen der Vergeſſenheit zu entreißen, ſie hatten es jetzt ja er⸗
reicht, und es war Petrarca's Stolz, in der Verkündung ihres Ruhmes
ven ſeinigen zu ſuchen. Welch ein entzückender Gedanke, ihnen an die
Seite zu treten und nach Jahrhunderten genannt zu werden wie ſie,
wie berauſchend mußte er auf den wirken, der ihn zuerſt wieder hegte.
Dante hat ihn vielleicht vorempfunden, aber Petrarca hat ihn ſelbſt⸗
ſtändig fortentwickelt und zur völligen Klarheit gebracht. Er iſt viel⸗
leicht die folgenreichſte Entdeckung, die er der Menſchheit hinterlaſſen.
Darf es uns da wundern, wenn dieſe Idee ihn ſelbſt ganz und gar
beherrſchte? Als Jüngling ließ ſie ihn nicht ruhen und nicht ſchlafen,
umd noch als Greis mußte er trotz allen Einwendungen geſtehen, der
mädtigfte Sporn für hochherzige Geiſter ſei die Liebe zum Ruhme.)
Auf ſie führt er ſeinen Trieb zu den Wiſſenſchaften, ſein Haſchen nach
der Wohlredenheit, fein unermüdliches Arbeiten und feine Nachtwachen
zurück. Sie begeiſterte ihn zu ſeinen Werken, unter welchen er beſon⸗
ders von der "African erwartete, fie ſolle ein „ruhmvolles, ſeltenes
und ausgezeichnetes Werk werden.) Seiner ganzen Lebens⸗ und Denk⸗
weiſe lag dieſe eine Leidenſchaft zu Grunde. Bald erglühte ſie in ihm
wie eine heilige Flamme, bald ſtrömte ſie in den Flackerlichtern der
Eitelkeit aus. Er nennt fie feine ſchwerſte Krankheit, die er nicht bändigen
könne. Denn dieſer verzehrenden Sehnſucht, die wir immerhin als
eine Infection des Heidenthums betrachten dürfen, widerſprach doch
ſein chriſtliches Bewußtſein. Cicero hatte geſagt, gerade die Beſten
würden am meiſten von der Begierde nach Ruhm geſtachelt; das Evan⸗
gelium aber weiß nichts von dieſem Motive guter Thaten. Darum
jagt ſich Petrarca, er müſſe von dieſem eiteln Streben nach dem Ruhm
lafſen und nach der Tugend felber ſtreben, da der Ruhm nur ein Schatten
) Epist. rer. senil. V, 6. Statt der unzähligen Belege, die wir in feinen
Werken überall finden, nur zwei e aus den früheren Lebensaltern. Als Jüng⸗
ung fang er epist. metr. I, 1:
Implumem tepido praeceps me gloria nido
Expulit et coelo jussit volitare remoto.
Und bald nach ſeiner Dichterkrönung (epist. metr. II, 11):
— — — — — — est mihi famae
Immortalis honos et gloria meta laborum.
) De contemptu mundi Dial. III (Opp. p. 410).
74 I. Petrarea's Dichterkrönung⸗
der Tugend ſei, ein verlockender Sirenenklang, der aber deſte gefährlecher
iſt und deſto energiſcher verdammt werden muß; ſein Bücherſchreiben ſei
vom Uebel, ſein Studium müſſe ohne Ehrgeiz und ohne Aufſehen getrieben
werden und nur der wahrhaften Erleuchtung gewidmet ſein.) So predigt
er ſich ſelber und bisweilen glaubt er dieſes Ziel zu erreichen, den Feind
aus dem Felde geſchlagen zu haben, aber deſto ſiegreicher iſt dieſer von
der andern Seite wieder eingezogen. Sein großer Geiſtes freund, ver
h. Auguſtinus, hatte daſſelbe in ſich erlebt und ausgeſprochen: „Oft
rühmt ſich der Menſch, wie er den eitlen Ruhm verachte, aber er rühmt
ſich deſto eitler. Darum darf er ſich der wirklichen Verachtung des
eitlen Ruhmes ſchon nicht mehr rühmen; denn er verachtet ihn nicht,
da er ſich innerlich rühmt.) Eben das war . .
Krankheit.
Wir weiſen dieſes Schwanken zwiſchen einem brennenden Gefühle,
welches der Philoſophie widerſtrebt, und der Philoſophie, welche vieſes
Gefühl verdammt, an einem Beiſpiel nach. Die Ehren, die Petrarca
von der Nachwelt im Tempel der Geſchichte erwartete, verlangte 6
ihn glühend, im Vorgeſchmack ſchon von der Mitwelt zu genießen
Die Sehnſucht nach der Dichterkrönung hatte ihm manche fchlafinfe
Nacht bereitet. Von Dante's Leichenkrönung wußte er nicht, nur dun⸗
kel ſchwebten feiner Phantaſie die Spiele und Wettkämpfe der Hellenen
und der delphiſche Kranz vor, ſchimmernder noch der capitoliniſche Lor⸗
beer, der als höchſte irdiſche Ehre einſt das Haupt berühmter Cäſaren
und heiliger Sänger geſchmückt. Der Welt wollte er ein Schaufpiel
geben, welches ſie ſeit Jahrhunderten, ſeit Domitianus Zeiten nicht
geſehen und welches ihn in dem vollen Glanze zeigte, den einſt die
Beherrſcher der Welt mit dem Dichter getheilt. Wir zweifeln nicht,
daß die Veranſtaltungen von ihm ausgingen. Er wußte den Köniz
Robert von Neapel durch den befreundeten Dionigi de' Noberti, einen
Auguſtiner aus dem tusciſchen Borgo San Sepolero, für feine Poeſien
zu erwärmen und führte die Unterhandlung durch einen andern Freund
an demſelben Hofe, mit welchem er zuſammen in Bologna die Rechte
ſtudirt, Tommaſo Caloria von Meſſina. Wenn er gleichzeitig die pa⸗
riſer Hochſchule, deren Canzler Roberto de' Bardi ſein tusciſcher Lands⸗
mann war, zu demſelben Erbieten anzuregen ſuchte, ſo war es ihm
) ibid. p. 414. 397. Rer. N Lin III (Opp. * .
2) Confess. X, 38.
I. Petrurca's Dichterkrönung. 75
ſicher lein Ernſt damit und er wollte nur den neapolitaniſchen König
Lund den römifchen Senat durch die Drohung mit einem Nebenbuhler
zu Eifer und Eile ſpornen. An einem Tage, es war der 23. Auguſt
1340, erhielt er beide Einladungen; ſie trafen ihn, wie wir oben ſahen,
mitten in ſeinem philoſophiſchen Leben, während er denkend und dich⸗
tend durch Wald und Flur ſchweifte. Er that eine Zeit lang, als
ſchwanke er zwiſchen Paris und Rom. Auf jener Seite ziehe ihn die
Neuheit der Sache an und der Ruhm der großen Hochſchule; er ent⸗
ſchied ſich natürlich für das ehrwürdige Alterthum, für das „Haupt
der Welt und die Königin der Städte“, für den geweihten Platz „über
der Aſche der alten Sänger“, für das römiſche Capitol. Aber noch
im Phlloſophenthale von Vaucluſe, wo er die erſehnte Botſchaft em⸗
pfangen, faßte ihn das nüchterne Gefühl ihrer Nichtigkeit. „Du fragſt:
warum dieſes Mühen, dieſer Eifer, dieſe Sorge? ob mich der Lorbeer⸗
kranz gelehrter oder beſſer machen wird? Er wird mich vielleicht be⸗
rühmter machen und mehr noch dem Neide ausſetzen. Der Thron
des Wiffens und der Tugend aber iſt der Geiſt, hier hauſen ſie, nicht
gleich Vögeln in den belaubten Zweigen. Warum alſo dieſe Zurüſtung
des Lorbeers? Du fragſt, was ich darauf antworten kann. Was meinſt
vn wohl? Nichts als, wie der hebräiſche Weiſe ſagt: Vanitas vanita-
tum et omnia vanitas. Aber fo find die Menſchen!“ ')
Die Dichterkrönung fand am Oſtertage 1341 ſtatt. Noch kurz
vorher hatte Petrarca feierlich in Gegenwart der römiſchen Senatoren
erklärt, er habe den Lorbeer nicht um des Ruhmes willen erſtrebt, ſon⸗
dern weit mehr, um andere zu ähnlichem Studieneifer zu entzünden.
Dieſe Erklärung nahm man in ſein Dichterdiplom auf, welches „ge⸗
geben auf dem Capitol“ und durch eine goldene Bulle beglaubigt wurde.)
Aber wie erfaßte ihn der Rauſch, als die Ceremonie vollzogen wurde
und er den Jubel der ſchauluſtigen Menge hörte! Er fühlte ſein Haupt
wie ein geheiligtes, Rom und das Capitol hörte er frohlocken über die
erneuerte Ehre.) In einer Stunde rühmte er ſich freudig der ſelte⸗
nen Zier, die ihm allein zu Theil geworden, und fragte ſich doch,
warum ihm ewig dieſer Lorbeer im Sinne liege, den doch nur das ge⸗
meine Volk wie einen Schauſpielſchmuck bewundere, ob er nicht beſſer
) Epistt. ad Thomam Messanensem (Opp. p. 1251. 1252).
) Opp. p. 1254. | |
) Petrarca Reberte Siciliae Regi (Opp. p. 1253).
76 I. Noch einmal Petrarca und Cola.
gethan hätte, durch Feld und Wald, unter Hütten und Landleuten zu
wandeln, die von ſeinen Geſängen nichts wüßten, als das Capitol der
königlichen Stadt zu beſteigen.)
Hier tritt uns noch einmal die Geſtalt Cola's des Voltstribunen
entgegen, und was ſeiner gedenken läßt, ſind nicht nur die Scenen, die
das Capitol wenige Jahre nach Petrarca's Dichterkrönung ſah. Wir
deuteten ſchon oben darauf hin, wie eine faſt myſtiſche Verehrung des
Alterthums beiden gemeinſam war und ſie auch in ihren äußeren Le⸗
bensgängen verknüpfte. Vermögen wir nun Vorgänge des innerſten Bu⸗
ſens, welche Petrarca's Feder oft nur gelegentlich und andeutend ver⸗
rieth, mit ſolchen in Vergleich zu ſtellen, die in einem handelnden Leben
ſich kundthun, ſo werden wir noch ungleich mehr durch die geiſtige Ver⸗
wandtſchaft zwiſchen dem Philoſophen und dem Befreier Roms über⸗
raſcht.
Es fördert unſer Verſtändniß nicht wenig, daß Cola auch Schrift⸗
ſteller war und daß wir von ihm eine Reihe von Briefen beſitzen, von
denen mehrere den Umfang kleiner Abhandlungen haben. In ihnen
nun iſt er genau derſelbe Phantaſt wie in den Schauſpielen, deren
Zeuge und Mitſpielender das Volk von Rom war. Cola's Schreib⸗
weiſe iſt aus verſchiedenen Elementen verworren gemiſcht. Die Form
läßt oft den Notar noch deutlich erkennen, gleichwie mancher niedrige
Zug in feinem Benehmen den Sohn der Wäfcherin zu verrathen ſcheint.
Dann aber ſchwanken das alte Rom und das päpſtliche Rom, livianiſche
und apokalyptiſche Geſpenſter auf das Wunderlichſte durcheinander.
Das alte Rom erfüllt ihn mit einem unklaren Bilde von vergangener
Größe und Hoheit. Das Bild einer glänzenden Zukunft und einer
Heldenrolle, die er zu ſpielen berufen, iſt dagegen ſtark mit prophe⸗
tiſchen und apokalyptiſchen Phantaſien unterwoben. Eine Schaar von
) Epist. metr. II, 11:
Laurea, perrarum decus atque hoe tempore soli
Speratum optatumque mihi — — — — —
Cur redit in dubium totiens mea laurea ? numquid
Non satis est meminisse semel? decuitne per urbes
Ciroumferre nova viridantia tempora fronde,
Testarique greges hominum, populique favorem
Infami captare via? Laudarier olim
A paucis mihi propositum. Quid inertia vulgi
Millia contulerint, quid murmura vana theatri ?
I. Petrarca und Cola. 77
widerſprechenden Begriffen — ein einiges freies Italien und Rom als
Vorherrſcherin — Cäſarenthum und Volksherrſchaft — weltgebietendes
Anſehen der Kirche und des Papſtes, aber auch des Volkstribunates und
ſeiner ſelbſt — Freiheit im Namen des allgemeinen Friedens und der
Gerechtigkeit, dabei aber Terrorismus und anmaßende Weltherrſchaft —
republicaniſche Einfachheit und ſinnloſe Prunkſucht — ſentimentale Sym⸗
pathie für ſtilles, häusliches Menſchenglück und niedertretender, oft
kindiſcher Stolz — kleinliche Willkür und freies Walten des heiligen
Geiſtes — alle dieſe Vorſtellungen und Empfindungen liefen gleich Irr⸗
lichtern in ſeinem Hirne hin und her. Es war als wollte er die ganze
Geſchichte Roms in allen ihren Phaſen noch einmal ſpielen laſſen und
den Zuſtand des Paradiſes ſo wie den der Wiederkunft Chriſti hinzu⸗
fügen. Seine Perſon dachte er ſich ſtets obenan, aber wohin er ſie
ſtellen ſollte, darüber hatte er ſehr mannigfache Vorſtellungen. Bezeich⸗
nend ſind die Beinamen, die er ſich öffentlich und feierlich zulegte und
von deren Bedeutung er oft den unklarſten Begriff hatte. Er nannte
ſich den Tribunen, ohne auch nur eine Ahnung von dem Amte eines
altrömiſchen Volkstribunen zu haben; das Wort bezeichnete ihm nur
eine republicaniſche Würde, die ihn an die Spitze der Stadt ſtellte,
oder noch allgemeiner einen Anwalt der Freiheit und Gerechtigkeit.
Was dachte er ſich wohl unter dem »tribuniciſchen Kranze“? Warum
er ſich Auguſtus nannte, entſchuldigte er vor Papſt Clemens VI mit
folgenden Gründen: weil der heilige Geiſt durch ihn in wenigen Tagen
die römiſche Republik befreit, weil derſelbe ihn an den Calenden des
Monats Auguſt zum Ritter gemacht, weil er das Ritterbad in der
Wanne genommen, in welcher einſt der Kaiſer Conſtantinus getauft ſei.)
Was aber wollte er mit dem Ausdrucke Tribunus Auguſtus? Ferner
nannte er ſich Candidatus, worunter er ſich wohl nur einen weißgeklei⸗
deten Beamten vorſtellte. Dann weihte er ſich ſelbſt zum Ritter des heili⸗
gen Geiſtes. Andere Titel dienen nur zum Pomp, wie wenn er ſich „den
Strengen und Gütigen, den Befreier der Stadt, den Schwärmer für Ita⸗
lien, den Freund des Erdkreiſes“ nannte und zwar fo, daß alle dieſe Bei-
1) Ceterum cum diffusa gratia Spiritus Sancti in paucorum dierum circulo
sub meo regimine Rempublicam liberavit et auxit, et in Kalendis Augusti prae-
fatis ad militiam mea humilitas est promota, michi Augusti nomen et titulus
est attributus. Sein Brief an Clemens VI bei Papencordt, Cola di Rienzo,
Urk. 6. p. X.
78 I. Petrarca und Cola.
namen ſtehende officielle Formel waren.) Denn gelegentlich giebt er ſich
auch andre begeiſterte Prädicate und nennt ſich zum Beiſpiel „den Tribunen
der Freiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit, den herrlichen Befreier
der heiligen römiſchen Republik.“) Wir ſehen, wie er gleich Petravca
das Urtheil der Geſchichte anticipirt, wie eine grenzenloſe Eitelkeit ihn
treibt, als politiſcher Heros fo großartig dazuſtehen wie Petraren als phi⸗
loſophiſcher. Lechzte dieſer nach dem Wahnbilde des capitoliniſchen Kran⸗
zes, ſo gelüſtete Cola nach dem tribuniciſchen. Er ließ ſich am 15. Auguſt
1347 ſechs Kronen auf einmal übertragen, vom Laube der Eiche, des
Epheu, der Myrthe, der Olive, des Lorbeers und von vergoldetem Silber,“)
unerfättlih in Pomp und Prunk, gleich Petrarca, wenn er das geſpen⸗
dete Lob gierig einſchlürfte und immer neues provoeirte. Und wie
Petrarca die Weisheit der Erde und des Himmels in ſeiner Perſon
zu vereinigen meinte, ſo finden wir auch in Cola neben der weltlichſten
Herrſchſucht einen phantaſtiſch⸗ religiöſen Zug. Er führte den heiligen
Geiſt unaufhörlich im Munde, wollte Alles zu Ehren der Apoſtel Pe⸗
trus und Paulus gethan haben, verlegte feine republicaniſchen Feier⸗
lichkeiten auf kirchliche Feſttage, betheuerte, daß er ein rechtgläubiger
Chriſt und ein beſonderer Verehrer der glorreichen Gottesmutter fei. *)
Wenn er das Scepter der Senatoren trug, ſo war auf dem Apfel
deſſelben ein goldenes Kreuz mit einer Reliquie angebracht und im
Wappen führte er ſowohl die Schlüſſel Petri wie das 8. P. Q. R.
Für ſeinen Geſchmack lag in dieſer Miſchung nichts Bedenkliches, er
ſagt: Wenn ich neue Namen und Titel annehme und mein Haupt
mit verſchiedenen Laubkränzen ſchmücke, wenn ich die alten roͤmiſchen
Amtsbezeichnungen und die alten Gebräuche erneuere, was ficht es den
Glauben an?)
Das bewegende Princip aber war bei Cola wie bei Petrarea jene
ſubjective Ruhmbegier, die ſich hier wie dort am Thatenglanze des
1) Candidatus, Spiritus Sancti Miles, Nicolaus Severus et Clemens, Libe-
rator Urbis, Zelator Italiae, amator orbis et Tribunus Augustus. So im Briefe
an Clemens VI. I. c. p. XI, in einer öffentlichen Verordnung ebend. Urk. 7. p. XIII.
Vgl. Urk. 9. p. XIX. Wenn er Karl IV. einreden wollte (ebend. Urk. 13. p. XXXIV),
den Beiſatz Severus habe er um des Boethius Severus willen angenommen, ſo iſt
das doch wohl nur ein Einfall, mit dem er ſich augenblicklich rechtfertigen will.
) ebend. Urk. 1. p. I.
) ebend. Urk. 10. p. XX.
) ebend. Urk. 13. au Karl IV. p. XXIX.
) ebend. Urk. 11. p. XXII.
I. Petrarca und Cola. 79
Alterthums entzündet. Der Tribun fing mit Kleidung, Putz und Feſten
an wie Petrarca mit der blumigen Eloquenz. In die einzelnen Artikel
des Putzes und Pompes legte er gern allerlei ſymboliſche Geheimniſſe,
gleichwie Petrarca es liebte, feine Gedichte und fein Leben durch ein
Myſterium verhüllt erſcheinen zu laſſen. Wie dann Petrarca zur prak⸗
tifchen Philoſophie, fo ging Cola zum vollen Walten der Herrſchſucht
über. Auch er hatte vielleicht ſchwärmeriſche Stunden, in denen er ſich
einredete, nur um des gemeinen Beſten und um des Völkerglückes willen
gehandelt zu haben. Dann ſchwebte ihm eine Staatsregierung vor, welche
die Guten ſchirmt und die Böſen ſtraft, Allen gleiche Gerechtigkeit zu⸗
wiegt, vie Tyrannen niedertritt, den Armen hilft, den Wittwen und
Waiſen beiſteht, die Kirchen und Klöſter ſchützt, die Liederlichen zur
Kirche führt, Gattenzwiſt und Ehebruch verhütet und Aehnliches.)
Wie ſehr entſpricht dieſes politiſche Utopien dem moraliſchen Petrarca's,
ſeinen Begriffen von Tugend und Lebensphiloſophie! Aber auch bei
Cola drängt ſich durch dieſe Traumwolken immer das Bild ſeiner Per⸗
ſönlichkeit: er wiegt ſich in der ſchmeichelnden Vorſtellung, wie die Römer
und die Italiener überhaupt ihn lieben und anſtaunen, er verkündet
ſelbſt die Unſterblichkeit ſeines Namens und ihm iſt, als wenn die Gro⸗
ßen der Welt nicht ſowohl ſeine Republik als vielmehr neidiſch ſeinen
unendlichen Ruhm verfolgen,) ganz wie Petrarca in jedem Gegner
der Poeſie ſeinen perſönlichen Neider ſieht. Wir bemerkten, wie Pe⸗
warca bei feiner Dichterkrönung die perſönlichen Motive gern ableugnen
und vorſpiegeln wollte, als glaube er nur der Poeſie dieſe Ehre ſchul⸗
dig zu ſein. Desgleichen Cola: „Wenn ich mich zum Ritter weihen und
mit dem tribuniciſchen Kranze krönen ließ, Gott ſei mein Zeuge, daß
ich den Ritternamen nicht um des eitlen Ruhmes willen annahm —
weiß ich doch nicht, wie lange ich noch lebe, da das menſchliche Leben
zwiſchen Morgen und Abend vergeht — ſondern es geſchah nur zur
Ehre des tribuniciſchen Amtes und des heiligen Geiſtes, nach deſſen
Willen und deſſen Namen mein Ritterdienſt bezeichnet iſt.“ “) Dennoch,
als er feiner Macht beraubt, demüthig von Karl IV Schutz und Hülfe
1) ebend. Urk. 11. p. XX und Urk. 13. p. XXXVI. ö
) Vergl. ebend. Urk. 12. p. XXVI. Urk. 13. p. XXXV: quanquam multi
preeminentes in mundo illam (famam mei nominis gloriosam) extinguere sitiant
ob invidiam et timorem, ne videlicet nomen meum gratum in Italia atque cla-
rum nomen eorum obscurum faciat et neglectum.
) Ebend. Url. 11. p. XXII.
80 I. Petrarca und Cola.
erflehte, geſtand er auch feinen Stolz und Uebermuth, die Eitelkeit und
den ehrſüchtigen Pomp, zu dem er ſich in den Tagen ſeines Glückes
verführen laſſen,) und endlich ging er in feiner Haltungsloſigkeit genan
ſo weit wie Petrarca, indem er ſich nämlich dieſer Demuth und der
freiwilligen Entäußerung dieſer Ruhmesliebe zu rühmen begann.)
So ſind Petrarca und Cola Kinder einer Zeit und derſelben Idee.
Man darf den einen nicht anſtaunen und über den andern mitleidig
die Achſel zucken. Der Tribun verrieth durch ſeine lächerliche Prunk⸗
ſucht den faulen Fleck ſeines Herzens, und er hatte es mit dem erbärm⸗
lichen Römervolke zu thun; ſeine Handlungen traten nach außen und
man ſah ihre Folgen. Petrarca bedurfte zu dem Geiſterkampfe, den
er führte, nur ſeiner ſelbſt und der Helden und Denker des ehrwürdi⸗
gen Alterthums. Er blieb als eine geheimnißvolle hohe Perſönlichkeit
daſtehen; denn wer war im Stande ihm Herz und Nieren zu prüfen?
Und in der That ging er als ſtrebender Menſch ſeine großartige Bahn
weiter, nachdem der Römer ſeinen ehrgeizigen Traum mit dem Fluche
der Lächerlichkeit und mit dem Tode gebüßt.
Nichts durchdringt und bezeichnet das chriſtliche Mittelalter — die
Jahrhunderte vor Petrarca mögen hier einmal darunter verſtanden wer⸗
den — ſo entſchieden als der corporative Zug. Nach dem Chaos der
Völkerwanderung kryſtalliſirte ſich gleichſam die erneuerte Menſchheit
in Gruppen, Ordnungen, Syſteme. Hierarchie und Feuvalismus waren
nur die größten Formationen. Selbſt das wiſſenſchaftliche und künſt⸗
leriſche Leben, welches doch nur einen ſehr kleinen Theil der Bevölle⸗
rungen beſchäftigte und ſich minder leicht in eine gemeinſame Nichtung
drängen läßt, fügte ſich doch dem allgemeinen Hange: es ſchoß wie
gefrierendes Waſſer nach gewiſſen Mittelpuncten zuſammen und von
dieſen gingen dann die Strahlen wieder nach allen Seiten aus. Zu
keiner Zeit haben ſolche Maſſen von Menſchen ſo gleich gelebt und
) Ebend. Urk. 12. p. XXVI.
2) Er ſchrieb an den Erzbiſchof von Prag (ebend. Urk. 20. p. LXW): Nullus est
enim hominum, qui tantum (sibi) in pompe et vane glorie presumptione doetra-
xerit, quantum ego meis accusationibus michi ipsi, nee plura de sumptis ho-
noribus et operibus virtuosis, quam de hujusmodi meis delictis, scripture mee
undique jam redundant.
I. Petrarca als Individualmenſch. 81
gehandelt, ja gedacht und empfunden. Wenn großartige Menſchen her⸗
vorragen, ſo erſcheinen ſie nur als Repräſentanten des Syſtems, in
deſſen Mitte ſie ſtehen, nur als die Erſten unter ihresgleichen, ganz ſo
wie die Häupter des Lehnsſtaates und der Kirche. Ihre Größe und
Macht hängt nicht von den Zufälligkeiten und Eigenheiten ihrer Perſon,
ſondern davon ab, daß ſie mit Energie den ideellen Kern ihres Sy⸗
ſtems vertreten und ſich ſelber dabei aufopfernd verleugnen. Aus ſolchem
Zuſammenſtehen und Zuſammenwirken entſpringen natürlich auch groß⸗
artige Erfolge, erhebende Thaten; denn jeder ſieht daſſelbe Ziel und
die Kräfte zerſplittern ſich nicht. Die Vorkämpfer der Menſchheit ſind
nicht Individuen, welche die Maſſe geiſtig beherrſchen, ſondern Stände
und Körperſchaften, die dem Individuum nur wie einer Standarte
folgen. |
Wer iſt nun der gewaltige Menſch, der dieſen Bann der Corpo⸗
ration durchbricht, der ſeiner Mitwelt nichts zu danken ſcheint, der im
Umgange mit längſt Verſtorbenen und mit ſich ſelbſt Alles geworden
iſt, was er iſt, der ſein Ich zum Spiegel der Welt zu erheben und
für ſeine Individualität das Staunen der Mitwelt und den Ruhm der
Nachwelt zu fordern wagt? Wir nehmen keinen Anſtand, Petrarca in
dieſem Sinne den Propheten der neuen Zeit, den Ahnherrn der moder⸗
nen Welt zu neunen. Die Individualität und ihr Recht treten in ihm
zum erſten Male kühn und frei mit dem Anſpruch auf hohe Bedeutung
hervor. Wohl liegt auch ſchon in Dante, wenn er finſter und einfam.
durch das Leben ſchritt, dieſes Element verborgen, aber es bricht nur.
ſelten und unklar durch feine methodiſche und disciplinirte Anſchauung.
Petrarca ſtellt es dagegen in der beweglichſten Mannigfaltigkeit und bis
zu den Extremen dar. Selbſt ſeine ungemeſſene Ruhmſucht und ſeine
Heinlichen Eitelkeiten gehören als ſehr weſentliche Beſtandtheile dazu.
Was er lieſt und lernt, was er thut und erlebt, Alles bezieht er auf
ſeine Perſon, die ganze Außenwelt dient ihm nur zum Stoffe ſeiner
perſönlichen Bildung. Wie anders lernte er aus Büchern! Nicht nur
ſein Gedächtniß eignet ſich Kenntniſſe an, nicht nur ſein Verſtand übt
ſich im Scheiden und Urtheilen, ſein ganzes Selbſt tritt in Verkehr
mit den großen Männern, die vor ihm gelebt. Er ſpürt in Cicero's
und Auguſtinus Büchern ſolchen Empfindungen nach, die denen des
eigenen Buſens gleichen; er ſucht in den Büchern den Menſchen.
Petrarca bat. für die claſſiſchen Wiſſenſchaften viel geleiſtet, er
hat zum Sturze des Scholaſticismus die mächtigſte Anregung gegeben,
Voigt, Humanismus. N 6
982 Petrarca als Individualmenſch.
aber bei weitem feine größte, mühevollſte und vervienſtlichſte Lennunz
war fein Selbſt. An ſich und für ſich zu arbeiten, erklärt er oft für
ſeinen höchſten Lebensberuf, aber es iſt nicht das Abmühen des ehrlichen
Kloſterbruders, der um fein Seelenheil bekümmert ſich mit ſemen ſpar⸗
ſamen Begriffen von Fleiſch und Geiſt herumplagt, der, wenn er die
Sinnenluſt erdrückt und feine Frömmigkeit in regelmäßigen Gang ge
bracht hat, mit dieſer Anwartſchaft auf den Himmel ſich zufrieden giebt,
es iſt in Petrarca das ruheloſe Drängen und Pochen tiefgreiſender
Widerſprüche, das gewaltige Ringen verſchiedener Bilvungselemente zur
Einheit, welches eben den modernen Individual⸗Menſchen ankündigt.
Das war der innerſte und mächtigſte Zauber, welcher die Vereh⸗
rung der Zeitgenoſſen an dieſen Menſchen wie an einen geheimnißvollen
Propheten feſſelte, und überlegen wir, wie dieſer Zauber auf fein
Selbſtbewußtſein zurückwirken mußte, ſo erſcheinen Stolz, Ruhmſucht
und Eitelkeit kaum mehr als Flecken des Charakters, ſondern als die
natürlichen Eonfequenzen eines Selbſtgefühls, welches ſchrankenlos fein
mußte, weil es niemand auf Erden über oder neben ſich ſah, ſich alfe
mit niemand vergleichen und keinen Richter anerkennen konnte. Zwar
hat, gleich dem Entdecker der neuen Welt jenſeits des Oceanus, der bes
kanntlich ohne die Ahnung geſtorben iſt, daß er eben eine neue Welt
entdeckt, fo auch Petrarca die neue Zeit nicht geahnt, die mit ihm an-
bricht; beide glaubten nur dem Alten auf einem neuen Wege beigekom⸗
men zu ſein. Doch fühlte Petrarca ein Etwas in ſich, mit dem er
allein unter den Meuſchen, allein ſeinem Gotte gegenüber und weit
entrückt dem Seelenleben der Maſſe baftand.
Indem wir nun daran gehen, das Tiefſte und Dunlelſte, was in
Petrarca's Seele vorging, nachzuweiſen, müſſen wir es freilich dem
Leſer überlaſſen, ob er die oben ausgeſprochenen Reſultate daraus ſol⸗
gern will. Darum laſſen wir die Geſtändniſſe und Aussprüche Pe⸗
trarca's moͤglichſt für ſich reden oder trennen doch merkbar ab, was
wir hinzufügen.
Petrarca erzählt uns eine n die etwa in ſein 32. gebensjahr
fällt. Nur von feinem jüngeren Bruder Gerardo begleitet, beſtieg er
einſt den Mont⸗ Ventoux. Das mühſame Berganſteigen erweckte in ihm
die Betrachtung, wie man durch eine willensſtarke Aneignung von Ti
genden zum ſeligen Leben emporſteige. Er erreichte den Gipfel und
ſah die Wolken zu ſeinen Füßen ſich thürmen. Hier ging ſein Lebens⸗
lauf an ihm vorüber. Vor zehn Jahren hatte er die Hochſchule von
I. Perrarca is Jubiwibnalmeuſch. 88
Bologna verliefen und ſich ohne Hemmung der Poeſie und Eloquenz
hingegeben. Seit noch nicht drei Jahren hatte in ſeiner Seele der
Kampf begonnen, in welchem ſich der geiſtige Menſch gegen den fleiſch⸗
lichen auftehnte, der bis dahin ohne Widerſpruch in ihm geherrſcht.
Er dachte vorwärts, wie weit dieſer Kampf nach zehn Jahren in ihm
gediehen fein würde. Dabei war fein Ange auf das Schaufpiel um
ihn her gerichtet: hier der breite Zug der Sevennen, dort der Golf
von Lyon, tief unter ihm der majeſtätiſche Rhone. Die Sonne neigte
ſich bereits, er war ſo gut wie allein. Seine Seele fühlte das Be⸗
dürfuiß der Erhebung, er beſchloß, in den Confeſſionen des Auguſtinus,
die er in einem kleinen Bande mit ſich führte, die erſte befte Stelle
aufzuſchlagen und als einen Wink von oben zu nehmen. Er las: „Und
vie Menſchen gehen hin, um die Bergeshöhen zu bewundern und vie
ungeheuren Fluthen des Meeres und den breiten Lauf der Ströme und
den weiten Kreis des Oceans und die Bahnen der Geſtirne — ſich
ſelbſt aber laſſen fie außer Acht, vor ſich felbft bleiben fie ohne Be⸗
wunderung.“ ) Betroffen las er nicht weiter und ſchloß das Buch.
Er zürnte ſich ſelbſt, weil er nicht längſt von den heidniſchen Philo⸗
ſophen gelernt, daß nichts zu bewundern ſei außer dem menſchlichen
Geiſte und daß dem großen Geiſte nichts mehr groß erſcheine (außer
ſich felbſt). Bis fie am Fuße des Berges wiederangelangt, ſprach er
kein Wort. Als ſie aber in die nämliche Hütte zurücklehrten, von wel⸗
cher ſie ausgegangen, ſetzte er ſich nieder und berichtete den wunder⸗
baren Vergang in einem Briefe dem befreundeten Giovanni da Co⸗
lonna.) ö
Es war im Grunde nur eine Scene, die er mit ſeiner eigenen
Seele ſpielte. Er ahmte das Tolle, lege! ves h. Auguſtinus nach.
Aber wir fehen auch, wie in biefer Stunde ein gewaltiger Gedanke,
den er vielleicht ſchon lange in ſich getragen, zur Reife gedieh. Sein
Selbſt war ihm fortan das tiefſte Studium. Wie es auch fein mochte,
er hing mit der größten Liebe an dieſem Selbſt und gewann es immer
noch lieber, je mehr er ſich mit ihm beſchäftigte. Und doch war auch
der Blick, den er nach Innen richtete, ſcharf genng, um die Fülle der
Schwächen und Halbheiten, um den Abgrund der Eitelkeiten bis auf
den Boden zu durchdringen. Daun ſchauderte er vor feiner eigenen
1) 8. Augustini Confess. X, 8 8 6.
9) Epist. rer. famil. IV, 1.
6 *
84 I. Petrurea als Indivibuetfmenſch.
Seele und konnte doch feine Liebe nicht von ihr kosreißen. Er wollte
fie in Einklang mit ihrem Ideale bringen und begann den harten Krieg
mit ſich ſelbſt, aber er kam immer nur bis zur finſtern Miene und
zum zornigen Worte; die ſcharfe Waffe, die nach dem Herzen des Geg⸗
ners ſtrebt, vermochte er nicht gegen den Liebling zu zücken. Deukend
und ſchreibend meinte er Beichte und Buße vollziehen zu können, und
doch dachte und ſchrieb er ſich nur immer tiefer in ſeine Selbſtliebe
hinein. Dieſe eitle Seele, die er haſſen wollte, liebte er zuletzt am
meiſten um ihrer Reue und ihres ſchmerzhaften Kampfes willen.
In dieſem Kampfe, der Petrarca's Leben feit jenem Sonnenunter⸗
gange auf dem Mont⸗Ventoux bis zum Eintritte des minder ftürmir
ſchen Greiſenalters durchzieht, meinen wir ſehr deutlich zwei Perioden
wahrzunehmen. Die erſte wird durch eine Reihe von philoſophiſchen
Tractaten bezeichnet: vom Mittel gegen Leiden und Freuden, vom ein⸗
ſamen Leben, von der Muße der Religioſen, von der wahren Weisheit.
Alle dieſe Werke haben im Grunde denſelben Inhalt. Sie zeigen den
Philoſophen, wie er ſich auf feinem claſſiſchen Flitterthrone noch wohl
und majeſtätiſch fühlt, wie er nur ſorgt, daß die Welt ihn bewundern
möge, wie er den Conflict ſeines Buſens noch mit dem .
Scheine zu betäuben ſucht.
Die Dialoge „vom Mittel gegen Leiden und a, bie hier
an Bedeutung voranſtehen, ſind, wie es auf den erſten Anblick ſcheint,
in möglichſt objectiver Weiſe gehalten. Die Leiden des Lebens wie
feine Freuden werden nämlich vorgeführt, dürfen nach Herzensluſt jene
klagen und dieſe triumphiren, dann werden ſie in ſenecaiſcher Weiſe
mit philoſophiſchen Gemeinplätzen geprüft, gefichtet und endlich auf ein
Aequam memento zurückgeführt, welches das wahre Glück ſichere.
Meiſtens find ſie einfacher und faßlicher Natur; dann werden ſie mit
ruhiger Dialektik abgefertigt. An mehreren Stellen aber fühlen wir
plötzlich den Pulsſchlag des Autors und feine Philoſophie geräth daun
gleichſam ins Fiebern, fie läßt uns ihr unruhiges und ſich zerſetzendes
Lebensblut ahnen, und die ausgleichende, beruhigende Tendenz des Wer⸗
kes bleibt rathlos vor einem vernichtenden Gedanken ſtehen, der des
ſtoiſchen Wortkrames zu ſpotten ſcheint. Aber dieſer Gedanke wird nicht
erſchöpft, als ſcheue ſich Petrarca, ihn auf ſeinen Urquell zurückzuführen.
So gleich in der Vorrede des Tractates.) Das Leben erſcheint
) De remedio utriusque (secundae et adversae) fortunae Praefat. (Opp. p. 1).
1. Petrarca und feine Acedia. d 95
dem Berfaffer, der es hier im Großen und Ganzen überfchant, traurig
nnd voll Sorgen. „Mit welchem Eifer ſchaffen wir uns die Veran⸗
Inffungen des Elends und die Nahrung der Schmerzen! Dadurch ma⸗
chen wir das Leben, welches, recht geführt, fo glücklich und füß fein
müßte, elend und traurig. Seinen Beginn beherrſchen Blindheit und
Erinnerungsloſigkeit, feinen Verlauf Mühe und Arbeit, feinen Ausgang
Schmerz; Irrthum beherrſcht das ganze.“ Aber liegt nicht die Schuld,
wenn wir es uns aufrichtig geſtehen, in uns? Wir führen einen ewigen
Krieg mit dem Schickfal (fortuna !); wir wiſſen, daß allein die Tugend
uns zum Sieger machen kann und dennoch werden wir ihr mit Be⸗
wußtfein und Willen abtrünnig.
Im Verlauf der Schrift, wo Petrarca auf die ſcholaſtiſchen Phi⸗
loſophen und Theologen, wo er auf die Eloquenz und die römiſchen
Dichter zu ſprechen kommt, überall entfaltet er ſeine Anſicht mit Sicher⸗
heit und ruhigem Selbſtgefühl. Dann ſpricht er auch vom Nachruhme,
wie Ovidius und Seneca den eigenen zu prophezeien gewagt, und hier
durchzuckt ihn wieder ein Gefühl der Nichtigkeit: „Laſſet die leeren
Hoffnungen und die eitlen Wünſche, verachtet das Irdiſche und lernet
endlich das Himmliſche zu erwünſchen und zu hoffen!“) Der Wi⸗
derſpruch iſt aufgeriſſen, aber er bleibt ungelöſet liegen; die Wunde
Hit bloß gelegt, aber es fehlt der ernſte Wille, zu ihrer Heilung zu
ſchreiten.
Hier nun ſpricht Petrarca auch zum erſten Male von jener Trau⸗
rigkeit, die keine augenſcheinliche Urſache habe, einem zerrüttenden Wehe,
in welchem doch wieder eine gewiſſe Süßigkeit liege.) Es ſei das
gleichfſam eine philoſophiſche Krankheit, Cicero und Seneca hätten Aehn⸗
liches empfunden und als aegritudo animi bezeichnet. Später hat er
noch oft von dieſer Krankheit geſprochen, ſie zu ſchildern und zu ergründen
geſucht. Das Leben, die Welt, das Schickſal ſollten anfangs herhalten
und die feindlichen Mächte ſein, aus welchen dieſer unerklärliche Trüb⸗
ſinn entſpringe. Wohl müſſe man Lebensekel empfinden, wenn man
täglich das Gedränge der Leidenſchaften und das tauſendfache Wehe in
der Welt umher ſehe und mitempfinde. Vielleicht helfe dagegen, wenn
1) Ibid. Lib. I. dial. 117.
) Ibid. Lib. II. dial. 93: dolendi voluptas quaedam, quae moestam animam
facit, pestis eo funestior, quo ignotior causa atque ita difficilior cura est.
Auf dieſe Stelle bezieht ſich Petrarca epist. rer. senil. XV, 9 ad fin.
38 I. Petrarca und feine Aeedia.
man ſich die Freuden des Lebens ebenſo lebhaft vergegenwärtige und ut
Maaß genieße. Jene Deutung widerlegt ihm ſein Auguſtinus treffend:
wer ſelbſt mit ruhigem Buſen auf trocknem Ufer ſtehe, werde auch den
Schiffbruch Anderer ruhiger mitanfehen. ') Das philoſophiſche Heilmittel
aber wollte garnicht anſchlagen. So viel ſah Petrarca ſehr bald, daß die
Urſache jener Krankheit in ihm ſelbſt liegen müſſe. Das ganze Leben
um ihn und in ihm erſchien feiner Betrachtung nun als ein beſtänvi⸗
ger Kampf. Nicht nur gegen andre Geſchöpfe, ſondern gegen ſeine
eigene Gattung kämpft ein Jeder, nicht nur gegen ein andres Individunmz
ſondern gegen ſich ſelbſt. Bis in die tiefſten Tiefen des Bufens hin⸗
ein führt ein Jeder mit ſich einen unaufhörlichen Krieg, hier zerfleischt
ſich ein Jeder durch den Sturm widerſprechender Gefühle und Leiden⸗
ſchaften.) Die Seele iſt in zwei Theile geſpalten und dieſe liegen
miteinander gleichſam im ewigen Bürgerkriege. Das macht das Leben
düſter und ſorgenvoll, fo daß der Menſch ſich ſelber zur Laft, zur
Mühe und Strafe wird.) Oft beklagt ſich Petrarca über die Unruhe,
die ihn hin und her treibe; er hoffte die Lebensluſt anzufriſchen, wenn
er den Aufenthalt wechſelte, und dann meinte er wieder ruhig zu wer⸗
den, wenn er an den früheren Ort zurückkehrte.) Die Krankheit,
klagt er, folge ihm überall hin. Nie laſſe ſie ihn zu der Ruhe und
Heiterkeit des Gemüthes kommen, die ihm doch als das höͤchſte Gm
erſcheine. Sie quäle ihn bisweilen Tag und Nacht, ſtürze ihn in das
Gefühl der dickſten Finſterniß und des bitterſten Todes. Sein Schick⸗
ſal und das der Welt, Vergangenheit und Zukunft laſteten dann fo
ſchwer auf ihm, daß er ſich wie von allen Seiten beſtürmt und erdrückt
fühle. Das Menſchenthum überhaupt erſcheine ihm dann haſſenswerth
und verächtlich, fremdes Elend drücke ihn nieder und das eigene. Er
nennt dieſe Krankheit, die größte Peſt feiner Seele, mit einem ſpeciſi⸗
ſchen Namen Acedia, Weltſchmerz.)
Was iſt ſie für eine Krankheit, dieſe Acedia? Der Begriff wurde
j De contemptu mundi Dial. II (Opp. p. 394).
) De remedio etc. Praefat. ad Lib. II (Opp. p. 124).
) So ſchildert Petrarca epist. rer. senil. VIII, 3. ſeine jüngeren Jahre: quippe
pugnantibus inter se animae partibus et dissensione perpetua ac civilibus velut
bellis vitae statum pacemque turbantibus etc. — — ipse mihi pondus et labor
et supplicium factus eram.
*) Epist. ad poster. in fine.
5) De contemptu mundi Dial. II (Opp. p. 391).
I. Die Acebla. 8
ymnächſt aus dem vierten Buche der ariſtoteliſchen Ethik aufgenommen
und dann durch mittelalterliche Anſchauungsweiſe gefärbt. Bedeutet
das Wort (axdssa) feiner Etymologie nach die träge Gleichgültigkeit
des Geiſtes gegen Alles, was die menſchliche Sorge in Anſpruch nimmt,
das Verfinken der Seele in ihre Paſſivität, fo läßt die kirchliche Sitten⸗
lehre dieſen unſeligen Zuſtand bald als bedauerliche Melancholie er⸗
ſcheinen, die zugleich aus phyſiſchen und moraliſchen Urſachen entſteht
und alſo auch des Arztes bedarf, bald aber als die ſchwerſte Läſſigkeits⸗
ſünde.) In den ſcholaſtiſchen Syſtemen der Ethik erſcheint die Acedia
als eines der ſieben Hauptlaſter. Mönche, beſonders ſolche, die eben
erft die ſtrenge Regel auf ſich genommen, unterliegen dieſem Uebel am
meiſten, mag nun aus der ſcharfen Askeſe durch ihre Einwirkung auf
leibliche Organe eine drückende Hypochondrie entſtehen, mag der ſchnei⸗
dende Widerſpruch zwiſchen der todten Einförmigkeit des Kloſters und
dem muntern Weltleben fie erzeugen oder mag aus dem hinträumenden
Leben ein tiefes Gefühl ſeiner Unnatur entſpringen.
Irren wir nicht, ſo verändert ſich die Vorſtellung weſentlich, ſo⸗
bald ſie von der Laienwelt aufgenommen wird. Von einer ſpecifiſchen
Kloſterkrankheit iſt hier nicht mehr die Rede, man geht wieder mehr
auf ven urſprünglichen und antiken Begriff zurück. Das Gefühl, daß
Thätigkeit das eigentlichſte Lebenselement des Menſchen iſt, beſtätigt
durch die Erfahrung, daß er ſich im Arbeiten und Schaffen am wohl⸗
ſten und auch in ſittlicher Zufriedenheit befindet, brandmarkt nun jedes
träge Hinbrüten, jedes Sichabſchließen von Leid und Freude der Welt
als fanle und ſelbſtiſche Sünde. In dieſer Weiſe ſcheint Dante die
Atedia zu faſſen. Im fünften Kreiſe der Hölle findet er die Zorn⸗
müthigen, die im ſumpfigen Styx einander mit Fäuſten und Biſſen
zerfleiſchen. Unter dem fauligen Waſſer gurgeln und lallen Andere,
die auf ber heitern Erde trübſinnig und lebensunluftig geweſen, fie
klagen:
Tristi fummo 0
Nel aere dolce, che dal Sol s'allegra,
Portando dentro accidioso fummo. *)
) Eine Ueberſicht über den Sprachgebrauch des Wortes feit Hieronymus fin-
det man in Du Cang e Glossar. med. et inf. latin. digess. Henschel s. v.
Acedia. a
2) Inferno Oanto VII 8. fine.
88 Die Acedia.
Gerade die Zuſammenſtellung mit den Iracondı bezeichnet am
treffendſten die Accidiosi: jene überſchreiten das Maaß des Handelns,
indem ſie der Bewegung ihres Gemüthes auf rückſichtsloſe Weiſe Luft
machen; dieſe gerathen nicht in Wallung, wo ein tüchtiger Meuſch ge⸗
rathen ſollte, ſie verleugnen die Natur, indem ſie ſich nicht rächen, nicht
betrüben, nicht aufregen mögen, ihnen iſt verloren gegangen, was im
Leben und zum Leben reizt und ſpornt. Dieſe Auslegung des tiefſin⸗
nigen Dichters, die man bei mehreren neueren Commentatoren durch ge⸗
zwungene Wunderlichkeiten erſetzt findet, iſt bereits von Boccaccio auf:
geſtellt, der ſich hierüber mit beſonderer Ausführlichkeit ergeht.) Er
erklärt die Acedia durchaus als eine ſtumpfe und verdammliche Träg⸗
heit und weiſet auf die Betrachtung der unermüdlich geſchäftigen Ameiße
hin. Er ſchildert den Accidioſo wider die Gewohnheit feiner inter⸗
pretirenden Methode jo anſchaulich, daß man glauben ſollte, er habe
Unglückliche der Art gekannt: ein ſolcher Menſch mag nichts anfangen,
und treibt ihn die Nothwendigkeit zu etwas, ſo führt er es nicht zu
Ende; das Leben ſchleicht ihm hin, als lebte er nicht; ſeine Gedanken
werden immer düſterer und trüber, er mag nicht die Geſellſchaft, Ein⸗
ſamkeit, Dunkel und Schweigen zieht er ihr vor, er mag nicht die
Kirche beſuchen und beichten, nicht die Handlungen der Menſcheuliebe
üben, niedergeſchlagen verkommt er in Armuth und Elend, haßt fein
Leben und ſich ſelbſt, er empfindet erſt Gleichgültigkeit, dann Wider⸗
willen und Ekel gegen Alles, was gut und ſchön iſt (fastidio ge
nerale d' ogni bene).
War das nun Petrarca's Sal? Sollte er, der immer thätig und
fleißig war, der die Früchte ſeines Fleißes von Andern geſucht und ge⸗
lobt ſah, dem die Selbſtzufriedenheit mehr als billig lohnte, der mit
Vuſt an feinen alterthümlichen Studien hing, der das Daſein mit
empfänglichen Sinnen genoß und dazu mit durſtigen Zügen die Wonne
des Nachruhms ſchlürfte, der ſich gegen Freunde hülfreich und herzlich
erwies, ſollte er den Druck des ſtumpfen Lebensekels empfunden haben?
Ein Hinbrüten war ſeine Krankheit jedenfalls nicht; ſchildert er ſie doch
gerade als einen ſteten Kampf. Wenn er ſie ganz unpaſſend als Acedia
bezeichnete, ſo müſſen wir bedenken, daß er weder im Stande war, die
Abſtammung dieſes Wortes zu ergründen, noch ſeine Bedeutung in der
ſcholaſtiſchen Philoſophie einer näheren Kenntnißnahme würdigte. Er
1) Comento sopra Dante cap. VII (Opp. vol. VI. Firenze, 1724. p. 53—65).
1. Petrarca und Seneca. 89
nennt fie eine philoſophiſche Krankheit und bezieht ſich auf Cicero und
Seneca. Hier haben wir den Schlüſſel zu dem Geheimniß zu ſuchen.
Sicero zwar ſpricht allerdings im dritten Buche der tusculaniſchen Un⸗
terſuchungen, auf welches Petrarca beſonders hinweiſet, von einer aegri-
tudo animi, aber in einer Weiſe, die ſeinem verehrenden Leſer unmög⸗
lich das Gefühl der Sympathie erwecken konnte: ſtatt auf Seelenzuſtände
einzugehen, kommt er auf ſeine Gemeinplätze vom höchſten Gut, von
Schmerz und Luft, auf ſtoiſche und epikuräiſche Anſichten zurück. Aber
Seneca in ſeinem Werke „von der Ruhe des Gemüthes“ ſpricht in der
That Worte, die wie Pfeile in Petrarca's Herz dringen mußten, er
enthüllt hier feine krankhafte und zwieſpaltige Natur, die mit Petrarca's
eine überraſchende Verwandtſchaft zeigt. N
Wie Petrarca hat Seneca die ſtrebende Sehnſucht in ſich gefühlt,
ſein Leben in einer elenden Zeit vermittels philoſophiſcher Beruhigung
tragen zu lernen, doch war ſeine Bildung die des Redners oder viel⸗
mehr des Wort⸗ und Gedankenkünſtlers. Seiner Philoſophie gemäß
hätte er ein zurückgezogenes, einfältiges Leben führen müſſen, ſein Ta⸗
leut aber trug ihn wieder auf Bahnen, in denen es vor der Welt ſei⸗
nen Glanz entfalten konnte. Er erkennt es wohl für das Beſſere,
wen er die Objecte feiner Studien einfach für ſich ſprechen ließe und
dem Schimmer der Beredtſamkeit, dem Anſpruch auf den Ruhm der
Nachwelt entſagte. Dennoch reiße ihn der Ehrgeiz immer wieder nach
ven Höhen der Wohlredenheit und entfremde ihn feinem beſſeren Selbft,
Es ſei gar zu lockend, Lob und Schmeichelei zu hören, und gar zu
bitter, ſich ſelbft die volle Wahrheit zu ſagen.) So, bekennt er ſich,
ift dein Leben ein gemachtes und auf den Schein berechnetes, du wagſt
vich nicht einfach und frei darzuſtellen, wie du biſt, ſtets mußt du die
Maske hüten und dir ein Anſehen geben, welches deinem wirklichen
Weſen widerfpricht. Und doch wäre es immer noch beſſer, wegen ſei⸗
nes einfachen Geiſtes gering geachtet zu werden, als die Qual einer
ſteten Heuchelei zu ertragen.) Dieſes Schwanken iſt feine Krankheit.)
Die reinere Erkenntniß hat manchen Angriff verſucht und doch nicht
durchzudringen vermocht; immer trat ihr die feſtgewurzelte Eitelkeit als
) ef. de tranquill. animi I, 10—17.
2) ibid. XVII, 1.
) Animi inter utrumque dubii nec ad recta fortiter neo ad prava vergen-
tis infirmitas. ibid. I, 4. Auch den Ausdruck morbus gebraucht er dafür.
90 I. Petrarca und ſeine Acedia.
eine unüberwindliche Macht entgegen,) und endlich drückte das Be⸗
wußtſein eines nutzloſen Kampfes den Lebensmuth des Philoſophen
nieder.) Er ſinnt auf ein Heilmittel gegen dieſe Krankheit und findet
doch kein andres als ein auf öffentliche oder private Thätigkeit gerich⸗
tetes Leben. Bei jener aber wird zu der innern Gefahr, der er eben
entgehen will, noch die äußere kommen, und das Studienleben iſt ja
gerade der Herd der Gefahr ſelbſt.
Schon ahnen wir, wie ſich Petrarca bei der Lectüre dieſer lebens⸗ b
philoſophiſchen Grübeleien getroffen fühlte. Der Menſch, der die Trieb⸗
federn des eigenen Innern zu erkennen und zu regeln ſtrebt, der an
ſeiner Perſönlichkeit arbeitende Menſch trat aus dieſem ſenecaiſchen Buche
hervor wie aus den Confeſſionen Auguſtins. Man erkennt die an⸗
ſteckende Wirkung auch geiſtiger Krankheitsſtoffe. Denn ſchon jene grü⸗
belnde Neigung allein iſt eine Krankheit, da die geiſtigen Kräfte, gleich
den körperlichen Sinnen, von Natur zu einer Richtung nach außen be⸗
ſtimmt ſind und ſo ihre geſundeſte Thätigkeit entfalten. Nicht im Prü⸗
fen, Abwägen und Beichten des Selbſt, ſondern im Thun erkennt ſich
der Menſch. Wie den körperlich Kranken das Nachdenken über diefe
Krankheit immer tiefer in dieſelbe hineinzieht) fo erſcheinen auch geiſtige
Verſtimmungen bei längerer Selbſtbeſpiegelung zuletzt wie reizende Ge⸗
heimniſſe, indem ſie uns ein ſchmeichelndes Gefühl von der Mannig⸗
faltigkeit und Tiefe unſers Selbſt geben, und der Menſch gefüllt ſich
nur gar zu wohl in einem Gedankenkreiſe, deſſen Mittelpunkt ſein
Ich iſt.
Kehren wir nun zu Petrarca's Acedia zurück. Immer ſpricht er
von ihr in ziemlich dunkeln Ausdrücken, das Gefühl der Krankheit ſelbſt
it ihm ein unbeſtimmt⸗ drückendes und ermattendes. Sie iſt ihm wie
ein Geheimniß, das er nur in philoſophiſcher Beichte ſich ſelber anver⸗
trauen darf. Oft zwar ſpricht er über die Sache, aber den Namen
nennt er nur in einem ſeiner Werke, in welchem er, wie wir gleich
ſehen werden, wie vor Gott das tiefinnerſte Weben N Gedanken
darlegt.
Das iſt das Werk „von der Verachtung der Welk N wie der
Titel in den meiſten Handſchriften bezeichnender lautet, „über den ge⸗
U
) Tam malorum quam bonorum longa conversatio amorem induit. ibid. I, 3.
) Recedo itaque non pejor, sed tristior — nihil horam me mn nihil
non tamen concutit. ibid. I, 9. we;
I. Petrae Sekbfähelehte. 91
heimen Kampf ſeiner Herzensforgen.“) Ein Buch von der unermeß⸗
lichten Bedeutung, das Monument einer reichen und vielverſchlungenen
Subjertisität gleich den Confeſſionen eines Auguſtinus, Montaigne,
Roxfjean, der Schlüſſel zu allen andern Werken Petrarca's und die
Krone derſelben. Schon die Dialoge „über die Heilmittel gegen Glück
und Unglück“ waren eine Art von ſyſtematiſcher Selbſtſchau, doch über⸗
wog, wie wir ſahen, in ihnen noch der objective und wiſſenſchaftliche
Charakter. Hier haben wir eine Beichte im eigentlichſten Sinne, be⸗
gonnen mit dem reblichſten Beſtreben, durch unerbittliche Offenheit zur
Klarheit und zu einem friedlichen Gewiſſen zu gelangen. Petrarca will
diefes Buch, wie er in der Vorrede ſagt, nicht gleich feinen andern um
des Ruhmes willen ſchreiben, es ſoll nur ihm ſelbſt gehören, ein Beicht⸗
ſpiegel ſein, den er ſtill für ſich immer wieder zu leſen gedenkt. Du
ſollſt mein Geheimniß fein und heißen, ſagt er zu dem Buche.
Der heilige Auguſtinus iſt allein würdig dieſe Beichte zu hören.
Seneca mochte als Seelenverwandter, als Mitleidender erſcheinen,
Auguſtinus aber ſtand vor Petrarca zugleich als ein Prieſter da, der
mit ernſter Strenge zur Aufrichtigkeit des Bekenntniſſes und zur Buße
mahnt, zugleich war er der Vater aller dieſer Gedanken. Wir müſſen
hier noch einmal betonen, daß zunächſt nicht der Trieb des eigenen Ge⸗
wiſſens, ſondern die Confeſſionen jenes Glaubensmannes Petrarca den
Beichtgedanken eingaben. Wenn ich ihn leſe, ſagt er, erſcheint mir
mein ganzes Leben wie ein flüchtiger Traum, wie ein luftiges Phan⸗
tasma; er regt mich ſo auf, daß er mich aus dem Schlummer auf⸗
ſchreckt; mein Wille ſchwankt und meine Wünſche werden uneins mit⸗
einander, der äußere Menſch kämpft gegen den inneren.) Dennoch
liegt etwas Wahres in dem Vorwurfe, den einſt Jacopo da Colonna,
zugleich ſein Freund und ſein Mephiſto, gegen Petrarca ausſprach, er
habe ſich Auguſtinus und feinen Werken „mit gemachter Auhänglichkeit“
hingegeben, in der That aber ſich von den Dichtern und Philoſophen
des Alterthums nicht losgeriſſen. Die Scene auf dem Mont⸗Ventoux
iſt von Affectation ſo wenig frei wie Petrarca's Begeiſterung für dieſe
„Sonne der Kirche überhaupt. Das iſt von vorn herein ein Wurm⸗
ſtich in der Freudigkeit und Hingebung des Bekenntniſſes.
) De secreto conflictu curarum suarum, auch wohl Secretum (ef. Mehus
Vita Ambr. Travers. p. 237) und ein andermal Liber maximus rerum mearum
genannt.
) Epist. rer. famil. II, 9. an Jacopo Colonna.
92 I. Petrurer's Selbadeichte
Petrarca beſchuldigt ſich ſelbſt eines unmäßigen Stolzes auf ſein
Genie, auf die vielen Bücher, die er geleſen, auf ſeine Wohlredenheit:
er zeiht ſich einer Selbſtgefälligkeit, die „bis zum Haſſe gegen den
Schöpfer“ gehe. Er geſteht ſeinen Ehrgeiz. Nur um von den Men⸗
ſchen deſto mehr bewundert und gerühmt zu werden, habe er zum Bei⸗
ſpiel die Einſamkeit aufgeſucht.) Die Ruhmliebe erkennt er als einen
der gefährlichſten Affecte an, weil ſie den Schein des Hohen und Edlen
trage und mit den füßeften Tönen locke. Das Verlangen nach der
Unſterblichkeit des Namens ſei feine ſchwerſte Krankheit, die er nicht
bändigen könne.) Unter den Eitelkeiten wird vor allen die Buhlerei
um den Lorbeer gerügt. Wie ſchwer ihm gerade diefes Geſtänduiß
wurde, ſehen wir aus den Wendungen und Windungen, mit denen er
herumzukommen ſuchte. Denn bald wollte er den Lorbeer nur gewünſcht
haben, um Andre zum Nachſtreben anzuſpornen, bald nur um des
Namens feiner Laura willen.“)
Hier iſt die einzige Stelle in ſeinen proſaiſchen Werten, i in welcher
er von dieſer berühmten Liebe eingehender ſpricht, aber auch hier dun⸗
kel und offenbar mit der Abſicht, das lockende Geheimniß nicht aufzu⸗
klären. Wiederum hören wir die ſpöttelnde Stimme jenes Jacopo
da Colonna: Petrarca habe den hohen Namen Laura's nur erfunden,
damit er ihn verherrlichen könne und damit die Leute von ihm redeten;
die Laura in ſeinem Herzen ſei keine andre als die Poeſie, der Grund
ſeiner Lieder ſei erdichtet und ſeine Seufzer erheuchelt. „O wäre es
Heuchelei und nicht Wahnſinn!“ hatte ihm Petrarca geantwortet.)
Jetzt will er ſeine Liebe als eine reine und edle Erhebung des Geiſtes
vertheidigen, aber fein religiöſes Gewiſſen, fein Auguſtinus verlangt,
er ſolle einen verbrecheriſchen Wahnſinn darin ſehen, daß er ſeinen
Sinn vom Himmel zu ihr, vom Schöpfer zur Creatur gewendet, daß
fie ihn Gott vergeſſen gemacht habe.) Auch hier finden wir uns in
einem Nebel von Schein, Täuſchung und ann der das rei⸗
zende Myſterium immer dichter Rn:
) De contemptu mundi Dial. II (Opp. p. 383. 389). Wir binden uns hier
nicht an die im Buche ſelbſt gegebene Reihenfolge der Eonfeffionen, weil fie uns we⸗
der beabſichtigt noch weſentlich erſcheint.
2) ibid. Dial. III (p. 397. 410).
3) ibid. p. 403.
) Epist. rer. famil. II, 9.
) De contemptu mundi Dial. III (Opp. p. 398. 403).
I. Petraroa's Selbſtbeichte. 93
Potrarca ſtellt ſich feiner eigenen Lebensphiloſophie gegenüber. Er
findet, daß fein Geiſt ſich in allzu vielfachen Beſchäftigungen zerſtreue,
ohne Plan hierhin und dorthin ſchwanke, nirgend ganz und einig ſei.
Beweglichleit laſſe ihn nicht bei ſeinen heilſamen Planen verharren und
dadurch am meiſten entſtehe „jener innere Zwieſpalt, jene Angſt der
ſich ſelber zürnenden Seele: fie ekelt vor ihrem Schmutze und fie wäſcht
ihn doch nicht ab, ſie erkennt die gewundenen Wege und verläßt ſie
dech nicht, fie fürchtet die drohende Gefahr und weicht ihr doch nicht
aus.) Er hat ja, was ihm dagegen noth thut: die Vorſchriften der
ſtoiſchen Philoſophie — aber freilich ſie ſind „der Wahrheit näher als
der Anwendung“; die Gebote der Religion — träten ſie nur nicht dem
Gebildeten ebenſo unerbittlich, Gehorſam und Demuth fordernd gegen⸗
über wie jedem Dummkopf, wollten ſie nur nicht Den, der hoch und
einzig daſteht, zum gemeinen Volke herunterſtoßen, ließen ſie nur dem
denkenden Menſchen einige Freiheit in ſeinen Meinungen, ſtatt auch ihn
unter eine und eine alleinige Autorität zu beugen.) Aber dieſe Nor⸗
men find doch immer wahr. Der Stoicismus und das Leben in Chriſto
können allein der Seele den Frieden wiedergeben, ſie dulden keine Halb⸗
heit. Es muß mit ihnen bitterer und unbedingter Ernſt gemacht wer⸗
den, Petrarca muß Myrthe und Epheu, ſelbſt den Lorbeer, den er allein
unter feinen Zeitgenoſſen zu tragen verdient, vergeſſen, alle irdiſchen
Wünſche müſſen von ihm weichen, will er das wahre Gut, den hohen
Standpunct von Auguftinus' Confeſſionen erlangen.“)
Er hat den Menſchen ſo oft erzählt, daß der Gedanke an den
Tod ihn unaufhörlich beſchäftige, daß er beſtändig das Bild des Todes
wie mit ſchwarzen Zügen auf ſeine Seele geſchrieben in ſich herumtrage.
Das Thema kehrt in ſeinen Briefen und Tractaten bis zur Langweilig⸗
keit wieder, er kam ſich darin am weltweiſeſten vor. Nun prüft er
ſich mit ſchneidendem Ernſte. Und ſiehe, der Todesgedanke erfüllt ihn
immer noch mit kindiſcher Furcht, er hat ſich keineswegs an ihn ge⸗
1) ibid. Dial. I. (Opp. p. 382).
2) Petrarca meint beiläufig Dial. III (p. 398): Suam quisque sententiam se-
quatur; est enim opinionum ingens varietas (ſo muß ohne Zweifel geleſen werden,
nicht veritas; auch finde ich jene Lesart in einem Manuſeript der k. Bibliothek zu
Königsberg) libertasque judicandi. Dagegen ſagt ſein Auguſtinus, die Kirche: Ve-
ritas una atque eadem semper est. Uns dünkt, es liege ein R Princip
in ſolchen Worten.
) ibid. Dial. I (Opp. p. 377. 378).
94 I. Petrarcas Selbgtbeichte.
wöhnt, und wie er recht in ſich dringt, findet er, daß er fig mir ein⸗
bilde, viel und ernſtlich an den Tod gedacht zu haben. Er verlangt
von ſich, daß der Gedanke des Todes ihm wirklich und lebhaft, bis
zum Erbleichen und Durchſchaudern vor der Seele ſtehe; es müßße ihm
dann fein, als zittere er ſchon vor der furchtbaren Rechenſchaft, wo
Körperſchönheit, der Ruhm der Welt, Wohlredenheit, Macht und Reich
thum, wo alles Irdiſche nichts iſt; die Hölle mit ihrem Grauen müffe
gegenwärtig ſein. Er war verzweifelt, nicht zu empfinden, wie er doch
empfinden ſollte, er zwang ſich zu einer phantaſtiſchen Zerknirſchung, die
doch mit dem Herzen nichts zu thun hatte. Er legte ſich zur nücht⸗
lichen Stunde wie ein Sterbender auf ſein Bette, ſtellte ſich lebhaft
den Act vor, der den Geiſt vom Leibe ſcheidet, phantaſtrte ſich in vie
Schrecken des Todes und des Weltgerichtes hinein, er ſah die Hölle, fuhr
bebend empor, ſchrie laut wie ein Wahnſinniger Jeſum um Hülfe an,
brach in einen Thränenſtrom aus und — fand ſich dann zu ſeiner
Verwunderung als denſelben Menſchen wieder, der er vorher geweſen.)
Nach der Analogie dieſes philoſophiſchen Kampfes verſtehen wir
nun auch die moraliſchen Bußkämpfe Petrarca's, wir verſtehen feine
Klage, daß das Gewiſſen ihm zwar oft die tiefſte Zerknirſchung und
bittre Thränen ausgepreßt, niemals aber feinen Vorſatz und Willen
gründlich geändert, den eitlen Sinn überwunden habe. Darum findet
er nichts trauriger im Leben, als die eitle und verderbliche Sucht der
Menſchen, ſich ſelbſt zu täuſchen. Da iſt die Liebe und das Aufehen
und das Zutrauen unendlich groß: ein Jeder ſchätzt ſich höher als er
gilt, liebt ſich mehr als er ſollte, und deshalb iſt der . em
Betrüger nicht mehr zu unterſcheiden.“)
Das eben iſt der individuelle Menſch. Einmal zu dem —
fein gelangt, daß er eine Monade auf vieſer Erde iſt, kann er feine
Einzelſtellung nicht mehr aufgeben, kämpft er vergebens gegen die Bel⸗
dung, die ihm zur eigenthümlichen Natur geworden iſt. Einmal ge
worden, wird er nur auf ſeinem eigenen Wege anders und ſelten auch
das. Für die unbedingte Autorität iſt er verloren: er wird kein ge⸗
lehriger Schüler, kein guter Soldat, kein richtiger Mönch mehr.
1) ibid. Dial. I (Opp. p. 378—380): Corpus hoc in morem morientium com-
pono, ipsam quoque mortis horam et quicquid eirea eam mens horrendum re-
perit, intentissime mihi ipse confingo, usque adeo, ut in a meriendi ve
mihi videar etc.
) ibid. Dial. I (p. 376).
I. Petrorca's Seſbftbeichte. 9
Auch Petrarca iſt nach feinen Eonfeffionen genan derſelbe geblie⸗
ben, der er vorher geweſen. Es kommt bei denſelben nichts weiter
heraus, als womit er anfing und was er längſt wußte, daß er das
title Streben nach dem Ruhme laſſen und die Tugend ſelber erringen
müſſe, daß der Reſt ſeines Lebens ganz darauf gerichtet ſein ſolle, den
Gedanken des Todes auszudenken und Gräber zu betrachten.) Um
die Wirkung dieſes Entſchluſſes zu erfahren, dürfen wir kaum erſt auf
ſein ſpäteres Leben und ſeine ſpäteren Schriften ſehen. Schon die
Conſeſſionen ſelbſt genügen uns. Wie matt und halb iſt der dritte
Dialog gegen die beiden erſten, wie iſt ihm während des Schreibens
ſchon der Wille erlahmt, das Buch zu einer großartigen That zu ma⸗
chen! Während er eben noch ſeinen Stolz und ſeine Eitelkeiten verdammt
hat, freut er ſich ſchen wieder „feines Genies und feines gedanken⸗
ſchweren Geiſtes.“) Während er ſich im Anfange vorgeſetzt, dieſes
Buch ſolle nur ihm ſelbſt gehören, hat er es doch veröffentlicht und in
jenem dritten Dialoge ſchwebt ihm deutlich ſchon wieder der bewun⸗
dernde Leſer vor.) Einſt hatte er mehr ſein wollen, als er war, und
das war nicht ehrlich gegen die Menſchen; jetzt wollte er ehrlich gegen
ſich ſelber ſein und vermochte es nicht mehr. Um dieſen Preis hat er
den philsſophiſchen Heiligenſchein erkauft.
Petrarca verſichert uns, daß er in ſeinem Alter ruhiger und eini⸗
ger mit ſich geworden.) Daß er deshalb aber der Philoſoph nicht
geworden, zu welchem er ſich in den Conſeſſionen hinaufzuläutern ge⸗
dachte, beweiſen feine fenilen Schriften auf jeder Seite. In der Ge⸗
ſchwätzügkeit des Alters erſcheint er ſogar noch eitler und ruhmrediger
als zuvor. Er erſparte ſich aber die unfruchtbare Reue und das nutz⸗
loſe Verlangen, ein andrer werden zu wollen. Mit Behagen, aber
nicht mehr mit gierigen Zügen, genoß er in ſeiner Einſamkeit zu Arqua
immer noch den Becher des Ruhmes und der Bewunderung. Je näher
er dem Grabe rückte, deſte großartiger erſchien dem heranwachſenden
Geſchlechte feine philoſophiſche Majeſtät.
Wunderbar, daß gerade jener Zug, der Petrarca von Sittenrichtern
am meiſten zum Vorwurfe gemacht iſt, jenes eitle Hervordrängen ſeiner
9) ibid. Dial. III (p. 414)
) ibid. Dial. III (p. 407).
N ibid. p. 410 läßt er Auguſtinus feine miserias erwähnen, quas sciens sileo,
ne arguar a quoquam, si quis forte aurem in hos sermones nostros intulerit.
) Epist. rer. senil. VIII, 9. 5
98 I. Petrarca's Verehrung.
Perſönlichkeit und der Nimbus, in dem er ſie darzuſtellen fuchte, feine
Wirkung auf die Welt und zunächſt auf die Literatur am meiſten be⸗
dingt hat. An ſeiner Perſon lernte man den Dichter, den Philoſophen,
den Alterthumsforſcher ehren. Den Umſchwung und die Ausbreitung
mancher Ideen fördert nichts ſo ſehr, als wenn die Welt ſie in einer
Perſon repräſentirt und gleichſam verkörpert ſieht. Unzählige haben
die Fähigkeit, einen Menfchen zu verehren, wenn fie auch von dem,
was er eigentlich will, wenig Notiz nehmen oder verſtehen. Und end⸗
lich kommen die Huldigungen, die von der Eitelkeit als perſoͤnlicher
Tribut eingefordert werden, doch wieder der Sache zu Gute, und ſelbſt
das Kleine an großen Menſchen dient der höheren Weltordnung.
Petrarca wurde wie ein Wunder der Schöpfung angeſtaunt. Wir
deuteten bereits an, daß nicht allein der Ruf ſeiner Gelehrſamkeit und
der ſüße Klang ſeiner Lieder die Urſache waren, ſondern mehr noch
das Geheimniß ſeiner Perſönlichkeit.) Daher erſcheint die Verehrung,
die man ihm zollte, mitunter unverſtändig und kindiſch, oft aber auch
ahnungsvoll und rührend. Er war noch ein junger Mann und lebte
zu Avignon, da kamen ſchon nicht ſelten vornehme und gebildete Män⸗
ner aus Frankreich und Italien, lediglich um ihn zu ſehen und zu ſpre⸗
chen, ſchickten auch wohl koſtbare Geſchenke voraus, um ſich den Weg
zu ihm zu bahnen. War er in der Stadt nicht anweſend, ſo ſuchten
fie den Philoſophen in feiner Einſamkeit an den Quellen der Sorgue
auf. Er gedenkt, wie er das erzählt, daß Hieronymus Aehnliches von
Titus Livius berichte. Päpſte und Fürſten, die Höchſten vom Adel
und Klerus wetteiferten, ihm durch Geſchenke und Schmeicheleien ihre
Ehrerbietung zu bezeugen. Hat ſpäter die humaniſtiſche Richtung ein
einigendes Band um Italien geſchlungen, iſt ſie zum kosmopolitiſchen
Bindemittel zwiſchen den gebildeten Nationen Europa's geworden, ſo
war der Anfang dieſer Erſcheinung die gemeinſame Verehrung Pe⸗
trarca’s. Italien hatte nun einen Namen, deſſen Klang von den Alpen
bis zum joniſchen Meer der edelſte und vollgültigſte war; ſo vergalt
man Petrarca die feurige Liebe, mit welcher er in Wort und Lied die
) Bei ſeinem Tode beſang ihn Franco Sacchetti (bei Mehus Vita Ambr.
Travers. p. 231) als |
Colui, che sempre avea co’ vizzi guerra,
Cercando i modi santi e il regno eterno.
Tanto avea gli occhi verso il ciel divino eto.
I. Betrarca’s Verehrung. | 97
ruhmreiche Halbinſel geprieſen. In einem Decrete des venetianiſchen
Senates heißt es von Petrarca, ſein Ruhm ſei ſo groß auf dem gan⸗
zen Erdkreiſe, daß ſeit Menſchengedenken unter den Chriſten kein Mo:
ralphiloſoph und Dichter geweſen ſei noch jetzt lebe, der mit ihm ver⸗
glichen werden könne.) Wie ſtolz waren die Bürger ſeiner Vaterſtadt
Arezzo auf ihn! ſie führten ihn, als er einſt hinkam, wie im Triumphe
durch die Straßen und zu ſeinem Geburtshaus, deſſen Umban dem
damaligen Eigenthümer unterſagt wurde, damit es als Denkmal des
großen Bürgers ſtehen bleibe.) Auch Florenz, die fruchtbarfte Stätte,
in welche die Ausſaat des petrarchiſchen Geiſtes gefallen iſt, beehrte
ſich, den großen Tuscier ihren „Mitbürger“ zu nennen. Auf Staats⸗
koſten wurden die Ländereien, die einſt feinem verbannten Großvater
entriſſen waren, wieder eingelöſet und dem Dichter zurückgeſchenkt.
Durch ſeinen Ruhm angeregt, beſchloß die Republik, ihrer Hochſchule
eine Facultät der freien und ſchönen Studien hinzuzufügen, und lud mit
den ſchmeich elhafteſten Erbietungen den Mann ein, „der ſeit Jahrhun⸗
derten ſeinesgleichen nicht gehabt und in der Zukunft ſchwerlich haben
werde“, den ſie verehre,“ als hätte Maro's Geiſt oder Cicero's Beredt⸗
ſamkeit ſich wieder mit menſchlichen Gliedern bekleidet.“ Unter ſeiner
Führung ſollte das neue Studium erblühen und durch feine Mitglied⸗
ſchaft alle andern in Schatten ſtellen. Boccaccio wurde beauftragt,
dieſe Einladung zu überbringen, aber Petrarca begnügte ſich auch hier
mit der Ehre des Rufes.)
Rührender noch war die Verehrung Einzelner. Ein alter, völlig
erblindeter Schulmeiſter aus Pontremoli, der ſelber dichtete und eine
innige Liebe zu den ſchönen Wiſſenſchaften hegte, kam, auf ſeinen ein⸗
zigen Sohn und einen Schüler geſtützt, bis nach Neapel gewandert, um
den großen Petrarca einmal hören und vielleicht antaſten zu dürfen.
Da dieſer Neapel bereits verlaſſen, reiſte er ihm in derſelben Weiſe
über den ſchneeigen Apennin bis Parma nach. Hier endlich traf er
ihn, und wie oft küßte er ſein Haupt um der Gedanken willen, die
) Das Decret vom 4. Sept. 1362 bei Tiraboschi Storia della Letteratura
Italiana (II. ediz.) T. V (Milano, 1823) p. 173.
2) Epist. rer. senil. XIII, 3. Cecco Polentone bei Mehus Vita Ambr.
Travers. p. 199). Ä
) Das Schreiben der Priori, des Gonfaloniere di giuſtizia und der Commune
von Florenz im Auszuge bei Mehus l. o. p. 243. und bei de Sade Memoires T.
III. p. 125. Baldelli Vita di Giov. Boccaoci. Firenze, 1806. p. 108.
Voigt, Humanismus. 7
*
8 I. Petrarca's Verehrung.
es gehegt, wie oft ſeine rechte Hand um der entzückenden Worte willen,
dis fie geſchrieben!!) Selbſt Männer wie der nüchterne Filippo Villaui
erhielten von Petrarca's Perſönlichkeit einen tiefen Eindruck. Er war,
ſagt jener, in jeder Beziehung das Bild der vollendeten Tugend und
gewiſſermaßen ein Spiegel der Sitten. Dadurch habe er. auf fein
elende Zeitalter nicht weniger eingewirkt als durch feine Rede, da
Biele ihm nachftrebten. Auch findet es Villani ſehr glaublich, vaß aus
dem Munde des ſterbenden Petrarca eine weiße Nebelwolke gen Him⸗
mel aufgeſtiegen fei, und er ſieht darin ein Wunderzeugniß für die
Gottſeligkeit des Verſtorbenen.) Hören wir noch einen Zeugen. We⸗
nige Tage vor Petrarca's Tode beſuchte ihn in Arqua der junge Do⸗
menico von Arezzo, ein vielſeitiger Gelehrter, der auch ein lurzes Leben
Potrarca's geſchrieben hat. Als Landsmann wagt er es, ihm fein Buch
Fons Memorabilium Universi zur Anſicht zu überreichen. Nach eini⸗
ger Prüfung deſſelben heftet der Meiſter die Augen auf ihn und fagt:
„hehe hin, mein Sohn, und verfolge mit gutem Glück, tüchtig und
löslich, was du begonnen Haft! Ergründe alle Bücher, ſchlage fie immer
wieder und wieder um und bringe dadurch deinen Namen auf die fernfte
Zukunft!“ In wenigen Tagen muß Domenico hören, daß den großen
Mann ein Schlagfluß dahingerafft. Er möchte, ſagt er, gar viel von
ihm erzählen, aber ſo oft er an ihn denke, entſtrömten ihm die ne
nen und die bebenden Hände wollten nicht ſchreiben.)
Bis in die barbariſche Fremde wirkten die Nubmesſtrahlen, die
von Petrarea's gekröntem Haupte ausgingen, mit zündender Kraft.
Dreimal lud Karl IV den Dichter zu ſich: er trage das größte Ber⸗
langen, ihn zu ſehen, ſich ſeiner Wohlredenheit zu erfreuen und die
Lohren der Moral pon ihm zu hören. Sein Canzler, der Biſchof Jo⸗
hann von Olmütz, war wie verzaubert von den Schriften Petrarca's,
die ex ſich kommen laſſen, und von dem Rufe des wunderbaren Philo⸗
ſophen, der pon ſelbſt zu ihm gedrungen. Er fchämte fi), va er
im Auftrage des Königs die Einladungen an Petrarca zu ſchreiben
hatte, ſeiner ſtiliſtiſchen Plumpheit, die er demüthig mit der deutſchen
Barbarei zu entſchuldigen bat.) Er empfand wahrhaften Trühſinn
]) Epist. rer, senil, XV, 7.
) Villani bei Mehus l. c. p. 197.
) Dominicus Aretinus ibid. p. 198.
) Erubescam igitur de mea grossitie, quam rustica involvit semper bar-
baries, qui germanicis nivibus natus Orientis non valeo viribus adaequari.
I. Petrarca's Berchrung. 99
darüber, daß er nur den ſüßen Klang von Petrarca's Eclogen heraus⸗
zuhören, ihren tieferen Sinn aber nicht zu ergründen vermochte. da
er gedachte mit Schaam feiner notarialen Kunſt und ſeiner Tanzler⸗
würde, in der er ſich dem ſchwunghaften Worte Petrarca's gegenüber
wie eine ſchwatzende Elſter erſcheine. Und fo fand er nur zu beklagen,
daß ihm nicht das Glück geworden, Jünger einer ſolchen Schule zu
fein, er wünſchte nur von den Broſamen, die von dem reichen Tiſche
des heiligen Sängers abſtelen, ſeinen Hunger zu ſtillen und wollte ſich
a. preifen, wenn er, mit dem Angeſicht auf der Erde, bie Jußſpuren
tines ſolchen Redners verehren könnte.)
Jene lateiniſchen Werke Petrarca's, über welche jetzt fo Mancher,
ver fie nicht kennt, zu lächeln ſich erkühnt, haben zu ihrer Zeit ein Auf
ſehen erregt, welches ſich in Urſache und Wirkung vielleicht nur wit
dem Wertherſieber vergleichen läßt. Eben weil man überall die Her⸗
zenserlebniſſe des Verfaſſers durchzittern fühlte, entzündeten fie wunder⸗
ber die Gemüther. Wir hören das ſelbſt von ſolchen Schriften, bei
denen uns der ſentimentale Eindruck faft unbegreiflich ſcheinen wel,
zum Beiſpiel von dem Tractate über das einſiedleriſche Leben. Ver⸗
ſchiedene Perſonen fühlten ſich gedrängt, dem Autor ihre Bewunderung
auszuſprechen. Ein Arzt aus Siena verſicherte ihm, er. habe bei meh⸗
rwen Stellen fromme Thränen geweint. Der Biſchof von Cav aillon,
nochmals Cardinal von S. Sabina, ließ es in feiner geiſtlichen Fa⸗
milte bei Tiſche leſen, als wären feine Capitel heilige Legenden. Gin
alter und frommer Camaldulenſerprior vermißte unter den heiligen
Einſiedlern S. Romualdo, den Stifter ſeines Ordens, er ſchickte Pe⸗
trarca ein Leben deſſelben und bat dringend, ihn in die ehrwürdige
Reihe aufzunehmen. Da Petrarca eiuwilligte, bewarb ſich ein and rer
Freund ſogleich um dieſelbe Ehre für den heiligen Johaunes von Vall⸗
ombreſa. Die Dominicaner beklagten ſich, daß man den heiligen
Franciscus in dem Buche finde, nicht aber ihren Dominicus, worauf
Hetrarca antwortete, er habe nirgend geleſen, daß S. Dominicus a
Einſiedlerleben geführt.)
Unter Petrarca's Werken finden wir faſt alle die Gattungen ver⸗
treten, die hundert Jahre lang von feinen Jüngern, den Humaniſten,
) Sechs Briefe des Canzlers an Petrarca bei Mehus l. c. p. 221 2. , die
Antwortsbriefe Petrarca's bezeichnet Mehus p. 245.
2) Epist. rer. senil. XV, 3.
en
100 I. Betrarca’8 Schriften als Vorbilder neuer Literaturzweige.
gepflegt wurden. Die Epiſtolographie erhob er wieder zur Kunſt und
ſchuf in ihr zugleich ein Bindemittel für die zukünftige Gelehrteurepn⸗
bit. Schon bei feinen Lebzeiten fing ſich eine epiſtolographiſche Schule
um ihn zu bilden an: wir ſehen, wie ſeine Freunde und Cicero's Ver⸗
ehrer ſich in Venedig, Parma und anderswo bemühten, philofophiſch,
mit geſuchten Wendungen, mit claſſiſchen Citaten, mit hiſtoriſchen und
mythologiſchen Anſpielungen zu ſchreiben.) Petrarca dichtete Eclogen
und poetiſche Epiſteln, in denen man Virgils glatte Sprache und Ho⸗
ratius' Feinheit wiederzufinden meinte, ferner viſtichiſche Epitaphien.
Die antiken metriſchen Formen find ſeitdem aus der lateiniſchen Poeſte
nicht mehr verdrängt, das Reimſpiel iſt in die Vulgärdichtung verwieſen
worden. Verſe aher machte bald ein Jeder, der nur den grammatiſchen
Eurſus hinter ſich hatte. Das Heldengedicht Africa, mit welchem Pe⸗
trarca den Kranz zu verdienen meinte, den nach ſeiner Phantaſie einſt
Auguſtus dem Sänger der Aeneide auf die ruhmerglühten Schläfen
gedrückt, iſt doch immerhin der erſte Verſuch des modernen Kunſtepos
und ſteht durch eine Reihe von Mittelgliedern in Verbindung mit dem
raſenden Orlando und dem befreiten Jeruſalem. Der moraliſche Tractat
iſt ſeit Petrarca der Tummelplatz antiker Philoſophie und antiquari⸗
ſcher Kenntniſſe aller Art geblieben. Ihn durch eine große Subjectivi⸗
tät zu beſeelen wie er, haben ſeine Nachfolger freilich nicht vermocht.
Auch in der Invective iſt er wahrlich nicht ohne Nachahmung geblieben,
es knüpft ſich als Gegenſpiel an dieſe Gattung die Lob⸗ und Feſtrede,
deren Petrarca vielleicht nur ſich ſelber würdig hielt. Er verſuchte
ſich in der Geſchichtſchreibung großen Stils, obwohl ſeine römiſche Ge⸗
ſchichte, die von Romulus bis auf. Titus führen ſollte,) im Plane
liegen blieb und nur die 31 Lebensbeſchreibungen berühmter Männer
fertig wurden. Seine Sammlung alter und neuer Anekdoten, in der
Weiſe des Valerius Maximus, führte in leichterer Form die menſch⸗
lichen und charakteriſtiſchen Züge der alten Geſchichte vor.) Und ſein
Itinerarium Syriacum muß als der erſte Verſuch gelten, die Geographie
der alten Welt herzuſtellen.
Alles, was er als Dichtung und Alterthum bezeichnete — jene
beiden Begriffe, die ihm ſo nahe verwandt ſchienen — ſah Petrarca
ͤ—— — —
) Vergl. die eingeſtreuten Briefe Andrer in Petrarca's Epistolae rerum variarum.
) De contemptu mundi Dial. III (Opp. p. 410).
) Ich meine die Rerum memorandarum Libri IV.
I. Andentung des Erfolges. 101
noch bei ſeinen Lebzeiten in üppigen Aufwuchs kommen. Niemals, ſagt
er halb mit Freude halb mit Beſorgniß, niemals war des Horatius
Wort Seribimus indocti doctique poemata passim wahrer als jetzt.
Täglich regneten ihm aus allen Winkeln Italiens Verſe zu, ja aus
Frankreich, Deutſchland, England und Griechenland. Die Juriſten
verlaſſen ihren Juſtinianus und die Aerzte ihren Aesculap, ſie wollen
nur von Virgilius und Homeros ſprechen hören. Selbſt an die rö⸗
miſche Curie habe ſich das Uebel ſchon eingeſchlichen. „Ich fürchte,
daß ich mit meinem Beiſpiel zu dieſer Thorheit beigetragen habe. Man
ſagt, der Lorbeer erzeuge wahre Träume, aber ich beſorge, daß der,
den ich mit allzu großer Begier erworben, noch nicht reif war und mir
und vielen andern falſche Träume bringe.“)
) Bei de Sade Mdmoires T. III p. 243.
108
Zweites Buch.
Die Gründer der florentiniſchen Muſenrepublik. Die Wander⸗
lehrer. Erweckung der elaſſiſchen Autoren aus den
Kloſtergräbern.
Petrarca würde ſich bitter getäuſcht fühlen, wenn er den Ruhm,
den er ein halbes Jahrhundert nach ſeinem Tode genoß, mit demjenigen
vergliche, den ſein brennendes Herz ſich für Aeonen geſichert glaubte.
Aber warum ſetzte er auch den Ruhm in die blinde Bewunderung, in
das lärmende Lob der Menſchen! Dieſes verhallt und jene wird matt,
ja die jungen Generationen, die auf des Meiſters Schultern ſtehen,
vergeſſen gern den Arm, der ſie emporgehoben, und meinen größer zu
ſein, weil ſie mit keckem Uebermuth über ſein Haupt hinwegſehen. Ein
andrer Ruhm dagegen, der freilich nicht ſo faßlich von Mund zu
Mund und von Ohr zu Ohr ſich ausbreitet, iſt Petrarca in reichem
Maße zu Theil geworden: das ſtille und oft auf verborgenen Wegen
beinahe geiſterhaft wirkende Fortleben ſeines Geiſtes. Die Saat, die
er ausgeworfen, hat Tauſende von Menſchen zu ihrer Pflege gerufen
und Jahrhunderte zur Reife bedurft. Nicht nur auf allen Seiten die⸗
ſes Buches, wohl auch auf allen Blättern, welche die Weltgeſchichte
der folgenden Jahrhunderte erzählen, wird der feinfühlende Leſer den
Geiſt des neubelebten Alterthums und gerade in der Gewandung rau⸗
ſchen hören, die er durch Petrarca empfangen.
Wir faſſen in dieſem Abſchnitte die Anregungen ins Auge, die
allzunächſt von Petrarca ausgingen und nicht bei dem bloßen unthäti⸗
gen Staunen verharrend, zu lebendig fortwirkenden Kräften wurden,
wir weiſen die erſte Propaganda ſeines Geiſtes auf. Da finden wir
II. Die florentiniſchen Jünger Petrarca’s. Boccaccio. 108
denn, wie die Arbeit, die er auf fein alleiniges Haupt genommen, ſd⸗
fort getheilt wird, wie einzelne Perfönlichkeiten dieſen oder jenen Strahl
ſeines Seelenlebens aufgefangen haben und in ihrer Weiſe darſtellen,
wie die Richtungen ſich ſondern und doch wieder in Gruppen zuſammen⸗
treten, um einander zu unterſtützen und zu ergänzen. Eine Concen⸗
tration, wie ſie in Petrarca's Individualität gleichſam vorbildlich vor⸗
handen war, findet jetzt in dem tuseiſchen Stamm oder vielmehr
geradezu in der Capitale deſſelben, in Florenz ſtatt, welches durch Pe⸗
trarca's Geiſt fortan zum Sitze der Muſen geweiht wird, die beſten
feiner Jünger in ſich verſammelt und jo dem Humanksmus eine feſte
Stätte gründet. Es iſt unleugbar, daß von dieſer Republik die moderne
Republik ver Wiſſenſchaften zum großen Theile Form und Charakter
empfangen hat.
Wir nennen ſogleich die drei Jünger Petrarca's, denen wir dieſen
Einfluß zuſchreiben: es ſind Giovanni Boccaccio, Luigi Marſigli und
Coluccio Salutato. Wir bezeichnen auch ſogleich den Kern ihrer Wirk⸗
ſamkeit: Boceaceis ſtellt die Freude des ſtillen Gelehrtenfleißes dar;
Marfigli iſt der Gründer des erſten freien Vereines, in welchem Wiſſen⸗
ſchaft und menſchliches Streben außerhalb der Kirche und Hochſchule
gepflegt werden; Salutato hat dem Humanismus im Staatsleben das
Bürgerrecht erworben. Sie alle umſchlingt ein gewiſſer republicaniſcher
Geiſt, der Petrarca, dem Weltbürger, perſönlich fremd geweſen und
doch von ſeiner Lehre den Urſprung herführt. Inwiefern ſich jene
Mäuyner auch ſonſt Petrarca anſchließen, wird das Folgende deutlich
geung zeigen, aber laſſen wir auch allem Beſondern, was an ihrer
Perſönlichkeit und ihrer Stellung haftet, ſein Recht widerfahren.
Dem Genie ſcheint wie einem Glückskinde Vieles von ſelbſt zuzu⸗
fallen, was Andre mühſam erarbeiten müſſen, und was in andern Fäl⸗
len für ein bedauerliches Hinderniß gehalten wird, erſcheint bei ihm
oft gerade als fördernde Vorſehung. Petrarca war durch ſeinen Vater,
der einen Advocaten aus ihm machen wollte, in ſeinem ſchöngeiſtigen
Treiben gehemmt worden, indeß brach der Dichter in ihm nur deſto
mächtiger durch, die Kraft und die Begeiſterung wuchſen unter dem
Drucke und mit der Juriſterei warf er die ganze ſcholaſtiſche Methode
hinter ſich. Wie anders war der Bildungsgang feines treueſten Jün⸗
gers, des Giovanni Boccaccio aus Certaldo! Er hatte noch das
ſiebente Jahr nicht erreicht, da verſuchte er ſich ſchon in kleinen Dich⸗
tungen, natürlich in tusciſcher Sprache. Sein Vater aber beſtimmie
104 | II. Boccaccio's Bildungsgang.
ihn zum Kaufmann und ließ ihn ſechs Jahre lang, eine unwiederbring⸗
liche Zeit, mit Rechnungen und Geſchäften verkehren, bis er endlich,
auf die Befähigung des Sohnes aufmerkſam gemacht, ſeinem Studien⸗
eifer nichts mehr entgegenſetzte, aber ihn auf eine Brodwiſſenſchaft,
das kanoniſche Recht, verwies. In dieſer Zeit, angefeuert durch Pe-
trarca's vielgerühmten Namen, begann Giovanni die alten Autoren zu
leſen, ohne Anleitung, doch mit deſto größerer Begier. Wiederum ſechs
Jahre lang hielt ihn ſein Vater bei den Rechtsſtudien feſt und ärgerte
ſich an ſeinen ſchöngeiſtigen Gelüſten. Auch ſeine Freunde ſchalten ihn
darüber und wenn fie ihn Dichter nannten, ſo geſchah es nicht ohne
Spott. Boccaccio ließ ſich das Alles nicht irren. Als er in ſeinem
fünfundzwanzigſten Jahre durch den Tod des Vaters ein freier Mann
wurde, war ſein Entſchluß gefaßt. Ob dazu gerade das Grabmal Virgils
beigetragen, laſſen wir dahingeſtellt fein. ') Boccaccio wußte, daß den
Poeten nicht das Wohlleben erwartete, welches ſich der Kleriker oder
Advocat allenfalls ſchaffen konnte. Aber er gehörte zu denen, in deren
Seele ein unauslöſchlicher Funke des petrarchiſchen Ruhmgedankens ge⸗
fallen war. Dennoch war ihm die Zeit, in welcher die Geiſteskräfte
und Talente geweckt werden, allzu bitter verkümmert. Er ſelbſt wenig⸗
ſtens behielt bis in ſein Alter das Gefühl, daß er vielleicht ein be⸗
rühmter Dichter geworden wäre, hätte ſein Vater ihm ſogleich freien
Lauf gelaſſen.)
Daß Petrarca ihn der Freundſchaft würdigte, nahm Boccatels
wie eine unverdiente Gnade auf. Mit neidloſer Bewunderung ſah er,
wie Päpſte und Könige um dieſe Freundſchaft des großen Mannes
buhlten und wie der Ruhm deſſelben die Welt erfüllte. Er ſchreibt
ſeinen Namen nicht, ohne daß die Begeiſterung ein ehrendes Beiwort
hinzufügt. Er nennt ihn feinen berühmten und erhabenen Lehrer,
ſeinen Vater und Herrn, einen Dichter, der eher den herrlichen Alten
als den Modernen beigezählt werden müſſe, einen wahrhaft himmliſchen
Menſchen, das glorreiche Wunder ſeiner Zeit.) Als Petrarca einſt
) Er ſelbſt ſpricht nicht davon, nur Filippo Villani le Vite d'uomini illustri
Fiorentini data alla luce del Conte Giamm. Mazzuchelli. Venezia, 1747. p. 12.
) Jo. Bocatii 2600 yeveanloylasg Deorum Libri XV. Basileae, 1532. Lib.
XV. cap. 10.
3) ibid. XIV, 10. 11. 19. XV, 6. 14. Comento sopra la Commedia di Dante
cap. 1 (Opere vol, IV. Firenze, 1724. p. 34. 35). cf. Petrarca epist. rer. se-
nil. I, 4. |
II. Boccaccio und fein Meiſter Petrarca. 105
von literariſchen Gegnern angegriffen wurde, vertheidigte ihn Boccaccio
in einer lebhaften, vom Feuer der Freundſchaft eingegebenen Apologie.)
Wir beſitzen ſie nicht, aber er wird darin geſprochen haben wie an
einer andern Stelle, wo er fich ſelbſt nur als den „gehorſamen Scla⸗
ven“ des großen Meiſters bezeichnet. Deſſen Seele, ſagt er, wandelt
in höheren Regionen, ſeine Schreibweiſe iſt wunderbar geſchmückt und
erhabene Sentenzen zieren ſie; denn er ſchreibt mit wohlerwogenem
Urtheil und aus der Tiefe des Gedankens.) Gerade ſolche Freunde
liebte Petrarca: er hat Boccaccio eine reichliche Zahl von Briefen ge⸗
wipmet, er hat ihm in feinem Teſtamente fünfzig Goldgulden vermacht
zu einem Winterkleide, das den fleißigen Freund bei ſeinen nächtlichen
Studien erwärmen möge.) Boccaccio war krank, als er von dieſem
letzten Liebeszeugniß und vom Tode des Mannes hörte, den er länger
als vierzig Jahre hatte ſeinen Freund nennen dürfen. Ein Brief, den
er damals mit zitternder Hand zum Lobe des Dahingeſchievenen ſchrieb,
iſt das fchönfte und rührendſte Denkmal dieſes Bundes.“)
Daß Boccaccio der Bildner der ſchönen tusciſchen Proſa, daß er
der behaglichſte und liebenswürdigſte Erzähler von Geſchichten war,
liegt außer unſerm Kreiſe gleich Petrarca's Reimen. Aber auffallend
ift es doch, daß er in feinen lateiniſchen Werken nie und nirgend der
tusciſchen gedenkt, während doch Petrarca von den feinen, wenn auch
nur mit vornehmer Geringfchätung ſpricht. Auch Boccaccio bekennt
ſein Verlangen nach literariſchem Ruhm ), aber er denkt nicht daran,
ihn anderswoher als pon ſeinen claſſiſchen Studien zu erwarten. Man
ſagte ſogar, die lasciven Jugendſchriften, die Novellen, hätten ihm als
Greis ſchwer auf dem Gewiſſen gelegen und er hätte ſie vernichtet ge⸗
wünſcht, wären ſie nicht ſchon durch ganz Italien verbreitet geweſen.)
Petrarca's Genialität kann durch keinen Beweis in ſo klares Licht
geſetzt werden als durch den Abfall, den wir von ihm zu Boccaccio
wahrnehmen. Petrarca war das Alterthum eine Schule des Menſchen,
er iſt ſich ſeiner geiſtigen Durchdringung bewußt, er beherrſcht, was er
) Petrarca Epist. rer. senil. XIV, 8.
) Epilogus Libri de montibus etc., der Genealogia Deorum angefügt, in
der obigen Ausgabe p. 504.
ö 3) Petrarchae Opp. p. 1373.
) Bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 203 8.
) z. B. de geneal. Deor. XV, 13.
) Dominicus Aretinus bei Mehus l. c. p. 265.
106 II. Boccaccio als Gelehrter.
lieft, und was ihm paßt, wird fein perfönliches Eigenthum. Vootaceie
ergreift dieſe Wiſſenſchaft allein mit dem ftofflichen Intereſſe, fein Fleiß
iſt fein Verdienſt, er bleibt ein Sclave des Kleinigkeitskrames. Er hat
rüftig in die Breite gearbeitet, während Petrarca's Streben immer
nach der Tiefe drang. Sein Hauptwerk, welches er auf der Schwelle
des Greiſenalters ſchrieb, iſt feine Mythologie (de genealogia Deo-
rum), ein wüſtes und geſchmackloſes Notizenmagazin. Zwar mögen
wir betonen, daß dieſer Stoff zu feiner Zeit immer noch ein neuer
war und daß wir in dem Werke das erſte zuſammenfaſſende Handbuch
einer Alterthumsdiseiplin haben, wir mögen die Beleſenheit und den
Sammelfleiß des Autors bewundern, aber das Alles hebt ihn nicht
weſentlich über die dürftige Manier der früheren Jahrhunderte hinaus.
Gerade die veränderte Art der Behandlung machte ja die Beſchäftigung
mit den Alterthumswiſſenſchaften fo bedeutſam und fruchtbar. Wo die⸗
ſes Studium nicht lehrte, die Leichtgläubigkeit, die ſtumpfe Urtheils⸗
loſigkeit und die engherzige Syſtemſucht zu überwinden, da war es eben
kein erfriſchendes, kein humaniſtiſches mehr. Boccaccio häuft und thürmt
die mythologiſchen Notizen aufeinander und bringt dann noch feine um:
felige Sucht hinzu, Alles allegoriſch und ſymboliſch zu denten.) Sein
Buch „über die Berge, Wälder, Quellen, Seen, Flüſſe, Sümpfe und
Meere“, welches dem vorigen gewöhnlich angehängt wird, iſt weiter
nichts als ein alphabetiſches Lexikon der alten Geographie, welches bei
dem Studium der römiſchen Dichter als Hälfsmittel dienen ſoll. Und
die Schrift „über die berühmten Frauen“, welche ein Seitenſtück zu
Petrarca's Werk „über berühmte Männer“ fein ſollte und wie dieſes
faſt ausſchließlich Biographien aus dem Alterthum enthält, iſt en
falls nichts mehr als eine mühſelige Compilation.)
Wer erkennte in dem trockenen nächtlichen Gelehrten den e
ten und launigen Erzähler des Decamerone, den ſchalkiſchen und fri⸗
volen Dichter des fieſolaniſchen Nymphenſpiels und des Ameto! Und
doch iſt Boccaccio, wo er fein epiſches Talent unterdrücken und ſich als
Gelehrter zeigen muß, immer derſelbe. Mühſam prägte er ſich unter
1) Die wiffenſchaftliche Würdigung dieſes Werkes iſt der Hauptinhalt der kleinen
Schrift von Jul. Schück, zur Charakteristik der ital. Humanisten des . und
15. Jahrh. Breslau, 1857.
2) Die neun Bücher de oasibus virorum ac feninarum illustrium find mir
nicht zu Geſicht gekommen. Das Buch de elaris mulieribus kenne ich in der Aus⸗
gabe Bernae, 1539. = 1 2
II. Boccaccio als Gelehrter. 107
der Leitung eines mürriſchen und cyniſchen Lehrers, der den feinſinni⸗
gen Petrarca von Weitem anekelte, die griechiſchen Buchſtaben und die
Elemente der Grammatik ein, ließ ſich von ihm die Iliade erklären
und notirte ſich emſig alle die dummen Erklärungen und Bemerkungen,
die der unwiſſende Lehrer dem ſtaunenden Schüler vortrug. Die Ueber⸗
ſetzung der homeriſchen Geſänge, die derſelbe verfertigt, ſchrieb ſich Boc⸗
tuccio mit eigener Hand ab. Er war ſeelenvergnügt darüber, daß er zu⸗
erft und auf eigene Koſten die Werke Homers und andrer Griechen
habe nach Tuscien kommen laſſen, ) daß er zuerſt einen Lehrer des
Griechtſchen berufen und beherbergt, daß er zuerft unter allen Italienern
wieder ven Homer las, daß feine antiquariſchen Notizen fich jo reichlich
mehrten. Keine Arbeit war ihm zu fauer, keine Sorgfalt zu peinlich.
Die Comodien des Terentius ſchrieb er lieber ſelbſt ab, ehe er ſich den
Text von gewiſfenloſen Copiften verderben ließ.) Der Gedanke, die
alten Handſchriften mit einander zu vergleichen und eine aus der andern
zu verbeſſern, iſt fein Verdienſt. Aber über das, was an ſolchen Ar⸗
beiten das handwerksmäßige ift, kam er nicht hinaus. Er iſt der Vor⸗
zänger und Typus der philologiſchen Kleinmeiſterei, deren Arbeit erſt
nurch den Geiſt befruchtet werden muß, um fruchtbar zu werden. Und
doch fühlte er ſich glücklich in dieſer Beſchränktheit: wie Petrarca ſeine
philoſophiſche Perfönlichleit, fo ſetzte er dem hochmüthigen Scholaſtiker
ſeinen edlen Arbeitsſtoff, und den gemeinen Menſchen, die nur für
Eſſen, Trinken und die ſündhaften Gelüſte des Fleiſches leben, feinen
Fleiß und ſeine Studien entgegen.
Was Boccaccio von Geſichtspuncten und Ideen vorbringt, iſt alle⸗
mal Petrarca's Eigenthum. Aber nur einzelne Fäden des Gewebes
ergreift er, um ſie weiterzuſpinnen, weit mehrere entgehen ihm völlig
und von ihrer Bedeutung im Zuſammenhang hat er keine Ahnung.
Es erſcheint uns oft unbegreiflich, wie ein ſo naher Freund und hin⸗
gebender Bewunderer Petrarca's von dieſem nicht mehr gelernt haben
) De geneal. Deor. XV, 7. Ju welchem Verhältniß dieſe Ueberſiedelung Ho⸗
mers zu dem obenerwähnten Geſchenke des Sigeros (oder Sergios) an Petrarca
ſtand, wiſſen wir nicht. Uebrigens wird von dieſen griechiſchen Studien noch im
fünften Buche ausführlicher die Rede ſein.
) Mehus (Vita Ambr. Travers. p. 275) hat im Codex der Laurentiana die
Hand Boccaccio's zu erkennen gemeint. Der größte Theil der Codices, die er ge⸗
ſchrieben, iſt ſpäter mit feiner Bibliothek verbrannt. Näheres bei Baldelli Vita di
Giov. Boccacci p. 127 e seg.
108 II. Boccaccio und fein Meiſter Petrarca.
konnte. Der Mund bes Weiſen, Bücher und Lebenserfahrung werfen
doch nur Samenkörner aus ins Unbeſtimmte; wo der Boden nicht be⸗
reitet iſt, ſie zu empfangen, geht die keimtreibende Kraft verloren.
Petrarca nimmt im Gefühl ſeines ſelbſtſtändigen Geiſtes auch dem
Alterthum gegenüber oft eine kritiſirende Stellung ein, er ſondert und
wägt bereits die Meinungen alter Autoren; Boccaccio häuft ohne Wahl
die verſchiedenſten Autoritäten verſchiedener Zeitalter aufeinander. Mit
welcher Sicherheit hatte Petrarca die von Julius Cäſar und Nero
ausgeſtellten öſterreichiſchen Privilegien als alberne Erfindungen aufge⸗
deckt und kritiſch vernichtet!) Boccaccio hat nicht den Muth zu einer
energiſchen Meinung; alles Geſchriebene erſcheint ihm noch ehrwürdig.
Findet er im Vincentins Bellovacenſis, daß die Franken von Franko,
einem Sohne Hektor's, abſtammen, jo will er es zwar nicht ſehr glan⸗
ben, aber ja auch nicht völlig leugnen, weil bei Gott kein Ding un⸗
möglich ſei.) Wir ſahen, wie Petrarca es ſich herausnahm, ſelbſt
ſeinem verehrten Cicero moraliſche Vorwürfe zu machen. Boccaccio
hat nicht entfernt dieſe verpflichtende Schülerſtellung zu Eicero; wo er
von ihm ſpricht, zeigt er ſogleich, wie wenig er ihn eigentlich kannte.)
Folgt er ihm aber in irgend einem Falle nicht, ſo fügt er ängſtlich ein
Salva tamen semper Ciceronis reverentia hinzu. So ſehr er in
Petrarca den Menſchen neben dem Schriftſteller verehrte, entging ihm
doch völlig, wie dieſer unabläſſig der Schulphilofophie eine Leber
loſophie gegenüberſetzt.
Wohl fährt auch er, der getreue Schildknappe ſeines Herrn und
Ritters, gelegentlich auf die ſcholaſtiſchen Philoſophen los, die Philo⸗
ſophie iſt aber ihm ſelber auch nicht mehr als die Kunſt der Argumen⸗
tation, die ſcholaſtiſche Dialektik.) Und Ariſtoteles, deſſen Hegemonie
im Reiche des Denkens Petrarca kühn anzugreifen wagte, iſt Boccaccio
wieder „in allen bedeutenden Dingen die würdigſte Autorität,) und
wenn Ariſtoteles zum Beiſpiel ſagt, die Dichter ſeien die Bildner der
Religion geweſen, fo hält der Dichter Boccaccio dieſen Kernſpruch den
Theologen feines Zeitalters zur Beherzigung hin. Doch am auffallend⸗
ſten iſt wohl das große Gewicht, welches Boccaccio wieder auf die
1) Epist. rer. senil. XV, 5 an Karl IV.
2) De geneal. Deor. VI, 24.
) v. Comento s. Dante cap. 4 (Opere vol. V. p. 249).
) v. Vita di Dante (Opere vol. IV p. 56).
) ibid. p. 40: dignissimo testimonio ad ogni gran cosa.
II. Boceaedo und fein Meiſter Petrarea. 109
aſtrologiſchen Träumereien legt. Nicht nur daß Petrarca jede Gelegen⸗
heit aufgeſucht, fie lächerlich zu machen, gerade in Briefen an Boccaccio
hatte er ſich ausführlich und heftig gegen ſie ausgelaſſen. Und dieſer
ift nun wieder überzeugt, die Kunſt der Aſtrologen ſei an ſich wahr
und beruhe auf ſichern Grundlagen; wo ſie irre, liege der Grund nur
in der ſchwer zu erforſchenden Größe des Himmelsgewölbes und in der
menſchlich⸗ mangelhaften Kenntniß von den Umwälzungen und Conjunc⸗
turen der Planeten.) |
Wir lernten in Petrarca einen eifrigen Vertheidiger des criſtlichen
Glaubens kennen, der ſich bemühte, die Lehre der Kirche auf ſeine
Weiſe mit dem heidniſchen Stoicismus in Einklang zu bringen und
beide dem Bepürfniß feiner Perſönlichkeit anzupaſſen. Er wagte es,
ohne die Vermittelung des geiſtlichen Standes und der ſichtbaren Kirche,
ſelbſtſtändig und allein vor ſeinen Gott zu treten. Boccaccio dagegen be⸗
zeugt der ſcholaſtiſchen Theologie meiſtens ſeine höchſte Achtung, er gefällt
ſich ſogar in ihren myſteriöſen Begriffen und Terminologien.) Er trennt
ſich in ſeiner religiöfen Anſchauung nicht von der allgemeinen feines
Zeitalters. Obwohl er ſein Gewiſſen nicht vor dem Publicum aufdeckt
wie Petrarca, beunruhigt ihn doch Reue über die Leichtfertigkeit ſeiner
früheren Jahre. Ein merkwürdiger Vorfall, bei dem zunächſt er, dann
aber auch Petrarca betheiligt wurde, zeigt uns deutlich, wie jeder von
ihnen dachte. Piero Petroni, ein Carthäuſer zu Siena, fromm und
im Rufe der Heiligkeit, beauftragt ſterbend den Bruder Giovacechino
Ciani, zu Boccaccio zu gehen und ſein Gewiſſen zur Umkehr von ſei⸗
nem bisherigen leichten und heidniſchen Leben zu bewegen. Zur Be⸗
glaubigung feiner göttlichen Sendung ſoll er ihm gewiſſe Geheimniſſe
kundthun, die außer Boccaccio ſelbſt nicht gut jemand wiſſen kann.
Er ſoll ihn an ſeine Schriften erinnern, durch welche er die guten
Sitten vererbt, die Keuſchheit verletzt und das Laſter beſchönigt habe,
ihn mahnen, von dem Streben nach nichtiger Ehre und eitlem Ruhme
zu laſſen, ihn mit baldigem Tode und mit den Strafen der Hölle be⸗
drohen. Boccaccio läßt ſich erſchrecken: in der erſten Zerknirſchung
will er ſogleich ſeine Bücher verkaufen und der Poeſie Lebewohl ſagen.
Er theilt Petrarca das Ereigniß und ſeine Reue mit. Dieſer verhehlt
) ibid. p. 55. Comento s. Dante cap. 1. 5. 7. (Opere vol. V. p. 55. 316.
vol. VI. p. 21).
) Einen gelegentlichen Ausfall, den er ſich gegen die modernen Theologen er⸗
laubt, werden wir im 7. Buche erwähnen.
10 IT. Boccaecio und fein Meifter Petrarca.
| N
fein Bedenken nicht: man müſſe in ſolchen Fällen die Perfönlichleit
des Gottesboten wohl prüfen, oft ſei unter dem Schleier der Neligion
Trug und Lüge verborgen. Er erinnert Boccaccio, daß er nicht erſt
durch den Mönch, ſondern längſt ſchon hätte wiſſen folten, daß ſein
Lebensfaden ein kurzer ſei. Er billigt durchaus feine Abſicht, die welt⸗
lichen Sorgen und Leidenſchaften abzuthun, aber er findet es ganz un⸗
gerechtfertigt, daß der Freund auch das Studium, den Troſt ſeines
Alters, bei Seite werfen wolle.) Boccaccio kam mit der Zeit zu der⸗
ſelben Meinung, wir ſehen aber, wie es ihm an der fichern Perſön⸗
lichkeit fehlte.
Andre Lehren Petrarca's dagegen, die Weinen einmal be
nommen, kann er auch wieder nicht genug ausführen und mit breiter
Redſeligkeit verkünden. Die Poeſie nach dem Begriffe Petrarca's, in
welchem ſie zugleich die Eloquenz und die Alterthumswiſſenſchaft in
ſich faßte, war eine neue Kunſt, fie fand Verehrer, aber auch heftige
Gegner. Letztere hatte Pekrarca meiſtens uur mit einigen verächtlichen
Worten abgefertigt. Er griff an; ſich und ſeine Muſe zu vertheidigen,
war er zu ſtolz. Dieſen Kampf aber, der des Meiſters nicht würdig
ſchien, nahm Boccaccio auf ſich. Ein ganzes Buch, das vierzehnte,
ſeiner Mythologie hat er ihm gewidmet. Darin nimmt er nun die
Dichter des Alterthums in Schutz, die Dichtung überhaupt und zugleich
ſeine eigene Beſchäftigung mit den Mythen. Die ſcholaſtiſchen Philo⸗
ſophen und Theolegen, welche die Poeſie als eitle Fabelei verachten
und vornehm ſprechen: „Was ſollten wir dieſe Poſſen auſehen? Pah,
wir haben ſie nicht geſehen und wollen ſie auch nicht ſehen, wir haben
Beſſeres zu thun,“ die geldgierigen Juriſten, welche den Dichter als
armſeligen Lumpen verachten, die heuchleriſchen Mönche, welche den
alten Dichtern ihre Vielgötterei, ihre poſſenhaften Göttergeſchichten und
ihre verführeriſchen Lascivitäten nicht vergeben können und ihre Werke
deshalb den Flammen überliefert und in alle Winde zerſtreut wünſch⸗
ten — alle dieſe Gegner werden ernſthaft, eifrig und ausführlich wider⸗
legt. Um ſeine mythologiſchen Studien zu vertheidigen, beruft ſich
Boccaccio auf Auguſtinus, Hieronymus und Lactantius. Kommt
er in dringende Verlegenheit, wie er zum Beiſpiel die Frivolität ge⸗
wiſſer römiſcher Dichter weder leugnen noch entſchuldigen kann, ſo
) Petrar ca epist. rer. senil. I, 4. v. Baldelli Vita di Giov. Boccaed
p. 155 e seg.
) De geneal. Deor. XV, 9.
II. Boceaceio ımb fein Meiſter Petrarca. | 111
gieht er FA preis: Plautus, Terentius und Ovidius haben dieſes
Schickſal .
In Boreaccio's Definition der Poeſie iſt es recht bemerkbar, wie
er einige gelegentliche Aeußerungen Petrarca's aufgefangen hat, ohne
zu dem freilich allgemeinen und durch ſubjective Bezüge verworrenen
Gedanken feines Lehrers zu gelangen. Dieſer ſah den Dichter vor
Allem in ſich ſelbſt: er faßte den Philoſophen, den religiöfen Denker,
den geheimnißvoll⸗ großartigen Menſchen, den Propheten — alle in
den Begriff des Poeta, des Vates zuſammen. Die Macht des Wortes
und den tieferen allegoriſchen Sinn führte er nur nebenbei als Attri«
bute der Poeſie auf. Gerade in dieſe beiden Merkmale iſt Boccaccio
wie verrannt. Zunächſt ſcheint ihm die praktiſche Rhetorik der Poeſie
ſehr ähnlich. Die Arbeit des Dichters iſt nach feiner Meinung nichts
anders, als neue unerhörte Stoffe anszufinden, zu ordnen, mit unge⸗
wöhnlichen Worten und Sentenzen auszuſchmücken, die Situation aus⸗
zumalen, die Menſchen zu loben, zu begeiſtern, anzutreiben und zu züͤ⸗
geln. Nur iſt ihm im Vergleich mit der Rhetorik Poefie der weitere
Begriff, wie er zu ihrer Ehre ſagt, in der That aber der engere; denn
es gehört zu ihr noch die allegoriſche Verhüllung eines tieferen Ge⸗
dankens, der Fabelſchleier.) Er erklärt diejenigen für lächerlich albern,
welche der Annahme widerſtrebten, daß die alten Dichter ihren Fabeln
einen tieferen Sinn untergelegt. Nur ein Verrückter könne das in
Virgilius' Bucolica, Georgica und in der Aeneide leugnen. So ſeien
in Dante’8 großem Gedicht die Tiefen der katholiſchen Wahrheit ver⸗
borgen und nicht minder in ſeines Meiſters Petrarca Gedichten.)
Ganz wie dieſer und offenbar als ſein bloßer Nachbeter rühmt er das
Vergnügen, welches ein feiner Kopf empfinde, wenn er den vor des
Pöbels Augen verborgenen Sinn herausgefunden, nur macht er ein
langes Gerede aus dem, was Petrayca in einem Satze fagte.‘) Wir
) ibid. xiy, 19. Ziemlich dieſelbe Vertheidigung der Poeſie giebt Boccaccio N
im Comento s. Dante cap. 1 (Opere vol. V. p. 33 42).
) De geneal. Deor. XIV, 7. Mera pocsis est, quiequid sub velamine com-
ponimus et exquiritur (doch wohl exprimitur) exquisite. Komiſch ift dabei Boc⸗
caccio’8 Sträuben, poeta von 10 = fingo abzuleiten, was er für eine böswillige
Entwürdigung hält. Es fol von einem griechiſchen Worte om herkommen, wel⸗
ches, vom Stil gebraucht, etwa sotto faboloso velame e esquisito paxlare bedeute.
v. Comento s. Dante cap. I (vol. V. p. 33).
) De geneal. Deor. XIV, 10.
) Comento s. Dante cap. I (vol. V. p. 54). Siehe oben S. 18.
\
112 II. Petrarca's Sucht des Allegoriſtrens.
\
faben oben, wie er ſich über den geheimen Sinn von ne Ec⸗
logen freute, der ihm vielleicht vom Dichter ſelbſt enthüllt worden war.
Auch er hat Eclogen in dieſer Weiſe gedichtet.) Wenn ſich darin der
Hirt Daphnis und die Schäferin Florida zanken, ſo bedeutet das den
Streit der Kaiſer mit der Stadt Florenz. Einen Fürſten von Rimini,
der gern zur Jagd durch die Wälder ſtrich, verſteht er unter dem Na⸗
men Faunus. Den flüchtigen König Ludwig von Sicilien bezeichnet
er als Dorus, den wandernden Sohn des Hellen; im Namen Dorus
findet er zugleich den Stamm eines griechiſchen Wortes, welches „Bitter⸗
keit“ bezeichne — dieſe Etymologie habe ich noch nicht ergründen kön⸗
nen — und hier vorzüglich paſſe, weil dem Vertriebenen die Verban⸗
nung wahrſcheinlich ſehr bitter geweſen ſei. Nach ſeiner Rückkehr nennt
er denſelben König Ludwig Alceftus, theils weil dieſer ein guter König
geweſen ſei, theils mit feiner Anſpielung auf GA und nestus, weil
er mit Gluth nach der Tapferkeit geſtrebt habe. Hätte Boccaccio für
die Enthüllung dieſer und ähnlicher Geheimniſſe nicht ſelber Sorge ge⸗
tragen, ſie würden zweifellos der Welt ewig unlösbare Räthſel geblie⸗
ben ſein.) In feiner Mythologie läßt er ſich durch das Allegoriſiren
zum willkürlichſten Unſinn verleiten. Sogar die chriſtliche Theologie
ſcheint ihm mit der Poeſie nahe verwandt wegen der bildlichen Wen⸗
dungen und Erzählungen im alten und neuen Teſtamente. Den hei⸗
ligen Geiſt findet er „ſehr gelehrt“, weil er ſich des poetiſchen Mittels
der Allegorie bedient, um die höchſten Geheimniſſe des göttlichen Gei⸗
ſtes zu verhüllen, wie in den Viſionen gewiſſer Propheten und noch in
der Apokalypſe geſchehen ſei.) So deutet er den feurigen Buſch, in
welchem Jehovah dem Moſes erſchien, auf die Jungfräulichkeit Chriſti
und die Viſion des Nabuchodonoſor auf die Zeitalter der chriſtlichen
Lehre, er findet dieſe Allegorien ſo natürlich wie daß in dem zu den
Göttern erhobenen Herakles der Lohn der Tugend und in dem in einen
Wolf verwandelten Lykaon der des Laſters dargeſtellt fei. *) oo
Der Nachruhm und der Dichterlorbeer, dieſe beiden Idole, die
Petrarca in ewigem Kampfe bald anbetete bald von ſich wies, werden
) Sie finden ſich in den Bucolicorum Auctores. Basileae ex officina Joa,
Oporini 1546.
)v Guin gene Histoire litt. d’Italie T. III (Paris, 1811) p. 39—43.
) Comento s. Dante IJ. c.
) Vita di Dante l. c. p. 36 e seg., ähnlich Comento 1. o. p. 57.
II. Boccaccio und fein Meiſter Petrarca. 113
/
bei Boccaccio zu erſtaunlich nüchternen Dingen. Er findet es ſehr an⸗
ziehend, wenn die Menſchen von einem tüchtigen Manne noch bei ſei⸗
nen Lebzeiten ſingen und ſagen, wenn man mit Bewunderung auf ihn
ſieht und mit Ehrfurcht auf ihn hinzeigt, und noch anziehender, wenn
ſein Leben in Schriften verherrlicht und nach Jahrhunderten immer
wieder geleſen wird. Da aber nicht Jeder ein Julius Cäſar oder ein
großer Alexander werden könne, ſo ſtehe es ihm eher offen, unſterbliche
Werke zu ſchreiben. In dieſer Ueberlegung nimmt Boccaccio nirgend
Anftoß zu bekennen, daß auch er gern fo viel Ruhm einlegen möchte
als möglich, und daß dieſes Verlangen ihn bei ſeinen Studien antreibe.
Diejenigen Menſchen, die der Ruhm anſtachelt, erſcheinen ihm als eine
bevorzugte Claſſe denen gegenüber, die nur nach Geld jagen und den
Bauch pflegen. Zu jener höheren Claſſe rechnet er unbefangen auch
ſich, da er ja der gewinnverheißenden Jurisprudenz entfagt und den
ärmlichen Dichterſtand gewählt.) Von Petrarca's Demuthsaffectatio⸗
nen zeigt er keine Anwandlung.
Iſt daher Petrarca's inneres Leben ungleich großartiger, ſo lebte
Boccaccio zufriedener und glücklicher. Er war ohne Drang und Zwang
der Philoſoph, den Petrarca niemals erreicht hat. Der Ueberfluß plagte
ihn nicht, ja mitunter mag es ihm etwas ärmlich und knapp geworden
ſein.) Im volkreichen Florenz befand ſich der fette, heitere und witzige
Mann ganz wohl, wenn die Cabalen der Stadtparteien ihm nur keine
Sorge machten. Aber auch wenn er ſich nach feinem Certaldo zurück⸗
zog, wo er dann ftarb, theilte er Leid und Freude der dortigen Klein⸗
bürger. Er ſah mit Behagen die grünen Bäume und die bunten Blu⸗
men, hörte die Vögel fingen und verkehrte im ftillen Stübchen mit
feinen Büchern. °)
Boccaccio, fehen wir, hat als ſtiller Gelehrter ein geräuſchloſes
Daſein geführt. Er hatte nicht den Trieb, im geſelligen Vereine thä-
tig zu ſein oder ſich einer Corporation anzuſchließen. Der Kirche ge⸗
1
) So findet er es bei Dante natürlich, daß ihn nur der Ruhm zu ſeinem Ge⸗
dichte getrieben haben könne und daß er nach dem Lorbeer verlangt. Fu desideroso
di fama, come generalmente siamo tutti. — Auch den Beruf der Dichter, die
Namen großer Männer zu verewigen, behandelt er wie ein Handwerk, z. B. Comento
8. Dante cap. 4. (p. 276).
) Lett. a. M. Ems de Rossi (Opere vol. IV p. 3. 9); Filippo Villani
I. e. p. 18.
) Lett. a Pino; Dominicus Aretinus I. s. e.
Voigt, Humanismus. 8
114 II. Die Akademie von San Spirito. Marſigli.
hörte er nicht mehr an wie jeder andre Laie und an der Univerfſttät
lehrte er nur gleichſam zufällig und vorübergehend. Dieſe Loslöſung
der humaniſtiſchen Wiſſenſchaft von der Kirche und ihren Inſtituten ſo
wie anbrerfeits auch von den Hochſchulen, diefe ſelbſtſtändige Stellung
der erſten Humaniſten halten wir für ein höchſt bedeutſames Moment;
denn fie it keinesweges eine bloß äußerliche.
Unter dieſem Geſichtspunct haben wir nun einen gelehrten Verein,
eine Akademie im Sinne der alten platoniſchen, zu betrachten, die
ſich in Florenz aufthat und gerade durch das Geheimniß, in welches
ſie ſich hüllt, eine beſondre Bedeutung erhält. Leider ſind unſre Nach⸗
richten über fie ſpärlich, doch glauben wir nicht zu irren, wenn wir
ſie für einen Zweig jenes Geheimbundes halten, deſſen Mitglieder die
abſolute Philoſophie in der dialektiſchen Kunſt fanden und ohne wiſſen⸗
ſchaftliche oder dogmatiſche Vorausſetzungen lediglich der ariſtoteliſchen
und averroiſtiſchen Methode anhingen, jener Freigeiſterei, gegen welche
Petrarca mit ſolcher Entrüſtung gekämpft.
Bei den Auguſtinern von San Spirito nämlich, wo Boccaccio's
Bibliothek aufgeſtellt war, pflegten die feinen Geiſter von Florenz fich
täglich zuſammenzufinden. Auf einer Tafel, die an der Wand oder
einer Säule hing, war der jedesmalige Gegenſtand der Disputation
bezeichnet: er wurde der Dialektik, der Phyſik oder Metaphyſik ent⸗
nommen. Da galt nun die Kunſt des Disputirens, der Gegenſtand
und das Reſultat waren an ſich gleichgültig.
Der obengenannte Luigi Marſigli, ein Mönch jenes Ordens,
war Mittelpunct und Seele des Kreiſes, der ſich hier verſammelte.
Als Knabe war er durch einen Verwandten Petrarca zugeführt worden,
der dem jungen Manne dann eine bedeutende Zukunft weiſſagte und
ihn anſpornte, keinen Tag in Trägheit hingehen zu laſſen, die Theolo⸗
gie mit andern Studien zu verbinden und ſich zu einem großen Kampfe
gegen die Afterphiloſophie der Averroiſten vorzubereiten.) Doch ſcheint
Marſigli im Gegentheil ihr entſchiedenſter Anhänger geworden zu ſein
und durch ihn gewinnen wir von jener ſogenannten Secte freilich eine
ganz andre Vorſtellung als durch Petrarca's Angriffe. Nicht nur war
ihm die Verachtung der Alterthumsſtudien, die Petrarca den Averroiſten
) Petrarca epist. s. tit. 20 (Opp. p. 810) iſt nach den Auslegern an Mar-
ſigli gerichtet. Für das Verhältniß zwiſchen beiden iſt bezeichnend Petrarca epist.
rer. senil. XIV, 7.
II. Die Akademie von San Spirito. Marfigli. 115
Schuld giebt, durchaus fern, ſondern er ſprach noch beim Tode dieſes
Mannes ſeine wärmſte Bewunderung für ihn aus.) Damals befand
er ſich in Paris, wo er die Würde eines Magiſters der Theologie er⸗
worben hat. Auch in ſeinem Orden genoß er hohes Anſehen: er war
Provincial des piſaner Sprengels, 1389 begehrten ihn die Florentiner
von Bonifacius IX zum Biſchof ihrer Stadt. Trotzdem ſcheint er der
Kirche ſeiner Zeit faſt entfremdet und mehr ein italieniſcher Patriot
geweſen zu ſein. Wenn er einige Sonette Petrarca's commentirte, ſo
wählte er gerade diejenigen, welche das kranke Papſtthum von Avignon
angreifen, und die Canzone Italia mia.)
Die Fülle ſeiner Weisheit aber ſtrömte in dem privaten Kreiſe
von San Spirito aus. Unter den gelehrten Disputanten, die ſich hier
regelmäßig einfanden, werden uns Vangeliſta da Piſa und Girolamo
da Napoli genannt; von beiden wüßten wir ſonſt nichts zu ſagen.
Auch mancher angeſehene Florentiner beſuchte dieſe Verſammlungen,
darunter Coluccio Salutato, der Staatscanzler, Roberto de' Roſſi,
Niccolo Niccoli, und das ſind Namen, die uns noch mehr als einmal
entgegentreten werden. Der junge Manetti, deſſen älterlicher Garten
nur durch eine Mauer vom Kloſter getrennt war, trat wie zufällig in
dieſen Kreis, zeigte ſich bald als gewandter Dialektiker und legte hier
den Grund feiner Bildung.) Alle jüngeren Freunde verehrten Mar⸗
figli als einen würdigen Greis von ungewöhnlichem Scharfſinn und
tiefer theologiſcher Gelehrſamkeit, „als ein göttliches Orakel“. Man
ſprach auch von der moraliſch⸗ erziehenden Gewalt, die er unter ihnen
übte. Doch ſcheint es, daß feine Moral minder die der Kirche als die
des feinen und honetten Geiſtes war, den feine gebildete Sphäre vor
groben Sinnlichkeiten ſchützte und mit einer gewiſſen Hoheit umkleidete.
Marſigli beſaß die Gabe des Wortes in hohem Grade, er feſſelte den
Hörer, indem er Alles zu wiſſen ſchien und die Weisheit Cicero's,
Virgils und Seneca's in reichlichen Citaten darlegte, aber er verband
5) Vergl. feinen Brief bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 227.
2) Mehus I. c. p. 261.
) Vespasiano: Giann. Manetti 5 2. (Wir werben biefe ſehr ſchätzbaren Le⸗
bensbeſchreibungen des florentiniſchen Buchhändlers Vespaſians de' Biſticci von
nun an öfters citiren, ſie ſind vollſtändig gedruckt in dem dom Cardinal Angelo
Mai herausg. Spicilegium Romanum T. I.) Naldi Vita Jamot. Manetti ap.
Muratori Scriptt. T. XX. p. 531. Pog gius Orat. in funere Nic. Nicoli (Opp.
Basileae, 1538 p. 271). Mehus Vita Ambr. Travers. p. 30.
gr
116 II. Salutato und Petrarca.
damit nach dem Zeugniſſe eines verehrenden Schülers eine rückſichts⸗
loſe und ungebundene Art zu witzeln und zu ſpotten.“)
Bleibt nach dieſen Angaben unſre Vorſtellung von Marſigli und
ſeiner Akademie immerhin noch eine ſchwankende, ſo ſehen wir doch
jedenfalls einen geſelligen Verein, der ſich um einen Weltweiſen grup⸗
pirt und aus gebildeten Männern beſteht, die eben nicht Schüler waren.
Und wir wiederholen, daß die Abſonderung dieſer humaniſtiſchen Phi⸗
loſophen von Kirche und Univerfität uns an ſich vielbedeutend erſcheint.
Frei wie Petrarca als Perſönlichkeit, ſteht dieſer Bund von den her⸗
gebrachten Inſtituten da, wiederum ein Vorbild der Gelehrtenrepublik,
die der Humanismus als ſeine eigenthümlichſte Lebensform ſchuf.
Ein Produkt gleichſam aller der Anregungen, die von Petrarca,
Boccaccio und der Akademie von San Spirito ausgingen, iſt Coluc⸗
cio di Piero de' Salutati.”) Seine Natur war in jüngeren Jah⸗
ren eine überaus biegſame und lernbegierige. Schon als Knabe auf
der Schule zu Bologna hatte er beſtändig die Lehrer zu fragen und
mit den Mitſchülern zu disputiren. Gleich als fühlte er, zu wie man⸗
nigfachem Wirken er einſt berufen ſein ſollte, nahm er an Allem ein
lebhaftes Intereſſe. Was er geleſen und gelernt, trieb es ihn ſofort
mit jemand durchzuſprechen.“) Als fein Lehrer in der Grammatik und
Rhetorik wird dann Pietro da Muglio genannt, der Freund Petrarca's
und Boccaccio's. Dies feine erſte, freilich noch ſehr ferne Berührung
mit dem Geiſtesfürſten, aber auch hier ein Beiſpiel, wie elektriſch der
Name Petrarca auf irgend empfängliche Gemüther wirkte. Den jungen
Salutato, der den Meiſter ſelbſt nie geſehen, läßt ſein Ruhm nicht
ſchlafen, er richtet an ihn einen Brief voll Verehrung und erhält dafür
eine kurze, aber freundliche und aufmunternde Antwort.) Er vergißt
ihn nicht, während er der Curie als Secretär dient, und zwar unter
) Manetti Vita Nicolai (Niccoli) bei Mehus l. e. p. 76: loquendi et ob-
jurgandi vaga quaedam ac soluta libertas atque licentia. cf. ibid. p. 288 8g.
Poggius drückt daſſelbe in der Leichenrede (I. c.) etwas zarter aus. — Marſigli
ſtarb am 21. Auguſt 1394.
) Den Namen Lino übergehe ich hier abſichtlich, da er jo wie Co luc eio
doch nur eine tusciſche Verſtümmelung von Niecolo iſt. Doch iſt nicht zu leugnen,
daß beide oft neben einander gebraucht wurden. Piero aber iſt nicht ein Name des
Canzlers, ſondern nur der ſeines Vaters.
) So läßt ihn Lionardo Bruni in einem ungedruckten 1 ſich ſelbſt
ſchildern bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 289.
*) Petrarca epist. rer. senil. XI, 4.
II. Salntato und Petraren. 117
Urban V und Gregor XI; im Gefolge des erſteren macht er den Zug
nach Rom und die Rückkehr nach Avignon mit, auch der Eindruck die⸗
ſer Ereigniſſe iſt ihm geblieben. Wann er nach Florenz überſiedelte,
wiſſen wir nicht genau; jedenfalls hat er ſchon zwei Jahre, bevor er
1375 die Leitung der Staatscancelei übernahm, ein öffentliches Amt,
wohl ein geringeres ſtädtiſches Notariat, bekleidet.) Damals lebte der
greiſe Petrarca längſt gleich Einem, der ſchon halb der Erde entrückt,
unter den Oliven von Arqua, auch der alte Boccaccio befand ſich mei⸗
ſtens zu Certaldo oder ſonſt auf der Villeggiatur. Letzteren jedoch hat
Salutato noch ſeinen Freund nennen dürfen: ſo oft ſie mit einander
ſprachen, war der Gegenſtand jedesmal Petrarca, und wenn er von
ihm erzählte und ihn pries, wußte der freundliche, redſelige Greis kein
Ende zu finden.) Am 18. Juli 1374 ſtieg Petrarca's Geiſt zu ſeinem
Schöpfer auf, am 20. December 1375 folgte ihm Boccaccio. Es iſt
ein eigenes Gefühl, wenn man ſich lange an das Daſein bedeutender
und verehrter Menſchen gewöhnt hat und wenn nun der Tod plötzlich
auf die leere Lücke zeigt. Es war Salutato, der nicht lange vor Boc⸗
caccio's Hingang an die Spitze der Staatscaucelei getreten, zu Muthe,
als ſei er nun berufen, dem allgemeinen Schmerze den Ausdruck zu
geben und das Werk der Beiden nach Kräften fortzuſetzen, dann aber
ſie der florentiniſchen Republik, welcher er nun angehörte, gleichſam zu
vindiciren. „Wehe, ruhmreiche Florentia, die du noch jüngſt mit zwei
Leuchten glänzteſt, die dich mit denen des Himmels wetteifern ließen /
denen das Alterthum nicht ähnliche an die Seite ſtellen könnte!“)
Tag und Nacht, ſagte Salutato, als die ſichre Kunde von Pe⸗
trarca's Tode nach Florenz gelangt war, könne er „den für die Welt
erloſchenen Stern nicht pergeſſen. „Durch feine Verdienſte, wenn
mich die Viebe nicht täuſcht, wird unſer Zeitalter ein ruhmreiches bei
der Nachwelt werden.“ Dieſe Verdienſte aber auch der Nachwelt zu
erhalten, war nun ſein eifrigſtes Streben. Er hatte bereits Verſe an
Petrarca fertig gehabt, die dieſen zur Veröffentlichung der geheimniß⸗
vollen „Africa“ antreiben ſollten; denn überall war die Kunde verbrei⸗
) Lini Colueii Pierii Salutati Epistolae ed. a Jos. Rigaccio P. II
(Florentise, 1742) epist. 5. 6.
) In cujus laudationem adeo libenter sermones usurpabat, ut nihil avidius
nihilque copiosius narraret. Salutati epist. II, 6 an Francescolo de Broſſano,
Petrarca's Schwiegerſohn.
) Balutati epist. II, 6.
118 II. Galutato und Petrarca.
tet, ihrer harre nach des Dichters Teſtament der Flammentod, weil er
der Welt kein unreifes Machwerk hinterlaſſen wolle. Der Mailänder
Francescolo de Broſſauo, Petrarca's Schwiegerſohn und Haupterbe,
verſprach, das Werk copiren zu laſſen und unter gewiſſen Bedingungen
nach Florenz an Boccaccio zu ſenden. Als über den Verhandlungen
auch dieſer geſtorben war, bat Salutato mit inniger Dringlichkeit, ihn
an Stelle des Verblichenen als Freund anzunehmen und der „göttlichen
Africa“ theilhaftig zu machen, er wollte ſogleich Hand ans Werk legen
und durch Beſſern und Feilen ſuchen „die göttliche Seipiade ewig zu
machen.“ So haben denn Boccaccio und Salutato und wohl als Ge⸗
hülfe des letzteren ein gewiſſer Niccolo Niccoli, der zum Abſchreiben
der Africa nach Padua ging — wir lernen ihn ſchon noch kennen —
mit dem gefeierten Epos gleichſam den Geiſt Petrarca's nach Florenz
getragen und ihm durch Nacheifer hier eine Wohnſtätte gegründet, in
welcher er am reinſten und reichſten fortgelebt. Sehr bezeichnend iſt die
blinde Verehrung, die Salutato den beiden großen „Florentinern“ noch
unbedingt entgegentrug. Nicht nur ihr perſönliches Andenken verherr-
lichte er in Briefen und Trauergedichten, auch ihre Werke bewundert
er ohne Wahl. So meint er zum Beiſpiel nichts Albernes zu ſagen,
wenn er Petrarca's Invectiven gegen den päpſtlichen Leibarzt den Ver⸗
rinen und Philippiken, ja wohl den catilinariſchen Reden Cioero's vor⸗
zieht. Boccaccio's Mythologie findet er „in völlig göttlichem Stil“
geſchrieben. Gerade einer ſo begeiſterten Hingabe bedurfte es, um dem
neuen Studium, das an ſich mit Opfern und Schwierigkeiten genug
verbunden war, Jünger und Förderer zu gewinnen.)
Dann war Salutato einer der eifrigſten Beſucher von San Spi⸗
rito und mit Marſigli engbefreundet. Während des langen Weges zu
dieſem weltweiſen Auguſtiner, der jenſeits des Arno wohnte, pflegte er
ſich ſchon zurechtzulegen, worüber er mit ihm ſprechen wollte. Da fand
denn ſein Drang Genüge, ſich über die tiefſten Fragen der Moral ins
Klare zu bringen.)
Als Salutato am 25. April 1375 zum Schreiber der Priori er⸗
nannt wurde, war er ein fertiger Mann von 45 Jahren. Mit dieſem
Amte, welches er bis zu ſeinem Tode, faſt dreißig Jahre lang beklei⸗
) Ejusd. epist. II, 3. 5. an den bekannten Benvenuto (de' Rambaldi) da Imola;
II, 6. 7.
) Nach Bruni's Dialog bei Mehus I. o. p. 20.
II. Salutato als florentiniſcher Staa tscanzler. 119
dete, wuchs feine Perſönlichkeit gleichſam zuſammen. Seine Zeitgenoſſen
ſchildern ihn als einen Mann von mehr als mäßiger Größe, von im⸗
ponirendem Auftreten, obwohl er ſpäter ein wenig gebeugt ging, eine
vollkräftige, markige Geſtalt. Auch in den Geſichtszügen, zumal in den
gewaltigen Kinnladen und Lippen, lag der Ausdruck männlicher Fülle.
Sein Blick hatte etwas Finſteres und faſt Zurückſchreckendes, ſeine Rede
war ernſt und langſam wie die eines Mannes, der gewohnt iſt, ſich
zu bewachen. Doch brach durch Auge und Rede, wenn er ſich dem
vertrauten Umgange hingab, gar leicht die freundlichſte Gutmüthig⸗
keit durch.) Ein humanes Weſen zeigte er auch in ſeinem Amte: es
wird ihm beſonders nachgerühmt, wie er ſich gegen jeden Bürger freund⸗
lich und gefällig erwieſen.) Er konnte für ein Muſter von republi⸗
caniſcher Bürgertugend gelten, es lag etwas von der antiken Kaloka⸗
gathie in dieſer Strenge, dieſer Unbeſcholtenheit, dieſer Hingabe an das
gemeine Beſte. Schon daß während ſeiner dreißigjährigen Amtsführung
das in ihn geſetzte Vertrauen nicht ein einziges Mal wankte, iſt ein
genügender Beweis ſeiner feſten Redlichkeit, zumal wenn wir an das
ſchnellbereite Mißtrauen denken, mit welchem Beamte einer vielbewegten
Republik beobachtet werden. Ein anſehnliches Privatvermögen ſetzte
ihn in den Stand, zehn Kinder mit Ehren aufziehen zu können.)
Nach ſeinem Tode unterſuchte man die Hinterlaſſenſchaft: es wurde
gefunden, daß er weder ein Haus noch ſonſt ein Beſitzthum hatte, das
er nicht ererbt; die Baarſchaft betrug nur vierzig Goldgulden.“)
Salutato war in der That ein politiſcher Charakter. In ihm
zuerſt wurde die Weisheit des Alterthums fruchtbar für das Staats⸗
leben. Wie nun früher gar oft der Kleriker zugleich der praftifche
Staatsverwalter geweſen war und die überlegene Bildung der Kirche in
die Geſchäftsführung getragen hatte, ſo geht ſeit Salutato dieſe Rolle
ebenſo oft auf Gelehrte und Humaniſten über. Er adelte durch Bildung
und Patriotismus das Amt, welches, da er es übernahm, das eines
Notars und Kenners der Canceleiregeln war; vom Diener der Priori ſtieg
er zum einflußreichen Staatsmann empor, und nun erhielt der Titel eines
) Filippo Villani Vite eto. ed Mazzuchelli p. 28, auch in Rig acei's
Ausgabe der Briefe P. I. p. XIII. Manetti bei Mehus l. c. p. 289.
) Lucas de Scarparia in feinem gleichzeitigen Chronicon bei Ri gacci
I. c. p. XIV.
) Manetti J. c. p. 288.
) Nach dem Katalog der Priori in der Maglabechiane bei Rigacci IJ. 6. p. XXL
120 II. Salntato als florentiniſcher Sta atscanzler.
Staatscanzlers eine völlig andre Bedeutung. Ein hoher Sinn und
muſiſche Bildung ließen Salutato nicht in den Alltäglichkeiten des Ge⸗
ſchäftslebens untergehen; weil ihn, wie er ſich einmal ausdrückt, die
Majeſtät des Vaterlandes hob, wußte er auch das Kleine und Gemeine
zu beſorgen und in großem Sinne zu faſſen. Vielleicht ſchützte ihn
gerade die Fülle der kleinen Dienſtverrichtungen vor jener Alterthums⸗
träumerei, die Petrarca noch als die Eſſenz antiker Staatsweisheit er⸗
ſchienen war. Der Freiheitsgedanke, der ihn befeelte, war kein unklarer
und wüſter, ſondern er heftete ſich ganz an die florentiniſche Vaterſtadt
und wurde durch die Geſchicke derſelben zur hellen Begeiſterung an⸗
gefacht. 5
Gleich die erſten Jahre ſeiner Amtsführung fielen mit jenem drei⸗
jährigen Kriege zuſammen, der ſich zwiſchen Florenz und Papſt Gre⸗
gor XI entſponnen. Es war ein zerrüttender Krieg, mit fremden
Söldnern ausgefochten, nicht durch Schlachten ausgezeichnet, wohl aber
durch Heimtücke und Verrath. Für die florentiniſche Republik handelte
es ſich um ein hohes Gut, um ihre Unabhängigkeit. Sie führte da⸗
mals zwei Banner: das eine war das der Commune, auf dem andern
prangte mit goldenen Buchſtaben das goldene Wort der Freiheit.)
In ihrem Namen ſuchte die Republik auch die Städte des Kirchen⸗
ſtaates zu einem ghibelliniſchen Bunde zu vereinigen, der als »heilige
Ligue“, heilig eben im Namen der Freiheit, dem Herrn der Kirche
den Gehorſam aufkündigte.) Da gab es für den Staatscanzler viel
zu thun: er führte für die regierenden Achtmänner den brieflichen Ver⸗
kehr mit den Bundesſtädten, den Söldnerhäuptlingen, den Parteigehülfen
hier und dort. Die moraliſche Macht und die Macht der Ueberredung,
die kein geringes Feld hatte, wo auf viele Köpfe und viele Sinne ein⸗
zuwirken war, lag in ſeiner Feder. Ein Gedanke begeiſterte ihn: „Das
iſt dieſe Stadt, das iſt dieſes Volk, welches ſowohl bei ſich die Ty⸗
rannenherrſchaft verabſcheut und ihr flucht, als auch immer bereit iſt,
die Freiheit der andern Städte nach Kräften zu vertheidigen.) Auf
der andern Seite hegte er gegen den Feind einen rechtſchaffenen Haß;
) S. Antonius Chronicon P. III. tit. XXII cap. 9. $ 1.
) Vergl. Papencordt Geſchichte der Stadt Rom im Mittelalter, herausgeg.
von Höfler. Paderborn, 1857. S. 438, wo die Sachlage ſich freilich von der rö⸗
miſchen Seite her anders ausnimmt als von der floreutiniſchen. N
3) Aus feinem Briefe an Franc. Guinigi, den lueccheſiſchen Geſandten, bei Cor-
nian i i Secoli della Letteratura Italiana T. I (Milano, 1882) p. 107.
II. Salutato als florentiniſcher Staatscanzler. 121
er hatte ihn als Diener der avenionenſiſchen Curie eingeſogen. Wie ihre
Machinationen durch Aufhetzung der Volksparteien im Kirchenſtaate ver⸗
gelten wurden, fo trat der Staatscanzler ihren drohenden und fluchen
den Cenſuren mit der Kraft und Schärfe des Wortes entgegen. Zwar
wahrt er die Ehre der Republik gegen den Vorwurf, als ſtreite ſie
gegen die heilige Kirche; ſie will, ſagt er, nur ihre Freiheit ſchützen
und das fremde Volk verjagen, welches der Papſt zum Unheil Italiens
ins Land gerufen. Aber er ſcheut auch nicht vor den Worten der bit⸗
terſten Wahrheit zurück, die zwiſchen ihm und dem Papſtthum eine
ewige Scheidewand bauen mußten. Mit der Kirche, heißt es in einem
ſeiner Briefe, iſt kein dauerhafter Friede zu denken; „denn ihr Haupt
kann, ja ich ſage es mit aller Ehrfurcht, es pflegt aus der Fülle
ſeiner Macht Bünde zu brechen, Verträge zu vernichten, von Eiden zu
löfen u. ſ. w.“ Der Papſt vertraut wohl auf die innere Uneinigkeit,
auf den Bürgerzwiſt in Florenz; aber je dringender die Gefahr iſt,
deſto mehr wird wahrlich tiefer Zwiſt aufhören, alle Florentiner wer⸗
den gegen den Feind ein Leib und eine Seele ſein.) — „Wir wiſſen,
daß die Kirche viel vermag. Wir glauben, daß der Papſt viel auf
Rache finnt und auf die Verwüſtung Italiens. Aber der Herr ver⸗
nichtet die Rathſchläge der Ungerechtigkeit und wendet ſie auf die
Häupter derer, von denen ſie ausgegangen. — Uns aber iſt eine um⸗
ſtrittene Freiheit theurer als müßige Knechtſchaft. Mag der Feind dro⸗
hen, reicher und vielleicht mächtiger: wir werden der Macht die Macht
entgegenſetzen und zeigen, daß die Freiheit der Florentiner wohl feind⸗
lich bedroht, aber nicht ſo leicht überwunden werden kann. Und end⸗
lich wird das Alles, da es über die Kräfte der Menſchen hinausgeht,
in den Händen Gottes ſein. Er wird über die Sache ſeines Volkes
richten und in ſeiner Barmherzigkeit uns und unſern Nachkommen die
Freiheit ſchützen.“)
Ein ſolcher Sinn, der in der That Zeugniß ablegt, „daß die alte
Kraft in italiſchen Herzen noch nimmer erſtorben“, tritt nicht etwa nur
in einzelnen Stellen der Briefe Salutato's, gleich den hier ausgehobe⸗
nen, hervor, er durchbebt ſie insgeſammt als ein gewaltiger Pulsſchlag.
Als die galliſchen Cardinäle von dem italiſchen Papſte Urban VI abfielen
und Clemens VII, einen Franzoſen, mit der dreifachen Tiara ſchmück⸗
) Epist. II, 2. ed Rigacci.
) Epist. I, 78.
122 II. Salutato als florentiniſcher Staatscanzler.
ten, als das große Schisma begann (1378), da tritt wiederum Salu⸗
tato mit einer patriotiſchen Kampfſchrift auf, die aus grollen dem Herzen
und von einem ſcharfen Denker geſchrieben, abgefaßt ferner im Namen
einer mächtigen Republik, ebenſo weit die petrarchiſchen Declamationen
wie die mönchiſchen Zeterſchriften hinter ſich läßt.) Das ſchnöde
Spiel, das mit dem Heiligen getrieben wird, hat ſeinen energiſchen
Haß genährt. Und fo finden wir es in der Ordnung, wenn er dem⸗
ſelben nicht nur in ſeiner Eigenſchaft als Staatscanzler, ſondern über⸗
all Luft macht, wo er auf die Curie zu ſprechen kommt. Dann liegen
ihm Zorn und Spott wie in der Feder. Es iſt nicht ein zufälliger
Scherz, wenn er zum Beiſpiel ſeinen jungen Schützling Lionardo Bruni,
der nach Rom gegangen war, um eine Anſtellung in der Cancelei zu
ſuchen, ironiſch „Ehrwürdiger Vater in Chriſto“ anredet, ) es iſt auch
das eine Wallung des Ghibellinenblutes in feinen Adern. Er konnte
nicht wie Petrarca über das Verderben der Kirche winſeln und jedem
Prälaten einzeln die Hand drücken, ſein Charakter war einmal ein gan⸗
zer und aus einem Stücke derben Holzes geſchnitten.
Der Schwerpunct ſeiner literariſchen Wirkſamkeit liegt gleichfals
in den amtlichen und halbamtlichen Briefen, die von ſeiner Cancelei
aus über Italien und jenſeits der Alpen verſendet wurden. Man las
und copirte ſie, ſtaunend über die neue Weiſe, das politiſche Geſchäft
mit dem Glanze tullianiſcher Beredtſamkeit auszuſtatten.) Sie wur⸗
den bald für den Verkehr der italieniſchen Staaten das, was vorher
und bei andern Nationen die Formelbücher waren, ſie wurden die
Vorbilder eines neuen, mit Redeblumen und philoſophiſchen Sentenzen
) Epist. I, 9. an die galliſchen Cardinäle gerichtet; in ähnlichem Sinne I, 10.
an Cardinal Corſini und I, 51. an den Markgrafen Jodocus von Brandenburg und
Mähren. | |
2) Epist. I, 1.
) Lucas de Scarparia l. s. o. Manetti ap. Mehus l. c. p. 288: epi-
stolas privatas et publicas paene infinitas ita egregie dietavit, ut in hoc episto-
larum genere solus consensu omnium regnare diceretur. Die Ausgabe auser-
leſener Briefe von Rigacci iſt bereits genannt. Die von Mehus beſorgte, welche
gleichfalls zu Florenz 1741 erſchien, ſcheint in Folge der Bemühungen des Verlegers
Nigacci, der ſich mit Mehus überwarf, höchſt ſelten geworden zu fein. Sie war auf
fünf Bände berechnet, von welchen indeß nur der erſte, 31 Briefe enthaltend, erſchienen
iſt. Vergl. Mazzuchelli zu Villani Vite etc. p. 23. not. 7. Kleinere Serien
von Briefen finden ſich bei Pez Thesaurus Anecd. noviss. T. V. P. III, in Ba-
luzii Miscell. Lib. IV. p. 510. 511. 516. und in den Epistolae Principum etc.
(ed. ab. Hier, Donzelin o) Venet., 1574. p. 208.
II. Salutato als florentiniſcher Staatscanzler. 123
aufgeputzten Canceleiſtils. Die Form der Diplomatie ward überhaupt
eine andre. Den Geſandtenverkehr erſetzte immer öfter der ſchriftliche,
und in dieſem wurde neben dem eleganten Stil die florentiniſche Höf⸗
lichkeit Mode. Gelehrte und in der Stiliſtik gewandte Staatscanzler
erſcheinen ſeit dem Beginn des 15. Jahrhunderts für die Republiken
und Dynaſten Italiens als ein entſchiedenes Bedürfniß. So fanden
denn ausgezeichnete Humaniſten auch in Venedig, Genua und Siena,
in Neapel und Mailand, ja an der römiſchen Curie amtliche Lebens⸗
stellung und oft reichlichen Lohn, eine Entſchädigung für ihr wandel⸗
bares Schickſal an den Univerſitäten. Und daß für den literariſchen
Ehrgeiz auch politiſche Wirkungskreiſe ſich eröffneten, iſt für die Lite⸗
ratur wie für die Politik von unberechenbarem Einfluß geweſen.
Freilich iſt die Kunſt der Ueberredung immer zugleich die der
Täuſfchung und deſſen war ſich auch Salutato wohl bewußt. „Was
iſt wirkſamer, um zu täuſchen, als eine wohlgeſetzte und ausgeſchmückte
Süßigkeit? Was iſt angenehmer und gefälliger als eine nach allen Sei⸗
ten entſprechende und gefeilte Redeweiſe? Was zieht den menſchlichen
Geiſt mehr mit ſich, bewegt und überwindet ihn mehr als eine ſüße
und kunſtreiche Darſtellung?“ ) Indeß iſt Salutato fo wenig als
hundert Jahre ſpäter ſein Amtsnachfolger Macchiavelli der Vater der
Lügenpolitik geweſen. Nur hatte erſterer den Vortheil, daß das Sy⸗
ſtem, mit zierlichen Worten zu täuſchen, noch neu, daß die „Würde der
Eloquenz, die Schwere der Sentenzen und die Mafeftät des Stils“,
die man an ſeinen Briefen bewunderte, noch wenig erprobt und darum
von ſtärkerer Wirkung waren. Man wiederholte ſich gern einen Aus⸗
ſpruch, der Giangaleazzo Visconti, dem Tyrannen von Mailand, zuge⸗
ſchrieben wurde: Salutato habe ihm durch ſeine Schriften mehr geſcha⸗
det als tanſend florentiniſche Reiter.“)
Die Republik ehrte das Verdienſt des großen Staatscanzlers in
der angemeſſenſten Weiſe. Am 4. Mai 1406 war er geſtorben; obwohl
ein Greis von 76 Jahren, hatte er doch bis zu den letzten Tagen fei-
nem Amte mit voller Kraft vorgeſtanden. Die Leiche wurde am fol⸗
genden Tage auf dem öffentlichen Platze degli Peruzzi zur Schau nie⸗
dergeſetzt. Die höchſten Beamten der Stadt, die Priori und der
) Bei Pe z l. c. p. 80.
) Ich finde dieſes Wort zuerſt bei Aeneas svlviae . cap. 54; Pi i
II. Comment. p. 50.
124 Il. Salntato's literariſche Thätigkeit.
Gonfaloniere della giuſtizia umſtanden ſie, dann die Doctoren der Hoch⸗
ſchule, bürgerliche und gelehrte Notabilitäten, und die Menge des Volks.
Viviano Neri de' Franchi, Notar der Riformagioni, alſo ein College
des Verſtorbenen, trat hervor, hielt eine ehrende Rede und krönte dann
nach dem Beſchluſſe der Priori und des Gonfaloniere das Haupt des
Todten mit dem Dichterlorbeer. Die Banner und Zeichen der Com⸗
mune und der einzelnen Zünfte wurden über ihn geſenkt. Man ſetzte
den Sarkophag in S. Liparata !) bei und errichtete dem Andenken des
Canzlers hier auf Koſten der Commune ein Marmordenkmal. Den
Bürgern ward befohlen, ihn hinfort nicht anders als Coluccio Poeta
zu nennen, und ſie, ſagt ein Berichterſtatter, waren der W daß
er dieſe Ehre verdient.)
Die literariſche Thätigkeit Salutato's außerhalb der Staats caneelei
erſcheint nur, mit der politiſchen verglichen, minder bedeutend, würde
ſonſt aber an ſich genügen, unfern Blick auf ihn zu lenken. Leider
nur liegt von den Zeugniſſen derſelben faſt nichts vor als die Be⸗
richte Andrer. Er hat Eclogen und Elegien gedichtet, auch ein Epos,
welches den Krieg des Königs Pyrrhos von Epeiros gegen die Römer
behandelte, wohl Fabricius zum Helden hatte und handgreiflich durch
Petrarca's Scipiade angeregt war. Ferner ſchrieb er philoſophiſche
Tractate über die Arbeiten des Hercules (mit allegoriſchen Deutungen),
de verecundia und de fato, de religione et fuga seculi und ähn⸗
liche Dinge, die wiederum ſchon in ihrem Titel Petrarca als Vorbild
zu erkennen geben.) Auch ihn ſchmerzte es, wenn er die claſſiſchen
Werke durch die Unwiſſenheit und Nachläſſigkeit der Abſchreiber ver⸗
ſtümmelt ſah, er verglich verſchiedene Exemplare von Senecas und
Auguſtinus' Schriften miteinander und verbeſſerte den Text. Er be⸗
gann Kritik zu üben und ſuchte zum Beiſpiel zu erweiſen, daß der Phi-
loſoph Seneca unmöglich der Verfaſſer der ihm zugeſchriebenen e
dien fein könne.)
Auch im Umgange mit den jüngeren Schöngeiſtern, die unter ſei⸗
ner Protection heranwuchſen, zeigte Salutato die biedre Derbheit ſeines
) Damals der Volksausdruck für die bekannte Kathedrale S. Maria del Fiore.
) Nach dem Priorista (Priorenverzeichniß) jenes Viviano (Gioviano) Neri
und dem Chronicon des Lucas de Scarparia bei Rigacci I. c. p. XIV. XV. XXI.
) Ein Verzeichniß feiner Werke bei Ri gac ei p. XXIV.
) Epist. II, 41. ed, Rigacci. N
II. Salutato und ſeine Jünger. | 135
Weſens. Es war ihm unmöglich, die Leichtfertigkeiten und Eitelkeiten
dieſes jüngeren Geſchlechts hingehen zu laſſen. Den jungen Poggio,
der in Florenz ärmlich gelebt und dann an der Curie ein gutes Unter⸗
kommen gefunden, ermahnte er, daſſelbe ja nicht ſeinen⸗Verdienſten und
Talenten, ſondern nächſt der Gnade Gottes der Fürſprache eines ge⸗
wiſſen Prälaten zuzuſchreiben; ein andermal warnt er ihn, die Schmä⸗
hungen und Zänkereien zu meiden, nicht über Alles unberufen mitzu⸗
ſchwatzen.) Wenn wir dieſen Poggio näher kennen gelernt haben,
wird ſich zeigen, daß ſolche Ermahnungen ihm durchaus nicht überflüſ⸗
ſig waren, und nun iſt Salutato der einzige Menſch, von welchem er
dergleichen geduldig hingenommen hat. Lionardo Bruni, der Salutato
Alles verdankte und einft in ähnlicher Weiſe von ihm zurechtgewieſen
wurde, benahm ſich in der erſten Wallung des Stolzes ein wenig un⸗
gezogen gegen den Wohlthäter, aber er hat es in der Folge ehrlich
bereut.) Es liegt etwas Rührendes in dem Andenken, in welchem
der alte Staatscanzler bei ſolchen Jüngern ſtand, und wenn ſie ihn
den Erzvätern des Humanismus als ein würdiges Glied anzureihen
pflegten, ſo tragen auch wir kein Bedenken, ihm einen ſolchen Rang
unter den Erſten ſeiner Zeit zuzuerkennen.
Florenz, das ſeinen Dante ausgeſtoßen, hat dieſe Schuld reichlich
geſühnt. Seit Boccaccio und Salutato, Jahrhunderte hindurch iſt es
die Metropole der neuen Bildung geblieben, und ein auffallend großer
Theil ihrer Vertreter ſtammte aus tusciſchem Blute. |
In Vielen wohl mochte durch den Vorgang jener großen Männer
die Sehnſucht nach dem goldenen Zeitalter der römiſchen Literatur recht
rege geworden ſein. Uns dagegen erſcheinen im Verhältniß zu dem
Feuer, mit welchem man ſich den neuen Studien widmete, die Fort⸗
ſchritte doch mäßig, die Ausbreitung laygfam. Es bedurfte eines Jahr⸗
hunderts zu dem, was bei uns ohne Zweifel ein Jahrzehent leiſten
würde. Die Mittel des Lernens und der Mittheilung waren allzu ge⸗
ring und dürftig. Wer nicht große Koſten auf die Anſchaffung von
Büchern verwenden konnte oder in dem günſtigen Falle war, von einem
liberalen Bücherbeſitzer leihen zu können, mußte ſich vielleicht mit einem
Virgilius und wenigen Schriften Cicero's begnügen und konnte nur
ſehr allmählig durch eigenhändiges Abſchreiben ſeine Schätze vermehren.
9) Epist. I. 6. 76.
) Leon. Bruni epist. I. 10. X, 5. recens. Me hus.
126 II. Die Wanderlehrer. Giovanni da Ravenna.
Die alten Compendien der Grammatik und Rhetorik waren unbrauch⸗
bar geworden, neue noch nicht vorhanden; immer wiederholte Lectüre,
Auswendiglernen, nachahmende Uebungen mußten den ſyſtematiſchen
Unterricht erſetzen und erſetzten ihn natürlich nur ſehr unvollkommen.
Der Kreis der Freunde, den Petrarca, Boccaccio und Salutato um
ſich ſchufen, war ein fehr großer, aber immer noch klein im Verhältniß
zu den Hunderten und Tauſenden, die ſo gern lernen wollten und ſich
doch auf jedem Schritte des Studiums gehemmt ſahen. Ehe die Buch⸗
druckerei mit beweglichen Lettern der Wiſſenſchaft Flügel gab, bedurfte
es, ihren Lauf zu beſchleunigen, andrer Hebel. N
So folgte denn auf die Männer der Wiedererweckung eine zweite
Generation, die der herumziehenden Lehrer, der wandernden Schu—
leu. In ähnlicher Weiſe war auch der Gründung der italiſchen Hoch⸗
ſchulen ein Wanderthum der Lehrer und Schüler vorausgegangen und
ganz wie damals waren es auch jetzt vorzüglich die Grammatiker und
Rhetoren, die als Privatlehrer von Stadt zu Stadt zogen.) Ludi
litterarii, der claſſiſche Ausdruck, blieb der übliche. Nun fanden ſich
zu den Füßen gefeierter Lehrer Jung und Alt, Vornehm und Gering,
Landsleute und Fremde in bunteſter Miſchung ein, und wie die Lehrer
von einer Katheder zur andern zogen, reiſten oft auch die Schüler um⸗
her, um hier den feinen Stil, dort die Auslegung eines Autors, hier
die antike Moral, dort die Elemente des Griechiſchen zu lernen. Durch
mannigfaltigen Unterricht, durch Bewegung und Reibung wurden die
bildenden Kräfte vervielfacht und ein immer regeres und vielſeitigeres
Jutereſſe geweckt.
Der erſte der Wasbek e ging unmittelbar von Petrarca aus.
Bei dieſem lebte drei Jahre lang als ein armer Jüngling Giovanni
Malpaghino, gewöhnlich nach ſeiner Geburtsſtadt Ravenna beibenaunt.
Zunächſt empfahlen ihn ein glückliches Gedächtniß, welches die zwölf
Eclogen Petrarca's zu des Meiſters Erſtaunen in eilf Tagen. auswen-
dig lernte, eine ungewöhnliche Solidität in jeder Arbeit und eine ſchöne
Handſchrift. Er war ganz geeignet, Petrarca's Werke ſorgfältig und
zierlich zu copiren und ſcheint ſich anfangs dieſem Geſchäft mit großem
Eifer gewidmet zu haben. Er war es, der die nnüberſehbare Menge
der familiären Briefe Petrarca's, an deren Ordnung dieſer ſelbſt faſt
) cf. Wilh. Giesebrecht de litterarum studiis apud Italos primis medii
aevi saeculis. Berolini, 1845. p. 15 84.
U. Giovanni da Ravenna. 127
verzweifeln wollte, in ein fanber gefertigtes Volumen zuſammenbrachte.
Petrarca hatte an ihm den brauchbarſten Diener, dieſer aber wuchs
unterdeß ſelber zum Gelehrten heran. Es regte ſich in ihm ein un⸗
ruhiger, treibender Geiſt. Er wurde es müde, nichts mehr als ein
bloßer Schreiber zu ſein; ihm ſtockte das Blut, da er in den rüſtig⸗
ſten Jahren die Lebensweiſe des ſtillen Greiſes theilen ſollte. Er rich⸗
tete ſeinen Geiſt auf Byzanz und die griechiſche Sprache, wollte ſein
Glück und ſeinen Ruhm auf eigene Hand begründen. Mit dieſer For⸗
derung trat er endlich vor den Meiſter, gab auf deſſen altväteriſche
Mahnungen trotzige Autwort und verließ ihn ſtürmiſchen Sinnes.
Wohl fühlte er in ſich eine Kraft, die ihn zu höheren Zwecken berief.
Petrarca aber behandelte ihn immer als werdenden Schüler und ver⸗
wies ihn auf zukünftige Leiſtungen von höherer Reife. Wir wiſſen ja,
wie er gewohnt war, in jedem Talente nur einen Trabanten des ſeini⸗
gen zu ſehen, wie er nicht begriff, daß man ſeiner Zucht entwachſen
könne. So ſollte ſich auch der junge Giovanni ſelig preiſen, in ſeinem
Dienſte, unter ſeinen Augen und durch ſein erhabenes Vorbild geleitet,
zum Philoſophen zu werden. Als er ſich endlich losgeriſſen, ſah Pe⸗
trarca in ihm nur einen unſtäten Jüngling, einen ruheloſen Landſtrei⸗
cher, obwohl er ihm ſeine väterliche Gunſt nicht völlig entzog. Freilich
hatte er die Genugthuung, daß Geldnoth, Gefahren und Elend den
jungen Ravennaten beſchämt vor die Augen ſeines Herrn zurückführten.
Aber die Ausſöhnung dauerte nicht lange: von Neuem und beſſer aus⸗
gerüſtet zog Giovanni davon, um hier und dort in Italien das Leben
und die Menſchen zu ſehen, um als Lehrer zu . was er in
ſtillen, einſamen Stunden gelernt.)
Eine Zeit lang war er Canzler am Hofe von Fürs in dieſer
Stellung ſoll er Tractate „über feinen Eintritt in den Hofdienſt“ und
„über das Glück bei Hofe“ geſchrieben haben“), ohne Zweifel, um ſei⸗
nem Unbehagen über die gebundene Stellung Luft zu machen. Sein
Beruf war umherzuziehen und Samen auszuſteuen, die Frucht konnte
er nirgend abwarten. In Padua, Florenz, Venedig und wohl noch in
) Petrarca epist. rer. senil. V, 6.7. XI, 8.9. an Giovanni da Certaldo
(Boccaccio). Mehus Vita Ambr. Travers p. 349. Von der Länge des Aufent⸗
haltes Giovanni's bei Petrarca ſagt Salutatus epist. ad Carolum de Malatestis
bei Mehus l. c. p. 351. wohl irrthümlich: trilustris permansit.
) Tiraboschi T. V. p. 957. Wohl während des Aufenthaltes in Carrara
ſchrieb Petrarca an ihn die epist. rer. senil. XIV, 14, adreſſirt: Vago cuidam.
128 II. Giovanni da Ravenna. Gasparino da Barzizza.
mancher andern Stadt hat er ſeinen Lehrſtuhl aufgeſchlagen, Cicero
und die römiſchen Dichter erklärt. Wie aus dem trojaniſchen Pferde —
ſo drückte ſich ein Jahrhundert ſpäter, den Erfolg überſchauend, der
Literarhiſtoriker Rafaele Maffei da Volterra aus) — fo ging aus der
Schule des Giovanni da Ravenna eine Schaar ausgezeichneter Männer
hervor, die dann wieder in Schulen und durch ihre Studien die Welt
mit Bildung erfüllten. Was er geſchrieben, verdient keine Erwähnung;
ſchon nach einigen Jahrzehnten wußte man von feinen Schriften nichts
mehr. Er kam wohl nicht hinaus über das Talent der Nachahmung
und Nachbildung, vor deſſen einſeitiger Verfolgung ſchon Petrarca ihn
gewarnt. Aber „wie durch eine Gnade Gottes“, ſagt einer feiner Schü⸗
ler, Lionardo Bruni, wußte er feine Zuhörer zum Betriebe der ſchönen
Wiſſenſchaften und zur Nachahmung Cicero's zu entflammen.) In
Venedig war Francesco Barbaro ſein beſter Schüler, in Florenz, um
nur diejenigen zu nennen, die uns nachher als Größen der Literatur
wieder entgegentreten werden, Palla degli Strozzi, Giacomo d' Angelo
da Scarparia und Roberto de' Roſſi, alle drei dem reichſten Adel an-
gehörig, Carlo Marſuppini, Lionardo Bruni und Poggio Bracciolini,
drei gefeierte Namen, die ſpäter in der Staatscanzlerwürde glänzten,
Guarino da Verona und Vittorino da Feltre, die beiden namhafteſten
Ludimagiſtri der folgenden Periode, Ambrogio Traverſari, ne
da Vicenza, Pier- Paolo Vergerio.)
Um einige Jahrzehnte ſpäter trat Gas parino da Barzizza in
dieſelbe Laufbahn. Sein Zuname iſt der des Fleckens, in dem er ge⸗
boren; da derſelbe im Gebiete von Bergamo lag, bezeichnete man auch
den Mann nicht felten als Bergomas. Er lehrte eine Reihe von Jah⸗
ren zu Padua und Venedig, wo viele edle Venetianer, darunter wieder
Francesco Barbaro, aber auch Fremde wie Antonio Beccadelli ſeine
Schüler waren.) Durch den glänzenden Erfolg ermuthigt, wäre er
gern weiter umhergezogen, wenn ihm nicht Filippo Maria von Mai⸗
land 1418 als ſeinem Unterthanen geboten hätte, ſich nach Mailand
1) Rafael Volaterranus Comment. urban. Lib. XXI.
) ef. Blondus Italia illustr. p. 346. 347.
) Meiners über das Leben und die Verdienſte des Johann von Ravenna in
den „Lebensbeſchreibungen berühmter Männer aus den Zeiten der Wiederherſtellung
der Wiſſenſchaften“ Bd. 1 (Zürich, 1795).
) Francis ei Barbari Epistolae (ed Card. Quirino) Brixiae, 1743.
epist. 118. |
H. Chryſoloras. Ä 129
zu überſiedeln und hier eine Schule zu begründen. So werden wir
ihn denn unter den viscontiſchen Hofgelehrten wiederfinden.) Er hat
ein eigenthümliches Verdienſt um die feinere Epiſtolographie, die er
ſtreng nach dem Vorbilde der Briefe Cicero's in ſeiner Schule lehrte
und in ein förmliches Syſtem brachte. Salutato hatte jenem römiſchen
Muſter nur die philoſophirende Weiſe und die Höflichkeitsformen ab⸗
gelernt; im Uebrigen ſchrieb er noch ſchwülſtig und geſucht. Jetzt ſollte
der Brief mit genialiſcher Nachläſſigkeit hingeworfen erſcheinen, man
ſollte ſchreiben, wie man ſich lebhaft unterhält, ſo daß der Wortſtrom
leicht und elegant hinfließe. Bruni und Poggio erreichten die Meiſter⸗
ſchaft in dieſer Gattung. An Gasparino ſelbſt aber wußte man zu
tadeln, daß ſeine Redeweiſe zwar zierlich, aber nicht kräftig und ein⸗
dringlich ſei.
Zur Zeit Bonifacius' IX erſchien der Byzantiner Manuel Chry⸗
ſoloras in Italien und zwar zuerſt in Venedig. In ſeiner Begleitung
war Demetrios Kydonios, und auf beide richtete man ſofort von Flo⸗
renz das Auge, um vermittels eingeborener und gebildeter Griechen ſich
den Schätzen der helleniſchen Literatur zu nähern. Zwei edle Floren⸗
tiner, Giacomo d' Angelo da Scarparia und Roberto de Roſſi, eilten
nach Venedig, beide voll begeiſterter Lernbegier. Giacomo ging dann
mit den heimreiſenden Geſandten nach Konſtantinopel, Roſſi kehrte nach
Florenz zurück, nachdem er, wie es ſcheint, mit Chryſoloras ſchon vor⸗
läufig unterhandelt und ſich in die Elemente der griechiſchen Sprache
hatte einweihen laſſen. Die beiden Griechen ſollten im Namen des
paläologiſchen Kaiſers die Hülfe der abendländiſchen Völker gegen die
Türken erbitten. Ihre Sendung war als eine politiſche ohne Erfolg,
ſie fanden die Fürſten gleichgültig, die republicaniſchen Signorien vor⸗
ſichtig und engherzig. Deſto glänzender aber glückte ihre literariſche
Miſſion, die ihnen ihr Kaiſer nicht aufgetragen. Chryſoloras war ſeit
langer Zeit der erſte wahrhaft gelehrte Grieche, der ſich im Abendlande
ſehen ließ, der zugleich ein grammatiſches Fundament legen, die Claſ⸗
ſiker der Hellenen interpretiren und ſich auch in lateiniſcher Sprache
verſtändlich machen konnte. Er war ferner bereits ein Mann von
) Blondus l. s. e. Bart h. Facii de viris illustribus Liber ed. Laur.
Mehus. Florentiae, 1745. p. 28. — Sein Leben von Joſ. Alex. Furiettus
vor deſſen Ausgabe von Gasparini Barzizii Bergomatis et Guiniforti filii
Opera. Romae, 1723.
Voigt, Humanismus. 9
130 II. Chryſoloras in Florenz.
Ruf. Guarino von Verona hatte ſchon als Jüngling fünf Jahre in
Konſtantinopel zugebracht, um unter ſeiner Leitung die griechiſche Sprache
zu ſtudiren.) Jetzt verkündete Roſſi ſeinen Ruhm und erweckte unter
den edelſten Geiſtern der Stadt ein dringendes Verlangen, den gelehr⸗
ten Griechen für Florenz zu gewinnen. Am eifrigſten zeigte ſich Sa⸗
lutato: obwohl ein Mann von 65 Jahren, fühlte er dennoch bei dem
Gedanken, ſich jetzt der griechiſchen Sprache und Weisheit bemächtigen
zu können, das raſche Blut der Jünglingsjahre wieder in feinen Adern.
Er gedachte Cato's, der ja auch noch im höheren Alter Griechiſch ge⸗
lernt. Auch erheiterte ihn die Vorſtellung, wie er den Lehrer fragen
und quälen wolle, wie ſeine erwachſenen Mitſchüler lachen würden,
wenn ſie den gravitätiſchen Staatscanzler griechiſche Sylben ſtammeln
und ſtottern hörten. Er trug einem jüngeren Freunde, jenem Giacomo
da Scarparia, der zur Erlernung des Griechiſchen nach Byzanz reiſte,
auf, nicht anders als mit griechiſchen Büchern beladen heimzukehren:
er möge alle Geſchichtſchreiber, vor andern den Plutarchos, alle Dich⸗
ter, zumal aber einen mit deutlichen Buchſtaben auf Pergament ge⸗
ſchriebenen Homeros auflaufen und auch Vocabularien nicht vergeffen. *)
Neben Salutato, der indeß ſelbſt die Frucht ſeiner Bemühungen
nicht mehr geerndtet hat, waren beſonders Palla Strozzi und Niccovlo
Niccolt für die Berufung des Chryſoloras thätig. Im Jahre 1396
erging an dieſen von Staatswegen die Einladung. Man bewilligte
ihm als Lehrer der griechiſchen Sprache ein Jahresgehalt von 150
Goldgulden, welches ſpäter auf 250 vermehrt wurde. Und welche
Schüler ſah er nun täglich zu ſeinen Füßen fitzen! Es waren faſt alle
Zuhörer des Giovanni da Ravenna, die nun unter ſeiner Leitung das
Griechiſche von den Elementen an lernten, Palla Strozzi und der ſchon
bejahrte Roberto de Roſſi als Vertreter des florentiniſchen Adels voran,
der achtzehnjährige Poggio, Lionardo Bruni, Giannozzo Manetti, Carlo
Marſuppini, wohl auch Ambrogio Traverſari als die fähigſten Schü⸗
ler. Bruni ſtudirte ſeit vier Jahren das bürgerliche Recht, aber längſt
hatte ihn auch die neue Weiſe der Stiliſtik und Rhetorik angezogen.
Die Ankunft des Byzantiners führte ihn auf den Scheideweg. Er
) Maffei Verona illustrata P. II. p. 133. Dagegen läßt ihn Ves pas iano
(Guarino Veronese $ 1) einfach mit den Andern in Florenz des Chryſoloras Schü⸗
ler ſein. |
) Mehus Vita Ambr. Travers. p. 356, beſonders Salutato's Brief an
Giacomo ibid. p. 358. |
II. Cbryſoloras. 181
ſprach zu ſich: Nun wäre es dir möglich, den Homer, den Platon, den
Demoſthenes und alle die Dichter, Philoſophen und Redner kennen zu
lernen, von denen ſo viel Wunderbares erzählt wird. Sollteſt du es
jetzt an dir fehlen laſſen? Seit ſiebenhundert Jahren hat niemand in
Halten Griechiſch verſtanden und doch bekennen wir, daß alle Wiſſen⸗
ſchaft von dieſem Volke ausgegangen iſt. Der Doctoren des bürger⸗
lichen Rechtes giebt es genug, das kannſt du immer noch lernen. Aber
hier iſt nun ein Lehrer des Griechiſchen, er iſt der einzige! — Der
Entſchluß war gefaßt: zwei Jahre lang hörte Bruni den gelehrten
Griechen; was er am Tage gelernt, ſagt er, ſei ihm während des
nächtlichen Schlafes immer noch im Kopfe herumgegangen.) Dies
tin Bild des Mifers, der ſeitdem für die griechiſche Sprache entflammte.
In wenigen Jahrzehnten ſtand es ſo, daß anch ein tüchtiger Latiniſt,
wenn er nicht zugleich Griechiſch verſtand, nur als halbgelehrt angeſehen
wurde.) Auch nach Rom kam Chryſoloras und eröffnete hier eine
Schule, wie er zu Florenz, Padua, Mailand und Venedig gethan.
Nach einigen Jahren, die er in ſeiner Heimath verlebt, erſchien er wie⸗
der in Italien, zog mit dem Cardinal Zabarella nach Coſtnitz, ſtarb
aber hier ſchon am 15. April 1415, lange bevor die griechiſche Geſandt⸗
ſchaft ankam, welcher er als Vermittler dienen ſollte. Man fette feine
Leiche bei den Dominicanern bei und einer ſeiner Schüler, Pier⸗Paolo
Vergerio, widmete ihr eine einfache Grabſchrift; ein andrer, der Dich⸗
ter Cenci, hielt ihm die Leichenrede.)
Sein Ruf und die Achtung der Zeitgenoſſen bewährten ſich immer
mehr und feine vielen Schüler ſprachen ſtets mit hoher Anerkennung
von ihm, obwohl ihn das jüngere Geſchlecht an ſtiliſtiſcher Eleganz
ſehr bald überholt zu haben meinte.) Noch vierzig Jahre nach ſeinem
1 ) Leonardi Aretini Rerum suo tempore in Italia gestarum Commen-
tatius ap. Muratori 8criptt. T. XIX. p. 920.
2) ef. Franc. Bar bar i epist. 127. edit. eit.
) Poggius Orat. in funere Nic. Nicoli (Opp. p. 272). Ves pas iano:
Palla di Nofri Strozzi 8 1. Blond us l. c. Raphael Volate rr. I. c. Mehus
Vita Ambr. Travers. p. 348—364. v. Weſſenberg, die großen Kirchenverſamm⸗
lungen des 15. und 16. Jahrh. Bd. II. S. 111. Ueber das Leben und die Schrif⸗
ten des Chryſoloras Humphr. Hodius de Graseis illustribus linguae Graecae
literarumque humaniorum instauratoribus Libri duo. Londini, 1742. Lib. I.
eap. 2. F. Jacobs in der Allg. Eneyklopädie der Wiſſ. und Künſte 8. v. Chry-
soloras (Th. XII. Nachträge).
) cf. Leonardi Bruni epist. IV, 1. ed. Mehus.
9 *
132 II. Aufſchwung des Humanismus.
Tode faßte ſein eifrigſter Schüler Guarino ), damals ein Greis von
83 Jahren, den Gedanken, „dem weiſeſten und göttlichen Philoſophen
ſeines Zeitalters, ſeinem ſüßeſten Lehrer“, der ſich um die Ausſaat der
ſchönen Wiſſenſchaften in Italien ein unſterbliches Verdienſt erworben,
ein literariſches Denkmal zu ſetzen. Er ſammelte die zerſtreuten Brieſe
des Chryſoloras in einen Band und ging Poggio, den einzigen, der
außer ihm von jener „alten Schule“ noch übrig war, mit der Bitte
an, zu jenem Denkmal beizuſteuern.) Selbſt im Zeitalter Leo's X,
als die griechiſche Bildung begann der lateiniſchen faſt gleichzukommen,
beſtand noch ein gutes Andenken an den erſten würdigen Lehrer der
griechiſchen Sprache.
Nur von den erſten Schulen, die das Beiſpiel gaben, ſollte hier
die Rede ſein, nur von den erſten Lehrern, die mit der Fackel des hu⸗
maniſtiſchen Studiums umherziehend, das Licht in hundert Herzen ent⸗
zündeten. Wie ſich nach dem feurigen Anfange erwarten ließ, fanden
ſich bald unter den Schülern jener Männer nicht wenige, die nach ih⸗
rem Beiſpiele Schulen aufthaten, der Griechen kamen immer mehr und
bald zu viele nach Italien herüber, junge Humaniſten Italiens mach⸗
ten eine Lehrzeit in Konſtantinopel durch, um dann wieder ihren Lands⸗
leuten die erworbene Kenntniß des Griechiſchen und nene Monumente
der Literatur zurückzubringen.
Mit dem fünfzehnten Jahrhundert beginnt in Italien ein ſo reges
literariſches Leben, wie es unfre Zeit etwa auf dem induſtriellen Ge
biete beobachtet. Das Signal, welches Petrarca gegeben, findet hundert⸗
und tauſendfachen Wiederhall. In allen Winkeln ſtöbert man nach
alten Codices, bald auch im Auslande, man vergleicht und verbeſſert,
man copirt und verbreitet ſie. Der ſtille Gelehrte arbeitet nicht mehr
in einſamer Zelle, er tritt mit feinen Entdeckungen und Schöpfungen
alsbald auf einen offenen literariſchen Markt. Es werden Lehrſtühle
begründet, welche die Aufhellung des Alterthums und ſeiner beiden
claſſiſchen Sprachen als ſelbſtſtändigen Zweck verfolgen. In den Frei⸗
ſtaaten und an den Höfen ſteigen die Humaniſten als angeſehene Män⸗
ner empor und finden aufmunternden Lohn. Sie ſind die gefeierten
1) Vergl. feine begeiſterten Briefe über Chryſoloras bei Ho di us p. 44-61.
) Guarino's Brief v. 26. Mai 1455 und Poggio's Antwort im Bpicile-
gium Romanum T. X. p. 353. Epist. 81. 82. Zugleich widerlegt hier Poggio die
damals wie noch jetzt vielverbreitete Notiz, als habe auch er neben Cenci dem Chry⸗
ſoloras zu Coſtnitz eine Leichenrede gehalten oder geſchrieben.
II. Die literariſchen Entdeckungen. 133
Helden des Zeitalters. Sie leben unter fich in einer vielverzweigten
Geſellſchaft, einer Gelehrtenrepublik, in welche Talent und Fleiß den
Zutritt eröffnen. Ein neuer Stand bildet ſich, fern von aller kaſten⸗
haften Beſchränkung, frei und unabhängig geſtellt und dennoch geſchätzt
und geſucht von den Vornehmen der Welt. Im Alterthum wurzelt
dieſer Männer Dichten und Denken: ſeine Schriftwerke, ſeine Medail⸗
len, Statuen und Gemmen werden geſammelt und wie heilig verehrt,
ſeine Paläſte, Tempel, Cirkus und Grabdenkmale fangen an zu reden
und zu zeugen.
Als die Begeiſterung entzündet und der erſte Anlauf genommen
war, regte ſich, wie in Petrarca, zunächſt der Wunſch, von den Reſten
des Alterthums zu retten, was noch zu retten war. Man ſprach gern
vom Roſte der Zeit, der auf ſeinen Denkmalen liege und nun endlich
weggeräumt werden müſſe. Bücher, die in den Klöſtern aufbewahrt
wurden und gar außerhalb Italiens, ſchienen durch die Barbarei ihrer
Hüter dem ſichern Untergange geweiht; ſie mußten entführt oder durch
Abſchriften erhalten werden. Mochte auch die Beſorgniß und der Eifer
der Suchenden die Gefahr ein wenig übertreiben, ſo leitete ſie doch im
Ganzen ein richtiger Inſtinct: erſt die Erfahrung, daß bereits manches
unſchätzbare Werk der römiſchen Literatur verloren war, konnte lehren,
daß man eilig und ängſtlich ſuchen müſſe. Boccaccio erzählte gern,
was ihm bei den Benedictinern zu Monte Caſſino begegnet. Neugierig,
ihre alte Bibliothek zu ſehen, bat er einen der Mönche, ſie ihm zu
öffnen. Der wies ihn trocken nach einer ſteilen Treppe: Steige nur
hinauf, ſie ift offen! In der That war das Bücherzimmer weder durch
Schlöſſer noch durch Thüren irgendwie geſchützt. Als Boccaccio einige
der Codices prüfend öffnet, findet er, daß hier die Ränder abge⸗
ſchnitten find, dort ganze Lagen fehlen, Verſtümmelungen aller Art.
Weinend vor Unwillen ſteigt er hinab und fragt einen Mönch, der
ihm gerade entgegentritt, warum man dieſe herrlichen Schätze ſo ſchmäh⸗
lich behandle. Ein paar ſeiner Brüder hätten, antwortet dieſer, um
zwei bis fünf Solidi zu verdienen, das ausgeriſſene und abgeſchnittene
Pergament zu Pſaltern und Breven verwendet, die dann an Kinder
und Frauen verkauft würden.) Geſchah das in dieſem Mutterhauſe
der Gelehrſamkeit, was war von andern zu erwarten?
) Benvenuti sen Comment. in Dantis Comoed. ap. Muratori
Antiq. Ital. T. I, p. 1296.
134 II. Die literariſchen Entdeckungen. Poggio.
Gerade jene Jünglinge und Männer, die in Florenz vor Giovanni
da Ravenna und Chryſoloras“' Lehrſtuhl geſeſſen, führten mit unermüd⸗
lichem Eifer das Geſchäft des Suchens fort und genoſſen den Triumph
des Findens. Die Schätze, die Italien barg, waren bald ans Licht
gefördert. Für die Durchforſchung andrer Länder hat das coſtnitzer
Concil Epoche gemacht, wie denn überhaupt der Einfluß der beiden
großen Kirchenverſammlungen auf den Contact der Nationen nicht hoch
genug angeſchlagen werden kann. Nicht ſelten waren auch die Legaten
und Nuntien der Curie, Viſitatoren geiſtlichen und mönchiſchen Stan⸗
des gleichzeitig literariſche Emiſſäre. Einige von ihnen, wie die Car⸗
dinäle Branda und Ceſarini, beſaßen genügende Bildung, um ſelbſt in
den Kloſterbibliotheken Deutſchlands nach den Werken des Alterthums
zu forſchen; andre zählten humaniſtiſche Secretäre zu ihrer geiſtlichen
Familie. Unvermuthet ſandte der Cardinal von Piſa aus dem fernen
Spanien den Pompejus Trogus, das heißt den Auszug aus dieſem
Autor, wie wir ihn noch beſitzen und Juſtinus zuſchreiben.) Zur Zeit
des basler Concils trieben Legaten wie Ceſarini und Albergati das
Büchergeſchäft neben dem politiſchen und kirchlichen.
Poggio Bracciolini hat auf dieſem Felde ſeinen ſchönſten Lor⸗
beer errungen. Er war als päpſtlicher Secretär nach Coſtnitz gekom⸗
men, aber er lächelte im Stillen, wenn ſich die gelehrten Prälbaten und
Doctoren um des Schisma oder der huſſitiſchen Ketzer willen in langen
Expoſitionen und Discuſſionen ergingen. Ihre Reden erfchienen ihm
altmodiſch und thöricht. So wandte er ihnen lieber ganz den Rücken
und trieb ſeine literariſche Miſſion fort, aufgemuntert durch die Briefe
ſeiner florentiniſchen und venetianiſchen Freunde, unbekümmert um die
Kixche und um ſein apoſtoliſches Secretariat. Der Einfluß einiger
kirchlicher Würdenträger, unter denen wohl Cardinal Zabarella war,
öffnete ihm den Zutritt zu den Bibliotheken der nahen Klöſter. Ein
harter Winter und der Schnee auf den Landſtraßen hielten ihn nicht
ab. Der erſte Ausflug in die Umgegend führte ihn nach den Bene
dictinerabteien Reichenau und Weingarten, aus welchen während des
Concils manche ſchöne Handſchrift zum Gebrauche der gelehrten Väter
nach Coſtnitz gebracht und nicht zurückgeliefert wide.) Glänzenden
) Ambros. Traversarii epist. VI, 14. recens. Petro Canneto. Floren-
tise, 1759.
2) Pregizer bei von der Hardt Magn. oecum. Constant. Concikum, Pro-
II. Poggio auf literariſchen Entdeckungsreiſen. 135
Lohn für ſeine Mühe fand er erſt in St. Gallen. In welchem Zu⸗
ſtande er hier die reiche und noch jetzt ſo anſehnliche Bibliothek antraf,
weiß er nicht ſchlimm genug zu ſchildern. Die Bücher, erzählt er, lagen
in einem dunkeln Thurmzimmer, das man keinem verurtheilten Miſſe⸗
thäter anweiſen würde, unter Schutt und Staub wüſt umher. Niemand
kümmerte ſich um die unſchätzbarſten Denkmäler, die hier in Finſterniß
verſteckt verrotteten. Dafür gedenkt Poggio ſelten der Deutſchen, ohne
ſig als Barbaren und ihre Kloſterbibliotheken als Kerker (ergastula)
zu brandmarken, und in dieſer Geſinnung hielt er es ohne Zweifel für
eine ruhmwürdige That, einzelne der edlen Gefangenen, wo es ſich thun
ließ, zu entführen und ihrem Vaterlande jenſeits der Alpen zurück⸗
zugeben.
Seine Entdeckungen rechtfertigten in der That den triumphiren⸗
den Ton, mit dem er fie verkündete. Zuerſt fand er die Inſtitu⸗
tionen Quintilians, wenn auch nicht, wie er in der erſten Freude nach
Italien berichtete und auch ſpäter noch vornehm behauptete, in einem
vollſtändigen Exemplar.) Man hatte dieſen Autor bisher nur in
hächſt mangelhafter Geſtalt geleſen. Petrarca fand 1350 in Florenz ein
übel zugerichtetes und defectes Exemplar, das gerade nur hinreichte, um
dieſen Lehrer der römiſchen Beredtſamkeit ſchätzen, nicht um ihn kennen
zu lernen. Dann wurde Salutato durch die Nachricht getäuſcht, als
ſei aus Frankreich ein vollſtändiger Quintilianus zu erwarten.) Der
Wunſch war mächtig angeregt, aber deſto ſchmerzlicher erſchien der
Verluſt. Lionardo Bruni quälte ſich in Florenz mit den Fragmenten
ab, wohl den von Petrarca gefundenen; in Mailand hatte Gasparino
da Barzizza die troftlofe Arbeit unternommen, das Fehlende aus eige⸗
nem Kapfe zu ergänzen.) Jetzt kam, von Poggio's zierlicher Hand
in 32 arbeitſamen Tagen abgeſchrieben, ein Exemplar nach Florenz, aus
welchem Bruni durch Vergleichung mit dem dortigen Codex einen les⸗
baren Quintilian herſtellen konnte.“)
legomena ad T. I. p. 13. Weidmann Geſchichte der Bibliothek von St. Gallen.
St. Gallen, 1846. S. 36.
) Poggii epist. ad Johannem amicum (aus Coſtnitz ohne Datum) ap. Mu-
ratori Boriptt. T. XX. p. 160. Ejusd. Oratio in funere Nic. Nicoli (Opp. p. 272),
de infelicitate principum (Opp. p. 394). 8
) Sein Brief bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 386.
) Blondus Italia illustr. p. 346. Raphael Volaterr. Lib. XXI.
) Mehus (I. c. p. 34) erkennt den von Poggio gefundenen Quintilian in einem
Coder der Laurentiana. cf. Leonardi Bruni epist. IV, 5. 9. reeens. Mehus,
136 IE. Poggio auf literariſchen Entdecknngsreiſen.
Es folgte eine Reihe von Werken, die man bis dahin in Italien
noch nicht gekannt, die vielleicht bis auf den Namen verſchollen geweſen,
und die nun auf Poggio's Ruf aus dem ſtaubigen und moderigen
Grabe erſtanden, um wieder ihren Einzug in das Land zu halten,
deſſen Sprache ſie verherrlichten. Jetzt erſt wurde der mönchiſche Fleiß
des neunten Jahrhunderts für die Welt nutzbar gemacht. Noch in
St. Gallen ſchrieb Poggio die Argonautica des Valerius Flaceus ab,
freilich nur die drei erſten Bücher und die Hälfte des vierten, ferner
des Grammatikers Asconius Pedianus Commentar zu acht Reden Ei⸗
cero's. Aus deutſchen und franzöſiſchen Klöſtern gingen alte Dichter
von Neuem hervor, Lucretius Carus, der Lehrdichter „von der Natur
der Dinge“, wenn auch nur in Fragmenten, Silius Italicus, der Sän⸗
ger der Punica, Manilius, der den Einfluß der Geſtirne auf die
Schickſale der Menſchen gelehrt. Die Werke des Vitruvius über Bau⸗
kunſt und des Columella über Landwirthſchaft bereicherten die Kennt⸗
niß des Alterthums. Auch des Frontinus Buch über die Waſſerlei⸗
tungen Roms entdeckte Poggio ſpäter zu Monte Caſſino, wo er ſich
den Abt zum Freunde gemacht.) Ein Theil der Kaiſergeſchichte wurde
durch Ammianus Marcellinus aufgehellt, den Poggio freilich ſo unvoll⸗
ſtändig fand, wie wir ihn noch jetzt leſen. Niccoli ſchrieb dieſes Buch
ſowie den Lucretius und Columella ſofort mit eigener Hand ab, ſeine
Abſchriften befinden ſich noch jetzt in der Laurentiana.) An Qninti⸗
lianus ſchloſſen ſich ſpätere grammatiſche Werke von Nonius Marcellus,
Priscianus aus Cäſarea, Flavius Caper, Eutyches, Probus.)
Bei den Entdeckungsreiſen, die er von Coſtnitz aus unternahm,
hatte Poggio einen Nebenbuhler, deſſen Verdienſt er dann freilich ganz
ins Dunkel geſtellt hat. Es war Bartolommeo da Montepul⸗
Vespasiano: Poggio Fiorentino 8 2. Recanati Vita Poggii cap. 6. ap.
Muratori Scriptt. T. XX.
) Poggii Descriptio urbis Romae (Opp. p. 136). Ambros. Travers.
epist. VIII. 43. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 47 sq.
) Poggii epist. 48 im Spicileg. Roman. T. X. und Mai's Noten dazu.
Meh us l. c. p. 37. =
) Poggii epist. ad Johannem amicum l. c., ad Guarinum Veronensem
vom 16. Decemb. 1416 in (Lenfant's) Poggiana. Amstelod., 1720. T. II. p. 309.
Franc. Barbaro's Brief an Poggio, dat. Venedig den 6. Juli 1417, bei Pez
Thesaur. Anecd. nov. T. VI. P. III. p. 165. und in Franc. Barbari epist.
1. recens. Quirino. Poggii Orat. in funere Nic. Nicoli l. c. Ves pas iano l. e.
Weidmann a. a. O. S. 38—48.
II. Bartslemmeo und Poggio auf literariſchen Entbediungsreifen. 137
ciano, ein Mann von ſehr untergeordneten Talenten, der ſich für
einen Philoſophen hielt, weil er einige antike Sentenzen über die Freund⸗
ſchaft und über das höchſte Gut aufgefangen, für einen Dichter, weil
er einſt die Schule des Chryſoloras genoſſen und zu Coſtnitz mit deſſen
Jünger Cenci de Ruſtici verkehrte, und für ein wichtiges Glied der
literariſchen Kreiſe, weil es ihm gelungen mit Männern wie Guarino,
Barbaro und Traverſart in Briefwechſel zu treten. Lionardo Bruni
hielt dieſen Bartolommeo für einen vöklig ungebildeten Menſchen und
ſpottete über ſeinen Einfall, ſich teſtamentariſch eine Marmorſtatue zu
beſtellen, damit das Grab des Dichters nicht in Vergeſſenheit gerathe. ')
Dieſelbe hohle und lächerliche Eitelkeit tritt uns auch aus dem einzigen
Briefe entgegen, den wir von ihm beſitzen und der uns offenbar nur
deshalb erhalten blieb, weil er an einen bedeutenden Mann gerichtet,
nicht weil er von einem ſolchen geſchrieben iſt.) Auch Bartolommeo
reiſte in den ſchwäbiſchen Klöſtern umher, wohl durch Poggio's Erfolge
geſtachelt. Ihm verdankte man des Vegetius Werk über die Kriegs⸗
kauft und den grammatiſchen Auszug des Pompejus Feſtus,) wahr⸗
ſcheinlich auch den Silius und den Lucretius; doch hat Poggio in ſei⸗
ner ruhmredigen Weiſe ſich ſelbſt die Bekanntmachung aller dieſer
Autoren zugeſchrieben und den Gefährten ſo um den beſten Theil des
Ruhmes gebracht.)
Im Cluniacenſerkloſter zu Langres fiel in Poggio's Hände zuerſt
eine Rede Cicero's, die man in Italien noch nicht beſaß, es war die
für Cäcina. Später hat er noch ſieben andre Reden Cicero's auf
verſchiedenen Reiſen gefunden.) Man erinnere ſich der Verehrung,
nie Cicero feit Petrarca's Zeiten genoß, und man wird den Enthuſias⸗
mus begreiflich finden, mit dem im florentiniſchen Gelehrtenkreiſe die
) Leon. Bruni epist. VI, 5. recens. Mehus.
9) Nämlich an Traverſari in deſſen Epist. XXIV, 9. recens. Canneto.
3) Dieſe beiden fand er, wie aus dem Briefe an Traverſari hervorgeht, in
St. Gallen.
) Mehus l. c. p. 36. 37. 380. Den Lucretius mag Poggio gefunden haben,
jedenfalls aber hob Bartolommeo den Schatz, d. h. er ſchrieb das Buch ab. Vergl.
Poggio's Brief an Niccoli unter denen des Ambros. Travers. recens. Can-
neto XXV, 42.
) Poggii Dial. de infelicitate principum (Opp. p. 394). Leon. Bruni
epist. IV, 4. recens. Mehus. Welche Reden Cicero's es waren, darüber Re canati
I. e. und Mehus l. c. p. 35. 36, über die Rede für Cäcina auch Nie buhr in
edit. Ciceronis Orationum pro M. Fentejo et pro C. Rabirio. Romae, 1820. p. 37.
* * %
188 II. Poggio auf literariſchen Eutdackungspeiſen.
von Poggio geſandten Abſchriften und die entführten Codices empfan;
gen wurden. Wie eifrig die Mittheilung, das Copiren und platte
niren hier gefördert wurden, das ſehen wir aus der Brieffammlung
pes Camaldulenſers Ambrogio Traverſari. Freilich handelte es ſich
bald auch um die pecuniäre Unterſtützung des literariſchen Futpeckungs⸗
reiſenden. Denn oft waren die Erwerbungen nur durch Beſtechung
und Betrug möglich. So unterhandelte Poggio einſt mit einem here:
felder Mönche, der in Geldnoth war: dieſer ſollte aus feinem Rloſter
einen Ammiauus Marcellinus, einen Livius und einen Band mit cine
roniſchen Reden bis Nürnberg entführen; für das Weitere wollte Bag«
gio ſelhſt ſorgen und den Dieb bezahlen.) Wenn nun Coſimo de
Medici nicht gerade bei der Hand war und die flerentjniſchen Freunde,
ſelber arm, nicht zu helfen wußten, fo hatte Poggio in Venedig zwei
reiche Gönner, Leonardo Giuſtiniani und Francesco Barbaro. Zumal
letzterer ſtachelte ihn zu immer neuem Suchen und Forſchen an: „Du
ſcheinſt dazu geboren, noch Ciecero's Werk vom Staate, Varro's und
Cato's römiſche Alterthümer, die römiſche Geſchichte des Salluſtine
und die verlorenen Deecaden des Livius zu finden.“ ) Aehnlich ſpornts
ihn Lionardo Bruni: „Es wird wahrlich einſt dein Ruhm fein, wenn
deine Mühe und dein Fleiß die ſchon verlorenen und zu Grunde ger
richteten Schriften jener herrlichen Männer unſerm Zeitalter wieden⸗
ſchenkt.“) Wie Camillus der zweite Gründer Roms, jo werde er
der zweite Autor jener Schriften genannt werden. N
Poggio führte ſein Schickſal für einige Zeit nach England hia⸗
über, aber hier waren ſeine Nachforſchungen vergeblich und für ihn
war es beine Entſchädigung, ſtatt eines Claſſikers die Chronik des
Sigbert von Gemblours zu finden und ſich Notizen ans ihr zu ma⸗
chen ). Seitdem verließ er Italien nicht mehr. Noch im hohen Alter
ſah er mit freudigem Stolze auf die Fülle der Autoren, die er „der
lateiniſchen Welt wiedergegeben.“ Auch blieb ſein Intereſſe dafür im⸗
mer rege, obgleich er noch manche Täuſchung erfuhr. Einſt hörte er
von einem portugieſiſchen Freunde Velasquez, daß ſich im Benedictiner⸗
ſtifte zu Alcobaca allerlei claſſiſche Werke befänden, zumal des A. Gellius
——
1) Sein Brief an Niccoli unter denen des Ambros. Tra vers. XXV, 42.
2) Sein Brief an Poggio vom 6. Juli 1417 a. a. O.
) Leon. Bruni epist. IV, 5.
) Poggii ist. 94. im Spieileg. Roman. T. X.
II, Literariſche Gerüchte. 139
attiſche Nichte in einem vollſtändigen Exemplar. Sofort wandte er
ſich an einen Biſchof in Portugal mit der Bitte, er möge eifrig nach⸗
forſchen uud von allen ſogenannten heidniſchen Büchern Verzeichniſſe
anfertigen laſſen. Als beſonders wünſchenswerth bezeichnete er ihm die
verlorenen Werke des Cicero und Livins; zunächft aber ſollte Gellius
recht genau copirt und auch die griechiſchen Stellen in feinem Werke
nicht, wie es fenft geſchah, ausgelaſſen werden. Zum Danke dafür
verſprach er dem Biſchof, die Poſaune feines Ruhmes fein zu wollen.)
Der aber, ſcheint es, hatte wenig Sinn für ſolchen Ruhm. Ein ander⸗
mal wurde Poggio durch einen deutſchen Mönch, Nicolaus von Trier,
Hoffnung gemacht, daß verlorene Theile von Tacitus' Geſchichte dem
Staube und der Bergeſſenheit entriſſen werden könnten. Auch von
einem Geſchichtswerle des Plinius, in welchem die Kriege der Römer
gegen die Deutſchen erzählt würden, und von Cicero's Werk vom
Staate ſprach dieſer Deutſche mit großer Beſtimmtheit. Doch wurden
Poggio's Erwartungen genarrt. Darum wollte er auch an den Taci⸗
tus nicht glauben und verfolgte die Kunde läßlich. Sie war gleichwohl
keine eitle geweſen: unter Leo X wurde das Manuſcript, welches die
fünf Bücher der Hiſtorien enthielt, die man unwiederbringlich verloren
meinte, aus Deutſchland wirklich herbeigebracht und in der Laurentiana
niedergelegt.)
Tuch ſollte Poggio noch die Hoffnung aufleuchten, daß die fehlen⸗
den Doeeaden des Livius ſich fänden, und diesmal im hohen Norden.
An der Eurie Martin's V fand ſich nämlich ein Däne, Namens Ni⸗
claus ein, der in Gegenwart Poggio's, des Cardinals Giordano degli
Orſtui und Andrer hoch und theuer verſicherte, er habe im Ciſtercienſer⸗
Kofler Sorde bei Nöskilde zwei oder drei gewaltige Bände geſehen, in
welchen nach der Aufſchrift auf einem derſelben alle zehn Decaden
des Livius enthalten fein. Er wollte ſogar einige Abſchnitte daraus
zeleßen haben; die Schrift der Codices ſollte die longobarviſche fein,
doch untermiſcht wit gothiſchen Charakteren. Der Däne erſchien als ein
leichtfertiger Geſelle, doch zeigte er ſich fo wohl unterrichtet, daß man
ihm das Verſtändniß für ſolche Dinge wohl zutrauen konnte, und zu
einer bloßen un verſchämten Lüge war kein Grund zu ſehen. Cardinal
) Poggii epist. HM. ibid.
) Poggio's Brief an Niccoli vom 27. Sept. 1427 unter denen des Am bros.
Travers. XXV, 40. 42. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 47.
140 II. Literariſche Gerüchte. Der plantiniſche Fund.
Orſini wollte auf Poggio's Zureden ſofort einen Boten nach Seeland
abgehen laſſen, auch wendete ſich dieſer an Niccoli und durch dieſen
angeſpornt beauftragte Coſimo de' Medici ſeinen lübecker Agenten, ſich
ſogleich an Ort und Stelle zu begeben und Nachforſchung zu halten.
Doch wurden in dem bezeichneten Kloſter keine Bücher der Art gefun⸗
den, obwohl nach einiger Zeit ein zweiter Zeuge, ein Reiſender, die
Ausſage jenes Nicolaus bekräftigte. Dann wurde ein andres nordi⸗
ſches Kloſter genannt und auch hier auf Poggio's Veranſtaltung nach⸗
geſucht, auch hier vergebens.)
Wir verſtehen es wohl, wenn nach einigen ſolchen Erfahrungen
die hohen Gönner, welche das Geld zu den Nachforſchungen hergaben,
ſchwieriger wurden, und doch finden wir es auch natürlich, wenn Pog⸗
gio ſich bitter über die Fürſten und Biſchöfe beklagt, die nur für Geld
und Prunk Sinn haben, die ihre Tage lieber in Kriegen und Lüſten
hinbringen, als bedacht ſind, aus den Gefängniſſen der Barbaren jene
Autoren zu befreien, „durch deren Weisheit und Gelehrſamkeit man
zum wahren Glück und zu einem ſeligen Leben gelangt.“) Ihm war
zu Muthe, als müßte die Welt in freudigem Erftaunen über feine
Entdeckungen ſtille ſtehen, und er ſtieß auf Kälte und kleinliche Rück⸗
ſichten, nicht ganz unähnlich dem Entdecker der neuen Welt. |
Durch jenen Nicolaus von Trier, der ſich als Geldeintreiber der
Curie in Deutſchland aufhielt, erhielten Poggio und ſein Freund Nic⸗
coli die Botſchaft, daß in einem deutſchen Codex außer den acht ſchon
bekannten Comödien des Plautus noch zwölf andre ſich fänden. Die⸗
ſer Nicolaus nun kam gegen Ende des Jahres 1429 nach Rom, brachte
den koſtbaren Coder mit und übergab ihn dem Cardinal Giordano
Orſini. Da ſehen wir, wie ſolch ein Fund in den literariſchen Krei⸗
ſen ſofort eine kleine Revolution verurſachte, wie ſich alles drängte,
um eine Abſchrift zu erhalten. Der Camaldulenſer Traverſari trug zuerft
ſeine Bitte vor, er erhielt nicht einmal Antwort.) Dann bewarben
ſich bei dem Cardinal der Herzog Filippo Maria von Mailand, Mark⸗
graf Lionello von Eſte und Lorenzo de Medici. Jenen trieb wahr⸗
) Poggii Dialogus de varietate fortunae cum epistolis LVII. ed. Domi -
nicus Georgius. Paris., 1723. epist. 23. 30. Poggii epist. 51. im Spicil,
Roman. T. X. Mehus |. c. p. 46. 47.
) Poggii Dial. de infelic. principum 1. e. Vergl. ſeinen Brief an Niccoli
unter denen Traverſari's XXV, 44.
) Am br. Traversarii epist. VIII, 35. 36.
II. Außfedung ciceroniſcher Schriften. 141
ſcheinlich Gasparino da Barzizza, den Markgrafen Guarino, ') den
Medici aber Niccoli, Poggio und Traverſari. Doch der Cardinal
Orfini machte Schwierigkeit, den ſeltenen Schatz aus der Hand zu
geben. Erſt als Lorenzo de' Medici ſelber nach Rom kam, um dem
nenen Papſte Eugen IV im Namen der Republik die Obedienz zu lei⸗
ſten, gelang es ſeiner Liſt, dem Cardinal den Codex abzulocken und
nach Florenz zu entführen, wo Traverſari und Niccoli ſogleich mit
eigener Hand Abſchrift davon nahmen. Letzterem wurde es offenbar
recht ſauer, das herrliche Volumen, nachdem er es hinreichend benutzt,
zur Rückſendung nach Rom wieder herauszugeben.)
Wir haben oben diejenigen Schriften Cicero's bezeichnet, die wäh⸗
rend des Mittelalters niemals ganz in Vergeſſenheit gerathen waren.
Petrarca hatte dazu die Briefe gefunden und einen Theil der Reden,
deren Sammlung durch Poggio weſentlich vervollſtändigt wurde. Welche
Veränderung die Literatur gerade durch dieſe Briefe und Reden erlit⸗
ten, bezeugen nicht nur die unzähligen Nachahmungen derſelben, ſondern
der Ciceronianismus überhaupt, der noch nach Jahrhunderten ein Lo⸗
ſungs wort der Humaniſten war und immer ſich in der epiſtolographiſchen
und rhetoriſchen Gattung am meiſten gefiel. Jeder glückliche Zufall,
der noch unbekannte Werke Cicero's ans Licht brachte, wurde als ein
neues. Evangelium begrüßt. Lionardo Bruni hatte die Freude, daß bei
feiner Anweſenheit zu Piſtoja (etwa 1409) ein alter Codex der cicero-
niſchen Briefe gefunden wurde. Enthielt er gleich nicht einmal alle die
Briefe, die man bereits kannte, ſo war er doch zur Vergleichung und
Verbeſſerung des Textes willkommen.) Dann geſchah es, daß zu Lodi,
während man in einer lange verſchloſſenen Lade, die im alten Dome
ſtand, nach gewiſſen Privilegien ſuchte, durch Gerardo Landriani, den
Biſchof der Stadt, ein ſehr alter, aus vielen Stücken beſtehender Co⸗
dex ciceroniſcher Schriften gefunden wurde. Er enthielt außer den
beiden als Rhetorik bezeichneten Werken, die man bereits kannte (näm⸗
lich den Libri quatuor Rhetoricorum ad C. Herennium, die damals
) Deſſen Briefe an Card. Orſini und an Lionello von Eſte bei Pez I. e.
T. V. P. III. epist. 14. 8.
) Ambr. Travers. epist. VIII, 2. 37. 41. Poggio's Brief an Niccoli ibid.
XXV, 44. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 39— 43. 388. Vergl. Ritſchl über
die Kritik des Plautus im Rhein. Muſeum für Philologie herausg. von Welcker
und Näke Jahrg. IV. Bonn, 1835.
) Leon. Bruni epist. III, 13. recens. Mehus.
*
142 IL, Der ciecbeuiſche Fund zu bi,
noch allgemein Cicero zugeſchrieben wurden, und den Khestrica u, de
inventione rhetorica Libri duo), die drei vollſtäudigen Bücher „vont
Redner“, den „Brutus oder über die berühmten Reduer“ und den an
Brutus gerichteten „Redner“. Nur von der Schrift „vom Redaer“
beſaß man verſtümmelte Fragmente, an denen wiederum, wie vorher
an Quintilians Juſtitutionen, Gasparino feine Ergänzungskunſt geübt.
Nun aber war der lodeſiſche Codex mit ſeiner alterthümlichen Hand⸗
ſchrift ein Buch mit ſieben Siegeln, vor dem die lombardiſchen Ge⸗
lehrten nur mit unthätiger Bewunderung zu ſtehen wußten, bis ſich
endlich ein geſchickter Diplomatiker fand, Coſimo aus Cremona, ber
die Bücher „vom Rednere entzifferte und daun in mehreren Gopien
einen wahren Triumphzug durch Italien halten ließ. Gasparino hatte
die Genngthuung, die erſte Abſchrift zu erhalten.) Der junge
Flavio Biondo aus Forli, der in Geſchäften feiner Vaterſtadt nach
Mailand kam, ſchrieb den Brutus ab „mit wunderbarer Gluth und
Schnelligkeit,, wie er ſelbſt ſagt; er ſchickte ihn zuerſt dem Guarine
von Verona, dann nach Venedig an Leonardo Giuſtiniani, und bald
waren die Exemplare auch dieſes Werkes durch ganz Italien ver⸗
breitet.)
Es iſt kaum Uebertreibung zu nennen, wenn virfer Biondo mit
der Verbreitung der bezeichneten Schriften Cicrro's, „dieſen Nahrungs⸗
quellen der Wohlredenheit“, eine neue literariſche Hera beginnen läßt,
Die großen Entdeckungen auf dem Gebiete der römiſchen Literatur
waren damit, für dieſes Jahrhundert wenigſtens, in würdiger Weiſe
abgeſchloſſen. Was man noch fand, erſcheint nur als ärmliche Nach⸗
) Sein Brief an den Biſchof von Lodi, leider ohne Datum, in ſ. Opp. ed.
Furietto p. 215.
2) Blondus ſelbſt giebt uns Nachricht von besen denkwürdigen gude in ſei⸗
ner Italia illustr. p. 346. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 46. Vespaſiau⸗
läßt im Leben Poggio's, wohl nach deſſen ruhmrediger Ausſage oder weil Poggio's
Name allen literariſchen Entdeckungen gleichſam inhärent geworden, auch die Schrift
de oratore, die Briefe Cicero's an Atticus, die zwölf erwähnten Comödien des Plautus
und Anderes, Alles insgeſammt von Poggio gefunden werden. Dieſer erhielt Nach⸗
richt von dem lodeſiſchen Funde, während er in London war, durch Niccoli (vgl. feinen
Brief an Niccoli unter denen des Ambr. Travers. XXV, 39). Aus dieſer Notiz
und aus dem Umſtande, daß Landriani von 1418 bis 1427 den Episcopat von Lodi
verwaltete, läßt ſich die Zeit des Fundes ungefähr erſehen. Ves pas ian o: Nioc.
Niccoli $ 2.
II. Griechiſche Bucher. Alterthümer. Ciriaco. 143
leſe. Es konnte die Aneignung, Verbreitung und Verarbeitung des ge⸗
ſammelten Stoffes nun beginnen.
Außerdem kehrten fene Italiener zurück, die nach Byzanz gegangen
waren, um dort die griechiſche Weisheit aus der Quelle zu ſchöpfen
und griechiſche Bücher zu erwerben. Sie brachten reiche Schätze mit.
Zwar verlor Guarino einen Theil ſeiner griechiſchen Codices auf der
See; man hat ſpäter erzählt, ſein Haar ſei aus Kummer darüber grau
geworden.) Aurispa aber brachte, als er 1423 in Venedig landete,
eine Sammlung von 238 Codices mit, die nur alte heidniſche Autoren
enthielten; denn um deren Entführung kümmerten ſich die Griechen
wenig, während ſie über die der „heiligen Bücher“ bei ihrem Kaiſer
Klage führten.) Unter jenen waren zum Beiſpiel alle Werke Platon's
und Xenophon's, Arrhianos, Dio Caſſius, Diodoros, Strabon, Lukia⸗
nos. Auch Francesco Filelfo brachte mehrere Kiſten voll Bücher nach
Venedig mit, als er im Jahre 1427 heimkehrte. Freilich war eine
Kenntniß der griechiſchen Sprache, wie ſie zum Leſen jener Claſſiker
erforderlich, immer noch das Eigenthum weniger Glücklicher. Aber
Ueberſetzungen führten nun bald den neuen Stoff auch der lateiniſchen
Welt zu, und immer deutlicher und ſtrahlender trat das Alterthum
aus ſeinem Dunkel hervor.
Wie vie Bücher, fo gewannen nun auch die Sluinen „Statuen,
Inſeriptionen, Medaillen und Münzen der alten Zeit wieder eine Be⸗
dentung. Unbewegliche Alterthümer ſtanden fortan als ſacroſanct unter
dem Schutze des Nationalgefühls, die beweglichen wurden allmählig in
Cabinets und Gallerien vereinigt. Auch hier eilte der Eifer des Er⸗
haltens und Sammelns dem Verſtändniß voraus, und wie Poggio in
den ſtaubigen Bibliotheken der ſtöbernde Geiſt war, ſo hatten auch die
Alterthümer ihren wunderlichen Entdeckungsreiſenden in dem Anconita⸗
ner Ciriaco de' Pizzicolli. Unſtäte Wiſſensneugier, raſtloſes Su⸗
chen und Spüren, Triumph des Findens, Eitelkeit, Leichtfertigkeit und
Ruhmrednerei, die nicht ſchnell genug den Lorbeer für die Mühen und
Berdienſte einerndten kann, kurz Alles, was das literariſche Leben die⸗
fer Periode mit dem Schimmer und den Fehlern ver Ingenblichkeit
umkleidet, erſcheint in dieſem Wandergelehrten wie verkörpert. Denken
) Maffei Verona illustr. P. II. p. 134 nach Pontico Virun io. |
) Aurispa’s Brief unter denen des Ambros. Travers. XXIV, 53. cf. ibid.
VIII, 28. 39.
*
144 | Il. Cixiaco.
wir uns den Humaniſten jener Zeit bei der ſtillen Lampe, leſend und
ſchreibend, mit wachſender Luſt von Blatt zu Blatt, von Buch zu Buch,
von einer köſtlichen Erwerbung zur andern vorwärts eilend, wie ſeine
Phantaſie ſich in den helleniſchen Orient und drüber hinaus nach allen
Schauplätzen des antiken Lebens hinträumt: fo trieb es unſern reife-
fertigen Anconitaner wirklich von einer geſchichtlich geheiligten Stätte
zur andern fort. Wo ſich Spuren des Alterthums fanden oder nur
vermuthen ließen, da war ihm heiliges Land. Wäre nur ſein Geiſt
gründlicher ausgerüſtet geweſen! aber er war Autodidakt in der latei⸗
niſchen Sprache wie in der griechiſchen, feine Kenntniſſe reich genug,
aber bunt und verwirrt wie ſein Leben. Anfangs, ſo ſcheint es, durch⸗
zog er die Welt als Kaufmann und Geſchäftsagent und zugleich als
Abenteurer, dann als gelehrter Sammler und wieder zugleich als Aben⸗
teurer. Ein Reiſender von Profeſſion und in mannigfachen Verbin⸗
dungen mit venetianiſchen und genueſiſchen Handelsleuten, wußte er
ſich überall die Wege zu öffnen. Drei⸗ bis viermal war er in Grie⸗
chenland, trieb ſich bald in Byzanz, bald in Morea, auf Rhodos, Kreta,
Cypern und den Inſeln des Archipelagus umher. Bis nach Beirut und
Damascus drang er vor und zweimal war er im ägyptiſchen Alexan⸗
drien. Seine Gedanken aber richteten ſich nach dem hundertthorigen
Theben, nach Perſien und Indien; dann entwarf er wieder einen Reiſe⸗
plan, nach Aethiopien, zum Orakel des Amun und zum Atlas⸗
gebirge vorzudringen. Die Erdkunde alter und neuerer Zeiten tau⸗
melte ihm abenteuerlich im Kopfe herum. Auch wenn er nach Italien
heimgekehrt war, ſehen wir ihn kreuz und quer ziehen: bald iſt er in
Florenz, Ferrara, Mailand und flugs wieder in Neapel oder Pa⸗
lermo.) 5
Nicht minder wirr iſt ſeine Thätigkeit. In Cypern erwarb er
die Gedichte Homers und die Trauerſpiele des Euripides. In Ita⸗
lien ſuchte er die Höfe und Gelehrten auf und ſchriftſtellerte. In allen
Städten, Klöſtern und Flecken ſuchte er nach alten Bauwerken, Trüm⸗
mern, Statuen und Reliefs. In Rom wies er Kaiſer Sigmund, wie
ſchmählich man mit den Bauten des Alterthums umgegangen ſei. Seine
) Ein ſiciliſcher Dichter fang ihn an:
Tanta libido animo veterum monumenta videndi
Fixa tuo, ut mundus area parva fuit.
II. Ciriaco. 145
vornehmſte Leidenſchaft war indeß, Medaillen und Münzen zu ſammeln
und Inſcriptionen zu verzeichnen, ſolche Dinge, die er die Siegel der
Geſchichte zu nennen pflegte. Aber er führte auch unzählige andre
Antiquitäten und Curioſitäten mit ſich umher.
Was nun die Reſultate ſeiner Forſchungen betrifft, die er in
Werken niedergelegt hat, ſo wüßte ich kein competentes Urtheil anzu⸗
führen. Einige ſeiner Inſchriften, deren Vaterland Italien iſt, ſind
ſpäter auch von Andern gefunden und beglaubigt worden, andre hat
er ohne Verſtändniß und leichtfertig copirt, ein großer Theil iſt von
neueren Forſchern auf den erſten Blick als untergeſchoben und erlogen
erkannt worden. Schon unter ſeinen Zeitgenoſſen ſchwankte die Mei⸗
nung über ihn höchſt bedenklich. Filelfo, Barbaro und Bruni, auch
Poggio, bevor er durch eine Schrift Ciriaco's gereizt, eine heftige In⸗
vective gegen ihn ſchleuderte, haben ſeiner als eines gelehrten und eifri⸗
gen Mannes mit Lob gedacht.) Dagegen ſchilderte ihn Poggio in
ſpäterer Zeit und noch lange nach ſeinem Tode immer als einen ſchwatz⸗
haften Prahlhans, ) und Traverſari, dem er Münzen von Philippos
und Alexander von Makedonien, ein Bild des jüngeren Scipio, in
Onyx geſchnitten, und dergleichen Raritäten auskramte, ſcheint dieſelben
nicht ohne mißtrauiſche Ironie betrachtet zu haben.) Dem Herzog
Filippo Maria von Mailand ſchwindelte Ciriaco ſo großartige Dinge
vor, daß dieſer ihn als Lügner davonjagte.) Indeß wußte er ſich
bei Papft Eugen IV wie bei Coſimo de Medici für einige Zeit in
Anſehen zu ſetzen. So ſcheint es denn, daß unſer Antiquarius zwar
anfänglich aller Orten mit großem Intereſſe empfangen wurde, daß
man ſeinen wunderſamen Erzählungen mit Neugier zuhorchte, daß aber
ſein confuſes, leichtfertiges Weſen bald an den Tag trat und ſeine
Schwatzhaftigkeit den Aufſchneider erkennen ließ. Wie dem auch ſei
) Leon. Bruni epist. VI, 9. IX, 5. rec. Mehus. Vergl. Poggio's frei⸗
lich matten Empfehlungsbrief in jeinen Opera p. 328, dagegen die an Bruni gerich⸗
tete Invective, die freilich auch nur mit großem Mißtrauen geleſen werden darf,
ibid. p. 330.
) In der Invective, in den Facetien (Opp. p. 442) und ſonſt.
) Ambr. Travers. epist. VIII, 45. 47. Beide Briefe enthalten indeß einen
dunkeln Bezug, der andern Leſern erlanbt hat, Traverſari ſogar zu den Lobrednern
des Anconitaners zu rechnen.
) Petr. Cand. December Vita Phil. Mariae bei Muratori Seriptt. T.
XX. cap. 63.
Voigt, Humanismus. 10
146 H. Eiriudo.
und wie wenig Glauben Feine Inſchriften ſammlung auch verdienen mag,
fo burfte dieſes treueſte Spiegelbild ans den Wanderjahren bes Hu-
manismus um feines anregenden Einfluſſes willen nicht unerwähnt
bleiben.)
) Mehus Vita Ambr. Travers. p. 23 — 28. Da mir die meiſten Schriften
Ciriaco's nicht zugänglich waren, muß ich mich im Uebrigen auf Tiraboschi T.
VI. p. 263—297 berufen, ohne in die Entſchuldigenngen und Rechtfertigungen, mit
deuen dieſer gelehrte Forſcher ſerne italieniſchen Landsleute fo gern in Schutz nimmt,
einſtimmen zu dürfen. N
147
Drittes Buch.
Das erſte mediceiſche Zeitalter. Der Humanismus in den
Republiken Italiens.
Wir haben auf die großen Geiſter, die Finder der Bahnen hin⸗
gewieſen, wir haben geſehen, wie die wandernden Magiſter das neue
Licht des Claſſicismus durch die Städte und Höfe Italiens ausbreite⸗
ten und wie durch ihre begeiſterten Jünger die Zeugen des Alterthums
aus allen Winkeln hervor und aus der Ferne herbeigeſchafft wurden.
Nun aber treten wir in die Zeit, wo ſich die Talente mehr in Maſſe
auf das neue Studium werfen, wo froh⸗ beweglich eines dem andern
in die Hand arbeitet, wo eine große vielgliedrige Gelehrtenrepublik ſich
aufthut, wo bald durch gebildete Freundſchaften, bald in erbittertem
Kampfe, bald durch aufopfernde Hingebung an das Studium, bald
durch gehäſſige Reibungen elender Charaktere und gemeiner Laſter doch
von Allen ein Ziel erſtrebt und auf verſchiedenen Wegen zuletzt eine
Culturepoche erreicht wind. |
Es ift für die Wiſſenſchaften oder Künſte, wo fie fich eben .erft
erheben, gewiß ſehr von Vortheil, wenn fie bie feften Sitze noch fliehen
und ſo mit einer verfrühten Stabilifirung auch mancher Einſeitigkeit
entgehen. Iſt es doch mit der Ausbildung der Individuen nicht an⸗
ders. Doch ebenſo förderlich und nothwendig wird dann auch die Fi⸗
zirung der Kräfte und Beſtrebungen, das verbundene, planmäßige und ö
gleichſam ſich forterbende Zuſammenwirken, die Concentration. So
ſehen wir denn die Wanderſchulen allmählig in das geregelte Univer⸗
ſitätsleben übergehen und den Humanismus Domicil ſuchen. Seine
Jünger gruppiren ſich in mannigfacher Weiſe, bald als privater Ge⸗
10 *
148 III. Die florentiniſche Nobilität.
lehrtenſtand, bald um die republicaniſchen Ariſtokratien, bald an den
Höfen der Dynaſten. Damit iſt auch für unſre Darſtellung Maßſtab
und Ordnung gegeben.
Es bedarf kaum der Erinnerung, daß hier nur die Centralſtellen
des literariſchen Lebens und auch an ihnen nur die Größen erſten oder
doch zweiten Ranges — nach damaliger Schätzung — ins Auge gefaßt
werden ſollen. Wie neben ihnen eine Schaar von Winkelgelehrten und
Kleindichtern auftauchte, überlaſſen wir der Phantaſie des Leſers, der
ſich derſelben Erſcheinung in ziemlich allen Literaturen erinnern wird.
Am frühſten und am ſchönſten ordnete ſich die Muſenrepublik
von Florenz, dieſer Mutter der feinen Sitte, die für das litera⸗
riſche und künſtleriſche Leben nicht minder die Sonne geweſen iſt,
als Venedig für das kaufmänniſche, als Rom für das kirchliche. Und
je mehr die kirchliche Sonne ſich verdunkelte, deſto ſtrahlender ſchien
durch die Nacht der Vergeſſenheit die Sonne des Heidenthums wieder
hervor; ihr ſchönſter Strahl beglückte die tusciſche Capitale. Sie ſchien
berufen, für Italien fortan das zu ſein, was Italien für die mittelalter⸗
liche Welt geweſen war. In der Politik war die Rolle, welche der
Kirchenſtaat bisher geſpielt, ſeit ſeiner Zerrüttung allmählig auf Flo⸗
renz übergegangen, es war zu einer italiſchen Großmacht herangewach⸗
ſen, die zwiſchen den Dynaſten Ober⸗ und Unteritaliens das Gleichge⸗
wicht erhielt. Nach manchen inneren Stürmen und längerem Schwanken
fand ſich eine Ausgleichung zwiſchen dem ariſtokratiſchen und dem ple⸗
bejiſchen Element. Der Parteikampf hatte blutige Auftritte herbeige⸗
führt, aber er hatte auch die Talente aus der Verborgenheit geweckt
und ein munteres Leben in den Staatskörper gebracht. Die Herrſchaft
der Beſten und Tüchtigſten ſtellte ſich hier als ein natürliches Bedürf⸗
niß heraus. Die wohlhabenden Bürger waren ſtolz auf das Anſehen,
welches Reichthum, gepaart mit Geiſtesbildung und ſchmückender Ele⸗
ganz, ihrem Freiſtaate erworben. Aus dieſen Eigenſchaften bildeten
ſie ſich den Begriff der Nobilität, und wie überhaupt in Republiken
die großen Namen ihrer Vorzeit nicht leicht vergeſſen werden, ſo er⸗
hielten Männer wie Dante und Giotto, wie Petrarca, Boccaccio und
Salutato gleichſam das Bürgerrecht der Republik, einen Platz unter
den Edlen derſelben. Mit bündigem Stolze, wenn auch mit mehr oder
minder Recht, nannte man ſie kurzweg Florentiner.
Eine Nobilität wie die florentiniſche fand ſich in der That ſonſt
nirgend in Italien. Zu N ſonderte ſich der Adel wie eine ver⸗
III. Die florentiniſche Nobilität. 149
ſchworene Faction vom Volke ab, welches vom „Staat“, vieſer unſicht⸗
bar⸗ unheimlichen moraliſchen Perſon, in den Banden der Ehrerbietung
und Furcht gehalten wurde. In Genua gab es neben dem Kaufmanns⸗
adel auch einen Landadel, der räuberiſch auf ſeinen Schlöſſern hauſte.
Die Neapolitaner ſetzten den Werth des Adels darin, daß man von
ſeinen Beſitzungen leben, vornehm⸗fſtille ſitzen und höchſtens einmal ſpa⸗
zieren reiten dürfe. Mit dem Landbau mochte ſich hier der Edelmann
nicht abgeben, jeder Geſchäftsbetrieb war ihm verächtlich. Der Toch⸗
ter eines Adligen, der den Weinertrag ſeiner Güter zu verkaufen
pflegte, half keine Mitgift zum Manne; denn ihr Vater galt als
Krämer. Im Kirchenſtaate gab es einen Landadel, der Ackerbau und
Viehzucht trieb, aber auch in verwirrten Zeiten zur Raubritterei und
zu Parteiſcharmützeln in den Straßen Roms ſehr geneigt war. Der
Handel war auch hier verachtet.) Florenz dagegen hatte einen Ge⸗
burtsadel, der ohne Scheu dem Handel und jedem gewinnverheißenden
Geſchäfte lebte. Dadurch ſtellte er ſich ſelbſt mit dem reichen Bürger
auf eine Stufe, trat mit ihm in täglichen Verkehr und nicht ſelten in
Familienbündniß. Die Maſſe des Volkes wurde — der altrömiſchen
Sitte nicht unähnlich — durch weltliche und kirchliche Schauſpiele un⸗
terhalten, wobei Tänze, Geſänge, Feuerwerke und Schlachtvorſtellungen
mit frommen Ceremonien abwechſelten. Seltener fanden dieſe Feſte
auf öffentliche Koſten ſtatt; gewöhnlich gaben ſie reiche Männer vom
Adel und wetteiferten dabei, wie im alten Rom, durch Aufwand und
Pracht. So ſuchte der florentiniſche Adel ſeine Würde durch Eifer
und Verdienſt um das Gemeinweſen, durch höfiſche Sitte und vor
Allem durch eine umfaſſendere und feinere Weltbildung zu wahren.
Sein Ideal war wirklich der Kalokagathie der Hellenen und der Was
tugend der Römer nicht unähnlich.
So ging denn auch der Adel von Florenz voran, als der antike
Humanismus die feine Modebildung wurde. Coſimo de' Mediei,
den die Literatur⸗ und Kunſtgeſchichte mit einer Art von Heiligenſchein
umkleidet hat, war nur ſein lebhafteſter Typus. Schon die Schätze,
die ihm ſein Vater Giovanni hinterlaſſen, machten ihn zum reichſten
Privatmann in Italien. Er ſelbſt vermehrte ſie noch unglaublich.
Seine Handelsverbindungen reichten durch ganz Europa und bis nach
Aegypten hin. Desgleichen war auch ſein Blick auf das Weite und
) Nach Pogg ius de nobilitate (Opp. p. 67).
150 II. Ceſimo de Mediei.
Allgemeine gerichtet. In jüngeren Jahren hatte er dem coftniger Concil
beigewohnt und einen großen Theil von Deutſchland und Frankreich
bereiſt. Italien insbeſondre lag wie durchſichtig vor ſeinem Geiſte: er
kannte die Geheimniſſe der Höfe und die Stimmungen der Völker.
Auf hundert unſichtbaren Wegen floſſen ihm die politiſchen und com⸗
merciellen Nachrichten zu. Er ſelbſt aber erſchien verſchloſſen, völlig
unzugänglich für den neugierigen Späher, den Staatsmännern und
Geſandten ein Geheimniß, an deſſen Ergründung ſie verzweifeln moch⸗
ten. Was wohl am meiſten dazu beitrug, war die glatte Höflichkeit
ſeiner Worte, wie der florentiniſchen Diplomatie überhaupt. Ganz
anders ſahen ihn ſeine Mitbürger: gegen ſie war ſein Betragen ge⸗
meſſen und ſtätig, ſein Geſpräch ruhig, ein wenig einſylbig, Späßen
und Frivolitäten abgeneigt, immer aber leutſelig und hülfreich, wie
ſeine Hand dem Bedürftigen. Für ſeine Perſon ſchien er ohne Ehr⸗
geiz oder Selbſtſucht, in würdevoller Einfachheit zu leben. Ging er
durch die Stadt, ſo folgte ihm nur ein Diener; auf der Straße und
im Rathe ließ er älteren Bürgern beſcheiden den Vortritt. Seine raſt⸗
loſe Arbeitſamkeit, der er oft den nächtlichen Schlaf zum Opfer brachte,
ſchien nur dem Staate, aller Pomp und alle Pracht, die aus ſeinem
Reichthum hervorgingen, nur dem Nutzen und der Zierde der Republik
gewidmet zu ſein. Wir ahnen es wohl, wie ſolche republicaniſche Frei⸗
gebigkeit, welche die mediceiſche Bank als die Staatscaſſe erſcheinen
ließ, aus kluger Berechnung entſprang; man hielt ſie aber für Gewohn⸗
heit und erblichen Charakterzug. Der Mann, welchem die öffentlichen
Einkünfte verpfändet waren, welchem unzählige einzelne Bürger ſchul⸗
deten, kannte keine Erholung und Muße, als wenn er las, wenn er
die Weinſtöcke in ſeinen Gärten zu Carreggi und Caffaggiolo beſchnitt
und pflegte, wenn er bisweilen eine Partie Schach ſpielte. Es war
natürlich, daß er der Erſte im Staate ſein mußte; fühlen ließ er es
niemand. Auch hatte er, ſeit er 1434 aus dem Exil zurückkehrte, „den
Neid überwunden“ und herrſchte nun bis an ſeinen Tod, über dreißig
Jahre lang, ohne weitere Anfechtung, ungleich ſicherer und mächtiger
als einſt Perikles über Athen.)
) Da die florentiniſchen Literaten ſämmtlich ſeine Panegyriker find, glaubten
wir die Vorſtellung Coſimo's, die fie und zumal Macchiavelli in die Geſchichte ge⸗
pflanzt haben, in Manchem ändern zu müſſen. Eine treuherzige Charakteriſtik giebt
Ves pas ian o: Cosimo de' Medici und in andern Biographien, ein geiſtvolles Ur⸗
In. Gofmeo de Medici als Mär. 181
Alle Medieser erſcheinen als die Mäcene der Wiſſenſchaft und
Kunſt, aber keiner, ſelbſt Lorenzo der Erlauchte nicht, war es in ſo
hohem und edlem Sinne wie Coſimo. Kein Gelehrter, doch vielſeitig
angeregt und beleſen, von ſchneller Auffaſſung, von feinem Gefühl für
das Schöne, war er dennoch geneigt, jedes wiſſenſchaftliche Verdienſt,
ſelbſt das trockener Geiſter, nach Gebühr anzuerkennen. Der fleißige
Kritiker, der ſeltene Handſchriften copirte und verglich, der Dichter,
deſſen Feder die Hexameter mit genialer Leichtigkeit entrollten, der Lehrer
der Sprachelemente, der Ueberſetzer aus dem Griechiſchen, der tiefge⸗
lehrte Theolog und Philoſoph, der Künſtler, welcher Kirchen, Paläſte,
Billen und Brücken entwarf oder mit Statuen und Gemälden ausziorte,
ſie alle gehörten vor Coſimo's Auge als Glieder zu einer Kette.
Ibre Leiſtungen ſchmückten die Stadt, verherrlichten den Staat. Die
Talente wurden herangezogen, ihnen Stellung und Sold angewieſen,
ſie wurden beſchäftigt und belohnt, aber ſie wußten es ſelbſt kaum, ob
fie es Coſimo, dem „Vater des Vaterlandes“, oder Coſimo dem Pri⸗
vatmanne verdankten, Er ließ einen Jeden in feiner Weiſe gewähren
und ſchaffen, legte keinem eine Pflicht auf als die des Amtes oder des
inneren Triebetz, verlangte keinen Weihrauch für ſeine Perſon, nahm
aber den dargebrachten gütig an.) So ſtand er, ein Gegenſtand der
Verehrung, hoch über den Zänkereien und dem Gellätſche da, die in
der Welt der Literaten ſo wenig ausbleiben wie unter andern Concur⸗
renten. Filelfo allein, der ſich in feiner Anmaßung und Unverſchämt⸗
heit wie ein Wahnſinniger geberdete, hat auch Coſimo mit ſeinem lite⸗
rariſchen Schmutze zu bewerfen nicht geſcheut.
Dem Bruder nicht unähnlich war Lorenzo de' Mediei, auch
er ein Mann von vielſeitiger Bildung, ein Freund alter Gemälde,
Münzen, Vaſen, auch er gefeiert von den Literaten wegen feiner Frej⸗
gebigleit. Aber er ſtarb ſchon am 23. September 1440, mehr verherr⸗
licht durch eine glänzende Leichenrede Poggio's ) als durch die Ehre,
die der anweſende Papſt Eugen feiner Leiche erwies, — Die Kinder
theil Aeneas Sylvius de vir. clar. XV (im Appendix 8. Tom. III. der Ora-
tiones Pii II. ed. Mansi und in der Bihlietbek des literar. Vereins in Stuttgart
I) und Pii II. Comment. p. 49. 50.
) Ueber die Calleotiones Cosmisnae in der Laurentiana vergl. Ros os the life
of Lorenzo de’ Medici vol. I. Heidelb., 1825. p. 53.
) In ſeinen Opp. p. 278 und Poggii epist. 49. 6. im Spicileg. Roman.
T. X. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 51.
152 III. Florentiniſche Adlige als Literatoren.
der Medici wurden wieder von den Gelehrten herangebildet, die von
den Vätern begünſtigt worden, und jo lebte in dieſem Haufe der mä-
cenatiſche Geiſt als ein erblicher fort.
Doch waren es, wie oben angedeutet, nicht die Medici allein, die
Florenz zu einem neuen Athen gemacht. In den vorragenden Gliedern
des Adels lebte derſelbe Geiſt, nur daß er nicht in demſelben Maße
durch Reichthum und Glück begünſtigt war. Der literariſche Erzvater
unter den Nobili war Roberto de' Roſſi, ein reicher Hageſtolz, der
in ſeinen Palaſt eingeſchloſſen, den Ariſtoteles überſetzte, alte Autoren
zum Vergnügen copirte und nebenbei jüngere Adlige unterrichtete.
Wenn er einmal ausging, begleiteten ihn ſeine edlen Schüler aus den
Familien Buoninſegni, Tebaldi, Albizzi, Aleſſandri; auch Coſimo de
Medici hatte dazu gehört.) Rinaldo degli Albizzi, der als Geg⸗
ner Coſimo's an der Spitze der Nobili ſtand, bediente ſich der litera⸗
riſchen Macht vielleicht mehr als eines Mittels, um die öffentliche
Meinung gegen den Medici aufzuregen.) Aber Palla de' Strozzi,
der, obwohl gemäßigter, doch zu derſelben Partei gehörte, hätte Coſimo
leicht auch in dem mäcenatiſchen Ruhme erreicht, nur daß er ſeit dem
Emporkommen der Volkspartei ſeine Tage in der Verbannung hinleben
mußte. Der in ſeinem Hauſe die Kinder unterrichtete, Tommaſo Pa⸗
rentucelli, iſt der nachmalige von den Literaten hochgefeierte Papſt Ni⸗
colaus V. Wir erwähnten oben, daß Roberto de' Roſſi und Palla
de Strozzi zu den eifrigſten Schülern des Giovanni da Ravenna und
des Chryſoloras gehörten. Um letzteren nach Florenz zu ziehen, hatte
Palla, bevor ſich die Staatscaſſe dazu verſtand, durch ſeine privaten
Bekanntſchaften die nöthige Geldſumme zuſammengebracht und ſelber
das Meiſte dazu gethan.) Gleichwie Coſimo während ſeines Exils
zu Venedig Bücher zuſammenkaufte, nahm der verbannte Strozzi den
Griechen Joannes Argyropulos in ſein Haus zu Padua auf, ließ ſich
von ihm den Ariſtoteles auslegen und hat dann ſelbſt Werke Plutarchs,
Platons und Chryſoſtomos' aus dem Griechiſchen überſetzt. Hier zu
) Vespasiano: Cosimo de' Medici. 8 1.
) Die Ambroſiana bewahrt ein Exemplar von Filelfo's giftiger Satire gegen
Coſimo de Medici und deſſen Anhänger. Albizzi hat es im November 1437 als
Verbannter zu Ancona mit eigener Hand geſchrieben. Carlo de’ Rosmini Vita
di Franc. Filelfo. Milano, 1808. T. I. p. 97.
) Vespasiano: Nic. Nicoli $ 7 und Vita della Alessandra de' Bardi im
Spicileg. Roman. T. IX. p. 601.
*
II. Florentiniſche Adlige als Lteratoren. 153
Padua iſt er, unabläſſig mit philoſophiſchen Studien beſchäftigt, 1462
in einem Alter von neunzig Jahren geſtorben.) Auch die Familie
der Acciajoli verband berühmten Adel mit wiſſenſchaftlichen Beſtre⸗
bungen. Der prachtliebende Piero de Pazzi konnte die ganze Aeneide
und viele livianiſche Reden auswendig, verſtand ein wenig Griechiſch,
hielt beſtändig Abſchreiber in ſeinem Palaſt und gab viel Geld für
Bücher aus.) Matteo Palmieri adelte gleichſam ſein Geſchlecht
durch ſeine Gelehrſamkeit. Zweimal war er unter den Priori und
1453 Gonfaloniere di giuſtizia, außerdem mehrmals Geſandter der
Republik an Könige und Päpſte. Er ſchrieb eine Weltchronik, piſaniſche
Annalen und ein theologiſches Gedicht Città di vita, eine Nachahmung
der göttlichen Comödie, die indeß nicht frei von ketzeriſchen Lehren war
und niemals publicirt wurde. Mit ihm zuſammen lernte Leonardo
de' Dati, ſpäter Notar der Republik, die griechiſche Sprache unter
Traverſari's und Marſuppini's Leitung. Er ſchrieb einen Commentar
zur Città di vita, wie Boccaccio zu Dante's Gedicht.) Lapo da
Caſtiglionchio hat einige Lebensbeſchreibungen Plutarchs überſetzt. Wir
könnten noch manchen mehr oder minder berühmten Namen aus dem
florentiniſchen Adel jener Zeit anführen, doch nur des genialen Alberti
ſoll ſpäter noch gedacht werden.
Führen wir uns ein in den Literatenkreis, der ſich um Coſimo
de Medici, den Mittelpunct des ſchöngeiſtigen Treibens, gruppirte.
Sofort tritt uns ſeine originellſte Geſtalt entgegen, ein Mann von,
kaum mittlerer Statur, zur Corpulenz neigend, immer mit geſuchter
Feinheit und Sauberkeit gekleidet, in ſeinen Zügen eine beſtändige Hei⸗
terkeit, ſo daß er bei jedem Worte zu lachen ſchien und wenn er ins
Scherzen kam, die ganze Geſellſchaft zu unwiderſtehlichem Gelächter
hinriß, bisweilen aber auch der Ausdruck ſarkaſtiſcher Schärfe. Das
iſt der literariſche Miniſter Coſimo's und ihm als Mäcenas nicht un⸗
ähnlich, nur ſo arm als jener reich und ſo ſehr ein genügſamer, glück⸗
lich eingeſchränkter Lebensphiloſoph als jener ein weitblickender Staats⸗
mann. Es iſt Niccolo de' Niccoli. Sein Vater war Kaufmann
in Florenz geweſen und hatte auch ihn viele Jahre hindurch zum Ge⸗
) Vespasiano: Palla di Nofri Strozzi. Pi i II. Comment. p. 49.
) Ves pasiano: Piero de' Pazzi.
) Vespasiano: Matteo Palmieri. Blondus Italia illustr. p. 687. Sal-
vini Vita Leonardi Dathi vor deſſen Epistolae ed. Mehus. Florentiae, 1743.
p. 46. 51. Corniani i secoli d. Letter. Ital. T. I. p. 174.
154 III. Niccoli.
ſchäft angehalten. Er aber warf nach dem Tode des Vaters, als Erbe
eines mäßigen Vermögens den Handel bei Seite, um ſich ganz ſeiner
Neigung zu den ſchönen Wiſſenſchaften hinzugeben. Als der Plan ſei⸗
nes Lebens einmal entworfen war, ließ er ihn bis an das Ende deſſel⸗
ben nicht mehr los. Er lernte nun Lateiniſch, auch bei Chryſoloras
ein wenig Griechiſch. In S. Spirito erwarb er Anſchauungen von
der Philoſophie und Theologie. Dann wurden Bücher ſeine vornehmſte
Leidenſchaft. Zunächſt ging er, wie oben erzählt wurde, nach Padua,
nur um von dort die Werke Petrarca's, zumal die Africa, zu holen.
Es war wenige Jahre nach dem Tode des großen Aretiners, ſeine
Verehrung gerade im vollſten Schwunge. Männer, die den greiſen
Philoſophen noch gekannt, wußten dem begeiſterten Niccoli viel von
ihm zu erzählen, beſonders Luigi Marſigli. Petrarca's Werke wurden
der Grundſtock ſeiner Bibliothek, die er ſeitdem mit einer erſtaunlichen
Energie vermehrte.
Den größten Theil dieſer Bibliothek hat er ſelbſt geſchrieben. Noch
jetzt werden zahlreiche Codices von ſeiner Hand in der Laurentiana
und andern Sammlungen aufbewahrt, und manche, wie ſein Lucretius
und die erwähnten zwölf Comödien des Plautus, gehören zu den Hand⸗
ſchriften erſten Ranges. Gemeinhin war er der erfte, au welchen die
neuaufgefundenen Bücher zur Copirung gelangten. Er zeigte dabei bis
wenige Tage vor ſeinem Tode einen Eifer und eine Sorgſamkeit ohne
gleichen. Je älter die Schrift, deſto freudiger war er. Bei griechi⸗
ſchen Wörtern, die etwa in den Text einzufügen waren, half ihm Tra⸗
verſari's, des Camaldulenſers, freundſchaftliche Hand. Ferner kaufte
er Bücher, ſo weit ſeine Mittel reichten und ſo oft ſich gute Gelegen⸗
heit bot. Die Bände zum Beiſpiel, die Salutato hinterlaſſen, wurden
von deſſen Erben zerſtreut und verſchleudert; Niccoli aber wußte ſie
einzeln theils ſelber zu erwerben theils Coſimo zum Ankauf zu empfeh⸗
len. Bald freilich fand er ſich dafür am Rande der bittern Armuth.
Indeß durfte er nur eine Quittung nach der mediceiſchen Bank ſchicken,
deren Caſſirer von Coſimo die Anweiſung erhalten hatte, jede begehrte
Summe ſofort zu zahlen. Die Form des Darlehns erſparte ihm das
beſchämende Gefühl, durch mildthätige Hand ſein Leben zu friſten. Er
blieb bei ſeinem Tode der Bank mit 500 Ducaten verpflichtet, die er
theils auf Bücher theils auf Lebensbedürfniſſe verwendet.
Niccoli's Perſon war gleichſam das Börſenblatt für alle Notizen
über Bibliotheken und Bücher. Für alte und werthpolle Codices hatte
III. Nicco li. 155
er einen Sinn, den man Witterung aus der Ferne nennen möchte.
Er war der anſchlägige Kopf und die mediceiſchen Factoreien waren
die Hände, darnach zu langen. Selten ging ein Florentiner nach Frank⸗
reich oder Griechenland, ohne literariſche Inſtructionen von ihm mit⸗
zunehmen. Männer wie Poggio und Bruni mochten in Rom ſein oder
wo ſonſt die Curie ihren Sitz hatte, ſie mochten in Coſtnitz am Concil
leben und von dort aus die deutſchen und franzöſiſchen Klöſter bereiſen,
ihre Briefe und Nachrichten, politiſche und literariſche, ja ihre freund⸗
ſchaftlichen und Familienangelegenheiten gelangten regelmäßig zu Nic⸗
coli, und von ihm aus wurden ſie wieder mit florentiniſchen Nach⸗
richten, mit Büchern, literariſchen Neuigkeiten, auch wohl mit Geld
verſorgt. Selbſt berühmten Cardinälen wie Albergati und Ceſarini,
die auf ihren Legationsreiſen in verſchiedene Länder kamen, gab er
Verzeichniſſe von Büchern mit, auf die ſie ein Augenmerk haben ſoll⸗
ten.) Noch im vorgerückten Alter beſchäftigte er ſelbſt ſich mit dem
Plan, Griechenland zu bereiſen, um griechiſche Codices zu ſammeln.
Denn auch dieſe waren ihm wie heilige Reliquien, obwohl er ſehr wenig
von der griechiſchen Sprache verſtand. Er genoß ein volles Entzücken,
wenn er zum Beiſpiel aus Byzanz einen ſchönen Codex erhielt, in
welchem ſieben Tragödien des Sophokles, ſechs des Aeſchylos und die
Argonautika des Apollonios enthalten waren, und wenn ſein Freund
Traverſari die Entſtehung dieſes Volumens vor das Jahr 600 ſetzte.)
Er war aber kein bloßer Copiſt: er verglich verſchiedene Exem⸗
plare, merzte offenbare Corruptionen aus, ſtellte den Text her, machte
Capiteleintheilungen und Inhaltsangaben. Sein Geſchmack in dieſen
Arbeiten, in denen eben der Geſchmack noch zum guten Theil die Kritik
erſetzte, begründete recht eigentlich ſeinen literariſchen Ruhm.
Niccoli's Bücherſammlung war durchaus die größte und beſte in
Florenz: ſie enthielt 800 Bände, als er ſtarb, und ihren Werth
ſchätzte man, ſoweit ſich dergleichen Dinge ſchätzen laſſen, auf etwa
4000 Zecchinen. Er beſaß eine Weltkarte und beſondre Karten von
Italien und Spanien. Dazu kam eine kleine Gallerie von antiken
Statuen, Sculpturen, Gemälden, Vaſen, Moſaiken, Gemmen, Münzen
und Medaillen. Letztere waren zum Theil alten Urſprungs, doch ver⸗
ſtand man bereits auch geſchickte Bleiabgüſſe zu fertigen.
) Ambros. Traversarii epist. VIII, 2.
) ibid. VIII, 8. |
156 III. Niccoli.
Das war die Welt, in welcher der kleine Mann, gleich einer zier⸗
lichen Spinne in ihrem Gewebe, hinlebte, doch ohne den Hang zur
Einſamkeit und ohne den Fremdenhaß dieſes Thieres. Er ſcheint Flo⸗
renz felten verlaſſen zu haben. Einmal war er in Venedig, theils um
die verbannten Medici zu beſuchen, theils um die Bücherſchätze der dor⸗
tigen Klöſter und feiner venetianiſchen Freunde gründlich purchzuftöbern. ')
Auch die Sehnſucht, die er ſeit ſeinen jungen Jahren gehegt, einmal
nach Rom zu kommen, wurde ihm endlich erfüllt. Er war mit Coſimo
de Medici dort, aber wegen allerlei Umſtände konnte ihr Aufenthalt
nur ein kurzer ſein. Er nahm von dieſer Fülle zertrümmerter Reſte
des Alterthums nur den Eindruck eines ſchmerzlichen Mitleides nach
Florenz heim.) Hier allein konnte er glücklich und in ſeiner Weiſe
leben. Nie bewarb er ſich um ein öffentliches Amt oder buhlte um
irgend eine Ehre. Auch blieb er Hageſtolz, um die Koſten einer Ehe
lieber der Wiſſenſchaft zuzuwenden. Denn von mönchiſcher Neigung
war er völlig frei; in ihren rüſtigen Jahren pflegten ſich Bruni und
er an den Feiertagen vor den Kirchthüren aufzuſtellen und die hübſchen
Weiber, die herauskamen, zu beäugeln.) Später lebte er mit einer
friedſamen Concubine (una donna di tempo, wie Vespaſiano ſich aus⸗
drückt), ſeiner Benvenuta, die er zärtlich und treu liebte, für die er
ſogar die Achtung ſeiner Freunde in Anſpruch nahm und um die er
ſich mit ſeinen fünf Brüdern aufs bitterſte erzürnte. Dieſer Familien⸗
krieg, pflegte er zu ſagen, ſei die einzige Störung ſeines Glückes. Ben⸗
venuta war zugleich ſeine Bedienung; denn Zwei machten das ganze
Haus. Alles, was außerhalb dieſes Hauſes und außerhalb der litera⸗
riſchen Kreiſe vorging, ſtörte nicht ſeine Heiterkeit. Wenn er aber
ſpeiſete, mußten antike Vaſen, elegante Thongefäße, alte Krüge und
kryſtallene Becher auf ſeiner Tafel ſtehen, meiſtens Geſchenke; das Ge⸗
deck mußte fein und reinlich ſein.) In ſolchen Dingen konnte er
pedantiſche Laune zeigen. Auch waren ſeine Sinne ungewöhnlich ſcharf
und empfindlich gegen widerliche Eindrücke: ſo hatte er eine beſondre
Antipathie gegen das Blöken eines Eſels, das Knirſchen einer Säge
und das Quieken einer Maus.
— nn
i) ibid. VIII passim.
2) ibid. VIII, 8.
) Leon. Bruni epist. IV, 4.
) Vespasiano: A vederlo in tavola cosi anti co come era, era una gentilesza.
III. Niccolo. 157
Sonderbare Menſchen dieſer Art find in der Regel abgeſchloſſene
Selbſtlinge, vergraben ſich in ihren Sammlungen und haben keinen Trieb,
auf das Große und Allgemeine einzuwirken. Das war Niccoli's Fall
nicht im mindeſten. Seine Thüre ſtand Jedem offen, der Belehrung oder
literariſche Hülfe ſuchte, ſeine Bücher waren für Jeden da, der ſich ihrer
zu bedienen wünſchte. Als er ſtarb, befanden ſich zweihundert Bände ſei⸗
ner Bibliothek auswärts. Er gehörte zu den Perſonen, die mehr dazu
geboren ſcheinen, Andre anzuregen als ſelbſt etwas Zuſammenhängendes
zu leiſten. Wer in ſeine Umgebung kam, fand ſich gleichſam mitgezogen
in das lebhafte wiſſenſchaftliche Intereſſe, welches aus jedem ſeiner Worte
und jeder ſeiner Mienen ſprach. So oft ich einen Brief von dir er⸗
halte, geſtand ihm einſt Lionardo Bruni, werde ich immer von Neuem
zu den Studien angeſtachelt.) Sein Haus war gleichſam ein Muſeum,
der Sammelplatz aller Schöngeifter von Florenz, zumal der jungen
und aufſtrebenden Literaten, aber auch der Maler, Bildhauer und Ar⸗
chitekten. Fremde kamen oft, den merkwürdigen Mann in ſeiner merk⸗
würdigen Umgebung kennen zu lernen. Da gab es keine Mahlzeiten
und Feſte, aber deſto mehr gelehrte Geſpräche und vielſeitigen Gedanken⸗
umtauſch.) Bisweilen ſah man zehn bis zwölf junge Leute in dieſem
Studienſaale ſitzen, jeden mit einem Buche in der Hand: dann redete
Niccoli den einen und den andern von ihnen an, prüfte, was er geleſen
und wie er es aufgefaßt. Scherzen und Schwatzen ward nicht vernom⸗
men. Hier im privaten Muſeum wurde der Gelehrtenverein von
S. Spirito gleichſam fortgeſetzt, freilich in ſehr veränderter Richtung;
- und fo will es uns bedeutend ſcheinen, daß Niccoli geradezu als Schü⸗
ler jenes Luigi Marſigli, des Hauptes von S. Spirito, genannt wird.
Wie Niccoli's Briefwechſel die Literaturzeitung der Humaniſten,
ſo war er ſelbſt in Florenz das Orakel, wenn über lateiniſche oder
griechiſche Bücher Anfrage geſchah; über geſchichtliche, literar⸗hiſtoriſche
und kosmographiſche Materien wußte er genaue Rechenſchaft zu geben.
Er hatte ein ſtarkes Gedächtniß; die göttliche Comödie, die er in jüngeren
Jahren mit hoher Verehrung immer wieder und wieder geleſen, konnte
er noch im Alter faſt ganz ohne Buch herſagen. Außerdem galt er
) Leon. Bruni epist. III, 19. Aehnlich Ambros. Travers. epist.
VIII, 2. N
) Vergl. z. B. den Brief des jungen Ermolao Barbaro, der Guarino's
Schüler war, mehr aber dieſem florentiniſchen Kreiſe dankte, unter Am br. Travers.
epist. XXIV, 19.
158 III. Niccoli.
für einen geſchmackvollen, aber äußerſt peinlichen Kenner der lateini⸗
ſchen Sprache. Er ſelbſt hat nichts geſchrieben als einen kurzen Trac⸗
tat über die Orthographie der lateiniſchen Sprache, welcher zur An⸗
leitung für junge Studirende beſtimmt war; ftrittige Puncte ſuchte
er durch die Autorität alter Münzen und Jnſcriptionen zu entſcheiden.
Aber auch dieſes Werk, welches er übrigens in italieniſcher Sprache
ſchrieb, ſcheint er, als es von Guarino heftig angegriffen wurde, der
Oeffentlichkeit wieder entzogen zu haben. Auch ſeine Briefe verfaßte er
regelmäßig in der Vulgärſprache. So viel man wußte, ſchrieb er über⸗
haupt aus Grundſatz nichts Lateiniſches. Auch ſprach er niemals la⸗
teiniſch. Man urtheilte hierüber verſchieden. Bruni ſagt in der In⸗
vective, die er gegen ihn richtete, er habe ſeine völlige Unkenntniß des
Lateiniſchen damit verdecken wollen. Manetti, der ſein Leben im lob⸗
redneriſchen Schwunge, und Vespaſiano, der es mit fichtbarer Vorliebe
beſchrieben, meinten, er habe ein zu vollkommenes Ideal von lateini⸗
ſchem Stil im Sinne gehabt, als daß er je hätte hoffen können, es zu
erreichen. Aehnlich urtheilt Poggio in ſeiner Leichenrede, die natürlich
nicht minder panegyriſch iſt, er habe nur das Feine und Vollkommene
gutgeheißen ') und deshalb hätten ihm auch feine eigenen Schriften
nicht genügen können. Wohl am richtigſten äußert ſich Enea Silvio:
Niccoli habe ſeinem Geiſte nicht recht getraut und ſeine Leiſtungen dem
Urtheil Andrer deshalb nicht unterwerfen wollen, weil er ſelbft mie⸗
mandes Leiſtung gelungen fand, alle zu tadeln wußte, die nur lebten,
und auch unter den großen Todten nur Platon, Virgilius, Horatius
und Hieronymus lobte.) |
Das war nun eben der Punct, der den Verkehr mit ihm ſchwie⸗
rig machte. Er fühlte ſich ein wenig als unfehlbarer Kunſtrichter und
1) Auch in einem Briefe an Traverſari (unter deſſen Epistt. XXIV, 7) ſagt
Poggio in einer beſtimmten Verbindung von Niccoli: oui nihil nisi elimatum
placet.
) Aehnlich Philelfus Satyrarum (Venetiis, 1502) Dec. I. hec. 5. Nachdem
er die Lebenden aufgezählt, die Niccoli's Neid verfolge, fährt er ſo fort:
Namque probos clarosque viros mens dira furensque |
Nunquam ferre potest, nitidae qui congruat atrum
Virtuti viium. — —
Naso valet nugis. Statius modo barbara blactit.
Deliras, Lucane, tuba. Nil Musa Maronis |
Personat egregium, nisi quae te magne Priape
Coneinit, Eloquii damnatur Tullius ipse.
\
III. Niecoli. 159
als unabhängiger Mann. Ein eifriger Förderer und wohlwollender
Freund im Großen, vernachläſſigte er oft jene Heinen Aufmerkſamkeiten
und Höflichkeiten, die ein behaglicher Umgang einmal erfordert und die
er für ſeine Perſon ſelbſt von den vertrauteſten Freunden verlangte.
Auch war er reizbar, faßte leicht Argwohn und hegte ihn mit Eigen⸗
finn.) Widerſpruch machte ihn erregt und zornig. Und da er ſchnell
die Fehler und Schwächen Andrer durchſchaute, äußerte er auch ſeine
Meinungen und Gefühle darüber oft mit unvorſichtiger Freimüthigkeit,
in welcher man den Jünger Marfigli's zu erkennen meinte. Desglei⸗
chen wußte er das Ausſprudeln ſeines beißenden Witzes nicht zu zügeln,
während er ſelbſt hinter einem Scherze ſehr bald die Abſicht ſah, man
wolle ihn zum Narren halten. Verträglichere Freunde ließen ihm die
böſe Lanne hingehen und mieden höchſtens für einige Zeit ſeinen Be⸗
ſuch. Stolze oder heftigere Naturen aber wollten ſeine Ausfälle nicht
unerwiedert laſſen. So zog ſich Niccoli die Feindſchaft Vieler zu, die
durch ſeinen Einfluß nach Florenz berufen worden und die anfangs
unter ſeiner Protection geſtanden hatten. Da aber ſeine Stimme bei
Coſimo und bei den Beamten, die das gelehrte Weſen unter ſich hatten
(ufficiali dello studio), Alles galt, mußten feine Gegner gewöhnlich
bald Florenz, dieſes gelobte Land der Literaten, verlaſſen. So Ma⸗
mel Chryfoloras und Guarino von Verona, die beide als Lehrer des
Griechiſchen durch ſeine Vermittelung berufen waren, ſo Aurispa und
Filelfo.) Selbſt Lionardo Bruni erzürnte ſich heftig mit Niccoli,
mit dem verbrüdert er einft den griechiſchen Lectionen des Chryſoloras
beigewohnt, dem er ſeine erſten Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen
gewidmet, den er als Cenſor und Richter über feine Schriften aner-
kannt hatte. Daß Niccoli den Studien des Camaldulenſers Traver⸗
ſari ein größeres Intereſſe ſchenkte, war wohl die erſte Urſache der
Entfremdung. Die eigentliche Veranlaſſung aber gab ein ſcandalöſer
Vorfall mit Beuvenuta. Jene Verwandten Niccoli's hatten fie über⸗
fallen und auf offener Straße, vor den Augen der höhnenden Nachbarn,
recht mit entehrendem Schimpfe ausgeprügelt.) Niccoli, dadurch ver⸗
ſtimmt und gereizt, mußte hören, auch Bruni habe, ſtatt ein tröſtender
) Ambros. Travers. epist. VI, 2. und Poggio 's Brief an Niccoli ibid.
XVV, 48,
) ef. Philelfi Satyr. Dec. I. hec. 5.
) Leon. Bruni epist. V, 4. an Poggio, IV, 23. IX, 19.
160 III. Niccoli.
Freund in der Kümmerniß zu ſein, über das zärtliche Verhältniß ſeine
Mißachtung geäußert und die Concubine als Köchin bezeichnet. Der
Zwiſt machte großes Aufſehen und nicht nur bei den florentiniſchen
Literatoren, unter welchen Traverſari zu wiederholten Malen und im⸗
mer vergeblich eine Ausgleichung verſuchte.“) Selbſt Papft Eugen IV,
der ſich damals in Florenz aufhielt, ließ ſich die Vermittelung angelegen
fein, auch er vergebens. Bruni richtete eine Invective gegen Nic⸗
coli, in welcher es an Spott und Verleumdung nicht fehlte; dieſer aber
ließ ſich nicht auf das publiciſtiſche Feld hinauslocken und rächte ſich
nur durch beißende Bonmots. Erſt nach Jahren gelang es dem Ve⸗
netianer Francesco Barbaro bei ſeiner Anweſenheit zu Florenz, die
Beiden wenigſtens äußerlich auszuſöhnen, und Poggio gratulirte dem
Friedensſtifter von Rom aus mit einer Feierlichkeit, als ſei die Welt
nun von einem ſchweren Uebel befreit.) Doch ſtellte ſich die frühere
Intimität nicht wieder her.
Dagegen haben Andre, die geduldig abwarteten, bis Niccoli ſein
Unrecht einſah, ſeine treue und hülfreiche Freundſchaft unausgeſetzt ge⸗
noſſen, ſo Ambrogio Traverſari und Carlo Marſuppini, ſo Poggio,
der oft die bittern und argwöhniſchen Bemerkungen des Freundes mit
wunderbarer Geduld hinnahm. Es war doch ein ſchmerzlicher Ver⸗
luſt, den die Wiſſenſchaft und ihre Jünger in Florenz erlitten, als der
kleine Dictator, der arme Mäcen am 4. Februar 1437) nach drei⸗
undſiebzigjährigem Lebenslaufe in den Armen ſeines Freundes, des Ca⸗
maldulenſergenerals, und als guter Chriſt ſeinen Geiſt aushauchte.
Seine letzte irdiſche Sorge war geweſen, daß er teſtamentariſch die
Zukunft ſeiner Bücher ſicherte. Die Leiche wurde dem ungen des
Verſtorbenen gemäß in S. Spirito beigeſetzt.“) |
1) Ambros. Traversarii epist. VI, 18.
) Poggii Epistolae LVII (bei ſ. Historiae de varietate fortunae Libri
quatuor ed. a Dominico Georgio. Lutet. Paris., 1723) epist. 4. 5. 11. Tra-
versar. epist. VIII, 16.
) Der Todestag nach feiner Grabſchrift, die doch für authentiſcher gelten muß
als die Angabe Manetti's, er habe ſein Teſtament am 22. Januar, pridie quam
. moreretur, aufgeſetzt. Erwähnung verdient auch der rührende Nachruf, den ihm fein
Freund Traverſari widmete (epist. IX, 21) und zwar am 12. Sehe, alſo noch
im unmittelbaren Eindrucke des Verluſtes.
) Die willkommenſten Nachrichten über dieſen bisher zu wenig egchteten Mann
verdanken wir dem oft ſchon citirten Mehus (Vita Ambr. Travers. p. 28 — 82. 367.
und auch Vita Leon. Bruni p. 65 sq.) Ihnen liegt die Lebensbeſchreibung deſſel⸗
— ——
III. Bruni. 161
Unter den Freunden Niccoli's und auch ſonſt ſchon öfters iſt des
Lionardo Bruni gedacht worden. Gemeinhin führt er den Beinamen
Aretino, er entſtammte demſelben Städtchen wie Petrarca. Gleich die⸗
ſem mußte auch er ſich mehrere Jahre lang dem Brodſtudium der
Rechte widmen; denn er war arm und von geringer Herkunft. Aber
ſein Sinn war bereits auf die liberalen Studien gerichtet. Schon als
fünfzehnjähriger Knabe hatte er, während einer Stadtrevolution zu
Arezzo in das Caſtell Quarata geſperrt, die Blicke nicht von einem
Bildniß ſeines berühmten Landsmannes Petrarca losreißen können und
eine brennende Sehnſucht empfunden, dem Gefeierten nachzufolgen.)
Später hatte Salutato den Waiſenknaben unter ſeinen Schutz genom⸗
men und wie einen Sohn geliebt; ihm verdankte es Bruni nach eige⸗
nem Geſtändniß, wenn er die griechiſche Sprache erlernt und ſich in
der lateiniſchen eine nicht gewöhnliche Fertigkeit erworben.) Bis zu
ſeinem fünfunddreißigſten Jahre lebte er unter der Protection des
Staatscanzlers, den er noch in ſpäteren Jahren ſeinen Vater und
Lehrer zu nennen liebte. Aber ſo ſchnell arbeitete ſich der friſche Geiſt
Bruni's empor, daß Salutato ihn bald neben ſich ſah und eingeſtehen
mußte, ſie ſeien wechſelſeitig Schüler und Lehrer.) Wie die Ankunft
des Chryſoloras in Florenz beſtimmend auf den jungen Mann einwirkte,
ließen wir ihn oben mit ſeinen eigenen Worten ausſprechen. Dennoch
nöthigte ihn der Mangel, auch ſeine Rechtsſtudien fortzuſetzen, bis er
endlich durch Salutato's und Poggio's Verwendung unter Bonifacius IX
das Amt eines apoſtoliſchen Secretärs erhielt und ſeitdem in geſicher⸗
ter Stellung der Curie folgte. So ging er mit Johannes XXIII
ben von Manetti in deſſen ungedrucktem Buche de IIlustribus longaevis und viel
andres handſchriftliches Material der florentiniſchen Bibliotheken und Archive zum Grunde.
Auch aus der erwähnten Invective Bruni's gegen Niccoli (in nebulonem maledi-
eum) hat Mehus nach einer Handſchrift der Laurentiana das Wichtigſte mitgetheilt.
Vergl. außerdem Vespas ian o: Nic. Nicoli; Ambrog. Camald. 5 6; Cosimo de
Medici 8 23. Aeneas Sylvius de vir. clar. XVI. Bart. Facius de vir.
illustr. p. 11 (ed. Mehus. Florentiae, 1745) Poggius Orat. in funere Nic,
Nicoli in ſ. Opp. p. 270 und bei Martene et Durand Vet. Script. et Monum.
ampliss. Collectio T. III. p. 727. Hier findet man noch einige andre durch Nic⸗
eoli's Tod veranlaßte Schriftſtücke.
) So erzählt er in ſ. Rerum suo tempore gestarum Commentarius ap. Mu-
ratori Scriptt. T. XIX p. 917. Manetti Orat. funebr. in Leon. Bruni Epistt.
recens. Mehus p. XCII.
) Epist. I, 12. II, 11. rec. Mehus. Vespasiano: Lionardo d' Areszo $ 1.
) Salutati Epist. P. I. epist. 2. ed. Rigacci.
Voigt, Humanismus. 11
16% III. Bruni.
nach Coſtnitz, kehrte aber nach Italien zurück, noch bevor vas Glück
ſeinen Herrn völlig verlaſſen hatte. Im Jahre 1427 wurde et von
der florentiniſchen Republik zu dem Amte eines Staatsſecretärs ober
Canzlers berufen, welches Salutato vordem inne gehabt. So gelangte
er denn durch feine Bekanntſchaft mit den Rechten und mehr noch durch
ſein klares, elegantes Latein zu einer ehrenvollen Stellung, die ihm
vergönnte, wieder unter ſeinen Freunden und in der Atmoſphäre zu
leben, die ihm am meiſten behagte. Auch blieb ihm noch Zeit genug,
um ſeinen Namen durch gelehrte Werke zu verherrlichen. Seine Ueber⸗
ſetzungen griechiſcher Autoren haben ihm den meiſten Ruhm eingebracht;
ſie galten nicht nur für zuverläſſig, man wollte auch finden, daß er
vor Andern die Schätze der helleniſchen Welt durch feinen und klaren
Ausdruck jedem Lateiniſch⸗Gebildeten zugänglich gemacht. Durch ihn
ferner erhielt Florenz die erſte Geſchichte feiner Republik, die in gefällt⸗
ger lateiniſcher Form geſchrieben war, wie der Geſchmack jener Zeit es
verlangte. Man belohnte ihn dafür mit dem florentiniſchen Bürger:
recht und mit der Immunität von den Staatsſteuern, die ſich auch auf
ſeine Kinder erſtrecken ſollte. Er gehörte mehrmals zum Rathe der
Zehner und ſein Wort gab mitunter bei den wichtigſten Staatsſachen
den Ausſchlag.)) Seine Briefe, die amtlichen wie die privaten, galten
als Muſterſtücke ſchmucker Latinität. Auch feine öffentlichen Reben er⸗
innerten an die perikleiſche Hoheit; ') doch wußte man, daß er dorbe⸗
reitet ſein mußte, denn ſonſt konnte er entweder gar nichts vorbringen
oder er ſprach baaren Unſinn. )
In Florenz war Bruni ein vornehmer, hochverehrter Mann, ob⸗
wohl er ſich nicht liebenswürdig zeigte wie Salutato und nichts von
Niccoli's Gemeinſinn hatte. Er war überzeugt, daß er ganz allein der
Reformator der lateiniſchen Sprache ſei und daß ſich niemand neben
ihn ſtellen dürfe.) In hohem Grade ſelbſtgenügſam lebte er nur in
feiner Cancelei und in feinem eigenen Hauſe; bei andern Bürgern fah
man ihn faſt nie. Ein Bild der Majeſtät ſchritt er ernſt und
) Vespasiano IJ. c. 5 5. 6. Mehus Vita Leon, Bruni p. 44. Manetti
Orai. funebr. I. c. p. X CVII.
) Vergl. z. B. die Leichenrede auf Nanni Strozzi in Baluzii Miscell. Lib.
III. p. 226.
) Aeneas Sylvius de vir. clar. XVI.
) ef. Leon. Bruni epist. III, 19. Ves pas ia no: Ambrog. Camald. $ 6.
IN. Bruni. 163
feierlich in feinem langen rothen Mantel durch die Straßen.) Wie
ſo manche Leute, denen es in jungen Jahren allzu ſauer geworden iſt,
war er mürriſch und unzugänglich, wortkarg und leicht zu beleidigen,
und notoriſch war auch fein Geiz.) Doch thaten dieſe Fehler der
Achtung, die er genoß, wenig Abbruch. Spanier und Franzoſen, die
in Italien Geſchäfte hatten, kamen mitunter nur zu dem Zwecke nach
Florenz, um den berühmten Staatscanzler zu ſehen und wäre es auch
nur von fern, wenn er Vormittags aus der Cancelei trat.) Als er
am 9. März 1443 geſtorben war, gingen die Prioren der Stadt über
ſein Leichenbegängniß zu Rathe und es wurde auf den Vorſchlag eini⸗
ger gelehrter Männer beſchloſſen, den großen Todten nach Sitte der
Alten zu ehren. Man hatte die Leiche in dunkle Seide gekleidet, auf
ihrer Bruft lag die florentiniſche Geſchichte als das edelſte Geſchenk des
Staatscanzlers an die Republik. Die Rede hielt der gelehrte Manetti,
ſelbſt Mitglied des Zehnerrathes, von einer Erhöhung aus, die zu
Häupten der Bahre errichtet war. Am Schluffe derſelben trat er zu
dem Todten: „So wenden wir uns nun zu dir, ruhmwürdigſter Stern
der Lateiner, und krönen deine glücklichen, ſeligen Schläfen zum ewigen
und unſterblichen Zeugniß deiner wunderbaren Weisheit und deiner
unglaublichen Beredtſamkeit, zum Zeugniß für die Lebenden und für
die kommenden Geſchlechter, unſerm Senatusconſulte gemäß mit dieſem
würdigen Schmucke des Lorbeers.“ Im Angeſicht des Volkes von Flo⸗
renz, vieler hoher Geſandten und Curialen — denn Papſt Eugen reſi⸗
dirte damals in Florenz — wurde das Haupt des todten Staatscanz⸗
lers mit dem Lorbeerkranze geſchmückt und ſeine Leiche dann mit einem
ehrenden Epitaphe in der Kirche S. Croce beigeſetzt.)
) Vespasiano: Lionardo d' Arezzo $ 10.
) Selbſt Poggio ſagt in jeiner Oratio in funere Leon. Aretini (bei Balu -
zius IJ. c p. 248 und bei Mehus vor jeiner Ausgabe der Briefe Bruni's p. CXXII):
Vita füit per omnem aetatem parcissima ac severa.
) Vespasianol.c. 89. :
) Die Angabe des Todestages nach Matth. Palmerius de temporibus und
wohl darnach in Staindelii Chronicon ap. Oefele Scriptt. rer. Boic. T. I.
p. 536. Ungefähr ſtimmen damit die Angaben bei Mehus Vita Leon. Bruni p. 45.
46. Das Leichenbegängniß fand nach einer beiläufigen Bemerkung in einem floren⸗
tiniſchen Codex am 12. März ſtatt. Mehus Vita Ambr. Traversarii p. 261. —
Die Hauptzlige aus Bruni's Leben bei 8. Antoninus Chronicon P. III. tit.
22 cap. 11 5 15. Ves pasiano: Giannozzo Manetti 5 12. Nal di Vita Jann. Ma-
netti ap. Muratori Scriptt. T. XX p. 543. Manetti's Leichenrede ſteht vor der
11 *
164 | III. Marſuppini.
Carlo Marſuppini, gleichfalls ein Aretiner, war ſein Nach⸗
folger in der Canzlerwürde und als Schriftſteller nicht minder geſchätzt.
Man meinte, er komme Lionardo in der Proſa faſt gleich, übertreffe
ihn aber in der Leichtigkeit ſeiner Verſe.) Er hatte ein unglaubliches
Gedächtniß. Als er in Florenz ſeinen erſten Kathedervortrag hielt,
wurde geurtheilt, ſo habe noch niemand geſprochen und es gebe unter
den lateiniſchen und griechiſchen Autoren keinen, den er in jener Stunde
nicht citirt. In ſeinem Auftreten hatte er mit Bruni eine gewiſſe
Aehnlichkeit: auch er war blaß, einſylbig und hypochondriſch in ſich
verſunken. Des frivolen Scherzes ſchien ſich ſeine Lippe zu ſchämen,
er floh die muntre Geſellſchaft. Sein Verkehr beſchränkte ſich auf den
Kreis der Medici; ſeiner engeren Freundſchaft durfte nur Niccoli ſich
rühmen. Den aber verehrte Carlo mit ſolcher Ergebenheit, daß ein
„Er hat es geſagt“ ihm gleich einem Orakel galt wie den Schülern
des Pythagoras.) Das Anfehen; welches dieſer finſtre und herzens⸗
kalte Mann genoß, ſtand dem Bruni's kaum nach. Auch er erhielt
das Bürgerrecht in Florenz und auch ſeine Leiche wurde öffentlich durch
die Hand ſeines Schülers Matteo Palmieri mit dem Lorbeer gekrönt
und der Ruheſtätte Bruni's gegenüber im Schiffe von S. Croce bei⸗
geſetzt.) Dabei war dieſer Carlo ein notoriſcher Heide und hatte
noch auf dem Todtenbette die letzte Beichte und das heilige Mahl ver⸗
ſchmäht.) Zu andern Zeiten hätte man wegen ſeines chriſtlichen Lei⸗
chenbegängniſſes wohl Anſtand genommen; jetzt half in Florenz die
Dichterehre über jedes Bedenken hinweg.
Bildeten die genannten Männer, der eine durch ſeine unabhängige,
die andern durch ihre einflußreiche Stellung gleichſam eine literariſche
Ariſtokratie, die mit dem Adel von Florenz wie mit ihresgleichen lebte,
Mehus'ſchen Ausgabe von Bruni's Briefen p. LXXXIX. Die Leichenrede Poggio's
iſt nie gehalten, auch offenbar viel ſpäter geſchrieben, da er in derſelben ſeine eigene
Nachfolge in der Canzlerwürde erwähnt, die er doch erſt 1453 antrat. Das Epitaph
Bruni's bei Mabillon et Germain Museum Italicum T. I p. 163.
1) Aeneas Sylvius de vir. clar. XVI. Historia Friderici III in Kol-
larii Analecta Monum. Vindob. T. II p. 327, Pii II. Comment. p. 51.
*) Mehus Vita Ambr. Travers. p. 59. 379.
) Mabillon l. c. Ves pas ia no: Carlo d'Arezzo $ 2. Er ſtarb am 24. April
1453. Filelfo ſchildert ihn Satir. Dec. I. hec. 6 eben mit Groll und Gift.
) Sein Zeitgenoſſe Niccolo Ridolfi ſagt von ihm (bei Tiraboschi T. VI
p. 1596): Dio l’abbia onorato in Cielo, se I’'ha merito, che non si stima; perche
morl senza confessione e comunione e non come buon Christiano.
III. Traverſari. 165
fo ſchließt ſich ihnen mit dem Camaldulenſer Ambrogio Traverſari
auch das geiſtliche Element in vollſter Unbefangenheit an. Es war in
Florenz die humaniſtiſche Schöngeiſterei der neutrale Boden, auf wel-
chem die verſchiedenen Stände collegialiſch zuſammentrafen und einer
gleich dem andern galt. Ambrogio war als vierzehnjähriger Knabe in
das Klofter Maria degli Angioli vor den Mauern von Florenz einge-
treten, aber viel tiefer hat auf ſein inneres Leben das literariſche Getreibe
dieſer Stadt, der Umgang mit Niccoli und die Ankunft des Chryſolo⸗
ras eingewirkt, obwohl er ſeine Kenntniß der griechiſchen Sprache mehr
der Autodidaxis als dieſem Lehrer verdankte. Sein Leben wäre wohl
ein ſehr ſtilles, nur klöſterliches und literariſches geblieben, hätte ihn
nicht Papſt Eugen IV, der als Cardinal Condolmieri der Protector
des Camaldulenſerordens und dadurch mit ihm befreundet geweſen war,
am 27. October 1431 zum General des Ordens ernannt. Seitdem
wurde er in das öffentliche Leben hinausgeführt und dieſes zeigte ſei⸗
nem Ehrgeize noch andre Ziele als die literariſche Berühmtheit. |
Gar zu gern mochte Traverſari ſich nun bemerkbar machen und
ſeine Hände ein wenig in die hohe Politik miſchen. Da er in ſeinem
Orden eifrig jene Kleinlichkeiten beförderte, die man als Obſervantismus
und Reformation bezeichnete und in welchen auch der Papſt das Heil
der Welt ſah, ſo durfte er ſich in dieſer hohen Gunſt völlig ſicher
fühlen. Nun begann er gegen den Papſt auf der einen Seite den hei⸗
ligen Bernhard zu ſpielen und ihn mit feurigen Worten, doch ohne
durch ſie anzuſtoßen, an Kirchenreform zu mahnen, gegen den Prunk
und die Simonie der Curie zu predigen und im Eifer für das Haus
Gottes manche freimüthige Rede ſich zu erlauben.) Auf der andern Seite
verſtand er trefflich die Künſte des Hofmannes: mit den Obſervanz⸗
Mönchen, die zugleich des Papſtes Beichtiger und auch feine Gewiffens-
räthe in der kirchlichen Politik waren, ſtand er im vertraulichen Brief⸗
wechſel, und wenn er als S. Bernhard durch kühnes Wort ſcheinbar eine
Wunde geſchlagen, wußte er ſie auch wieder deſto ſchmeichleriſcher zu liebkoſen.
Ferner war er Papiſt durch und durch: von den Vätern des basler
Concils, die das Reformwerk ernſthaft in die Hand nehmen wollten,
ſprach er nie anders wie von einer Zuſammenrottung wahnſinniger Ver⸗
brecher und Baſel pflegte er das weſtliche Babylon zu nennen. Nur
vorübergehend ſpielte er hier als päpſtlicher Geſandter eine Rolle und
) Ambr. Traversarii epist. I, 1. 26. 32. recens. Canneto,
166 III. Traverſari.
mit feinem Inſtinct fühlte er ſofort heraus, worauf es ſeiner Partei
ankommen müſſe, den Präſidenten des Concils nämlich, Cardinal Ce⸗
ſarini, von der Sache deſſelben abzuziehen. Das nun zwar hat nicht
er, ſondern die Gewalt der Umſtände vermocht, auch war ſeine Ge⸗
ſandtſchaft an Kaiſer Sigmund ohne allen Erfolg, aber er ſelbſt hat
von ſeinen diplomatiſchen Thaten und von den Reden, die er dabei ge⸗
halten, ein Aufſehen gemacht, als ſei der Umſchwung der Dinge weſent⸗
lich ſein Werk. Daß er bei ſeiner erſten Hauptrede zu Baſel angeſichts
der verſammelten Väter ſtecken blieb und fein Concept aus dem Aermel
hervorziehen mußte, wiſſen wir freilich nicht durch ihn.) Viel eher
war er bei den Verhandlungen über die Glaubensunion mit der byzan⸗
tiniſchen Kirche zur Mitwirkung berufen. Er wurde den Griechen ſchon
nach Venedig entgegengeſchickt und hatte zu ihrer Begrüßung bereits
eine griechiſche Rede fertig, in welcher nach ſeinem eigenen Urtheil
„nichts von Gräcität zu vermiſſen war.“ Leider mußte er, weil der
Legat die Sache für unpaſſend hielt, ſich der Rede und des Ruhmes
begeben.) In Ferrara und Florenz betheiligte er ſich dann bei den
Disputationen über das Filioque und ähnliche Fragen, theils indem
er einſchlagende Werke griechiſcher Kirchenſchriftſteller zum Gebrauch
ſeiner Landsleute überſetzte, theils indem er mit Andern das Geſchäft
des Dolmetſchers übernahm. Auch hier wollte es ihm nachher ſcheinen,
als habe er das Meiſte allein gethan.)
Wer Traverſari nur als öffentlichen Charakter kannte, mochte ihn
für einen harten, intriguanten, ruhmredigen und heuchleriſchen Mönch
halten. Wir wundern uns nicht, daß er wenig beliebt war, daß er
ſich zumal mit Brüdern ſeines Ordens in gehäſſigen Streit verſtrickte
und überall mehr Zwiſt und Feindſchaft als Verſöhnung anſtiftete.
Aber ein ganz andrer war er in ſeinem heimathlichen Florenz und
unter den Literaten, hier kehrte er ſeine umgängliche und liebenswürdige
Seite heraus. Im Kloſter degli Angioli fanden ſich die mediceiſchen
Brüder, der muntre ſpitzige Niccoli, der kalte melancholiſche Marſup⸗
pini und manche Andre faſt täglich zu traulichem Geſpräch beiſammen.
An Coſimo's Tafel ſah man den kleinen Camaldulenſergeneral mit
) Ves pasiano: Ambrogio Camald. 8 3.
2) Epist. I, 30. XIII, 16. XXIV, 24.
3) Epist. XIII, 34: Negocia ista Graecorum omnia ferme ipsi conficimus,
vel ex graeco in latinum, vel ex latino in graecum convertendo, quae dicuntur
et scribuntur omnia.
III. Traverſari. 167
heiterem Geſicht und großer Beweglichkeit die Geſellſchaft unterhalten.
Männer wie Marſuppini, der elaſſiſche Heide, wie Bruni und Poggio,
die frivolen Spötter, durften ſich von ihm keiner Sittenprebigten ver⸗
ſehen. Mit Niccoli lebte er in faſt ſtudentiſcher Freundſchaft. Das
Pücherweſen und die literariſchen Liebhabereien feſſelten ſie an einander.
An Niccoli ſchickte er ſeine Berichte und alle Ausbeute, wenn er in
Italien herum die Klöſter und mehr noch die Kloſterbibliotheken revi⸗
dirte. War dagegen Niccoli einmal auswärts und hatte feine Beuve⸗
unta mitgenommen, fo vertraute er der Obhut des Camaldulenſer⸗
generals des Theuerſte, was er zurückließ, die Schlüſſel zu den eiſernen
Bücherkaſten — ein gutes Theil der Bücher hatte Traverſari ohnehin
ſtets in ſeiner Zelle — die antiquariſchen Schätze des Hauſes und
ſeine Kleider, die der Camaldulenſer auf Wunſch des pedantiſch⸗ſaubern
Freundes häufig durch einen ſeiner Ordensbrüder ausklopfen und rei⸗
nigen laſſen mußte.) Wir ſehen aus der Correspondenz der Beiden,
wie Traverſari die kleinen Launen und Schwächen Niccoli's mit bes
wundernswürdiger Geduld erträgt, wie er gegen ihn voll Aufmerkſam⸗
keiten und Zärtlichkeiten iſt, wie er auch für perſönliche Dinge die
wörmſte Theilnahme zeigt, wie er ſich ſogar den Ton des vertrauten
Scherzes erlaubt, wenn florentiniſche Stadtgeſchichten von ziemlich an⸗
ſtößigem Charakter in den Briefen verhandelt werden. Gewiß hat es
ihm Niccoli hoch aufgenommen, wenn der ehrwürdige Ordensgeneral
auch der Benpenuta, die dem Freunde trotz den erwähnten Scandaloſis
theuer geblieben, feine Ehrfurcht erwies, wenn er am Schluſſe feiner
Briefe ſelten vergaß, ſich der Concubine als dem „treueſten Weibchen“
höflich empfehlen zu laſſen.) Brüderlich lebten und arbeiteten fie auch
in Florenz zuſammen. Bald diente Niccoli als demüthiger Secretär,
wenn Ambrogio, deſſen Hand in ſpäteren Jahren unſicher und zitternd
wurde, etwa Werke des Chyſoſtomos überſetzte, bald mußte Ambrogio,
wenn Nicceli einen Claſſiker, der griechiſche Stellen einmiſcht, wie den
Aulus Gellius abſchrieb, ihm die griechiſchen Buchſtaben zierlich in den
Text malen.
Uebrigens iſt der literariſche Eifer Traverſari's höher anzuſchlagen
) Epist. VIII, 2. 4. 8. et al. Ueberhaupt iſt das achte Buch dieſer Brieffamm-
lung, welches 54 Briefe Traverſari's an Niccoli enthält, von beſonderem Intereſſe.
) Femina fidelissima pflegt er fie zu nennen (epist. VIII, 2. 3. 5. 11. 33. 35.
37. 38), einmal nur (VIII, 36) nennt er ſie fidelissimam famulam tuam.
168 III. Traverſari.
als ſein Talent. Von erſterem legen ſeine Briefe und ſein Hodoepo⸗
ricon, ein Tagebuch ſeiner Geſchäftsreiſen, das rühmlichſte Zeugniß ab.
Gleich Niccoli war auch er unermüdlich, Bücher zu ſuchen, zu kaufen,
abſchreiben zu laſſen und ſelber abzuſchreiben. Sein Stand und die Freund⸗
ſchaft der Medici verſchafften ihm überall Zutritt und faſt mit allen Freun⸗
den des Griechenthums in Italien, mit Guarino und Aurispa, beſonders
aber mit den Venetianern Francesco Barbaro und Leonardo Giuſtiniani
ſtand er ſtets in literariſcher Verbindung. Dabei war ſein Augenmerk am
meiſten auf die griechiſchen Autoren der Kirche gerichtet; auf dieſem
Gebiete war er an Bücherreichthum und an Kenntniß unſtreitig der
Erſte. Seinen literariſchen Ruhm begründeten ſeine Uebertragungen aus
dem Griechiſchen, von denen auch in ſeinen Briefen unaufhörlich die
Rede iſt. Nicht ohne Neid ſah er auf die Ueberſetzungen, die aus der
profanen Literatur der Hellenen Lionardo Bruni geliefert und die frei⸗
lich in ganz andrer Weiſe Aufſehen erregten als die ſeinigen.) Unter
den Lateinern war Lactantius ſein Liebling, weil er meinte, der ſtehe
Cicero an goldenem Fluſſe der Beredtſamkeit nicht nach.)
Ihr eigentlichſtes Intereſſe aber erregt Traverſari's Geſtalt, wenn
wir beobachten, wie chriſtliche Grundſätze und heidniſche Anwandlungen,
Mönchthum und Literatenthum in ihm ringen. Im Leben konnte er
allenfalls zwei Geſichter haben, eines für ſeine Mönche, das andre für
feine florentinifchen Freunde. Schwerer wurde es ihm, ſich mit feinem
Gewiſſen abzufinden. Jenes Streben nach Auszeichnung durch die Mit⸗
welt, nach Ruhm bei der Nachwelt, deſſen ſich ein Bruni oder Poggio
nicht ſchämte, wollte dem General des Camaldulenſerordens nicht an⸗
ſtehen. Er fühlte den Ehrgeiz in ſeinem Buſen brennen und wehrte
ſich doch gegen dieſe Sünde, indem er ſie ſich vom Gewiſſen wegzureden
ſuchte. Wenn er zum Papſte ſprach, wußte er ſich nimmer genug als
unnützen Knecht, als Staub und Aſche, als ein von der apoſtoliſchen
Majeſtät geblendetes Erdenwürmchen zu demüthigen. Als nach ſeiner Er⸗
‚nennung zum General des Ordens die Meinung nahe lag, daß er noch
höher ſteigen könne, verſicherte er ſeinem Bruder Girolamo, der „Wahn⸗
ſinn des Ehrgeizes“ ſei ſeiner Seele ſo fremd, daß er ſchon beim blo⸗
ßen Anblicke von Pracht und Pomp rechten Ekel empfinde und lieber
unter den Bergwerksſträflingen als unter den Herren der Welt leben
») of. epist. VIII. 8. 9.
) Epist. VI. 5.
III. Traverſari. 169
U
möge.“) Dennoch ging er in Rom bei allen Cardinälen herum und
rühmte dann die freundliche Aufnahme, die ihm zu Theil geworden.
Selbſt Niccoli, der ihn ſehr gut kannte und ſchätzte, pflegte unter Frenn⸗
den die freimüthige Anſicht zu äußern, Ambrogio ſei dem weltlichen
Ehrgeize nicht ganz fremd und ſpanne ſeine Netze nach dem rothen
Hute.) Es ſcheint, daß das ironiſche Männchen feine Freude daran
hatte, wenn er die weltlichen Gedanken des religioſen Freundes be⸗
lauſchte. Er ſelbſt verleitete ihn durch Lob und Schmeicheleien, ſich
auf feine eleganten Briefe etwas einzubilden.) That dann der Ca⸗
maldulenſer, als ſei er für literariſches Lob ganz unempfänglich, ſo
ſchüttelte Niccoli ungläubig den Kopf und trieb dadurch den Freund
auf ſeine letzte Poſition zurück: dann nämlich bekannte ſich Bruder Am⸗
brogio zu dem „Laſter der Eitelkeit“, aber er that es mit einer ſo ge⸗
ſuchten Demuth, daß man ſein Geſtändniß durchaus nur für die Re⸗
gung eines allzu zarten Gewiſſens ſollte halten können.“)
In ähnlicher Weiſe mußte er ſich winden, wenn ihn mitunter das
Gefühl überſchlich, als ſchicke es ſich nicht für einen Camaldulenſer⸗
general, ſo mitten in der humaniſtiſchen Gelehrtenrepublik zu ſtehen
und um den Prunk eleganter Rede zu buhlen. Er vermied es ſorg⸗
fältig und abſichtlich, Stellen aus profanen Dichtern in ſeinen Briefen
anzuführen, als verbiete ihm das die Ordensregel; ) wir haben nur
eine einzige Stelle gefunden, wo ihm unter Bibelworten auch ein Citat
aus Virgils Eclogen entſchlüpft iſt.) Wunderbar nur, daß er nicht den
mindeſten Anſtoß nahm, unaufhörlich in Briefen und Reden nach tul⸗
lianiſcher Eloquenz zu haſchen; vertrug dieſe ſich etwa beſſer mit dem
Eremitenkleid als ein unſchuldiges Verslein? Wie ängſtlich war er be⸗
ſorgt, daß ſeine Briefe nicht in verſtümmelter Form verbreitet würden
und ihn durch fehlerhafte Latinität bloßſtellten!“) In komiſche Ver⸗
) Epist. XI, 15.
) Poggii Dialogus contra hypocrisim, beſonders herausg. Lugduni 1679,
abgedruckt im Appendix ad Fasciculum rerum expetend. et fugiend. s. T. II. op.
et stud. Ed w. Brown. Londini, 1690. p. 583.
) Vergl. z. B. epist. VIII, 47.
) Nae ego nimium arrogans sum, qui me vanitatis vitio, cui miserabiliter
addictus sum, liberum abs te putari voluerim etc. Epist. VIII, 36. 37.
) Epist. VIII, 9 an Niccoli: Uterer ad te Naeviano versiculo, si id mihi
religio permitteret etc.
e) Epist. III, 59.
) Epist. III, 22.
170 III. Traverſari.
legenheit gerieth er, als Niccoli und Coſimo de Medici ihm anlagen,
ein profanes Werk, des Diogenes von Laerte Nachrichten pon berühm⸗
ten Philoſophen, aus dem Gxiechiſchen zu überſetzen. Sträubte fi
wirklich ſein Gewiſſen fo gar heftig dagegen, fo hätte er die Zumuthung
immerhin ablehnen können. Doch ſcheint es ihn zu der Arbeit gezogen
zu haben, vielleicht um auf dieſem Felde mit Bruni zu wetteifern. Er
fragte bei angeſehenen Männern an, bei dem Erzbiſchof von Genua,
bei Antonio da Maſſa, dem berühmten Theologen; ſie fanden nicht
den mindeſten Scrupel bei der Sache. Nun bat er mit Berufung auf
dieſe Autoritäten auch Leonardo Giuſtiniani um Rath, offenbar in der
Meinung, der Freund werde ihn als freiſinniger Mann, gleich den
Andern zur Arbeit ſpornen. Dennoch rieth dieſer ihm wider Erwarten,
den alten keuſchen Leuchten der Kirche zu folgen, die ſich mit der Ueber⸗
tragung heidniſcher Schriften nicht befaßt hätten. Damals hatte er
aber bereits Hand ans Werk gelegt und mußte ſich nun auf die un⸗
widerſtehlichen Bitten ſeiner Freunde berufen. Während des Ueber⸗
ſetzens und noch damit beſchäftigt, verſchiedene Texte ſeines Autors
miteinander zu vergleichen, ſeufzte er ſchon mit kämpfendem Gewiſſen:
„Hätte ich doch niemals dieſes Werk begonnen! Wie wäre das meinem
Wunſche und meinem früheren Vorſatze gemäßer! — — Nachher aber
will ich mit deſto glühenderem Verlangen, deſto heißerem Durſte zur
Uebertragung heiliger Schriften zurückkehren und ſie um ſo inniger
küſſen, da jch faſt von Kindheit auf an ſie gewöhnt bin.“ Trotz dieſen
Bepenklichleiten und Qualen iſt er mit der Arbeit fertig geworden und
hat ſie mit einer Widmung an Coſimo veröffentlicht.) Auch daß er
ſeine Briefe copiren und ſammeln ließ, will er nur auf die dringenden
Bitten hoher Freunde gethan haben, denen er es nicht habe abſchlagen
können. *)
So haben wir das erſte Beiſpiel eines Mönches, in welchem der
Schöngeiſt mit dem heiligen Geiſte im Kampfe lag, und wir ſehen
ſchon, wie die künſtleriſche Liebhaberei von Florenz bereits das kirchliche
Leben überwog. Die Zahl der humaniſtiſchen Geiſtlichen und Mönche
iſt keine kleine geblieben, die ängſtliche Gewiſſenhaftigkeit des Camaldu⸗
) ef. epist. VI, 23. 25. 27. VII, 1. VIII, 8 Die Widmung ſelbſt epist.
XXIII, 10.
2) Epist. VI, 38.
IH. Manetti. 171
lenſers aber ſehen wir bei feinen Nachfolgern immer mehr und mehs
dahinſchwinden.)
Der Schüler Traverſari's im Lateiniſchen und Griechiſchen, in
vielen Stücken auch der Fortſetzer feiner Beſtrebungen war Giannozzo
Manetti, aus edler florentiniſcher Familie. Erſt in ſeinem fünfund⸗
zwanzigſten Lebensjahre fing er an Lateiniſch zu lernen, gönnte ſich dann
aber aus Studieneifer nur fünf Stunden nächtlichen Schlafes. Alles,
was ihm nur erreichbar war, raffte er in die Schatzkammer ſeiner
Kenntniſſe zuſammen. Wir haben geſehen, wie er als junger Mann
in die philoſophiſche Akademie von S. Spirito gerieth. Obwohl noch
ein Neuling in den Wiſſenſchaften, fand er doch auf die ſchwierigſten
Fragen ſofort eine Antwort und miſchte ſich keck in die Disputgtionen
der gelehrteſten Männer.) In Ermanglung ſolcher disputirte er gern
mit gelehrten Juden über ihren Glauben, nicht um ſie von dieſem ah⸗
zubringen, ſondern indem er ſich ſelbſt auf ihren Standpunct ſtellte;
es freute ihn dann, ſie durch ſeine Kenntniß des Hebräiſchen zu be⸗
ſchämen. War Marſuppini ein Heide, ſo war dagegen Manetti ein
mehr als rechtgläubiger Chriſt: den chriſtlichen Glauben, ſagte er, müſſe
man nicht einen Glauben, ſondern eine Gewißheit nennen; die Lehre
der Kirche ſei ſo wahr, als ein Dreieck ein Dreieck iſt. Er war der
Mann, es zu beweiſen. In der Philoſophie und Theologie beſaß er
eine erſtaunliche Beleſenheit. Griechiſche Autoren verſtand er bei ſchnel⸗
ler Ueberſicht. Im lateiniſchen Sprechen und Disputiren ſoll er ſelbſt
Bruni's Neid erregt haben. Er konnte aus dem Stegreif eine geläu⸗
fige und von gelehrten Zierathen ſtrotzende Rede halten; freilich war
fie aus rhetoriſchem Geſichtspunct, auch wenn er vorbereitet war, mittel⸗
mäßig genug. Wenn er in Florenz die Ethik und Politik des Ariſto⸗
teles erklärte, hatte er eine große Zahl von bewundernden Zuhörern,
darunter manchen jungen Edelmann. Er hat Lebensbeſchreibungen des
) Traverſari ſtarb am 20. October 1439. Sein Leben ſchrieb mit der müh⸗
ſamſten Ausführlichkeit L. Mehus in dem ofterwähnten Buche. Doch bleibt hier
für die eigentliche Lebensbeſchreibung unter den unendlichen Excurſen uur p. 864 bis
436 übrig und die hier gemachten Angaben ſind meiſtens nur Zuſammenſtellungen
aus den Briefen und dem Hodoeporicon Traverſari's, gerade der unnützeſte Theil des
ganzen Werkes. Eine zweite Biographie haben wir von Meiners in den Lebens⸗
beſchreibungen berühmter Männer aus den Zeiten der Wiederherſt. d. Wiſſenſch. Bd. II.
Zürich, 1796.
) Ves pas ian: Lionardo d' Arezzo 5 10. a
172 III. Manetti. Poggio.
Sokrates und des Seneca, Dante's, Petrarca's und Boccaccio's, Nic⸗
coli's, Papſt Nicolaus’ V und feine eigene geſchrieben, ſpäter auch andre
ſehr umfangreiche und gründliche gelehrte Werke theologiſchen Inhalts,
die mit Fug und Recht ungedruckt geblieben ſind. Ein älterer Kenner
jener Literatur hat ſich gewundert, daß Manetti's Ruhm trotz ſeinem
ungewöhnlichen und vielſeitigen Wiſſen dennoch hinter dem Anderer
entſchieden zurückgeblieben ſei, wohl weil er es in Vielem weit, aber
in keinem Zweige zur Meiſterſchaft gebracht habe.) Der Grund iſt
wohl einfacher: bei aller Gelehrſamkeit vermißte man in Manetti's
Werken die Grazien; wer ein ſo eintöniges und durch unvergleichliche
Geſchwätzigkeit ermüdendes Latein ſchrieb, wer ſo plump panegyriſirte,
daß er nur einen Superlativ auf den andern häufte, dem half nach
damaliger Geſchmacksrichtung die prunkendſte Schauſtellung des Wiſſens
zu wenig Anfehen. ”)
Das waren nun die ehrſamen Gelehrten, die Ueberſetzer und Sprach⸗
meiſter, die Bücherſammler und Bibliothekenbegründer, welche die Arno⸗
Stadt wohl zu einem neuen Alexandria machen, nicht aber zu dem
Ruhme führen konnten, das moderne Athen zu werden. Es geſellten
ſich zu ihnen die Genies, die lebhaften losgebundenen Geiſter, welche
Leben und Feuer in die ſtille Wiſſenſchaft, Unfrieden und Cabalen in
die Gelehrtenkreiſe brachten, ſchnellproducirende Talente ohne Charakter
und voll Schwächen und Laſter. Ihr Aufenthalt iſt ſelten ein ftätiger,
ihre Thätigkeit nicht einer beſtimmten Richtung gewidmet. Wir dürfen
uns daher nicht wundern, wenn wir ſie bald hier bald dort finden und
wenn auch in dieſem Bnche ihrer bald an dieſer bald an jener Stelle,
in dieſer oder jener Beziehung gedacht werden muß.
So iſt Gian⸗Francesco Poggio Bracciolini unſerm Leſer ſchon
lange nicht mehr unbekannt. Wir rechnen ihn billig zur florentiniſchen
Gruppe. Bei Florenz, im Caſtell Terranuova, war er geboren. Flo⸗
renz verdankte er als Schüler Giovanni's da Ravenna und Chryſoloras
ſeine Bildung. Dann freilich iſt er vierzig Jahre lang der päpſtlichen
Curie gefolgt (1413— 1453). Aber wenn er in Deutſchland und Frank⸗
reich nach den Werken der alten Römer umherſtöberte, ſo war er doch
) Paulus Cortesius de hominibus doctis Dialogus. Florentiae, 1734
p. 21.
) Sein Leben ſchrieben ſehr ausführlich Vespaſiano (Spicileg. Roman. T. I.
p. 578 e seg.) und Naldo Naldi (ap. Muratori Scriptt. T. XX). Wo beide
Biographen daſſelbe erzählen, ſtützen ſie ſich wahrſcheinlich auf Manetti's Autobiographie.
III. Poggio. 173
gleichſam das auswärtige Mitglied des florentiniſchen Kreiſes: von
dort wurde er unterſtützt, an ſeine dortigen Freunde berichtete er über
ſeine Funde, an ſie ſandte er die Autoren, die er zu neuem Leben auf⸗
erweckt. Von Rom aus kam er faſt jedes Jahr zum Beſuch nach Flo⸗
renz. Ein Decennium hindurch, während Eugen IV das rebelliſche
Rom mied, lebte Poggio meiſtens unter ſeinen Freunden von Florenz.
Er heirathete eine ſchöne achtzehnjährige Florentinerin aus dem adligen
Hauſe der Buondelmonti. Nach dem Tode des Carlo Aretino wurde
er als deſſen Nachfolger nach Florenz zur Leitung der Staatscancelei
berufen '), obwohl ſchon ein Greis von zweiundſiebzig Jahren; er ers
hielt das Bürgerrecht der Republik, wurde einſt unter die Signori ge⸗
wählt und nannte ſich ſelbſt gern einen Florentiner. Er ſtarb zu Flo⸗
renz am 30. October 1459 und ſein letztes Werk, bei welchem der Tod
ihn überraſchte, war ſeine florentiniſche Geſchichte.
Sein Leben in Florenz war das eines heitern Philoſophen. Er
war am römiſchen Hof ein reicher Mann geworden und genoß nun in
ſeiner Heimath die Frucht ſeiner langjährigen Mühen und Arbeiten.
Sein Amt nahm ihn nicht allzuſehr in Anſpruch: er rühmt die Flo⸗
rentiner wegen der Freiheit, die ſie ihm geſtattet, geſchäftliche Arbeiten
auf ſich zu nehmen oder abzulehnen. Den beſten Theil des Jahres
verbrachte er auf der Villeggiatur und erfreute ſich an dem Empor⸗
wachſen ſeiner Kinder, an ihrem Stammeln und Plappern, welches ihm
oft anmuthiger erſcheinen wollte als die höchſte Beredtſamkeit. Als
ihm die Leitung der Cancelei durch gewiſſe Gegner beneidet und ver⸗
bittert wurde, legte er ſie, um ſich Aergerniß zu erſparen, lieber ganz
nieder und widmete ſich, immer noch ein hochgeachteter Mann, lediglich
den Studien, einer ehrenvollen Muße.) Nun er die Zeit der Nah⸗
rungsſorgen, denn er hatte als junger Menſch durch Abſchreiben von
Büchern ein mühſames Brod verdienen müſſen, nun er die Zeit der
Wanderluſt hinter ſich hatte, blickte er mit freudigem Selbſtgefühl auf
jene Tage zurück, wo er in St. Gallen die Inſtitutionen Quintilians
gefunden und abgeſchrieben und wo er ſo manchen andern römiſchen
Autor aus dem Kloſtergrabe befreit. Er hatte ſich ein Landgütchen
bei Florenz erworben, 4000 Schritte von der Stadt entfernt, er nannte
) Comincid a fare sua patria Firenze, come meritamente si conveniva,
tagt der Florentiner Bespajiano . Fiorentino 9 4).
) Vespas ia no l. c. 5 6.
174 | Im. Poggio.
es ſeine Valdarniana. Das Haus hatte er ſich ſelber ſtattlich und be⸗
quem hergerichtet und da er für fein perſönliches Wohlbehagen fo gut
geſorgt — alſo ſcherzt er — ſo habe er es würdig gefunden, auch für
das Wohlbehagen ſeiner lieben Bücher einen eigenen kleinen Bibliothek⸗
faul bauen zu laſſen.) Hier war der Stolz ſeines Lebens, eine Reihe
von griechiſchen und lateiniſchen Codices aufgeſtellt, ferner ein kleines
Muſeum von Marmorkoͤpfen, Münzen und ſonſt allerlei Alterthümern, die
er einſt auf Ausflügen nach Ferentino und Tivoli, nach Frascati und
Arpino, den claſſiſchen Stätten, und zu den Mönchen des ehrwürdigen
Monte Caſſino geſammelt oder durch Freunde aus Chios bezogen. *)
Nur einen einzigen Marmorkopf beſaß er, der ganz und ſchoͤn war,
alle andern hatten im Kampfe mit den Jahrhunderten die Naſe ein⸗
gebüßt oder ſonſt barbariſche Verſtümmelungen davongetragen. Aber
er erkannte doch in ihnen immer noch die Hand des alten Künſtlers,
und erhielt er einmal dergleichen Sendungen aus Griechenland, ſo wur⸗
den die zerbrochenen Marmorſtücke in feiner Phantaſie ſofort zu Kunſt⸗
werken von Praxiteles oder Polykleitos. Dieſe Umgebung nannte er
ſelne Akademie. Es war ſein Leben in der Valdarniana eine gelehrte
Muße wie die Cicero's in feiner tusculaniſchen oder antianiſchen Villa,
und gleich einem Römer der alten Republik erfriſchte der greiſe Staats⸗
canzler ſeinen Geiſt durch die Beſchäftigung mit dem Land⸗ und Gar⸗
tenbau. Bisweilen fühlte er ſich hier ſo ruhig und glücklich, daß er
meinte, das Schickſal müſſe ihn beneiden.)
Und welch' ein boshafter und biſſiger Menſch war vieſer Poggio
geweſen. Nur mit feinen florentiniſchen Genofſen lebte er im Frieden.
Der alte Niccoli war ihm ſeit feiner Ingend Schutz und Hülfe ge⸗
weſen, ihm geſtand Poggio mehr als ſeinem leiblichen Vater zu ver⸗
danken. Zu Carlo Marfuppini führte ihn ſein erſter Gang, wenn er
aus Rom zum Beſuch herüberkam; im Haſſe gegen die Heuchler und
Mönche ſtimmten die Beiden trefflich zuſammen.“) Auch mit Bruni
tab er freundſchaftlich. Aber ſonſt war er, fo zu ſagen, der litera⸗
riſche Gaſſenbube. Er hatte ein unverkennbares Talent für wüthenves
Schimpfen und niederträchtiges Verleumden. Unter allen ſeinen Zeit⸗
) Seine epist. 28. 30. 31. 53. 56. im Spicileg. Roman. T. X.
) Poggii Epistt. LVII. epist. 18. 19.
) Epist. 28. im Spicileg. Roman. T. X.
) Poggii Dialogus c. hypocrisim l. s. c. p. 571.
I. Poggio. 175
genoſſen war er ohne Frage der gewandteſte Kopf, er ſchrieb geiſtreich
und piquant wie kein andrer, ſein Stil iſt von hinreißender Lebhaftig⸗
keit. Vor ſeinem Witz und vor ſeiner wüthenden Biſſigkeit herrſchte
eine wahrhafte Furcht, der ſelbſt maͤchtige Fürſten fich nicht entziehen
konnten.) Als er dem Könige Alfonſo von Neapel und Aragon ſeine
Ueberſetzung der Cyropädie gewidmet und zugeſchickt,“) der erwartete
Lohn aber allzu lange ausblieb, glaubte er in dieſer Vernachläſſigung
die Einflüſterungen ſeines Gegners Lorenzo Valla deutlich zu erkennen
und ſtimmte in ſeinem Aerger ſofort einen andern Ton gegen den Kö⸗
nig an. „Es iſt übrigens meine Schuld, daß ich mein Buch jemand
gewidmet, der in feinem Urtheil mehr von Andern abhängt, als ſelbſt⸗
ſtändig iſt. Der Ruf, welcher die Gelehrfamkeit jenes Fürſten preiſt,
hat mich getäuſcht. Er weiß, wie ich ſehe, die tüchtigen Geiſter von
den dummen nicht zu unterſcheiden. Er thut gewiſſe Dinge zum Schein,
damit es ausſehen möge, als ſei er gelehrten Männern hold. — Du
ſagſt, man müſſe die Albernheit ſolcher Menſchen, die ſich bemühen,
andre herabzuziehen, ertragen und verachten. Du haft Recht. Aber
die Albernheit von Fürſten muß man nicht nur ertragen, ſondern ihr
aus dem Wege gehen, da ſie verderblicher iſt und mit Schaden ver⸗
bunden. Denn nichts, glaube mir, iſt ſchlimmer als ſolche Albernheit,
die das richtige Urtheil trübt und wo ſie ſich mit der Gewalt verbün⸗
det, zu jedem Verbrechen bereit iſt. — Das ſchlechteſte Ding iſt vie
Undankbarkeit, fie iſt die Mutter aller Laſter; in wem dieſes Laſter
herrſcht, in dem kann keine Tugend beſtehen. — Wenn die Sache nicht
ſchon angefangen wäre, ſo wüßte ich wohl klüger mir bei einem Dank⸗
bareren eine Wohlthat zu erwerben.“ In ſolchen Betrachtungen erging
ſich Poggio, wenn er an ſeine Freunde in Neapel ſchrieb.) Wir
wiſſen nicht, ob Alfonſo von ſeinem Unwillen erfuhr, doch iſt es wahr⸗
ſcheinlich, da Poggio abſichtlich die Briefe, in denen er ſich ausgeſpro⸗
chen, an mannigfache Freunde verſendete und verbreitete. In den Exem⸗
plaren ſeiner Ueberſetzung, die er in der Zeit des Zornes abſchreiben
und ausgehen ließ, wurde der Name Alfonſo's und die Dedication
) Non era ignuno che non avesse paura di lui. Ves pasi a no l. c. 5. 3.
) Der Brief an Alfonſo in Ba luzii Miscell. (edit. nova) T. IH. p. 154.
) Die Briefe Poggio's an Bart. Fazio und Ant. Panormita in B. Facii
de vir. illustr. ed. Mehus epist. 9— 11 und Poggii epist. 75. 76. im Spicileg.
Roman. T. X.
9
176 III. Poggio.
getilgt.) Dennoch, wenn nicht eben deshalb, ſchickte ihm der König
bald darauf 600 Ducaten, und der befriedigte Schriftſteller pries dafür
ſeine Majeſtät nach wie vor.) Er widmete ihm nun ein Prunkſchreiben,
in welchem er die Weisheit rühmte, die der König in der Befriedung
Italiens gezeigt, und ihn anſpornte, ſich an die Spitze eines italieni⸗
ſchen Seezuges gegen die Türken zu ſtellen.) Es iſt im Tone des
feurigſten Panegyrikus verfaßt. Bartolommeo Fazio las es dem Kö⸗
nige im Beiſein vieler Herren vom Hofe vor und Alfonſo lauſchte ge⸗
ſpannt den Schmeicheleien des berühmten Literaten. *)
Wir ſprechen ſpäter noch von Poggio's Schmähſchrift gegen Felix,
den Papſt des basler Concils, für welche er ohne Zweifel bezahlt
wurde; auch die Fehden, die er zu Rom mit Valla, Perotti und Geor⸗
gios Trapezuntios anknüpfte, laſſen wir hier noch unberührt und ge⸗
denken nur einiger Kämpfe, die er mehr zur Ehre ſeiner Feder führte.
In Florenz knüpfte er den Streit mit Guarino über die Supe⸗
riorität Scipio's oder Cäſars an. Die Veranlaſſung war vermuthlich
eine Stelle in Petrarca's „Triumph des Ruhmes“: der Dichter läßt
hier nämlich Scipio Africanus den Aelteren und Julius Cäſar voran⸗
gehen, aber er will nicht entſcheiden, wer von beiden der Göttin des
Ruhmes zunächſt geſchritten ſei; der eine ſei eine Sclave der Tugend
und nicht der Liebe, der andre ein Sclave beider geweſen.) Poggio
nun behauptete in einem Briefe) die höhere Würde Scipio's, wobei
er es an heftigen Angriffen gegen Cäſar nicht fehlen ließ. Die Schrift
war ihm, wie er ſelbſt geſteht, wenig mehr als eine Stilübung und
um ſo unſchuldiger, da er keines Lebenden darin erwähnte. Was den
) Poggii epist. 79. im Spicileg. Roman. T. X. p. 350.
) Ejusd. epist. 7. 8. 9. ibid. Vespasiano: Poggio Fiorent. 5 4.
) Poggii epist. 9. I. o.
) Bart. Facii epist. 13. recens. Mehus l. s. c. \
) Petrarca Trionfo della Fama cap. I. v. 22:
Da man destra, ove prima gli occhi porsi,
La bella donna (la Fama) avea Cesare e Scipio;
Ma qual piu presso, a gran pena m’accorsi.
L'un di virtute e non d’amor mancipio,
j L’altro d’entrambi.
Petrarca hat bekanntlich beide verherrlicht, Cäſar in einer eigenen Lebensbeſchreibung,
Scipio in ſeiner „Africa“. N
) Brief an einen gewiſſen Scipione da Ferrara, deſſen Namen zu Liebe viel⸗
leicht die Entſcheidung getroffen iſt (Poggii Opp. p. 357).
0
III. Poggio. 177
alten Suarino, der mit Poggio befreundet und überhaupt ein friedlicher
Mann war, bewog dieſen Fehdehandſchuh zu ergreifen, ſehen wir nicht
recht. Sein Gegner meinte, der Markgraf Lionello von Eſte ſei ein
beſonderer Verehrer Cäſars und ihm zu Liebe, auch in der Hoffnung
auf eine Belohnung, habe ſich Guarino zum Anwalte Cäſars aufge⸗
worfen. Seine Kampfſchrift, die wir nicht gedruckt leſen, muß umfang⸗
reich und nicht arm an perſönlichen Angriffen geweſen ſein. Dieſe Be⸗
leidigungen, ſagt Poggio, durch jemand, der damit die alte Freundſchaft
brach, habe er auf ſeiner Ehre nicht ſitzen laſſen dürfen. Er wolle in⸗
deß nicht „nach ſeiner Art“ zu Felde ziehen und ſich mäßigen. In
der That iſt die Invective Poggio's noch höflich zu nennen, wenn man
ſie mit andern vergleicht, obwohl er Guarino darin als einen unwiſſen⸗
den Prahler behandelt.) Er betrachtete den Streit als einen honetten,
wie er Männern der Wiſſenſchaft ziemt, als eine löbliche Uebung, um
die Schärfe des Geiſtes im Loben und Tadeln auszubilden. Man
könne, meint er, wohl über einen ſolchen Punct verſchieden denken und
doch gut Freund bleiben. Als er die junge Florentinerin geheirathet und
Guarino ihm eine höfliche Gratulation zuſchickte, vergalt er in der
Wonne der Flitterwochen die freundliche Annäherung des Gegners
mit Gleichem und das gute Verhältniß war hergeftellt *), ja Poggio
ſetzte etwas darin, Guarino in Ehren zu halten und zu vertheidigen:
er gehört, ſagt er, noch zu unſrer alten Schule, die ſo viele ausge⸗
zeichnete Männer hervorgebracht.) Beide überhäuften ſich ſeitdem mit
den geſuchteſten und ſchmeichelhafteſten Artigfeiten. *)
Doch für dieſelbe Sache ſollte Poggio noch einmal in die Schran⸗
ken treten, diesmal aber nicht zum gelehrten Turnier, ſondern zu
einer literariſchen Schlägerei. Ciriaco de' Pizzicolli, den Anconitaner,
den wir oben kennen gelernt, reizte ſein Unſtern, gegen Poggio's Mei⸗
nung eine Gegenſchrift zu richten, die er als kaiſerliche bezeichnete;
er nahm nämlich in Cäſar den Begründer der Monarchie in Schutz
und bezeichnete ſeine Verkleinerung als ein Sacrilegium. Gegen ihn.
ließ Poggio ſeiner ſchmähſüchtigen Laune den vollen Zügel, nannte ihn
einen unverſchämten und verwirrten Schwätzer, einen Dummkopf, eine
) Poggio an Franc. Barbaro (Opp. p. 356). Die Invective ſelbſt iſt gleich⸗
falls Barbaro gewidmet (ibid. p. 365).
) Poggio an Guarino (Opp. p. 355).
) Poggii epist. 52. im Spicileg. Roman. T. X.
) Ejusd. epistt. 85—90. ibid.
Voigt, Humanismus. | 12
178 III. Poggio. Drei berufene Lehrer in Florenz.
läſtige Cicade, einen vagaböndirenden Narren, einen bärtigen m
zweifüßigen Eſel u. ſ. w.)
Außerdem verhöhnte Poggio die Banane Sera mit
denen er Jahre lang im bitterſten Kriege lag, und proſtituirte endlich
in den „Facetien“ eine Menge von Lebenden und das Andenken ſo
manches namhaften Todten.) Das widerlichſte Schauſpiel aber ent⸗
ſtand, als er mit Filelfo, der ſeiner hierin ganz würdig war, zuſammen⸗
traf. In den vier Invectiven gegen ihn ſchüttete er ein wahres Füll⸗
horn von Schmutz und Galle über den Gegner aus, gleich als wollte
ſich ſeine Phantaſie einmal alles ihres Unrathes entladen. Und dann
ſtrömte dieſelbe Seele wieder in feierlichen und pomphaften Leichen⸗
reden über, vergötterte die Mediei, dieſen und jenen reichen Nobile,
dieſen und jenen angeſehenen Cardinal. Von den Höhen der Philo⸗
ſophie und aus den Tiefen des Glaubens ergoß ſich dann das ſtrahlende
Lob und erhob die todten Gönner zu Heiligen, um von den Lebenden
den Lohn der Verherrlichung zu empfangen.
Drei Italiener ſchöpften ihre Kenntniß der griechiſchen Sprache
und Literatur an der Quelle ſelbſt, in Byzanz, es waren Guarino
von Verona, Giovanni Aurispa und Francesco Filelfo aus Tolentino.
In ihrem Lebenslaufe liegt eine gewiſſe äußerliche Aehnlichkeit. Wenn:
ſie mit ihren Kiſten voll griechiſcher Bücher in den großen Canal von
Venedig einliefen, ſuchte man ſie jedesmal zuerſt hier zu feſſeln, aber
ſehr bald lockte die leuchtende und wärmende Sonne von Florenz ſie
unter ihre Strahlen. Und doch konnte keiner von ihnen in Florenz
heimiſch werden: immer reizte ihr ſtolzes Selbſtgefühl Niccoli's, des
literariſchen Dictators, kauſtiſchen Witz, und er, der ſie gerufen, zwang
ſie auch nach ein paar Jahren wieder davonzugehen, worauf ſie dann
an den Fürſtenhöfen, Guarino und Aurispa zu Ferrara, Filelfo zu
Mailand, ein dauerndes Unterkommen fanden. Man ſieht deutlich,
wie die eingeborenen Florentiner oder richtiger geſagt Tuscier gegen
dieſe fremden Ankömmlinge zuſammenhielten und eine ſtille Oppoſition
bildeten. 0
Guarino für die Hochſchule zu gewinnen, hatten die Curatoren
) Dieſe Invective iſt Lionardo Bruni gewidmet (Poggii Opp. p. 380). Cie
riaco wird durch die Buchſtaben C. A. deutlich genug bezeichnet.
2) Noch einiger andern Fehden Poggio's gedenkt V alla Antidot. in Poggium
Lib. I. (Opp. p. 256)
In. Guarino, Aurispa, Filesfo in Florenz. 179
derſelben, die ufficiali dello studio, einft für fo wünſchenswerth ge⸗
halten, daß ſie ihm ſelbſt überließen, die Höhe des Soldes zu beſtim⸗
men.) Auch war er ſonſt ein verträglicher und allbeliebter Mann.
Dennoch wurde man ſeiner müde, er konnte ſich mit Niccoli nicht ſtellen.
Aurispa ſcheint nur kurze Zeit in Florenz gelehrt zu haben. Wohl
ſehnte er ſich, als es ihm dann in Bologna ziemlich kläglich erging und
ſelbſt als er von da zu den Eſte gerufen wurde, nach den mediceiſchen
Fleiſchtöpfen zurück, ſuchte ſeine nochmalige Berufung durch Traverſari
zu vermitteln und ließ allerlei kleine Intriguen ſpielen. Um ſich erwünſcht
zu machen, deutete er auf die Anträge, die ihm von Bologna, Mailand
und Rom aus gemacht ſeien. Um Traverſari und Niccoli zu gewin⸗
nen, machte er ſie nach ſeinen Bücherſchätzen lüſtern. Und um ſich
den Rückzug offen zu erhalten, bat er den Camaldulenſer, die Unter⸗
handlung insgeheim zu betreiben, damit ſie dem Markgrafen, dem er
diene, nicht zu Ohren komme.?) Da aber die Florentiner ſchon eine
Einladung an Filelfo erlaſſen, warnte er dieſen freundſchaftlich fie an-
zunehmen und ſtellte ihm vor, daß er in Ferrara ungleich beſſer fituirt
ſein würde. So wollte er in Florenz den Mitbewerber loswerden und
zugleich in Ferrara die Lücke füllen.) |
Filelfo aber war nicht der Mann, ſich den ehren- und gewinne
vollen Ruf nach Florenz, wohin er von Coſimo Medici und Palla
Strozzi, von Niccoli, Bruni und Traverſari freundlichſt geladen war,
entgehen zu laſſen. Er bediente ſich, um den Camaldulenſer und Nio⸗
coli zu ködern und ſich einen guten Sold von wenigſtens 400 Gulden
auszuwirken, deſſelben Mittels wie Aurispa: er deutete an, daß er in
Bologna recht wohl bleiben könne, daß man ihn überdies nach Padua
gerufen und endlich ihm auch von Rom aus Anerbietungen gemacht
habe; dazu ſchickte er ein Verzeichniß ſeiner griechiſchen Bücher und
aͤußerte, daß er noch andre aus Byzanz auf venetianiſchen Schiffen
erwarte. Auch warf er in den Briefen an Traverſari und Bruni
mit griechiſchen Brocken um ſich, als wollte er ſagen: Ihr ſeht, das
kann der Filelfo! An Schmeicheleien und Liebesverſicherungen ließ er
es auch nicht fehlen: nach ſeiner Ausſage ſehnte er ſich zum Sterben
er
1) Ambros. Travers. epist. VI, 20.
) Ejusd. epist. VIII, 39. XXIV, 54. 55. 8d. 62. Schon jeine erfie Berufung
war Traverſari's Werk. Vergl. deſſen epist. V, 34. VIII, 3. |
) Franc, Philelfi epist. I, 48.
12*
180 III. Filelfo in Florenz.
nach Florenz, nach dem Kloſter degli Angioli, nach Traverſari und
Niccoli. Indeß verzögerten ſich die Unterhandlungen längere Zeit hin⸗
durch, indem Filelfo auf die privaten Anerbietungen florentiniſcher No⸗
bili nicht eingehen, ſondern durch die Curatoren der Hochſchule gerufen
ſein wollte. Auch hören wir, zu welchen Vorleſungen oder vielmehr
Interpretationen er ſich erbot: es waren täglich vier ordinariſche über
Cicero's Tusculanen, die erſte Decade des Livius, eine rhetoriſche
Schrift Cicero's und die Jliade; extraordinär gedachte er den Teren⸗
tius, die Briefe Cicero's, verbunden mit praktiſchen Uebungen, dann
einige Reden deſſelben und unter den griechiſchen Autoren den Thu⸗
kydides und Xenophon's Politika zu erklären, außerdem über Moral⸗
philoſophie zu leſen.) |
Im April 1429 traf Filelfo in Florenz ein. Er galt damals
für den trefflichſten Griechen und den gewandteſten Dichter des Abend⸗
landes, dazu für einen der eleganteſten Latiniſten. Wo er hinkam,
hatte ihn die Poſaune des Ruhmes ſchon angekündigt, er war der Ab⸗
gott der literariſchen Welt, den Alles mit Verehrung anſtaunte. Auch
in Florenz wurde er für einige Zeit das Tagesgeſpräch. Die Men⸗
ſchen gafften ihn auf der Straße an: er trug noch den griechiſchen
Bart, und die junge Gemahlin, die er mit ſich führte, war eine ge-
borene Byzantinerin. Der reiche Coſimo und Palla Strozzi bezeugten
ihm durch freundſchaftliche Beſuche ihre Huldigung. Auch Bruni, der
Staatscanzler, fühlte ſich damals durch Filelfo's Freundſchaft geehrt;
dieſer hatte ihm einen Brief in griechiſcher Sprache geſchrieben, um
ſeine Befürwortung bei der Profeſſur gebeten und ihm ſeine Ueber⸗
tragung des Dio Caſſius zugeſendet.) Selbſt Niccoli ſchien hochach⸗
tender und zuvorkommender als gewöhnlich. Noch kam in Florenz die
üble Nachrede nicht auf, die dem jungen Gelehrten aus Venedig, wo
er mit den gebildetſten Nobili verkehrt, gefolgt war. Doch wurden
gewiſſe Flecken ſeines Charakters, die ſich dort gezeigt, auch in dem
nenen Domicil bereits im Stillen beſprochen.) |
Filelfo war jung, fühlte die frifchefte und reichte Kraft in ſich,
er glaubte als ein Lieblingsſohn der Götter leichten Schrittes zum
Tempel des ewigen und grenzenloſen Ruhmes emporzuſchreiten. So
) Ambros. Travers. epist. V, 14. XXIV, 27. 29. 30. 32. 35. 36. 40.
2) Leon. Bruni epist. V. 6. rec. Mehus.
) Ambros. Travers. epist. VI, 34. an den Benetianer Leonardo Giuſtiniani.
III. Filelfo in Florenz. 181
nahm er jede Verehrung wie einen ſchuldigen Tribut entgegen; gleich
einem verzogenen Kinde ahnte er nicht, daß alle die dargebrachten Hul⸗
digungen eigentlich mehr auf der Hoffnung beruhten, die man auf ihn
ſetzte, als auf ſeinen ſchon erworbenen Verdienſten. Er ſtolzirte durch
die Straßen wie Einer, der den höchſten Lorbeer ſchon auf dem Haupte
trägt und der mit Verachtung auf die neidiſchen Bekläffer ſeines Ruh⸗
mes herabſieht.) Daß er das Genie ſeiner Zeit ſei, war bei ihm
ſchon früh zur fixen Idee geworden; daher feine kindiſche und ganz
lächerliche Ruhmredigkeit, die ihn auch noch als Greis nicht verlaſſen
hat. Es iſt natürlich, daß er ſich Gegner in Fülle zuzog, es iſt auch
begreiflich, daß die erſte Geringſchätzung, auf die er ſtieß, alle böſen
Geiſter des Argwohns, des Haſſes und der Wuth in ſeiner Seele
weckte.
Ohne Frage war es anfangs nur Wißbegierde, wenn ſich in der
Schule Filelfo's unter den Zuhörern, deren 200 und mehr zu fein
pflegten, auch Niccoli und Carlo d' Arezzo einfanden. Filelfo ſelbſt
aber erſchienen ſie verdächtig, er war überzeugt, daß der Neid ſie trei⸗
ben müffe und daß fie ihm nur einen Fehler oder eine Schwäche ab⸗
lauern wollten. Dem ſchweigſamen Carlo mißtraute er beſonders, von
Niccoli war er noch geneigt anzunehmen, er ſei mehr ein alberner
Schwätzer als ein hinterliſtiger Menſch.) Ganz falſch hat er in der
That nicht geſehen. Der begeiſterte Freudenrauſch, mit dem man ihn
empfangen, konnte nicht andauern, man lernte ihn kennen und die
Meinung über ihn war bald, wie ſie Traverſari einmal ausſprach, er
ſei doch voll griechiſcher Eitelkeit und Leichtfertigkeit, rede von ſich ſelbſt
immer gewaltige Dinge, nnd ſei das Lob auch wahr, fo müſſe es doch
aus feinem Munde mißfallen.) Auch ſchien er mehr auf Lohn und
Geld zu ſehen, als ſich für einen edlen Geiſt ſchicken wollte. Einſt
las er, wie das gewöhnlich war, unter literariſchen Freunden etwas
von ſeinen Compoſitionen vor, in der Erwartung, daß jedem Wort ein
)— — — — — ——— quod solus honore
Inter mille viros meritis et laude vigentes
Augeor. — Francis ei Philelfi Satyrarum Dec. I. hec. 6. Ich be⸗
nutze die Venetiis, 1502. 40. erſchienene Ausgabe der Satiren.
) Filelfo an Aurispa v. 31. Juli 1429 und an Tommaſo von Sarzana vom
1. Octob. 1432. Die Briefe der früheren Zeit find nach dem Datum in allen Aus⸗
gaben leicht zu finden.
) Ambros. Travers. epist. VI, 26 an Leonardo Giuſtiniani.
182 1. Filelfo in Florenz.
enthuſiaſtiſcher Beifall geſpendet werden müſſe. Niccoli aber unterbrach
ihn öfters mit Einwürfen, ja er konnte einige bittere und ſpöttelnde Be⸗
merkungen nicht unterdrücken. Das war das Signal zum wüthendſten
Kampfe. Filelfo beſchwerte ſich, er nannte Niccoli einen Verletzer der
Freundſchaft, einen Ignoranten, einen Undankbaren, letzteres, weil er,
Filelfo, den vorher unbekannten Mann durch ſeine lobenden Briefe in
der Welt berühmt gemacht habe. Er ſchrieb unter andrem Namen
eine giftige Satire gegen ihn!) und hatte die Keckheit, fie mit einer
Dedication an Traverſari zu verſehen, obwohl er wußte, wie befreun⸗
det dieſer mit Niccoli war. Er wollte aber die ſchmutzigen Ver⸗
brechen, deren er Niccoli bezüchtigte, durch den angeſehenen Namen des
Eamaldulenſers gleichſam ſanctioniren, und es ſollte ſcheinen, als habe
dieſer den Impuls zur Läſterſchrift gegeben. Ambrogio proteſtirte da⸗
gegen: die Satire könne nur als Verleumdung und ihr Verfaſſer als
Lügner bezeichnet werden. Trotzdem veröffentlichte Filelfo ſein Mach⸗
werk ſammt der Debication.?) Nun galt ihm auch Traverſari als
entſchiedener Feind. Diefer überſetzte damals des Diogenes von Laerte
Nachrichten von berühmten Philoſophen, Filelfo hatte ihm über ſchwie⸗
rigere Dinge Auskunft gegeben und insbeſondre verſprochen, die Ueber⸗
tragung einiger in das Werk eingefügter Verſe zu übernehmen.) Die⸗
fen Umſtand nun veröffentlichte Filelfo in einer ſpitzigen Satire, in
welcher er Traverſari als einen aufgeblaſenen Menſchen brandmarkte,
der ſich mit fremden Federn ſchmücken wolle; er rieth ihm, die Verſe
felbſt zu überſetzen und könne er das nicht, es entweder zu lernen oder
ſie ganz auszulaſſen oder in Proſa wiederzugeben; am beſten werde er
es überhaupt unterlaſſen, ein profanes Werk zu überſetzen, und ſich lie⸗
ker mit feinem prieſterlichen Amte beſchäftigen, was einer Capuze beffer
zieme als die gelehrte Profeſſion. Auch war es wohl wieder ein Act
überlegter Bosheit, wenn er dieſe Satire an Manetti, den Schüler
Traverſari's, richtete.)
) In Nicolaum Nichilum cognomine Lallum, fie iſt nicht gedruckt. Traver⸗
ſari nennt fie orationem — — omnium, quas unquam legerim, teterrimam, im-
pudentissimam atque acerbissimam. —
: ®) Ambros. Travers. epist. VI, 21. an Franc. Barbaro.
) Sein Brief an Ambrogio vom 30. Mai 1430 bei Carlo de’ Ros mini
Vita di Franc. Filelfo da Tolentino. Milano, 1808. T. I. p. 117, und v. 2. Mai
1483 in den Sammlungen der Briefe Filelfo's und unter den Briefen e
XXIV, 43. Vespas iano Ambrog. Camald. 5 4. |
) Philelfi Satyr. Dec. I. hec. 7.
III. Filelfo in Florenz. 183
Es wurde zu Florenz ein Libell gegen Filelfo verbreitet, als deſſen
Gerfaſſer Poggio, der Freund Niccoli's, nicht leicht zu verkennen war.
Filelfo forderte Rechenſchaft von ihm, ob er »das alberne und unſin⸗
mige Zeug“ geſchrieben. Poggio geſtand es nicht offen zu, aber er
‚wehrte die Vermuthung auch nicht ab: Filelfo möge nicht glauben,
daß er allein die Erlaubniß habe zu ſchimpfen und zu verleumden, daß
niemand im Stande ſei, ſeinen Schmähungen gegen Niccoli zu ant⸗
worten.)
So waren nun vier der angeſehenſten Männer ſchon entfchiebene
Feinde des übermüthigen Tolentiners, obwohl Traverſari wenigſtens in
‚öffentlichen Aeußerungen noch einige Mäßigung behielt und auch feinen
lieben Niccoli nicht von aller Schuld freiſprechen mochte. In den ver⸗
trauten Briefen an dieſen freilich zeigte er ſich mit den Gegnern
Filelfo's durchaus einverſtanden; jo machte er von Venedig aus den
Vorſchlag, als Lehrer des Griechiſchen Georgios Trapezuntios in Sold
zu nehmen und ſo Filelfo zu verdrängen.) Der Einzige, der noch
mit dieſem hielt, war Lionardo Bruni, weil er eben damals mit
Niccoli wegen der Benvenuta geſpannt war. Jene Feinde aber waren
zu Filelfo's Unheil gerade die Günſtlinge der Medici, und Filelfo
meinte alsbald die Rückwirkung auf dieſe zu verſpüren. Weil Coſimo
ihm zurückhaltend, ernſt und wortkarg erſchien, traute er ihm alles
Schlimme zu, obwohl ſein Söhnchen Piero Filelfo's Schüler war.“)
Doch hielt es dieſer noch für möglich, Coſimo den Einflüſſen zu ent⸗
ziehen, die Niccoli, Poggio und Marſuppini auf ihn übten. An
Lorenzo de Medici dagegen glaubte er eine unverhohlene Abneigung zu
bemerken; er ſah bei Seite, wenn Filelfo ihn grüßte.) Noch deut⸗
licher war die Ungunſt, in die unſer Gelehrter bei den Mediceern ge⸗
fallen war, darin zu erkennen, daß durch ihren Einfluß jetzt Carlo
d'Arezzo auf den Lehrſtuhl der Eloquenz gerufen und fo handgreiflich
als ſein Nebenbuhler aufgeſtellt wurde. Wirklich gelang es Marſuppini,
feine Schule mit dem gläaͤnzendſten Erfolge zu eröffnen und Filelfo's
) Der Brief Poggio's an Filelfo in ſ. Opp. p. 187, anch in Poggii Epistt.
LVII. epist. 29.
2) Ambros. Travers. epist. VIII, 46.
) Filelfo an den Cardinal von n Bologna (Albergati) v. 22. aa: 1432.
ef. Satyr. Dec. II. hec. 1.
) Filelfo an Traverſari v. 2 Mai 1433 a. a. O., an Piero de Medici vom
7. Mai 1433 bei Ros mini l. c. p. 118.
—
18⁴ f III. Filelfo in Florenz.
bittern Neid zu erregen, da die gelehrteſten Männer von Florenz
und von der apoſtoliſchen Curie fih nun vor feiner Katheder ein⸗
fanden, Nepoten des Papſtes und einiger Cardinäle.) Auch war ein
Anſchlag gemacht worden, Filelfo durch Verminderung ſeines feſten
Soldes zum freiwilligen Abzug zu bewegen.) Mit viel Geſchick wurde
die finanzielle Frage mitangeregt, es wurden Bedenken erhoben, ob
Filelfo's Wirkſamkeit feinem hohen Salar entſpreche. Morſuppini
verlangte nur den dritten Theil deſſelben und erbot ſich zu denſelben
Vorleſungen.) Man wollte, wie es ſcheint, das öffentliche Aufſehen
vermeiden. Aber Filelfo ſelbſt wurde durch alle dieſe kleinen Reizun⸗
gen wie toll und blind. Er nahm den Mund voller als je, wenn er
von ſeinem eigenen Ruhme ſprach, wurde immer giftiger gegen Niccoli
und Carlo d' Arezzo, die er in Briefen und Satiren immer ſchaamloſer
und verletzender höhnte.) Nun miſchte er ſich auch in das Partei⸗
weſen der Republik, griff in ſeinen Satiren die Volkspartei und die
Mediceer an, insbeſondre Coſimo, den er keck verwarnte, auf ſei⸗
nen Reichthum nicht zu viel zu bauen und an Kröſus' Schickſal zu
denken.)
Als Filelfo eines Morgens nach dem Gebäude der Hochſchule ging,
ſprang ein Meuchelmörder, in die Tracht eines florentinifchen Kauf
mannes vermummt, mit dem Schwert auf ihn los, wurde indeß von
dem Angegriffenen durch einen ſtarken Stoß auf die Bruſt abgewehrt
und entkam. Wer er war, blieb nicht unbekannt: er hieß Filippo,
ſtammte aus Caſale am Po und war ein notoriſcher Bandit. Auch
wußte man, wer ihn gedungen: ein gewiſſer Girolamo Broccardo aus
Imola. Aber wer hatte dieſen angeſtiftet? Filelfo war überzeugt, daß
die Medici darum gewußt, er behauptete, jener Broccardo ſtehe mit
Lorenzo de' Medici, Marſuppini und Niccoli in Verbindung. Er
kannte ſeitdem keine Schranken ſeines Haſſes mehr.) Der Vorfall
) Vespasi ano: Carlo d' Arezzo $ 1. Franc. Filelfo 5 2. Poggio Fioren-
tino $ 3.
) Filelfo an Coſimo d' Medici v. 1. Mai 1433.
) Philelfi Satyr. Dec. I. hec. 6.
*) Mehus Vita Ambr. Travers. p. 61. gedenkt außer den gedruckten Satiren
zweier ungedruckter, die Filelfo gegen Niccoli richtete.
) Satyr. Dec. I. hec. 3.
) Sein Brief an Aeneas Sylvius v. 28. März 1439, Poggius Invectivs
III in Philelphum (Opp. p. 181) nimmt als ausgemacht an, daß Broccardo, weil
ihn ſelbſt Filelfo vielfach gekränkt, den Bravo gedungen.
IM. Filelfo und die Florentiner. 185
aber wurde vergeſſen, als im September 1433 eine Staatsrevolution
alle Aufmerkſamkeit auf ſich zog. Die Nobili ſetzten ſich durch einen
geſchickten Handſtreich in den Beſitz der Gewalt, Coſimo de' Medici
mußte als ein Gefangener ſein Schickſal erwarten. Nun brach Filelfo
in vollen Jubel aus, ſein prophetiſches Wort ſchien eingetroffen und
der Tag der Rache gekommen. In einer Satire, die er an das Haupt
der ſiegenden Partei, an Palla degli Strozzi richtete, ſchalt er dieſen
der mattherzigen Milde wegen, die ſich mit der Verbannung des ge⸗
ſtürzten Demagogen begnügen wollte, er forderte den Tod.)
Coſimo ging damals nach Venedig ins Exil. Seine literariſchen
Freunde blieben auch bei den Strozzi und Albizzi in Anſehen, mußten
ſich aber freilich gefallen laſſen, daß der triumphirende Filelfo jetzt ſei⸗
nen ganzen Uebermuth an ihnen ausließ und beſonders Marſuppini
und Niccoli unaufhörlich geißelte und nun auch Poggio, der ſich des
alten ſchwergekränkten Niccoli in dieſer Zeit der Noth annahm. Die
Vergeltung blieb doch nicht aus. Bekanntlich wurde Coſimo nach Ab⸗
lauf kaum eines Jahres durch die gebieteriſche Stimme des Volkes
zurückgerufen. Seine Feinde machten ſich davon, ſobald er ſich der
Stadt näherte, unter ihnen Filelfo. Wäre ich geblieben, ſagte er, ſo
wäre es um die Muſen und um Filelfo geſchehen geweſen. Siena
hatte ihn an ſeine Hochſchule berufen.) Jetzt vergalt ihm Poggio
reichlich die Beleidigungen und Läſterungen, die Filelfo über die floren⸗
tiniſchen Freunde ausgeſchüttet. Gegen ſein Talent zu ſchmähen kam
Filelfo nicht auf, zumal da Poggio ſich in ſeinen Invectiven der Proſa
bediente und die Terminologie des Schmutzes erſchöpfte, während Fi⸗
lelfo bei den zierlichen Verſen der Satire blieb, die an ſich der Roh⸗
heit des Ausdrucks eine gewiſſe Schranke ſetzte.
Wir kommen wohl noch mehrmals auf dieſe Literatur der Invec⸗
tiven zurück und gedenken im Ganzen den Leſer, der ſich eine Anſchauung
) Quid facis, o Palla? quo te clementia cursu
Praecipiti culpanda trahit? pater optime, Mundo (i. e. Cosmo, Cosimo)
Ignovisse paras? nescis portenta latronis,
Immani quae mente latent? — — lam desine, Palla,
Deeretam prohibere necem etc.
Satyr. Dec. III. hec. 1.
) Vergl. ſ. Brief aus Siena an Leonardo Giufimiani v. 31. Jan. 1435.
Satyr. Dec. IV. hec. 9: — — — ibimus et nos
Hinc propere: nee enim nostras fore duco quietas
Pieridas sicas inter virusque dolosum.
*
186 Hl. Filelſo und die Florentiner.
von ihr erwerben will, auf die Werke ſelber zu verweiſen. Nur die
Maßloſigkeit der Beſchuldigungen, die ſchwerlich zu einer andern Zeit
ihresgleichen gehabt hat, wünſchten wir gleich hier zu betonen. Es
giebt ſchlechterdings keine Rückſicht, die der Feder eines Poggio — und
ſeine Gegner Filelfo und Valla thaten es ihm ziemlich gleich — ſcho⸗
nendes Schweigen geboten hätte. Vater, Mutter und Gattin werden
in den Kreis der Schmähung und Verleumdung mitgezogen. Die Sitt⸗
lichkeit des Angegriffenen wird durch die unglaublichſten Vorwürfe und
Verdächtigungen geſchändet und die Anführung ſpecieller Fälle und
Namen muß ihnen Leben und Wahrſcheinlichkeit geben. Filelfo ſoll
von einem halbverhungerten Weibe im Ehebruch mit einem Prieſter
erzeugt ſein. Er ſoll zu Padua, wo er Gasparino's Schüler geweſen,
mit Knütteln aus der Stadt gejagt ſein, weil er einem Jüngling mit
unkeuſcher Begierde nachgeſtellt. Er ſoll in Konſtantinopel die Tochter
des Joannes Chryſoloras, der ihn gaſtfreundlich aufgenommen, erſt
entehrt und fe zur Heirath gezwungen, feinen Schwiegervater Bücher
und andre Dinge geſtohlen haben. Er ſoll in Venedig den Leonardo
Giuſtiniani um dargeliehenes Geld betrogen haben und dafür zu Flo⸗
renz eingekerkert ſein. Er ſoll zu Florenz, in Bruni's Bibliothek allein
gelaſſen, einige Kleinodien entwendet haben, die der Gattin deſſelben
gehörten. Poggio weiß von einem florentiniſchen Jüngling zu erzählen,
mit dem Filelfo das ſchändlichſte Spiel getrieben, und er fügt hinzu:
„Lüge ich etwa? Erfinde ich etwas? Füge ich der Wahrheit etwas
hinzu? Nein, der Jüngling lebt und bekennt die Sache. Es find Zeu⸗
gen da, welche ſie gehört, deren Namen auch wider ihren Willen zu
veiner ewigen Schmach ausgeſprochen werden könnten.)
) Zu andern Proben mag die lateiniſche Sprache herhalten. Mater (Philelphi)
Arimini dudum in purgandis ventribus et intestinis sorde diluendis quaestum
fecit. Haesit naribus filii sagacis materni exercitii attrectata putredo et con-
tinui stercoris foetens habitus. — Puerorum atque adolescentum amores ne-
fandissimos sectaris, non mulierum. — Tu discipulorum tuorum maritus eandem
artem calles, quam ab ineunte aetate exercuisti. Tu inguam adolescentes non
ad scholam doctrinae, sed ad libidinum diversorium studiorum ostentatione at-
trahere consuevisti, quos non solum tuae libidini effrenatae subdis, sed etiam
aliis prostituere solitus es ad ampliorem mercedem salarii consequendam. —
Pusionem, quem amabas hac in urbe, inter te et uxorem in eodam lecto sae-
pius collocasti ete. — Die Imvectiven Poggio's gegen Filelſo in der Ausgabe
der Werke des erſteren Basileae, 1538. p. 164 sg. Vergl. die Briefe Poggio's im
Spicileg. Roman. T. IX. p. 628 8.
II. Filelſo und die Florentiner. 187
Die Wuth der literariſchen Kämpen wollte auch dann nicht nach⸗
laſſen, als Florenz und Filelfo völlig geſchieden waren. Und es blieb
nicht lediglich beim Federkriege, wenn wir auch zugeſtehen wollen, daß
Filelfo's erhitzte Phantaſie die gegen ihn gerichteten Verfolgungen über⸗
trieben haben mag. Es fanden ſich zu Siena viele der aus Florenz
vertriebenen Nobili zuſammen, die politiſchen Feinde der Medici mach⸗
ten mit den literariſchen gemeinſchaftliche Sache. In einer Rede voll
Feuer und Gift rief Filelfo die verbannten Florentiner zu einem be⸗
waffneten Angriff auf die Stadt und den Herzog von Mailand zur
Hülfe auf. Wir leſen dieſe Rede in einer Abſchrift, die ſich Rinaldo
degli Albizzt, das Haupt der Faction, mit eigener Hand genommen.)
Zugleich ſpie Filelfo unaufhörlich in Satiren gegen Cofimo, Marſup⸗
pini, Niccoli und Poggio feine Galle aus. Er wurde kvaft eines gegen
Rebellen gerichteten Geſetzes förmlich aus Florenz verbannt.) Bei
einer ſolchen Erbitterung der Gemüther will es uns ganz glaubhaft
erſcheinen, wenn wir noch einmal von Gift und Dolch hören. Etwa
zehn Monate ſeit Filelfo's Flucht aus Florenz ließ ſich in Siena wie⸗
der jener Filippo, der Bravo, ſehen, der in verdächtiger Weiſe Erkun⸗
digungen über die Lebensweiſe des jungen Profeſſors einzog. Er wurde
ergriffen, torquirt und durch Abhauen der Hand beſtraft, geſtand auch
ſeine Abſicht, Filelfo zu ermorden, aber die letzten Knüpfpuncte des
Fadens blieben in ein undurchdringliches Geheimniß gehüllt. Filelfo
ſchuldigte ganz offen die Medici und ſeine florentiniſchen Rivalen an,
er behauptet auch, daß man ihm, wie früher in Florenz, ſo jetzt in
Siena mit Gift nach dem Leben geſtellt.)
Daß Coſimo um ſolche Anſchläge gewußt haben ſollte, vermögen
wir nicht zu glauben. Er ſtand zu hoch über dem Literatengezänke,
er ſah nur auf das Talent und auf ſeine Fähigkeit, den Staat zu ver⸗
herrlichen. Im September 1437, als Niccoli, Filelfo's Hauptgegner,
) Dieſes auf der Ambroſiana befindlichen Exemplars v. 15. Novemb. 1437 ge⸗
denkt Ros mini l. c. T. I. p. 97 nimmt aber, immer ſehr ſchaamhaft, wegen der
molte orribili oscenità Anſtand, Mittheilungen aus der Rede zu machen. Den
Hauptinhalt wiederholt Filelfo auch Satyr. Dec. V. hec. 8.
) Vespasiano im Spicil. Roman. T. I. p. 551. 573. 637. Tiraboschi
T. VI p. 1511. Filelfo ſelbſt ſpricht im Briefe an Coſimo v. 4. Juli 1440 von einer
publica proscriptio.
) Sein Brief an Aeneas Syloius vom 28. März 1439. Satyr. Dec. V.
hec. 6. 10.
188 III. Filelfo und die Florentiner. Trapezuntios.
nicht mehr unter den Lebenden war, ließ der Mediceer ſogar durch
Traverſari neue Verhandlungen mit Filelfo anknüpfen und lud ihn zur
Rückkehr ein. Hätte er dabei Arges im Sinne gehabt, wie Filelfo
meinte, ſo hätte er ſich ſchwerlich gerade des Camaldulenfergenerals
zur Vermittelung bedient. Aber des Verbannten Antwort war entſchie⸗
den und ſtolz: „Coſimo braucht Dolch und Gift gegen mich, ich meinen
Geiſt und meine Feder gegen ihn.“ — „Ich will nicht Coſimo's Freund-
ſchaft und verachte feine Feindſchaft. ")
Nach ein paar Jahren hatte ſich die Wuth des Dichters ſchon ſo
weit gekühlt, daß er ſelbſt dem vielgeſchmähten Coſimo die Hand zur
Verſöhnung bot, freilich im hochmuͤthigſten Tone; denn er ſtellte ſich
mit ihm auf eine Stufe und prahlte, der Mediceer werde durch ſeine
Rückberufung unſterblichen Ruhm erlangen, das Volk von Florenz aber
werde nach der Verſöhnung der beiden Feinde für ewig in Glückſelig⸗
keit leben.) Wirklich ſollte damals durch einen Beſchluß der Signoria
Filelfo's Verbannung wiederrufen werden, aber der Herzog von Mai⸗
land, der ſeinen Hofdichter nicht verlieren wollte, hintertrieb die Sache.“)
Indeß finden wir in ſpäteren Jahren Filelfo mit den Medici völlig
ausgeſöhnt und in freundſchaftlicher Verbindung. |
Wir ſchließen die Reihe von Gelehrten, die ſich als Trabanten
um die mediceiſche Sonne bewegten, mit den beiden Griechen, die zu
Vorleſungen an die Hochſchule berufen wurden. Zur Zeit des Unions⸗
concils lehrte hier Georgios Trapezuntios — denn ſo pflegte er
ſich- mit einem Geſchlechtsnamen zu nennen, obwohl Kreta ſein eigent⸗
liches Vaterland war — unter großem Zulaufe griechiſche Grammatik
und z lateiniſche Rhetorik, Logik und Dialektik. Außer den öffentlichen
Vorträgen hielt er mit ſeinen Scholaren private Uebungen. Doch ge⸗
hörte er zu denen, die von der Republik eben berufen und beſoldet
wurden, ohne ſich bei ihren Häuptern einer weiteren perſönlichen Gunſt
zu erfreuen.)
Die Wirkſamkeit des Joannes Argyropulos beginnt freilich
) Seine Briefe an Ambrogio Traverſari v. 1. Octob. und 9. Decemb. 1487
in den Sammlungen der eee Briefe, auch unter denen Traverſari's. XXIV,
44. 45.
) Sein Brief an Coſimo v. 4. Juli 1440. Satyr. Dec. VII. hec. 7. 8.
) Filelfo's Brief an Lorenzo de' Medici v. 20. Mai 1478 bei Ros coe the
life of Lorenzo de’ Medici Append. n. XXIX.
) Vespasi ano: Giorgio Trabisonda 8 1.
IT. Argyropulos in Florenz. 189
erſt in der Zeit, die hier beleuchtet werben ſoll, reicht aber, da er ſehr
alt wurde, deſto weiter in die Zukunft hinaus. Er erklärte dem ver⸗
bannten Palla degli Strozzi die Schriften des Ariſtoteles, wurde 1456
von Coſimo nach Florenz berufen und lehrte hier, nach zehn Jahren
mit dem Bürgerrecht beſchenkt, die peripatetiſche Philoſophie. An Feſt⸗
tagen zog er, von feinen beiten Schülern umringt, nach dem mediceiſchen
Balafte, um vor dem alten Coſimo, den damals ſchon die Gicht an
das Zimmer feſſelte, über die Unſterblichkeit der Seele und andre Ma⸗
terien der Philoſophie und Theologie zu disputiren. Piero, Coſimo's
Sohn, und der große Lorenzo, ſein Enkel, Donato Acciajoli, ſpäter in
Rom Agnolo Poliziano und Johann Reuchlin waren des Argyropulos
Schüler. Er war ohne Zweifel der talentvollſte unter den Griechen, die
ſich nach Italien überſiedelt, aber ein echter Byzantiner: launiſch, prah⸗
leriſch, unzuverläſſig, unverträglich, außerdem als Freſſer berüchtigt.
Biſſig und anmaßend wie die meiſten ſeiner Landsleute, erklärte er ein⸗
mal, nur um die Italiener zu ärgern, Cicero ſei in der griechiſchen
Sprache wie in der Philoſophie völlig unwiſſend geweſen. Nur in
einem Punct erkannte er ſehr bereitwillig die Ueberlegenheit der Latei⸗
ner an, im Glauben; denn wiederum wie die meiſten ſeiner Landsleute
ſchwor er nicht nur ſeine griechiſchen Ketzereien ab, ſondern bewies auch
durch eine beſondre Streitſchrift das Ausgehen des heiligen Geiſtes
vom Vater und vom Sohne.)
So iſt Florenz auch die erneute Heimath der helleniſchen Literatur
geworden und ſo konnte am Schluſſe des fünfzehnten Jahrhunderts
Agnolo Poliziano den florentiniſchen Bürgern zurufen: „Ihr ſeid es,
Männer von Florenz, in deren Staat alle griechiſche Bildung, die in
Griechenland ſelbſt längſt erloſchen war, ſo ſehr wieder auflebte und
aufblühte, daß ſchon Männer aus eurer Mitte öffentlich die griechiſche
Literatur lehren und daß Knaben aus eurem beſten Adel, was ſeit
tauſend Jahren in Italien nimmer geſchehen, ſo rein und leicht die
attiſche Sprache reden, daß Athen nicht zerſtört und von den Barbaren
eingenommen, ſondern freiwillig, von ſeinem Boden losgeriſſen und mit
allen ſeinen Bildungsmitteln nach Florenz hinübergewandert und in
Florenz völlig aufgegangen ſcheint.“
Wir werfen nur einen flüchtigen Blick auf die bildende Kunſt, die
) Vespasiano: Cosimo de’ Medici $ 26. Mehus vita Ambr. Travers.
p. 220. Hodi us de Graecis illustr.. Lib. I. cp. 1. Tiraboschi T. VI p. 511.
190 III. Alberti.
der freigebigen Unterſtützung mehr noch bedarf als die Wiſſenſchaft
und bekanntlich unter dem mebiceifchen Fittig jenen erhabenen Flug
nahm, den wir heute noch bewundernd anftaunen. Ihre neuere Ge
ſchichte beginnt in Florenz, in der Wiege des wiedergeborenen Alter⸗
thums. | i
Als Vermittler gleichſam zwiſchen Literatur und Kunſt ſteht det
wunderliche Leo⸗Battiſta degli Alberti da. Nur Florenz konnte
einen Menſchen erzeugen und heranbilden, der aus fo mannigfachen uns
bunten Elementen zuſammengeſetzt war. Züge, die man unter hundert
der verſchiedenſten und eigenthümlichſten Männer der Republik zerſtrent
beobachten mochte, ſchien er alle in ſeiner Perſon zu vereinigen, er war
Florentiner durch und durch. Schon in jungen Jahren zeigten ſich
ſeine vielſeitigen Talente. Wenn er ſich mit Andern in den Künſten
des Balles und der Schleuder, im Laufen, im Erſteigen ſteiler Höhen,
im Ringen und Springen übte, konnte keiner der Genoſſen es ihm
gleich thun. Er machte die erſtaunlichſten Jongleurſtückchen. Er führte
die Waffen wie der geſchickteſte Fechtmeiſter, er war der Gewandteſte
in allen Reiterkünſten, man ſah die wildeſten Pferde unter ſeinen Schen⸗
keln alsbald heftig zittern. Er bildete in Thon und Wachs, er malte,
er muſicirte, Alles ohne je einen Lehrer gehabt zu haben. Er ftubirte
die Werke der tusciſchen und der lateiniſchen Literatur. Zu Allem
fand er Zeit und Mittel, aber nichts konnte ihn auf die Länge beſchäf⸗
tigen. Bald war er in ſeinem entzückten Eifer vom Buche nicht loszu⸗
reißen, bald war ihm das Studium fo widerlich und das Loben fo
lockend, daß die Buchſtaben ihm wie häßliche Scorpionen ausſahen.
Dieſelbe Vielſeitigkeit und Unſtätigkeit blieb auch ſeinem reiferen
Lebensalter eigen. Einige Jahre lang ſtudirte er die Rechte, vielleicht
gedrängt durch Verwandte und durch die Nothwendigkeit, an eine Ver⸗
beſſerung ſeiner dürftigen Lage zu denken. Aber er blieb nicht dabei
und ſcheint auch während des Studiums immer noch jeder Laune ge⸗
huldigt zu haben, die ihn überkam. So ſchrieb er, etwa zwanzig Jahre
alt, eine lateiniſche Comödie (fabulam Philodoxeos), die er Scherzes
halber unter dem Namen eines antiken Verfaſſers Lepidus verbreitete.
Etwa im vierundzwanzigſten Jahre begann er ſich vorzugsweiſe auf
Mathematik und Phyſik zu legen. Doch wiederum verfaßte er inzwi⸗
ſchen allerlei kleine Abhandlungen philoſophiſchen Inhalts und in latei⸗
niſcher Sprache, ferner Reden, Elegien, Eclogen, Liebesgeſchichten und
Liebesgedichte, Hexameter und Sonette, heitre und frivole Tiſchreden
III. Alberti. 191
fintercoenales), bald in etruriſcher, bald in lateiniſcher Sprache. In
keiner von beiden hat er es weit gebracht; denn auch das tussciſche
Hlom mußte er erſt mühſam lernen, da die Familie der Alberti lange
außerhalb Italiens in der Verbannung gelebt, immer ließ er feine
italieniſchen Erzeugniſſe erſt von Freunden corrigiren.) Höher als
jene Schriften, die verloren oder in verſchiedenen Bibliotheken zerſtrent
find, werden feine Werke über Baukunſt, über Malerei und Statnen
geſchätzt, und was er als Geograph, Geometer, Optiker und praktiſcher
Baumeiſter geleiſtet. Die künſtleriſche Anlage war durchaus überwie⸗
gend. Für Alles, was ſchöne Formen, Eleganz oder Würde zeigte,
hatte er den lebhafteſten Sinn, für wohlgeſtaltete Menſchen und Thiere,
für fchöne Blumen und Gegenden. Auch ftrebte er ſelbſt darnach, ſich
edel und grazids darzuſtellen, zumal im Gehen und Reiten. Bei der
Fülle des Dranges zerſplitterte er ſeine Talente und Studien in aller⸗
lei Kleinigkeiten. Wenn er einem Schreiber dictirte, malte er dabei
fein Geſicht oder formte irgend ein Werkchen aus Wachs. Seine
höchſte Luft war, Freunde durch feine optiſchen Kunſtſtückchen zu über-
raſchen; er nannte das „Borftellungen«, wenn er zum Beiſpiel vermit-
tels künſtlicher Gläſer kleine landſchaftliche Bilder vergrößert, in tiefſter
Perſpective und in erſtannlicher Naturwahrheit ſehen ließ.
Sein Leben in Florenz war das eines Mannes, den Künſtlerlau⸗
nen mitumter ſchwierig machen. Bald ſah man ihn allein, ſchweigſam
und trübe durch die Straßen ſchleichen, und dann war er wieder höchſt
liebenswürdig im Geſpräch, voll Laune und Witz. Bald war er reiz⸗
bar und leicht gekränkt, bald tröftete er ſich, wurden feine Werke ein⸗
mal getadelt, lachend damit, daß keiner es beſſer mache, als er könne.
Mit den Humaniſten, zumal mit Bruni und Poggio, mit dem ſtädti⸗
ſchen Notar Leonardo Dati und mit den Medici ſtand er friedlich und
freundſchaftlich, von Carlo Marſuppini dagegen glaubte er ſich nichts
Gutes verſehen zu dürfen.) Wäre es ihm gegeben worden, einen be⸗
ſtimmten Weg zu betreten und zu verfolgen, fein Name gehörte viel⸗
leicht zu den größeſten des Jahrhunderts.“)
) ef. Leonardi Dathi epist. 13. recens. Mehus. Florentiae, 1743.
) Leon. Bruni epist. IX, 10. Poggii epist. 22. im Spicileg. Roman.
T. X. Facius de vir. illustr. p. 13.
) Vita Leonis Bapt. Alberti ap. Muratori Scriptt. T. XXV p. 295 8.
Leider iſt dieſe Biographie, die ſich auch bei Vaſari findet, ſo verwirrt und unvoll⸗
ſtändig wie das Leben des Mannes ſelbſt. v. Corniani i secoli della Letter.
Ital. T. I. p. 166. |
192 III. Florenz und die antike Kunſt.
Was die florentiniſche Kunſt betrifft, ſo weiß der Leſer, wo er
ſich guten Rathes erholen kann. Nur wenige Worte mögen hier auf
ihren Zuſammenhang mit dem literariſchen Treiben der Republik hin⸗
deuten. Es iſt bekannt, welche Bewunderung die dritte Thüre der
Taufcapelle von San Giovanni zu allen Zeiten gefunden hat, ſie iſt
es, die Michelangelo für ſchön genug erklärte, um an den Pforten des
Paradiſes zu ſtehen. Iſt es Zufall, daß die bildneriſche Phantaſie
des Lorenzo Ghiberti zu dieſem Zwecke in Verbindung trat mit dem
theoretiſchen Gutachten eines Lionardo d' Arezzo, daß Männer wie Nic⸗
coli und Traverfari ihr Wort über den Entwurf mitredeten?) Wir
dürfen ferner nur Brunelleschi's Namen nennen, um die Wiedergeburt
der griechiſchen Architektonik, nur den Donatello's, um die Wiederher⸗
ſtellung der Bildhauerkunſt nach dem Muſter der Antike zu bezeichnen.
Donatello war es, der von den florentiniſchen Freunden über den
Schönheitswerth antiker Statuen zuerſt befragt wurde, der zuerſt ſei⸗
nem hohen Gönner Coſimo den Gedanken eingab, die Werke der alten
Meiſter anzukaufen und vom Untergange zu retten. Trotz glänzenden
Anerbietungen wollte er fein Florenz nicht verlaffen, um hier bei den
kritiſchen Kennern des Alterthums ſtets Belehrung und neuen Muth
ſchöpfen zu können, und dankbar, wenn auch nicht ſehr treffend, nannte
die Republik dieſen Meiſter des Marmors ihren Zenxis.
Was brachte denn, fragen wir uns, gerade in Florenz das litera⸗
riſche und künſtleriſche Treiben in ſo regen Fluß, warum blühte hier
das Alterthum früher und voller wieder auf als irgendwo ſonſt, wodurch
wurde die Arno⸗Stadt die Metropole der modernen Bildung? Wir
haben auf die Verdienſte des florentiniſchen Adels, auf den hohen Mä⸗
cenat des mediceiſchen Hauſes bereits hingewieſen. Damit iſt der
Grund jener Erſcheinung nicht erſchöpft. Die reiche Protection allein
wird den Wiſſenſchaften und Künſten ſelten mehr als ein Scheinleben
geben können, weil das Auswirken des Geiſtes und das Durchdringen
der Maſſe durch ein höheres Element Dinge ſind, die ſich nicht erkün⸗
ſteln oder durch Macht und Geld erzwingen laſſen. Die natürliche
Begabung des tusciſchen Volksſtammes wollen wir nicht leugnen, aber
als etwas Unbeweisbares hier auch nicht betonen. Florenz war, glau⸗
ben wir, in der That und ohne Zwang eine Republik, die mit den
1) Ambros. Travers. epist. VIII, 9. Cicognara Storia della Scultura
Lib. IV. cap. 4. |
0
III. Die Hochſchule zu Florenz. 193
antiken Freiſtaaten eine entſchiedene Aehnlichkeit zeigte und darum wie
aus Sympathie dem neubelebten Alterthum eine Freiſtätte, ja eine Hei-
math darbot. Ein gewiſſer Drang der einzelnen und beſten Bürger,
ihr Thun und ihre Leiſtungen für den Staat, zunächſt für die Stadt
nützlich und ruhmvoll zu machen, der freudige Rückblick auf Alles, was
die tusciſche Städtekönigin jemals Hohes und Herrliches hervorge⸗
bracht, der Wunſch, daß einſt die kommenden Geſchlechter nicht minder
ſtolz auf die Jetztlebenden zurückblicken möchten, als dieſe auf ihre
Ahnen ſeit Dante s Zeit, kurz ein öffentlicher patriotiſcher Sinn war
die Eigenheit des florentiniſchen Bürgers, die ſich ſtärker und leuch⸗
tender im Adel, und im Hauſe Medici wie in einem e
darſtellte.
Für lirchliche und ſcholaſtiſche Bildung war im neuen Athen kein
Raum mehr. Die Hochſchule war glänzend ausgeſtattet, gleich als
zieme ſich das einmal für die glänzende Republik; der Ruhm Piſa's
erblaßte immer tiefer vor der neueren Schöpfung. Im Jahre 1383,
während Salutato die Staatscancelei lenkte, wurde beſchloſſen, den be⸗
rühmten Baldus nach Florenz zu rufen und zwar, wie es hieß, zur
Ehre Tusciens, damit Tuscier nicht in andre Länder gehen dürften,
um die Rechte zu ſtudiren.) Baldus freilich war der letzte unter den
großen Juriſten der alten Schule, ſeit ſeinem Tode (am 28. April
1400) gab es in der Rechtsgelehrſamkeit nur noch ein kümmerliches
Epigonengeſchlecht. Männer wie Salutato, Bruni, Niccoli, Traverſari,
Poggio oder Filelfo machten in Florenz ungleich mehr von ſich reden
als die geſammte Hochſchule, obwohl dieſe um die Mitte des 15. Jahr⸗
hunderts über vierzig Lehrſtühle zählte.) Ihre Lichter, Männer wie
der Arzt Paolo Toscanelli und der Juriſt Antonio de' Mincucci,
lamen nicht auf gegen die ſtrahlenden Sterne des Humanismus.
Wenig beachtet lebte in der Stadt der Schöngeiſter ein Mann,
der fpäter um feines ſtillen Chriſtenthumes willen zu den Heiligen der
Kicche geſellt wurde, der ehrwürdige Erzbiſchof Antoninus. Während
der Adel in Gaſtmählern und Prunkreden ſchwelgte, gab es in ſeinem
Hanfe nur Gefäße von Glas oder Thon, und er predigte dem armen
Volke. Während das Heidenthum ſich bereits anſchickte, durch .
1) Salutato's Brief an die Peruſiner v. 19. Juli 1383 in Rigacci's Samm-
lung P. II. epist. 18.
) Bandini Speeimen literar. Florent. T. I. Florentiae, 1748. p. 180.
Voigt, Humanismus, . 13
4
{94 III. Florenz und fein heiliger Erzöiſchof.
geniale Frivolität die Fundamente des Glaubens aus den Gemüthern
zu tilgen, war er nur bedacht, die Seelen zum Himmel zu führen.
Wir haben geſehen, wie Stolz, Neid und Wuth in ven literaoriſchen
Kreiſen heimiſch waren. Antoninus trat als evangeliſcher Friedensſtifter
unter die politiſchen Parteien. Cofimo ſoll geſagt haben, die Republil
hütte durch Krieg, Peſt und Hunger, beſonders aber durch vie ſteten
Verſchwörungen der Bürger gegen einander zu Grunde gehen müſſen,
wenn nicht der Erzbiſchof durch feine Gebete und durch fein Anſehen
vor Gott Sie erhalten hätte. Man meinte von ihm, er kenne keine Lei⸗
denſchaften und keinen andern Eifer als zu predigen und Beichte zu
hören. Er war ein gelehrter Theologe und hat Werke von großem
Umfange und einer ausgedehnten encyklopädiſchen Gelehrſamkeit hinter.
laſſen, aber was er ſchrieb, war ſo einfach und ſchmucklos wie ſein
Leben, die Herren vom eleganten Stil nahmen keine Notiz davon. Nl
er am 2. Mai 1459 geftorben war, beſtand feine ganze Berlaftenfchaft
in wenigem Hausgeräthe und in dem Mauleſel, auf dem er zu reiten
pflegte. Papſt Pins II, der gerade damals in Florenz war, verzeichnete
eine kurze Schilderung des würdigen Prälaten in feine Commentarien,)
aber fie ſagt in wenigen Zügen mehr als die langen Lobreden, die feine
Ordensbrüder, die Dominicaner, nachher in die heiligen Acten geſchrie⸗
ben haben. Es bedurfte nicht erſt der Wunder und der weihenden
Zeit, die hier vergeſſen macht und dort erfindet, um das Andenken des
frommen Mannes zu heiligen. Die Medici hatten ihn ſtets verehrt.
Der arme und einfache Mann, der Alles den Armen gegeben, wurde
auf öffentliche Koſten ſtattlich beerdigt. Nicht ein Niccoli in ſeinem
Büchermuſenm, nicht der ſtolze Heide Marſuppini war mehr der
Sonderling in Florenz, viel eher war es der heilige Antoninus. Die
Univerfität und der Erzbiſchof, die Kirche überhaupt ſtanden dem
öffentlichen Leben bereits ferner als die Erforſcher des Alterthewes, die
dach zu andern Zeiten des Rufes genoſſen haben, als nachtwandelten
fie nur unter den Mitlebenden und lebten unter ihren großen Todten.
Die Humaniſten fühlten ſich meiſt als Weltbürger, inſefern fie
darin einſtimmig waren, daß ihr Zeitalter ein ſehr elendes und ver⸗
rottetes ſei, wenn man es mit der Blüthezeit des alten Athen und Nom
vergleiche. Auch waren ſie überall heimiſch, wo es ihnen wohl erging.
Nur die beiden großen Republiken machen hier eine Ausnahme, Venedig
y Pii Il. Comment. Praneofurti, 1614. p. 50. Aota 88. Maji T. I.
III. Florenz und feine literariſchen Ahnen. 106
mit dem ausſchließenden Bürgerfinn feiner Patricier und Florenz, wo
der Ruhm und die Verherrlichung des Staates in Vergangenheit und
Zukunft die Idole waren. a
Dante, Petrarca und Boccaccio waren im Ganzen zu Namen ge⸗
worden, auf welche die eitlen Ciceronianer mit einer gewiſſen Gering⸗
ſchätzung herabſahen. Schon Petrarca verhehlte es kaum, daß er ſich
über Dante erhaben fühle: fein Volgare war ein unverzeihlicher Fehler
und ſein Latein ein barbariſches. Er wurde außerhalb Florenz wenig
gekannt und geleſen; ſchon Boccaccio erlaubte ſich nicht, bei dem Könige
Hugo von Cypern, dem er feine Mythologie widmete, die Kenntnlß
des Namens Dante vorauszuſetzen.) Salutato, auf dem ceftniger
Concil der Biſchof Giovanni da Seravalle und nach ihm ein gewiſſer
Matteo Ronto ſuchten den Fehler gut zu machen, indem fie die gött-
liche Comödie in lateiniſche Hexameter übertrugen.) Dann erlaubte
ſich der Aſtronom Cecco da Ascoli feine Ausfälle gegen Dante, er
ſcheint ihn verſchiedener Unrichtigkeiten in der Naturphiloſophie geziehen
zu haben. Den Niccoli, der Alles bekrittelte, läßt Lionardo d' Arezze
in einem ſeiner Dialoge offen erklären, er begreife nicht, wie man
Dante, der ein ſo ſchlechtes Latein geſchrieben, zu den Dichtern und
Gelehrten zählen oder ihn gar dem Virgil vorziehen könne, man mäffe
ihn den Gürtlern, Bäckern und ähnlichem Volk überlaſſen, für welches
er geſchrieben zu haben ſcheine.) Petrarca, meinte der Eine, ſei gewiß
nicht ohne Geiſt geweſen und habe das Verdienſt, daß er die antike Poefte
aus dem Schlummer geweckt, aber er bedürfe ſehr der Entſchuldigung
durch ſein barbariſches Zeitalter, durch den Mangel an Büchern u. ſ. w.
Er habe, ſagte ein Andrer, nicht mehr erreicht, als daß ſeit ihm die
ſtrebenden Geiſter der verrotteten Redeweiſe überdrüſſig geworden.)
Man fand feine Verſe mittelmäßig, feinen Proſaſtil ſchwerfällig und
bald auch höchſt incorrect.) Hören wir gar, wie Bruni in jenen
Dialogen den feinſinnigen Niccoli urtheilen läßt und wie biefer ſich
1) De geneal. Deor. Lib. XV. cap. 6.
9 Ueber Salntato's Ueberſetzung ek. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 308 sq.,
über Ronto Pii II. Comment. p. 263.
) Mehus l. e. p. 176.
) Enea Silvio an Herzog Sigmund von Oeſterreich v. 5. Decemb. 1443,
) Blondus Italia illustr. p. 346. Raphael Volaterr. Lib. XXI. Pii
II. Comment. p. 50. über Petrarca: cui vix parem inveniremus, si Latina ejus
opera his, quae Tusco sermone conscripsit, aequari possent. f
\ 1
13 *
196 III. Florenz und jeine literariſchen Ahnen.
ohne Zweifel wirklich äußerte. Petrarca habe ſeine Africa ſelber un⸗
ermüdlich als ſein edelſtes und höchſtes Werk geprieſen. Nun ſie end⸗
lich ans Tageslicht gekommen, erinnere ſie ſtark an das riduculus
mus. Jetzt urtheile ein Jeder, er hätte ſie lieber nicht ſchreiben oder
verbrennen ſollen. In ſeinen bukoliſchen Gedichten ſei keine Spur vom
Feld⸗ und Waldleben, in ſeinen Invectiven fehle es ſtark an der Rede⸗
kunſt. Sein Werk de viris illustribus fei ein wahrhaftes Faſten⸗Ragout.
So gehe es den anmaßenden Menſchen, die nur ſich ſelber als Richter
anerkennen wollen.) Von Boccaccio hieß es mit Achſelzucken, ſeine
Eloquenz in der Vulgärſprache habe ihn berühmt gemacht, nicht die in
der lateiniſchen, von deren Grammatik er kaum die Elemente gekannt.
Und über Coluccio Salutato urtheilte Pius II, ſeine Proſa und ſeine
Verſe möchten zwar für die damalige Zeit ganz ehrenwerth, für die
jetzige aber müßten fie roh erjcheinen. *)
Und trotzdem — Dante, Petrarca, Boccaccio, ſie waren Tuscier,
Florentiner, ſo fanden ſie immer auch wieder Vertheidiger, ſo wurde
in Florenz ihr Andenken aus Patriotismus heilig gehalten. Die Bio⸗
graphien der beiden erſteren aus dem 15. Jahrhundert, ſo unbedeutend
ſie an ſich ſind, zeugen doch von der ſtolzen Verehrung, mit der man
auf die großen Landsmänner zurückblickte. Domenico Bandini aus
Arezzo ging voran. Dann ſchrieben Filippo Villani und Salutato
Lebensbeſchreibungen der drei großen Dichter, Manetti und Bruni folg⸗
ten ihrem Vorgange, letzterer hat ſie in einem eigenen Dialoge gegen die
Verkleinerungen in Schutz genommen und gelobt.“) Seit 1373 wurde
in Florenz ein eigener Lehrſtuhl für die Erklärung der göttlichen Co⸗
mödie gegründet, wohl auf Boccaccio's Anregung, der ihn zuerſt inne
hatte. Ihm folgte Filippo Villani. Auch Giovanni da Ravenna wurde,
während er in Florenz die Eloquenz lehrte, mehrmals zur Auslegung
des Dante'ſchen Gedichtes verpflichtet.) Jener Cecco da Ascoli fand
in Salutato ſeinen Mann. Das Buch des Aſtronomen, meinte dieſer,
) Mehus l. c. p. 226. 319. 362. Daß dieſe Denkweiſe wirklich die Niccoli's
war, beweiſet wiederum Bruni, der ſie ihm in der Invective in Nebulonem ma-
ledicum zum Vorwurf macht, und Filelfo, der Satyr. Dec. I. hec. 5 die von
Niccoli Verfolgten aufzählt: Additur huic divus Dantes e Petrarca.
) Pii IL Comment. I. c.
9 ossi! Orat. in funere Leonardi Aretini in Baluzii Miscell. Lib. III.
p. 258.
*) Mehus I. o. p. 353.
III. Florenz und feine literariſchen Ahnen. 197
zeige zwar den Sachkenner und den gelehrten Mann, aber in den albernen
Verſen gegen Dante verrathe ſich nur der Neid. Von der Erhabenheit
des Dante'ſchen Stils, von den Leuchten der Philoſophie und der Theo⸗
logie, die Dante's Geſänge durchſtrahlten, habe Cecco keine Ahnung
und am wenigſten von dem Weſen der Poeſie, das ſich freilich nicht
durch Nachdenken und Gelehrſamkeit, ſondern allein durch Naturbegabung
und göttliche Inſpiration begreife.) Gegen Niccoli's kühne Aeußerung,
obwohl ſie Bruni ſelber im folgenden Dialoge mäßigt und mildert,
trat ſofort ein Florentiner in die Schranken, Cino de' Rinuccini, um
Dante, Petrarca und Boccaccio zu vertheidigen.“) Aehnliche Angriffe
gegen die drei Dichter widerlegt Domenico da Prato.) Auch Filelfo
miſchte ſich in die Sache, er hielt Feſtreden zu Ehren Dante's und
zwar in tusciſcher Sprache,) er interpretirte die göttliche Comddie und
das geſchah an Feſttagen in der Cathedrale von Florenz, wo noch jetzt
Inſchriften und Gemälde an die damalige Verehrung Dante's erinnern.“)
Filelfo ließ ſich ſeine Vorleſungen über die alten Dichter theuer genug
bezahlen, aber für dieſe Vorträge, in denen er den Florentiner ver⸗
herrlichte, nahm er keinen Sold.
Um Petrarca's Ruhm zeigte ſich Salutato in einer Weiſe beſorgt,
die ihn, der ſelber dichtete, ſchöner ſchmückt als der Lorbeer. Man
weiß, daß Petrarca's Africa bei Lebzeiten des Dichters nicht veröffent⸗
licht wurde, daß nur ein Freund die Ehre genoſſen, ein paar Dutzend
Verſe davon zu leſen, daß überall die dunkle Kunde verbreitet war,
Petrarca wolle dieſes Werk den Flammen überliefern laſſen. Gleich
nach ſeinem Tode fragten Boccaccio und andre Freunde ängſtlich an,
ob das Werk des zweiten Virgil auch gerettet ſei. Damals ging Nic⸗
coli nach Padua, er führte die Africa im Triumphe nach Florenz, frei⸗
lich um ſich dann gar ſehr getäuſcht zu finden. Salutato aber wollte
dem Werke den Dienſt erweiſen, den der Sage nach Ovidius der Aeneide
zugedacht; er wollte einige Härten und metriſche Verſtöße ausſcheiden,
) Aus Salutati Tractatus de fato et fortuna bei Mehus l. c. p. 322.
) Mehus l. c. p. 176. 227. 319.
) ibid. p. 354.
) Sie finden ſich bei Rosmini Vita di Franc. Filelfo. T. I. p. 56. 119
bis 129.
) Ves pasiano: Franc. Filelfo $1. Der Ort wird hier als 8. Liberata
bezeichnet. Rosmini las: S. Liparata. Beides iſt nur verſtümmelt aus 8. Repa-
rata, dem alten Namen des Domes, der jetzt als S. Maria del Fiore bekannt if.
7
198 III. Florenz und feine Geſchichtſchreiber.
das Ganze feilen und glätten, den Büchern kurze Inhaltsangaben in
Verſen vorſchreiben, dann mehrere Copien nehmen laſſen, fie ſorgfältig
revidiren und eine an das Studium von Bologna, die andre nach Pa⸗
ris, die dritte nach England ſenden, die vierte in Florenz niederlegen,
„damit ein ſolches Werk und der glänzende Name eines ſolchen Sän⸗
gers nach allen Weltgegenden hinfliege.“) Fügen wir hinzu, daß
Petrarca's Reime und Boccaccio's Novellen immer noch die Lieb⸗
lingslectüre der feinen Florentinerinnen waren,) ſo erſcheint es als
ſelbſtverſtändlich, daß ihrem Namen ein ehrenvolles Andenken geſichert
blieb. |
Lionardo Bruni und Poggio haben wir als Geſchichtſchreiber der
florentiniſchen Republik bereits erwähnt. Sie ſchrieben im livianiſchen
Stil und im Stil, nicht im Stoffe ſuchten ſie ihr Verdienſt; ſie arbei⸗
teten ſchnell, aphoriſtiſch und leichtfertig, die Kunſt mußte den Fleiß
erſetzen.) Dennoch las man ihre Werke mit Entzücken und die alte
florentiniſche Hiſtoriographie war für lange Zeit wie vergeſſen. Kein
Staat Italiens, ſagt Vespaſiano ſtolz, mit Ausnahme der altrömiſchen
Republik, hat ſich zweier ſolcher Geſchichtswerke zu rühmen. Donato
Acciajoli übertrug Bruni's Werk in die Vulgärſprache. Auch wird
einer eigenen Abhandlung gedacht, die Bruni in jungen Jahren aus⸗
drücklich zum Lobe der Stadt Florenz geſchrieben, und eine andre über
die Verfaſſung von Florenz ſchrieb er in griechiſcher Sprache.) Ma⸗
netti und der genannte Vespaſiano da Biſticci beſchrieben das Leben
einzelner berühmter Florentiner. Die meiſten der obengenannten Hu⸗
maniſten — ein Niccoli, Traverſari und Filelfo ſchließen ſich von ſelbſt
aus — haben bedeutende Staatsämter bekleidet, Staatsreden gehalten
und die Republik als Geſandte vertreten. Die Reihe der florentiniſchen
Staatscanzler iſt zugleich eine Reihe von Gelehrten, welche der Repu⸗
9 Salutato’s Brief an Francesco de Broſſano in der Rigacei'ſchen Samm⸗
lung T. II. epist. 17, auch bei Martene et Durand Collect. ampliss. T. III.
p. 910.
2) Vespasiano Vita dell’ Alessandra de' Bardi im Spicileg. Roman. T.
IX. p. 616. |
Vergl. Gervinus Geſch. der florent. Hiſtoriographie (Hiſtor. Schriften Bd. J).
S. 52 —62.
) Aeneas Sylvius de vir. clar. XVI. Bruni epist. I, 8. VIII, 4.
Mehus Leon. Bruni Seripta (vor den Briefen) p. 51. 61. Acovagdou Agszıyov
ne ıns ray blwpevuvoy nν⁰t:é̃as herausg. von C. Fr. Neumann. Frankfurt
am Main, 1822. ö
IT. Florenz und das Bucherweſen. 199
MR vie Söhre ves Amtes durch den Ruhm ihres Namens vergolten
haben. Schon zur Zeit von Dante's Jugend bekleidete Brunetto Latim,
gleich ausgezeichnet als Staatsmann wie als Schriftſteller, das Amt
eines Staatsſecretürs. Der hohen Bedeutung, die Coluccie Salutato
biefet Stelle und ſich ſelber erwarb, iſt bereits gedacht worden. Im
gahrt 1427 trat Lionardo Bruni ein, dieſem folgte 1443 Carlo Mar:
ſappini, dann 1453 Poggio Braccielint und 1459 Benedetto Accolti
aus Arezzo, bekannt durch ſeine Geſchichte des erſten Kreuzzuges.)
Wer gedächte nicht, wollten wir noch weiter gehen, des Nicrolo Mac⸗
chiavelli! Praktiſche Staatskunſt und Wiffenfchaft erſcheinen hier in
der innigſten Verbrüderung .
Selbſt bei jenen Abſchreibern der claſſiſchen Werke, bei jenen Bü⸗
cherſammlern tteffen wir auf denſelben Zug zum allgemeinen Nutzen,
sm Wohl und zur Zierde der Republik. Der Gedanke einer öffent⸗
lichen Bibliothek, deren Benutzung jedem Gelehrten freiſtehen müſſe,
iſt in Florenz entſtanden oder, wenn man will, aus dem alten Rom
wied traufgenommen. In Florenz allein trafen die Bedingungen zuſam⸗
mm, die vazu gehörten: Bildung mußte ſich mit einem reichen Beſitze
vereinigen, ver nicht leicht unter Erben zersplittert wurde; der Geiſt
ves Sammelns und Ordnens mußte ſich mit liberalem Gemeia finn
paaren.
Das Inftitut ver Stationarii, durch zünftigen Zwang an die Hoch⸗
ſchulen gebunden, reichte für die Bedürfniſſe des claſſiſchen Studiums
ſo wenig aus wie vie Hochſchulen ſelbſt. Ihr Gebiet waren die aka⸗
demiſchen Handbücher, die Summen und Gloſſen. Um der ſelteneren
Knie habhaft zu werden, bedurfte es guter Verbindungen unter
den Freunden dieſer Literatur. Zwar der unwiſſenden Abſchreiber
gab es genug und der Buchhändler im jeder größeren Stadt ein paar.)
Aber in dieſem Verkehr überwog eben das Handwerk und der Handel;
die alten Codices felbſt oder die von gelehrter Hand rerigirten Exeni⸗
plare lamen hierhin nicht leicht. Vorzuͤglich durch Niccoli wurde {Tor
renz der Centralpunct des Bücherhandels. Gute Exemplare der Claſ⸗
ſiker konnte man eigentlich nur hier kaufen. Wer zu Niccoli's Zeiten
in Rom etwa die attiſchen Nächte des Gellius zu beſitzen oder in einem
») Auch ihm hat Vespaſiano (im Spicileg. Roman. T. I. p. 575) eine Lebens.
beſchreibung gewidmet.
) Vergl. Albr. Kirchhoff die Handschriftenhändler des Mittelalters, im
Serapeum herausg. von R. Naumann Jahrg. XIII. 1852 n. 17.20.
900 III. Florenz und das Büchereien.
ciceronianiſchen Codex den Text verbeſſert oder auch nur zierliche Iui⸗
tialen gemalt zu haben wünſchte, beſtellte in Florenz die Arbeit, zumal
wenn Niccoli ſelbſt die Beſorgung übernahm.!) Hier zuerſt gab es
Buchhändler wie Vespaſiano da Biſticci, die mit den Literatoren ſelbſt
in freundſchaftlicher Verbindung, von ihnen gute Exemplare zum Ab⸗
ſchreiben geborgt erhielten und ihnen dafür wieder Gefälligkeiten er⸗
wieſen. Auch war Florenz geraume Zeit hindurch der beliebteſte Aufent⸗
halt für die hungernden griechiſchen Flüchtlinge, die mit Abſchreiben
griechiſcher Autoren ein dürftiges Leben friſteten. Erſt e trat ihm
Venedig und noch ſpäter Rom an die Seite.
Es iſt mißlich, über die Preiſe der Bücher eine allgemeine Neun
aufzuſtellen. Das Volumen war durchaus nicht maßgebend, obwohl
man meinen könnte, es ſei nicht ſchwieriger die Pſalmen abzuſchreiben
als die Verſe des Horatius. Wie in der wiſſenſchaftlichen Schätzung,
ſanken auch im Handel die theologiſchen und juriſtiſchen Bücher bedeu⸗
tend herab. Man konnte zum Beiſpiel eine Bibel alten und neuen Teſta⸗
mentes um acht Goldgulden haben, wenn ſie auf Papier geſchrieben
war, etwa um das Doppelte, wenn auf Pergament. In dem uns
vorliegenden Falle freilich wurde das Buch in Böhmen gekauft, wo
Bibeln unter allen Ständen verbreiteter waren als anderswo.) Poggio
kaufte in Italien eine Bibel, von älterer Hand geſchrieben, in welcher
jedoch die Pfalmen fehlten, um 25 Goldgulden und wollte fie an Papſt
Nicolaus V um 40 wiederverkaufen.) Für ein neues und erträglich
correct geſchriebenes Exemplar von Cicero's familiären Briefen ver⸗
laugte ein mailändiſcher Buchhändler zehn Zeccchinen.) Ein Band
von Poggio's Briefen, der zehn Bücher derſelben enthielt und gewiß
nicht minder umfangreich war, wurde in Florenz um vier florentiniſche
Gulden copirt.) So war ohne Frage der Claſſiker ungleich theurer
als das moderne Werk. Wir zweifeln nicht, daß ſich Männer wie
Niccoli, Bruni, Marſuppini, wenn fie bei der Copirung die Aufſicht
führten, das Exemplar corrigirten oder auch nur den Auftrag über⸗
nahmen, a dafür bezahlen ließen. Schon einem gewöhnlichen
) ef. Le on. Bruni epist. II, 7. 10. 13. N
) Enea Silvio's Briefe an Joh. Thuskon vom 31. October 1444 und
23. Auguſt 1445.
> Poggii epist. 55. 56. im Spioileg. Roman. T. X.
) Filelfo's Brief an Piero u v. 8. vr 1452.
) id. .epist. 49. e. ibid. 25
MI. Florenz und das Bücherweſen. 201
Schreiber, der gerade genug Bildung hatte, um claſſiſche Werke tren
copiren zu können, gab man außer freier Station etwa dreißig Ducaten
jährlich.) Und noch viel höher waren die Preiſe, wenn ſich ein Ge⸗
lehrter von Ruf zur Veräußerung eines claſſiſchen Werkes entſchloß.
Das geſchah freilich ſelten; Niccoli erklärte es für das Zeichen eines
ſchwächlichen und gemeinen Geiſtes. So verkaufte Poggio dem Mark⸗
grafen Lionello von Eſte die Briefe des h. Hieronymus für hundert
Goldgulden, eine Summe, in die der Markgraf nur mit dem Bemerken
willigte, daß Kenner in Ferrara ſie übermäßig fänden und daß Poggio
einen Theil derſelben als Geſchenk anſehen müſſe.) Das war nun
ein Stück poggianiſcher Unverſchämtheit; es handelt ſich vermuthlich
um denſelben Codex, den er ſelbſt für 41 Ducaten gekauft, und auch
diefen Preis giebt er bei einer Gelegenheit an, als er das Buch an
Papft Nicolaus für 45 zu verhandeln gedachte.) Der Dichter Bec⸗
cadelli mußte demſelben Poggio für eine von ihm felbft geſchriebene
Geſchichte des Livius 120 Zeccchinen zahlen und war gezwungen ein
Landgütchen zu verkaufen, um ſich in den Beſitz dieſes Kleinods zu
fegen: *)
Man wird nach dieſen Andeutungen verftehen, welchen Fleiß und
welche Conſequenz jener Niccoli aufbieten mußte, um als Privatmann
von fehr mäßigem Vermögen ſeine Bibliothek von 800 Bänden zuſam⸗
menzubringen, deren Werth der Buchhändler Vespaſiano auf 6000
Goldgulden ſchätzte. Auch fein Verdienſt tritt nun in das rechte Licht,
wenn er, wie uns beſtimmt verſichert wird, der erſte war, der den
Plan einer öffentlichen, Jedem zugänglichen Bibliothek mit Entſchiedenheit
im Sinne hatte.) Einen ähnlichen Gedanken hatte ſchon Salutato
ausgeſprochen, doch mit einem beſtimmten Augenmerk. Er wollte näm-
') Ambros. Travers. epist. VI, 35.
) Poggii Epistt. LVIII. epist. 56. 57. Shepherd the life of Poggio
Bracciolini. Liverpool, 1802. p. 377 hält als Maßſtab dagegen, daß der Sold
eines Univerſitätsprofeſſors ſelten 400 Zeccchinen überſtieg, jenes Buch alſo ein Vier⸗
theil des Jahrgehaltes koſtete. Indeß war der Preis einmal für einen Fürſten be⸗
rechnet, der ihn ſelbſt unverſchämt fand, und dann haben wir von dem Verhältniß
zwiſchen feſtem Sold und Honoraren an den damaligen Hochſchulen Italiens keine
ſichere Vorſtellung.
) Poggii epist. 55. 56 im Spicil. Roman. T. X.
) Anton. Pan orm. epist. V, 118 an König Alfonſo von Neapel.
) Poggius Orat. in funere Nic. Niooli (Opp. p. 276). Ves pas iano:
Nic. Nicoli 5 8: Solo Nicolao & quello che vuole che i sua libri siano in
20 III. Florenz und die erſte öffentliche Bibliothek.
lich der Verderbniß der Texte dadurch ſteueru. „Es müßten öffentliche
Bibliotheken eingerichtet werden, in welche die ganze Büchermaſſe gu-
ſammengebracht wird. Es müßten den Bibliotheken ſehr kundige Män⸗
ner vorgeſetzt werden, welche die Bücher mit der ſorgfältigſten Verglei⸗
chung revidiren und mit ſcharfem Urtheil die Varianten ſondern. Diefes
Amt belleideten einſt, wie wir wiſſen, die bedeutendſten Männer und fie
hielten es dann für ruhmwürdig, ihren Namen unter die Bücher zu
schreiben, welche fie revidirt, wie wir das noch an alten Codices ſehen.“)
Niccoli aber dachte zuerſt an die Gemeinnützlichkeit eines ſolches In⸗
ſtituts. Boccaccio hatte ſeine Bücher dem Auguſtinerkloſter S. Spirito
hinterlaſſen ), fie lagen hier durcheinander in Kaſten und Schränken.
Kiceoli ließ auf ſeine Koſten die Zelle herrichten, in welcher fie auf⸗
zeſtellt wurden, und übernahm dieſe Arbeit ſelbſt. So iſt denn Boc⸗
caceio's Sammlung gerettet worden, während Petrarca's und Salutato's
Bücher von ihren Erben verſchleudert wurden. Seine eigene Bibliothek
beſtimmte Niccoli anfangs durch Teſtament dem Camaldulenſerkloſter
S. Maria degli Angioli, wohl aus Freundſchaft gegen Traverfari,
doch mit der ausdrücklichen Beſtimmung, daß ihr Gebrauch jedem
Studirenden freiſtehen ſolle, wie er es ja eigentlich ſchon bei Leb⸗
zeiten damit hielt. Wir wiſſen nicht recht, warum er noch am Tage
vor ſeinem Tode jenes Teſtament änderte, wahrſcheinlich geſchah es
feiner Schulden wegen: er überließ nun die Wahl des Ortes einer
Commiſſion von ſechszehn Männern, unter denen wir die Namen
Coſimo und Lorenzo de' Medici, Traverſari, Bruni, Poggio, Marſup⸗
pini, Alberti und Manetti leſen. Dieſe überließen Coſimo die wei⸗
tere Verfügung und Coſimo nahm die Schulden des Verſtorbenen
und die Ausführung ſeines bibliothekariſchen Gedankens auf ſich. Er
gab 36,000 Zecechinen her, um im Prädicantenkloſter zu S. Marco,
publico a comune utilit di ognuno, che ne meritd grandissima commendazione.
Aeneas Sylvius de vir. olar. XVI. giebt den Werth der Bibliothek nur auf
etma 4000 Goldgulden an.
) Ans feinem Traetat de fato et fortuna bei Mehus Vita Ambr. Tra vers.
291.
ö 2) cf. Testamento di Giov. Boccacci (Opere. Firenze, 1723. vol. Ww. in fin.)
Es verdient bemerkt zu werden, daß ſchon Boccaccio dem Bruder Martino, dem er
feine Bücher zunächſt hinterließ, eine freigebige Benutzung derſelben geſtattete, ja zur
Pflicht machte. Die etwas unklaren Worte des Teſtators werden durch den lateinischen
Text der Urkunde erläntert, den Miegus a. a. O. S. 31. aus einem Coder ber Stroz⸗
dana mitgetheilt. hat.
BEN
IN. Florenz und bie erſte öffentliche Bibliothek. 208
jenem Prachtbau, den er zur Beruhigung ſeines Gewiſſens und Papft
Engen zu Liebe aufgeführt, die erſte öffentliche Bibliothek zu begründen.
Sie wurde ſchon im Jahre 1444 vollendet und eröffnet, ein würdiges
Seitenſtück zu dem Oratorium des Kloſters, welches auf hohen Mar⸗
morſäulen ruhte. Wenn dieſe Bücherſammlung ſpäter nach Coſimo's
Verdienſte der Freigebigkeit und zum Unterſchiede von der privaten
Palaſt⸗Bibliothek der Medici den Namen der öffentlichen Bibliothek
des mediceiſchen Hauſes erhielt, ſo bleibt doch immer Niccoli ihr eigent⸗
licher Begründer. Sein Name wurde in den vorderen Deckel der Bü⸗
cher geſchrieben. Coſimo aber vermehrte die Sammlung durch anſehn⸗
liche Einkäufe: ſo ließ er in Siena für 400 Goldgulden Bücher kaufen,
die meiſtens das kanoniſche Recht betrafen, und im Jahre 1446 kauften
ſeine Agenten von den Minoriten in Lucca eine Reihe von Bänden
für mehr als 250 Scudi. Der die Bücher ordnete und aufſtellte, war
Tommaſo Parentucelli, der erſte moderne Bibliothekar und Be⸗
gründer der Bibliothekswiſſenſchaft. Denn er entwarf ein Schema
über die Claſſification der Bücher, nach welchem zuerſt die Librerie
von S. Marco und die der Badia zu Fieſole, danu die des Herzogs
von Urbino und des Aleſſandro Sforza von Peſaro, endlich aber jede
neue Bibliothek geordnet wurde. Wer ſein ſtilles Thun in dieſem Grund⸗
ſtock der mediceiſchen Bibliothek nicht kennt, wird ihm die Achtung nicht
verſagen, wenn er hört, daß dieſes Büchermännchen als Papſt Ni⸗
colaus V hieß und der eigentliche Begründer der Vaticana gewor⸗
den iſt.)
In wie großartiger Weiſe Coſimo bei ſolchen Unternehmungen zu
Werke ging, mag ein andres Beiſpiel zeigen. Als er das Kloſter
S. Lorenzo erbaut hatte, war ſein Wunſch, daſſelbe in möglichſter Eile
auch mit einer anſehnlichen Bibliothek auszurüſten. Er ging mit dem
Buchhändler Vespaſiano zu Rathe: es war unmöglich, die wünſchens⸗
werthen Bücher zuſammenzukaufen, ſo mußte man die Bibliothek ſchrei⸗
ben laſſen. Der Buchhändler nahm ſofort 45 Copiſten in Dienſt.
) Ves pas ia no: Nic. Nicoli 58. Nicola V Papa 5 7. Cosimo de' Medici
99. Von dem Bibliotheksſchema Parentucelli's giebt er im Leben Coſimo'8 5 13.
14. eine Anſchauung. Er war ſelbſt bei der Ordnung der Bibliothek zur Hand.
ef. Aeneas Sylvius de vir. cler. XV. Ein reiches Material über die Schick⸗
ſale der Marciana giebt Mehus Vita Ambr. Travers. p. 62 — 74. 377. Tira-
boschi T. V. p. 176. T. VI. p. 194 — 206. 3
204 III. Bibliotheken in Florenz.
Der Prior des Kloſters durfte täglich auf die mediceiſche Bank an⸗
weiſen, ſo viel zu ihrer Beſoldung nothwendig war. Nach 22 Mo⸗
naten war eine Librerie von 200 Bänden geſchaffen, die alle bedeu⸗
tenderen Werke des römiſchen Alterthums und der kirchlichen Literatur
enthielt.)
In andern Fällen dienten auch die weitgreifenden Handelsverbin⸗
dungen der Medici zur Bereicherung ihres Bücherſchatzes. So hatte
einſt Niccoli ausgeſpürt, daß ſich in Lübeck ein ſchönes und vollſtändi⸗
ges Exemplar eines Werkes von Plinius befinde, das man in Italien
noch nicht kannte. Auf ſeinen Antrieb ließ Coſimo mit den Mönchen
heimlich unterhandeln und um hundert Gulden kam der Codex nach
Florenz, obwohl über die Sache ein nicht geringes Scandal entſtand. “)
In ähnlicher Weiſe entſtanden auch die Privatbibliotheken der me⸗
diceiſchen Familie; man betrachtete ſie bereits als ein nothwendiges
Zubehör eines gebildeten Hauſes. Coſimo beſaß deren in ſeinem Pa⸗
laſte zu Florenz, auf feinen Villen zu Fieſole und del Bosco bei Mu⸗
gello. Sein Beiſpiel ſtand nicht allein da. So verfolgte ſein Neben⸗
buhler Palla Strozzi ähnliche Entwürfe. Er hatte aus Conſtantinopel
eine Menge Bücher kommen laſſen, darunter die Werke Platons, die
Lebensbeſchreibungen Plutarchs und das erſte Exemplar der Politik des
Ariſtoteles, durch welches dieſes Buch im Abendlande bekannt wurde.
Auch Palla gedachte eine öffentliche Bibliothek zu begründen und er⸗
wählte dazu das Kloſter S. Trinitä, weil feine Lage mitten in der
Stadt dazu geeignet ſchien. Sein Exil vereitelte den Plan.) Auch
Manetti hinderte der Tod an dem Unternehmen, feine Bücherſammlung,
die vorzügliche Codices in griechiſcher und hebräiſcher Sprache enthielt,
in jenem Kloſter S. Spirito, wo einſt der Sinn für Wiſſenſchaft über
ihn gekommen, zur öffentlichen Benutzung auszujtellen. *)
Welch ein andrer Geiſt wehte nun in dieſen öffentlichen und Hans:
) Vespasiano: Cosimo de’ Medici 5 12.
) Vespasiano: Poggio Fiorentino $ 2 Nic. Nicoi $ 3. Welches Werk
des Plinius hier gemeint ſei, können wir nicht entſcheiden. Die Eneyklopädie des
älteren und die Briefe des jüngeren Plinius waren jedenfalls längſtbekannte Bücher.
So vermuthen wir, daß dieſe Nachricht im Zuſammenhange ſteht mit der obenerwähn⸗
ten (S. 139) Poggio's, die von einer Geſchichte der römiſch⸗deutſchen Kriege handelte,
und daß eine myſtificirende Verwechſelung mit Tacitus ſtattgefunden.
) Vespasiano: Palla di Nofri Strozzi. 5 1. 4.
) Naldi Vita Manetti ap. Muratori Seriptt. T. XX. p. 601.
III. Florentiniſcher Geiſt. 208
bibliotheken, in denen die Bücher in offenen Repoſitorien gleichſam mit
der freien Luft verkehrten, zu dieſem und jenem Gelehrten auswanderten
und wieder heimkehrten, welch ein andrer Geiſt als in den dumpfigen
Kloſterzellen, wo ſie zuvor, in Kiſten gepackt und mit dem Modergeruche
behaftet, ihr Daſein gefriſtet! Ganz ſo wie der Gelehrtenſtand ſich in
Florenz von dem mönchiſchen losrang und mit dem Adel der Republik
ſein Bündniß ſchloß, treten auch die Bücher hier als eigenthümliches
Gut dieſes Standes hervor und bieten ihren e einer freien
und edlen Wiſſenſchaft.
So verherrlichten Geſchichtswerke und Reden, Muſeen und Biblio-
theken die tusciſche Capitale nicht minder als die vier Evangeliſten in
S. Maria del Fiore von Donatello's Hand oder die Fronte von
S. Maria Novella und der Palaſt Ruccellai, in denen Alberti's Geiſt
fortlebt, als die Paläſte und Kirchen, die Arno-Brüden und öffentlichen
Gärten, die der mediceiſchen Prachtliebe ihren Urſprung verdankten.
Eine Gelehrſamkeit, die in ihrem Schooße die Kunſt trug, ein freier
Sinn für die Welt der ſchönen Formen, hinter dem freilich verführe⸗
riſch das Heidenthum ſchlummerte, das war die Eſſenz des florentini⸗
ſchen Geiſtes, die ſich, bald unmerklich ausduftend, bald in voller Wal⸗
lung daherſtrömend, ganz Italien und durch Italien der modernen
Welt mitgetheilt hat. Dem Geiſte, wenn auch nicht dem Blute nach,
war jener Parentucelli der erſte Mediceer auf dem Stuhle der Apoſtel.
Er wurde für Rom, was Coſimo für Florenz. Hier erreichte der
Humanismus unter Lorenzo dem Erlauchten, zugleich dem Wiederher⸗
ſteller der tusciſchen Poeſie, ſeinen Höhepunct, dort unter den Päpſten
aus dem Hauſe Medici, denen ſich eine Reihe andrer anſchließt, die
wie jene den traurigen Leichendunſt der geſunkenen Macht durch den
Blumengeruch der Kunſt übertäubten. Nur für kurze Zeit hat Savo⸗
narola's Weheruf die Florentiner aus ihrem poetiſchen Traume ge⸗
ſchreckt, und auch im vaticaniſchen Palaſte wurden ſorglos die Liebe
und die ſchönen Götter der Heiden beſungen, als das deutſche Wort
Fleiſch wurde und deutlich mahnte, daß die Zukunft noch ein andres
Zeitalter bringen könne und müſſe als das auguſteiſche.
906 III. Der Humanismus in Siena.
Wie ſtattlich die Muſen im Gefolge von Macht und Reichthum
erſcheinen und wie ſie ohne dieſe ſo leicht verkümmern, das zeigt der
Vergleich des prächtigen Florenz mit Siena, der kleinen Nachbarrepn⸗
blik. Hier galt der Parteimann und etwa der Rechtskenner. Bei der
ſteten Furcht vor bürgerlichen Unruhen und vor den mächtigen Nach⸗
baren konnten Literatur und Kunſt zu keinem fröhlichen Gedeihen kom⸗
men. Der tusciſche Boden hat auch hier bedeutende Männer und
ſchöne Geiſter erzeugt, aber ſie konnten den Haß und den Argwohn
der Parteien nicht überwinden. Francesco de' Patrizzi, ein tüchtiger
Juriſt und Schriftſteller auch auf andern Gebieten, mußte die Stadt
verlaſſen, weil er in die Adelsverſchwörung von 1457 verwickelt war.
Den Enea Silvio de' Piccolomini hat ſeine Feder nirgend weniger zu An⸗
ſehen gebracht als in ſeiner Vaterſtadt; bevor er Papſt wurde, war ſie
nicht ſtolz auf ihn. Selbſt ein eingeborener und eingebürgerter Mann
wie Mariano de' Sozzini ſtellte wohl nicht freiwillig ſeine juriſtiſchen
Vorleſungen ein und wollte ſich ſelbſt zu einer Ueberſiedelung nach
Wien bequemen, um nur vor den Gehäffigkeiten und Stürmen des
ſaneſiſchen Parteiweſens Ruhe zu finden.) Später als irgendwo in
Italien entſchloß man ſich zu Siena, in Agoſtino Dati einen Huma⸗
niſten zur Abfaſſung der Staatsſchreiben und zu den Feſtreden in Sold
zu nehmen, gemäß jener diplomatiſchen Sitte, die felbſt an den kleinen
Höfen ſchon überall Eingang gefunden. Wiederum die politiſche Eifer⸗
ſucht hatte dem lange entgegengeſtanden; denn das Amt eines Staats⸗
canzlers war bis dahin jedes Jahr von Neuem beſetzt worden.“)
Wo die einheimiſchen Talente nicht fortkamen, mochte ſich auch
keiner der umherziehenden Lehrer des Griechiſchen oder der modernen
Rhetorik auf die Länge niederlaſfen. Filelfo nahm einen Lehrſtuhl an,
als in Florenz nicht mehr ſeines Bleibens war. Aber ein Sold von
350 Zeccchinen konnte ihn nicht feſſeln.) Während der vier Jahre,
) Sein Brief au Euea Silvio v. 16. Septemb. und deſſen Schreiben an Joh⸗
Märs, Kanzler von Oeſterreich, v. 8. Decemb. 1443. cf. Aeneas Sylvius de vir.
clar. XVIII. 5
) Aeneas Sylvius l. c. XVI.
) Vergl. ſ. Brief an Leon. Giuſtiniani v. 31. Januar 1435. Schon bevor er,
nach Siena zog, ſagte er Satyr. Dec. IV. hec. 9:
Excipiat me Sena sibi tantisper habendum,
Dum mare tranquillum reddat fortuna deusve,
Aut alio solvens fluctus cum turbine linquam.
HI. Der Humanismus zu Venedig. 207
daß er zu Siena die Rhetorik vortrug, unterhandelte er faſt unaufhör⸗
lich mit dem Herzoge von Mailand und mit einigen Univerſitäten über
eine beſſere Stellung. Später, als es ihm unter der fforzeſchiſchen
Herrſchaft in Mailand nicht recht behagen wollte, verhandelte er auch
mit Siena noch einmal, aber ohne Erfolg, weil er nun den Sold, den
er früher aus angenblicklicher Noth hingenommen, verdoppelt haben
wollte.) Das plebejiſche Regiment hatte keinen Sinn für den huma⸗
niftiſchen Luxus und die Adligen fanden im Aerger über ihre Zurück⸗
ſetzung nicht den Frieden, den die fruchtbare Beſchäftigung mit der
Wiſſenſchaft erfordert.
Florenz erſchien uns als Demokratie auch in ſeinen literariſchen
Kreiſen. Venedig iſt das Gegenbild. Auch die Gelehrſamkeit ſteht
hier in vornehmer oligarchiſcher Abgeſchloſſenheit da, ſie iſt die private
Freude einzelner Nobili, aber die Strenge des Staatsbegriffes hält fie
in einer gewiſſen ſcheuen Entfernung vom öffentlichen Weſen. Vom
„Staate hat fich der Gelehrte als ſolcher weder der Gunſt noch der
Ungunſt, weder der Unterſtützung noch der Intoleranz zu verſehen.
Die Gewalt der Regierung braucht und verlangt keinen Schmuck und
keine Verherrlichung von den ſchönen Künſten, ihre Tendenz iſt nur,
den geheimnißvollen Nimbus einer unerſchütterlichen Macht aufrecht zu
erhalten, und dieſe Tendenz drückt den einzelnen Bürger zu einem Atom
herunter, das nur im ehrfürchtigen Dienſte des Ganzen eine Bedentung
hat. Auf der Sicherheit und Ausbreitung der Stapelplätze, auf der
Fülle der Zeughäuſer und Arſenale, auf vollen Staatscaſſen und vor
Allem auf dem ftrengen Syſtem feiner Regierung ruht dieſe Republik.
Von geſchichtlichem Intereſſe iſt ihr nur ihre eigne Vergangenheit, in⸗
ſofern das Gegenwärtige ſich auf ſie gründet; alle Politik iſt daher
der augenblicklichen Sachlage und der nächſten Zukunft zugewendet.
Aluſionen und Träume üben da keine verführeriſche Kraft, Ideale fin⸗
den keine Heimath, die Wiſſenſchaft keine Freiſtätte. Es fehlt der
weitbärgerliche Sinn, der ſich in Florenz neben dem patriotiſchen ent⸗
faltete.
So finden wir denn, daß der Adel Venedig's ſich als Geſammt⸗
heit gleichgültig gegen den Humanismus verhielt, nur einzelne Adlige
treten hervor, die ſich der neuen Bildung aus privater Neigung hin⸗
geben. Wenn ſie zugleich in den hohen Staatsämtern glänzen, ſo iſt
) Ros mini Vita di Franc. Filelfo T. II. p. 60.
208 III. Der Humanismus zu Venedig. Carlo Zeno.
das vielleicht eine Frucht ihrer feineren Bildung, die ſich überall zur
Geltung durcharbeitet, aber es liegt darin nichts von Anerkennung oder
Lohn derſelben; denn die Republik braucht lediglich ihre militäriſchen
oder Verwaltungstalente, mögen dieſe nun durch bloße Praxis erwor⸗
ben oder auch durch Studien erhöht ſein. In Venedig ſelbſt gab es
nicht einmal einen Gelehrtenkreis, und es iſt recht auffallend, daß die
namhaften Männer der Wiſſenſchaft hier eher mit Fremden als mit
einander in Verbindung ſtanden. Sie ſchließen ſich dem literariſchen
Verkehr, der Gelehrtenrepublik an, die in ganz Italien ihre Glieder
hat, aber ſie wahren dabei ſtets die Würde und Ehre ihres Standes.
Den Brodneid, das Cliquenweſen, die Verhetzungen und Leidenſchaften
ſcheint ihre Stellung an ſich auszuſchließen. Sie liegen daher mit nie⸗
mand im Streit, ja ſie treten als unparteiiſche Vermittler auf, wo
wie in Florenz die literariſchen Fehden zum Scandal wurden. Daher
kommt ihnen aber auch die Hochachtung überall entgegen. Als Poggio
in ſeinem Dialog über den Adel von der venetianiſchen Nobilität ge⸗
ringſchätzig geſprochen, ſtand ſogleich ein Nobile, Gregorio de' Correri,
damals Protonotar des apoſtoliſchen Stuhles, als Kämpe ſeines Standes
auf, und ſiehe der biſſige Poggio ſuchte hier zu entſchuldigen und gut⸗
zumachen, was möglich war, der kleine Streit wurde im Tone feiner
Leute geführt und ausgeglichen.) Er wurde von Neuem aufgefriſcht,
als man auch in den Facetien Poggio's eine für die venetianiſche Re⸗
publik ehrenrührige Aeußerung las. Auch hier entſchuldigte ſich Poggio
mit aller Höflichkeit, und erſt als ein junger Venetianer Lauro Quirini
ihn mit einer heftigen Streitſchrift bedrohte, ließ ihm Poggio zur
warnenden Probe feines Talentes eine ſeiner gegen Filelfo gerichteten
Invectiven zukommen. So viel wir hören, kam die Fehde auch hier
nicht zum Ausbruch ).
Carlo Zeno erſcheint als der erſt, der ſich 1 in 91 letzten
Jahren ſeines Lebens der humaniſtiſchen Muße hingab. Gelehrte wie
Chryſoloras, Vergerio, Guarino fanden in ſeinem Palaſte freundliche
Aufnahme und fühlten feine Freigebigkeit.. Aber feinen Ruhm ver⸗
dankt er nicht dieſem Mäcenat; er gehörte zu den erſten Generalen
) Poggio an Greg. de' Correri v. 8. April 1440 (Opp. p. 325).
) Zwei Briefe Poggio's an Petrus Thomaſius im Spicil. Roman. T. IX.
p. 643. Laurus Quirinus Francesco Barbaro unter deſſen Briefen Append.
epist. 62. |
III. Die beiden Ginſtiniaui. Francesco Barbaro. 209
ſeiner Zeit und hatte der Republik als Geſandter in Italien und
Griechenland, in England und Frankreich gedient.)
Als Zeno im Jahre 1418 ſtarb, hielt ihm ein junger Maun aus
einer der erſten Patricierfamilien die Leichenrede, Leonardo Giuſti⸗
niani, ein Schüler Guarino's, kundig der griechiſchen Sprache, ein
eifriger Sammler von Büchern, die er ſich auf Handelswegen felbft
aus Griechenland und Cypern zu verſchaffen wußte, im gelehrten Brief⸗
wechſel mit den erſten Literatoren ſeiner Zeit, beſonders aber mit den
florentiniſchen Bücherſtöberern, einem Niccoli und Traverſari. Außer
Briefen, Reden und Ueberſetzungen hat er keine größeren Werke hinter⸗
laſſen, aber er dichtete Sonette und Canzonen in der Volksſprache, in
jüngeren Jahren der Liebe, in älteren der Jungfrau Maria gewidmet,
ſüße Lieder, die ſich durch Italien ſchnell verbreiteten, in den gelehrten
Kreiſen freilich unbeachtet blieben.) Aehnliche Neigungen gingen auf
feinen Sohn Bernardo über, der gleichfalls von Guarino gebildet
war und mit Filelfo in ſtetem Verkehr ſtand. Der Name der Giu⸗
ſtiniani hatte überall einen guten Klang, wo den Muſen gehuldigt
wurde, er hatte ihn auch in Venedig, aber aus andern Gründen.
Leonardo war längere Zeit Statthalter in Friuli und 1443 Procurator
von S. Marco. Bernardo zeichnete ſich als Staatsredner aus, ſaß
im Rathe der Zehner und war 1474 gleichfalls Procurator der Re⸗
publik.) Ihre politiſchen Talente gehörten der Vaterſtadt, ihre Bil⸗
dung und ihre Herzensneigungen zogen ſie, wie das aus ihren Briefen
erhellt, zu den florentiniſchen Kreiſen hinüber.
Dieſelbe Erſcheinung, gleichſam eine Theilung des Menſchen in
den Staatsbürger und den Gelehrten, nehmen wir auch an Francesco
Barbaro wahr, dem als Schriftſteller ohne Zweifel der erſte Rang
'unter den Venetianern gebührt. Die bedeutendſten Grammatiker und
Kenner des Griechiſchen waren ſeine Lehrer, Giovanni da Ravenna
und Gasparino da Barzizza, Vittorino da Feltre und Guarino von
Verona. Auch war er als junger Mann in Florenz, verkehrte hier im
Hauſe der Medici und athmete die ſchöngeiſtige Luft ein, die hier
|
1) Sein Leben von der Hand feines Enkels Giacomo Zeno bei Muratori
Scriptt. T. XIX. Die Leichenrede, die ihm Leon. Ginſtiniani hielt, bei Mar-
tene et Durand Collect. ampliss. T. III. p. (43.
2) Blondus Italia illustr. p. 373. Facius de vir. illustr. p. 12.
3) Tirabos chi T. VI. p. 1186. 1049.
Voigt, Humanismus. N \ 14
210 III. Francesco Barbaro.
herrſchte. Unter den Gelehrten ſeiner Zeit war kaum einer, der ihn
nicht als Freund geehrt und im Briefwechſel mit ihm geſtanden hätte.
So verkehrte er mit Beſſarion und Biondo in Rom, mit Valla, Fazio
und Beccadelli in Neapel, mit Filelfo und Decembrio in Mailand,
mit Guarino und Aurispa in Ferrara, mit dem ganzen florentiniſchen
Gelehrtenkreiſe. Doch eigentlich nahe ſtand ihm unter allen dieſen ſo⸗
genannten Freunden nicht einer, nahe ſtanden ihm noch weniger die
Venetianer, die ſeine Studien theilten. Die literariſchen Zänkereien,
die jene unter einander führten, waren ihm zuwider. Suchten ſie ihn
hineinzuziehen, ſo wehrte er dieſe Zumuthung ab: er leſe die Streit⸗
ſchriften nicht und man dürfe nach ſeiner Meinung über Geiſt und
Charakter gelehrter Freunde kein unbeſonnenes Urtheil fällen. Zwiſchen
Bruni und Niccoli, zwiſchen Poggio und Guarino hat er den verſöh⸗
nenden Schiedsrichter gemacht, auch zwiſchen Poggio und Valla hat er
es wenigſtens verſucht.)
An allen Beſtrebungen des Humanismus nahm Barbaro Theil
und bethätigte ſein Talent in verſchiedenen Richtungen. Er ſammelte
die Werke der alten Autoren, verglich und verbeſſerte die Exemplare.
Des Griechiſchen war er ſo weit mächtig, daß er und Leonardo Giu⸗
ſtiniani den paläologiſchen Kaiſer Joannes im Jahre 1423 mit grie⸗
chiſchen Anreden im Namen der Republik empfangen konnten. Auch
hat er einige kleinere Sachen aus dem Griechiſchen überſetzt. Wenn
wir übrigens, abgeſehen von Reden und Briefen, nur ein größeres
Werk über die Ehe von ihm leſen, welches er in jungen Jahren (1415)
ſchrieb und Lorenzo de Medici widmete, ſo liegt der Grund in ſeiner
ſteten politiſchen Beſchäftigung, die ihm für die Studien nur knappe
Muße ließ. Das eine Werk genügte aber, um ſeine weite Gelehrſam⸗ ,
keit und fein elegantes Latein zu beweiſen; Poggio, mochte er auch
ſchmeicheln, glaubte wenigſtens nichts Lächerliches zu ſagen, wenn er es
neben Cicero's Abhandlung von den Pflichten ſtellte.) Es gehörte zu
den frühſten und anregendſten Schriften dieſer Gattung.
Jn Florenz wäre Barbaro lediglich als Gelehrter der Stolz der
Republik geweſen, in Venedig ſtand er lediglich als hochverdienter
Staatsmann unter den Erſten. Kaum daß er ſich für den Zwang,
) Sein Brief an Valla in deſſen Opp. Basileae, 1540. p. 334. Franc.
Barbari Epistt. ed. Quirino epist. 233. 234.
) Sein Brief an Guarino Opp. p. 305. Ambros. Travers. epist. VI, 15.
III. Francesco Barbaro. 211
den ihm feine ſtaatliche Stellung auflegte, durch freien Briefwechſel
mit den florentiniſchen Freunden entſchädigen konnte. Waren die Flo⸗
rentiner nicht gerade Bundesgenoſſen der Inſelrepublik wie zu jener
Zeit, als ſie gemeinſam den Herzog Filippo Maria von Mailand be⸗
kämpften, fo mußte er ſich gar ſehr hüten und immer durfte er nur
salvo officio ſchreiben. Darum vermiſſen wir in feinen Briefen die
kecke Freimüthigkeit in politiſchen und kirchlichen Dingen, welche ſich
ſonſt die Humaniſten erlaubten. Das Intereſſe der Vaterſtadt ſteht
ihm immer obenan. Auch ſeine Studien hatten endgültig den Zweck,
ihn zu einem guten und nützlichen Bürger zu bilden. Es war ſeine
feſteſte Ueberzeugung, was er einſt einem befreundeten Univerſitätsge⸗
lehrten zurief: „Es iſt Zeit, daß du die Philoſophie aus der dunklen
Behauſung unnützer Jünger in das offene Feld und in den Kampf führeſt.
Denn ſolche Männer erſcheinen als glücklich, die unter einem freien
Volke für das gemeinſame Beſte arbeiten, die ſich mit Würde in großen
Geſchäften bewegen und des Ruhmes der (politiſchen) Weisheit genießen.)
Ein achtzehnjähriger Jüngling, als er jenes Buch über die Ehe
ſchrieb, wurde Barbaro ſchon im einundzwanzigſten Jahre zur Senator⸗
würde zugelaſſen. Seitdem finden wir ihn beſtändig als Podeſta in
den Municipien der Republik oder als Geſandten, der ſie bei den
ttalignifchen Mächten, vor Papſt und Kaiſer vertrat. Den meiſten
Ruhm brachte ihm die Vertheidigung von Brescia gegen einen Angriff
des Herzogs von Mailand im Jahre 1437. Er war Commandant
der Stadt, die in Parteien geſpalten und aufs dürftigſte mit Lebens⸗
mitteln verſehen, trotz Hunger und Peſt ſich doch drei Monate lang
gegen die Belagerung Piccinino's hielt. Seiner literariſchen Talente
hat er ſich nie gerühmt, aber wie er ſich hier „um das Vaterland ver⸗
dient gemacht und die Freiheit Italiens gerettet“, das erfüllte ihn mit
edlem Stolze, um fo mehr, da er ſich vom Senate der Republik ſchmäh⸗
lich vernachläſſigt fühlte.) Gratulirte er einem Fürſten wie Lionello
von Eſte zum Antritt ſeiner Regierung, ſo war ſeine Mahnung dabei
nicht wie ſonſt bei den Literatoren, er möge die Wiſſenſchaft und ihre
Jünger befördern, ſondern er möge ſich um die Republik von S. Marco
verdient machen.) Die beiden letzten Lebensjahre brachte er in Ve⸗
) Barbari Epistt. ed, Quirino Append. epist. 50.
) Barbari epist. 62. 64. 65. 68. 70. 81.
) Ejusd. epist. 84.
14?
212 III. Der Humanismus in Venedig.
nedig als Procurator von S. Marco zu. Seine Ehe mit Maria,
Pier Loredano's Tochter, konnte den Glanz ſeines Namens kaum 8
heben.)
Einige andre Venetianer, die als Arbeiter auf dem Fele der
claſſiſchen Wiſſenſchaften aufgeführt werden könnten, würden gleichfalls
beweiſen, daß ihr Verdienſt nur auf ſie perſönlich, nicht zum kleinſten
Theil auf ihre Vaterſtadt fällt. In einem Gebiete, ſollte man denken,
hätte das Talent ſolcher Einzelner mit dem Intereſſe des Freiſtaates
zuſammenfallen können, in dem der vaterländiſchen Geſchichtſchreibung.
Kaum ein andrer Staat trug die Bedingungen derſelben in ſo hohem
Maße in ſich als der von S. Marco. Dennoch blieb es bei officiellen
Annalen oder bei geheimen Memoiren, die Eigenthum der Familie
wurden und erſt lange nach dem Tode der Verfaſſer an die Oeffent⸗
lichkeit kamen. Wir beſitzen eine Geſchichte der Belagerung von Brescia
im Jahre 1437, die einem treuen Untergebenen Barbaro's, Evangeliſta
Manelmo, zugeſchrieben wird. Wahrſcheinlich iſt Barbaro ſelber der
Verfaſſer, und ſo zeigt uns die Pſeudonymität eben das Bedenkliche
eines ſolchen Unternehmens.) Außerhalb der Republik ſelbſt waren
venetianiſche Geſchichtswerke ganz unbekannt.) Bezeichnend iſt auch,
daß man von Staatswegen mehrmals den Plan faßte und auch ins
Werk ſetzte, durch einen in Pflicht genommenen Nicht⸗Venetianex eine
officielle Geſchichte der Republik ſchreiben zu laſſen. Die Sie
Kunſt gedeiht nur in der friſchen Zugluft eines öffentlichen Lebens: fie
treibt nicht leicht Früchte, wo dieſe nicht genoſſen werden dürfen.
Stand die Pforte zur mediceiſchen Gunſt jedem Talent offen, ſo
war Venedig für ven nicht-venetianifchen Gelehrten vollends der un⸗
dankbarſte Aufenthalt. Das haben viele der wandernden Grammatiker
und der anziehenden Griechen erfahren, keiner blieb lange. Sie er⸗
hielten den verſprochenen Sold, aber auf ein Mehr von Anerkennung
und Ehre durften ſie ſich keine Rechnung machen. Von Ginſtiniani
1
* Seine Briefe hat der Cardinal Quirini zu Brescia 1743 herausgegeben
und in einer Diatriba die Lebensbeſchreibung Barbaro's vorausgeſchickt. Einzelne
Briefe und Reden bei Pcz Thesaur. Anecd. nov. T. VI. P. III. Cf. Fa cius de
vir. illustr. p. 15. Tiraboschi T. VI. p. 86 - 88.
) Daß Barbaro ſolche Commentarioli Brixienses geſchrieben hat, geht aus dem
Briefe eines feiner Freunde hervor, der fie geſehen. Barbari epist. 133 ed. Qui-
rino. Append. epist. 3. Jener Manelmo wird ibid. epist. 153 N
’) Vespasiano: Poggio Fiorent. 5 8.
II. Der Humanismus in Venedig. 213
und Barbaro freundlich empfangen, blieben fie den höheren Streifen
übrigens fern und der Staat verhielt ſich ganz gleichgültig gegen ſie.
Männer, die mit gewaltigen Erwartungen gekommen waren wie etwa
Filelfo und nach ihm Georgios Trapezuntios, fanden ſich in wenigen
Wochen getäuſcht. Ueberdies war erſterer nicht von Seiten des Staates
gerufen, ſondern einige Nobili hatten ihm aus privaten Mitteln einen
Jahresſold von 500 Ducaten geboten. Als er, von Byzanz kommend,
in Venedig landete, herrſchte daſelbſt eine Seuche und er fand die⸗
jenigen nicht vor, die ihn geladen, ſeiner Meinung nach eine unver⸗
zeihliche Vernachläſſigung.) Der anmaßende Trapezuntier wurde nir⸗
gend lange geduldet. Aber auch beſcheidene und verträgliche Menſchen
wie Guarino verſuchten bald anderswo ihr Glück. Man wollte hier
Leute, die zugleich genügſam und praktiſch brauchbar waren wie der
Chalkidenſer Nikolaos Sagundinos, der ſich als Interpret auf dem
florentiniſchen Unionsconcil ausgezeichnet und nun in Venedig als Se⸗
cretär angeſtellt wurde, um bei den griechiſchen e e be⸗
nutzt zu werden.)
Der Gedanke einer öffentlichen Bibliothek, der in Florenz ſo natür⸗
lich aus dem Bürgerſtolz entſprang, lag in Venedig fern. Cardinal
Antonio de' Correri hinterließ eine Sammlung von 120 Codices, die
er mit großen Koſten zuſammengebracht, dem Kloſter S. Giorgio in
Alga, dem er zugehörte. Giuſtiniani's und Barbaro's Bücher blieben
ohne Zweifel in der Familie. Allerdings war einſt (1362) der Senat
von S. Marco, durch den allgemeinen Sturm der Begeiſterung fort⸗
geriſſen, freudig auf das Anerbieten Petrarca's eingegangen, deſſen
Bibliothek an einem angemeſſenen Ort aufzuſtellen und dem Gelehrten
eine Wohnung dabei herzurichten. Indeß kam der Plan, wohl mit
Lauheit betrieben, gar nicht oder nur in ſehr kleinem Maßſtabe zur
Ausführung.) Die Begründung eines ſolchen literariſchen Inſtitutes
geſchah erſt 1468 durch die Grille Beſſarion's, des griechiſchen Car⸗
dinals, der ſeine Bibliothek der Republik vermachte, weil er hier zuerſt
den abendländiſchen Boden betreten, hier als Cardinal Ehre gefunden,
hier den natürlichen Knüpfpunct zwiſchen Griechenland und Italien zu
finden meinte.
2) Vergl. die erſten 22 aus Venedig datirten Briefe Filelfo's und den Brief an
Traverſari in deſſen Epistt. XXIV, 36.
2) Facius l. c. p. 21.
2) Tiraboschi T. V. p. 173.
214 III. Der Humanismus in Genua.
Was ſollen wir von Genua ſagen? Selbſt neben Venedig er⸗
ſcheint es für die Literatur ſo unbedeutend wie Siena neben Florenz.
Es hatte einen guten Latiniſten zum Staatsſecretär, den Jacopo
Bracelli, zugleich Geſchichtſchreiber der Republik.) Niccolo Ceba
ſammelte griechiſche Bücher und ſtand mit florentiniſchen Freunden in
elegantem Briefwechſel.) Viel mehr wüßten wir von genuefiſchen
Humaniſten jener Zeit nicht zu ſagen; denn die Blüthe der Hiſtorio⸗
graphie gehört erſt einer ſpäteren Periode an.
) Facius 1. e. p. 19, Briefe von ihm in den Epistolae Principum etc. ed.
Donzelino. Venet., 574.
°) ef. Leon. Bruni epist. IX, 4. — Blond us Italia illustr. p. 298 nennt
noch ein paar genueſiſche Gelehrte zweiten Ranges, denen Niccolo Camullio beizu⸗
fügen ware.
215
Viertes Buch.
Der Humanismus an den Höfen Italiens.
Wie Petrarca für republicaniſche Freiheit ſchwärmte, auch in ſeiner
perfönlichen Stellung ein freier Mann bleiben wollte und doch gern
bei den Fürſten der Welt und der Kirche hofirte, ſo hat auch die Erbin
feines Geiſtes, die humaniſtiſche Schule überhaupt, ſich wunderbar allen
politiſchen Formen anzuſchmiegen gewußt. Auf der apenniniſchen Halb⸗
inſel konnte man dieſe Geſchicklichkeit üben: da gab es im Laufe der
Zeit alle Berfafſungen, die demokratiſche Republik und die oligarchiſche,
die tumultuariſche und die perikleiſche, den Despotismus, die Tyrannis,
die vollsbeliebte Herrſchaft, das kleinſte ſtädtiſche Gemeinweſen und
die weltumſpannende Hierarchie. Zu einer jeden nahm der neue Stand
des ſchöngeiſtigen Gelehrtenthums eine beſondre Stellung an.
Wir treten nun aus der Atmoſphäre der Republiken in die Hof⸗
luft der Dynaſtien herüber. Derſelbe Wechſel bezeichnet den Lebens⸗
pfad der meiſten Humaniſten und fo werden wir denn an den Höfen
manche uns ſchon bekannte Geſtalt wiederfinden. Wer einige Jahre
lang, durch gute Beſoldungen angelockt, von einem Lehrſtuhl zum andern
umhergezogen war, ſehnte ſich natürlich bald nach einer ruhigeren Lebens⸗
weiſe, nach einer ſichern Stellung. Jeder Krieg, jede Regung der Par⸗
teien wurde ſelbſt in Florenz eine Lebensfrage auch für den Gelehrten.
Er mußte fich mit den Machthabern zu ſtellen wiſſen, die aber wechſelten
und immer war mehr als einer. Behaglicher war es immerhin, an
einem Hofe unterzukommen; man hatte nur Einem zu dienen, Einem
zu ſchmeicheln, von Eines Gunſt und Gnade den Lohn zu erwarten.
Die meiſten Herren Italiens waren Tyrannen im antiken Sinne des
216 IV. Der Humanismus an den Höfen Italiens.
Wortes, ſie hatten ſich aus den Trümmern der Volksherrſchaft er⸗
hoben, andre waren aus Vaſallen und Statthaltern ſouveraine Fürſten
geworden; in Neapel begründete die Eroberung das Recht. Keiner von
ihnen fühlte ſich ganz ſicher auf dem Thron: bald war das Freiheits⸗
gefühl des Volkes noch im Stillen rege, bald der Anſpruch des alten
Lehnsherrn zu beſorgen, bald vor Prätendenten und Kriegsheeren zu
zittern. Auf die Condottieri war kein Verlaß; einem ſtehenden Heere,
wären auch die Koſten erſchwinglich geweſen, hätte man noch weniger
getraut. So beruhten dieſe Dynaſtien im Grunde auf der Zufrieden⸗
heit des Volkes und auf dem Bedürfniß einer ruhigen, geordneten Ver⸗
waltung. Daher überall daſſelbe Beſtreben, den Adel an ein Hofleben
zu gewöhnen, durch Beamte ein regelmäßiges Regiment zu üben, Geld
in Bereitſchaft zu halten, das Volk leutſelig zu behandeln und ihm doch
durch Glanz und Pracht zu imponiren.
Dieſem Syſtem mußten die Hofgelehrten und Hofdichter in ihrer
Weiſe dienen. Sie waren nach damaligem Geſchmack die erſten Prunk⸗
artikel, nicht viel anders als wie etwa ein deutſcher Herzog durch ein
zahlreiches, goldbeſticktes Hofgeſinde, durch eine Menge von Roſſen,
Hunden und Falken, durch glänzende Bankette und Turniere ſich ein
Anſehen unter ſeinesgleichen gab. Die Perſon des Fürſten und die
Dynaſtie zu beſingen, ſie vor Mit⸗ und Nachwelt im Lichte antiker
Größe und Hoheit erſcheinen zu laſſen, ihre Geſchichte zu ſchreiben,
ſie in epiſchen, elegiſchen und odiſchen Maßen zu feiern, Feſtreden
vorzutragen, Prunkbriefe zu ſchreiben und Epitaphe zu dichten, aber
auch mittelbar durch den Ruhm ihrer eigenen Gelehrſamkeit und den
Glanz ihres Namens den Hof zu zieren, der ſie ernährte, das war der
Beruf dieſer literariſchen Höflinge. Alle die Fürſten Italiens, die als
Schutzherren der Wiſſenſchaft geprieſen werden, ſuchten zugleich durch
Bauten ſich Denkmale zu ſetzen, wiederum in der Tendenz, ihre Schwäche
oder Illegitimität durch ſchauſtelleriſchen Prunk zu übertünchen, dadurch
glänzend und mächtig zu ſein, daß ſie es ſchienen, daß ſie ihr Regi⸗
ment mit dem Mantel des Glanzes und der Macht umkleideten.
Es iſt erſtaunlich und für den Freund wahrhafter Geſchichte de⸗
müthigend, wie leicht von dieſen Poſaunen des Dynaſtenruhmes die
Ohren nicht nur der Mitlebenden, ſondern noch der Jahrhunderte nach
ihnen betäubt werden konnten. Faſt möchte man behaupten, die ganze
Geſchichte Italiens während der humaniſtiſchen Periode erſcheine in dem
Lichte eines künſtlichen Feuerwerkes. Nur ſchüchtern und in ſparſamen
—
IV. Der Humanismus an den Höfen Italiens. 217
Andeutungen verräth ſich hin und wieder die Wahrheit; ihre matte
und ſchlichte Stimme iſt kaum zu hören durch den triumphirenden Lärm
der Lobgeſänge und Verherrlichungen. Seit jener Zeit und bis auf
dieſen Tag haben die italieniſchen Autoren eine Unart, die auch andre
Nationen angeſteckt hat: ſie präconiſiren die hervorragenden Männer
ihres Vaterlandes mit allen Zeugniſſen und Autoritäten, die irgend
aufzutreiben ſind. Sprechen ſie von dem Leben und den Verdienſten
eines Mannes, ſo fügen ſie alsbald einen Katalog derer hinzu, die ihn
gelobt haben. Aber wie anders geſtaltet ſich oft das Urtheil, wenn
man unter jenen Zeugen die bloßen Nachbeter ausſondert und die Mo⸗
tive der Uebrigen prüft! |
So erſcheinen denn Fürſten, die nüchtern und ſparſam, beſonnen
und berechnend, oft kleinlich und treulos eben waren, wie ſie unter den
beſchränkenden Verhältniſſen ſein konnten, durch das Medium ihrer
Hofliteratur wie große Cäſaren und erhabene Mäcene. Sie erkauften
einfach die Stimmen derer, welche das Jahrhundert beherrſchten und
ihr Wort durch hundertfältiges Echo in die Zukunft forttönen ließen.
Und wie es der menſchlichen Eitelkeit eigen iſt, daß ſie gern den
Schmeicheltönen lauſcht und ſich willig von ihrer Wahrheit überführen
läßt, ſo wiegten auch jene Fürſten ſich in einem Traume ihrer ruhm⸗
vollen Unſterblichkeit, der als zweites Phantaſieleben neben dem nackten
realen Leben herging. Daher die ausſchweifenden Ehren, die überfrei⸗
gebigen Belohnungen, die auf dieſe Hofliteraten gehäuft wurden und
nun ſie wiederum in eine Wolke von Selbſttäuſchung hüllten, als ſeien
ſie die Leuchten der Menſchheit, die Propheten der Zukunft, als liege
es in ihrer Hand, die Palme des ewigen Ruhmes oder die Verdamm⸗
niß der Vergeſſenheit auszutheilen. Zu Statten kam ihnen ferner die
nie ſchlummernde Rivalität und Eiferſucht der Fürſten unter einander;
denn dieſen war es ein wahrer Triumph, einander literariſche Größen
abzufangen. Mit einem Wort, man erhob die Koryphäen der Wiſſen⸗
ſchaft zu den Trägern der öffentlichen Meinung, und demgemäß ge⸗
berdeten ſie ſich mit dem Stolze einer Weltmacht.
Man kann auf dieſes ſeltſame Verhältniß zwiſchen den Literatoren
und den Höfen das Wort Hamlet's anwenden, welches er dem Polonius
über die Behandlung der Schauſpieler einprägt: „Hört Ihr, ſorgt
daß ſie gut gehalten werden; denn ſie ſind der Inbegriff und die Chro⸗
niken der Zeit. Es wäre Euch beſſer, nach Eurem Tode eine ſchlechte
Grabſchrift zu haben, als ihre üble Nachrede, während Ihr lebt.“
U
218 IV. Neapel. König Robert und Petrarca.
Den erſten Muſenhof haben wir in Neapel zu ſuchen und hier
war König Robert aus dem Hauſe Anjou der erſte Auguſtus, der
die Dichter hegte, hier hatte ſchon Petrarca die Verehrung der Poeſie
und des Alterthums gepflanzt. Seine Anweſenheit in Neapel wirkte
entzündend auf den König, obwohl dieſer bereits 66 Jahre zählte und
bisher nur für Philoſophie und Theologie einiges Intereſſe gezeigt.
Als Petrarca ihm einſt — auch Boccaccio war gegenwärtig — den
geheimen Sinn nachwies, der ſich in Virgils Gedichten berge, meinte
der König erſtaunt, er habe nie geahnt, daß hinter den Fictionen der
Dichter ein fo erhabener Gehalt ſtecke. Er bereute, die Poeſie jo fpät
erkannt zu haben, und wollte ſogleich an das Studium Virgils gehen.
Ich ſchwöre, ſagte er einſt nach einem inhaltſchweren Schweigen zu
Petrarca, daß mir die Wiſſenſchaften viel ſüßer und theurer ſind als
mein Reich und daß ich lieber das Diadem als ſie entbehren möchte.
So anrüchig ſeine Regierung ſonſt in mancher Beziehung iſt, hat Pe⸗
trarca dennoch dieſen erſten fürſtlichen Mäcen mit unermüdlichem
Preiſe verherrlicht, und Boccaccio folgt ihm auch hierin als treuer
Schildknappe. Merkwürdig, wie dieſelben Phraſen, die Petrarca auf
Robert anwendete, von ſeinen Nachfolgern oft genug an ſpätere Fürſten
mit derſelben Wirkung gerichtet worden ſind. Petrarca machte den
König zum Freunde der Muſen, indem er ihn verſicherte, daß er es
bereits ſei; er ſtellte ihm den Cäſar Auguſtus nicht unmittelbar zum
Vorbilde auf, ſondern er wollte bemerkt haben, daß der König ſelbſt
ſich dieſes Vorbild gewählt; er rühmte ihn, daß Tugend und Geiſt vor
ihm gälten, nicht der Vorzug der Geburt, und dergleichen. „Glück⸗
liches Neapel! rief er aus, dem es durch ein Glück ohne gleichen zu
Theil geworden, den einzigen Edelſtein unſers Jahrhunderts zu beſitzen!
Ja glückliches und beneidenswerthes Neapel! heiligſte Heimath der
Wiſſenſchaften! Erſchieneſt du einſt ſchon dem Maro ſüß, wie viel
ſüßer mußt du jetzt erſcheinen, da ein fo weiſer Verehrer der großen
Geiſter und der Studien in dir wohnt. Zu dir komme, wer ſeinem
Genius vertraut!“ ).
Sogleich zeigten in Neapel, wie denn das Beiſpiel von Königen nie-
mals ohne Nachahmung bleibt, einige Edle vom Hofe eine heftige Liebe
) Petrarca epist. de reb. famil. I, 1. IV, 2. 3. Epist ad. poster. Epist.
ad Robertum Sicil. Reg. (Opp. p. 1252), Rer. memorand. Lib. I. in fine (Opp.
p. 456) Lib. III (p. 513). Das Epitaph auf den König epist. metr. II, 9. Boc-
oatii de geneal. Deor. XIV, 9 ad fin. 22,
IV. Neapel. König Alfonfo. 219
zur Poeſie oder vielmehr eine glühende Verehrung für Petrarca; ſo
Giovanni Barrili und Barbato von Sulmona, letzterer des Königs
Canzler und von Petrarca im Feuer der Freundſchaft als zweiter
Ovidius begrüßt. Doch war die Zeit noch nicht da, in welcher es eine
Schaar von Schöngeiſtern gab, die ſich um König Robert hätte ver⸗
ſammeln können. Er that, was er ſolchen Umſtänden nach thun konnte.
Er ſammelte Bücher aller Art, auch poetiſchen und geſchichtlichen In⸗
halts, und ſo entſtand die erſte fürſtliche Bibliothek, die im Gegenſatz
zu den Kirchen⸗ und Kloſterſammlungen den weltlichen Charakter ſchon
nicht mehr verleugnete. Ihr Vorſtand war der gelehrte Paolo de
Perugia, deſſen Arbeiten Boccaccio nicht wenig zu verdanken bekennt.)
Den Mönch Barlaamo ließ der König mit nicht geringen Koſten
aus Griechenland kommen, damit er zu dem mythologiſchen Sammel⸗
werke Paolo's die Stellen griechiſcher Autoren überſetzen und die nöthi⸗
gen griechiſchen Bücher herbeiſchaffen helfe.
Erſt nach mannigfachen politiſchen Wirren ſollte ſich hier in Neapel
ein Muſenhof im volleren Sinne bilden. Werden Kunſt und Wiſſen⸗
ſchaft einmal höfiſch, fo muß zu ihrem Gedeihen ein bildungsliebender
und liberaler Fürſt in die Mitte treten, der durch freudige Theilnahme
anregt und ſpornt, der jedes gute Ding ſeinen Weg gehen läßt und
Männer von Geiſt nicht zu bloßen Hoffiguren erniedrigt.
König Alfonſo der Aragonier iſt mit dem meiſten Recht von
den Humaniſten als das Ideal eines mäcenatiſchen Fürſten geprieſen
worden, und nicht nur bezahlte Schmeichelei, auch wahrhafte Verehrung
hat dazu mitgewirkt. Seine Geſtalt, entkleiden wir ſie auch jedes er⸗
borgten Schimmers, erſcheint dennoch als eine ungewöhnliche. Mit
den Waffen in der Hand hatte er das apuliſche Reich dem franzöfiſchen
Prätendenten abgerungen, deſſen Cabalen, verbunden mit dem rebelli⸗
ſchen Sinn der Barone, ihm immer noch Unruhe genug machten. Auch
dauerte es lange, bis die Mächte Italiens der Feſtigkeit feines Thrones
vertrauten. Er aber zeigte in Allem den ſichern Fürſten, der ohne
Verdacht und Furcht, offen und frei über das Reich waltete. Er war
durchaus kein Schooßkind des Glückes, aber man liebte es in Italien
zu ſagen, daß er die Dirne Fortuna unter ſeinen kräftigen Willen ge⸗
beugt. Eifrig nahm er Antheil an allen diplomatiſchen Verhandlungen
und Kriegen der Halbinſel, es ſollte nicht ausſehen, als habe er nöthig,
) Bocost. Il. c. XV, 6. Raphael Volaterr. Lib. XXI.
220 VV. Der Muſenhof Alfonſo's von Neapel.
ſchüchtern, vorſichtig und ſparſam zu fein. Um den Schein der wohl⸗
begründeten Macht zu wahren, ließ er bisweilen ſogar kleine Vortheile
mit Gleichgültigkeit fallen. Obwohl ihn ſtets Geldmangel und Ver⸗
ſchuldung drückten, hielt doch kein andrer Fürſt ſo glänzenden Hof,
keiner beſchenkte die fremden Geſandten ſo reichlich. Obwohl ihm ferner
die Erhaltung ſeiner Dynaſtie, die Nachfolge ſeines Baſtards Fernando
bedenklich erſcheinen mußte, wiegte er ſich doch mit ſcheinbarer Sorg⸗
loſigkeit in den Freuden der Jagd und der Wolluſt. Trotz dem ſpa⸗
niſchen Blute ſchien er in ſeinem Leben ganz und gar der italieniſche
Fürſt zu ſein, wie er auch fertig italieniſch ſprach. Es war ihm eine
rechte Genugthuung, als die franzöſiſche Ritterſchaar, die den Anſpruch
des Herzogs von Orleans auf Mailand zu verfechten kam, ſo ſchnell
und ſchmählich abgefertigt wurde und als dieſer Sieg in ganz Italien
ein freudiges Zujauchzen hervorrief; derſelbe Haß traf ja auch ſeinen
Rivalen, das angioviniſche Haus. An die aragoniſche Dynaſtie da⸗
gegen gewöhnte man ſich wie an eine einheimiſche.
Alfonſo war ein offener und freier Kopf, dem niemand den Frem⸗
den, den Barbaren nachſchelten ſollte. Waren einmal Wiſſenſchaft und
Kunſt der Stolz der italieniſchen Nation und ihrer Fürſteu, ſo ſtellte
er ſich leicht auch von dieſer Seite als ganzer Italiener dar. Er hatte
die lateiniſche Sprache erträglich leſen und verſtehen gelernt, mit dem
lateiniſchen Sprechen freilich ging es ſchwach. Schon von Aragonien
aus, bevor er alſo nach Italien herüberkam, ſtand er mit Lionardo
Bruni im Briefwechſel und bemühte ſich um deſſen Ueberſetzungen
ariſtoteliſcher Schriften.) An wiſſenſchaftlichen Kenntniſſen konnte er
ſich vielleicht mit Coſimo de Medici meſſen, das heißt er war durch⸗
aus kein Gelehrter, aber er hatte die Auffaſſungsfähigkeit und das
Intereſſe eines vielſeitigen Dilettanten, der mit Leichtigkeit zu lernen
weiß und ſchnell begreift, worauf es ankommt. An Muße fehlte es
ihm, wie zu den ſinnlichen, ſo auch zu den literariſchen Vergnügungen
nicht. Daß ihn von einer Krankheit Curtius' Leben Alexanders des
Großen heilte, welches ihm Beccadelli in täglich drei Lectionen wie eine
Arzenei beibrachte, daß er ſich in Kriegeszeiten täglich die Commenta⸗
rien des Julius Cäſar vorleſen ließ, dies und Aehnliches ſind lite⸗
rariſche Hofgeſchichten, die vielleicht ſein Hofdichter erfunden haben
) Leon. Bruni epist. VII, 2. 7. IX, 13.
IV. Der Muſenhof Alfonſo's von Neapel. 221
dürfte,) aber in den Berichten von den wiffenſchaftlichen Beſprechungen
und Disputationen, die es am Hofe Alfonſo's gab, ſind die Autoren
jener Zeit einſtimmig. Der König war, und auch darin erinnert er
an den Medici, ein beſonderer Freund der Dialektik, die dem ſchwär⸗
menden Humaniſten gegenüber die Rechte des ſcharfen Menſchenver⸗
ſtandes vertritt, er hatte die Bibel und dazu die Auslegung des Nico⸗
laus von Lyra, wie er ſich zu rühmen pflegte, vierzehn Male durchge⸗
leſen, er hörte gern über philoſophiſche und theologiſche Materien
disputiren und miſchte ſich dann auch in das Geſpräch. An gewandten
Begriffsfechtern, wie dem Theologen Sogliera, hatte er feine Luft. *)
Aber auch den heidniſchen Claſſikern hatte ſich fein Sinn geöffnet und
dieſe Neigung wurde von den Hofhumaniſten eifrig genährt. Daß er
ſie indeß nicht wie ein tägliches Brod genießen konnte — ſeine Schmeich⸗
ler freilich reden in dieſem Tone — beweiſet wohl ſchon der Umſtand,
daß er ſich Livius und Curtius in die Vulgärſprache überſetzen ließ“)
und Auguſtinus' Gottesſtaat in einer franzöſiſchen Ueberſetzung las.“)
Indeß hegte er vor Allem, was dem Alterthum entſtammte, eine faſt
religiböſe Verehrung: römiſche Münzen bewahrte er in einem elfen⸗
beinernen Käſtchen und befchaute mit Gedanken an Tugend und Nach⸗
ruhm die Bilder der Imperatoren; als er Gaeta belagerte, ließ er es
nicht zu, daß die Steine von Cicero's naher Villa für die Kriegs⸗
maſchinen verwendet würden.) Er liebte es, wenn ihm, wie großen
Männern des Alterthums, geiſtreiche oder hochherzige Lakonismen nach⸗
gerühmt wurden; mancher edle Zug, manche ſchöne Handlung, die von
ihm erzählt wird, läßt die Abſicht des Handelnden durchſchimmern, daß
fie einft in den Annalen der Geſchichte fortleben möge. Er liebte es
ferner, im Umgange mit Büchern und mit Gelehrten den König zu
vergeſſen. Bisweilen ſah man ihn zu Fuß vor die Katheder der Pro⸗
feſſoren Neapels, zumal der Theologen, gehen. Wenn ein alter Autor
vor ihm geleſen wurde, durften auch Andre als er ſelbſt die Leetüre
durch eine kluge Frage oder eine gelehrte Erörterung unterbrechen; er
) Anton. Pan ormita de dictis et factis Alphonsi N edit. stud.
Dav. Chytraei. Witebergae, 1585. Lib. I. 43. II, 13.
2) Vespasiano: Alfonso Re di Napoli $1. 13. Panormita l. c. II, 17.
9 Tirabos chi T. VI. p. 1076 nach Paulus Cortesius de Cardinal.
p. 7. f
) Aeneas Sylvius Comment. in Anton. Panorm. I, 6.
) Panormita U, 12. 48.
222 IV. Der Muſenhof Alfonſo's von Neapel. Valla.
hörte gern zu, wenn die Hofphilologen Verbeſſerungen zum Texte des
Livius aufſtellten und mit Hitze verfochten.) Wurde nach Tiſche die
Aeneide geleſen, fo durften arme lerneifrige Knaben zuhören, die Hdf-
linge aber wurden ausgeſchloſſen; dann reichte wohl der König mit
eigener Hand dem Vorleſer Früchte oder Zuckerwerk zur Erfriſchung.“)
Dieſe Vorleſungen und Disputationen waren eine regelmäßige Hoffitte,
ſte fanden bald im Prunkzimmer des Königs, bald in der prachtvoll
geſchmückten Bibliothek ſtatt und wurden auch, wenn der König außer⸗
halb Neapel reſidirte, oder ſelbſt während ſeiner Feldzüge nicht aus⸗
geſetzt.
Nirgend ſonſt, ſelbſt nicht in den Republiken, durften die Literato⸗
ren ſo frei und rückſichtslos ihr Weſen treiben, wie unter der mächti⸗
gen Aegide dieſes Königs von Neapel. Selbſt vor dem langen Arme
des römiſchen Hofes und vor mönchiſchem Glaubenseifer fanden ſie hier
die ſicherſte Zuflucht. Zum erſten Male und allein hier gab es eine
Freiheit des Wortes, die für keine Verletzung der Kirche, der Religion
oder der Sittlichkeit eine Strafe zu fürchten hatte. Deshalb eben fanden
ſich auch hier die ungebundenſten und kühnſten Geiſter zuſammen, hatte
der Sturm und Drang gegen die Autorität hier feinen Mittelpunet.
Zwei Namen erſten Ranges nannte dieſer Muſenhof die ſeinen,
Lorenzo della Valle, gewöhnlich ſchlechthin Valla genannt, den Römer,
wie er ſich am liebſten nannte, obwohl er zu Piacenza geboren war,“)
und Antonio Beccadellt von Palermo. Valla hatte den König ſchon
ſeit 1435 auf ſeinen Feldzügen begleitet, im Anfange des Jahres 1437
trat er als Secretär in ſeinen Dienſt, ein Mann von etwa dreißig Jah⸗
ren, und wurde von ihm der Ehre des Dichterdiploms gewürdigt. Seit
der Einnahme Neapels hielt er hier eine öffentliche Schule der Eloquenz,
wie er zuvor in Genua, Pavia und Mailand gethan. Schon war er
kein unbekannter Schriftſteller mehr. Seine Dialoge über die Wolluſt,
deren Plan er wohl noch während feines Aufenthaltes in Rom ent⸗
worfen und die er dann zu Pavia ausgearbeitet, hatten kein geringes
) Laur. Valla Invect. in Barth. Facium Lib. I (Opp. Basileae, 1540
p. 464).
) Panormita I, 39. IV, 18. Valla Recriminsationum in B. Facium
Lib. IV (Opp. p. 593). Vergl. die Erzählung des Genueſen Jacopo Curlo bei
Tiraboschi T. VI. p. 68.
) ef. Jo. Ant. Vigerini Elogium Vallae bei Georgius Vita Nicolai
V. Romae. 1742. p. 207. re
IV. Valla und feine Dialoge tiber die Wolluſt. 223
Aufſehen erregt. Sie wiegen die ſtoiſche und die epikuräiſche Lehre gegen
einander ab; ſie enthalten eine Verherrlichung der Wolluſt, wenn auch
nicht als letzte Moral. So vorſichtig ſich der Verfaſſer gleich in der
Einleitung vor jeder übelwollenden Deutung verwahrt, ſo unleugbar
ſeine Behauptung ſcheinen mochte, daß er den Epikuräer unmöglich mit
dem würdigen Ernſte des Stoikers ſprechen laſſen könne, ſo entſchieden
er ſchließlich die Lehre des Chriſtenthums triumphiren läßt, ſo wird
doch immer das Recht der ſinnlichen Natur mit der verführeriſcheſten
Geſchicklichkeit verfochten. Dieſe reizte den Leſer, ſchon weil ſie neu
und kühn war; die chriſtliche Ethik hatte er von Predigern hundertmal
gehört. Daß ein Menſch, der auf den Namen eines Chriſten Anſpruch
machte, nur ſolche Sätze auszuſprechen wagte! Die Jungfräulichkeit,
mit deren Entheiligung das Mönch⸗ und Nonnenweſen als ein Unding
zuſammenfällt, wird als die naturwidrigſte und unerträglichſte Qual
dargeſtellt. Wurden wir, ſo heißt es, nach dem Geſetze der Natur ge⸗
boren, ſo iſt es auch ein Geſetz der Natur, daß wir wieder zeugen
ſollen. Wie lockend erſcheint überall dem natürlichen Menſchen die Li⸗
cenz! hier nun wird fie in einem wohlgerundeten Syſtem vorgetragen.
Wie fügt er ſich nur mit Widerſtreben dem kategoriſchen Sittengeſetz,
das ihm in der Religion als eine höhere, mit Strafen ausgerüſtete
Macht vorgeſtellt wird! hier wird ſpielend die ſtrenge Autorität des
ſtoiſchen und damit auch des chriftlichen Sittengeſetzes gelockert und
darüber gelächelt, wie ſich der ſtoiſche Sinn auf ſeiner unerſchütterlichen
Theorie wie auf angeklebten Flügeln zum Himmel zu ſchwingen meint
und doch ſtets des Ikaros Schickſal unterliegt. Es iſt uns ſehr be⸗
greiflich, daß Valla durch dieſe Erörterungen in den Ruf kam, als
habe er geradezu die Wolluſt für das höchſte Gut erklärt,) daß man
die Form der Disputation für eine bloße Vorſicht, den Sieg der chriſt⸗
lichen Ethik für den bloßen Schein des Gerechten hielt. Die vergiftende
Lebensanſicht war einmal ausgeſprochen und da blieb es ziemlich gleich⸗
gültig, ob ſie auch behauptet wurde. Ueberdies ſprach, was man vom
Lebenswandel des Verfaſſers wußte, nicht für ſeine Moralität. Er
aber war Schalk genug, um ſich des ſichern Rückzuges zu freuen, den
er ſich vorbehalten, und um ſich über die Gährung zu beluſtigen, die
er in die Gemüther geworfen. |
Es fehlte ferner in feinem Werke nicht an Seitenhieben gegen die
) Vergl. z. B. Fabi us de vir. illustr. p. 23.
224 IV. Valla und feine Schrift gegen die conſtantiniſche Schenkung.
Mönche und das Mönchthum; die ganze Führung der Streitfrage iſt
ein ſteter Ankampf gegen ihre beſchränkte Auffaſſung der tiefen Lebens⸗
fragen. Wir gedenken den Leſer noch in die frivole Atmoſphäre ge⸗
wiſſer römiſcher Kreiſe zu führen, in welcher auch dieſes Werk entitand,
Es zeigt jedenfalls einen Geiſt, der die hergebrachte Autorität von ſich
geworfen hat oder zum mindeſten von ſich werfen kann. Wahrſchein⸗
lich kam eine perſönliche Gereiztheit Valla's hinzu. Er hatte als ein
vierundzwanzigjähriger Jüngling bei Papſt Martin um eine Stelle in
der apoſtoliſchen Cancelei angehalten und war abgewieſen worden.)
Die Cardinäle, ſagte man ihm, ſeien ſeiner Bewerbung entgegen ge⸗
treten; ſofort rächte er ſich durch biſſige Epigramme, in welchen er ihre
Eigenheiten und Laſter verhöhnte.) Man konnte ihn wie Poggio als
einen unverſöhnlichen Feind der Pfaffen und Mönche anſehen, aber
Poggio's Waffen waren die Schmähung und der Witz, Valla's wurden
die Schmähung und die Kritik. Er war inzwiſchen durch ſeine „Ele⸗
gantien“ die erſte Autorität auf dem grammatiſchen Gebiete geworden;
dadurch wuchs ſein Muth, die Achtung Alfonſo's vor ſeiner Gelehr⸗
ſamkeit und die Bedeutung ſeiner Perſon in der literariſchen Welt.
Im Jahre 1440 erſchien Valla's Schrift gegen die conſtantiniſche
Schenkung.) Der Augenblick war verhängnißvoll. König Alfonſo war
der politiſche Gegner des Papſtes Eugen IV, deſſen rechte Hand, Car⸗
dinal Vitelleschi, einen Verſuch gemacht hatte, das neapolitaniſche Reich
für den päpſtlichen Stuhl in Beſchlag zu nehmen. Begünſtigte der
Papſt als Lehnsherr die Anjou, ſo ſtand Alfonſo natürlich auf Seiten
des basler Concils, welches den Papſt gerade damals für entſetzt er⸗
klärte. So iſt es kaum zu bezweifeln, daß Valla im unmittelbaren Auf⸗
trage des Königs ſchrieb. Denn daß nicht der ernſte Geiſt der Wiſſen⸗
ſchaft ihn antrieb, zeigt ſchon der heftige Ton, mit dem er gleich in
der Einleitung gegen die Päpſte im Allgemeinen losfährt, dann Papſt
Eugen als Tyrannen und Cardinal Vitelleschi als einen Bluthund
ſchmäht.) Die gelehrte Forſchung war ihm nicht der Zweck, ſondern
) Vallae Opp. edit. s. cit. p. 352.
2) P. Cortesius de Cardinal. L. II. p. 88 nach Ti ra boschi T. VI. p. 1561.
) De falso credita et ementita Constantini donatione, öfters gedruckt, auch
in feinen Opp. Nach p. 793. derſelben ſchrieb Valla das Buch ſechs Jahre ua der
Flucht des Papſtes Eugen aus Rom.
) p. 791 nennt er ihn monstrum atque portentum — — qui gladium —
— in Christianorum sanguine lassavit, quo gladio et ipse periit (1. Apr. 1440).
IV. Valla und feine Schrift gegen die conſtantiniſche Schenkung. 225
nur das Kampfmittel. Und mehr als ſeine kritiſche Unterſuchung der
alten Schenkungstradition reizte den Gegner die drohende Declamation
gegen vas moderne ſimoniſtiſche und verweltlichte Papſtthum, dem er
einen förmlichen Krieg ankündigt.) Damit ſtimmte er in den verhaßten
Ton ein, mit dem die Concilredner im basler Dom den italieniſchen
Papat angriffen. Es war ein Schlag, der von Italien aus und mit
der blitzenden Waffe des Humanismus geführt wurde, die bis dahin
mehr zum Schutze des Papſtthums gedient, die ihre Triumphe in die
Klaſſen der beſten Geſellſchaft, an die Höfe, unter den gebildeten Adel,
unter die Prälatur trug. Welche Gefahr, wenn auch in Italien die
Sympathie für die gallicaniſchen Lehren erweckt wurde, die ſeither aus
nationaler Abneigung nicht aufgekommen war!
Der Papſt und die Cardinäle waren der Anſicht, daß gegen Valla
ſchlechterdings eine Unterſuchung eingeleitet und daß er, wenn ſchuldig
befunden, geſtraft werden müſſe. Er war in Rom, wo er ſich ver⸗
muthlich zum Beſuche ſeiner Verwandten aufhielt, nicht mehr ſicher,
floh heimlich nach Oſtia, dann nach Neapel und endlich gar in einer
Verkleivung nach Barcelona, wo er das ſchlimmſte Unwetter vorüber⸗
gehen ließ.) Nur Alfonſo's feſte Zuſicherungen können ihn vermocht
haben, nach Neapel zurückzukehren. Man hielt dennoch ſeine Lage für
gefährlich: Filelfo gab ihm den freundſchaftlichen Rath, den Sturm
möglichft zu beſchwichtigen, die Pfaffen nicht zu reizen, ſich lieber ganz
feiner Muſe und dem Dienſte des Königs zu widmen.“)
Aber Valla fühlte ſich unter Alfonſo's Aegide ſicher genug, er
ſetzte ſogar den Kampf gegen die verhaßten Mönche mit aller Freiheit
fort. Sie wagten es nicht, den kritiſchen Streit über die Schenkung
Conſtantins aufzunehmen, ſie verſuchten Vorpoſtengefechte über Mate⸗
rien, in denen ſie ſich heimiſcher fühlten. Valla erklärte den Brief
Chriſti an Abgar von Edeſſa, den Euſebins ) mittheilt, für unterge⸗
ſchoben, er verhöhnte Fra Antonio da Bitonto, einen furioſen Mino⸗
ritenprediger, weil dieſer behauptet, jeder Artikel des apoſtoliſchen Sym⸗
) Am Schluſſe des Werkes heißt es: Wenn der Papſt ſich weigert, zur Armuth
ſeiner Vorgänger Sylveſter und Leo zurückzukehren, tune ad alteram orationem
multo truculentiorem accingeremur.
) Tiraboschi T. VI. p. 1551 nach Antonio Corteſe.
)Philelfi Satyr. Dec. II. hec. 4. Namque sacerdotum furor est insanus
et ingens.
) Histor. eoales. Lib. I. cap. 13.
Voigt, Humanismus. 15
226 IV. Balla und die Inquiſttion.
bols ſei von einem der Apoſtel beſonders verfaßt, er ließ endlich die
Meinung durchblicken, jenes Symbol rühre überhaupt nicht von den
Apoſteln her. Das waren feinen Gegnern willkommene Ketzerejen, auf
Grund deren ſich ſchon „verfahren“ ließ. Sie fanden in Valla's
Schriften noch manche incriminirende Aeußerung. In den Tractaten
über die Wolluſt und über den freien Willen ſollte er die Lehre Gpikurs
in Schutz genommen und behauptet haben, die Tugenden ſeien nur die
Dienerinnen der Voluptas, Klugheit und böſer Sinn lägen nahe hei
einander, es gebe nur drei Elemente, nicht vier, nur drei innere Sinnt,
nicht fünf, nur acht Syllogismen und die andern von den neunzehn
ſeien Unſinn, aber auch ſchlimmere Dinge, wie daß die Mönche ſich
mit Unrecht einbildeten, wegen ihrer Profeſſion mehr zen au
haben als andre Menſchen, und dergleichen.
Man hetzte zunächſt den Pöbel gegen den Ketzer auf. 80 Fra
Antonio donnerte mehrere öffentliche Predigten gegen ihn. Daun kam
es zur Disputation und endlich auf das Betreiben der Bettelmönche
zur Inquiſition. Die Dominicaner, deren Amt die letztere war, ber
langten Valla vor dem erzbiſchöflichen Vicariat. Sie wollten ihm uur
die Wahl zwiſchen einer ſchmählichen Demüthigung oder einem ſchmäh⸗
lichen Tode laſſen. Darum verlangten ſie förmlichen Widerruf. Valla
beſtritt ihre richterliche Competenz: fie, feine Feinde, feien zugleich An⸗
kläger, Richter und Zeugen. Wolle er ſich vertheidigen, ſo verbiete
man ihm das Wort, und nehme er ſich das Wort, fo ſeien ſie bereit,
ihn alsbald für einen hartnäckigen Ketzer zu erklären und vom Pöbel
ſteinigen zu laſſen. In dieſer furchtbaren Geſtalt beliebte Valla fpäter
dem Papſte Eugen das Glaubensgericht auszumalen. Daß aber bie
Zuverſicht auf den Schutz des Königs viel größer war als die Furcht
vor den Mönchen und dem Pöbel, zeigt fein Benehmen. Statt einer
ausführlichen Verantwortung warf er nur mit ſichtbarer Perachtung
die Erklärung hin, er glaube wie die Mutter Kirche. Als man ihn
endlich durch eine in ſeiner Dialektik aufgeſtellte, dem dogmatiſchen Ge⸗
biete fremde Behauptung zu verſtricken ſuchte, antwortete er dem heili⸗
gen Tribunal mit der ſpottenden Bemerkung: die Mutter Kirche wiſſe
zwar nichts davon, aber er glaube auch in dieſen Dingen ganz wie die
Mutter Kirche. Kaum hatte er den Ort der Unterſuchung verlaſſen,
jo wartete er nur, bis auch die Herren Inquiſitoren herauskamen,
ſchmähte weidlich auf ſie, daß ſie es hören mußten, und ging dann
ſtracks vor den König, um ſich zu beklagen. Alfonſo ließ die Inquiſi⸗
IV. Valla im Kampfe mit den Theologm. Hermaphroditus. 227
toren tabelnd an: er wiſſe recht wohl, was fie gegen Valle antreibe;
er nannte geradezu das Werk gegen die Schenkung Conſtantins. Valla
behauptet ſogar, er habe zornig feine Gegner als Verſchworene, als
falſche Ankläger und ungerechte Richter geſcholten. Kurz, der Proceß
wurde fofort eingeſtellt und den Mönchen Ruhe geboten.)
Ungeſtraft hatte der Kritiker die ehrwürdige Tradition angegriffen,
der Grammatiker die Theologen gemeiſtert, der Hofdichter die heilige
Inquiſition verhöhnt. Sein kühnes Buch gegen das Papſtthum wurde
erſt recht verbreitet und geleſen, ſeitdem König Alfonſo es öffentlich
und mit Billigung erwähnt und ſich gleichſam als Protector erklärt.
Zum Aerger der Ketzermacher beſchäftigte ſich der gelehrte Philologe
nun gar mit dem neuen Teſtament, rügte die ſprachlichen Mängel der
Bulgata und ſoll ſogar ein Regiſter über die Irrthümer des heiligen
Hieronvmus geführt und den heiligen Auguſtinus beſchuldigt haben, er
hege irrige Anſichten über die Prädeftination.) Vor weiteren An⸗
griffen ſchützte ihn nicht nur Alfonſo's Gunſt, ſelbſt der Nachfolger
Eugen s IV, des ſchwergekränkten — verzieh ihm. Er verzieh ihm
nicht nur, wir ſehen mit Erſtaunen, wie der verketzerte Gelehrte nach
Rom gerufen, zum apoſtoliſchen Scriptor ernannt, geehrt und reichlich
beſchenkt wurde. Der tiefer Blickende wird nicht verkennen, welche Be⸗
deutung in dieſem Siege der humaniſtiſchen Gelehrſamkeit über die
Vertreter der Tradition und der Orthodoxie liegt.)
Viel mehr Aufſehen noch als Valla's Streitſchrift gegen den Pa⸗
pat erregte in den erſten Regierungsjahren Eugen's IV ein kleines
Buch, welches unter dem Titel Hermaphroditus eine Sammlung
von Epigrammen enthielt, die an genialer Keckheit und ſchmutziger Fri⸗
volität Alles übertraf, was die Humaniſten bisher etwa in Nachahmung
der römiſchen Satiriker ſich herausgenommen.) Es war das Erſt⸗
) Den Vorfall erzählt Valla ſelbſt in ſeinem an Papſt Nicolaus V gerichteten
Antidoton in Pogium lib. IV (Opp. p. 356 sq.) und in der Apologia pro se et
contra calumniatores ad Eugenium IV (Opp. p. 795 8.)
5) cf. Poggii epist. Alberto Parisio cancellario Bononiensi im Spicileg.
Roman. T. IX. p. 642.
%) C. G. Zumpt Leben und Verdienste des Laur. Valla (Zeitschrift für
Gesahichts wissenschaft herausgeg. von W. Ad. Schmidt Bd. IV) giebt mit Be-
nutzung von Poggia li's Biographie (Memorie intorao alla vita e agli soritti di
Lor. Vals. 1790) eine treffliche Ueberſicht über das Leben und zumal die philologi⸗
ſchen Verdienſte Valla 8.
) Antonii Panormitae Hermaphrodius. Frimus in Germanis edidit et
15 *
298 IV. Beecabeili's Hermaphroditus.
lingswerk eines jugendlichen Dichters, der zu Siena den Studien ob⸗
lag und hier im Sitze der Liebe und der Lüſte — molles Senae nennt
er es ſelbſt — mit Enea Silvio de! Piccolomini zuſammen das ge⸗
nießende Leben nach den Alten und die Dichter der Alten nach dem
Leben ſtudirte), des Antonio degli Beccadelli, gewohnlich nach
ſeiner Vaterſtadt Panormita beibenannt. Das Buch ließ in einen
Abgrund von Laſterhaftigkeit ſehen, aber es umkränzte ihn mit den
zierlichſten Blumen der Poeſie. Alſo nicht nur diejenige geſchlechtliche
Sünde, in der das Weib zum Spiel der wiverlichſten Lüſternheit wird,
auch die Päderaſtie, dieſe Schande, dieſer Fluch der alten Welt, über
den die chriſtliche Religion einen ihrer vollſten Triumphe gefeiert, auch
ſie lebte wieder auf und nicht nur im Dunkel des vereinzelten Ver⸗
brechens, ſie war bereits zur wohlbekannten Sitte geworden. Die
leichtfüßigen Verſe des Dichters ſpielten mit dieſen Vorſtellungen, als
ſeien ſie die natürlichſten und allverſtändlichſten Gegenſtände des Witzes
und der heitern Laune. Und noch mehr: der Dichter bekannte ſich mit
Freuden als Verfaſſer des Schandbuches, er vertheidigte es mit dem
Vorgange der altrömiſchen Dichter, er ſah auf die ſtrengen Sittlich⸗
keitswächter wie auf dummes Volk herab, welches den Zauber der au⸗
tiken Lascivität nur nicht verſtehe.
Das war nun die erſte erſchreckende Frucht des Glaubens an die
Unfehlbarkeit der Alten, eine kühne Herausforderung der kirchlichen
Moral, ungleich kühner als Valla's Dialoge über die Wolluft. Die
Humaniſten fanden die Sache nicht einmal auffällig. Der alte Gnarino
von Verona, der damals etwa 63 Jahre zählte und ehrlicher Vater
von einem Dutzend Kinder war, bewunderte die ſüße Harmonie des
Gedichtes, den heitern hüpfenden Vers, der wie mitten im Bordell
herumbuhle, die Ungezwungenheit des Scherzes und ber Lascivttät.
Er ſetzte ſich leicht über das Geſchrei der Ungebildeten hinweg, „die
nur an Thränen, Faſten und Pſalmen ihr Behagen finden und nicht
Apophoreta adjecit F. C. Forbergius. Coburgi, 1824. Den Titel des Buches
erklärt der Dichter Lib. I, 3 offen genug: Cunnus et est nostro, simul est et
mentula libro. |
') Daß die Epigramme wohl ſämmtlich in Siena entſtanden find, geht aus
ihrem Inhalt hervor. So wird darin, um nur ein Beiſpiel heranszuheben, der
Grammatiker Matthias Lupius wiederholt als Pädicaut ſeiner Schüler gebrandmarkt
(Epigr. Lib. I, 23. 26. 36. II, 16. 19. 24). Zum Ueberfluß jagt es auch Valla
in Bart. Facium Lib. IV (Opp. p. 630). a N
IV. Beccabeil’s Hermaphroditus. 229
wiffen, daß ein andres Ziel das Leben, ein andres die Dichtkunſt hat.“
Den Dichter begrüßte er als einen neuen Theokritos.) Auch Poggio
erklärte demſelben ſeine Freude an der Eleganz der Verſe und ſeine
Bewunderung, daß er ſo unkeuſche, tolle Dinge ſo zierlich und lieblich
geſagt. Zwar mahnte er ihn, in der Folge auf ernſtere Stoffe zu
finnen, da chriſtlichen Dichtern nicht daſſelbe freiftehe wie den heidni⸗
ſchen, aber dieſen Vorwurf meinte er ſicher nicht allzu ernſtlich, ey der
noch im ſiebzigſten Lebensjahre die Facetien ſchrieb, das würdigſte Sei⸗
tenſtück zum Hermaphroditus.) Antonio Loschi, der Grammatiker,
der das Buch gleichfalls reizend fand, hatte es ihm geſchickt. Biſchof
Bartolommeo von Mailand ließ dem Dichter fein unglaubliches Ver⸗
langen melden, es zu leſen.) Die Reize eines gewandten Verſes, der
Neuheit und der Sinnlichkeit, von denen jeder für ſich ſtark genug
wirkt, kamen der Verbreitung des Hermaphroditus alle vereinigt zu
Statten. Als König Sigmund ſich 1433 zu Siena aufhielt, krönte er
den jungen Mann mit dem Dichterlorbeer.)
Aber dieſes Aufſehen weckte auch die Zionswächter der Sittlichkeit
und wie gegen Valla, ſo traten auch gegen den jungen Palermitaner
die Minoriten von der Obſervanz in die Schranken. Ihre berühmteſten
Prediger, Bernardino von Siena, Roberto da Lecce und Alberto da
Sarteano eiferten gegen den Verfaſſer und verbrannten das Buch zu
Bologna, Ferrara und Mailand auf den öffentlichen Plätzen.) Die
Feder ergriff zuerſt der genannte Alberto: er wollte die lüſterne Jugend
vor dem anſteckenden Einfluſſe des „höchſt verbrecheriſchen Buches und
des, wenn er nicht bereue, nicht minder verlorenen Verfaſſers“ retten,
dieſen wollte er „erſt mit väterlicher Liebe mahnen, dann mit der
Furchtbarkeit des gerecht zürnenden Richters ſchrecken.“ Ein andrer
Franciscaner, Antonio da Rho, ſchrieb eine Invective gegen das Buch
) Sein Brief an Giov. Lamola bei Lami Catal. cod. msc. Bibliothecae
Biccard. p. 37, bei Ban dini Catal. cod. lat. Bibliothecae Mediceo-Laurent. T.
II. p. 106, bei Forberg I. c. p. 16.
2) Sein Brief an Panormita, d. Rom d. 5. April 4432 oder 1433) und ein
zweiter Brief an denſelben o. D. in Poggii Opp. p. 349. 353, bei For berg p. 14.
) Panormita's Brief an ihn in j. Epistolae. Venet., 1553. fol. 38, bei
Forberg p. 1.
) Aſchbach Geſch. K. Sigmund's Bd. IV. S. 403.
) Albertus Sarthianensis epist. 3. 8. ap. Martene et Durand Vet.
scriptt. et monum. ampliss. Collectio T. III. p. 775. 796, bei Forberg p. 20.
Laur. Valla Antid. IV. in Poggium (Opp. p. 841. 364).
230 | IV. Beecadelli.
und den Verfaſſer, der fie nicht unbeantwortet ließ.) Der Earthänfer
Mariano da Volterra trat mit einem Gegengevicht in die Schranken.)
Es iſt bezeichnend genug, daß dieſe Mönche ſchon keine ſchärfere Waffe
hatten als ihre Rede und ihre Feder, um vas ſcandalöſe Buch zu ver⸗
nichten. Zwar vermochten fie Papft Eugen, es zu verdammen und
jeden mit der Excommunication zu belegen, der es leſen würde. Aber
gewiß ging es oft wie in einem Falle, der uns erzählt wird, wo Car⸗
dinal Ceſarini einen ſeiner Secretäre bei der verſtohlenen Lectüre des
verbotenen Buches betraf.) Valla, freilich der bitterſte Feind Bec⸗
cadelli's, erzählt uns, das auf Papier gemalte Bild des Dichters ſei
ſowohl zu Ferrara während des Concils wie dann auch zu Mailand
vor einer großen Menge Volkes verbrannt worden.“) Endlich hielt
es der verketzerte Poet doch für zweckmäßig, nur im Stillen zu lachen
und öffentlich ſeine Reue über die Unthat der frivolen Muſe zu be⸗
zeugen.)
Es ſcheint, daß der beranſchende Beifall, mit welchem der Herm⸗
aphroditus begrüßt wurde und der weder mit der Mühe noch mit
dem wirklichen Verdienſte im Verhältniſſe ſtand, den fungen Dichter
früh an die Schranke ſeines Talentes führte. Er hatte eben nur glück⸗
liche Gaben, ein geiſtreiches Weſen und heitre Lebensluſt. Um ſeine
Gelehrſamkeit ſcheint es ſehr dürftig geſtanden zu haben. Der eine
glückliche Wurf, den er noch als Student gethan, blieb ſeine bedeu⸗
tendſte Leiſtung. Wir hören, daß er ſich zu Pavia, Piacenza, Bologna
und Padua als Lehrer der Rhetorik verſuchte. Auf dieſe Laufbahn
durch vier Univerſitäten kommen höchſtens zwei Jahre, er trieb fich
umher, ſei es daß er wenig gelernt hatte und wenig lehren konnte oder
daß die Machinationen ſeiner überall geſchäftigen Feinde, der Bettel⸗
mönche, ihm jedes Gedeihen verkümmerten. Gerade Talente ſeines⸗
gleichen ſind ſchon zu hunderten zu Grunde gegangen. Da rief ihn
Alfonſo etwa 1435 zu ſich nach Neapel und hier fand er gerade die
Stellung, die ihm allein angemeſſen war. Er wurde der literariſche
) Facius de vir. illustr. p. 4.
) Tiraboschi T. VI. p. 1106.
)Vespasiano: Giuliano Cesarini $ 10.
*) Valla Invect. in Barth. Facium Lib. II (Opp. p. 543).
) Hic foeces varias Veneris moresque profanos,
Quos natura fugit, me docuisse pudet.
Quirini Diatriba ad Epistt, Franc. Barbari p. 60.
IV. Beccabelli. Fazio. 231
Kiebling des Königs, hatte nichts zu thun als demſelben nach der Mahl⸗
zeit ein Stück aus Livius, Seneca, Virgil oder Aehnliches vorzuleſen,
geiſtwoll und witzig zu fein, als Geſandter umherzureiſen oder bei Hofe
eine Feſtrede zu halten. Dafür war er mit dem Titel eines königlichen
Rathes eine angeſehene Perſon bei Hofe, begleitete den König auf Rei⸗
ſen und Feldzügen, wurde dem neapolitaniſchen Adel zugeſchrieben, er⸗
hielt eine hübſche Billa zum Geſchenk, wurde ein reicher Mann und
ift auch unter Fernando, Alfonſo's Sohn, in unangefochtener Gunſt ge⸗
blieben, bis am 6. Januar 1471 der Tod ſeinem behaglichen ſieben⸗
undſiebzigjährigen Leben ein Ende machte.) Vielleicht nur in Neapel
konnte ein Mann von ſo anrüchigen Antecedentien eine ſo friedliche
und leichte Exiſtenz genießen.
Ein gründlicher Gelehrter wie Valla und ein ſchöngeiſtiger Hof⸗
mann wie Beccadelli hätten gewiß ohne Eiferſucht neben einander leben
können. Aber in Folge jener Vorleſungen und literariſchen Unterhal⸗
tungen, die unter der perſönlichen Theilnahme des Königs ſtattfanden,
wurde Valla neidiſch auf die Günſtlingsſtellung Beccadelli's, und dieſer
hatte alle Urſache, auf das reelle und unleugbare Verdienſt Valla's
ſcheel zu ſehen. Er ſelbſt, der geſchmeidige Höfling, wagte nicht gegen
den ſcharfſinnigen Grammatiker ins Feuer zu gehen, der bereits mit
andern literariſchen Gegnern gar unſäuberlich verfahren war. Er ſchob
einen Dritten vor, Bartolommeo Fazio den Genueſen — er war
aus Spezzia — den Hofhiſtoriographen, einen Schüler Guarino's.
Dieſer wies in einem der Werke Valla's 500 Sprachfehler vor, aber
Balla vergalt ſeine vier Bücher Invectiven mit vier Büchern Recri⸗
minationen, und wie bei allen dieſen Fehden blieb es nicht bei dem
wiſſenſchaftlichen Thema, die bitterſten Perſönlichkeiten machten den
Streit piquant.)
Einen Punct gab es doch, in welchem die brei Hofgelehrten, fo
verſchiedene Talente ſie übrigens waren, mit einander concurrirten.
Es war die Verherrlichung ihres Fürſten und ſeines Hauſes, eben
überall die Pflicht der Hofliteratoren und ihr lohnendſter Dienſt. Valla
ſchrieb in Alfonſo's Auftrag das Leben Fernando's I von Aragon, ſei⸗
) Tiraboschi T. VI. p. 1100. 1108.
) Von den Invectiven Fazio's ſind nur Fragmente, deren Tiraboschi T.
VI. p. 1553 gedenkt und die ich nicht geſehen, in den bei Tomm. Bettinelli zu Ve⸗
8 gedruckten Miscellaneen T. VII. mitgetheilt; die Valla's finden ſich inf.
Werken. Näheres bei Zumpt a. a. O. S. 422.
232 IV. Neapel. Die höſiſche Geſchichtſchreibung. Porcello.
nes Vaters. Beccadelli's Sammlung denkwürdiger Ausſprüche und Hand⸗
lungen Alfonſo's iſt ein echt hofmänniſches Buch, eine leichte und mühe⸗
loſe Aufreihung, auch wohl Erfindung von ſchönen Worten und ſchönen
Charakterzügen des Königs, die raffinirteſte Schmeichelei, die mit 1000
Ducaten belohnt wurde.) Der Sammlung ſchloß ſich eine pomphafte
Beſchreibung des Triumphes an, mit dem Alfonſo bei ſeinem Einzuge
in Neapel am 26. Februar 1443 empfangen wurde. Fazio beſchloß in
ſeinem Buche „über die berühmten Männer ſeiner Zeit“ die Reihe der⸗
ſelben mit Alfonſo, weil nach Erwähnung eines ſolchen Mannes, dem
an Tugenden die andern Fürſten ſeiner Zeit alle vereinigt kaum gleich⸗
kämen, der an Weisheit, Glück und Ruhm Alle überſtrahle, kein andrer
mehr der Erwähnung würdig ſei.) Eine Reihe von Jahren wendete
Fazio dann auf fein bedeutendſtes Werk, eine Geſchichte Alfonſo's in
zehn Büchern, zu deren Abfaſſung er vom Könige ausdrücklich beauf⸗
tragt wurde.) Während der Arbeit erhielt er jährlich 500 Ducaten;
und als er dem Könige das Buch überreichte und einen Abſchnitt dar⸗
aus vorlas, der die Erſtürmung eines Schloſſes lebhaft und glänzend
ſchilderte, belohnte ihn der entzückte Fürſt mit einem Ehrengeſchenke
von 1500 Goldgulden.“)) Fazio ſuchte im geſchichtlichen Stil den
Julius Cäſar nachzuahmen, über deſſen Commentarien der König ein
beſonderes Gefallen geäußert.) Den Stil der Schmeichelei hat er
ungleich glücklicher getroffen. Er ſtellte ſich von vornherein die Auf⸗
gabe, „den um ihn hochverdienten König der Ewigkeit zu weihen.“ )
Wir haben noch der berühmteſten Männer zu gedenken, die nur
vorübergehend oder gar nur bei flüchtigem Beſuche den parthenopäiſchen
Muſenhof zierten. Da war ein junger Menſch, aus Neapel ſelbſt ge⸗
bürtig, Giantonio Porcello de' Pandoni, deſſen ungewöhnliches
Formentalent für einige Zeit großes Aufſehen erregte. Als er im hoͤ⸗
heren Alter zu Rom lebte und lehrte, lachte man darüber, daß er ohne
einen Begriff von Wiſſenſchaftlichkeit, Jahr aus Jahr ein daſſelbe von
1) Jo. Jo v. Pontanus de liberalitate (Opp. Basileae, 1538. T. I) cp. 29.
) Facius de vir. illustr. p. 76.
) Barbaro's Brief an ihn v. 18. Aug. 1451 bei Facius de vir. ill. p. 90
und in Barbari epist. 119. ed. Quirino.
) Vespasiano: Alfonso Re di Napoli 5 7.
) Aeneas Sylvius Comment. in Anton. Panorm. II, 13.
) S. epist. 8. an Barbaro v. 26. Sept. 1451 bei ſ. Werke de vir. ill. p. 93
und in Franc. Barbari epist. 120. ed Quirino.
IV. Neapel. Porcello. 233
der Katheder herabſchwatzte und noch dazu in italieniſcher Sprache.
Aber als Jüngling zeigte er eine ähnliche Gabe wie Beccadelli: latei⸗
niſche Verſe machte er ſo ſchnell, als er nur ſchreiben konnte, und ſo
unzählige, daß die Druckerkunſt ſich nie abgemüht hat fie zu verewi⸗
gen; fie waren mindeſtens fo unfläthig und ſchmähſüchtig wie die feines
ſiciliſchen Rivalen.) Er hatte in Rom gelebt, vielleicht um bei der
Curie unterzukommen. 1434 wurde er eingekerkert und dann aus Rom
vertrieben, entweder weil ſeine derben Verſtöße gegen die Ehrbarkeit
Scandal erregt, oder weil er ſich an dem Volkstumult betheiligt hatte,
durch welchen der Papſt verjagt und die geiſtliche Regierung in eine
republicaniſche verwandelt worden war. Neapel war auch für ihn ein
Aſyl, der König nahm ihn als Secretär in Dienſt.“) Es ſcheint, daß
er ihn zum Geſchichtſchreiber heranbilden wollte. Er ſchickte ihn ins
Heerlager der Venetianer, ſeiner Bundesgenoſſen: der junge Dichter
theilte mit Giacomo Piccinino, dem Condottiere, während der Feld⸗
züge gegen Sforza von 1452 und 1453 Zelt und Tiſch. Er ſchrieb
dann die Geſchichte dieſes Krieges und widmete fie dem König Alfonſo.“)
Man mochte ſeine Sätze gefällig und ſeine Schreibart blühend nennen,
die ſehr geringfügigen Ereigniſſe dieſes Krieges ſtehen doch gegen die
Wendungen und Standreden, die Porcello aus Cäſars und Livius
Werken gelernt, zu komiſch im Gegenſatze, zumal ſeit er auf den Ein⸗
fall gekommen iſt, Piccinino und Sforza ſtets als Scipio, den er Aemi⸗
lianus beibenennt, und Hannibal aufzuführen. Die Huldigungen, die
immer inzwiſchen Alfonſo dargebracht werden, gelangen ihm noch am
beiten. Als im April 1452 Kaiſer Friedrich in Neapel zum Beſuche
war, hielt Porcello die Begrüßungsrede an ihn und wurde dafür als
„Dichter, Redner und Geſchichtſchreiber“ — letzteres für zukünftige
Verdienſte, denn damals hatte er ſein erwähntes Geſchichtswerk noch
nicht geſchrieben — durch kaiſerliche Hand mit dem Lorbeer gekrönt.“
Mit dieſer Ehre ging Friedrich noch täppiſcher um als Sigmund, der
) Ant. Coccius Sabellic us Rapsodiae Historiarum Ennead, X. Lib.
VI p. 719. Raphael Volaterr! Lib. XXI.
*) Tiraboschi T. VI. p. 1052 e seg. a
) Commentarii Comitis Jac. Piceinini ap. Muratori Scriptt. T. XX et
XXV. |
) Das Diplom v. 9. April 1452 in Chmel Material, z. österr. Gesch. Bd,
II. n. 7. N
234 IV. Neapel. Filelfo. Piccolomini. Gaza. Manetti.
vielleicht an Beccavelli's Obſcönitäten ein perſönliches Wohlgefallen
gefunden. a
Im Anguſt 1453 machte Filelfo in Neapel einen Beſuch. Er batte
dem Könige feine Satiren gewidmet, überreichte fie ihm jetzt in Capua
und trug Stucke daraus vor. Alfonſo erwies ihm unmäßige Ehren:
er ſchlug ihn in Gegenwart des ganzen Hofes zum Ritter, verlieh ihm
ſein eigenes königliches Geſchlechtswappen und krönte ihn am 21. Auguft
eigenhändig mit dem Lorbeer, wobei er ihm eigenmündig eine lange
Lobrede hielt. Auch wurde Filelfo ficher ſehr anfehnlich beſchenkt; denn
ſeine Feder floß ſeitdem über vom Lobe . von der Unſterblichteit des
großen Königs.“)
Gedenken wir hier auch des Beſuches, den Biſchof Enea Silvio
de' Piccolomini von Siena als Geſandter feiner Vaterſtadt dem
Könige im März 1456 abſtattete. Er wurde als namhafter Schrift
ſteller empfangen und den politiſchen Aerger des Königs gegen die Sa⸗
neſen überwand ſeine Hochachtung vor ihrem feingebildeten Geſandten,
der Alfonſo ſofort ſchriftſtelleriſche Huldigungen zu Füßen legte.
Als nach dem Tode Nicolaus’ V der literariſche Hof von Nom
plotzlich feines Schutzherrn beraubt wurde, richteten nicht wenige der
brodloſen Schriftſteller ihr ſehnſüchtiges Auge auf Neapel. Hier fand
nun Theodoros Gaza eine ehrenvolle Aufnahme und ein Jahrgehalt,
welches ihn der Noth enthob.) Die glänzendſte Stellung aber erwarb
hier der Florentiner Manetti. Hatte ihm Papſt Nicolaus 600 Du-
taten jährlichen Soldes bewilligt, jo ließ ihm Alfonſo 900 zahlen, er⸗
nannte ihn zum königlichen Rath, ſtellte ihm außerdem Pferde, Diener
und Briefboten zur Verfügung und hielt ihm Schreiber, damit er ſeine
Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen und Hebräiſchen fördern könne.
Er ſoll gejagt haben, mit Manetti wolle er fein letztes Brod theilen.)
Dieſer überſetzte die Pſalmen aus dem Urtext ins Lateiniſche und wid⸗
mete die Arbeit dem Könige, der ſich um den Tadel Andrer nicht küm⸗
merte, als habe Manetti mit den Siebzig und mit Hieronymus wett⸗
eifern wollen. Auch ein Leben Alfonſo's hatte der Florentiner unter
Händen, worin er ihn mit Philippos von Makedonien in Vergleich
ſtellte. Doch erlebte der König die Beendigung dieſes Buches nicht
1) Panormita de diet. et fact. Alphonsi III, 11. Fa eius de vir. ill. p. 5.
) Facius J. c. p. 27.
) Vespasiano: Alfonso $ 14.
IV. Neapel. Alfonfo's Freigebigkeit. Fernando. 235
mehr und bei Manetti erſturb ſtets die Luſt zu einer Arbeit mit dem
Wohlthäter, auf den er ſie berechnet. Indeß fällt in die Jahre, die
er zu Neapel verlebte, der Kern ſeiner ſchriftſtelleriſchen Thätigkeit.)
Selbſt als Redner bewunderte ihn der König, während man ihn zu
Florenz richtiger für einen Extempore⸗Schwätzer gehalten. Man er⸗
zählte bei Hofe, daß ſich einſt, während Manetti zu reden begann, eine
Fliege auf die königliche Naſe geſetzt, der aufmerkſame Fürſt ſie aber
nicht eher verjagt habe, bis der Redner geendet.)
Unter den gefeierten Gelehrten, die dem Könige Werke gewidmet,
ohne je ſeinen Hof zu ſehen, nennen wir Lionardo Aretino und Pog⸗
gio, Decembrio und Georgios Trapezuntios. Auch dieſe Huldigungen
aus der Ferne vergalt Alfonſo mit reichem Lohn. Um Lionardo Bruni
an ſeinen Hof zu ziehen, forderte er ihn auf, die Bedingungen nach
ſeinem Belieben zu ſtellen.) Poggio mahnte ihn unaufhörlich an die
fürſtliche Tugend der Freigebigkeit und hat fie reichlich genoſſen.)
Alfonſo ſoll für die Beſoldung und Unterſtützung von Gelehrten eine
jährliche Summe von 120,000 Goldgulden ausgeſetzt haben.) Aber
nicht nur das, wir wiederholen es, ſondern mehr noch die perſönliche
und intereſſirte Theilnahme des Königs an der Literatur und der
Schutz, den er den Literatoren gewährte, hat feinem Namen den mä-
cenatiſchen Lorbeer verdient.
Die Regierungszeit ſeines Sohnes Fernando reicht zu ſehr über
die Jahrzehnte hinaus, deren Schilderung uns hier obliegt. Der Her⸗
zog don Calabrien war in der gelehrten Hofumgebung, als Schüler
Valla's und Beccadelli's aufgewachſen, er hatte von ihnen dft genug
gehört, wie ein Fürſt den ſchönſten Ruhm erlange, wenn er die Wiſſen⸗
ſchaft und ihre Pfleger ſchütze. So ſetzte er als König feines Vaters
Weiſe fort. Beccadelli blieb im Genuß ſeiner Einkünfte und Ehren,
nicht minder Manetti. Neue Sterne tauchten auf. Doch führen Gio⸗
viano Pontano, das Haupt der neapolitaniſchen Dichter⸗ und Philo⸗
ſophenakademie, und Pandolfo Collenucrio ſchon in jene ſpätere Periode
) Naldi Vita Jann. Manetti l. s. c. p. 596.
) Panormita I. c. I, 46.
) Vespasiano: Lionardo d' Arezzo 8 9.
) S. oben S. 175. Poggio's Briefe im Spieileg. Roman. T. II. p. 621 an
Matteo Malferito und an Alfonſo ibid. T. X. epist. 7. 8. 9. Panormita l. e.
II, 61.
) Vespasiano: Alfonso 8 14.
236 IV. Mailand. Herzog Filippo Maria.
hinüber, in welcher der antike Geiſt bereits ein triumphirender, nicht
mehr ein ſich hervorarbeitender iſt.
In Mailand herrſchten die Visconti, eine Familie, in der ſich
viele jener unheimlichen Züge von Wolluſt, Herzloſigkeit und Tyrannen⸗
laune wiederfinden, durch welche dem Pſychologen die Charaktere der
berüchtigten Cäſaren juliſchen Geſchlechtes zu ſo grauſigen Räthſeln werden.
Zumal Filippo Maria, der letzte Visconti, unter gräuelvollen Erleb⸗
niſſen aufgewachſen, war ein erbärmlicher Tyrann, der Tag und Nacht
vor Verrath, Gift und Meuchelmord zitterte, obwohl er am Leben wenig
mehr zu verlieren hatte als das Vergnügen, welches er an ſeiner eige⸗
nen Falſchheit und Tücke fand. Er war ohne Zweifel viel ſchlimmer
in ſeinem Herzen, als er die Möglichkeit hatte, ſich zu äußern. Denn
er mußte ſeine Bosheit zügeln und den Schein der Güte und Gerech⸗
tigkeit heucheln, weil er den herzoglichen Thron wanken fühlte. Ohne
Liebe und ohne Haß, nur mit Verachtung der Welt und ſeiner eigenen
Exiſtenz ſpielte er mit Menſchen und mit der Politik als Einer, der
wohl fühlte, daß nach ſeinem Tode doch all ſein Thun umſchlagen und
zuſammenſtürzen müſſe. Er war als Herzog ohne Erben, für die er
hätte vorſorgen mögen, und ſo war es ihm eine teufliſche Luſt zu den⸗
ken, daß ſein Tod, den er von Mörderhand erwartete, Unzählige ins
Unglück mitreißen und das Staatsgebäude verderblich erſchüttern werde.
Und doch hatte auch dieſer Nero ſeine poetiſchen Anwandlungen,
wie denn die Natur ihre tiefſte Entartung dadurch brandmarkt, daß
ſie die Extreme zuſammenſtellt. Schon als Jüngling hatte er an den
Reimen Petrarca's ſeine Luſt gehabt und ſich Dante's großes Gedicht
erklären oder auch wohl der Mode wegen etwas aus dem überſetzten
Livius oder ſonſt einem Claſſiker, der die Thaten berühmter Männer
erzählte, ferner aus franzöſiſchen Rittergeſchichten vorleſen laſſen. Aber
das Alles geſchah ohne Ordnung, ſtückweiſe, wenn ihn gerade einmal
das Gelüſte reizte.
Seine dauernden Neigungen und Gewohnheiten lagen in einer
ganz andern Sphäre. Er hielt auf koſtbare Pferde und trieb ſich
gern in ſeinen prachtvollen Ställen umher, war ein Kenner von Sät⸗
teln und Zaumzeug. Obwohl er, ſeit er corpulent geworden, nicht
IV. Mailand. Herzog Filippo Maria. 237
mehr ritt, hatte er doch noch ſein Vergnügen daran, die widerſpänſtigen
Roſſe zu züchtigen, denen, die den Zügel nicht vertragen wollten, einige
Zähne ausreißen zu laſſen; Hengſte, die allzu muthig wieherten, brachte
er durch Schnitte in die Zunge und gewiſſe andre empfindliche Theile
zur Ruhe. Nach demſelben Geſchmack behandelte er Menſchen. Seine
Hofleute, Beamten und Condottieri waren von beſtochenen Schreibern
und Spionen umgeben, und dieſe hatten wiederum ihre Wächter. Ihm
wurde Alles zugetragen und er war genial in elenden Künſten, mit
denen er die Ehrlichkeit und die Ergebenheit ſeiner Diener auf die
Probe ſtellte. Gedachte er jemand zu beſchenken, ſo ſchalt er ihn vor⸗
her nicht ſelten aus und erklärte ihn für einen unbrauchbaren Dumm⸗
kopf. Aber wenn er zürnte, ſah man ihn lachen; denn es machte ihm
Vergnügen, ſeine Rache aufzuſparen und dann zu üben, wenn ſie am
empfindlichſten traf. Die Unglücklichen wurden nicht ſelten in entfernte
Kerker geſchleppt, wieder vor ihn gebracht und gemartert, dann wieder
abgeführt, ohne zu wiſſen, weshalb ſie die Strafe erlitten. Am näch⸗
ſten ſtanden ihm noch die ſchönen Pagen, die unter Dienſten um ſeine
Perſon zu Staatsmännern aufwuchſen. Sie nahmen nicht ſelten die
Stelle von Maitreſſen ein; das war am visconti'ſchen Hofe längſt ein
widerlicher Brauch. Einer der Lieblingsſpäße des Herzogs war, Schlan⸗
gen, denen die Giftzähne ausgezogen waren, in der Hand zu verbergen
und Schüchterne damit zu erſchrecken. Es war das Amt weniger Be⸗
vorzugter, dem Herzoge die Gebete und Pſalmen zählen zu helfen, die
er meiſtens im Spazierengehen mit großem Eifer herplapperte und
deren Zahl er ſelbſt durch gewiſſe Stellungen der Finger ſich geſchickt
zu merken wußte. Sein Geſpräch drehte ſich um kriegeriſche und po⸗
Btifche Unternehmungen, mehr aber noch um Pferde, Hunde, Vögel
und um plumpe Späße. Es ging indeß nicht weiter, als daß man
ſeine rauhe Stimme ſchimpfen oder höhniſch lachen hörte; denn jeder⸗
mann, ſelbſt feinen Beichtvater, hielt er mit bittern Witzen zum Beſten.
ie trat er ſelbſtſtändig daher, gewöhnlich ſah man das widerliche Ge⸗
ſchöpf mit den überhangenden Brauen, gelblichen Augen, ſtumpfer
Naſe, breitem Munde, kurzen dicken Fingern, ganz gekrümmten Beinen,
auf einen ſeiner Pagen oder Poſſenreißer geſtützt einherwanken.
Was konnten einem ſo armen und verwüſteten Gemüthe die Wiſſen⸗
ſchaften ſein! Man ſagt, er habe die Aſtrologen hochgehalten; allerdings
huldigte er dem blindeſten Fatalismus, inſofern er ſtets vor der Mög⸗
lichkeit eines Unheils zitterte, ohne indeß irgend etwas zu verſäumen,
9288 IV. Malland. Die Hofreuer Filippo Maria's.
was die Gefahr abwenden konnte. Aerzte mußten ihn auf Schritt und
Tritt begleiten und ihm über das geringſte Schmerzgefühl ſogleich Muh
kunft ertheilen; dennoch verſpottete er ihre Kunſt. Muſik und mi⸗
miſche Künſte galten ihm für Narrheit; lieber vertrieb er die Zeit
mit Karten und Würfelſpiel.) Von der lateiniſchen Sprache verſtand
er ſehr wenig. Der humaniſtiſche Aufſchwung hatte ihn ganz unberührt
gelaſſen, nicht aber die Sucht, durch berühmte Hofgelehrte glänzen zu
wollen und vor der Welt als ein Mäcen zu erſcheinen. Und ſo iſt
denn auch ihm der claſſiſche Weihrauch geſtreut worden wie andern
Fürſten, ja wir könnten verſucht werden, ihn für einen edlen Freund
der Muſen zu halten, nur daß er unglücklicherweiſe der letzte ſeiner
Dynaſtie war und daß darum nach ſeinem Tode frei über ihn geſpro⸗
chen werden durfte.
Schon ſein Vater Giangaleazzo hatte ſich des Antonio Loschi,
der als Dichter, Grammatiker und beſonders als Ausleger Cicero's
nicht geringen Rufes genoß, als eines Staatsſecretärs bedient. Ge
hatte Filippo Maria feinen Hofredner, Canzler und Epiſtolographen
in Gasparino da Barzizza (F 1431), an deſſen Stelle etwa zehn
Jahre ſpäter ſein Sohn Guiniforte trat. Zwar war damals bereits
der Franciscaner Antonio da Rho beſtellter Hofredner, aber Guiniforte
wußte dem Herzog klar zu machen: »es giebt nichts, was deinen Ruhm
mehr unſterblich machen könnte, als eine Menge tüchtiger Redner in
deiner Refidenz.““) Beide hatten die Pflicht, den öffentlichen Ange⸗
legenheiten die Modeſchminke des Humanismus zu geben und in Hof⸗
und Feſtreden ihren Herrn zu feiern. Ob fie anbei auch Grammatik
und Moral lehrten, war dieſem gleichgültig.)
Gar zu gern hätte Filippo Maria einen Namen erſten Ranges
für ſeinen Hof gewonnen, aber das gedrückte Leben an demſelben hatte
wenig Anziehendes, und die hohen Geldſummen, die er bot, erſetzten
nicht Jedem die Behaglichkeit des Lebens. So hielt es Antonio Bec⸗
cadelli trotz einem Solde von 800 Zecchinen nur kurze Zeit in Mai⸗
land aus, wo überdies die Umtriebe der Mönche ſeine Ruhe ſtörten;
) Dieſe Schilderung meiſtens nach Decem brio Vita Philippi Mariae ap.
Muratori Scriptt. T. XX, einem wahrhaft ſuetoniſchen Gemälde.
2) Seine Rede an den Herzog in Gu inif. Bar zizii Orationes et t Epistolae
ed. Furiettus. Romae, 1723. p. 15.
) Deacembrio l. c. eap. 63.
IV. Fileſfo am viscoutiſchen Hofe. 289
er ging ungleich lieber nach Neapel.) Endlich wurde 1489 Flielfe
gewonnen, der in der That viel beſſer für einen Hof als für die Hoch⸗
ſchule oder für das freiere Literaturleben der Republiken paßte. Hier
hatte man ihn nirgend lange ertragen: überall war er wie ein Halb⸗
gott empfangen worden, wofür er dann die Städte und ihre Einwoh⸗
ner rühmte und pries; bald regten ſich die Eiferſüchtigen und Feinde
gegen ihn oder er meinte doch ihre Machinationen zu empfinden, man
wurde kühl, dann unzufrieden, und er mußte weiter ziehen. Beſſer ger
lang es ihm, den Fürſten und Höflingen zu ſchmeicheln und auf ihre
Gunſt geſtützt, die Nebenbuhler zu überwinden. Noch war ihm immer
zu Muthe, als müſſe ſich die Erde um ihn bewegen, weil er Griechiſch
ſprach und ein elegantes Latein ſchrieb, aber außer dem Goldklange
des Ruhmes hatte fein Ohr auch den wirklichen Klang des Goldes
ſchätzen gelernt. Seitdem er älter geworden, wünſchte er ſich ein be⸗
haglicheres, gefichertes Daſein, wie es etwa Aurispa in Ferrara führte
und wie er ſelbſt es jetzt in Mailand fand.) Es gab ein herrliches
Verhältniß zwiſchen dem Tyrannen und ſeinem Hofdichter. Dieſer durfte
ſich rühmen, gleich bei der erſten Audienz am 2. Mai 1439 fo leut⸗
ſelig und ehrenvoll empfangen zu ſein, daß er ſeiner ſelbſt faſt ver⸗
geſſen habe,) er durfte mit Recht ſagen, er habe ſich aus den tusci⸗
ſchen Strudeln in einen ſichern Hafen zurückgezogen, wo ihm Alles in
reichem Maße gewährt werde, was er ſich an Einkünften und Würden
nur wünſchen könne.) Er erhielt 500 Zecchinen feſten Sold und für
das zweite Jahr ſchon 700), ein ſchönes und wohleingerichtetes Haus;
er wurde in die mailändiſche Bürgerſchaft aufgenommen und fand bei
Hoffeſten feine Stelle unter den Erſten des Adels.) Geſchenke und
Gnaden, erbetene und unerwartete, erhielten ſeine gute Laune. Er
fühlte ſich überglücklich in der Liebe dieſes „göttlichen Fürſten“, er
pries feine bewundernswerthen Tugenden, ſeine Leutſeligkeit und Güte,
ſeine Religioſität und vor Allem ſeine Freigebigkeit, die in den Augen
der Literaten immer als fürſtliche Cardinaltugend erſchien, er verkündete
) Tiraboschi T. VI. p. 1101.
) ef. Satyr. Dec. III. hee. 3.
) Seine Briefe an Alberto Zancaria v. 2. Mai und 9. Juni 1439, v. 13. .
1440. ;
) Sein Brief an Onofrio Strogi v. 5. Decemb. 1439,
) Das Document v. 8. Novemb. 1441 bei Rosmini l. s. . T. II. p. 278,
) Sein Brief an Cato Sacco v. 1. Januar 1440. Rosmini l, d p. 6
940 IV. Filelfo am visconti'ſchen Hofe.
der Welt das Lob eines Herrſchers, deſſen Edelſtun, Glanz und Macht
ſich über das menſchliche Maß erhebe und ihn einem Gotte gleich⸗
ſtelle.)
In Mailand war kein Nebenbuhler, der Filelfo's Ruhm hätte
gefährden oder durch ähnliche Gnade des Herzogs ſeinen Neid erregen
können. Die unbedeutenden Gelehrten, die ſich hier fanden, hatten
entweder nicht einmal Zutritt bei Hofe oder ſie hielten mit dem lite⸗
rariſchen Günſtling vorſichtigen Frieden. Der einzige, der es wagte,
nicht vor ihm zu kriechen, der herzogliche Secretär Pier⸗Candido
Decembrio, wurde in ſeinen Briefen verächtlich behandelt, in den
Satiren zur Zielſcheibe des Spottes gemacht und zugleich der unfinnig⸗
ften und niederträchtigſten Dinge beſchuldigt; er hatte nicht das Talent,
Gleiches mit Gleichem zu vergelten.)
So lebte Filelfo am visconti'ſchen Hofe geehrt und gefürchtet,
konnte von hier aus ungefährdet auf ſeine florentiniſchen Gegner los⸗
ziehen und ſich ſogar einbilden, in der hohen Politik eine Rolle zu
ſpielen, wenn auch der Herzog mit ganz andern Mitteln operirte als
mit Literatenfedern.) Ein paar Feſtreden zu halten und Weihrauch
zu ſtreuen, war Filelfo ein Leichtes. Ueberall, ſelbſt wenn er, wie in
den »mailändiſchen Gaſtmählern“ ſtrengwiſſenſchaftliche Gegenſtände be⸗
handelte, wußte er das Lob des Herzogs in Form von ſchmeichelhaften
Vergleichen oder in eingelegten Hymnen anzubringen. Des einzigen
) Sein Brief an die Balia und das Volk von Florenz v. 16. Juni 1440 und
andre Briefe aus jenen Jahren. |
) v. Rosmini T. III. p.156—161. In Filelfo's Satiren (Dec. VII. hec. 4.5.6.
Dec. VIII. hec. 3. Dec. X. hec. 2) wird Decembrio unter dem ſtehenden Spottnamen
Leucus angegriffen, ähnlich in Briefen; vergl. auch die Elegie b. Ros mini T. III.
p. 154. Ich vermuthe, daß Decembrio den Filelfo meinte, wenn er in der Vita
Philippi Mariae cap. 63. von einem Franciscus Barbula poeta Graeculus mit
möglichſter Geringſchätzung ſpricht. Graeculus nennt er ihn entweder in der verächt⸗
lichen Bedeutung, welche die alten Römer in dieſen Ausdruck legten, oder weil Fi⸗
lelfo auf ſein Griechiſch ſo unmäßig ſtolz war und Decembrio in der erſten der er⸗
wähnten Satiren ſeine Unkunde dieſer Sprache vorgeworfen. Barbula bezieht ſich
auf Filelfo's Bärtchen, welches er nach griechiſcher Sitte trug. Deutlicher iſt der
Angriff, den Decembrio in der Vita Franc. Sfortiae cap. 3 (ap. Muratori Seriptt.
T. XT) gegen Filelfo's Sforziade richtete. Ein Abriß feines Lebens b. Corniani
i secoli d. letter. Ital. T. I. p. 161.
) Von dieſem Geſichtspuncte glaube ich die Briefe Filelfo's an die Florentiner
vom 16. Juni, an Rinaldo degli Albizzi v. 3. Inli und an Coſimo de Medici v.
4. Juli 1440 anſehen zu müſſen.
IV. Filelfo am visconti'ſchen Hofe. Die Republik. 241
Kreuzes, das dieſer ihm auflegte, daß er nämlich ſeine Muſe auch zur
Vulgärſprache erniedrigen mußte, entledigte er ſich mit der oberfläch⸗
lichſten Gleichgültigkeit und ohne ſeine unmuthige Laune darüber zu
verhehlen. Obwohl er überzeugt war, daß ein italieniſches Werk ſeiner
unwürdig und für die Nachwelt durchaus verloren ſei, mußte er doch
auf Befehl ſeines Herrn einen italieniſchen Commentar über die Poeſien
Petrarca's ſchreiben. Er that es, erklärte aber ſchon in der Vorrede,
daß das Werk ihm „abgebettelt und abgeſchmeichelt“ ſei, und in dem⸗
ſelben ließ er ſeinen Groll an Petrarca und Madonna Laura, an den
Medici und andern Feinden aus, ohne Rückſicht auf die Vorliebe des
hohen Gönners für den behandelten Dichter.) Auch ein Gedicht über
Johannes den Täufer, welches er auf Wunſch des Herzogs in Terzinen
abfaßte, begann er gleich mit einem Vorwurf gegen denſelben, wie er
ihm eine ſolche Arbeit nur zumuthen könne.“) Dergleichen durfte ſich
nur ein Filelfo erlauben; ihm, der feine Anmaßung und fein Selbſt⸗
gefallen ſo lächerlich zur Schau trug, ſchien der Tyrann Alles hingehen
zu laſſen, der Schwätzer war ihm unter allen Menſchen am wenigſten
verdächtig.
Die visconti'ſche Hofregierung zerſprang mit dem Tode des Her⸗
zogs wie ein Schaum in der Luft. Es folgte eine wirre Zeit der
Republik und hielt die Bürger Mailand's durch Parteicabalen und
Kriegsbedrängniſſe fortwährend im heftigſten Athem. Gleich manchem
Andern, der zu den Höflingen Filippo Maria's gehört, finden wir
auch Decembrio unter den Häuptern des Freiſtaates, weshalb er un⸗
ter der neuen Dynaſtie Mailand eine Reihe von Jahren hat meiden
müſſen. |
Ueberhaupt gelangten an die Spitze des republicaniſchen Regimen⸗
tes mehrere Männer, die am Hofe des Visconti für Literatoren oder
doch für Freunde der Literatur gegolten, „Schreiber“, wie ſie der ſtolze
Filelfo nannte. Ihr Werk war das im Namen „des Senates und
1) Auch Guiniforte da Barzizza mußte auf Befehl des Herzogs die göttliche Comödie
in italieniſcher Sprache auslegen. Vergl. |. Oratt. et Epistt. ed. Furietto p. 76. 168.
2) Beide Werke im Druck ſehr ſelten. Ich entnehme dieſe Notizen aus Ros-
mini T. II. p. 13 — 15. Die Vita di 8. Giovanni Batista, welche 48 Geſänge
hat, beginnt: N
O Philippo Maria Anglo possente,
Perche me strengi a qual che non poss'io?
Vuol tu ch’io sia ludibrio d'ogni gente? — —
Voigt, Humanismus. 16
242 IV. Filelfo in Mailand während der Republik.
Volkes von Mailand erlaſſene Decret, durch welches in Mailand eine
Hochſchule errichtet wurde. Zunächſt war vielleicht der Grund ein po⸗
litiſcher: man wollte dadurch die Univerſität von Pavia, welches ſich
der Republik nicht fügte, vernichten. Aber auch das Gefühl kam hinzu,
daß die Republik ſich den Wiſſenſchaften gegenüber würdig zeigen müſſe.
Freilich konnte die neue mailändiſche Hochſchule während der dreißig⸗
monatlichen republicaniſchen Verwaltung wohl kaum wirklich eröffnet
werden, geſchweige denn emporkommen.)
Filelfo wußte mit jeder Strömung zu ſchiffen. Am liebſten hätte
er Mailand, wo während des Freiheitstaumels allervings keine Stätte
der Muſen war, gegen den Hof Alfonſo's von Neapel vertauſcht. Da
man ihn aber nicht aus der Stadt ließ, ſuchte er ſich allen Parteien
und Prätendenten angenehm zu erhalten, nur daß er den kriegeriſchen
Feinden der Republik, den Franzoſen und Venetianern, nicht das Wort
reden und die Pöbelherrſchaft nicht befürworten mochte, von welcher
für den Dichter allerdings nichts zu erwarten ſtand. Bald ſang er dem
verſtorbenen Tyrannen die zärtlichſten Nänien, wandte ſich an Alfonfo,
dem dieſer das Herzogthum teſtamentariſch vermacht haben ſollte, und
ſchmähte auf das undankbare Volk, welches die Burg des edlen Herr⸗
ſchers zerſtört habe und mit den Schmuckſachen, die es dem Hofe ent⸗
wendet, wie eine freche Diebsbande auf den Straßen prunke, ) bald
ſang er den Kaiſer an für den Fall, daß deſſen Anſprüche auf das
erledigte Reichslehen Erfolg haben ſollten, und den Canzler Kaspar
Schlick, den er ſich als allmächtig am Kaiſerhofe vorſtellte, damit er
ſeinen Herrn zum freigebigen Mäcen mache.) Bald mahnte er die
Prioren, ſie möchten die Zwietracht des Freiſtaates erſticken und ein
geordnetes Leben herſtellen, die Freiheit der Stadt aber mit Gut und
Blut vertheidigen, wobei er an Kodros und Horatius Cocles erinnerte,
dann ſchalt er wieder die Nobilität und Carlo Gonzaga, ſie ſollten
nicht die verlaufenen Schreiber und Schenkwirthe aufkommen laſſen
und den plebejiſchen Dieben das Feld räumen.“) Als aber blutige
Gräuel die reicheren Bürger mit Furcht erfüllten, als die Belagerung
durch das fforzeschiſche Heer immer enger und die Hungersnoth immer
1) Saxius Histor. lit. typogr. Mediol. T. I. Prodr. p. 37.
2) Satyr. IX, 1. X, 1. 2.
) Satyr. IX, 2. 6. 7.
) Satyr. X, 6—8.
IV. Mailand. Francesco Sforza. 243
druͤckender wurde, da empfahl Filelfo eine ſtarke Herrſchaft und ſetzte
fortan feine ganze Hoffnung auf Sforza, dem eben das Glück am
meiſten lächelte.) Daß er zur Zeit der Republik öffentliche Reden
gehalten, wiſſen wir; daß er den republicaniſchen Machthabern ſo gut
wie den Prätenventen geſchmeichelt, geht wohl zur Genüge daraus her⸗
vor, daß ihm confiscirte Landgüter im Werthe von 2000 Zecchinen
angewieſen wurden, die freilich ſpäter wieder den alten Herren zufielen.*)
Jetzt hielt er an der Spitze einer Deputation von zwölf Bürgern zu
Monza die Rede an Sforza, in welcher er ihm das Herzogthum Mai⸗
land zu Füßen legte.) Der Condottiere beſtieg den Thron.
Herzog Frances co Sforza war freilich ein ganz andrer Mann
als fein Schwiegervater und auch ſeine Regierungsweiſe eine ganz andre:
biefer das faulige Ende einer Dynaſtie, jener der Uſurpator und Stif-
ter einer neuen. Im Heerlager und unter den Ränken der Politik
war er groß geworden; ſeine Erhöhung verdankte er ſich ſelbſt. For⸗
muna hatte ihm ebenſo oft ihre finſtre Stirn als ihr Lächeln gezeigt;
er zwang fie, weil er ihr nüchternen Muthes ins Auge ſah. Der Schwarm
von Leibärzten, Sterndeutern, Köchen und Küchenſpionen, Pagen und
Poſſenreißern, die unter Filippo Maria Perſonen von Bedeutung ge⸗
weſen, mochte nun anderswo ſein Brod ſuchen. Francesco vertraute
feinem ſcharfen Verſtand, nicht den Sternen ), er ſah Leben und Men⸗
ſchen als Dinge an, mit denen ein männlicher Geiſt und eine ſtarke
Hand fertig wird, das Weitere legte er in Gottes Willen. Ein ſolcher
Mann wächſt an ſittlicher Größe, je höher er ſteigt: als Herzog konnte
er mit kluger Ueberlegung handeln und war nicht mehr zur perfiden
Schlauheit genöthigt, er konnte gnädiger und hochherziger werden, je
ſicherer er ſich in der errungenen Würde fühlte.
In ſeinem perſönlichen Geiſtesbedürfniſſe fand der neue Herzog
nicht die mindeſte Aufforderung, unter die Mäcene zu treten. Was
kümmerten ihn, den Soldaten, die Claſſiker, die Verſe und die latei⸗
niſche Eleganz? Selbſt wer ſeiner Bildung allen Ruhm geben wollte,
konnte ihm nicht mehr nachſagen, als daß er eine natürliche, ſoldaten⸗
) Satyr. X, 9.
) Filelfo's Brief an Cicco Simonetta v. 17. Febr.
Philelfi Oratio parentalis de divi Francisci Sphortiae foelicitate, das
erſte Stück in den Ansgaben der Reden. ö
) Joh. Simoneta Historia de rebus gestis Francisci I. Sfortiae ap. Mu-
ratori Scriptt. T. XXI. p. 779.
16 *
244 IV. Mailand unter Francesco Sforza. Simonetta.
hafte Beredtſamkeit beſeſſen.) Auch war er nicht der Mann, um den
Tönen der bezahlten Schmeichelei mit wollüſtiger Eitelkeit zu lauſchen.
Aber er war der Emporkömmling, den die öffentliche Meinung hielt
und trug, ſein Vater hatte den Karſt geführt, er war ein Baſtard und
ſeine Gemahlin, auf welche ſeine Dynaſtie einen Schatten der Legiti⸗
mität gründete, eine Baſtardtochter des letzten Visconti. Um durch
neue Kriegsthaten den mühſam errungenen Lohn der alten zu gefährden,
war er zu überlegt. Selbſt ein glänzender Hof war für den Anfang
unmöglich, denn an Geldkräften völlig erſchöpft wurde er Herr über die
erſchöpfte Republik. Erpreſſungen konnte er ſich auch nicht erlauben.
So war es immer noch das gelegenſte Mittel, um vor ſeinen Unter⸗
thanen und den Nachbarmächten den Schimmer zu entfalten, den eine
neue Dynaſtie nicht entbehren kann, wenn er die Poſaune des Ruhmes
in Sold nahm, ſich aus poetiſchen und rhetoriſchen Flicken einen an⸗
tiken Heldenmantel fertigen ließ und wenigſtens in der Weihrauchwolfe
als ein großartiger Auguſtus erſchien. Keiner ſeiner Zeitgenoſſen hat ſo
nüchtern und ſtaatsklug die Wirkung geiſtiger und moraliſcher Kräfte
zu berechnen gewußt. Er erſcheint als eifriger Freund der Kunſt und
Wiſſenſchaft, ohne von dem Vergnügen und der ein die ſie brin⸗
gen, eine Ahnung zu haben.
Eine Stellung eigener Art nahm am f forzeschiſchen Hoſe der Cala⸗
breſe Cicco (d. i. Francesco) Simonetta ein, er wurde der Mäce⸗
nas bei dem neuen Auguſtus oder ungefähr was Niccoli bei Coſimo
de Medici war. Da der Herzog ſelbſt ſich in literariſchen Dingen
kein Urtheil beilegen konnte, bedurfte er eines Vertrauten, der auf die⸗
ſem Gebiete heimiſch war. Ihm iſt manches Werk gewidmet worden,
Decembrio überſandte ihm der damals üblichen Höflichkeit gemäß ſeine
Arbeiten zur Prüfung und Correctur, bevor er ſie veröffentlichte, ſelbſt
Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen, obwohl der geehrte Patron dieſer
Sprache ganz unkundig war. Daß Simonetta ſelbſt ſich als Schrift⸗
ſteller hervorgethan, wüßten wir nicht. In den literariſchen Feind⸗
ſchaften, die auch an dieſem Hofe nicht ausblieben, war er der Schieds⸗
richter und die Inſtanz. Sein Bruder Giovanni, der herzogliche
) Simoneta l. c. In einem Briefe von 1477 bei Ros mini T. II. p. 329
geſteht Filelfo offen: Et fait sane Franciscus Sphortia quam plurimis insignis vir-
tutibus, caeterum litteraturae urbanioris et musarum ignarus. Pius II Com-
mentar. p. 83 ſagt, daß er auf dem mantuaniſchen Congreß militari eloquentia
et verbis patriis geſprochen.
IV. Literariſches Treiben an Sforza's Hof. 245
Secretär, ift es, dem wir die umfangreiche Geſchichte Francesco Sforza's
verdanken.)
Zunächſt wurde vom Herzoge Guiniforte da Barzizza, der
nach dem Tode Filippo Maria's bei den Markgrafen von Montferrat
und Eſte ein Unterkommen geſucht hatte, nach Mailand zurückgerufen
und blieb hier bis an ſeinen Tod in der ehrenvollen Stelle eines her⸗
zoglichen Secretärs. Er war zugleich der Lehrer des Prinzen Galeazzo
Maria und der kleinen Ippolita in der Grammatik und in den Zier⸗
lichkeiten der lateiniſchen Sprache, der Verfertiger der Reden, die ſie
ſchon als Kinder vortragen lernten.) Ippolita wurde außerdem von
Konſtantinos Laskaris im Griechiſchen unterrichtet.) Man ſieht, wie
der neue Herzog darauf bedacht war, ſeine Kinder in beſſerer Weiſe
auf das Hofleben vorzubereiten, als er ſelbſt dazu vorgebildet worden.
Auch Battiſta Sforza, die Tochter ſeines Bruders Aleſſandro und jener
Coſtanza da Varano, die italieniſch und lateiniſch dichtete und Reden
hielt, wurde am mailändiſchen Hof erzogen. Als vierzehnjähriges Mäd⸗
chen ſprach ſie bereits ein elegantes Lateiniſch und führte ſo die Con⸗
verſation, wenn in der Burg ihres Vaters zu Peſaro ein Cardinal,
ein fremder Fürſt oder Geſandter einkehrte. An Herzog Federigo von
Urbino verheirathet, ſprach fie einſt vor Pius II mit ſolcher Eloquenz,
daß der galante Papſt betheuerte, er könne ihr nicht in gleicher Weiſe
antworten. *)
Mehrere Griechen, die beim Hereinbrechen der Türkennoth ihr
Vaterland verließen, wurden am mailändiſchen Hofe freigebig aufge⸗
nommen. Es wurden Lehrer der lateiniſchen Grammatik und Eloquenz
berufen. Auch der Republicaner Decembrio kehrte etwa zehn Jahre
nach feiner Flucht zurück und lernte die ſforzeschiſche Hofluft ganz wohl
vertragen.) Wenn er nun den Charakter Filippo Maria's mit er⸗
ſchreckender Wahrheit zeichnete, ſo hob er dagegen die Waffenthaten
Sforza's deſto glänzender heraus, pries ſeine Großherzigkeit und Güte,
ſein Glück und ſeine illuſtre Familie.) Lodriſio Crivelli, ein
) Tiraboschi T. VI p. 28. 29. 1083.
) cf. Guinif. Barz iz ii Oratt. et Epistt. ed. Furietto. Romae, 1723
p. 57. Pii II. Orationes ed. Mansi T. II. p. 192. 194.
) Tirabos chi T. VI. p. 28.
*) ibid. p. 1268.
) Ros mini l. c. T. III. p. 33.
e) Vita Franc. Sfortiae ad fin. ap. Muratori l. e.
—
246 5 IV. Filelfo am fforzeschiſchen Hofe. \
junger Mailänder aus edlem Haufe, widmete fich gleichfalls dem dyna⸗
ſtiſchen Intereſſe, er ſchrieb das Leben des älteren Sforza, der den
herzoglichen Sohn gezeugt, “) und hätte gern auch deſſen Geſchichte hin⸗
zugefügt, wenn nicht an höchſter Stelle eine ſchwungvollere Feder zu
dieſem Unternehmen gewünſcht worden wäre, keine geringere als die
Filelfo's.
Mit Sforza's Thronbeſteigung begann für Filelfo gleichſam ein
zweiter Lebensabſchnitt. Natürlich blieb er derſelbe, nur andre Seiten
ſeines Charakters, der als ein wahrhaft repräſentativer angeſehen werden
darf, traten unter den veränderten Umſtänden greller hervor. Er ver⸗
ließ das Feld der literariſchen Cabale und der Satire, auf welchem er
dem Groll gegen ſeine Feinde gefröhnt, und wandte ſich ebenſo energiſch
auf die höfiſche Gunſtbuhlerei und Schmeichelei. Der neue Herzog
wurde von ihm ſofort in Briefen angegangen und in lateiniſchen Hexa⸗
metern verherrlicht. Der Plan eines großen Heldengedichtes, einer
Sforziade, wurde entworfen, es ſollte ganz dem Ruhme des Herzogs
und der neuen Dynaſtie gewidmet ſein und nach der Meinung des
Dichters Virgils großes Epos in Schatten ſtellen. Es war ausge⸗
macht, daß Filelfo um einen feſten Sold, wie er ihn unter dem letzten
Visconti gehabt, auch unter Sforza bei Hofe bleiben ſollte. Nun iſt
es begreiflich, daß der Staatscaſſe, die in den traurigſten Umſtänden
war, für's Erſte andre Bedürfniſſe oblagen oder ihrem Beamten wich⸗
tiger ſchienen als der Hofdichter. Filelfo aber, der ſich für das un⸗
entbehrlichſte Stück der neuen Regierung hielt, drang ſofort in den
Herzog, daß ihm der verſprochene Sold und außerdem eine Anleihe,
ihm allemal mit einem Geſchenke gleichbedeutend, von 250 Zecchinen
ausgezahlt werde. Beides brauche er zu dem Gedichte, welches er zum
Lobe des Herzogs begonnen; denn einmal müſſe der Dichter ein ſorgen⸗
freies Gemüth haben, und dann bedürfe er zur Arbeit gewiſſe Bücher,
die er in ſeiner Noth verſetzen müſſen. Der Herzog befahl alsbald, den
Wünſchen des Dichters zu genügen, doch war der leeren Caſſe ſchwer
zu befehlen. „Mit der Wuth einer Furie ſchmähte Filelfo den Caſſen⸗
beamten, der dies geltend machte, aus und drohte dabei, er werde in
wenigen Tagen zum Dienſte der venetianiſchen Republik übertreten, mit
welcher Sforza im Kriege lag. Ohne Zweifel erlog er, daß der Doge
j Muratori Seriptt. T. XIX. Vergl. die Präfatio des Herausgebers und die
Einleitung Crivelli's ſelbſt.
IV. Filelfo am fforzeschiſchen Hofe. 247
ihm bereits 700 Zecchinen jährlichen Soldes geboten. Es iſt bezeich⸗
nend, daß der Herzog ſich ein ſolches Betragen nicht nur ruhig gefal⸗
len ließ, ſondern auch noch von ſeinem „ſüßeſten und theuerſten Herrn
Francesco Filelfo“ ſprach. Er ſchrieb dem Beamten: „Wir wollen ihn
auf keinen Fall verlieren, was erfolgen würde, wenn er ſich für getäuſcht
halten müßte; auch könnte er dann aus Mangel an den beſagten 250
Gulden das herrlichſte Werk nicht fortſetzen, welches er zu Unſerm
Ruhme begonnen.“)
Filelfo kannte ſehr wohl die Schwerpuncte in des Herzogs Ueber⸗
legung: was werde die Welt dazu fagen, wenn der große Herzog Frau⸗
cesco entweder die Neigung oder die Mittel nicht habe, um ausgezeichnete
Männer zu unterſtützen; er ſelbſt, Filelfo, werde ſich in Wohlthaten
nicht übertreffen laſſen; denn er ſei gewohnt, denen, die ſich um ihn
verdient gemacht, wenn ſonſt nichts, ſo doch die Unſterblichkeit ihres
Namens als Gegengabe zu bieten.)
Die Sforziade, welche in acht Büchern die Thaten Francesco's
bis zu feinem Einzuge in Mailand beſang, ) wurde dem Dichter außer⸗
ordentlich leicht: der Stoff lag eben auf der Hand und die Erfindungen
ſind platt genug, Hexameter aber ſchüttelte Filelfo ohne Mühe von
ſich. Dennoch zog er die Arbeit Jahre lang hin und veröffentlichte
fie in einzelnen Geſängen, um unterdeſſen den beſungenen Fürſten
tüchtig zu preſſen. Er ſtellte ſich dabei, als bedürfe es zu dieſem Epos
großer Vorſtudien und als fühle er ſich nur dann zur poetiſchen Arbeit
aufgelegt und fähig, wenn es ihm ſehr wohl erging. Und wohl erging
es ihm in der That, ſo lange Herzog Francesco lebte. Zwar wußte
der Unerſättliche ſtets über Hunger und Mangel zu klagen und es mag
wahr ſein, daß er noch oftmals die Caſſe ſchwieriger fand als den
Herzog, aber hören wir nur, gegen welches Angebot er allenfalls bereit
war, Mailand zu verlaſſen. Im Jahre 1463 wollten ihn die Vene
tianer durch Beſſarion bewegen, bei ihnen ſein Domicil aufzuſchlagen,
er antwortete: die Wiſſenſchaft könne zwar niemals mit Geld be⸗
) Die Actenſtücke und die herzoglichen Schreiben v. 23. Mai und 27. Juni
1452 aus den Registri Ducali des mailändiſchen Staatsarchivs bei Ros mini T.
II. p. 294 —300.
) Philelfus Barth. 65218 d. 16. Octob. 1451.
9) Sie iſt nicht gedruckt worden, doch giebt Ros mini T. II. p. 158 e seg. den
ausführlichen Inhalt nach dem Exemplar der Trivulziana.
248 IV. Filelſo am fforzeschiſchen Hofe,
zahlt werden, doch wolle er kommen, wenn man ihm 1200 Zecchinen
gebe.) 6
Filelfo glaubte ſeinem großartigen Genie gemäß auch großartige
Anſprüche an das Leben machen zu müſſen. Schon als er von Con⸗
ſtantinopel zurückkehrte und ſeine Familie nur aus der Gattin und
einem Söhnchen beſtand, bedurfte er vier Mägde und zwei Diener.“
Zu einer Zeit, wo er unabläſſig über ſeine Bettelarmuth klagte, hielt
er ſechs Roſſe.) Glänzend zu wohnen, auserleſen zu eſſen und zu
trinken, erſchien ihm als ein Bedürfniß, ohne welches ein Mann ſeiner
Art nicht leben könne; außerdem hielt er auf prächtige ſeidene Kleider
und koſtbares Pelzwerk. Auch als ſeine Nachkommenſchaft ſehr zahl⸗
reich geworden war, erſchien es ihm als eine unauslöſchliche Schmach
der Fürſten und des Zeitalters, wenn er genöthigt würde, ökonomiſch
zu denken, und das Geld nicht als Dichter verachten dürfe.
Filelfo ſchämte ſich zu darben, aber zu betteln ſchämte er ſich nicht.
Das Wort Geld, welches ſonſt nicht gerade für poetiſch gilt und auch
nicht zur poetiſchen Phraſeologie der Alten gehört, wurde ſeiner Muſe
in Briefen und Verſen ganz geläufig. Mancher arme Dichter mag
geſungen haben, um ein Geſchenk zu verdienen, dieſer aber machte die
Geſchenk⸗ und Geldſache zum Hauptinhalt der Poeſie. Bald klagte er,
daß Hunger und Durſt ihn umbrächten, daß er vor Gläubigern keine
Ruhe habe, daß er ſeine Kleider und Bücher nicht vom Wucherer aus⸗
löſen und ſeine Töchter aus Mangel an Mitgift nicht an den Mann
bringen könne, bald, wenn das bloße Bitten nicht fruchten wollte, drohte
er auch, er wolle und müſſe Mailand verlaſſen, an einem andern Hofe
oder gar bei den Türken ſein Unterkommen ſuchen, weil in Italien die
„Tugend nicht geehrt werde.
Es iſt unglaublich, wie weit Unverſchämtheit und Marktſchreierei
gehen dürfen, wenn ſie auf gewiſſe allgemeine Schwächen der Menſchen
ſpeculiren. Dazu rechnen wir jene närriſche Sucht, welche damals die
Gemüther ergriff, nicht vergeſſen zu werden, ſeinen Namen der Nachwelt
oder, wie man träumte, dem ewigen Fortleben im Munde der Menſchen
übergeben zu wiſſen. Mit dieſem Drange haben die Humaniſten und
Dichter denſelben ſchamloſen Mißbrauch getrieben wie die Kirche mit dem
—
) Sein Brief an Beſſarion v. 23. Decemb. 1463 bei Ros mini T. II. p. 318.
) Sein Brief an Leonardo Giuſtiniani v. 11. Octob. 1427.
) An Bernardo Giuſtiniani v. 23. Aug. 1454.
Iv. Filelſo am fforzeschifhen Hofe. 249
Ablaß; die Feder erſchloß in ihrer Hand den Tempel des Nachruhms,
wie die Schlüſſel Petri in der Hand des Papſtes die Pforten der
Seligkeit erſchloſſen. Filelfo war der frechſte Krämer mit dieſem Ar⸗
tikel, er hat den Handel mit Verewigung zum förmlichen Syſtem aus⸗
gebildet. Feſt überzeugt von der Unſterblichkeit ſeiner lateiniſchen Briefe
und Verſe, glaubte er nicht minder zuverſichtlich, daß die lobende oder
tadelnde Erwähnung in denſelben für das Urtheil der Nachwelt maß⸗
gebend ſein, ein ruhmvolles Andenken ſichern oder ewiger Verachtung
preisgeben müſſe. Unaufhörlich verkündete er dieſe Lehre und man
glaubte ſie ihm. Darum wurden ſeine unverſchämten Betteleien in der
Regel nicht nur gewährt, ſondern noch mit ſchmeichelhaften Schreiben
vergolten, die ihn natürlich wieder zu neuen Forderungen ermunterten. ‘)
Wir heben aus Filelfo's Briefen eine Reihe von Facten heraus,
die das Geſagte klar machen. Am meiſten wurden natürlich Herzog
Francesco, die Herzogin Bianca und die reichen Männer des Hofes
herangezogen. Kein Weihrauch iſt den Gefeierten ſo theuer zu ſtehen
gekommen als der in der Sforziade ausgeftreute, keine Muſe hat fo
gefüttert, gemäſtet werden müſſen. Filelfo ſchätzte an Fürſten vor allen
Tugenden die Freigebigkeit, und wenn er es als Beruf des Dichters
und Redners anſah, die Tugenden zu befördern, ſo hat er ſich um die
Uebung gerade dieſer Tugend in der That ein glänzendes Verdienſt
erworben. Selbſt Hofleute wie Cicco Simonetta und Niccolo d'Arzim⸗
boldi konnten nicht umhin, den Hofpoeten mit Geld, Wein, Victualien
und Roſſen zu beehren. Aber auch andre Fürften, die für den Gedan⸗
ken der mäcenatiſchen Unſterblichkeit nur irgend empfänglich waren,
wurden reichlich gebrandſchatzt. Lodovico Gonzaga, der Markgraf von
Mantua, ſtand obenan. Nachdem er ſchon mehrmals und nicht ver⸗
gebens mit Bitten um dieſe oder jene Summe behelligt worden, er⸗
1) Nur wenige Beiſpiele, die ſich übrigens, zumal aus den Briefen, zu hunder⸗
ten vermehren ließen. So ſingt er an Gentile Simonetta:
Non ingratus ero; nam qui mea vota fovebunt,
Semper ego meritis prosequar hos titulis.
An die Herzogin Bianca: N
Non ingratus ero; nam me tua vate per omnes
Cognita venturis gloria tempus erit.
Ganz theoretiſch ſagt er einmal von ſich und den Dichtern überhaupt:
— — Hique animas possunt Acheronta sub imum
Trudere, quas etiam, si voluere, beant.
Rosmini T. II. p. 287. 288. 317.
250 IV. Filelfo am ſforzeschiſchen Hofe.
öffnete ihm einmal der Dichter, er brauche 250 Ducaten, um eine ver⸗
lobte Tochter auszuſtatten, dieſe Summe aber wünſche er von ſeinen
theuerſten Freunden zu empfangen, unter denen der Markgraf die erſte
Stelle einnehme; deshalb werde er einen Vertrauten zu ihm ſenden,
dem der Markgraf ſo gefällig ſein werde, 50 Ducaten zuzuweiſen,
welche der Dichter mit ehrenden Verſen in ſeiner Sforziade zu vergel⸗
ten gedenke.) Wir ſehen, wie der Markgraf nicht nur dieſes Anliegen
ſofort bewilligte, ſondern Jahre lang durch ſtets wiederholte Geſcheule
die verewigende Feder erkaufte.) Zu jenen theuerſten Freunden des
Dichters, denen die Ehre zu Theil wurde, ſeine Tochter auszuſtatten,
gehörte auch Lodovico Scarampo, dieſer Räuber im Cardinalspurpur,
der allerdings Urſache hatte, einen Theil ſeiner unermeßlichen Reich⸗
thümer, auf denen genug Aergerniß haftete, in unſterblichen Ruhm
umzuſetzen. Ihm überließ Filelfo die Höhe der Summe, als er mit dem
evangeliſchen Worte „Suchet, fo werdet ihr finden, bittet, fo wird euch
gegeben werben" an feinen Geldkaſten klopfte.) Der Biſchof Galeazzo
von Mantua ſollte ſich mit einem Anlehen — man kannte Filelfo's
eigenthümliche Vorſtellung von dieſem Rechtsgeſchäft — von hundert
Ducaten bei der Ausſtattung betheiligen; er war, wie man aus dem
‚Bettelbriefe *) ſieht, Filelfo vorher ganz unbekannt geweſen. Aehnliche
Contributionen wurden beigetrieben, wenn der Dichter eine Reiſe un⸗
ternahm oder ſonſt irgend ein beſonderes Geldbedürfuiß fühlte. Wie
er ſich bei den freigebigſten Fürſten und Literaturfreunden, bei einem
Nicolaus V und Alfonſo von Neapel, perſönlich die Beehrungen ab⸗
holte, wird in der Folge noch erzählt werden oder iſt bereits erzählt
worden. Die kleineren Despoten, wie Ghismondo Pandolfo Malateſta,
den Herrn von Rimini, oder Aleſſandro Sforza, den Herrn von Pe⸗
ſaro, belangte er brieflich von Mailand aus. Wenn letzterer ihm rothes
Tuch zum Dichterkleide ſchenkte, erbat ſich Filelfo von ihm auch das
zur Verbrämung nöthige Pelzwerk.“)
Es iſt das wunderlichſte Verhältniß einer Gegenſeitigkeit von
Wohlthaten, welches wir aus Filelfo's Bettelbriefen und aus ſeinen
) Filelfo an den Markgrafen Lodovico von Mantua v. 22. Juni 1453.
) An denſ. v. 8. Decemb. 1457.
) Filelfo an den Cardinal⸗Patriarchen Lodovico von Aquileja vom 23. Juni
1453. N
) v. 22. Juni 1453.
) Filelfo an Criſtoforo Marliano v. 17. Anguſt 1454.
IV. Filelfo's Ende. Die kleineren Höfe. Mantua. 251
ſchmeichelhaften Panegyriken herausleſen. Wir begreifen kaum, wie das
Syſtem ſo lange vorhalten konnte. Und doch mußte Filelfo ſelbſt ſei⸗
nen Verfall erleben. Obwohl er noch als Greis überzeugt blieb, daß
es nur einen Filelfo in der Welt gebe, obwohl er in ſeinen Anſprüchen
eher unverſchämter als beſcheidener wurde, ging doch ſein Ruhm merk⸗
lich auf die Neige. Im Spätherbſte feines Lebens, als er aus drei
Ehen einen großen Haufen von Kindern um ſich ſah, ſtellten ſich Noth
und Sorge, mit denen er ſonſt geſpielt, bisweilen in ganzer Bitterkeit
ein, er wurde nach dem Tode des Herzogs Francesco wieder heimath⸗
los und mußte umherziehen wie in den Tagen ſeiner Jugend. Da
ſuchte er vergebens in Rom und Mailand, in Siena und Pavia ein
Unterkommen auf die Dauer. Als Greis von 83 Jahren ſchätzte er ſich
glücklich, noch einmal 1481 als Lehrer des Griechiſchen nach Florenz
gerufen zu werden, ſtarb aber hier bald nach ſeiner Ankunft am 31. Juli
in ärmlichen Umſtänden, hier wo er vor 42 Jahren als literariſcher
Triumphator eingezogen war. |
Wir haben uns nun zu den kleineren Höfen und Dynaſten zu
wenden, die den Herrſchern von Neapel und Mailand als Mäcene
nachſtrebten, ja ſie im Vergleich mit ihren engeren Verhältniſſen wohl
überflügelten. Hier ſtellt ſich denn, eben weil Alles durchſchaulicher
iſt, die Richtung und Liebhaberei des Zeitalters noch deutlicher heraus.
An keinem Hofe haben Schule und Unterricht eine ſolche Rolle
geſpielt wie in Mantua bei den Gonzaga, ſeitdem Gianfrancesco,
der ſein Geſchlecht vom Range bloßer Signori zum markgräflichen er⸗
hob, den Bittorino Rambaldoni da Feltre zu ſich berief. Er
iſt als das Ideal eines Schulhalters aufgeſtellt worden, und in der
That bedarf es der glänzenden Lobreden nicht, die einige ſeiner Schü⸗
ler ihm und ſeiner Anſtalt gehalten. Jedermann im literariſchen Ita⸗
lien, felbft der peinliche Niccoli, der mit feinem Lobe wahrlich nicht
freigebig verfuhr, ſprach von Vittorino's Leiſtungen mit der höchſten
Achtung) Er iſt nicht als Schriftſteller aufgetreten, wenn man nicht
von einzelnen Reden oder Briefen ſprechen will. Auch wüßten wir
) Ambros. Travers. epist. VIII, 2.
252 IV. Mantua. Vittorino da Feltre.
nicht, daß er ſich in der mathematiſchen Disciplin weiter ausgezeichnet,
obwohl er in jüngeren Jahren nach Padua ging, um den einzigen Leh⸗
rer der Geometrie, den es damals in Italien gab, den Biagio Pella⸗
cani, zu hören, und als dieſer zu keiner Mittheilung zu bewegen war,
ſelber den Euklides zur Hand nahm. Die griechiſche Sprache lernte
er erſt im höheren Alter und gleichfalls ohne Lehrer; doch konnte er,
ohne ſich vorzubereiten, vor ſeinen Schülern den Homer auslegen. Zu⸗
erſt war er an der Hochſchule zu Padua als Lehrer der Rhetorik auf⸗
getreten, aber das zügelloſe Leben der Univerfitätsſtadt behagte ihm
nicht. Auch das Treiben der Humaniſten, wie es in Florenz, Mailand
und ſonſt herrſchte, war nicht nach ſeinem Geſchmack: gebe es doch un⸗
ter den Gelehrten Italiens kaum einen, der nicht andre mit läſternder
Fever verfolge und wiederum von andern in Invectiven verfolgt werde.
Seine Natur war die eines friedlichen, freundlichen, leicht bis zu Thrä⸗
nen gerührten Mannes, dem Neid und Cabalen innerlichſt zuwider ſind.
Aus dieſem Grunde mochte er auch nicht ſchriftſtellern: das Beunruhi⸗
gende, was in der Jagd nach dem literariſchen Ruhme liegt, widerſtand
ihm; auch meinte er, es ſei in allen Fächern von den Alten genug und
überreichlich geſchrieben worden. Dagegen trieb es ihn, unmittelbar
und mit Hingebung zu nützen. So wandte er fein Talent, feine Keunt⸗
niſſe, ja ſeine ganze Lebensbefriedigung auf das Unterrichten, auf die
Pädagogik im weiteſten Sinne. Schon in Venedig hatte er eine kleine
Schule errichtet, in welcher Knaben guter Abkunft ihre Ausbildung
empfingen. Sein ſchönſter Ruhm aber lebte in ſeinem Alumnat zu
Mantua und in ſeinen dortigen Schülern fort, zumal in denen aus
dem fürſtlichen Hauſe Gonzaga ſelbſt.
Gianfrancesco hatte das Schulhaus, das Seminarium, einrichten
laſſen, in welchem Vittorino mit ſeinen Zöglingen wohnte. Es war
mit Gallerien, Hallen und Spaziergängen, Höfen und Springbrunnen
vergnüglich ausgeſtattet, die Wände mit ſpielenden Kindern und der⸗
gleichen bemalt. Nicht nur die elementaren Fertigkeiten, die lateiniſche
und griechiſche Sprache wurden hier gelehrt, auch die Malerei und
das Saitenſpiel, die Reitkunſt und der Tanz. Es ſollte keine öde und
einförmige Kloſterſchule ſein, nicht die Zwingburg eines finſtern Orbi⸗
lius. Caſa Giocoſa nannte man die Anſtalt: mit dem jugendfriſchen
Eifer, mit welchem der Humanismus ſich in das heitre Alterthum
tauchte, ſollte hier gelehrt und gelernt werden. Es galt der von Pla⸗
ton ausgeſprochene Grundſatz, daß ein freier Menſch frei und ohne
IV. Mantua. Vittorino da Feltre. 253
zwingende Härte erzogen werden müſſe, das Bewußtſein, daß der Geiſt
vielſeitig geweckt, nicht erdrückt werden ſolle. Dennoch herrſchte eine
ernſte religiöſe Zucht: die Officien wurden ſtreng eingehalten, die älte⸗
ren Scholaren mußten faſten, alle Monat bei den eifrigen Obſervanz
mönchen beichten, alle Morgen die Meſſe hören.
Im Uebrigen ſind die Nachrichten von dem Plan und der Me⸗
thode, die in Vittorino's Schule herrſchten, ziemlich ſpärlich. Sprach⸗
liche Studien bildeten die Grundlage; hier genoſſen Virgilius und
Cicero, Homeros und Demoſthenes den Vorrang. Dann folgten red⸗
neriſche Uebungen, die in der Weiſe der antiken Rhetorenſchulen ver⸗
anſtaltet wurden: die Knaben lernten fingirte Fälle behandeln, ſo daß
ſie bald vor Gericht, bald vor einem Senat oder einer Volksverſamm⸗
lung ihre Reden hielten. Der eifrige Betrieb der mathematiſchen Dis⸗
ciplinen entſprang wohl zunächſt aus der privaten Liebhaberei Vittorino's,
ſie ſollten ihm die Schulung des Verſtandes zu Wege bringen, die man
bisher durch die dialektiſchen Klopffechtereien zu erreichen geſucht, ſie
treten hier in der modernen Welt zuerſt als ein propädeutiſcher Lehr⸗
gegenſtand auf. Die Muſik wurde auch theoretiſch gelehrt und diente
zugleich zur Erheiterung des Gemüthes. Wer den elementaren Curſus
durchgemacht, wurde in Platon's und Ariſtoteles' Werke eingeführt,
und ſo vorgebildet, meinte Vittorino, werde er mit Leichtigkeit die aka⸗
demiſchen Fachwiſſenſchaften begreifen und ſich zu eigen machen können.
Vittorino war ein kleiner, hagerer, ſehr beweglicher Mann mit
immer heiterem Geſicht, das nur die Thränen der Freude zu kennen
ſchien, ein Muſter von keuſcher Sittlichkeit und Berufstreue. Noch im
ſiebzigſten Lebensjahre waren ihm Geiſt und Körper ſo ungeſchwächt,
daß er ohne Ermüdung ſechs Stunden hintereinander lehren konnte.
Er kannte kein andres Glück als ſeine Schule, keinen ſchöneren Lohn,
als fremden Beſuchern die fähigſten Kinder vorzuführen. Im Uebrigen
lebte und ſtarb er (1447) als armer Schulmeiſter. Obwohl ſtets un⸗
verheirathet und von unglaublicher Genügſamkeit, reichte er doch mit
den 300 Gulden, die er als Sold erhielt, niemals aus; denn er nahm
viele arme Kinder um Gottes willen in ſein Haus auf, oft gegen vier⸗
zig, wo ſie außer dem Unterricht von ihm auch Bücher, Kleidung. und
Nahrung erhielten. Dann trat er mit ſeinem herzlichen Lächeln vor
den Markgrafen: er habe ſo und ſo viele hundert Gulden mehr aus⸗
gegeben und der Fürſt werde die Güte haben, ſie zuzulegen, was auch
ſtets ohne Weiteres geſchah.
3 Iv. Mantua. Bittorino ba Feltre.
An Gianfrancesco hatte Vittorino einen Gönner, der gern in fel-
nem Sinne wirkte, vielleicht mehr noch an der Markgräfin Paola aus
dem Haufe der Malateſte. Die fünf Kinder des Markgrafen, Lodo⸗
vico, der ihm in der Herrſchaft folgte, Carlo, Gianlucido, Aleſſandre
und Cecilia, die ſpäter den Schleier nahm, lernten mit einer Schaar
von Edelknaben gleichen Alters im freudigen Wetteifer. Unter dieſen
war Federigo di Montefeltro, der nachmalige Herzog von Urbino und
Begründer des dortigen Muſenhofes, ferner der nachmalige Biſchof
von Aleria, der erſte methodiſche Herausgeber claſſiſcher Autoren und
mancher andre, der ſpäter ein namhafter Mann geworden.) Wir
nennen hier nur noch den Venetianer Gregorio de' Coreri, der den
Virgilius mit ſolcher Leidenſchaft las und nachahmte, daß Vittorino in
ihm ſchon einen wiedergeborenen Maro zu ſehen meinte; in ſeinem
achtzehnten Jahre dichtete er die Tragödie Prokne, die dem alten Leh⸗
rer die heftigſten Freudenthränen auspreßte.) Als Ambrogio, der
Camaldulenſergeneral, 1433 in der Giocoſa zum Beſuch eintraf, zeigte
ihm Vittorino die griechiſchen Buchſtaben, welche die kleinen Gonzaghen
bereits zu Stande gebracht; die älteren Knaben überſetzten ſchon aus
dem Griechiſchen, der eine Plutarch's Camillus, der andre Aeſopos
Fabeln, der dritte eine Homilie des Chryſoſtomos. Und als Ambrogio
nach einigen Jahren wiederkam, declamirte ihm der vierzehnjährige
Gianlucido mit vielem Anſtand zweihundert von ihm ſelbſt verfaßte
Verſe vor, in welchen er den pomphaften Einzug Kaiſer Sigmund's
in Mantua beſchrieb. Sein zehnjähriges Schweſterchen zeigte ihre
Uebungen in der Kunſt, griechiſche Buchſtaben zu ſchreiben, vor, die
des Camaldulenſers Staunen erregten.)
Unter den jüngeren Lehrern, die zur Anſtalt gehörten, befanden
ſich zu jeder Zeit auch einige Griechen, die hier lateiniſch lernten, während
ſie ihre Mutterſprache lehrten, oder zum Abſchreiben griechiſcher Bücher
benutzt wurden. Die beiden namhafteſten Helleniſten der nächſten Ge⸗
neration haben dieſe Schule durchgemacht, Theodoros Gaza und Geor⸗
gios Trapezuntios. Vittorino's griechiſche Bibliothek beſtand aus etwa
) v. Tiraboschi T. VI. p. 1486.
2) Coreri's Brief an ſeine Mitſchülerin Cecilia Sie unter denen des
Ambros. Travers. epist. XXV, 20. p. 1075 und bei Martene et Durand
Collect. ampliss. T. III. p. 840.
* Ambros. Travers. epist. III, 34. VII, 3. VIII, 49—51. xy, 38. IVI, 47.
IV. Muſenhof der Efte in Ferrara. 255
dreißig Bänden, für einen Privatmann kein geringer Schatz, aus dem
er wiſſenſchaftlichen Forſchern freudig und zuvorkommend mittheilte.)
Die Fürſtenſchule, die bald auch von vornehmen Kindern aus
Venedig und Florenz, Padua und Verona, aus Frankreich, Deutſchland,
ja aus Griechenland beſucht wurde, genoß während der 22 Jahre, da
Bittorino ihr vorſtand, einen Ruf wie eine altberühmte Univerfität.
Das Haus Gonzaga aber, ſo winzig in ſeiner politiſchen Macht, hat
ſich in der Geſchichte der Bildung einen friedlichen Lorbeerzweig er⸗
worben.)
Wir nennen die Eſte in Ferrara — und Dichterwort aus alter
und neuer Zeit umklingt ſogleich mit den Schmeicheltönen der Verherr⸗
lichung unſer Ohr.
Groß iſt Florenz und herrlich, doch der Werth
Von allen feinen aufgehäuften Schätzen
Reicht an Ferrara's Edelſteine nicht.
Das Volk hat jene Stadt zur Stadt gemacht,
Ferrara ward durch ſeine Fürſten groß.
Hier ward Petrarch bewirthet, hier gepflegt,
Und Arioſt fand ſeine Muſter hier.
Italien nennt keinen großen Namen,
Den dieſes Haus nicht ſeinen Gaſt genannt.
Und es iſt vortheilhaft, den Genius
Bewirthen: giebſt du ihm ein Gaſtgeſchenk,
So läßt er dir ein ſchöneres zurück.
Doch ans den Lorbeer⸗ und Myrthenhainen, welche Poeſie und
) id. epist. VIII, 50. 51.
2) Von vier Schülern Vittorino's haben wir Nachrichten über ihn und die Gio⸗
coſa: von Franc. Prendilacqua Vita Victorini Feltrensis. Patav., 1774, be⸗
nutzt von Tiraboschi T. VI. p. 71. 1483 e seg.) von Franc. de' Caſtiglione
(ſein Bericht bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 408), der acht Jahre lang, von
Saſſolo Saſſoli da Prato (ſeine Erzählung bei Martene et Durand Collect.
ampliss. T. III. p. 841 3. ), der ſechs Jahre lang in der Anſtalt war, und vom Bi⸗
ſchof Andreas von Aleria in einem Briefe an Papſt Paulus II, der ſich im Cod. msc.
lat. 519. der münchener Hofbibl. findet und wohl die Widmung der erſten Druckaus⸗
gabe des Livius if. Vespasiano: Vitt. da Feltre. I. s. c. Renere Schriften:
C. de’ Ros mini Idea dell' ottimo precettore nella vita e disciplina di V. da
F. e de' suoi discepoli. Orelli V. da F. Zürich, 1812. Mehr populär: Jac.
Bernardi V. da F. e suo metodo educativo. Pinerolo. 1856. Auszüge aus
Prendilacqua und Rosmini bei Corniani i secoli d. lett. Ital. T. I. p. 132.
256 IV. Muſenhof der Eſte zu Ferrara.
Tradition um das Schloß van Belriguardo hergezaubert, müſſen wir
unſre Phantaſje abrufen. Sie haben nie gegrünt, auch nicht als Mat-
tep Bojardo vornehm vor feinem Fürſten ſtand, als Arioſto mit krie⸗
chender Schmeichelei den hölzernen Cardinal umbettelte, als der Sänger
des befreiten Jeruſalem ſich verzweifelnden Herzens unter dem kalten
Ceremoniell des Hofes und vor dem Idole feines Ruhmes wand. Ein
richtiges Urtheil über den mäcenatiſchen Geiſt des Hauſes Eſte wird
am leichteſten gewonnen, wenn wir die Ahnherren der gefeierten Fürſten
kennen lernen und ihren Sinn für Wiſſenſchaft und Kunſt, der ſich
gleichſam mit dem Blute fortpflanzend derſelbe geblieben iſt, in ſeinen
Urſprüngen beobachten.
Allerdings hatte zu Ferrara früher als an irgend einem andern
Hofe, ſchon im 14. Jahrhundert, eine geiſtreiche Geſelligkeit Platz ge⸗
griffen, obwohl das kleine Fürſtenthum von Kriegen und inneren Un⸗
ruhen vielfach bedrängt war. Im Jahre 1392 ſtiftete Markgraf Al⸗
berto die Hochſchule zu Ferrara, alſo zu derſelben Zeit, wo Chryſoloras
und Giovanni da Ravenna die Verehrung der alten Sprachen und die
humaniſtiſche Denkweiſe in Schwung brachten. Schon damals war
der eſtenſiſche Hof wegen ſeiner glänzenden Gaſtmähler, Jagden, Tur⸗
niere und Ringelrennen berühmt. Alles ſchloß ſich zuſammen: das
Ländchen ſah auf den Hof, der Hof auf den Fürſten, und der Fürſt, von
politiſchen Geſchäften wenig beläſtigt, ſann nur darauf, wie er ſich und
den Hof angenehm unterhalten möchte. In dem engen Kreiſe, der ſich
täglich um denſelben Mittelpunct bewegte, wurde jeder Schritt zum
Compliment, Huldigung und Augendienerei zum gewohnten Ton. Zer⸗
ſtreuung und Prunk füllten die heiter hinfließenden Tage des Fürſten.
Zu einem feinen Luxus aber gehörten bereits die humaniſtiſchen Zier⸗
lichkeiten, ein wenig claſſiſche Gelehrſamkeit und der Hofrhetor, der
den Hofnarren früherer Zeiten und andrer Länder würdiger erſetzte.
Er brachte ſeine Schmeicheleien nur geſuchter und mannigfaltiger dar
als die einfältigen Schranzen, und ſein Weihrauch wurde gnädiger auf⸗
genommen: im Uebrigen hatte er Figur zu machen wie ſie. Feruer
waren hier Darſtellungen und Feſtzüge beliebt, in denen bald Engel
und Heilige, dann aber auch allegoriſche Figuren in antiker Gewan⸗
dung vorgeführt wurden, declamirten und endlich den Fürſten ver⸗
götterten.
Unter Markgraf Niccolo III 8 das heitre Gedeihen der
Landſchaften von Ferrara, Modena und Reggio. Während Filippo
IV. Der Muſenhof der Eſte. Guarino. 257
Maria von Mailand, der ruheloſe, boshafte Entwürfe ſchmiedete, um
auch ſeinen Nachbaren keine Ruhe zu gönnen, während Venedig und
Florenz beftändig auf der Lauer lagen und von ihren braccianiſchen
und fforzeschiſchen Söldnerbanden gequält wurden, während der Kirchen⸗
ſtaat von einem Kriege zum andern hingeriſſen und von einer Empö⸗
rung nach der andern zerrüttet wurde, während das Königreich zwiſchen
zwei Dynaſtien im Bürgerkriege ſchwankte, wußte ſich der eſtenſiſche
Markgraf eine friedliche Neutralität zu wahren, ja als Schiedsrichter
und Vermittler ein Anſehen zu erwerben. Er war ein fetter und hei⸗
terer Mann, der das Leben nach allen Seiten hin recht zu genießen
verſtand, umſchwärmt von feinen vielen Concubinen.) Die Blutſchande
ſeines jüngſten Baſtards Ugo mit ſeiner Stiefmutter Pariſina Mala⸗
teſta enthüllte die loſe Zucht, die an ſeinem Hofe herrſchte.
Um Lionello, den älteſten Baſtard, zu erziehen, rief der Markgraf
1429 den berühmten Guarino da Verona zu ſich, der als Lehrer
des Griechiſchen und Lateiniſchen wohl der bedeutendſte genannt werden
konnte. Als der Prinz erwachſen war, ſeit 1436 lehrte Guarino an
der Hochſchule,) ſchon ein Greis von 66 Jahren, der ſich aber immer
noch keine Zeit zum Eſſen und Schlafen gönnte und ſein Gedächtniß
wie ſeine rüſtige Arbeitskraft ungelähmt bewahrte. Damals hat er
noch eine griechiſche Grammatik geſchrieben, die freilich nur ein Auszug
aus der größeren des Chryſoloras iſt, desgleichen eine lateiniſche; er
hat ferner manches aus dem Griechiſchen überſetzt und als er zwei
Jahre vor ſeinem Tode (4. December 1460) die Uebertragung des
Strabon beendigte, war er ein Greis von 88 Jahren. Sein Ruf als
Lehrer zog eine große Schaar von Schülern nach Ferrara, zumal Lom⸗
barden, doch auch Fremde bis aus Ungarn und England her. Antonio
Loschi gab ihm ſeinen Sohn zur Erziehung und dieſer ſtrebte rühmlich
dem Vater nach.) Selbſt Poggio mochte lieber ihm feinen vierzehn⸗
jährigen Sohn zur wiſſenſchaftlichen und ſittlichen Ausbildung anver⸗
trauen, als ihn den verführeriſchen Lüften von Florenz ausſetzen.“)
Wie einſt von Iſokrates, ſagte man auch von Guarino, aus ſeiner
Schule ſeien mehr gebildete Männer hervorgegangen als Gewappnete
) Aeneas Sylvius de vir. clar. XI.
) Bors etti Histor. Gymnas. Ferrar. T. I. p. 39. T. II. p. 19.
) Poggii epist. 32. in Epistt. LVII.
) Ejusd. epist. 87. in Spicil. Roman. T. X.
Voigt, Humanismus - 17
258 IV. Der Muſenhof der Eſte. Aurippa. Benzi.
aus dem trojaniſchen Roſſe.) Daß Markgraf Nircoli ihn zu ſich
rief und ehrenvoll hielt, wurde ihm in den gelehrten Kreiſen überall
hoch angerechnet; denn der treffliche Alte hatte keine Feinde und fein
Name wurde ſtets mit einer gewiſſen Ehrfurcht genannt. Selbſt Lio⸗
nardo d' Arezzo erklärte ihn für den einzig gelehrten Maun feiner
Zeit)
Ein wenig früher war auch Giovanni Auris pa nach Ferrara
gezogen worden, aus Sicilien gebürtig. Ihn und Guarino muß man
als literariſche Dioskuren betrachten. Aurispa war nur um ein Jahr
älter, beide gingen nach Griechenland, um dort die helleniſche Sprache
zu lernen und Bücher zu ſammeln, ſie lehrten nach ihrer Rückkehr die⸗
ſelben Disciplinen in faſt deuſelben Städten Italiens, beide Gramma⸗
tiker und Sammler alter Codices, beide fanden zu Ferrara ihre glück⸗
liche Heimath und auch Aurispa iſt hier als einundneunzigjähriger Greis
geſtorben. Nur ſcheint ſeine Bedeutſamkeit als En ungleich geringer
geweſen zu fein als die Guarino's.)
Außer ihnen glänzte an der Hochſchule Ugo Benzi, 1 der
erſte Arzt ſeiner Zeit, Leibarzt des Markgrafen und von ihm mit Län⸗
dereien und Häuſern beſchenkt. Enea Silvio kannte ihn ſehr wohl:
niemand, ſagt er, ſprach gelehrter von der Katheder herab, niemand
war liebenswürdiger im Kämmerchen des Kranken.) Man ſah ihm
feine läſtige Geſchwätzigkeit ſchon nach; denn er überſchüttete feine Zu⸗
hörer und Beſucher mit Sentenzen aus Hippokrates, Galenos und Avi⸗
cenna, deren Werke er dann auch mit ausführlichen Commentaren ver⸗
ſehen hat.) Wir werden ſeiner noch gedenken, wie er als ſchlagfertiger
Held der Dialektik die Griechen auf dem ferrareſiſchen Concil abfertigte
) So fein Schüler Facius de vir. illustr. p. 18.
2) Sein Leben von Vespaſiano im Spieil. Roman. T. I. p. 645 e seg., bei
Maffei Verona illustr. P. II. p. 133 — 150, bei Tiraboschi T. VI. p. 1457
bis 1465. Rosmini Vita e disciplina di Guarino Veronese e de' suoi disoe-
poli habe ich nicht benutzen können.
3) Notizen über ihn bei Faciusl.c. p. 18, Mazzuchelli Serittori d'Italia
Vol. I. p. 1277, Tirabos chi T. VI. p. 1468. Ueber fein Leben zu Ferrara ſpricht
Aeneas Sylvius de vir. clar. XI, Europa cap. 52. Treffend nennt ihn Fi⸗
lelfo Satyr. Dec. I. hec. 5: placidis Aurispa Camoenis deditus.
*) de vir. clar. XI.
) Aeneas Sylvius epist. ad. Joh. Campisium v. 1. Juni 1445; S
in Anton. Panorm. I, 27; Pii II. Oratt. ed. Mansi T. II. p. 3. Blondus Ital.
illustr. p. 307. e T. VI. 5. 667. |
IV. Liondle ven Ee ımb Guarins. 259
und über Platon und Ariſtoteles ſo fertig zu reden wußte wie über
ſeine griechiſchen Aerzte.
Daß ſich der Markgraf gegen dieſe Gelehrten nicht karg gezeigt,
glauben wir gern; denn Aurispa und Benzi wurden reich unter ſeiner
Gunſt und auch Guarino hätte es wohl werden können, wenn nicht
mehr als ein Dutzend Kinder ſeinen Hausſtand bedingt hätten. Sonſt
aber ſagt uns Flavio Biondo, ſo ſehr er den Markgrafen rühmt, doch
im Vertrauen — daß er des Schmuckes der Wiſſenſchaften völlig ent⸗
behrt habe.) N N
Lionello, ſein Nachfolger, war der erſte Fürſt Italiens, den ein
Humaniſt erzogen, und wo er nur genannt und geprieſen wurde, ver⸗
gaß man nie, ihn als Schüler Guarino's zu bezeichnen. Wie leicht
doch ein Fürſt zu literariſchem Rufe kommt, wenn er nur etwas ge⸗
lernt hat! Poggio rief ihm Beifall zu: er eile dem ſchönſten Lebensziel
entgegen, ſeine herrlichen Thaten ſelber durch das claſſiſche Wort zu
verherrlichen; es müſſe ein göttlicher Geiſt ſein, der bei den Sorgen
und Arbeiten der Regierung noch einen ſolchen Eifer für die Studien
hege.) Filelfo fand feine Tugend bewundernswerth und faſt göttlich:
er ſei würdig, über ganz Italien zu herrſchen, er ſei durchaus zu Lob
und Ruhm geboren.) Guarino ſelbſt ſagte ſeinem Schüler in der
Leichenrede nach, daß er faſt die ſtiliſtiſche Eleganz der Alten erreicht.
Wollen wir ſein Lob in allen Modulationen leſen, ſo dürfen wir nur
die ferrareſiſchen Chroniſten jener Zeit aufſchlagen.
Schon als Jüngling hatte Lionello von ſeinem Lehrer ſo unge⸗
meſſene Schmeicheleien genoſſen, daß er meinen mochte, ſein Genie ge⸗
nüge und es bedürfe nicht erſt der Anſtrengung, um zur literariſchen
Größe aufzuſteigen. Er machte Verſe, und den fürſtlichen Verſen
fehlte es natürlich nicht an Bewunderern. Er ſchrieb hin und wieder
einen Brief im freien Stil; ſogleich fand Gnarino denſelben füßer denn
Honig, weiſſagte dem trefflichen Schüler, er werde einſt der Fürſt der
Fürſten ſein, und pries ſich ſelbſt glücklich, daß er der Gehülfe ſo
fruchtreicher Studien geweſen.) Der Prinz liebte leidenſchaftlich die
) Blondus Ital. illustr. p. 354. ö
) Ein Brief Poggio's an ihn in ſ. Opp. p. 344; ein andrer epist. 36. in
Poggii Epistt. LVII.
) Filelfo's Brief an ihn v. 28. Juli 1449.
) Eine Reihe von 13 Briefen Guarino's an Lionello iſt in Pes Thesaur.
Anecdd. nov. T. V. P. III p. 154 8d. mitgetheilt. cf. epist. 3.
17 *
260 IV. Lionello von Eſte und Guarino.
Jagd und wenn er ſeinem alten Lehrer, der das ſtrapazante Vergnügen
nicht mitmachen konnte, ein paar Faſanen, Wachteln oder gar einen
Rehbock verehrte, ſchrieb er wohl noch ein paar freundliche Zeilen da⸗
zu; dann war der Hofgelehrte vor Freuden außer ſich, dankte mit
claſſiſchen Worten, die zum Lobe der Jagdluſt geſagt ſind, pries den
Prinzen im ſcherzenden Ton als einen erhabenen Sieger und fühlte
ſich ſchon unſterblich durch den herrlichen Brief, deſſen er ihn gewär-
digt.) Hielt Lionello einſt eine Rede zum Lobe Cäſars, fo ſah Guarino
in ihm ſchon einen zweiten Cäſar: „Ja, herrlicher Mann, eigne dir
nur durch häufige Reden die Tugenden großer Menſchen zu, mache
dich vertraut mit ihnen, lobpreiſe fie, liebe fie, ahme fie nach ln“) Als
Kaiſer Sigmund den Prinzen im September 1433 zum Ritter geſchla⸗
gen, erwiederte dieſer die Gnade durch eine Dankrede, für die er von
Guarino ein wahrhaftes Füllhorn voll der geſuchteſten Schmeicheleien
erndtete.) Jene Dankrede iſt wohl das einzige Denkmal von Lionello's
ſtiliſtiſcher Kunſt, das auf uns gekommen iſt; man wird es nicht auf⸗
fallend finden, daß neuere Literatoren bei allem guten Willen die Schön⸗
heiten derſelben nicht herausfinden konnten.“) Auch wird Lionello das
Verdienſt zugeſchrieben, daß er zuerſt die zwiſchen S. Paulus und
Seneca gewechſelten Briefe für untergeſchoben erkannt habe, °) aber
wir vermögen nicht ganz die Muthmaßung abzuweiſen, daß dieſer kri⸗
tiſche Gedanke dem trefflichen Guarino zugehörte und Lionello nur aus
Höflichkeit untergeſchoben wurde. Der gute Alte bekennt ſich offen zu
dem horaziſchen Worte: Principibus placuisse viris non ultima laus
est, er bringt es über ſein philologiſches e die Principes als
Fürſten zu deuten.
So mäßigt ſich denn unſre Vorſtellung von Lionelle's humanift⸗
ſcher Bildung. In den Forſten und Jagdgehegen ſich zu tummeln und
bei den Hoffeſten ſich zu präſentiren, war doch wohl mehr nach ſei⸗
ner Neigung, als in alten Büchern nach der Weisheit vergangener
) ibid. epist. 4. 6. 11. 13.
) ibid. epist. 2.
°) epist. 1. v. 13. Sept. 1433, auch in den von Hier. Donzelinus herausg.
Epistolae Principum etc. Venet., 1574. p. 386. Die Rede ſelbſt bei Mittarelli
Biblioth. codd. msc. Monast. S. Michaelis Venet. p. 665.
) Selbſt Tiraboschi T. V. p. 38 urtheilt: Questa orazione ci fa conoscere
che sono esagerate alquanto le lodi che d’agli scrittori di que’ tempi si danno
all’ eleganza dello stilo di Leonello.
) Tiraboschi T. II. p. 277.
2 IV. Lionello und Borſo von Eſte. 261
Zeiten zu forſchen. Daß er ſich gelehrig und gelehrt zeigen mochte,
wenn eine geringe Anſtrengung mit ſo reichlichen Schmeicheleien ver⸗
gokten wurde, daß er allenfalls bei Tafel oder wenn er in ſeinen Parks
ſpazierte, über ein antikes Modethema plaudern hörte und mitplauderte,
wollen wir immerhin glauben.!) Uebrigens zeigte er als regierender
Markgraf keinesweges die Tugenden, deren man ſich von Guarino's
Schüler verſehen hatte: er war ein ſtrenger, hochmüthiger undbi s⸗
weilen recht unfreundlicher Herr, und wenn er auch den alten Lehrer
in Ehren hielt, wollte man doch finden, daß er an der fürſtlichen Haupt⸗
tugend, der Freigebigkeit gegen Literaten, feinem Vater nachſtehe.)
Dagegen war ſein Bruder und Nachfolger, Borſo von Eſte, der
Sohn Niccolo's von einer ſaneſiſchen Concubine, wieder ganz der ge⸗
feierte Mann und Liebling der gelehrten Schmeichelzungen. Er war
ſo ſchön und heiter, ſo liebenswürdig und witzig; die Ferrareſen, be⸗
ſonders die Frauen, verehrten ihn wie einen Gott. Im Reiten, Lan⸗
zenwerfen und Turnieren war er unvergleichlich, ferner ein gewandter
Jäger wie ſein Bruder, und bei Hoffeſten nicht nur dem Range nach
der Fürſt. An Pracht und Eleganz in ſeinen Paläſten konnte er ſich
mit Königen meſſen. Man hätte ihn für einen geiſtreichen Tollkopf
und für einen unſinnigen Verſchwender halten mögen, wenn er nicht
auf der andern Seite als ein höchſt gewitzigter Politiker und als vor⸗
trefflicher Geldwirth bekannt geweſen wäre. Er konnte viel ausgeben,
weil kr von ſeinen Vorgängern viel überkam und die Rechnungskammer
in muſterhafter Ordnung hielt. Er wußte mit Aufſehen freigebig zu
ſein. Seine Hofdichter und Hofgelehrten, aber auch berühmte Literato⸗
ren von auswärts erhielten zum Lohn ihrer Arbeiten und Huldigungen
mitunter Geſchenke, wie kein andrer Fürſt ſie gab, bis zu 1000 Du⸗
katen.) Aber gar zu oft ſcheint das nicht geſchehen zu fein. Er ließ
Bücher zuſammenkaufen, aber der alte Guarino, der hiebei fein Ge⸗
ſchäftsführer war, verſtand ſich durchaus nicht zu jedem geforderten
Preiſe.
Lodovico Carbone geſtand in der Leichenrede, die er Borſo hielt,
er habe aus der Rede, die ſüßer denn Honig ſeinem fürſtlichen Munde
') Joh. Ferrariensis ord. min. Excerpta ex Annalium Libris Ill. fami-
liae Marchionum Estensium ap. Muratori SEID: T. X. p. 457.
2) Aeneas Sylvius de vir. clar. XII.
) Tiraboschi T. V. p. 40.
262 IV. Berfo von G.
entfloſſen, mehr gelernt als aus dem ganzen Cicero. Wir willen nich,
was dieſer Hofredner überhaupt gelernt hat, aber es läßt ſich aus einem
gleichzeitigen Schriftſteller, der auch in Borſo's Dienſten geſtanden hat,
erweiſen, daß derſelbe von der lateiniſchen Sprache ebenſo wenig wußte
als Francesco Sforza, wobei wir indeß die Gabe einer natürlichen
Beredtſamkeit weder dieſem noch jenem beſtreiten wollen.) Auch
Biondo fagt uns offen, Borſo habe wie fein Vater der Wiſſenſchaften
entbehrt.) Der Genuß, den er den ſchönen Künſten abgewann, war
ein beſchränkter: er ließ ſich vielleicht den Lancilotto vorleſen, beſah die
Illuſtratisnen, die er von einem bologneſiſchen Künſtler dazu hatte fer⸗
tigen laſſen oder ergötzte ſich an den goldenen Beſchlägen und Minia⸗
turen ſeiner Bücher, die feine Bibliothek nicht weniger putzten wie ihn
ein neues Hofkleid oder der herzogliche Titel, den er von Kaifer Fried⸗
rich kaufte.) Wie Sforza an dem obengenannten Cicco Simonetta, fo
hatte Borſs an Lodovico Caſella, feinen Referendar, einen Hofrath
für die literariſchen Dinge, die er ſelbſt nicht verſtand, und der war
auch für die Schöngeiſter die Brücke zur fürſtlichen n der Refe⸗
rent über ihre feinlatmiſirten Schmeichelworte.
Der Friede mit feinen Segnungen hat vie ferrareſiſche Dynaſtie
befähigt, auch während des 16. Jahrhunderts in der Geſchichte der tus⸗
ciſchen Posſie eine hervorragende Rolls zu ſpielen, aber dieſer thaten⸗
loſe Friede hat hier auch jene höſiſche Stickluft erzeugt, die das freie
Talent beengte und hemmte und manche von der fürſtlichen Gönner⸗
ſchaft hervorgelockte Blüthe wieder verkümmern ließ.
Schon mehrmals iſt auf die eigenthümliche Verkettung des dyna⸗
ſtiſchen Jutereſſe mit dem literariſchen hingewieſen: wir fanden es
bei den größeren Dynaſtien von Neapel und Mailand wie bei den
Gonzaga und Eſte, dieſen Principi, die unter günſtigen Verhältniſſen
zu Markgrafen und Herzogen herangewachſen. Ein ſolches Emporkommen
von Dynaſtien, die Folge der ſtaatlichen Zerflüftung und des Condot⸗
tierenweſens, ging beſonders in den päpſtlichen Vicariaten immer noch
vor ſich, und immer zeigt ſich dieſelbe Neigung, den unſicheren und
hohlen Boden durch die mäcenatiſche Pflanzung zu befeſtigen. Manche
der Aufſtrebenden ſind unterwegs verunglückt wie die Malateſta von
1) ibid. p. 42.
) Blondus Italia illustr. p. 354.
°) Tiraboschi T. VI. p. 218.
IV. Die Carrara. Federigo von Urbino. 263
Amin! und Ceſena oder die Bentivogli in Bologna, andre ſtiegen
Feücklicher empor wie zumal die Montefeltri von Urbino. Wie dieſe
Geſchlechter zu den handgreiflichen Mitteln der Macht, zu Geld und
Truppen, als drittes auch den literariſchen Schimmer hegten, wie auch
fie der Hoſdichter und Verherrlicher nicht entrathen mochten, wollen
wir in einigen beiſpielsweiſen Zügen zeigen.
Am früheſten finden wir die Stelle eines Hofredners und Feſt⸗
poeten bei den Carrara zu Padua beſetzt und zwar durch Pier⸗
Paolo Vergerio, ven Schüler des Chryſoloras. Indem er zugleich
das Amt eines Staatsſchreibers verſah, ſchrieb er feinen Fürſten zu
Dank und Ruhm auch eine Geſchichte ihres Geſchlechts ) und forgte
durch Feſt⸗ und Leichenreden für ihre Verherrlichung.
Der nachmalige Fürſt und dann Herzog von Urbino, Federigo
vi Montefeltro iſt ſchon als Schüler des trefflichen Vitterino er⸗
wähnt worden, damals noch ohne Ausficht auf die Nachfolge im Für⸗
ſtenmhum, zumal da feine legitime Geburt mehr als zweifelhaft war.
Dann warf ihn fein Schickſal ins Kriegerleben: er war Rottenführer
im Heere Francesco Sforza’s und hat auch Niccolo Piecinino gedient,
noch als Fürſt war er über dreißig Jahre lang Condottiere der Könige
Alfonſo und Fernando von Neapel ſo wie mehrerer Päpſte. Unter
ſeinesgleichen galt er für den einzigen, der Treue hielt, und zugleich
für einen Meiſter in feinen Kriegsplänen und in der Disciplin ſeiner
Banden. Aber das Feldlager vermochte nicht in ihm die Liebe zu den
Wiſſenſchaften zu erſticken, die ihm ſeine Schuljahre zu Mantua einge⸗
flößt. Als ein Mann von Kopf baute er auf der guten Grundlage,
die er dort in der lateiniſchen Sprache gelegt, mit Leichtigkeit fort.
Von einem gewiſſen Lazzaro, dem er ſpäter zum Episcopat von Urbino
verholfen, ließ er ſich in philoſophiſche und geſchichtliche Studien ein⸗
führen. Er las ven Ariſtoteles, mit Vorliebe aber die Geſchichtſchreiber,
die ſeinem Kriegerberufe näher zu ſtehen ſchienen, Livius und Sallu⸗
ftins, Curtius und Plutarchos.) Als er einſt Pius II, feinen Sold⸗
herrn, an der Spitze von zehn Reiterfähnlein nach Tivoli geleitete und
im Sonnenſchein die Schwerter blitzten, die Schilde und Helme er⸗
) Vitae Principum Carrarensium ap. Muratori Scriptt. T. XVI. p. 114.
) Vespasi ano: Federigo Duca d' Urbino 8 2. 22. Paulus Jovius Elo-
gia virorum bellica virtute illustrium. Basileae, 1575. p. 167.
964 IV. Federego von Urbino. Die Malateſta.
glänzten, ſprach er mit dem gelehrten Papſte über die Waffen der Alten,
über den trojaniſchen Krieg, der ihm nicht ſehr bedeutend erſcheinen
wollte, und dann konnten die Beiden über die Ra des e
Kleinaſien nicht einig werben. ')
Ganz andern Neigungen als den kriegeriſchen gab ich Feperigo
daheim in ſeinem Urbino hin, wenn er den Panzer abgelegt. Er baute
nach dem Muſter der claſſiſchen Architectur. Seinem glänzenden Pa⸗
laſte fügte er eine ebenſo prächtige Bibliothek bei, auf die er 40,000
Ducaten verwendet haben ſoll; dreißig bis vierzig Schreiber wurden
in Urbino und in Florenz gehalten, um ſeinen Schatz von lateiniſchen,
griechiſchen und tusciſchen Büchern zu vermehren, der ſpäterhin von
Ceſare Borja nach Rom entführt worden iſt. Geſchickte Maler ließ
er ſich aus Flandern kommen: die Wände ſeines Studirzimmers zierten
die Bilder der alten Philoſophen und Dichter und kirchlicher Autoren.
Mancher Gelehrte und Dichter, zumal in Rom und Neapel, fühlte
feine Freigebigkeit in reichlichen Geſchenken.) Er hatte feine kleine
Hofakademie, die ihn als Meiſter in allen Künſten des Krieges und
des Friedens ausrühmte und von ſeinem kriegeriſchen Rufe verſicherte,
daß er keine anderen Grenzen habe als den Lauf der Sonne.) Zum
Geſchichtſchreiber ſeiner Thaten hatte er ſich den erwähnten Neapolita⸗
ner Porcello de' Pandoni auserſehen, der ihm als Secretär diente und
allerdings kleine Begebenheiten mit altrömiſchen Farben zu einem Hel⸗
dengemälde aufzutünchen verſtand.“) ö
Federigo's Nebenbuhler waren die Malateſta i in Rim ini und
Ceſena, gleich ihm Vicare des apoſtoliſchen Stuhles, ein hartes, im
Kriege aufgewachſenes Geſchlecht. Bei Carlo Malateſta von Ri⸗
mwini war einſt (1409) Lionardo Bruni zum Beſuch: er war verwun⸗
dert, in dem gefürchteten Condottiere zugleich einen Fürſten zu finden,
der Bücher las, Verſe machte und eine ſo zierliche Hand ſchrieb, daß
) Pii II. Comment. p. 131.
) Vespasiano l. c. 5 24. 27. Jac. Phil. Bergomas Supplementum
Chronicarum. Venetiis, 1513. p. 188. Tiraboschi T. VI. p. 224. Die Ab⸗
führung der urbinatiſchen Bibliothek nach Rom berichtet Jace. Ziegler Acta Papa-
rum bei Ranke Deutſche Geſchichte im Z. d. Ref. Th. VI. S. 127.
) Pyrrhus Perottus im Prodmium, mit dem er ihm die bekannte Cornu-
copia ſeines Oheims Niccolo Perotti widmete.
) Raphael Volaterr. Lib. XXI. Tiraboschi T. VI. p. 1054.
IV. Die Malateſta. 265
er hätte Copiſt werden können. Bruni wurde wohl Aufgenommen, er
aß mit dem Fürſten, ging mit ihm auf die Jagd, und wenn ſie ſpät
am Abend heimkehrten, vertrieben ſie die Zeit mit wiſſenſchaftlichen
Disputationen, die oft mit hartnäckigem Schreien geführt wurden.)
Uebrigens galten dieſe Malateſta als ungehorſame Vaſallen und Feinde
der Kirche, gegen die Pius II einen Vernichtungskrieg führte. Damals
war Ghismondo Pandolfo ihr Hanpt, der wilde, trotzige Herr von
Rimini, einſt (1453) Obergeueral der florentiniſchen Armee; er leugnete
die Unſterblichkeit der Seele, die Kirche brandmarkte ihn als Ketzer und
nannte ihn einen verlorenen Sohn. Auch dieſer Herr hatte ſeine Hof⸗
gelehrten und Hofdichter, wenn auch nur Größen zweiten Ranges. In der
Kirche S. Francesco zu Rimini ruhten ihrer mehrere, die er mit beſon⸗
derer Ehre hier beiſammen beſtatten ließ. Porcello verweilte eine Zeit
lang bei ihm; er trieb ſich nämlich als ärmlicher Poet unſtät umher, ſeit⸗
dem er, wir wiſſen nicht warum, den neapolitanifchen Dienſt verlaſſen.
Baſinio da Parma beſang in eleganten Hexametern die Kriegesthaten
Ghismondo's und deſſen Concubine Iſotta, welche auch Porcello in
ſeinen Verſen feierte.) Auch in Rimini erhob ſich eine Bibliothek
und man trieb hier Künſte des Friedens, die zu dem rauhen Soldaten⸗
ſinne des Fürſten in wunderlichem, aber doch nicht unbegreiflichem Ver⸗
hältniß ſtanden.)
Sein Bruder, der apoſtoliſche Vicar zu Ceſena, Malateſta No-
vello de' Malateſti, ſtand auch nicht im Rufe der Frömmigkeit und
Friedlichkeit. Doch war er den Schöngeiſtern gleichfalls zugänglich;
wir ſehen, wie Poggio ihn umſchmeichelt und ihm einige ſeiner Werke
zuſendet. ). Als er im Jahre 1448, durch eine Krankheit betroffen,
für das Heil ſeiner Seele etwas thun zu müſſen meinte, erbaute er
dem h. Franciscus zu Ehren bei deſſen Kloſter eine Bibliothek und
zwar in Form einer Baſilika mit einer Doppelreihe korinthiſcher Säu⸗
len. Er ſorgte nicht nur für die nöthigen Bücher, ſondern ſetzte auch
eine jährliche Summe von 300 Goldgulden aus, theils zur Erhaltung
des Inſtituts, theils zur Unterſtützung der Magiſter und Doctoren,
) Leon. Bruni epist. III, 9. VI, 7. ed Mehus.
) Poggii epist. 91. Porcellio im Spicileg. Roman. T. X.
) Tiraboschi T. VI. p. 224. 1341. |
*) Poggii epist. 20. 21. I. c.
266 IV. Eine Rundreiſe Filelfo's zu verſchiedenen Fürſten.
der Pfleger der freien Künſte ſowohl wie der Theologen, dam fie in
demſelben ihren Studien obliegen könnten.)
Mit allen dieſen kleinen Tyrannen trieb ein Filetfo leinen Un⸗
ſterblichkeitshandel, bei ihnen allen vertauſchte er den durch felne Feder
geſicherten Nachruhm gegen reellere Objecte. Im Jahre 1459 reifte
er von Mailand nach Rom, um ſich und ein paar ſeiner Söhne dem
neuen Papſte Pius vorzuſtellen. Er kam nach Mantua zu Markgraf
Lovovico, der ihn „mit Frenden ſah und aufs reichkichſte aufnahm⸗
und dafür ein in feiner Perſönlichkeit und in ferner Humanitdt ganz
ausgezeichneter Fürſt genannt wurde. Dann zu Herzog Beorfe von
Ferrara, von welchem er „herrlich beſchenkt“ wurde; zum Danke ver⸗
kündete er der Welt in ſeinen ewigen Briefen, vieſer Fürſt ſei wahr⸗
lich werth, daß keine Nation und keine Nachwelt von ihm ſchweige,
venn er ſei mit jeglicher Tugend begabt, vor allen aber mit Geiſtes⸗
poheit und Freigebigkeit, jenen beiden Eigenfchaften, die berühmte Für⸗
ſten durchaus beſitzen müßten. In Ceſena wurde er von Malateſta
Novello micht minder königlich als philoſophiſch aufgenommen“; in
Kimini empfing ihn Ghismondo Pandolfo Malateſta aufs. ehrenvollſte
und freigebigſte und bewies ihm alle Liebes dienſte“, wofür er venn als
ein Mann von ungeheurem und durch und durch humanem Geiſte, von
großen und unzähligen Tugenden geprieſen wurde. Bei Foſſombrone
traf er zufällig auf. Giacomo Piccinino, den Söldnerführer, dieſer
ſchickte einen Vertrauten zu ihm ins Gaſthans, ließ ihn grüßen, wech⸗
felte am folgenden Tage mit ihm die freundlichſten Worte, „erwies ihm
ein ausgezeichnetes Wohlwollen und verabſäumte keine Pflicht der Hr
manität und Güte“. Filelfo, der ſich rühmte, an Dankbarkeit ſolle ihn
wicht leicht jemand übertreffen, nannte ihn dafür einen Tydeus an
Körperftärke, an Kraft und Klugheit des Geiſtes einen Aleiwen.)
Wir dürfen wohl behaupten: es gab in Italien keinen Fürſten,
dem ein Filelfo nicht mit Schmeicheleien und Huldigungen beizukommen
wußte, von dem er nicht Gefälligkeiten und Geſcheuke empfing. Seloſt
die Keinen Potentaten des Nordens, die von vem literariſchen Schwin⸗
del am meiſten verſchont blieben, ihm entgingen ſie nicht. Wir wüßten
es nicht zu beweiſen, daß die Markgrafen von een ſich beſon⸗
’) Wadding Annal. Minor. T. Al Zu an 1648) p. 135. 136. Blonäns
Ital. illustr. p. 344.
) Nach Filelfo's Briefen vom 5— 22. ganuar 1459.
IV. Die Humanißer als Poliker. 267
ders um bie Wiſſenſchaften gekümmert hätten. Wenn aber Filelfo dem
Markgrafen Giovanni IV feine Liebe und Ehrfurcht bezeugt, fo war
damit die Angel ausgeworfen; wenn er ihm für bewieſene Wohlthaten
dankt, ihm eines ſeiner Werke zuſendet und ihn den freigebigſten von
Allen nennt, jo war folglich der Fiſch gefangen.) In Turin bei Her⸗
zog Lodovico von Savoyen, von dem wir gleichfalls keine mäcenatiſche
Handlung zu berichten wüßten, brachte Filelfo feinen älteſten Sohn
Gian⸗Mario als Verwaltungsbeamten unter, einen liederlichen Burſchen,
der ſeinem Vater zwar nicht an Gelehrſamkeit, aber im Talent der
Unverſchämtheit gleichkam; der Herzog von saugen hat ihm den Dich⸗
terlorbeer ertheilt.)
Scheiden wir von der höfiſchen Sphäre die politiſche, ſo müſſen
wir doch zugeſtehen, daß die Hofgelehrten und Hofdichter auf letztere
wenig Einfluß geübt haben. Als Verehrer einer längſt entſchwundenen
Zeit waren ſie im Grunde alle, was man zu unſerer Zeit mit dem
Namen Doctrinärs bezeichnen würde. Wir dürfen uns nicht täuſchen
laſſen, wenn einige von ihnen ſich einer beſtimmenden Autorität bei
ihrem Fürſten rühmten, wenn ſie mehr mit dem Titel als mit dem
Amte von Secretären und Staatsräthen geziert oder mit der Abfaſſung
politiſcher Schriftſtücke beauftragt wurden, in denen der Kern der Sache
niemals lag, die gewöhnlich nur ein prunkendes Manifeſt an die Mitwelt
oder an die Nachwelt waren. Jene Politik, die wir mit dem Namen
eines Humaniſten, des florentiniſchen Staatscanzlers, zu bezeichnen ge⸗
wohnt ſind, hat lange vor dem Auftauchen des Humanismus und zu
allen Zeiten exiſtirt. Höchſtens mögen wir zugeſtehen, daß wo die
Kunſt des Wortes eifriger gepflegt wird, auch der Gegenſatz zwiſchen
Wort und Geſinnung greller hervortritt, daß wackere Offenheit da um
ſo bitterer vermißt wird, wo die tönende Phraſe ſie zu erſetzen ſucht.
Auch iſt unleugbar, daß mit den Höfen immer zugleich der ſtaatliche
Verband demoraliſirt wird und eine Demoraliſation iſt es doch gewiß,
wenn Schmeichelei und Heuchelei der Modeton werden, wenn ein fal⸗
ſcher Schimmer die Eitelkeiten des Herzens nährt. Aber trotz dieſen
mittelbaren Zuſammenhängen dürfen wir behaupten, daß das reale Le⸗
1) Filelfo's Briefe an ihn v. 15. Mai 1454, v. 2. Juni 1459 u. a.
) Rosmini Vita di Franc. Filelfo T. III. p. 91, wo Saſſi und Tira⸗
boſchi widerlegt werden, die Gian⸗Mario Filelfo durch König Rene von Anjon zum
Dichter gekrönt werden laſſen.
268 IV. Die Humaniſten als Politiker.
ben des monarchiſchen Staates, der einmal auf dem täglichen Bedürf⸗
niß und auf der nüchternen Nothwendigkeit beruht, vom Humanismus,
der eine ſpirituelle Richtung iſt, nicht allzu ſehr bedingt wurde. Hier
bildet die florentiniſche Republik, in welcher Humanismus und Staats⸗
kunſt ſich ſo innig verbrüderten und ihre ſchroffen Forderungen durch
einander ausglichen, den entſchiedenſten Gegenſatz, und ſchon dadurch
ließe ſich erklären, warum in Florenz das gelehrte Treiben ein ungleich
geſunderes war und ungleich reichere Früchte trug.
Fünftes Buch.
Der Humanismus an der päpſtlichen Curie. Das Zeitalter
Nicolaus V. Die helleniſtiſchen Studien.
Jetzt iſt darzulegen, wie ſich der Humanismus an der römi⸗
ſchen Curie eingebürgert hat. Wir dürfen nicht erſt ſagen, daß von
den Herren des Kirchenſtaates hier die Rede nicht iſt, daß wir das
Eindringen des neuen Geiſtes in die gewichenen Fugen der Hierarchie
zu betonen und die endliche Zertrümmerung dieſes ſtolzen Gebäudes
durch das neubelebte Alterthum wenigſtens in der Fernſicht zu zeigen
wünſchen. f
Die hierarchiſche Kirche beanſpruchte Geiſt und Gemüth wie die
Wiſſenſchaft und wie ihre ſchöne Schweſter, die Kunſt: ſo bot ſie denn
einen Kampfplatz, auf welchem ſich die Kräfte meſſen mochten, die
Kräfte nämlich eines erkalteten, zum Formalismus ausgehöhlten Glau⸗
bens und eines jugendlichen, mit ſinnlichem Reiz und mit kritiſcher
Schärfe gerüſteten Unglaubens, einer ſtarren ſyſtematiſchen Moral, wie
ſie von der Canzel und von der ſcholaſtiſchen Katheder herab gelehrt,
und einer ſpielenden üppigen Frivolität, wie ſie von den Dichtern des
römiſchen Alterthums gelernt wurde. Der Hof von Rom war einmal
das Centrum der Hierarchie und hatte neben der ſtaatlichen eine un⸗
gleich bedeutendere geiſtige Miſſion. Wenn hier das Alterthum und
feine Verehrer eindrangen, blieben fie kein bloßer höfiſcher Ausputz.
Hier mußte das neue Element in Mark und Bein dringen wie ein
Gift, welches zwar für kurze Zeit ein ſcheinbar erregteres Leben erzeu⸗
gen kann, aber den Organismus doch in ſeiner koſtbarſten Lebenskraft
I V. Das Schisma führt die Humaniſten an die Curie.
verzehrt. Der Strenge ihrer Grundprincipien gemäß hätte die Hier⸗
archie das Heidenthum, in welcher Geſtalt es ſich auch zeigte, von ſich
fern halten und verfolgen müſſen. Aber bald, wie wir ſehen werden,
war es das Bedürfniß, bald die Sorgloſigkeit der Curie, die das heid⸗
niſche Ferment an ſie lockte und in ihren Schooß einführte. Durch
Prieſter endlich, die ſelber das neue Studium eifriger liebten als die
Kirche, hat ſich der ee als un auf den apoftolifchen
Stuhl geſchwungen.
Das große Schisma, welches auf den Glauben untergrabend ein⸗
wirkte, hat auch den Jüngern des neubelebten Alterthums zuerſt den
Eintritt in die Curie und in die Kirche geöffnet. Es bedurfte der
Kampfmittel, und die Päpſte waren in der Wahl derſelben nicht allzu
gewiſſenhaft und peinlich. Im Streite gegen die weltliche Macht und
noch gegen Ludwig den Bayern hatten ſie ſich ausſchließlich kirchlicher
Geiſter, gelehrter Biſchöfe und Mönche bedient, um ihre Angriffs⸗ und
Vertheidigungsſchriften abzufaſſen. Dieſe waren denn auch außerhalb
der Kreiſe, die ſie zunächſt berührten, wenig verbreitet geweſen und für
ein größeres Laien⸗Publieum nicht einmal von Intereſſe. Ein folches
folgte blindlings dem Landesherrn oder wenn es Partei nahm, geſchah
es ebenſo aus blindem Inftinet, ohne den Drang, mit Gründen für und
wider ſtreiten zu können. In ganz andrer Art wirkte das Schisma
auf die Gemüther: man wollte ſich klar werden über das Recht dieſes
oder jenes Papftes, weil man von der Wahl das Heil der Seele ab⸗
hängig wähnte, und doch ſchwankte man zwiſchen ihnen oft ohne Leiden⸗
ſchaft und Vorurtheil, wenn dieſe nicht etwa durch nationale Sympathien
hervorgerufen wurden. Darum treten ſeitdem die Magiſter und Doc-
toren, die Chorführer der ſcholaſtiſchen Kathederweisheit lebhaft in den
Kampf. Von den Hochſchulen gingen während des Schisma die mei⸗
ſten Streitſchriften aus, immer noch ſchwerfällige Conglomerate und
nur dem Gelehrten verſtändlich. Je länger der Kampf zwiſchen den
italieniſchen und franzöſiſchen Päpſten andauerte, je eifriger und ſcan⸗
dalöſer er geführt wurde, je ungeduldiger und erregter die andern Na⸗
tionen wurden, deſto mehr trat für die Kämpfenden das Bedürfniß
hervor, energiſcher auf ein erweitertes Publicum einzuwirken, und das
geſchah durch faßlichere, aus Herz greifende Parteiſchriften. Damals
nun zeigte ſich zuerſt die Gewalt des ſtudirten Stils über die Gemüther
der Leſenden: er wußte ihnen zu ſchmeicheln und ſie zu entzünden.
Was natürlicher, als daß die Päpſte ſich nach den Humaniſten umſahen,
1: V. Eintritt der Humanisten in die Kurs. F AL;
die jene Künſte den alten Rednern abgelernt, die meiſtens brodlos und
weil fie dem Alterthum anz ergeben, gegen die Zeitintereſſen gleich⸗
gültig waren, auch parteilos, ſich ohne Mühe und Widerſtreben in
Sold und Dienſt nehmen ließen.)
Den Humaniſten an der Curie zu ſituiren, hatten die Päpſte ein
einfaches Mittel: fie gaben ihm ein Secretariat in der Cancelei. Das
war ein Amt, welches ſonſt um guten Preis, wohl um 700 Gulden,
gekauft wurde, es nährte den Mann und ſeine Familie, gab dem Flei⸗
ßigen und Geſchickten Gelegenheit zu erheblichen Nebeneinnahmen, es
eröffnete ihm, wenn er ſich zum geiſtlichen Stande entſchloß, Ausſicht
nicht nur auf die fetteſten Pfründen, ſondern auch auf die höheren
kirchlichen Würden. Mancher Cardinal begann ſeine Laufbahn als be⸗
ſcheidener Scriptor in einer der apoſtoliſchen Curien. Indeß hatten
die meiſten Secretäre, auch wenn ſie das Amt kauften, doch einige
Jahre ſich mit dem kanoniſchen Recht abgegeben. Sie ſtanden ſich
überhaupt nicht gleich: zu Anſehn und Wohlſtand gelangten gemeinhin
uur die gewandten Juriſten, die ſich den Prälaten hier und dort nütz⸗
lich zu machen, die Breven ſelbſtſtändig abzufaſſen und allerlei Winkel⸗
advocaturen zu führen verſtanden. Der einfältige Copiſt, der nur
gerade die gewöhnlichſten Formulirungen gelernt, blieb auch zeitlebens
ein ſubalterner Beamter.
Trat nun der Humaniſt in die Sende, jo ſtand ihm ein dop⸗
pelter Weg offen: entweder er arbeitete ſich ganz in die Geſchäfte hin⸗
ein und ſtand dann gewöhnlich an Einnahmen und Achtung hoch über
feinen Collegen, oder er übernahm nur die Abfaſſung einzelner Schrift
ſtücke, der bedeutenderen, an Fürſten oder hohe Prülaten gerichteten
Breven, der Ausſchreiben und Streitſchriften, und zog ſich übrigens
von den laufenden Geſchäften zurück. Der letztere Fall war gewöhn⸗
licher: der Schüler Cicero's entſchloß ſich ſchwer, ſeinen Geiſt, den er
zu beſſeren Dingen berufen meinte, in dem eintönigen Formelkram ab⸗
zumüden und wie ein gemeiner Curiale Tag und Nacht in dem lang
weiligen Verwaltungsmechanismus zu arbeiten. Aber je weniger Arbeit
er übernahm, deſto ſchmaler war freilich auch ſein Verdienſt. Wir fin⸗
9 So ſchrieben, um nur zwei Beiſpiele anzuführen, Lionardo Bruni die erſte
Eneyklika für Gregor XII (Bruni epist. II, 4. ed. Mehus), Poggie eine Reihe von
Breven Eugen's IV gegen das base Coneil (P oggii epist. 93. im Bpicileg. Ro-
man, T.X.
272 v. Die erſten Humaniſten an der Curie.
den manche unter ihnen, die wie freie Leute an der Curie lebten und
mehr auf den Erwerb von Pfründen oder Lehrhonoraren bedacht wa⸗
ren, ja wohl ganz davongingen und in Florenz oder anderswo den
Titel eines apoſtoliſchen Secretärs führten. Bis auf diejenigen Päpſte,
die gleich den weltfürſtlichen Mäcenen vom Hofgelehrten wenig ver⸗
langten und ihn doch reichlich belohnten, war das Schreiberamt fur
ein nothdürftiges eee der eee und e wenig un
Freiheitsſinn.
Schon Petrarca war ein Secretariat von n Päpſten an;
getragen worden,) aber er mochte ſeinet Freiheit nicht die Flügel bin⸗
den, fein Sinn ſtrebte dahin, „ſich über das Volk zu erheben, er ſah
mit Achſelzucken „auf die Heerde jener, die Schreiber des Papſtes ge
nannt werden und von denen wir wiſſen, daß fie mehr u er
beiter als geiſtvolle Menſchen find." *) 5
Längere Zeit blieb die Stellung derjenigen Humanisten, die ſich
zu einem Curlalamte bequemt, eine ſchwankende und zeitweiſe. Meiſt
nur mit Widerſtreben beugten fie den Nacken unter das Joch und blie⸗
ben in demſelben nur, wenn die Sorge für Weib und Kind fie feffelte
und bis ſich ihnen eine willkommenere Exiſtenz darbot. Dazu kam
während des Schisma noch die Unſicherheit der Einkünfte, die mit den
Ausſichten und der Obedienz eines jeden Papſtes ſtiegen und fielen.
Selbſt die franzöſiſchen Päpſte ſuchten Secretäre aus dem ſchöngeiſtigen
Italien nach Avignon zu ziehen, und der tusciſche Stamm galt für
den fähigſten in der Wiſſenſchaft wie im Geſchäft, aber der Tuscier
entfernte ſich auch am wenigſten gern von dem gebildeten Freundes⸗
umgange ſeiner Heimath.
Zanobi da Strada, der gekrönte Dichter und Freund Petrar⸗
ca's, erſcheint als der erſte ſeinesgleichen, der als apoſtoliſcher Proko⸗
notar und Abbreviator Innocenz VI diente; fortan ließ er die Poeſie
und wurde unter den Geſchäften ein reicher Mann.) Dann hören
wir, daß Coluccio Salutatso eine Zeit lang unter Urban V, viel⸗
leicht auch noch unter Gregor XI als apoſtoliſcher Secretär arbeitete);
wie anders ſtand er dann als florentiniſcher Canzler da! Einer ſeiner
1) Epist. rer. senil. I, 1. 2. 3.
2) Epist. rer. senil. XV, 6 (Opp. p. 1058). ö
) Fil. Villani Vite d'uomini illustri Fiorentini ed. Mazzuchelli p. 8.
) Petrarca cpist. rer. senil. XI, 4. e zu Fil. N Vite
etc. Prefaz. p. 20.
V. Poggio an der Curie. 273
Jünger und Schüler des Chryſoloras, Giacomo d' Angelo da Scarparia
trat unter Alexander V in die Cancelei, widmete dieſem Papſte feine
Ueberſetzung der ptolemäiſchen Kosmographie, bekleidete ſein Amt auch
noch unter Johannes XXIII, iſt aber im jungen Alter geſtorben.)
Als Poggio 1452 nach ſeinem Florenz zurückging, um hier nun
bis an ſein Ende zu bleiben, konnte er ſich rühmen, daß er der römi⸗
ſchen Curie faſt fünfzig Jahre lang gedient.) Schon ein Decennium
früher hatte er mehr als fünfzig Cardinäle an der Curie hinſterben
geſehen,) er durfte ſich den älteſten Curialen nennen, auch iſt fein
Treiben an der Curie in mehr als einer Beziehung denkwürdig. Als
ein junger Mann trat er unter Bonifacius IX in das Amt der Secre⸗
tarie, etwa 1402, und blieb in demſelben unter ſieben ſeiner Nachfolger,
obwohl er nur periodenweiſe die Laſt der Geſchäfte auf ſich nahm.
In der Geſchichte des Schisma ſtoßen wir auf ſo manches Curial⸗
ſchreiben, deſſen Signatur ſeinen Namen aufweiſt. Gerade eine ſo
ſchnelle und gewandte Feder, eine fo lebhaft⸗ eindringliche Redeweiſe,
ein ſolches Talent zu läſtern und lächerlich zu machen, wie er ſie beſaß,
war jenen Päpſten höchſt willkommen. Als es Johannes XXIII, den
er nach Coſtnitz begleitet, hier übel ging, reiſte er auf Bücherjagd in
den benachbarten Klöſtern umher und ging dann für längere Zeit nach
England hinüber. Es ſcheint überhaupt, daß er ſich an ſein Amt und
an den Aufenthalt der Curie wenig gebunden fühlte, er verließ ſie und
kam wieder, wie es ihm behagte. Als er aus England nach Italien
zurückkehrte, nahm er unter Martin W fein Secretariat wieder auf,
aber man ſieht, daß das Amt ſchon nicht nach ſeinem Geſchmacke war,
daß er eine florentiniſche Profeſſur mit 600 Gulden Jahresgehalt vor⸗
gezogen hätte; denn er wollte »ein freier Mann fein, nicht ein öffent⸗
licher Sclave.“ ) Stets fand er zu klagen, daß man ihn nicht halte
und belohne, wie ein ſo geſchickter Literat und ein ſo verdienter Veteran
an der Curie es wohl erwarten könne.)
Wir kennen Poggio bereits als wüthenden Kämpfer auf der lite⸗
rariſchen Arena, als pomphaften Lob⸗ und Leichenredner, als Bücher⸗
1) Mehus Vita Jacobi Angeli vor Leonardi Dathi Epistt. recens. Me-
hus. Florentiae, 1743.
2) De miseria conditionis humanae Liber I. in princip. (Opp. p. 88).
) Orat. in funere Cardinalis S. Crucis ad. fin. (Opp. p. 269).
) Seine Briefe an Niccoli unter denen des Ambr. Travers. XXV, 38. 39. 44.
5) z. B. Opp. p. 5. 32. 292. |
Voigt, Humanismus. 18
274 V. Poggio unter den, Trünmmern Rom's.
ſucher und Sammler alter Kunſtſchätze und als behaglichen florentini⸗
ſchen Canzler. An der Curie, in Rom: find: es wieder andre Seiten
dieſes vielgeſtaltigen Mannes, die der Erwähnung werth ſcheinen.
Zunächſt gedenken wir eines Verzeichniſſes der altrömiſchen Bauwerke,
welches Poggio nach eigenen Anſchauungen und Unterſuchungen entworfen.“)
Er war der Erſte, der ſie mit feurigem Intereſſe betrachtete und zu⸗
gleich als gelehrter Alterthumsforſcher zu deuten wußte; denn von Cola
di Rienzo und Petrarca darf man behaupten, daß ſie auf dieſe Trüm⸗
mer der alten Römerwelt mehr mit verehrendem Staunen als mit ein⸗
dringendem Verſtändniſſe geſchaut. Die geiſtlichen Herrſcher der Welt⸗
ſtadt und ihr Stadtadel ſahen in den ehrwürdigen Monumenten wenig
mehr als Steine, die ſich zu Bauten und Fortiſicationen brauchen lie⸗
ßen. Das gemeine Volk von Rom zeigte wenigſtens eine ſchwache
Ahnung von der Bedeutung dieſer Kaiferbauten, wenn ſeine Meinung
war, fie ſeien von böſen Geiſtern aufgeführt worden. Für Poggid
aber ſprachen dieſe zertrümmerten Tempel und Halten, Thermen und
Theater, Waſſerleitungen und Thore, Paläſte und Triumphbogen, ſte
kündeten ihm daſſelbe wie die Schriftſteller der alten Römer. Eifrig
ſammelte er in Rom ſelbſt und auf Ausflügen in die Umgegend, Gebüſch
und Schutt durchſtöbernd, Inſchriften, Marmorbüſten und was er ſonſt
von Alterthümern erreichen konnte. Die Inſchriften hat er in einem
kleinen Buche zuſammengeſtellt, ) welches verloren ſcheint und doch der
Wiſſenſchaft ungleich mehr nützen dürfte als die Sammlung Ciriaco's
des Anconitaners. Obwohl er, ſagt Poggio, ſeit ſeinen jungen Jahren
in Rom gelebt, komme hier doch Alles ſeiner Bewunderung täglich nen
vor und er erhole ſeinen Geiſt bei dem Anblick dieſer Bauten.) Ka⸗
men gelehrte Freunde nach Rom, ſo führte er ſie herum und wies
ihnen die ſtummen Zeugen der geſchwundenen Größe.“) Ein tiefes
Gefühl und eine reiche Gedankenwelt gingen ihm auf, wenn er auf
einem Marmorblocke der tarpejiſchen Burg zwiſchen zerbrochenen Säulen
) Lib. I. Historiae de varietate fortunae ed. Dom. Georgio. Acc. ejusd.
Poggii Epistolae LVII. Lutet. Paris., 1723. Ein Stück aus dem erſten Buche
ſteht als Urbis Romae Descriptio auch in feinen Opp. edit. eit. p. 131.
2) Hist. de variet. fort. p. 9. Vergl. . ud an a unter denen des
Ambros. Travers. XXV, 42. u
) Brief Poggio's an Bart. Fazis bei beffen Werk de vir. illustr. ed. Mehus
p. 96 und als Poggii epist. 74. im Bpicileg. Roman. T. x. j
) Ambr. Travers. epist. VIII, 42. e e
V. Poggio und das Bugiale. 275
ſaß und das Capitol anſchaute, das einſt von Virgilius beſungene, wie
es. jetzt von Diſteln und Dornen umwachſen war, und wenn er ſich
zurückrief, was einſt Gajus Marius auf den Trümmern von Karthago
empfunden. Das ungeheure Rom zu ſeinen Füßen erſchien ihm wie
der verweſende Leichnam eines Giganten, die Herrin der Welt als zu
elender Kuechtſchaft herabgewürdigt.)
Dieſes Gefühl, an ſich machtlos, hat doch ſeit jener Zeit der Zer⸗
ſtörung jener edlen Reſte Einhalt geboten. Man fing an ſich zu fra⸗
gen, wo einſt das alte Rom zu ſuchen ſein werde, wenn noch einige
Jahrhunderte lang die gemeine Freibeuterei ihren barbariſchen Eigen⸗
nug an jenen Marmortrümmern üben dürfe. Ein nachmaliger Papſt,
der alſo in die Lage kam, ſchonen und erhalten zu können, hat dieſem
Gefühl im Anblicke Roms Worte zu geben verſucht.)
Derſelbe Poggio war dann wieder die Seele der Geſellſchaft, wenn
im vertrauten Freundeskreiſe der kecke Witz, die ausſchweifende Frivo⸗
lität ihr Spiel trieben. In einem abgelegenen Theile der Curie ſelbſt
verſammelten ſich, lag die Arbeit des Tages hinter ihnen, die feinen
und witzigen Köpfe, um ſich für die trockenen Canceleigeſchäfte in den
freien Spielen des Genius zu entſchädigen. Dann wurde geſchwatzt
und gelacht, auch wohl getrunken, Späße und Tollheiten wurden er⸗
zählt, niemand geſchont, ja Seine Heiligkeit Papſt Martin V mußte
gewöhnlich als der erſte herhalten. Da waren Antonio Loschi, der
hier die Grammatik und den Cicero vergaß und nur ſeinen köſtlichen
Humor walten ließ, da war der Dichter Agapito Cenci be’ Ruſtici,
ein junger Mann voll Scherz und Lebensluſt, der ſpäter Biſchof wurde
und wohl noch den rothen Hut auf ſeinem Haupte getragen hätte,
wäre a II, fein Gönner, nicht allzu früh geſtorben.) Als
) Hist. de variet. fort. p. 5.
) In mehreren Codicts, z. B. im Cod. lat. 215. fol. 53 der münchener Hof⸗
bibl. fand ich folgende Diſtichen des Aeneas Sylv ius:
Oblectat me, Roma, tuas spectare ruinas,
Ex cujus lapsu gloria prisca patet.
Sed tuus hic populus muris defossa vetustis
Calcis in obsequium marmora dura coquit.
Impia ter centum si sic gens egerit annos,
Nullum hic indicium nobilitatis erit.
) Vergl. über ihn Campanus Vita Pii II ap. Muratori Seriptt. T. III.
P. II. p. 984. Pii II Comment. p. 100. 196. 329. Ughelli Italia sacra T. I.
p. 384. 610. Merkwürdig iſt, daß Vespaſiano in der kleinen ihm gewidmeten
18 *
276 v. Poggid und das Bugiale.
Held aber im Erzählen ſchnurriger Geſchichten ilrd neben Pbgzio ein
gewiſſer Razello von Bologna bezeichnet, ver uns übrigens unbekannt
iſt. um welche Dinge fich das Geſpräch bewegte, lernen wir aus den
„Facetien“ Pogglo's, der dieſe Anekdoten zu ſammeln und! in zierlichem
Latein wiederzugeben für würdig hielt. Sie handeln alfo von lieder⸗
lichen Cardinälen und zudringlichen Beichtvätern, von hörnertragenden
Ehemännern und Tüfternen Weibern, von dummen Pfaffen und geilen
Franciscanern, von klugen und albernen Aerzten, von Dante und
Filelfo, von Dirnen und unerfahrenen Mädchen, von dummen Bauern
und witzigen Spaßvögeln. Es find feine Ausfprüche und unſchuldige
Scherze darunter, aber es ſind der Mehrzahl nach Ehebruchſcandäle
und plumpe Obſcönitäten, eine bunte Sammlung von Geſchichten, wie
eben im Kreiſe lockerer Menſchen eine die andre hervorkuft, wie ſie
bald aus der Tradition und dem gemeinen Leben gegriffen, bald bei
heiterer Laune erfunden werden. Das war die Abendunterhaltung der
apoſtoliſchen Secretäre, aus deren Feder die feierlichen Bullen und die
ernften Breven hervorgingen. Bugiale, die Lügenfabrik, nannten fie
ihre luſtige Geſellſchaft, die im Lateran ihr Weſen trieb und die Kirche
wie die Welt in gleicher Weiſe zu Objecten des Humors machte. 9
Hätte Poggio in dieſem Treiben etwas Anſtößiges gefunden, ſo
hätte er es ſich leicht erſparen können, davon zu erzählen. Als Hu⸗
maniſt freute er ſich des Witzes und der leichten Genialität, ohne ſich
um Kirche und Moral zu kümmern, gleichwie er beim Niederſchreiben
der Facetien ſich freute, daß auch die Darſtellung ſolcher kleinen Leicht.
fertigfeiten der lateiniſchen Eloquenz möglich ſei.)
Das Beiſpiel Poggio's zeigt ferner, wie völlig ohnmächtig die
vormaligen Beherrſcher der öffentlichen Meinung, die Bettelmönche,
bereits gegen die modernen Literatoren waren. Gegen Lorenzo Valla
machte die Inquiſition noch einen Verſuch. Poggio blieb in Rom un⸗
angefochten. Wie leicht hätte ſich eine Reihe von ketzeriſchen Sätzen
aus ſeinen Schriften zuſammenſtellen laſſen, wie leicht wäre es geweſen,
ſeinen durch und durch heidniſchen Sinn aufzudecken! Die Mönche,
die er in faſt ie . a — wir kommen . eg ein⸗
1
Vita (Spicileg. Roman. T. J. 12 ihn gerade als einen zatlbigen und fropige
Menſchen ſchildert.
) Poggius in Seele Libri e (Opp- p. ll “ ſelbſt er⸗
klärt Bugiale durch mendsciorum veluti officina.
) ibid. Praefat. (Opp. p. 420).
V. Poggio und die Hierarchie. 277
mal zu ſprechen — mit galligem Humor verhöhnte, mußten ſich damit
begnügen, vereinzelt und privatim auf ihn zu ſchmähen, während Poggio,
der Meiſter in dieſer Kunſt, es ihnen wieder öffentlich und insgeſammt
vergalt, Schrieen ſie ihn als einen Feind des Glaubens und Ver⸗
folger der Gläubigen aus, ſo ſprach er mit der tiefſten Verachtung
von dem blinden täppiſchen Pöbel, der nur das Geſchrei beſchränkter
Mönche verſtehe, nicht aber die erhabene Weisheit des Alterthums.
Sich aber offen zur Partei dieſes „Pöbels« zu bekennen, hätte ſich jeder
honette Mann an der Curie, jeder Prälat geſchämt. So dürfen wir
uns auch nicht wundern, wenn Poggio ſelbſt mit Mönchen aller Art,
vom Camaldulenſergeneral Traverſari bis auf einfache Minoritenbrüder
herab, in freundſchaftlichſtem Verkehr blieb.
Es mag auffallend erſcheinen, daß Poggio als ein Diener der
Hierarchie ſo rückſichtslos gegen die treueſten Vorkämpfer der Hierarchie
zu Felde zog. Das war aber eben ſein perſönliches Vergnügen, er
fühlte ſich ihnen gegenüber nur als der gebildete Mann. Wie albern
würde es ſein, ihn nach einem vielbeliebten und vielmißbrauchten Aus⸗
drucke zu den „Reformatoren vor der Reformation“ zu rechnen! Was
kümmerte ihn die Kirche, die Religion? Das Amt, welches ihn nährte,
war ihm ein zufälliges Nebending und hatte mit ſeinem humaniſtiſchen
Berufe nichts gemein, als etwa daß er bier wie dort die Feder führte
und an kirchlichen Schriftſtücken wie an weltlichen ſeinen Stil übte.
So iſt denn Poggio, der erſte Humaniſt, der ſich zum dauernden Leben
an der Curie bequemte, ſogleich ein lebendiges Bild des Widerſpruches,
der zwiſchen dem claſſiſchen Alterthum und der Hierarchie unausgleich⸗
bar obwaltete und nur wegen der Gleichgültigkeit der Humaniſten gegen
Religion und Kirche auf der einen und wegen der geſunkenen Energie
der letzteren auf der andern Seite nicht zu feindlichem Ausbruche kam.
Wir gehen weiter und beobachten in der Vermehrung des humaniſti⸗
ſchen Perſonals, welches ſich in Rom zuſammenfand, das vorſchreitende
Eindringen des a in die Glieder und den Körper der Hie⸗
rarchie.
Durch Salutato's, des ſlorentivischen Staatscanzlers, und Poggio's
Vermittelung wurde der junge Lionardo Bruni nach Rom gerufen.
Am 24. März 1405 traf er ein und erhielt durch Papſt Innocenz VII
ein apoſtoliſches Seoretariat. ) Er . es dann unter Alerauder V
) Leon. Bruni epist. I, 1. 8. rea. Mehas, Selutati, bre. I, 2. ed.
Bigacci, |
278 V. Bruni und Loschl an der Curie. Martin V.
und Johannes XXIII verwaltet, weil er von Haufe arm war und
ein Unterfoningen ſuchen mußte. So lange letzterer Papſt in Rom war,
gab es für ſeine Beamten genug Gelegenheit, Pfründen und Geld zu
erwerben. Aber ſeine traurige Lage zu Coſtnitz wirkte auch auf die
Curialen zurück. Bruni wurde hier fein Amt, deſſen Arbeiten ihn
längſt gelangweilt, völlig verleidet, er zog ſich zu ſeinen florentiniſchen
Freunden zurück und war, als Papſt Martin V nach Florenz . nicht
zu vermögen, ihm wieder nach Rom zu folgen. 9 ö
Nicht ohne bleibende Bedeutung war der Eintritt des Antonie
Loschi in die Cancelei unter Gregor XII. Er blieb bis zu ſeinem
Tode, der erſt unter Nicolaus W zwiſchen 1447 und 1450 erfolgte,“)
zugleich feinem Secretariat und ſelner Mufe getreu. Seine Briefe im
heroiſchen Versmaß und ſeine Epigramme umfaſſen acht Bücher, am
bekannteſten iſt er durch feinen vielgebrauchten Commentar zu eilf cice⸗
roniſchen Reden geworden. Lo schi nun verfaßte ein neues Formel⸗
buch für die curialen Geſchäfte und ſuchte in dieſe die tullianiſche
Schreibart einzuführen, ) wie zur gleichen Zeit Salutato ſie wirklich
von der florentiniſchen Cancelei aus in die Diplomatie einführte. Zwer
hat Loschi's Unternehmen die Schwierigkeiten nicht überwinden önnen,
welche der juriſtiſche Charakter der Canceleiformeln mit ſich brachte,
aber unverkennbar it doch ein Aufſchwung der Latinität in denjenigen
Documenten, die ſeit jenen Zeiten von der Curie ausgingen und die
ihrer Natur nach an die alte Gerichtsform weniger gebunden waren.
Mit Martin V, dem zu Coſtnitz erhobenen Colonna, waren feine
Curialen inſofern zufrieden, als es unter ihm wieder reichliches Geld⸗
verdienen für ſie gab. Im Kirchenſtaat herrſchte endlich wieder Frieden
und Gehorſam, in Rom Sicherheit, in der Kirche nach den Wirren
des Schisma und den Stürmen des Concils Einheit und Obedienz.
Nachdem ſie einige Zeit vergeblich ſich geſträubt, ließ die abendländiſche
Chriſtenheit wieder ruhig ihre Säckel von den römiſchen Canceleien
) Mehus Vita Leon. Bruni por ſeiner Ausgabe der Briefe P. I. p. XLIV.
Ves pasiano: Lionardo d'Arezzo $1. Poggii Orat. in funere Leon. Arretini
bei Meh us l. c. p. CXX.
) v. Tiraboschi T. VI. p. 1333.
) Fae ius de vir. illustr. p. 3: Seripsit item exemple quaedam et veluti
formulas, quibus Romana Curia in scribendo uteretur, quae etiam ab eruditis-
simis viris in usum recepta sunt. -
v. Mertin V und der Humamismns. Die Seeretarie. 279
krandſchatzen und für die Canceliſten war es „ein goldenes Zeitalter.“)
Die Perſon des Papſtes war ihnen daher ziemlich gleichgültig. Man
erzählte ſich! von feinem Geize die wunderlichſten Geſchichten, wie er
jejner geiſtlichen Familie gewiſſe Lieferungen verkürzte, rohe Fiſche ſtatt
breiteter gab, um das Oel zu ſparen, wie er in den Kirchen heimlich
die Wachskerzen, die er für, unnütz hielt, ausblies, und Aehnliches.)
Aber, wie Poggio bemerkt, fein Geiz hat ja niemand, das heißt dem
Poggio nicht, geſchadet.) An Wiſſenſchaft und Kunſt ſcheint Mar⸗
tin, V wenig Geſchmack gefunden zu haben: feine Regierung war eine
kurze Zeit der Reſtauration, in welcher das Papſtthum ſeine zerſtreuten
Kräfte zu ſammeln ſuchte, um den Kriegesſtürmen Italiens und den
Concilienunruhen der ultramontanen Völker die Spitze bieten zu kön⸗
nen. Unter den Cardinälen waren nur zwei, die für Gönner des Hu⸗
manismus gelten konnten, Branda und Ceſarini; jener aber war faſt
immer in Legationen abweſend und dieſer war zu arm, als a ſich
von ihm große Geſchenke erwarten ließen. | |
Dennoch ſehen wir Schon unter dieſem Papſte, wie die beſcheidenen
Aendter der Cancelei, Secretariat und Notariat, ſeitdem die bekannten
Namen eines Poggio und Bruni fie ſchmückten, mit ſtolzeren Auſprüchen
auftreten. Sie wollten über ihre ſubalterne Stellung hinaus. Vorerſt
nahmen ſie gleich bei der Inthroniſation Martin's V, alſo noch zu
Coſtnitz, und dann bei Meſſen und Proceſſionen, den Vorrang vor den
Advocaten des Conſiſtoriums in Anſpruch, indem ſie der Perſon des
Papſtes bei folchen Aufzügen näher ſchreiten wollten, und es ſcheint,
daß ſie ihn erreichten. Poggio ergriff zur Ehre ſeines Standes die
Feder und legte ſeine Streitſchrift den Cardinälen vor. Der Gedanke
war ihm unerträglich, daß ein Mann wie er gegen die „Schreihälſe
des Forums“, gegen die „Zöllner, die nur um des Gewinnes willen
bellen, zurückſtehen ſollte.) Auch Bruni, obwohl er nicht mehr der
Curie angehörte, vertheivigte doch, von Poggio aufgefordert, heftig die
Ehre des Secretariats. Zählt doch dieſes Amt, ſchrieb er dem Papſte,
was ich ohne Anmaßung geſagt zu haben wünſche, einige der durch
Wiſſenſchaft und Beredtſamkeit ausgezeichnetſten Männer, deren ſich der
y) Poggius de variet. fort. Lib. III. p. 85.
2) Joh. Jo v. Pontanus de liberalitate 1. c. cap. 7.
9 Poggius 1. c. p. 86.
) Poggii epist. 3. inter Epistt. LVII.
280 | V. Die Seeretarie, Engen IV.,
römiſche Stuhl rühmen dürfte. 1) Mit Poggie and Bxuni) erhoben
auch Loschi, Biondo und Aurispa ihre Stimmen, Auf dem, Pagler
Concil wollten die Protonotare ſogar den eee
beriefen ſich dabei wiederum theils auf die Natur ihres, Amtes, wel
ches ſie der Perſon des Papſtes nahe ſtelle, theils auf die Seltenheit
des. Talentes, welches zu dieſem Amte berechtige.) „Sie drangen nicht
durch, ließen ſich aber auch durch die -präjupicielfe. Entſcheidung des
Concils nicht abſchrecken und erneuerten den Rangſtreit nuf dem Türken
congreß zu Mantua. Hier entſchiep ſich Pius II, der ſelbſt einſt ihrem
Stande angehört, im Ganzen zwar zu Gunſten der Biſchöfe, doch be⸗
hielten die vier ſogenannten numeraxiſchen Protouotare den Platz n
der unmittelbaren Nähe des Papſtes, zu dem ſie ſich als Verfaſſer und
Verleſer der apoſtoliſchen Bullen und Breven gedrängt hatten, doch
ſollten auch ſie ihn nur im öffentlichen Conſiſtorjum, nicht m der
Kirche und bei Feſtgängen einnehmen.) Seiner tieferen Natur nach
war dieſer Streit, bei welchem es ſich ſcheinbar nur um die Etigneite
handelte, ein Kampf der Humaniſten gegen bie: Dosteren. de Kanone.
ſchen Rechts und gegen die klerikale Würde. ee
Eugen IV, der Nachfolger Martin's auf dem Appſtelſuhle: ut
aus einem venetianiſchen. Kloſter an die. Curie und bewahrte ſich hr
manche Tugend des Mönches, zumal einen vorwurfsfrelen, mäßiges
Lebenswandel. Er hatte in ſeinen jüngeren Jahren Pſalmen geſunten
und Breviere geſchrieben und ungleich mehr für das Heil feiner Seele.
als für feine Bildung geſorgt. Der humaniſtiſche Lufthauch war in.
ſeine Zelle nicht gedrungen; ſelbſt von dem Verlangen nach min
Nachruhm, welches damals ſo viele Herzen in Wallung brachte, blieb
er völlig unberührt. Während ſeiner erſten Regierungsjahre hatte er
Mühe, ſich auf dem apoſtoliſchen Stuhl zu erhalten; ſein Kampf mit
den Colonneſen und die Kriege, in welche ſeine politiſche Unerfahren⸗
heit ihn geſtürzt und deren einer nun den andern erzeugte, vor Allem
aber, die Erſchütterung ſeiner Schlüſſelgewalt durch die galliegniſche
Doctrin und ihr Organ, das basler Concil, ließen ihn kaum auf⸗
athmen. Er wurde durch einen Volkstumult aus il verjagt, vom
) Leon. Bruni . V, 5.
) Aeneas Sylvius Comment. de eoncil. Basil. (in eure: ul « ca-
lumniis vindicatus) ed. Fea p. 68. 2
) Die Bulle v. 12. Juni 1459 im ı Bullar. e ed. Cherubini, Pii IL
const. IV, auch bei Bzovius Annal. eccl, 1459 9. 24. af. Pii II. Comment. 5. 64.
v. Engen IV. Humaniſtiſche Cardinäle. 281
basler Esnctl entſetzt und durch einen Gegenpapſt geängſtigt. Oft
king es ihm ſo dürftig, daß er feine Curie ohne die Unterſtützung der
zunvesgenöſſiſchen Florentiner nicht hätte halten können. Während er
nan die Wiedereroberung und Verwaltung des Kirchenſtaates in die
Hände von Bandenführern und von kriegeriſchen Cardmnälen legen mußte,
beſtand feine perſönliche Umgebung aus Mönchen. Die ſogenannte Re⸗
formation der Klöſter, der Obſervantismus, war die einzige Sache,
für welche er einen lebhaften Eifer zeigte. Wie Ameifen, um einen
Ausdruck Poggio's zu gebrauchen, umkrochen ſeinen Stuhl die Mino⸗
riten von der Obſervanz, ein betriebſames, ſcheinheiliges Geſchlecht.
Von ſblchen Menſchen ließ er ſich ſtundenlang vorſchwatzen, in ihrem
Kreiſe fühlte er ſich am friedlichſten und glücklichſten.“)
Dennoch konnte ſich dieſer Papſt der humaniſtiſchen Zeitſtrömung,
fü wenig fie ihn perſönlich erfaßte, nicht entziehen. Gerade feine diplo⸗
matiſchen und kirchlichen Kämpfe nöthigten ihn, gewandte Federn in
Dienft zu nehmen, weil feine Widerſacher dieſe Waffe gegen ihn führ⸗
ten. Auch durch Empfehlung einflußreicher Cardinäle wurde mancher
Humaniſt an die Curie gezogen. Denn ſchon finden wir im heiligen
Cellegnum die Neigung zu den alterthümlichen Studien over doch die
mücenatiſche Mode viel ſtärker im Gange als unter dem Vorgänger
Euzen's. Plero Barbo, der Neffe des Papftes und Cardinal von
Sam Marco, war wenigſtens inſofern ein Freund des Alterthums, als
er antike Münzen und Gemmen mit großem Eifer fammelte, geſchah
es gleich mehr aus Liebe zum Pretioſen.) Ein Freund geſchichtlicher
und antiquariſcher Studien und Beſitzer einer Bibliothek war auch
Prospero da Colonna; er wäre vielleicht ein berühmter Mäcen gewor⸗
den, hätten ihn nicht als Parteihaupt andre Intereſſen zu ſehr be⸗
ſchüftigt.) Giuliano de' Cefarini, der Abgott des basler Concils und
dann nicht minder angeſehen am Hofe Eugen's, war zwar nicht Schrift⸗
ſteller von Beruf, doch zeugen ſeine Reden und Briefe, daß wir ihn
geradezu den Humaniſten beizählen dürfen. Selbſt ein gelehrter Theo⸗
loge und! Rechtskenner wie Domenico da Capranica las auch den Se⸗
neca und zeigte wenigſtens den ernſteren unter den Literatoren ſich hold.
2) Pöggius Dial. c. hypocrisim l. e. Vespasiano: Eugenio IV. Papa.
9 Aeneas Sylvius Comment. in Anton. Panorm. II, 12. Card. Papiens ·
Comment. P. 371. Raphael Vokaterr. Lib. XXII. p. 817. b
= Biondus Italia illustr. p. 325. ö
282 V. Humaniſuſche Cardinale. * Das, Uniensconcil. 8 Trapani. 4. 7
Mehr als ſte alle war Niccolo d' Albergati,⸗der treueſte Auhänger des
Papſtes und ein Prälat von; wahrhaft heiligem Wandel, zugleich ein
freundlicher Patron der Gelehrten und Schöngeiſter: nicht nur der
nachmalige Papſt Nicolaus V, auch Eueg Silvio de' Piccolemint, der
nachmalige Papft „Pius II, ferner Poggio, Filelfo und Manekti er;
freuten ſich feiner Gunſt. Auch der Cardinal von Como, Ghexardo
de Landriani, ſtand mit Bruni, Filelfo und Valla⸗ in brieflichen Ver⸗
bindung. Beſſarion, der griechiſche Cardinal, hatte zwar feinen ter
rariſchen Hof noch nicht eröffnet, war aber bereits der Anwalt aller
gelehrteren Griechen, die ſich irgendwie an die römiſche Eurie wendeten.
Kurz, auch ohne Zuthun des Papſtes fand die humaniſtiſche Liebt
haberei in den höheren Kreiſen der römiſchen Kirche bereits Eingang.
Nicht wenig trugen dazu der Aufenthalt der Curie in Florenz und
das Unionsconcil bei. Während der Berührung mit den florentiniſchen
Gelehrtenkreiſen verpflanzte ſich ihr Geiſt auch auf die eurialen, und
während der Verhandlungen mit den Griechen konnte man natürlich
die Männer nicht entbehren, welche Griechiſch verſtanden gund ſprachen.
So wurde Aurispa, weil man. feiner als Dolmetſch bedurfte, zum
apoſtoliſchen Secretär ernannt und mehrfach zu Geſandtſchaften ver
wendet. Selbſt Carlo Marſuppini wurde mit demſelben Titel: ge⸗
ſchmückt, obwohl er ſeinen Widerwillen gegen alles Kirchliche und ins
beſondere gegen die Mönche nicht zu verhehlen pflegte und gerabehia
für einen Heiden galt. Aber ſein gelehrter Ruhm ſtand gerade damals
in poller Blüthe, Lorenzo de' Medici empfahl ihn dem Papſte; man
ſah viele Ausländer, ſelbſt Cardinäle und die Nepoten des Papfteg
vor ſeiner Katheder. Wenn Alles ihn ehrte, mußte auch der apoſtoliſche
Stuhl dem Zuge folgen. Uebrigens gab ſich der ſtolze Marſuppini
nicht dazu her, in der päpſtlichen. Cancelei zu arbeiten oder der Curie
zu folgen, nur an: einem. — ließ er I. ee Secretür de
fallen.)
Der natürliche 8 1 55 dem florentiniſchen Gelehrten
treiben und der Curie Eugen's war der Camaldulenſer, Anibr.o.gig
Traverſari. Der Papft, wie wir oben ſahen, war ihm hold weil
er auch die Obſervanten⸗ Reformation betrieb und weil er die basler
Väter verabſcheute. Ambrogio dagegen wirkte den Griechen, die ſchon
begannen, in größeren Schaaren nach Italien herüberzuwandern, Unter⸗
) Vespas ia no: Carlo d’Arezzo 82.
*
V. Humaniſten bei Eugen IV: Ermolao Barbaro, Decembrio, Tortello. 283
ſtätzungen vom Papfte aus, weil ſonſt dieſe Umhertreiber dem Verhun⸗
gern preisgegeben waren.) Auch empfahl er junge Literatoren wie
Libnardo Dati zur Aufnahme in den Dienſt der Curie. f)
Während des basler Concils, als zwiſchen den Parteien außer
den ernſten, ſchwerfälligen Streitſchriften auch die leichteren Libelle und
Invectiven herüber und hinüber flogen, und dann während der Griechen⸗
ver handlungen, als die Union mit der Kirche von Byzanz zur Ehren⸗
ſache des römiſchen Primates geworden war, ſehen wir Eugen IV bes
müht, gelehrte Männer und nicht nur Theologen und Juriſten an ſich
zu ziehen. So ſuchte er den jungen Ermolao Barbaro zu gewin⸗
nen, den Neffen des obengenannten Venetianers Francesco Barbaro,
einen Schüler Guarino's, der ſchon in ſeinem zwölften Jahre einige
Fabeln des Aeſopos ins Lateiniſche überſetzt und ſpäter zu Padua auch
ven juriſtiſchen Lorbeer erworben hatte. Daß er einer der erſten Fa⸗
milien Venedig's angehörte, empfahl ihn dem venetianiſchen Papfte noch
mehr. Er wurde zum apoſtoliſchen Protonotar ernannt und mit Pfründen
beſchenkt, frrebte aber nach einem höheren Ziele als nach dem eines Can⸗
teliſten. Das Bisthum Bergamo wurde ihm in Ausſicht geſtellt, dann
aber einem andern gegeben. Gereizt verließ Ermolao die Curie, wurde
aber ſchon 1443 von Eugen durch Ertheilung des Episcopats von
Treviſo beruhigt und hat ſpäter als Biſchof von Verona einen gefeier⸗
ten Namen in der Literatur erworben, obwohl ſeine un nur A
kleinſten Theile gedruckt worden find. °)
Gern hätte Eugen ſeinem bitterſten politiſchen Gegner, vem Her.
zoge Filippo Maria von Mailand, den Pier⸗Candido Decembrid
abwendig gemacht und aus der mailändiſchen Cancelei, in welcher er
Staatsſchriften ausarbeitete, in die apoſtoliſche hinübergelockt. Er hoffte
wohl auf Erfolg, weil Decembrio in Mailand mit dem begünſtigteren
Filelfo in Zwieſpalt lag, aber er hoffte vergebens; *) die römiſche Curie
hatte noch wenig Anziehendes für die Literaten, weil ſie nur ein ar⸗
beitsvolles Amt im Bureau, nicht aber mäcenatiſche Gunſt in Ausſicht
ſtellte. Dagegen wurde Giovanni Tortello der Aretmer ſchon unter
Eugen e Ana. bes NUN ar und . N die .
+ 3
) Ambros. Travers. epist. I, 19. HI, 29 et al.
) Ejusd. epist. II, 8.
) Tiraboschi T. VI. p. 1074 nach P. degli Agostini Scritt. Venen. 2
I. P. 229 e aeg. 8
9 Tiraboschill e. ee, ET en en En
984 V. Flavie Biondo.
liche Gunſt des Papſtes, wie wir aus ſeiner Stellung als Subdiaconus
der römiſchen Kirche und als Cubicularius des Papſtes wohl ſchließen
dürfen. Er war ein tüchtiger Grammatiker und Kenner des Griechi⸗
ſchen; wir werden bald ſehen, wie viel beſſer Nicolaus V feine Talente
zu nutzen verſtand.)
Zwei Männer ſind es, die Papſt Eugen in der That näher ſtan⸗
den und deren Protection öfters zum Beweiſe ſeines literariſchen Inter⸗
eſſe herangezogen worden iſt, Flavio Biondo aus Forli und der Dichter
Maffeo Vegio. Sehen wir indeß genauer zu, ſo war es bei beiden
etwas Anderes, was dem Papſte ihre Perſönlichkeiten 1 machte, nicht
ihre humaniſtiſchen Studien.
Biondo war unter Martin V päpſtlicher Secretär Bear
ein ernſter treuherziger Mann, ein ſtiller Gelehrter, der gründlichſte
und gewiſſenhafteſte ſeiner Zeit, aber nur entfernt betheiligt bei den
literariſchen Coterien, in welchen die Humaniſten einander zu berühmten
Männern gemacht haben. Er war kein Stiliſt und konnte nicht prun⸗
ken. Er hat auch den Hofton der Schmeichelei niemals gelernt, weil
er bei aller Gelehrſamkeit und Geſchäftstüchtigkeit eine einfältige Seele
blieb. Dem Papſte und der Eurie war er mit Dienſteifer ergeben.
Er hielt treu zu Eugen's Perſon, als dieſer aus Rom vertrieben und
in der empfindlichſten Noth war, als mit ſeinem Glücksſtern, Cardinäle
und Curialen jedes Ranges ihn ſchaarenweiſe verlaſſen hatten. Dem
Biondo wurde während des mailändiſchen Krieges die Geſandtſchaft an
die verbündete Republik von S. Marco anvertraut, wo er Geld für den
pöpſtlichen Condottiere auswirken ſollte; er war es, der nach der Wie⸗
dereinnahme Roms den Bund mit Francesco Sforza abſchloß. ) Auch
gegen die firchlichen Feinde vertheidigte er feinen Herrn mit dem war⸗
men Herzen, welches ſich ihm in den Zeiten gemeinſamer Noth zuge⸗
wendet. Wenige Schriftſteller haben Eugen IV ein Buch gewidmet
und wenn es geſchah, war es eine Vertheidigung der apoſtoliſchen
Autorität oder eine Streitſchrift gegen das Concil, kurz was auf augen⸗
blicklichen Lohn rechnen konnte. Biondo eignete ihm feine Roma
'instaurata zu, eine Vergleichung des alten Rom mit dem neuen, und
das war zu eben der dei als u m des N der Papſt
— a
) Blondus Italia en p. 309. Raphael Volaterr. Lib. XXL
I.
) Blondus Historiarum ab inclinatione m Dec. III. Lib. v (Opp.
Basil., 1559. p. 479. 491). „ u
. Maffeo Brgio. 285
wieder in Rom eingezogen war und mit Vorliebe für den Ausbau der
während der Revolution beſchädigten und verfallenen Kirchen und Klö⸗
ſter ſorgte, als mithin die Sonne des Glückes beiden wieder lächelte.
Denn auch dem Secretär war es ärmlich gegangen, während der Papſt
ſelber darbte. Zwar konnte er nun auch in den beſſeren Zeiten aus
feiner Canceleiſtelle nicht herausrücken, weil Weib und Kinder ihn an
den weltlichen Stand feſſelten, aber der treue Unglücksgenofſe blieb doch
einer der angeſehenſten Männer an der Curie, fo lange Fa Eugen
ne
Maffeo Vegio, der zu Lodi e war und in Mailand ſtu⸗
it hatte, ſchrieb einen flüſſigen eleganten Stil und weil er mit gro⸗
ßer Leichtigkeit auch Verſe machte, hielt er fich für einen Dichter, der
würdig ſei, Virgil's Aeneide fortzuſetzen.) Er wurde durch Eugen IV,
wir ſehen nicht, auf welche Veranlaſſung, zur Stelle eines Abbreviators
berufen. Seitdem verließ ſeine Muſe, wie ſein Freund Enea Silvio
ſich ausdrückt,) den aganippiſchen Quell und wanderte in die Paläſte.
Nur noch anbei betrieb er die freie Kunſt, er ſchrieb nun Heiligenleben
wie das des h. Auguſtinns, deſſen Confeſſionen ihn entzückten und zu
Thränen rührten '), und feiner Mutter Monica, des Niccolo da Tolentino
und vor Allen des Bernardino von Siena, der als Herſteller und
eigentlicher Begründer der Franciscaner⸗ Obſervanz bei Eugen IV in
großer Guiift geſtanden hatte. Er ſchrieb ferner über die Alterthümer
der Peterskirche, au der ihm ein Canonicat zu Theil geworden, und
andre asketiſche oder moraliſche Bücher.“) Der ehemalige freie Dich⸗
ter widmete ſich der Kirche, warf endlich die Welt ganz von ſich und
trat in den Orden der Auguftiner von der Obſervanz. In der Kirche
) Sein 13. Buch derſelben hatte damals nicht geringen Nuhm, es findet ſich
3. B. bei der von Sebaſt. Brant zu Straßburg 1502 beſorgten Ausgabe der Aeneide
mit dem Commentar des Chriſtoforo Landino. 8 N
2) Brief an Giov. Campiſio v. 25. Juni 1444, 5
) Vergl. ſein Buch de educatione Lib. I. cap. 1, gedruckt als Anhang zu Vi-
truvius Boscius de docendi studendlique modo. Basil., 1541. In einem
Drucke Tubingae, 1513 wird das Buch fälſchlich dem Franc Sifelfo zugeſchrieben.
) Vespasian’: Maffeo Vegio. Acta Sanctor. (Bolland.) Maji T. IV. Venet.,
1740. p. 720. Daß er, wie Raphael Volaterr. Lib. XXI berichtet, ſchon unter
Martin V päpſtlicher Datarius geweſen, wird von Tiraboschi (T. VI. p. 1337).
widerlegt. Daß er dieſe Stelle aber unter Eugen IV bekleidete, geht aus dem Briefe
Campiſio's an Enea Silvio v. 7. Febr. 1444 hervor. — Ces. vign ati Elogio
di Maffeo Vegio da Lodi. Lodi, 1855. kenne ich nur dem Titel nach. l
7
296 V. Georgios Trapezuntios an der Hochſchule zu Rom.
des h. Auguſtinus und zwar in der Capelle der h. Monica, deren Neſte
er aus Oſtia hatte herüberſchaffen und deren Grabmal er aus beſon⸗
derer Vorliebe prächtig hatte , laſſen, iſt er N auch bei⸗
geſetzt worden. ie
Was Papſt Eugen dem Bionde wie ei Vegio . machte, |
waren alſo bei jenem nicht die antiquariſchen Studien und bei dieſem
nicht die Verſe. Wie ſehr der Papſt ohne Sinn dafür war, zeigt am
deutlichſten die Vernachläſſigung der römiſchen Hochſchule. Nur ein ein⸗
ziges Beiſpiel findet ſich, daß er einen Gelehrten der modernen Rich⸗
tung an dieſelbe gerufen. Es war Georgios Trapezuntios der
Kretenſer, der aber, um mit ſeiner Familie nicht Hunger zu leiden,
ſeinen Ketzerglauben behend abſchwor, und um ſich die Wege der nahr⸗
haften Gunſt zu öffnen, während des Uniousconcils das Werk des h.
Baſilios über die Gottheit des Sohnes und das Ausgehen des heiligen
Geiſtes überſetzte, auch einen eigenen Tractat gegen die Glaubensirrthüä⸗
mer ſeines Volkes ſchrieb, wie vor ihm Chryſoloras, mit ihm zugleich
Beſſarion und nach ihm Argyropulos. Er war der Erſte, der in Rom
öffentlich die moderne Rhetorik, das heißt die Eloquenz lehrte, in der
Philoſophie aber ſich beſonders durch ſeine galligen Ausfälle getzen
Platon einen Namen machte. Männer aus den vornehmſten Ständen
und auch Franzoſen, Spanier und Deutſche verſammelten ſich in ſeinem
Gymnaſium, deſſen Eröffnung in der That für die römiſche Univerſität
Epoche gemacht hat. Indeß dem Papſte ſelbſt gebührt dafür nicht der
Dank; es war der Venetianer Francesco Barbaro, der ſich für die
Anſtellung des Ariſtotelikers verwendete und zu dieſem Zwecke — be⸗
zeichnend genug — hinter den allmächtigen Scarampo, den Cardinal⸗
Patriarchen von Aquileja ſteckte, einen Mann, der ſonſt nur die Be⸗
redtſamkeit des Goldes und der Waffen zu ſchätzen wußte.)
Für die Humaniſten war es ein ziemlich gleichgültiges Exeigniß,
als man erfuhr, Papſt Eugen IV habe am 23. Februar 1447, von
ſeinen Obſervanten⸗Brüdern auf dem letzten Wege getröſtet, das Zeit⸗
liche geſegnet. Aber wie ein elektriſcher Schlag traf jene Kreiſe die
Botſchaft, am 6. März ſei aus dem Conclave zu S. Maria ſopra
Minerva der Cardinal von Bologna als Papſt ausgerufen. Den Mei⸗
ſten war er bekannt, Viele hatten ihn ſchon Freund genannt, als er
noch ein armer Magiſter war, Alle hatten jetzt das ſichere Vorgefühl,
) Blon dus Italia illustr. p. 847. Pirabosch i T. VL p. 528.
V. Nicolaas v. | 287
mit einem Herrſcher, der ihnen einſt angehört, müſſe die Literatur in
ein goldenes Zeitalter treten. N
Wir haben des jungen Tommaſo Parentucelli, der jetzt als Ni⸗
colaus V auf dem apoſtoliſchen Stuhle ſaß, ſchon unter den floren⸗
tiniſchen Bücherfreunden gedacht, müſſen uns aber hier den Lauf ſeines
bisherigen Lebens und ſeiner Bildung noch einmal vorführen. Seine
Aeltern waren arm und unbedeutend geweſen. Er wurde, wie ver⸗
ſichert wird, eigentlich zu Piſa geboren; da aber die Familie längere
Zeit in dem liguriſchen Sarſana, dem Geburtsorte ſeiner Mutter, ge⸗
lebt hatte, pflegte man ihn, ohne auf ſeine wahre Geburtsſtadt und
feinen Vatersnamen ſonderlich zu achten, ſchlechthin Tommaſo von
Sarſana zu nennen. Auf der Hochſchule zu Bologna, wo er, noch fehr
jung, die Theologie ſtudirte, konnte er ſich nicht erhalten. Um weitere
Mittel zu erwerben, ging er nach Florenz und unterrichtete hier zwei Jahre
lang, das eine im Hauſe Rinaldo's degli Albizzi, das andre bei Palla
de Strozzi, die Kinder. Der Aufenthalt in dieſen Adelshäuſern iſt
auf ſein ganzes Leben und Denken von unberechenbarem Einfluß ge⸗
weſen. Er ging nach Bologna zurück und erwarb den Magiſtergrad
in der Theologie, dann trat er in den Dienſt Niccolo d' Albergati's,
des Biſchofs der Stadt, der bald darauf durch Papſt Martin zum
Cardinal von S. Croce ernannt wurde. Das tft das zweite Haupt⸗
moment in ſeinem Lebensgange. Zwanzig Jahre lang, bis zum Tode
dieſes Prälaten war er ſein ſteter Begleiter, ſein zuverläſſigſter Diener,
der Gubernator ſeines Hauſes und ſeiner geiſtlichen Familie. Man
darf Albergati, den die Kirche ſelig geſprochen hat, in der That ein
Mufter der geiſtlichen und moͤnchiſchen Tugenden nennen, auf welches
feine Carthäuſer⸗Brüder ſtolz fein mochten. Derſelbe Mann aber, der
ein härenes Hemde trug und auf Reisholz ſchlief, war zugleich, was
pſychologiſch nicht leicht zu erklären ſein möchte, ein Gönner der Schön⸗
geiſter und ſtand mit manchem der modernen Heiden, ſelbſt mit Poggio
und Filelfo, in ſteter Verbindung. Parentucelli fand ſich zwiſchen die
ſen Extremen gleichſam in der Mitte. Es kann für den frommen
Wandel des Cardinals kein ſchöneres Zeugniß aufgeſtellt werden, als
daß ein jo ehrenfeſter und aller Heuchelei ſo fremder Mann wie Pa⸗
rentucelli ſein langjähriges und unerſchüttertes Vertrauen genoß. Für
dieſen dagegen ſpricht beredter als jeder Panegyrikus, wie er ſich ſo be⸗
ſcheiden dem Dienſte des Cardinals ganz widmete, den alternden und
von Steinſchmerzen gepeinigten bis an ſeinen Tod gleich einem Sohne
288 v. Nicolaus v.
pflegte und in frommer Dankbarkeit, als ihn die Wahl auf den Thron
der Kirche berief, ſeinen Namen gegen den des 1 Wohlthä⸗
ters vertauſchte.
Wenn der Cardinal, deſſen eigene Bildung ganz eine mönchiſche
war, ſich dennoch den Humaniſten hold zeigte, ſo war Parentucelli die
Pforte zu ſeiner Gunſt und die Hand, durch welche Albergati ſeine
Liberalität bezeugte. Dadurch zuerſt wurde er den Literaten eine be⸗
achtenswerthe Perſon. Schon im Jahre 1427 nannte Filelfo, der in
ſolchen Dingen einen wunderbaren Inſtinct hatte, den jungen Tom⸗
maſo von Sarſano ſeinen Freund, er wußte recht wohl, daß der Car⸗
dinal es gern hörte, wenn ſein Secretär und Hausmeijter gelobt
wurde.)
Albergati lebte mit ſeiner Familie gleichfalls in Florenz, als Papſt
Eugen aus dem rebelliſchen Rom hieher geflüchtet war (1434). So
traf Parentucelli wiederum mit den florentiniſchen Gelehrten und Gön⸗
nern zuſammen und das hohe Anſehen ſeines Herrn verſchaffte ihm
leicht Eingang in ihre Kreiſe. In der Nähe des Palaſtes bei S. Maria
Novella, wo der Papſt wohnte, pflegten ſich des Morgens und dann
wieder des Abends die Schöngeiſter der Curie, vor allen Poggio, und
die von Florenz zu freundſchaftlichen und literariſchen Beſprechungen
zu verſammeln. Da waren Bruni und Marſuppini, Traverſari, Ma⸗
netti, Aurispa und andre. In ihrer Geſellſchaft war Parentucelli
wohlgelitten und nicht der letzte, wenn eifrig disputirt wurde.) Neun
Jahre lang, kürzere Reſidenzen in Bologna und Ferrara mitgerechnet,
war die Curie in Florenz, ihre Beamten wurden hier ganz heimiſch.
Das war die Zeit, in welcher auch unſer Tommaſo mit den genannten
Gelehrten, ferner mit den Medici und mit Niccoli innig vertraut und
zum Theil befreundet wurde. Damals ſog er alle die Neigungen ein,
welche die florentiniſche Gruppe belebten. Auch an der Curie wurde
man auf ihn aufmerkſam. Er war bei dem Unionsconcil thätig und
übte ſeine dialektiſche Theologie gegen die griechiſchen Ketzereien. Bis
dahin hatte er kein einziges Beneficium gehabt, nun ernannte ihn Papſt
Eugen zum apoſtoliſchen Subdiaconus mit 300 Ducaten jährlicher Ein⸗
) Filelfo's Briefe an Tommaſo v. 19. und 31. Decemb. 1427, v. 1. Octob.
1432 und v. 20. März 1433. Im zweiten dieſer Briefe ſagt er zu Tommaſo: qui
speculum es imagoque et probitatis et gravitatis, im letzteren nennt er ihn vor
dem Cardinal einen vir perhumanus et eruditus.
) Vespasiano: Nicola V Papa 35.
v. Nicolaus v. 289
künfte, außerdem erhielt er einen Archidiaconat, mit welchem keine
Seelſorge verbunden war.!) Als fein Herr der quälenden Krankheit
erlegen war (9. Mai 1443), mochte Parentucelli in keines andern Dienſt
treten. In Folge der Legationen nach Deutſchland, die ihm der Papſt
übertrug und deren Erfolg die Sprengung des gefährlichen Kurfürſten⸗
bundes war, ernannte ihn Eugen zum Biſchof von Bologna und bald
darauf zum Cardinal. Immer noch gehörte er zu den Armen; denn
aus Bologna, welches damals der Kirche nicht gehorſamte, bezog er
keinen Heller. Um dem entſchiedenſten Mangel abzuhelfen, mußte ihn
der Papſt zu ſeinem Vice⸗Kämmerer wählen.“)
Gerade in dieſer Dürftigkeit, die ihn bis auf den apoſtoliſchen
Stuhl geleitete, haben wir den Grund dafür zu ſuchen, daß er auf
demſelben ein ſo überaus leutſeliger und freigebiger Mäcen wurde. In
Florenz war ihm nichts ſo erhaben erſchienen als der Glanz, in den
Wiſſenſchaft und Kunſt ſich hier kleideten, nichts erſchien ihm ſo klein
und unwürdig, als wenn Literatoren und Künſtler darben ſollten. Für
Bauten und Bücher, pflegte er ſchon damals zu ſagen, möchte er all
ſein Geld ausgeben. Einen Mäcen, der ehrenvoll und freundlich zu
unterſtützen wußte, fand er in Coſimo de' Medici, und nach dieſem
Ideal gingen nun ſeine liebſten Gedanken und Träume.
»Nur im Temperament waren die „Beiden völlig verſchieden. Co⸗
ſimo hatte die Geduld, ruhig den Schößling zu pflanzen, deſſen Blü⸗
then und Früchte er vielleicht nicht mehr erlebte. Das war die Sache
unſers Papſtes nicht. Er wollte Alles ſchnell gedeihen und reifen ſehen.
Das kleine, ſchmächtige Männchen mit der ſcharfen Naſe und den blitzen⸗
den kleinen Augen wurde ganz Leben und Leidenſchaft, wenn eines ſei⸗
ner Lieblingsthemata zur Sprache kam, wenn einer ſeiner Diener ihn
nicht auf den erſten Wink verſtand oder wenn er im Disputiren auf
Widerſpruch ſtieß. Denn Recht mußte er immer haben und eigenſinnig
war er auch. Darum mochte er in feiner Dienerſchaft lieber Fran⸗
zoſen oder Deutſche als Italiener; jene hielt er für gefügiger. Wer
nicht ruhig ſein konnte, wenn er aufbrauſte, paßte nicht für ihn. Die
Römer wollten dieſe Wallungen mit der Wirkung des Weines zuſam⸗
) ibid. 5 6. 10. Der Archidiaconat war nach dem Drucke der Biographie bei
Murat ori Seriptt. T. XXV. p. 275 in en mens ‚Rom. Iieſt, ee
fälſchlich: in Francia. 8 „
) Vespasiano I. c. 8 11. 12. |
Voigt, Humanismus. 19
290 V. Nicolaus V.
menbringen, den er allerdings ſeit ſeinem Pontificat wohl über das
Maß hinaus liebte. Er war nicht er ſelbſt, wenn nicht Lebensluſt
und Rührigkeit ihm in allen Adern zuckte. Ein haſtiges und eifriges
Schwatzen war das deutliche Zeichen, daß er ſich frei und wohl fühlte,
aber er ſprach fo gutmüthig und auch als Cardinal und Papſt fo her⸗
ablaſſend, daß niemand ihm gram ſein konnte. Noch als Biſchof war
er ſo ſehr ein Feind alles beengenden Ceremoniells, daß wer zu ihm
kam, weß Ranges er auch ſein mochte, ſich ſogleich neben ihn ſetzen
mußte; er machte ſeinen Gaſt gleichſam feſt, um recht plandern zu
können, und um ihn ſo lange als möglich zu genießen, begleitete er ihn
beim Abſchiede wohl gar bis zur Hausthüre. Verſtellung und Heuchelei
waren fremde Stoffe in feiner Seele“), er gab ſich immer von Herzen
und ſah auch Andern, wenn fie nur offen waren, manches Bedenkliche
nach; dagegen hatte er gegen Jeden, der ihm verſteckt und lauernd
vorkam, auch ein ebenſo unüberwindliches Mißtrauen, ſolche Menſchen
brachten ihn aus ſeiner Laune. Man hatte immer ſchon an ihm die
Neigung bemerkt, ſchnell und mit Herzlichkeit zu geben, wenn er um
etwas angegangen wurde. Er konnte in ſolchem Falle nicht überlegen
und abwägen: die Freude des Beſchenkten war auch die ſeine. Er
ſtand ſchon im Rufe der Freigebigkeit, bevor er noch hatte, womit er
dieſen Ruf bewähren konnte.
Um uns von den geiſtigen Anlagen und von der wiſſenſchaftlichen
Bildung Parentucelli's eine Vorſtellung zu bilden, müſſen wir zunächſt
von allen den Lobpreiſungen abſehen, die über ihn als Papſt ausge⸗
ſchüttet ſind. Darnach nämlich kannte ſein Genie und ſeine Gelehr⸗
ſamkeit keine Grenzen. Er galt in ſeinen jüngeren Jahren für einen
wohlgeſchulten Theologen. Schnell und haſtig wie ſein Temperament
war auch ſeine Auffaſſungsgabe: Bücher durchjagte er wie im Sturme
und behielt Vieles, was ihm zumal beim Disputiren und beim Schwatzen
ſehr zu Statten kam; denn er war eine jener lebhaften Naturen, denen
das, was ſie lernend aufnehmen, nicht mit dem Eigenen ſich verbindet,
die es nach ſchnellem Umlauf in irgend einer Weiſe wieder zu Tage
fördern müſſen. Wenn er ſprach, wie auf dem florentiner Concil oder
auf ſeinen Legationen, mochte man ſich über die Fülle ſeiner Kenntniſſe
) Vespasiano $8 hebt das beſondert hervor: Era uno uomo aperto, largo,
sanza sapere fingere o simulare, e nemico di tutti quegli che simulavano o fin-
gevano. ö
V. Nicolaus V. 291
wundern; was er wußte, hatte er auch ſtets gegenwärtig, aber was er
vorbrachte, war auch nur für das Bedürfniß des Augenblicks genügend.
Daher kommt es, daß er ſeine theologiſchen Expoſitionen und Reden
des Aufſchreibens ſelber nicht werth hielt, in ſchriftlichen Tractaten
hätten ihn hundert Andre übertroffen. Er war überhaupt durchaus
nur ein receptiver Kopf, der leicht an einer literariſchen Leiſtung große
Freude hatte, ſelbſt aber nicht das Geringſte hervorbringen konnte. Ein
einziger Brief von ihm liegt uns vor und merkwürdig iſt, daß uns
gerade dieſer Brief darüber aufklärt, warum er der einzige oder doch
einer unter wenigen iſt. Er iſt an Niccoli gerichtet.) Tommaſo entſchul⸗
digt ſich darin, daß er oft die Höflichkeit verletze und auf Briefe, die
er empfangen, nicht antworte. Scherzend bekennt er ſich zu der Schaar
derer, die gern für gebildet gehalten werden möchten, aber im Bewußt⸗
ſein ihrer Unfähigkeit ſich ihren guten Ruf lieber durch Schweigen be⸗
wahren, als durch keckes Hervortreten verderben. Man ſieht, daß er
ſeiner Feder mißtraute, und wie weit er in der That von der Leichtig—
keit des Ausdruckes und der gefälligen Eloquenz entfernt war, die ſonſt
im florentiniſchen Kreiſe herrſchte, dafür genügt dieſer eine Brief als
Beweis. Darin war er Niccoli ähnlich: welche Anforderungen man
an eine humaniſtiſche Leiſtung zu ſtellen habe, wußte auch er zu gut,
um ſich über fein eigenes Talent zu täuſchen. Nur ſuchte Niccoli vie-
ſen Mangel ſorgfältig zu verhüllen, während Parentucelli auch hier
ehrlich hervortrat. |
Es ift nicht zu leugnen: das Beſte war bei Parentucelli, wie auch
bei ſeinen Freunden Traverſari und Niccoli, der Geiſt des Sammelns,
des Ordnens und Redigirens. Schon als junger Mann gab er ſein
weniges Geld am liebſten für Bücher aus. Um Bücher zu kaufen,
andre abſchreiben und mit Miniaturen auszieren zu laſſen, borgte er
oft mehr, als er bezahlen konnte. So ſah man in der Bibliothek des
armen Magiſters unter Andrem die Werke des Auguſtinus in zwölf
ſchönen Bänden.) Von jeder Legation, die er mit feinem Cardinal
unternahm, zumal aus Frankreich brachte er ſtets einige Werke heim,
die man in der italieniſchen Gelehrtenrepublik noch nicht gekannt hatte,
jo die Predigten Leo's. des Großen, die Poſtille des Thomas von Aquino
über das Matthäus: Evangelium, einzelne Werke von Irenäus und
) Er findet ſich unter den Briefen des Ambros. Travers. XXV, 3.
) Ambros. Travers. epist. XIII, 18. Ves pasi ano 8 7.
19*
292 V. Der Pontiftcat Nicolaus’ V.
Theophilus. Auch jener Brief zeigt ihn uns, wie er in den Kloſter⸗
bibliotheken nach den Werken der kirchlichen Väter ſtöbert und in allerlei
Verbindungen tritt, um Abſchriften nehmen und Collationen veranſtalten
zu können. Er ſchrieb ſelbſt eine ſchöne Hand und verſah die Codices,
die ihm zugehörten, mit Randgloſſen und Capitelüberſchriften. Da ſieht
man, daß es Männer wie Niccoli und Traverſari waren, deren Bei⸗
ſpiel ihn am meiſten angeregt, und was ſie für Florenz geweſen, war
er in erhöhtem Grade für den apoſtoliſchen Thron.
Nicolaus V trat zu einer Zeit in den Pontificat, die für feine
Neigungen und Beſtrebungen nicht günſtiger hätte ſein können. Die
basler Stürme hatten ausgetobt und der römiſche Stuhl ſtand wieder
feſt. Der ſavoyiſche Gegenpapſt, des Sorgens und Treibens müde,
von den Weltmächten getäuſcht und verlaſſen, legte ſeine Tiare dem
römiſchen Oberhaupte zu Füßen, das Concil löſte ſich ſelber auf, die
Reformſchreier waren ermattet. Wenn hin und wieder noch die fran⸗
zöſiſche Krone es aus politiſchen Gründen gerathen fand, die römiſchen
Curialen mit dem Geſpenſt eines neuen Concils zu ängſtigen, wenn in
Deutſchland die Prälaten und Kurfürſten ein wenig conſpirirten, ſo
genügte zur Abwehr dieſer Drohungen die traditionelle Politik der
Curie. Dort waren die Angriffe nicht ernſtlich gemeint, hier lähmte
das Concordat und die Partei des päpſtlich geſinnten Kaiſers jede ver⸗
einigte Anſtrengung. Auf den halbhundertjährigen Kampf, auf all das
Rufen und Drängen nach Reform der Kirche in Haupt und Gliedern
folgte die Ermattung, die Reaction. Sie war ſo entſchieden und un⸗
widerſtehlich, daß ſie ſelbſt den Papſt, der den Thron mit wohlgemein⸗
ten Reformgedanken beſtieg, mit ſich fortriß.)
Wenn die Anſtrengungen der Ideologen geſcheitert ſind, erſcheint
als natürliches Widerſpiel, welches alle großen Weltbewegungen auf⸗
weiſen, ein haſtiges und frivoles Streben nach Beſitz und Genuß. So
eifrig, wie man über die Mißbräuche der Curie geſchrieen, eilte man
jetzt wieder zu ihr, um nach alter Weiſe eben auf den mißbräuchlichen
Wegen nach Episcopaten und Dignitäten, Pfründen und Pfarren, Pri⸗
vilegien und Indulgenzen zu ſchnappen. Für die Cardinal⸗Protectoren,
) Um manche Anſchauung und manches Urtheil, die auf den erſten Blick als
vorſchnell hingeworfen erſcheinen möchten, eines Näheren zu begründen, beruft ſich
der Verfaſſer auf feine Biographie des Enea Silvio de' Piccolomini. Ueber Papſt
Nicolaus insbeſondre vergl. Bd. J. S. 83. 84. 402—408.
V. Der Bontificat Nicolaus’ V. 293
die Sachwalter, für das Heer der Cancelei⸗ und Kammerbeamten, für
den päpſtlichen Schatz ſelbſt kam nach langer Ebbe wieder eine Zeit
der Fluth. Statt den Sieg des Antichriſt und den Untergang der
Kirche zu weiſſagen, ergab man ſich darin, ihr Schickſal einem Höheren
zu überlaſſen und ſie zu nehmen, wie ſie eben war.
Die Kriege Italiens währten freilich fort. Der Papſt aber hielt
ſich ihnen fremde, er ſah mit Behagen zu, wie die Mächte durch ihre
eigenen Söldnerheere erſchöpft wurden und ſich aufrieben, ohne zu irgend
einem Zwecke zu gelangen. Ja er ſchürte und nährte den Zwiſt heim⸗
lich unter der Maske eines Schiedsrichters, nur um ſeinem Kirchen⸗
ſtaate die Segnungen des Friedens zu bewahren. So ehrlich und offen
er als Privatmann war, trieb er dieſes politiſche Spiel doch mit einer
Feinheit, die Jahre hindurch ſelbſt den klügſten Politikern, Coſimo de
Medici und Francesco Sforza ſo wie den Rathsherren von S. Marco
entging. Die Umſtände kamen ihm eutgegen und er ſelbſt beutete die
Umſtände klüglich aus, um ſeinem Pontificat eine friedliche Muße zu
ſchaffen, wie ſie ſeinen Lieblingsneigungen entſprach. Das war die
Muße, in deren Genuß ihn ſelbſt der Sturz von Konſtantinopel nicht
ſtörte.
Das Jubeljahr der Stadt Rom von 1450, welches Papſt Nico⸗
laus mit ſorgfältiger Vorbereitung feierte, war wie ein Triumph des
Papſtthums. War es auch nicht gerade immer der fromme Glaube,
was fo viele Tauſende von nah und fern zu den Schwellen der Apo⸗
ſtel trieb, ſo erſchien Rom doch wieder als der Mittelpunct der Welt
und man verehrte die Majeſtät ſeines geiſtlichen Beherrſchers. Frei⸗
willig und ohne Murren kam die Geldſpende aus allen Ländern und
füllte die apoſtoliſche Kammer, die ſich noch nie in ſo blühendem Zu⸗
ſtande befunden. In der überraſchenden Höhe der Einnahmen ſtimmen
alle Berichte überein, allein bei der mediceiſchen Bank wurde damals
eine Summe von 100,000 Goldgulden deponirt.) f
Der Papſt, mit dem Vorbilde des Medici in ſeinem Herzen, ſah
ſich nun auch im Beſitze von Reichthümern wie ein Medici. Aber was
in den Schooß der Kirche gefloſſen, ging durch ſeine Hand für künſtleriſche
und wiſſenſchaftliche Unternehmungen wieder heraus. Luxus und Prunk
ſtellten ſich an der Curie nach dem pfychologiſchen Geſetz ein, welchem
gemäß man nach überſtandenen Gefahren des Lebens doppelt genießt.
) Ves pas ia no l. o. 5 19.
294 V. Nicolaus V. Seine Ruhmliebe.
Aber ſie waren auch die perſönliche Neigung gerade dieſes Papſtes.
Lange hatte er ärmlich und beſcheiden gelebt; in kürzeſter Friſt, inner⸗
halb zweier Jahre, wurde er Biſchof, Cardinal und Papſt. Es riß
ſeinen lebhaften Geiſt fort, daß er ſich ſo plötzlich die Mittel zu einem
großartigen Daſein zu Füßen gelegt ſah. Das ernſte Heiligenbild Al⸗
bergati's erblich in ihm, er wollte nun der Coſimo Rom's werden und
Rom zu einem zweiten, erhabeneren Florenz emporheben. Was er der
Kirche ſchuldig ſei und wie weit ein Papſt ſich feinen perſönlichen Nei⸗
gungen hingeben dürfe, unterſchied er in ſeinem raſchen Weſen nicht ſo
genau, ja überlegte er wohl niemals. Er fühlte nur, daß ſein Ideal
kein unedles ſei und gab ſich ihm mit vollem Genuſſe hin.
Wenn jedermann diejenigen Fürſten doppelt pries, die Auguſtus
und Mäcenas in einer Perſon waren, die für ihre achilleiſchen Thaten
auch den Homeros zu finden wußten, der fie dem unſterblichen Nach⸗
ruhm überlieferte, warum ſollte nicht auch er, in deſſen Hand die
Schlüſſel des Himmelreiches gelegt waren, neben die Unſterblichkeit im
Jenſeits die dieſſeitige Ewigkeit im Tempel des Ruhmes ſtellen? Hier
liegt der mächtigſte Hebel, der ein Zeitalter in ſein Grab geſtürzt und
ein andres emporgerichtet hat: über die Sorge für das ewige Heil der
Seele trug es der Cultus des unſterblichen Namens davon, den Pe⸗
trarca in die neue Welt gepflanzt. Dieſe Idee, die lockendſte und
ſchönſte des claſſiſchen Heidenthums, welche die Tugendhelden des Alter⸗
thums durchglüht, ſie trat mit dem Alterthum wieder in die Gemüther
ein und drängte die chriſtlichen Anſchauungen faſt unvermerkt und ohne
mit ihnen in Kampf zu treten, in den Hintergrund. Daß ſie ſich auf
den apoſtoliſchen Stuhl geſchwungen und auch dem Papſtthum für längere
Zeit ihr Gepräge gegeben, iſt das glänzendſte Zeichen ihres Sieges.
Im Verlangen des Nachruhmes alſo haben wir das treibende Rad
gefunden, deſſen Thätigkeit uns jede Bewegung dieſes Papſtes erklärt,
den Glanz ſeines Hofes, ſeine Bauten, ſeinen Mäcenat über Gelehrte
und Künſtler, ſeine Bibliothek. Nicht im mindeſten auffallend fand
man damals ſein Streben: er wollte ſich, geſteht einer ſeiner lobprei⸗
ſenden Biographen, langdauernde, ja ewige Denkmale ſetzen, weil er
„nach ſeinem Ruhme ſehr begierig war.“)
Gleich den weltlichen Höfen jener Zeit richtete Papſt Nicolaus
auch den römiſchen mit Pracht und Luxus ein. Wer noch die mön⸗
*
) Manetti Vita Nicolai V p. 925,
V. Nicolaus V. Luxus der Curie. Bauten. 295
chiſche Curie unter Eugen geſehen, merkte den Abſtand: damals, fagt
der Florentiner Vespaſiano, gab es noch nicht den Pomp am Hofe von
Rom, wie er jetzt iſt.) Die Prälaten und ihre Diener erſchienen
vor dem Papſte fortan nur in ſeidenen und goldgeſtickten Gewändern,
die Zimmer und die Tafel wurden mit prachtvollen Tapeten, mit gol⸗
denem Geräthe und kunſtvollem Schmucke jeder Art geziert. Er ſelbſt
ließ ſeine Mitra von herrlichen Edelſteinen ſtrahlen und trat ungleich
glänzender auf als ſeine Vorgänger. Die großen kirchlichen Feierlich⸗
keiten nahmen immer mehr den Charakter pomphafter Hoffeſte an.
Die Kirchen und Altare Roms ſollten nicht mehr allein durch ehrwür⸗
dige Gräber und Reliquien die Gemüther, ſondern auch durch goldge⸗
wirkte Tapeten und Decken, durch ein ſchönes und koſtbares Meßgeräthe
die Sinne feſſeln, damit die apoſtoliſche Majeſtät auch im Glanze der
irdiſchen ſtrahle und die Kirche als triumphirende Macht erfcheine. *)
Die römiſchen Kaiſer hatten den Stolz ihrer Weltherrſchaft durch
Prachtbauten der Nachwelt verkündet, die noch ſtaunend vor den Trüm⸗
mern ſtand. So bauten denn, als die Zeit der Imperatoren in der
Erinnerung wiederauflebte, in Mailand die Visconti und die Sforza,
in Ferrara die Eſte, in Mantua die Gonzaga und großartiger als Alle
in Florenz die Medici. Sie bauten in Wahrheit zur Ehre ihres Na⸗
mens, ſelbſt Kirchen und Klöſter, nicht mehr zur Ehre Gottes, der
Jungfrau und der Heiligen. Die architektoniſche Ausſtattung des neuen
Rom führt auf Nicolaus W zurück, feine Nachfolger beharrten faſt ein
Jahrhundert hindurch auf der Bahn, die er vorgezeichnet und die zu
jenem Blüthenzeitalter der plaſtiſchen Künſte unter Julius u und
Leo X hinführte.
Es wären rieſige Pläne, die Nicolaus entwarf und mit denen er
die Medici ins Dunkel ſtellen wollte. Den ganzen Umkreis des Borgo
gedachte er als päpſtlichen Stadttheil, als einen vicus curialis zu um⸗
ſchließen, der mit einer gewaltigen Mauer alle Räume von der Pforte
der Engelsburg bis zu den Außenmauern von S. Peter umfaſſen ſollte,
ſo daß der päpſtliche Palaſt, doppelt geſichert, wie eine Burg in einer
Feſtung erſchienen wäre. Die ganze Curie mit allen Dienern, Hand⸗
werkern und Kaufleuten, die irgend zu ihr gehörten, ſollte hier bequem
) Nicola V Papa $ 5. Vespaſiano ſchrieb die Worte unter Paulus II, der
hierin der entſchiedenſte Nachfolger Nicolaus’ V war.
) 8. Antoninus Chronieon P. III. tit. XXII. cap. 12 in princ. Aeneas
Sylvius Europa ep. 68. Menetti l. o. p. 928.
296 | V. Nicolaus V. Seine Bauten.
und ſicher wohnen können. Die Fundamente wurden gelegt und die
Stellen bezeichnet, an welchen ſich ſchützende Thürme erheben ſollten.
Wenn die grenzenloſen Koften dieſes Rieſenbaues mit Unwillen beſpro⸗
chen und die übermäßige Prachtliebe des Papſtes angeſchuldigt wurde,
hatte dieſer mancherlei Gründe vorzubringen, wenn er ſie auch nicht,
wie Manetti ihn thun läßt), den Cardinälen auf ſeinem Sterbelager
auseinandergeſetzt hat. S. Peter's Dom, mochte er ſagen, und der
Palaſt des Papſtes müßten gegen äußere Feinde, vielleicht gar gegen
die Türken, und gegen die rebelliſchen Römer geſichert werden; es werde
das häusliche Leben der Curialen beſſern, wenn ihre Schlafzimmer ſo
eingerichtet würden, daß »weder vernünftige noch unvernünftige Thiere
außer den geflügelten“ hineinkönnten; den Völkern müſſe die Größe und
geiſtliche Würde Rom's auf den erſten Blick anſchaulich gemacht werden,
und dergleichen. N
Im erſten Puncte liegt ein wahres Motiv: der Papſt, an ſich
ängſtlich, wurde es doppelt ſeit der Verſchwörung des Stefano Porcari,
der die „Herrſchaft der Glatzköpfe“ ſtürzen und in Rom die alte Re⸗
publik herſtellen wollte. Er der am liebſten mit ſtillen Büchern und
mit den Männern der Feder verkehrte, bebte vor den Schrecken eines
Volkstumultes und konnte das Schickſal ſeines Vorgängers nicht ver⸗
geſſen. In mehreren ſeiner Bauten ſieht man zugleich die Abſicht, ſich
und ſeine friedlichen Beſchäftigungen vor den räuberiſchen Gelüſten des
Römervolkes ſicher zu ſtellen. Die Engelsburg wurde ſtärker befeſtigt
und die Brücke, die hineinführte, ganz zur Vertheidigung eingerichtet.
Die Stadtmauern Rom's die an vielen Stellen völlig verwittert und
zerfallen waren, wurden hergeſtellt. Der Papſt ließ eine Medaille
ſchlagen, die ein Stück der neuen Stadtmauer ſehen ließ, mit der Um⸗
ſchrift: Felix Roma.) |
Aber er begann auch vieles Andre, was nicht die Noth, nur bie
) 1. c. p. 949 — 952.
2) Bei Bonanni Numismata Pontificum T. I. p. 51. cf. Plati na Vita
Nicolai V (edit. s. I., 1664) p. 613. Ranke die röm. Päpſte Bd. III. S. 227
theilt Verſe aus einem auf die Verſchwörung Porcari's gefertigten Gedichte mit, deſſen
Verfaſſer wahrſcheinlich der Römer Orazio iſt (V. Tir aboschi T. VI. p. 1218);
es heißt hier vom Papſte:
Arces fortificat muris turrimque superbam
Extruit — — — ne quisque tyrannus ab alma
Quemque armis valeat papam depellere Roma.
V. Nicolaus V. Seine Bauten. | 297
Neigung forderte, was, wie er ſelbſt ſagte, Rom durch den Adel
der Kunſt zur imponirenden Weltſtadt erheben ſollte. So wurden die
heiligen vierzig Stationen, die Gregor der Große gegründet, mit neuen
und ſchöneren Bauten bezeichnet. So ſollte S. Peter vom Fundament
aus neu aufgebaut werden und nach einem Plane, der, wie der Bio⸗
graph des Papſtes mit Bewunderung verſichert, die Kirche des Apoſtel⸗
fürſten, wäre ſie vollendet worden, über alle Wunderwerke der Welt
erhoben hätte.) Der achtjährige Pontificat hat freilich nicht hinge⸗
reicht, um die großartigen Pläne des Papſtes ins Werk zu ſetzen. Aber
ſchon die kleineren Unternehmungen, die man vollendet ſah, und die
Vorarbeiten zu den größeren, die dann liegen blieben, erregten das
Erſtaunen der Zeitgenoſſen. Gleich wie die Engelsburg die alten Kai⸗
ſerbauten überragt, läßt Enea Silvio de' Piccolomini ſeine Meinung
hören, jo übertreffen die Bauwerke Nicolaus’ V Alles, was die neuere
Zeit geleiſtet; hätten ſeine Werke, die jetzt wie ungeheure Mauertrüm⸗
mer daliegen, vollendet werden können, ſie dürften der Pracht keines
der alten Imperatoren weichen.) .
Wie entſchieden dieſe Leidenſchaft des Papſtes durch das mediceiſche
Beiſpiel angefacht worden, zeigen am deutlichſten die geiſtigen Kräfte,
die er dabei verwendete. Zwei Florentiner, Bernardo und Antonio
Rofellini, waren bei allen baulichen Unternehmungen den Beamten und
Arbeitern vorgeſetzt. Und Leo⸗Battiſta degli Alberti wurde auf einige
Jahre nach Rom gerufen, um den Papſt zu berathen und die Pläne
zu entwerfen, hier überreichte er ihm 1451 ſein berühmtes Werk über
die Architectur.)
Den Nachweis, inwiefern in dieſen Bauten und Entwürfen der
Einfluß des von Poggio wiederaufgefundenen Vitruvius und der Alter⸗
thumsſtudien überhaupt zu erkennen ſein möchte, wünſchten wir von
kundiger Seite zu ſehen. In der verwandten Kunſt des Prägens und
) Manetti p. 930 — 940 ſpricht am ausführlichſten von dieſem Bau und den
andern. Vergl. Papencordt Geſchichte der Stadt Rom im Mittelalter S. 482.
499 ff.
) Aeneas Sylvius Histor. Friderici III. edid. Kollar p. 138. 282; Europa
cap. 58. Auch im Kirchenſtaat umher, in Spoleto, Orvieto, Civitavecchia und ſonſt
find Villen, Brücken und Waſſerleitungen zum Theile noch die Zeugen feiner Bau⸗
luſt. In Viterbd ließ er die Heilquelle einfaſſen, deren Kraft ſchon Strabon gerühmt,
und mit palaſtartigen Häuſern umgeben. Viterbo hieß ſeitdem das Papſtbad.
) Staindelii Chronicon ap. Oef ele Scriptt. rer. Boicar. T. I. p. 537.
298 V. Nicolaus V als Mäcen.
Medaillirens iſt es ſchon bemerkbar, welche Frucht das Studium der
Antike, die Muſeen eines Pizzicolli und Poggio, der Cardinäle Colonna
und Barbo eingetragen. Nicolaus V ift der erſte Papſt, von dem
wir aus der Hand des Andrea Guacialoti da Prato ein Medaillon
mit ſprechendem Portrait beſitzen.) |
Gleich in den erſten Wochen feines Pontificats zeigte Nicolaus, wie
theuer ihm Florenz, wie er von ganzer Seele ein Florentiner war. Gegen
Coſimo, der auch ihm einſt manches Gute gethan, erwies er ſich alsbald
dankbar, indem er ihn zum Depoſitar der apoſtoliſchen Einkünfte er⸗
nannte. Den florentiniſchen Geſandten, unter denen Männer wie An⸗
giolo Acciajoli, Aleſſandro degl' Aleſſandri, Piero di Coſimo de' Me⸗
dici, Neri di Gino Capponi, Giannozzo Pitti waren, gab er, um ſie zu
ehren, eine Audienz im öffentlichen Conſiſtorium, wo ſonſt nur die Re⸗
präſentanten von Kaiſern und Königen empfangen wurden. Bei einer
andern Audienz bemerkte er unter den Wartenden den Buchhändler
Vespaſiano, der ihm einſt geholfen, die Bibliothek von S. Marco zu
ordnen und aufzuſtellen. Sofort ließ er die Audienz ſchließen und be⸗
fahl, daß man ihn mit dem alten Bekannten allein laſſe, dann ſagte
er lachend: „Hat es nicht, Vespaſiano, gewiſſe ſtolze Herren betroffen
gemacht, hat es das Volk von Florenz glauben mögen, daß ein Prie⸗
ſter, der vorher die Glocken geläutet, nun der höchite Biſchof gewor⸗
den iſt?“ ) |
Kaum hatte fich die Kunde von der Erhebung Parentucelli's auf
den päpſtlichen Stuhl durch Italien verbreitet, ſo kamen Gelehrte
und Schöngeiſter von überall her nach Rom gewandert, ihm ihre
Dienſte zu Füßen zu legen. Andre fragten doch vorher an. Es war
wohl keiner, der nicht wenigſtens gratulirte und ſich tiefergebenſt dem
Wohlwollen des Papſtes empfahl. In ſolchen Fällen wird die allzu
hohe Erwartung oft bitter getäuſcht. Gelehrte, wenn ſie zu Einfluß
und Macht erhöht wurden, ſind keinesweges immer die Mäcene für
ihresgleichen geweſen. Aber Nicolaus war eben kein Fachgelehrter, er
hatte keine Lieblingsdisciplin, er ging als vielwiſſender Dilettant mit
) Eine vortreffliche kritiſche Arbeit über dieſen Künſtler mit Abbildungen ſeiner
Werke verdanke ich Herrn Dr. Julius Friedländer, ohne angeben zu können, un⸗
ter welchem Geſammttitel derſelbe eine Reihe ähnlicher Studien zu veröffentlichen ge⸗
denkt. a
) Manetti 515. Vespasiano l. c. 5 18. 19.
V. Nicolaus V als Mäcen. N 299
ſeiner Neigung ins Weite und Breite. Er iſt, ſagt Enea Silvio von
ihm ), in alle liberalen Künſte eingeweiht, er kennt die Philoſophen,
die Hiſtoriker, die Dichter, die Kosmographen und die Theologen; ſelbſt
das bürgerliche und das päpſtliche Recht und die Mebicin find ihm
nicht fremd. Das ſind panegyriſche Worte, aber ſo viel iſt wahr:
Nicolaus hatte ein vielſeitiges Intereſſe, freilich ohne den Drang,
irgendwo tiefer einzugehen, wie er im Grunde mehr ein Freund der Bücher
als der Wiſſenſchaft war. Unter den Geiſtern wählte er nicht ſehr:
im Gegentheil war ihm das Talent lieber als das Genie; denn Verſe
und Reden oder ſelbſtſtändige Abhandlungen moralphiloſophiſchen und
antiquariſchen Inhalts, in welchen ſich die Humaniſten gerade am mei⸗
ſten dünkten, ſchätzte er wenig. Er wollte kritiſche und grammatiſche
Arbeiten, vor Allem aber Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen. Die
Werke der Alten, gereinigte Texte, Commentare und erläuternde Ueber⸗
tragungen ſollten in ſtattlicher Geſtalt ſeine Bibliothek füllen und zieren.
Dabei vernachläſſigte er auch die kirchlichen Autoren nicht. So war
ihm Jeder willkommen, der ein genügendes Griechiſch verſtand und
Bücher nach dem Sinne des Papſtes ſchreiben wollte.
Da darf es uns nicht befremden, wenn wir die römiſche Univer⸗
ſität auch unter dieſem vielgeprieſenen Förderer der Wiſſenſchaft ein
ziemlich unbedeutendes Daſein fortſpinnen ſehen. Sie war neben dem
unzünftigen humaniſtiſchen Gelehrtenſtande hier wie anderswo das alt⸗
modiſche Inſtitut. Seit den Zeiten des Schisma hatte ſie ſich nicht
erholen können oder vielmehr ſie hatte aufgehört zu exiſtiren. Wohl
hören wir, daß Innocenz VII einen Verſuch zu ihrer Herſtellung machte
und das Studium der Wiſſenſchaften und Künſte für den ſchönſten
Schmuck einer Stadt erklärte; er verhieß ſogar einen Lehrer der grie⸗
chiſchen Sprache, der die griechiſchen Autoren erklären werde.) Wahr⸗
ſcheinlich dachte er dabei an Manuel Chryſoloras. Welchen Erfolg
ſeine Ankündigung hatte, wiſſen wir nicht, unter ſeinen Nachfolgern
jedoch verſchwindet wieder jede Erwähnung der Hochſchule und taucht
erſt dann wieder auf, als unter Eugen IV die Ruhe der Stadt und
) Im Geſandtſchaftsbericht von 1447 in Baluzii Miscell. VII und Mur a-
tor i Seriptt. T. III. P. II.
) Seine Bulle vom 1. Sept. 1406 bei Raynald Annal. ecel. 406. n. 2.
Der Papſt ſpricht von hujusmodi studia per longissima spatia hactenus inter-
missa.
300 V. Nicolaus V als Mäcen.
des Kirchenſtaates hergeſtellt wurde. Aber nicht in dieſem Inſti⸗
tute, ſondern um ſeine Perſon verſammelte Papſt Nicolaus alle die
wiſſenſchaftlichen Kräfte, die er nach Rom zog, ja er ſah es ſogar
ungern, wenn ſeine Ueberſetzer auf ſolche Beſchäftigungen Zeit verwen⸗
deten. |
Dieſem Patron, der immer einen Beutel mit einigen hundert Zec⸗
chinen zur Seite hatte und unmittelbar mit eigener Hand lohnte ),
fehlte es an fleißigen Arbeitern natürlich nicht. Gerade die Geiſter
zweiten Ranges fanden ſich in Menge bei ſeiner Curie ein und manche
ſtanden bei ihm hoch im Anſehen, die ſonſt in der Gelehrtenwelt kaum
einen Namen hatten. Man rühmte ihm nach, er habe die Curienämter
und Pfründen nicht, gleich ſeinen Vorgängern, ſimoniſtiſch verkauft“);
mag ſein, aber er vergab ſie an Literaten, die mehr für die vaticaniſche
Bibliothek als für die Cancelei und die Kirche arbeiteten.) Als man
ihm einſt bemerklich machte, es gebe in Rom noch einige gute Schrift⸗
ſteller, die er nicht kenne, wollte er das nicht glauben: ſonſt würden
ſie ja zu ihm kommen, da er auch die ſchlechten Dichter freundlich zu
empfangen pflege.) |
Es war im Vergleich mit dem Pontificat Eugen's der ſtärkſte
Wechſel: unter dieſem hatten die ihn umgebenden Mönche insgeheim
die Schlüſſel Petri gehandhabt, und nur einzelne Cardinäle ſtanden ſelbſt⸗
ſtändig und einflußreich da. Jetzt wurden auf einmal die Gelehrten
der bevorzugte Stand an der Curie, es drehte ſich im Grunde Alles
um die Ueberſetzer, deren Stil dem Papſte am beſten behagte. Ein
Valla, Georgios von Trapezunt, Decembrio, Perotti erlangten nicht
nur für ſich, was ſie wünſchten, ſie ſtanden Nicolaus' Ohr überhaupt
am nächſten. Wenn er während der Seuche, die Rom im Jubeljahre
heimſuchte und in den folgenden Sommern wiederkehrte, für ſein fro⸗
hes Leben beſorgt den Vatican verließ und zu San Fabriano ſeinen
Aufenthalt nahm, gab er ſeine Bücherſchreiber und Ueberſetzer der Ge⸗
fahr nicht preis. Sie nahm er alle nach San Fabriano mit, während
ſich ſonſt bei Todesſtrafe niemand, der aus Rom kam, dem Caſtell auf
) Vespasiano I. c. 8 27. |
2) Raphael Volaterr. Lib. XXII. p. 815.
) Platin a l. c. p. 613.
) Hermolaus Barbarus Praefat. in Castigationes Plinianas. Basileae,
1534, Ä |
V. Nicolaus V als Mäcen. 301
fieben Miglien nähern und nur wenige bevorzugte Cardinäle hier wei⸗
len durften, doch auch ſie mit nicht mehr als vier Dienern.)
Nur einen Mann gab es an der Curie, der als Günſtling bezeich⸗
net werden konnte, es war der Secretär Piero da Noceto. Mit
keinem der Cardinäle ſtand der Papſt in einem irgend vertrauten Ver⸗
hältniß, er mochte ſich nicht lenken und hemmen laſſen, ihn hätte ſchon
der Schein geärgert, als regiere er durch einen allmächtigen Miniſter.
Jener Piero war mit ihm zuſammen im Hauſe Albergati's gealtert,
ein beſcheidener Mann, dem als Gatten und Vater die höhere Laufbahn
überdies abgeſchnitten war und der nun unter ſeinem ehemaligen Haus⸗
meiſter ungefähr die Stelle einnahm, welche dieſer bei Albergati inne⸗
gehabt. Er war des Papſtes rechte Hand und doch zugleich ſein treu⸗
herziger unterwürfiger Diener, weder ein Gelehrter noch ein Schöngeiſt,
aber als alter Curiale an den Verkehr auch mit ſolchen Männern ge⸗
wöhnt. Wir ſehen hier den andern Fall wie ſonſt bei den mäcenatiſchen
Fürſten: dieſe hatten ihre literariſchen Räthe, deren Urtheil das ihre
erſetzte, Francesco Sforza feinen Simonetta, Borſo von Eſte feinen
Caſella; zwiſchen dem gelehrten Papſte und den kirchlichen Geſchäften
ſtand ein einfacher Secretär, um deſſen Gunſt ſich die Geſandten und
Geſchäftsmänner bewarben, zwiſchen dem Papſte und den Hofliteraten
ſtand niemand. Nicolaus hielt ſich für ſeinen perſönlichen und un⸗
mittelbaren Verkehr mit den Schriftſtellern freie Hand, und dieſe
lebten glücklich und zufrieden, weil nicht leicht eine Wolke zwiſchen
ſie und ihre Sonne trat.
Auf welchem Fuße der Papſt mit ſeinen Hofgelehrten lebte und
welches Daſein dieſe genoſſen, lernen wir am beſten kennen, wenn wir
uns die bedeutenderen nach einander vorführen. Da wird uns ſo man⸗
cher entgegentreten, den wir anderswo ſchon ſahen, der nun aber ſeine
bisherige Stellung gegen die lockendere unter dem apoſtoliſchen Schirm⸗
dach vertauſcht.
Das alte Haupt unter den Humaniſten der Curie war Poggio,
zugleich einer der älteſten unter den literariſchen Freunden des Papſtes,
der ſchon bei Cardinal Albergati in Gunſt geſtanden. Gleich dem Papſte
war er ſtets mit ſeinem Herzen in Florenz daheim geweſen und hier
hatte ſich auch der Umgang zwiſchen ihnen entſponnen. Poggio konnte
9 Nach zwei Berichten, die ein Deutſchordensprocurator an den Hochmeiſter ſandte,
im Geh. Archiv zu Königsberg. ef. Manetti p. 928. nn 8
302 V. Nicolaus V und Poggio.
einen entſcheidenden Beweis führen, daß er Parentucelli ſchon vor ſei⸗
nem Cardinalat und Papat als Freund hochgeſchätzt: dieſer war noch
Biſchof und arm geweſen, als Poggio ihm 1446 ſeinen Dialog über
das unglückliche Leben der Fürſten widmete; “) wohl die erſte literariſche
Huldigung, die jenem zu Theil geworden.
Sobald nun der Freund auf den heiligen Thron erhoben war,
richtete Poggio eine Gratulation an ihn, in welcher er gleichſam als
Vertreter der ganzen Gelehrtenrepublik das Wort nahm, freilich auch
ſeiner ſelbſt nicht vergaß. Nach manchem feinen Lobe und mancher
elegant⸗philoſophiſchen Wendung kam er auf ſein eigentliches Thema.
„Ich bitte dich, heiligſter Vater, mögen deinem Gedächtniſſe nicht jene
alten Freunde entſchwinden, als deren einen ich mich nennen darf.
Du weißt ja am beſten, wie die Gemeinſamkeit in den Studien und
in den edlen Sitten das Band der Freundſchaft knüpft. — — Laß
unter deinen ſonſtigen Sorgen dieſe nicht zurückſtehen, daß du der alten
Freunde gedenkeſt, zu denen ja auch ich gehöre, daß du ihnen Hülfe
ſeieſt, ſie nicht darben läſſeſt, daß du dich den ſchönen Geiſtern hold
zeigeſt! Sorge, daß viele Menſchen ſich finden, die dir ähnlich ſind,
damit du in dieſem deinem Herrſchergebiete gleichſam eine Pflanzſchule
der Tugenden aufſtelleſt, damit in dieſem Zeitalter die freien Künſte
emporblühen wie in einem ſaturniſchen (1), ſie, die durch die Schuld
der Zeiten faſt erloſchen und erſtorben ſchienen. — — Denn von wem
ſollen wir ihr Heil erflehen, wenn du uns nicht hilfſt, den ſie ſeither als
ihr Lieblingskind an ihren Brüſten genährt! Ja, heiligſter Vater, das
Studium der Wiſſenſchaften hat darniedergelegen und die ausgezeichneten
Gelehrten ſind länger vernachläſſigt worden, als mit dem Gewiſſen
und mit ihrem Werthe vereinbar war. Darum iſt auch die Freude an
den Wiſſenſchaften erkaltet. Denn wo der Tugend Ehre und Lohn
fehlen, da wird auch niemand zu ihrer Uebung angeſpornt. — — Von
dir allein, heiligſter Vater, wird erwartet, was ſo Viele verſäumt ha⸗
ben. Andre mögen Andres leiſten: dir allein ſteht dieſe Ehre, dieſer
Beruf zu, daß die wiſſenſchaftlichen Studien und die durch dich gehobe⸗
nen Gelehrten in ihre alte Würde und in ihr altes Anſehen wieder⸗
) In den Ausgaben iſt die Vorrede zu dieſem Tractat nur überſchrieben: ad
clariss. virum Thomam, vollſtändiger im Cod. msc. lat. 70 der münchener Hof⸗
bibl. fol. 303: ad Thomam de Sarzano und mit der Widmung: Magnifico domino
meo Cancellario pro tune existente in dieta frankfordensi a. domini 1446. Der
Widmung gedenkt Poggio auch im Prooem. Historiae de varietate fortunae p. 3.
V. Nicolaus V und Poggio. 303
eingeſetzt werden. — — So mag denn unter deinen übrigen Sorgen,
ich wiederhole es noch einmal, dieſe, heiligſter Vater, die erſte ſein, daß
du die Gelehrten hebſt und erhöheſt, daß du die edelſten Künſte wieder⸗
aufleben machſt, daß du beweiſeſt, nur deine Würde ſei erhöhet, dein
Sinn der alte geblieben. Das iſt deine eigenſte Aufgabe, das iſt die
That deines Namens und deines Ruhmes, das wird die herrlichſte
Frucht deines Pontificates ſein. Das wird dir vor Gott ewigen Lohn,
unſterbliches Lob bei den Menſchen erwerben. Aber da dn dir, heilig⸗
ſter Vater, das Alles zu thun ſchon ſelber vorgeſetzt, ſo bitte ich dich
nun insbeſondere: gedenke auch deines Poggio, der ſeit vielen langen
Jahren deiner Tugend ſo innig ergeben war, der dich immer vor An⸗
dern geehrt und geliebt! Schon bin ich ein Veteran an der Curie, da
ich ihr ſeit vierzig Jahren diene, und doch wahrlich mit geringerem
Vortheil, als es für jemand ziemt, welcher der Tugend und den Hu⸗
manitätsſtudien nicht ganz fern geſtanden. Schon ſollte ich als aus⸗
gebtenter Soldat nach der Sitte der Alten auf die ländlichen Aecker
geſchickt werden, um meinem Leibe Ruhe zu gönnen und nur den Geiſt
zu beſchäftigen. Erreiche ich das nicht durch dein Wohlwollen, ſo weiß
ich nicht, von weſſen Gunſt ich es ſonſt erbitten ſollte. ')
Was Poggio von des Papſtes höchſtem Berufe geſagt, war dieſem
ſelbſt aus dem Herzen geſprochen. Aber den gewünſchten Ruheſtand
gönnte er ihm nicht, auch Poggio ſollte ihm Ueberſetzungen liefern,
obwohl er ſich bei ſeiner mangelhaften Kenntniß des Griechiſchen nur
dadurch zu helfen wußte, daß er entweder einen Griechen zu Rathe
zog oder ſehr frei und mit genialen Umſchreibungen verfuhr. Indeß
muß Nicolaus die geklagte Noth mit hülfreicher Hand gemildert haben;
denn bald darauf bekennt der alte Curiale, die Freigebigkeit des Pap⸗
ſtes habe ihn ſo geſtellt, daß er die Noth der Zeiten allenfalls vergeſſen
und ſich mit feinem Schickſal ausſöhnen könne.)
Sein nächſtes Werk, einen moralphiloſophiſchen Tractat, widmete
Poggio niemand anders als dem Papſte. Vor Allen aber haben wir.
hier einer Streitſchrift zu gedenken, die er offenbar im Auftrage des
apoſtoliſchen Stuhles verfaßt hat, ſeiner Invective gegen Felix, den
) Poggii Orat. ad Summum Pont. Nicolaum V (Opp. p. 287 — 292).
Ein Leipziger Codex datirt: 2. Mai 1447. Aehnlich iſt fen Gratulationsſchreiben epist.
1. im Spicileg. Roman. T. X. und das Prooemium ſeines Werkes de variet. fort.
) Prologus in Histor. discept. conviv. ad Prosperum Cardinalem de Co-
lumna (Opp. p. 32).
304 V. Nicolaus V und Poggio.
basler Gegenpapſt. Er ſchrieb ſie zu der Zeit, als Nicolaus V die
letzten Reſte der basler Bewegung wegzuräumen bemüht war, vielleicht
gerade damals als der Papſt von Lauſanne ſich herausnahm, weinen
gewiſſen Tommaſo Calandrini von Sarſana“ vor feinen Richterſtuhl
zu laden, der es gewagt habe, den apoſtoliſchen Stuhl zu beſteigen und
ſich Nicolaus V zu nennen. Der theologiſchen und canoniſtiſchen Trac⸗
tate gegen das Concil und ſeinen Papſt gab es genug, ihre Zahl ver⸗
mehrte Poggio nicht. Er ſchrieb eben eine Invective, das heißt ein
Schand⸗ und Schimpfſtück. Ohne ſich über den Sachverhalt zu unter⸗
richten), begnügte er ſich mit läſternder Declamation, hat aber hierin
Alles überboten, was von polemiſchen Schriften für oder gegen das
Concil bekannt geworden iſt. Den Papſt Felix nannte er einen blut⸗
gierigen Wolf in Schafskleide, ein goldenes Kalb, welches zur Schmach
des Glaubens von der Synagoge verlorener, ihm ähnlicher Menſchen
errichtet ſei, einen zweiten Mahomet, der eine unerhörte, ſcheußliche
Ketzerei ſchmiede, ein widriges Ungeheuer, einen Zögling des Satan,
einen gefräßigen Drachen u. ſ. w. Die Väter des Concils werden als
Apoſtaten, Hurenböcke, Blutſchänder, Räuber, Ausreißer, Religions⸗
läſterer, Rebellen gegen Gott und ihre Oberen, als eine Synagogula
verbrecheriſcher und verlorener Phariſäer bezeichnet, ihre Decrete als
Beſchlüſſe Trunkener und Träume von Träumern.
Aehnliche Briefe hat Poggio auch gegen das basler Concil ver⸗
faßt; hier fand ſeine ängſtliche Religioſität, wie er ſie nennt, für gut,
den ſchmähenden Ton ein wenig zu mildern. Daſſelbe geſchah auch
bei dieſer Schrift gegen den lauſanner Papſt!); dann freilich können
wir uns von ihrer urſprünglichen Faſſung keine Vorſtellung mehr ma⸗
chen. Dieſer Poggio war nichts weniger als ein religiöſer oder kirch⸗
licher Fanatiker, aber er war ein eingefleiſchter Curiale, der von der
Curie lebte und reich wurde und dafür ihre Sache mit einer gewiſſen
Wuth vertheidigte. Selbſt in einer Leichenrede, die er dem Cardinal
Giuliano Ceſarini ſchrieb, der Jahre lang Präſident und geiſtiges Haupt
des basler Concils geweſen, mußte er ſeinem Drange freien Lauf laſſen
und in den Panegyrikus auf den Cardinal ſehr unpaſſend eine Invec⸗
1) Auf einige handgreifliche Verſtöße in dieſer Beziehung, die ſich in der Iavec⸗
tiva in Felicem Antipapam (Opp. p. 155 — 164) finden, habe ich in meinem Enea
Silvio Bd. I. S. 172. Note 2. aufmerkſam gemacht.
) Poggii epist. 29. 93. im Spicileg. Roman. T. X.
V. Nicolaus V und Poggio. 2305
tive gegen die basler Väter einweben, in welcher er ſie als Ehebrecher,
Freſſer, Säufer, das Concil als einen Chorus von Nachteulen bezeich-
nete und mit ſeiner wunderbaren Beredtſamkeit dieſes Stils eine Fluth
ähnlicher Schmachworte ausſchüttete.)
War Poggio einmal ein Diener der Curie, ſo war ein ſolcher
Dienſt viel mehr nach ſeinem Sinne als die Abfaſſung einförmiger
Bullen und Breven. Ueberhaupt konnte er jetzt ſeinen Neigungen freier
den Zügel laſſen als an der beengenden Curie Eugen's. Denn mit
der Erhebung des humaniſtiſchen Papſtes verſchwand auf einmal die
Schaar der devoten Barfüßler, die Poggio immer geärgert, wenn ſie
nach ſeinem Ausdrucke gleich Ameiſen umherwimmelten, um Gnaden und
Privilegien bettelten und gegen einander Intriguen ſpannen. In ſeiner
Schrift gegen die Heuchelei, auf welche wir noch einmal zu ſprechen
kommen, durfte Poggio mit ungehemmter Laune die Curie Enugen's als
ein Neſt der Heuchelei brandmarken und dem neuen Papſte das Com⸗
pliment machen, daß unter ihm dieſes Laſter ein Ende habe. Auch
trug er kein Bedenken, in einem Werke, welches er Nicolaus V wid—
mete, deſſen Vorgänger ſelbſt der Heuchelei ziemlich offen zu verdächti⸗
gen.) Gegen die Mönche, welche das Studium heidniſcher Autoren
zu tadeln wagten, übrigens ſchon ein altmodiſches Geſchlecht, führte
Timoteo Maffei aus Verona noch einen literariſchen Hieb; er war ſel⸗
ber Mönch, ein berühmter Prediger, und dieſes Buch widmete er Ni-
colaus V'). Man wußte, daß der Papſt lieber die kecken Freigeiſter
mochte als Menſchen, auf denen auch nur der leiſeſte Verdacht der Schein⸗
heiligkeit laſtete, daß er ſich der Bettelmönche nur bediente, um durch
ihre Türkenpredigten die Gotteskaſten zu füllen, ſie aber nicht in ſeine
perſönliche Umgebung zog, wie Eugen, der Obſervantenprotector, gethan.
Poggio war an der Curie ein reicher Mann geworden, als er an
die florentiniſche Staatscancelei berufen wurde und bald die Sorgen
und Geſchäfte bei Seite legend, nur ſeiner literariſchen Muße lebte.
Nicolaus entließ ihn ungern und ſtellte ihm frei, falls ihm das Leben
in Florenz nicht behage, in feine alte Stellung an der Curie zurüdzu-
kehren, ja der Papſt hoffte ſogar darauf und ſagte ihm beim Abſchiede
1) Oratio in funere Juliani de Caesarinis $ 7. 8. im Spicileg. Roman. T. X.
p. 378 sq. Aehnlich in feinem Werke de variet. fortunae Lib. III. p. 99.
2) De var. fort. p. 88 fagt er von Eugen IV: Ego in eo plures virtutes
fuisse cognovi, sive verae fuerint, sive, ut multi en fictae.
3) Barth. Faci us de vir. illustr. p. 24.
Voigt, Humanismus. 0 N 6 20
306 V. Nicolaus V und Biondo.
dreimal, er werde die Quälereien und Lüͤmpereien in Florenz nicht ein
Jahr lang aushalten.) Poggio war Meiſter in der höfiſchen Kunſt,
ſich immer ergeben zu zeigen und doch immer ein wenig ſelten zu ma⸗
chen. Er wußte ſich die Freundſchaft des Papſtes auch in der Ferne
zu erhalten, von Zeit zu Zeit über Dürftigkeit zu klagen und die betteln⸗
den Hände auszuſtrecken.)
Kein volleres Gegenbild zu ſeinem Charakter als das ſeines Col⸗
legen Flavio Biondo, weshalb denn auch ihre Schickſale die entgegen⸗
geſetzten waren, als die dreifache Tiare von Eugen auf Nicolaus über⸗
ging. Wir ſahen oben, daß Biondo's bevorzugte Stellung unter Eugen
auf ganz perſönlichen Zügen beruhte. Biondo hielt wahrlich nicht zu
den Heiligen des Tages, ſeine ſtille Ergebenheit in ſchweren Zeiten
hatte ihn dem Papſte werth gemacht. Als ein ſtrenger und gewiſſen⸗
hafter Gelehrter genoß er die Achtung der humaniſtiſchen Literaten,
ohne eigentlich in den Kreis ihrer Freundſchaften und Feindſchaften
zu treten. Bruni begann einen Streit mit ihm über die Frage, ob
die alten Römer neben der Schriftſprache auch eine Vulgärſprache ge⸗
habt, aber es war ein wiſſenſchaftlicher Streit und er wurde im wür⸗
digſten Tone geführt.)
Warum hat nun Papſt Nicolaus den Biondo vernachläſſigt, ja
mit entſchiedener Ungunſt behandelt? Niemand weiß uns den eigentlichen
Grund anzugeben, ſelbſt Enea Silvio, der an der Curie recht wohl
Beſcheid wußte, findet uns mit dem Gemeinplatz ab, daß ein Papſt
ſelten den emporhebe, den fein Vorgänger geliebt.“) Es verlautet aber
auch von entſchiedenen Gegnern, die Biondo in einer Weiſe verleumde⸗
ten, daß er aus Rom zu weichen gezwungen war; er fand damals für
einige Jahre zu Ferrara ehrenvolle Aufnahme.) Doch können wir
kaum glauben, daß nur eine perſönliche Laune des Papſtes ihm ent⸗
gegenſtand oder daß dieſer den Ohrenbläſern nur in dieſem einen Falle
geneigtes Gehör ſchenkte. So ſcheint es denn, daß wir den Haupt⸗
grund der Nichtachtung Biondo's in ſeiner wiſſenſchaftlichen Richtung
ſuchen müſſen.
—
) Poggii epist. 55. im Spicileg. Roman. T. X.
) ibid. epist. 2. Z. 4. 68 an Nicolaus V.
) Leon. Bruni epist. VI, 10.
) Europa cap. 58.
) Filelfo's Brief an ihn vom 25. Novemb. 1450. Poggii epist. 60.1. c.
Franc. Barbari epist. 215. ed. Quirino vom 8. Novemb. 1453.
V. Biondo. : 307
Biondo war ein eigentlicher Geſchichtsforſcher von treuem Fleiße:
es iſt bewundernswerth, wie er die beſten Quellen heranzuziehen weiß,
wie er die zeitgenöſſiſchen von den ſpäteren ſondert, wie er mit kriti⸗
ſchem Tacte vergleicht und wägt, kleine Andeutungen benutzt und doch
das Weſentliche heraushebt, wie er in ſeinen Stoffen ordnet und wal—
tet. Das römiſche Alterthum verdankt ihm in topographiſcher und in der
ſogenannten antiquariſchen Beziehung die erſten Strahlen ſeiner wirk—
lichen Aufhellung. Er begnügte ſich nicht, wie Poggio und Bruni, mit
der blinden Verehrung alles Claſſiſchen, als ſei das Zeitalter kei⸗
nen Heller mehr werth und eitel Entartung. Auch das neue chriſtliche
Rom iſt ihm ein würdiger Gegenſtand der Forſchung; mit den Legio—
nen und Conſuln, mit dem Senat und der Herrlichkeit des Capitols
iſt ihm die Majeſtät Rom's keinesweges entſchwunden ), mit offenem
Sinne nimmt er ſich auch des Gegenwärtigen an und forſcht nach ſei—
nem Urſprung. Er hat ferner die erſte Univerſalgeſchichte des Mittel—
alters geſchrieben, die dieſen Namen verdient, ein für jene Zeiten wahr—
haft erſtaunliches Werk, das denn auch von Zeitgenoſſen und Nachfolgern,
ſelbſt noch von Macchiavelli vorzugsweiſe benutzt und rüſtig ausge—
ſchrieben worden iſt. Und doch haben die mitlebenden wie die nach—
folgenden Literarhiſtoriker ſeinem Verdienſte nur gerade die halbe und
oberflächliche Achtung gezollt, die dem armen biedern Canceliſten im
Leben zu Theil wurde. Seine Briefe, die freilich weder Elegantien
noch Piquanterien enthalten mögen, find nicht geſammelt und heraus⸗
gegeben worden), fein Leben hat keinen Biographen gefunden.
Biondo geſteht ſelbſt, daß er im Erlernen der griechiſchen Sprache
wenig glücklich geweſen.) Seine Jugend fiel noch in die Jahre, da
es außerhalb Florenz und etwa Venedig kaum möglich war, einen Leh-
rer des Griechiſchen oder griechiſche Bücher zu erhalten. Wo er als
Geſchichtſchreiber der ſpäteren Kaiſerzeiten auf griechiſche Autoren ſtößt,
muß er ſich dürftig mit ſchlechten Ueberſetzungen behelfen. Natürlich
ſtand er in Papſt Nicolaus' Augen ſchon deshalb hinter jenen Abend⸗
) Roma instaurata in fine.
) Mehus bat dieſe Abſicht, wie er in der Anmerkung zu Leonardi Bruni
epist. VIII. 1. ſagt, zwar gehegt, aber nicht a I wahrſcheinlich weil Biondo
kein Florentiner war. |
) Historiarum ab inclinatione Romanorum Dec. I. Lib. IV. in princip.
(Opp. edit. Basileae, 1559). Vespasiano: Biondo da Forli $1: ebbe qualche
notizia delle lettere greche.
20 *
308 V. Biondo.
ländern zurück, die ein wenig Griechiſch, und hinter den Griechen, die
ein wenig Lateiniſch verſtanden. Er konnte nicht Ueberſetzungen ma⸗
chen, die dem Papſte einmal am meiſten zuſagten. Als im Beginn
ſeines Jahrhunderts die alten römiſchen Autoren aus ihren ſtaubigen
und moderigen Gräbern wieder zum Leben erweckt wurden, hat er daran
nicht einen glänzenden wie Poggio, aber doch auch ſeinen beſcheidenen
Antheil gehabt: es blieb ihm eine ſchöne Erinnerung, wie er zuerſt
Cicero's Brutus aus dem alten lodeſiſchen Codex mit jugendlichem
Eifer abgeſchrieben und Italien wiedergeſchenkt hatte.) Aber freilich
von Cicero's Wohlredenheit war wenig auf ihn übergegangen. Viel⸗
leicht widerſtrebte ſeine einfache Natur dem Haſchen nach dem eleganten
Scheine, vielleicht hemmten ſeine Berufsgeſchäfte und die Kärrnerarbeit,
die jedes hiſtoriſche Studium mit ſich bringt, ſeine Ausbildung in der
feineren Latinität, die einmal der Stolz ſeines Jahrhunderts war. Er
war ſich des Vorſprunges, den Andre vor ihm hatten, ſehr wohl be-
wußt. Während ſonſt bei alternden Leuten ihr Urtheil über das Neue
nicht ſelten ſchroff und abſprechend wird, ſah er mit rührender Neid⸗
loſigkeit in Italien die Schulen immer mehr erblühen, »in welchen es
ſüß und herrlich iſt zu ſehen, wie die Schüler, nicht nur wenn ſie ent⸗
laſſen ſind, ſondern während ſie noch unter der Ruthe declamiren und
ſchreiben, ihre Lehrer an Wohlredenheit in Sprache und Schrift über⸗
treffen.“) Wie leicht pflückten ein Poggio und Filelfo die Kränze des
Ruhmes, wie ſauer mußte ſich's Biondo werden laſſen, bis er ſich ſelbſt
ein Wort der zufriedenen Anerkennung gönnte! Wie ſchön ſteht ihm aber
auch der beſcheidene Stolz, wenn er auf das Reſultat mühevoller Jahre
zurückblickt! Die Geſchichte, ſagt er, der erſten 132 Jahre ſeit dem
Einzuge Alarich's in Rom ſei ihm recht ſchwer zu erforſchen geweſen,
doch ſchmeichle er ſich, bei Weitem mehr aus dem Dunkel herausge⸗
bracht zu haben, als er ſelbſt und Andre, die von ſeinem Unternehmen
wußten, gehofft und erwartet.) Später ſagte er einmal, indem er
feiner Decaden gedachte: »Wir haben die dunkle Geſchichte von mehr
als tauſend Jahren mit ſolchem Fleiße behandelt, daß wir nicht nur
den Zuſtand von Italien deutlicher und ausführlicher, als es möglich
ſchien, dargeſtellt haben, ſondern auch den der Provinzen und Länder
) Vergl. oben S. 142.
) Italia illustrata p. 347.
) Histor. I. c.
V. Biondo. 309
des ganzen einſtigen römiſchen Reiches, wie es in die Hände verſchie⸗
dener Könige, Fürſten und Völker gekommen iſt.“ ) Ueber dieſes Werk
hat ein Kritiker aus der Zeit Julius' II, Rafaele Maffei, nicht ohne
Billigung des fleißigen Strebens geurtheilt, doch findet er, es gereiche
dieſer Geſchichte zum beſonderſten Lobe, daß ein Papſt von anerkannter
Schriftſtellergabe, Pius II, ſie in einem Auszuge au bearbeiten: und
geſchickter zu ftilifiren geruhte! *) Ä
Noch eines müſſen wir hervorheben: Biondo's Feder 1
nicht zu ſchmeicheln. Er hatte auch Eugen IV nicht geſchmeichelt; er
vertheidigte ſeine Sache mit Wärme und Eifer und zeigte den Gegnern,
daß der Papſt durch Noth und Kränkungen zu den Schritten getrieben
war, die ſie ihm als Trotz und Hartnäckigkeit auslegten. Seine Italia
illustrata ſchrieb er während des Jubeljahres zu Rom, alſo gleichſam
unter den Augen des Papſtes Nicolaus, aber er gedenkt deſſelben nicht
einmal, wo er von Sarſana ſpricht, während er ſonſt ſo gern bei jedem
Städtchen und Flecken die Männer erwähnt, deren ſie ſich rühmen
dürfen. Dennoch hören wir, daß er dem Papſte dieſes Werk darreichte
und in Folge deſſelben, freilich erſt gegen das Ende von Nicolaus'
Pontificat (1453) nach Rom zurückkehren durfte und einigermaßen zu
Gnaden angenommen wurde.“) Aber dieſe Gnade ließ ihn arm, wie
er geweſen war, die ſonſt ſo freigebige Hand des Papſtes öffnete ſich
ihm nicht. Nur mit Mühe verdiente er ſo viel, um ſeine fünf Söhne
tüchtig in den Wiſſenſchaften unterrichten und ſeine Töchter mit einer
kleinen Mitgift ausſtatten zu können. Er ſtarb am 4. Juni 1463 „arm,
wie es einem Weiſen geziemt.“ Ihm, dem braven Menſchen, ſetzte Papſt
Pius II in ſeinen Commentarien ein ehrendes Denkmal, desgleichen
dem Werthe ſeiner Werke, wenn er auch ſeine Bedenklichkeiten über
Stil und Inhalt nicht unterdrückte.“ ”
Wie gern hätte Nicolaus den ganzen florentiniſchen Freundeskreis,
der ihm ſo theuer geweſen war, jetzt zu ſich nach Rom gezogen! Aber
Niccoli, Traverſari, Bruni waren nicht mehr unter den Lebenden;
Marſuppini, jetzt Staatscanzler der Republik, wollte natürlich lieber
in ſeiner ehrenvollen Stelle ſterben, als ſein Glück an einen Papſt
«
*) Italia illustr. p. 350. R
?) Raphael Volaterr. Lib. XXI.
) cf. Franc. Barbari epist. 194 Flavio Forliviensi suo ed. Quirino;
Blondus Barbaro ibid. epist. 214.
*) Pii II. Comment. p. 310.
310 | V. Nicolaus V und Manetti.
feſſeln, der doch auch nur ein ſterblicher Menſch war. So blieb denn von
den florentiniſchen Freunden keiner als Alberti, der, wie es ſcheint,
ſehr bald nach Rom überſiedelte, und Giannozzo Manetti, den
der Papft für einen Aus bund von Gelehrſamkeit und Talenten hielt.
Hatte er doch einſt als Biſchof von Bologna, als Manetti ſich eben
bei ihm verabſchiedet, zu den Umſtehenden geſagt, das ſei ein Mann,
wie die altrömiſche Republik keinen gleichen aufzuweiſen habe.) Ma⸗
netti verſtand Griechiſch und Hebräiſch, Philoſophie und Theologie: in
den Augen des Papſtes war er auch ein ausgezeichneter Stiliſt und
Redner. Die Republik konnte ihm zur Gratulation keinen Geſandten
ſchicken, den er lieber geſehen hätte. Manetti hielt an ihn im öffent⸗
lichen Conſiſtorium und in Gegenwart einer kaum zählbaren Menſchen⸗
menge eine Anrede, die eine ganze und noch eine viertel Stunde dauerte.)
Er ſprach im neuen Stil, das heißt er ſpendete nicht zierliches Lob in
gemeſſenen Gaben, ſondern er goß es im panegyriſchen Schwall aus
vollen Schalen über den Papſt aus. Dieſer war noch nie der Gegen⸗
ſtand einer ſolchen Kunſtleiſtung geweſen, nun ſprach vor ihm und über
ihn ein Gelehrter, den er für den erſten unter den lebenden hielt, in
ſtolzem hochfliegendem Latein. Nicolaus hörte mit geſchloſſenen Augen
und mit ſolcher Andacht zu, daß einer der naheſtehenden Kämmerlinge
es für gerathen hielt, ihn mehrmals ein wenig an den Arm zu ſtoßen,
weil er nicht anders meinte, als daß Seine Heiligkeit entſchlummert
ſei. Aber dieſe Beſorgniß wich dem Erſtaunen, als der Papſt jeden
der drei Theile, in welche Manetti's Rede zerfiel, ſcharfſinnig beant⸗
wortete.) Die Rede des Florentiners oder vielmehr dieſe an der
Curie noch neue Weiſe einer öffentlichen Prunkrede wurde das Tages⸗
geſpräch. Die auweſenden Florentiner drückten Manetti die Hand,
dankbar für die Ehre, die er ihrer Vaterſtadt erworben. Die venetia⸗
niſchen Cardinäle, eiferſüchtig darüber, ſchrieben den Vorfall ſogleich
an den Dogen, damit auch von Venedig aus den Geſandten ein Kunſt⸗
redner beigegeben werde.“) |
) Vespasiano: Nicola V. $9. Auch Poggio (epist. 59. im Spicileg. Ro-
man. T. X) empfahl ihn dem Papſte.
) Bei Mittarelli Bibl. codd. msc. S. Michaelis Venet. p. 715. Vespa-
siano: Giann. Manetti $ 15 ſpricht nach dem Zeugniſſe des Cardinal Beſſarion von
150,000 Anweſenden und mehr.
) Vespasiano: Nicola V. $ 20.
) id.: Manetti $ 15.
V. Nicolaus V und Manetti. Valla. 311
Aber trotz der Bewunderung des Papſtes war Manetti nicht eher
geneigt, ſein Florenz zu verlaſſen, bis eine Verbannung, deren Grund
wir nicht wiſſen, ihn dazu nöthigte. Da nun fühlte er die Gunſt ſei⸗
nes päpftlichen Freundes: er erhielt eine Einladung, nach Rom zu
kommen und hier ſeine Studien fortzutreiben, eine Stelle als apoſtoli⸗
ſcher Secretär und außerdem einen Jahresſold von 600 Scudi, für wel⸗
chen er zu nichts verpflichtet war.) Das war eine Stellung, mit
der ſich vielleicht allein die Filelfo's am mailändiſchen Hofe meſſen
konnte. Da Alles um ihn herum mit literariſchen Arbeiten beſchäftigt
ſei und auch er ſeinen Sold nicht müßig verzehren wolle, ſo beſchloß
er zwei große Unternehmungen, ein apologetiſches Werk gegen die Ju⸗
den und Heiden, welches in zwanzig Bücher getheilt werden ſollte, und
eine neue Ueberſetzuug der ganzen Bibel aus den beiden Urſprachen.
Leider ſtarb der Papſt ſchon ein Jahr nach Manetti's Berufung und
mit ihm die Ausſicht auf einen glänzenden Lohn, die zu jenen Werken
begeiſtert, weshalb ihr Verfaſſer es ganz natürlich fand, ſie liegen zu
laſſen.) Doch hat er die Pflicht der Dankbarkeit gegen den freigebi⸗
gen Papſt treulich erfüllt: diefer war ſchon todt, als Manetti fein Le⸗
ben beſchrieb und ſein Andenken, allen fürſtlichen Perſonen zum leuch⸗
tenden Beiſpiel, mit reichlichem Weihrauch feierte.
Der erſte Gelehrte von auswärts, den Nicolaus an ſeine Curie
rief, war ſogleich ein ſprechender Beweis, daß nur das Talent in Be⸗
tracht gezogen wurde, nicht im mindeſten das Intereſſe der Kirche.
Es war nämlich Lorenzo Valla, er der gegen die conſtantiniſche
Schenkung zu Felde gezogen, der die Bettelmönche verhöhnt, der In⸗
quiſition gefpottet, der im dringendſten Verdachte ſtand, von der Glau⸗
benstradition und den Fundamenten der Kirche ſehr lockere und gering⸗
ſchätzige Anſichten zu hegen.
Ein Fanatiker für ſeine Sache war Valla freilich auch nicht. Es
hatte ihn wenig Ueberwindung gekoſtet, bei Papſt Eugen, dem ſchwer⸗
t) id.: Manetti $ 28, Nicola V. 8 25, Alfonso Re di Napoli $ 14. Naldi
Vita Jann. Manetti ap. Muratori Seriptt. T. XX. p. 593. Facius de vir.
illustr. p. 19.
) So erzählt er ſelbſt in der Vita Nicolai V. ap. Muratori Scriptt. T. III.
P. II. p. 927. Was von jenen Büchern zu Stande kam, wie die erſten zehn Bücher
contra Judaeos et gentes, wie die Ueberſetzung des neuen Teſtamentes und des
Pſalters (Vespasiano: Nicola V. $ 25) ift alſo am Hofe von Neapel gearbeitet
worden. S. oben S. 234.
312 V. Valla. f
beleidigten, um Verzeihung zu bitten, weil ihn die Sehnſucht anwandelte,
ſeine Freunde und Verwandten in Rom einmal beſuchen zu können. Was
er verbrochen, bekannte er auf Anſtiftung oder aus literariſcher Ruhm⸗
ſucht gethan zu haben; man werde aber ſehen, daß er auch der Mann ſei,
um der Kirche in Zukunft ebenſoſehr zu nützen, als er ſie bisher beleidigt.
Bedürfe es eines Widerrufes oder einer Reinigung, erklärte er dem Papſte
Eugen in der Zuverficht, daß dieſer großherzig fein werde, fo komme er
demüthig mit entblößtem Nacken. Cardinal Landriani, der Gönner der
Humaniſten, ſollte ſein Geſuch unterſtützen und auch an Scarampo
wandte ſich Valla, an den mächtigen Cardinal-Kämmerer, dem der
Angriff eines Literaten auf die Kirche ganz gleichgültig, der aber doch
für literariſche Schmeicheleien nicht ganz unempfänglich war.) Wir
wiſſen nicht, welcher Beſcheid auf dieſes Anerbieten erfolgte, doch wurde
Valla ein Sicherheitsverſprechen gegeben.) Darauf hin wagte er ſich
nach Rom. Aber ſeine Feinde, die Bettelmönche, konnten die Nieder⸗
lage, die ſie in Neapel durch ihn erfahren, noch nicht verſchmerzen, ſie
brachten ihre Beſchuldigungen nun vor den Papſt und wußten es als
die wirkſamſte der Ketzereien zu brandmarken, daß Valla gegen Eugen
und zu Gunſten des basler Concils geſchrieben haben müſſe, weil er
von dieſem Beneficien erhalten. In Rom mochte Valla den Sturm
nicht abwarten, hier brachte die Inquiſition noch Lebensgefahr, da des
Papſtes Sinn von den Mönchen ganz beherrſcht wurde. Nach zwei⸗
monatlichem Aufenthalt floh er über Oſtia wieder an den Hof Alfonſo's
und richtete nun von hier aus eine Apologie an den Papſt, in welcher
er ſich ſcharfſinnig vertheidigte und ſeine Gegner nicht ſchonte, doch ſich
in Demuth vor der Autorität des römiſchen Stuhles beugte. Deine
Heiligkeit, ſo ſchloß er ſie, wird hoffentlich von mir wenn auch nicht
einen Nutzen, denn das iſt über meine Kräfte, wenn auch nicht Ruhm,
denn dein Ruhm kann weder durch Lob vermehrt noch durch Tadel
verringert werden, ſo doch ein Wohlgefallen an meinen Studien ent⸗
gegennehmen.) Das war nun nicht der Pfeil, der Papſt Eugen ge⸗
roffen hätte; ſo lange er lebte, blieb Valla in Ungnade und durfte
nicht noch einmal wagen, ſich in Rom ſehen zu laſſen.
) Die Briefe Valla's an die genannten beiden Cardinäle, ſo wie der an Papſt
Eugen in Form einer Declamation in den Epistolae Principum etc. ed. Hier.
Donzelinus. Venet., 1574. p. 346. 352. 416.
) Er ſagt zu Eugen: me tua fide, quam dederas, tutum esse oportebat.
) Apologia pro se ct contra calumniatores ad Eugenium IV (Opp. p. 795 sq.)
V. Balla. - 313
Sobald aber Nicolaus den päpſtlichen Stuhl beftieg, erging an
Valla ein ehrenvoller und vortheilhafter Ruf, nach Rom zu kommen.
Es war die Stadt, in der die Seinigen lebten und begraben lagen;
am Hofe von Neapel mußte er mit neidiſchen Augen anſehen, wie er
nur der Hochgeſchätzte, Beccadelli aber der eigentliche Günſtling des
Königs war, in jedem Falle fand er hier immer noch eine Zuflucht.
Schon 1447 kam er nach Rom, im Laufe des nächſten Jahres wurde
der Verfaſſer der Schrift gegen die conſtantiniſche Schenkung zum apo⸗
ſtoliſchen Scriptor ernannt.) Sein eigentlicher Beruf aber war, den
Thukydides zu überſetzen, gewiß ein ſchwieriges Werk, eine Aufgabe,
an die ſich noch keiner gewagt, aber eben darum wollte ſie der Papſt
von dem erſten Grammatiker und Latiniſten gelöſt haben. Die Arbeit
rückte ſehr langſam vor, zumal da Valla ihr nicht, wie der Papſt es
wohl gewünſcht hätte, Tag und Nacht ausſchließlich widmete. Den
römiſchen Lehrſtuhl der Eloquenz hatte ſeit Eugen's Zeiten noch Geor⸗
gios Trapezuntios inne und mit nicht geringem Erfolg: ſeine Schüler
waren zahlreich und eifrig, viele von ihnen kamen aus fernen Ländern,
andre gehörten den edelſten Familien an. Das weckte Valla's Neid:
neben ihm, dem Verfaſſer der Elegantien, ſollte kein andrer Rhetor ſich
zeigen dürfen. Auch auf die Honorare, die der Grieche einnahm, ſah
er mit Gier. Er beſchloß als Nebenbuhler aufzutreten und begann im
Jahre 1450 wirklich feine Schule der Eloquenz. Sie hat jedoch nur
ein Semeſter hindurch gedauert, wohl weil der Beifall nicht der war,
den Valla ſich verſprochen. Wenn er uns wiederholt verſichert, er
habe den Wettſtreit nur zur Ehre Quintilians begonnen, den Georgios
aus übermäßiger Vorliebe für Cicero mit Geringſchätzung zu behandeln
pflegte, ſo hatte wenigſtens das mit der Ehre Quintilians nichts zu thun,
daß ſein Kämpe ſich bei einigen Cardinälen um einen ebenſo hohen Sold
bemühte, wie ihn Georgios erhielt. Es iſt aber ſehr bezeichnend, daß
er ſich nicht an den Papſt wendete, daß er jene Cardinäle ausdrücklich
bat, die Sache insgeheim zu betreiben, damit Nicolaus von ſeiner Lehr⸗
thätigfert überhaupt nichts erfahre; denn dieſem, ſagt er, würde es nicht
) Marini degli Archiatri pontif. T. I. p. 241. Tiraboschi erzählt uns
nach Antonio Corteſe's Antivalla msc., Valla habe den Auftrag des Papſtes,
die älteren Bullen zu ſammeln und zu ordnen, dazu benutzt, ſein Werk de donat.
Constant. weiter auszuführen, indeß ſcheint uns die Stelle wenigſtens, die Tiraboschi
wörtlich anſührt, noch kein vollgültiger Beweis und die Sache an ſich kaum haltbar.
314 V. Valla.
gefallen, wenn er ſich mit etwas Andrem beſchäftige als mit den ihm
aufgetragenen Ueberſetzungen.“) ü
Daß Valla in Rom von feinen mönchiſchen Feinden beunruhigt
wäre, davon hören wir kein Wort. Nur Poggio, ſein alter literari⸗
ſcher Geguer, war wüthend über ſeine Anſtellung: er ſah das Amt der
apoſtoliſchen Secretäre durch fie auf ewig geſchändet, ja er drohte ſogar,
er wolle ſelbſt in dem Werke, welches er eben unter der Feder habe,
auf Päpſte losziehen; denn durch Schmähungen und Satiren komme
man bei ihnen zu Anſehen, wie Valla's und Filelfo's Beiſpiel zeige.“)
Fazio, Valla's bitterſter Feind in Neapel, knüpfte von hier aus mit
Poggio ein Freundſchaftsbündniß an und ſpornte ihn nach Kräften, die
Bewerbung ſeines beneideten Nebenbuhlers um ein Curialamt zu ver⸗
eiteln.) Aber zu ihrem Aerger genoß Valla die Gunſt des Papſtes
ohne Wanken. Als er ihm den lateiniſchen Thukydides endlich über⸗
reichte, ſchenkte ihm Nicolaus mit eigener Hand 500 Scudi als Lohn.“)
Daß ſeine Stellung auch ſonſt eine glänzende war, das hören wir am
Toue der Ruhmespoſaune, mit welcher er die Wohlthaten vergalt.
Seine zweite Bearbeitung der Elegantien widmete er Tortello, der dem
Papſte näher ſtand als irgend ein andrer der Literaten; was er in der
Widmung an dieſen ſagte, war fo gut als dem Papſte ins Geſicht ge⸗
ſagt. Das heißt es nun: „Wo iſt ſeit vielen Jahrhunderten ein be⸗
lobterer und des Lobes würdigerer Mann erſtanden als unſer Aller
Vater und höchſter Prieſter, als Nicolaus V! Könnte man doch eben⸗
ſowohl ſagen, er ſei durch das Urtheil der geiſtvollſten Männer zu jener
Würde auserwählt, als er ſei für ſie geboren. Da Gott ihn uns gab,
hat er dieſes Jahrhundert einer beſondern Wohlthat gewürdigt; bleibt
er uns nur erhalten, ſo wird das Schickſal des kommenden Menſchen⸗
geſchlechts, ſoweit Menſchen darüber meinen dürfen, ein glückliches ſein.
Man kann nicht ſagen, ob ſeine Tugend oder ob ſein Anſehen unter
den Menſchen mehr hervorglänze. Und unter ſeinen Tugenden kann
man nicht ſagen, welche vor der andern den Vorzug verdiene, wenn
überhaupt eine hervorragt und wenn nicht eine jede von ihnen alle an⸗
dern in ſich ſchließt. Höchſtens könnte ein Jeder diejenige Tugend,
) Vallae Antid. in Poggium Lib. IV (Opp. p. 335. 348). Joh. Ant.
Vigerini Elogium Vallac bei Georgius Vita Nicolai V. p. 207.
2) Poggii epist. 57. im Spicileg. Roman. T. X.
) Sein Brief an Poggio bei Facius de vir. illustr. p. 81.
) Vallae Antid. in Poggium I. c. p. 385.
V. Valla. Tortello. | 315
welche er ſelbſt am meisten verehrt, ihm im höchſten Maße zutheilen,
wie du und ich etwa den Scharfſinn in allen Dingen, insbeſondere
aber in der Wiſſenſchaft. — — Göttlich fürwahr iſt in ihm die Schnel⸗
ligkeit und die Kraft des Geiſtes. Wie oft hat er nicht mit uns oder
mit andern Gelehrten, wenn er die Fluth der Geſchäfte abgeſchüttelt,
über wiſſenſchaftliche Dinge geſprochen! Ich will davon ſchweigen, wie
er durch Majeſtät und Anmuth der Rede, durch die Fülle der Kennt⸗
niſſe hervorleuchtet, wie er in allen Fächern heimiſch iſt, ſowohl in
den humaniſtiſchen, in der Geſchichte, Grammatik, Rhetorik, Philoſophie,
Poetik und Metrik, als in den göttlichen, in der Theologie, den Rech⸗
ten und jener Wiſſenſchaft, welche die Griechen Metaphyſik nennen.
Nichts iſt ſo hoch erhaben oder ſo tief verborgen, daß es ihn täuſchte;
nichts in den Wiſſenſchaften — und das iſt noch wunderbarer — iſt
ſo kleinlich und peinlich, daß es ihm entginge. Darum wandelt mich
niemals jo ſehr das Verlangen zu ſchweigen und nur aufzumerken an,
als wenn ich ihn ſprechen höre.“
Valla ſpricht gegen Tortello den Wunſch aus, er möge dem Papſte
dieſe Dedication nicht zeigen; denn nicht für dieſen ſelbſt, ſondern für
andre Leſer ſei das Lob beſtimmt. Nur wie die Alten einen Triumph⸗
bogen oder eine Säule mit dem Bilde einer Gottheit ſchmückten, ſo
habe er an die Spitze feines Werkes das Bild Nicolaus’ W ſtellen
wollen, damit von dieſem Bilde Zier und Majeſtät auf das Werk
ſelbſt herabſtrahle. Wie ernſtlich jener Wunſch gemeint war, das bezeugt
im Eingange des Widmungsbriefes ein andrer Wunſch: diefes Buch
möge in der Bibliothek des Papſtes feinen Platz finden und wenu die⸗
ſer es bisweilen aufſchlage, ſo werde das die ſchönſte Frucht des
Fleißes, die höchſte Belohnung des Verfaſſers ſein.)
Der genannte Giovanni Tortello, ein Aretiner von Geburt,
war dem Papſte im Bücherweſen das, was Piers da Noceto in den
Geſchäften war, der vertraute Diener, der immer zur Hand ſein mußte.
Schon als apoſtoliſcher Cubicularius ſtand er ganz in der Nähe der
päpſtlichen Perſon, ebenſoſehr aber als Präfect der päpſtlichen Biblio⸗
thek. Jene Stelle hatte er ſchon unter Eugen bekleidet, dieſe konnte
man unter einem Nicolaus wohl als Hofamt erſten Ranges bezeichnen.
Er war eine angeſehene Perſon, weil er die Liebhaberei des Papſtes
verwaltete. Uebrigens war er auch wiſſenſchaftlich ein Mann nach Ni⸗
) Dedication der Elegantien an Tortello (Va lla e Opp. p. 1).
—
316 V. Tortello. Aurispa.
colaus' Sinn: ſein Werk über Orthographie war ein herrliches Lexikon
für Bücherabſchreiber und Textesverbeſſerer. In der That befand ſich
die Rechtſchreibung der aus dem Griechiſchen abſtammenden Worte in
der wildeſten Verwirrung. Hier nun konnte, auch wer des Griechiſchen
nicht kundig war, ſich leicht nach der alphabetiſchen Ordnung zurecht⸗
finden und er hatte zugleich eine Encyklopädie, deren hiſtoriſche, mytho⸗
logiſche und geographiſche Notizen bequem zur Auslegung der alten
Schriftſteller dienten.) Dieſes Buch hat Tortello auf den ausprüd-
lichen Wunſch des Papſtes verfaßt. Im Uebrigen ſcheint er ſtill und
anſpruchslos nur den ihm anvertrauten Büchern gelebt zu haben.)
Giovanni Aurispa lernten wir oben als ein Glied des eſten⸗
ſiſchen Muſenhofes kennen. Nebenbei führte er den Titel eines apoſto⸗
liſchen Secretärs, hat dieſe Stelle vielleicht auch eine Zeit lang ver⸗
waltet. Doch müßte das unter Martin V geweſen fein, zu der Zeit,
als in Rom Valla fein Schüler im Griechiſchen war.“) Als aber
Nicolaus V den Stuhl Petri beſtieg, war Aurispa bereits ein Greis
von 78 Jahren, freilich ein rüſtiger Greis, der es zu 91 Jahren ge⸗
bracht hat. Was hätte ihn bewegen ſollen, ſein ſicheres Aſyl bei den
Eſte zu verlaſſen und gegen die römiſche Curie zu vertauſchen? Gewiß
iſt, daß er im Jahre 1450 in Rom war, daß der Papſt ihn in ſeiner
Würde als apoſtoliſchen Secretär beſtätigte und überdies mit einigen
Beneficien beſchenkte.) Daraus folgt indeß noch nicht, daß er ſich an
m
) Tortellii Commentariorum grammaticorum de Orthographia dictionum
e Graecis tractarum Opus. Die Ausgabe, die ich vor mir habe, erſchien Vicen-
tiae, 1479.
) Vespasiano: Giov. Tortello. Aeneas Sylvius Europa cap. 58.
Blondus Italia illustr. p. 309. Sabellicus Ennead X. Lib. IV. p. 687.
) Vallae Praefat. in Elegant. Lib. II (Opp. p. 42): uni mihi legebat.
Oeffentlicher Lehrer ſcheint demnach Aurispa in Rom nicht geweſen zu fein. Tira-
bos chi T. VI. p. 1469 vermuthet, er habe die Zeit von 1436 1450 ganz an der
Curie zugebracht, weil er ihn als apoſtoliſchen Secretär genannt findet, was indeß
oft ein bloßer Titel war. Als in Rom lebend wird er während jener Jahre nicht
erwähnt. Die Schülerſchaft Valla's ſpricht nicht dagegen; denn die enge Verbindung,
in welcher ihn dieſer a. a. O. mit Bruni nennt, der ſchon 1427 nach Florenz über⸗
ſiedelte, zeigt doch, daß hier von einer viel früheren Zeit die Rede iſt. Wohl im
Herbſte 1427 wurde Aurispa nach Ferrara berufen. Von hier aus folgte er dem
Griechenunionsconcil nach Florenz, ging aber nach Beendigung des Concils ſicher
nach Ferrara zurück und hatte hier ſein Domicil bis zu ſeinem Tode.
) Filelfo ſagt in einem Briefe an Aurispa v. 26. Novemb. 1450: fecit me
certiorem, te modo e Romana curia Ferrariam revertisse.
a ů —— —
V. Decembrio. Filelfo. 317
der Curie heimiſch machte. Er kam wohl nur, wie ſo viele andre, um
der päpſtlichen Gnade und Freigebigkeit zu genießen. Vielleicht auch betrieb
er an der Curie nur ein Geſchäft: er war einſt zum Prieſter geweiht
und ſogar zum Pfarrer deſignirt worden, hatte aber von einer Magd
einen Sohn und zwei Töchter, die er legitimirt wünſchte. Dieſe Bitte
hat ihm Nicolaus, in ſolchen Dingen ſehr nachſichtig, auch erfüllt.“)
Uebrigens war Aurispa nicht der Mann für den Papſt: ſein Verdienſt
und ſein Ruf ruhten auf ſeiner Lehrthätigkeit, er war kein Ueberſetzer
und wir hören auch nicht, daß Nicolaus ihm, wie er pflegte, einen
griechiſchen Autor zu dieſem Zwecke zuwies.
Dagegen wurde Pier-Candido Decembrio entſchieden ein
Mitglied der Curie. Er hatte, wie wir oben ſahen, zu Mailand dem
letzten Visconti in erträglicher Stellung gedient, die ihm nur durch
Filelfo's Feindſchaft verbittert wurde. Dann aber that er ſich als
hitziger Republicaner hervor und ſah ſich in der Folge genöthigt, den
neuen ſforzeschiſchen Hof zu meiden. Nicolaus V nahm ihn freund⸗
lich auf, gab ihm ein Secretariat, dann die Oberaufſicht über die Ab⸗
breviatoren und beſchäftigte ihn mit Ueberſetzungen, obwohl Decembrio
in keiner Weiſe zu den hohen Talenten zählte.“)
Aber auch in Rom traf Decembrio das Schickſal, den ihm ver-
haßten Filelfo wiederſehen zu müſſen. Dieſer hatte den Papſt gleich
Poggio ſchon im Hauſe Albergati's gekaunt und ihm, wie jedem Men⸗
ſchen, der ihm mittelbar oder möglicherweiſe in der Zukunft ein⸗
mal nützlich ſein konnte, einige Artigkeiten geſagt. Als Parentucelli
das beſcheidene Glück hatte, zum apoſtoliſchen Subdiakonus mit 300
Ducaten Sold ernannt zu werden, ſah Filelfo in ihm ſchon einen
Günſtling des Papſtes, der leicht zu einer angeſeheneren Stellung ge-
langen könnte, ſchon da bat er ihn, in dieſem Falle der Freundſchaft
nicht zu vergeſſen.) Wir wiſſen, wie nach wenigen Jahren Parentu⸗
celli Biſchof und Cardinal wurde, und dennoch leſen wir keine Gratu⸗
lationsbriefe Filelfo's an ihn. Die Verbindung war abgebrochen. Nach
dem Grunde dürfen wir nicht weit ſuchen, wenn wir uns erinnern, daß
jener damals mit der Curie in Florenz weilte, Filelfo aber im floren⸗
) Tiraboschi T. VI. p. 1479. 1457.
) Vergl. ſ. Briefwechjel mit Franc. Barbaro in deſſen Epistt. 226. 227 ed.
Quirino.
) Vergl. |. Briefe an Thomas von Bologna v. 6. und 9. Octob. 1440.
318 V. Nicolaus V und Filelfo.
tiniſchen Kreiſe das ſchlechteſte Andenken hinterlaſſen hatte und durch
ſeine Satiren fortwährend auffriſchte. Der Freund Niccoli's und Tra⸗
verſari's konnte die Schmähungen, die Filelfo auf dieſe gehäuft, ſo
leicht nicht vergeſſen. Erſt als er den Stuhl Petri beſtiegen, wagte
ſich ihm Filelfo mit einem Gratulationsſchreiben zu nähern. Er berief
ſich nun auf ihre Freundſchaft von damals, als er ſelbſt vor etwa
zwanzig Jahren in Bologna gelehrt und Parentucelli, mit ihm etwa
gleichalterig, ebendaſelbſt ſtudirt hatte. Ob deshalb der Umgang zwi⸗
ſchen dem gefeierten Profeſſor der Rhetorik und dem blutarmen Theo⸗
logen ſehr innig geweſen? Er wies den Papſt ferner an ſein eigenes
Herz, ob nicht ſeitdem die Liebe zu ihm, dem Filelfo, darin fortwäh⸗
rend gewachſen ſei; er verſicherte ſeinerſeits, daß ſein Vertrauen und
ſeine Verehrung gegen Parentucelli täglich in unglaublichem Maße ge⸗
ſtiegen ſeien. Auch des frommen Albergati ward gedacht, dem Parentu⸗
celli wie ein Sohn geweſen und der den Filelfo zu ſeinen Theuren
gezählt.) Es erfolgte auf dieſen Brief ſogleich ein Anerbieten des
Papſtes: Filelfo möge nach Rom kommen und dort auf eine Stelle
an der Curie und auf alle Gunſt rechnen. Ein Secretariat aber, für
welches Andre ſich als für ein ſchönes Geſchenk bedankten, war für
Filelfo's hohen Sinn allzu armſelig, er traͤumte bereits von ganz an⸗
dern Dingen. N
In dieſer Zeit nämlich ging Filelfo ein ſonderbarer Gedanke, der
ihn ſchon früher einmal heimgeſucht, von Neuem durch den Kopf.
Schon als ſeine erſte Gemahlin Theodora, die Tochter des Byzanti⸗
ners Joannes Chryſoloras, geſtorben war, hatte er ſich überlegt, ob
er nicht die Plagen und Eitelkeiten dieſer Welt von ſich werfen und
in den geiſtlichen Stand treten ſolle. Er trug ſein Verlangen Papſt
Eugen mit der Bitte vor, ihn „ſeiner Heerde anzuſchließen“. Damals
hätte er auch ohne den Papſt ſeinem Drange Genüge thun können, wir
ſehen aber wohl, daß er ſeine glänzende weltliche Stellung doch nur
gegen eine nicht minder glänzende geiſtliche zu vertauſchen wünſchte.
Eugen gab ihm keine Antwort, der Plan des Dichters erſchien ihm
wohl ganz unſinnig und albern. Filelfo ließ ihn gleichfalls fahren
und heirathete Orſina Osnaga, eine edle Mailänderin, die ihm im
Laufe der Jahre, zu ſeiner ſchon anſehnlichen Schaar von Kindern der
1) Filelfo's Brief an Papſt Nicolaus vom 8. April 1447. Am 6. März war
Nicolaus' Erhebung aus dem Conclave verkündet worden.
v. Nicolaus V und Filelfo. 319
erſten Ehe und von unehelichen, noch drei Mädchen uud einen Sohn
ſchenkte. 1
Nun wollte es das Unglück, daß gerade zu der Zeit, als in Mailand
die republicaniſchen Parteien am wildeſten tobten und alle Staatsord⸗
nung über den Haufen zu werfen drohten, auch jene Orſina ſterben
mußte. Wiederum wandelte den verwittweten Dichter der fromme Ge—
danke an. Jetzt aber war der Fall nicht mehr ſo einfach; eine zwei⸗
malige Ehe iſt nach dem kanoniſchen Recht ein Hinderniß der Weihe,
welches nur eine apoſtoliſche Dispenſation wegräumen kann. Um eine
ſolche bat Filelfo den Papſt Nicolaus, dem es eher zuzutrauen ſchien
als feinem Vorgänger, daß er einem fo gefeierten Gelehrten die Wür-
den der Kirche öffnete. Es dürfte unerhört ſein, daß eine Supplication
der Art in Hexametern an den Papſt gebracht worden iſt: Filelfo reihte
die beiden Gedichte, in denen er um Beſeitigung jener Irregularität
bat, feinen Satiren an), in deren erſten Büchern wir die ſchandhafte⸗
ſten Ausfälle gegen ſeine Feinde, gegen Coſimo de' Medici, Niccoli,
Poggio und andre leſen. Er verſicherte nun, daß ſeit feinen Knaben—
jahren immer eine heftige Gluth ihn getrieben, der eitlen Welt zu ent—
ſagen und ſich ganz Chriſto zu weihen, den er beiläufig als Lenker des
Olympos bezeichnet. Dann werde feine Muſe, die bisher nur in dun—
keln Thälern getändelt, von den höchſten Höhen herab ihre Stimme
erſchallen laſſen und Nicolaus Mund den apoſtoliſchen Thron lobprei⸗
fen. Die Stacheln des Fleiſches habe er mit keuſcher Sorge durch
Faſten gebändigt und das Alter habe ſie jetzt vollends von ihm genom⸗
men. Er wolle dem apoſtoliſchen Stuhle treu und gehorſam in jeden
Kampf und Tod gehen, den man ihm anweiſen werde. Auch werde
der Name Filelfo's den kommenden Geſchlechtern kein geringes Beiſpiel
und Vorbild zur Ehre des Glaubens ſein.
Wir haben von Filelfo in Florenz und in Mailand ſchon manche
Aeußerung gehört, die ſein hohes Selbſtbewußtſein verkündet. Aber
ſeinen kühnſten Gedanken deutet er doch in dieſen Satiren an. Er
hatte ſich wahrhaftig in den Kopf geſetzt, der Papſt könne ihn zu nichts
Geringerem als zum Cardinal machen, und dann ſtand ihm der Weg
) Es find Satyr. Dec. IX, hec. 8. und Dec. X. hec. 4, beide an den Papft
gerichtet. Die Zeit ſchließe ich aus der Reihenfolge der Satiren. Der äußerſte Ter⸗
min wird durch die Notiz beſtimmt, die ſich auch in den Drucken am Schluſſe der
Satiren findet, Filelfo habe am 1. Decemb. 1448 die letzte Hand an ſie gelegt.
390 V. Nicolaus V und Filelfo.
zum apoſtoliſchen Thron offen, dann war für ihn und ſeine Kinder
geſorgt. Wir dürfen nur die Zumuthungen, die er Nicolaus vorlegt,
zuſammenhalten und ein wenig den Filelfo kennen, um aus ihnen den
Purpurgedanken herauszuleſen. Als gemeinen Soldaten, ſagt er, werde
ihn der Papſt nicht in die Reihen der Kirche ſtellen wollen. Was
könne er da nützen? Gehorchen habe er längſt gelernt; die Leſung der
heiligen Schrift und der edelſten Lehrer der Kirche in lateiniſcher und
griechiſcher Sprache habe ihn in die Tiefen des Glaubens eingeweiht.
Darum möge ihm der Papſt nur (damit Filelfo ſich darnach zu ent⸗
ſchließen wiſſe) den beſtimmten Rang bezeichnen, den er ihm anzu⸗
weiſen gedenke. Er wolle gern immer und täglich mit ihm vereinigt
fein. ') | j 5
Wahrſcheinlich hat Nicolaus über den humaniſtiſchen Cardinal mit
den vielen Kindern gelacht und ihn keiner Antwort gewürdigt. Filelfo
wartete vergebens, wurde ungeduldig, ſchlug ſich den rothen Hut aus
dem Sinn und nahm eine dritte Gattin.
Im Jahre 1453 gelang es Filelfo nicht ohne Mühe, ſich von ſei⸗
nem Herrn, dem mailändiſchen Herzog, einen Urlaub auszumitteln: er
wollte den Band ſeiner Satiren, der jetzt in ſeiner Abrundung 10,000
Verſe umfaßte, dem Könige Alfonſo von Neapel überreichen. Vor ſei⸗
ner Abreiſe erhob er von den mailändiſchen Freunden die Unfterblich-
keitsſteuer, um ſich auszurüſten, dann ſammelte er ſie von den Fürſten
ein, durch deren Gebiet er ritt und deren Reſidenzen er mit ſeinem
Beſuche beehrte. Am 18. Juli, bald nach der Mittagszeit, traf er er⸗
müdet in Rom ein. Noch hatte er nie die Weltſtadt geſehen, dennoch
widmete er ihr nur wenige Blicke und gedachte gleich in der Frühe des
nächſten Morgens gen Neapel weiterzureiſen. Ohne Zweifel verſah er
ſich vom Papſte nichts Gutes. Aber ſeine Ankunft war doch ſchon
ruchbar geworden. Am Morgen, als er eben fein Pferd beſteigen wollte,
kam Flavio Biondo, ihn zu begrüßen, er konnte ſich nicht genug wun⸗
) At postquam sanctae statuis me, maxime Praesul,
Scribere militiae, scribas, precor, ordine certo.
Nam quod grande potest obiisse gregarius ullum
Miles opus, qui dicta modo imperiumque capessat?
Da, Pater, ut toto tibi pectore jungar et om ne
Tecum tempus agam.
Schon Eugen IV hatte er gebeten: jungat gregi suo per florea prata.
V. Nicolaus V und Filelfo. 321
dern, daß Filelfo darauf beſtand, erſt auf der Rückreiſe ſich dem Papſte
vorzuſtellen. Nicolaus hatte fchon am Abend vorher viel und gnädig
von Filelfo geſprochen, ihn ſeinen alten Freund genannt. Dennoch
traute Filelfo nicht. Erſt als Piero da Noceto kam und ihn ſcher⸗
zend am Arm davonführte, ließ er ſich williger vor Seine Heiligkeit
führen.
Nicolaus war in ſeiner beſten Laune. Was Filelfo ſeinen floren⸗
tiniſchen Freunden angethan, was er ihm ſelbſt für wunderliche Anträge
gemacht, Alles vergaß er. Der Dichter hätte ſich keinen ehrenvolleren
und freundlicheren Empfang wünſchen können. „Ei Meſſer Francesco,
redete ihn der Papſt an, Wir haben Uns über Euch gewundert, daß
Ihr hier in Rom ſeid und Uns nicht beſucht habt!“ Filelfo entſchul⸗
digte ſich, er habe ſeine Rückreiſe dazu benutzen wollen. Der Papſt
aber fragte ſogleich nach ſeinen Arbeiten und als er von dem ſtarken
Bande der Satiren hörte, wollte er ſie durchaus erſt leſen. Neun
Tage lang mußte Filelfo in Rom verweilen, während ſich der Ober-
hirt aller Gläubigen mit Behagen in die literariſchen Schandgeſchichten
vertiefte.) Als der Papſt ihm das Buch zurückgab, überhäufte er ihn
mit Lob, ſprach lange über die Zeit, wo ſie ſich zuerſt kennen gelernt,
über ihre beiderſeitigen Schickſale und warf ihm dann mit milden Wor⸗
ten vor, warum er nicht eine Stelle an der Curie angenommen habe,
die er ihm doch gleich nach ſeiner Stuhlbeſteigung anbieten laſſen. Als
Filelfo einwendete, er ſei dem Herzoge von Mailand zu großer Dank⸗
barkeit verpflichtet, machte ihm der Papſt ſofort einen neuen Antrag:
er hoffe ihn von dem befreundeten Fürſten als ein Geſchenk loszubitten,
dann wolle er ihm das Amt eines apoſtoliſchen Schreibers ſchenken
und 600 Ducaten jährlichen Soldes zuweiſen, wofür Filelfo nur die
Verpflichtung übernehmen möge, in ſeinen Mußeſtunden irgend ein
ſchönes Werk aus dem Griechiſchen zu überſetzen. Vom rothen Hut
konnte natürlich keine Rede mehr ſein. Beim Abſchied aber drückte der
Papſt dem überraſchten Dichter einen Beutel mit 500 Ducaten in die
Hand: „Da, Meſſer Francesco, dies Geld will ich Euch geben, damit
Ihr auf der Reife davon leben könnt!“ Filelfo bedankte ſich tauſend⸗
mal, der Papſt indeß fügte zu jenem Pfande der erneuten Freundſchaft
— — — —
) Filelfo's Brief an Niccolo d'Arzimboldi, den mailändiſchen Rath, d. Rom
25. Juli 1453. Ves pasiano: Nicola V Papa $ 27, F. Filelfo 5 3.
Voigt, Humanismus. 21
322 V. Nicolaus V und Filelfo.
noch hinzu, in drei Jahren gedenke er ſo für ihn zu ſorgen, daß weder
er noch feine Nachkommen jemals Noth leiden ſollten.)
Die Ernennung zum apoſtoliſchen Secretär erfolgte ſchon am
1. September 1453. Der Plan aber, den Seine Heiligkeit noch im
Buſen zurückbehielt, und über dem er dann geſtorben iſt, war eine
glänzende Anwerbung Filelfo's zum Ueberſetzen der homeriſchen Ge⸗
ſänge, über welche wir ſpäter noch das Nähere mittheilen werden.
Welches Aufſehen es unter den Literaten Rom's machte, daß der
Papſt dem verhaßten Filelfo ſolche Gunſt erwieſen! Die 500 Ducaten
gingen von Munde zu Munde, dazu die Ertheilung des Secretariates.
Decembrio, der alte Nebenbuhler, brannte vor Neid, Poggio vor Aer⸗
ger.) Der glückliche Dichter aber, der ſich das Wohlwollen des frei⸗
gebigſten Mäcen ſo leicht auf der Durchreiſe erworben, war nun auch
befliſſen, es ſich zu erhalten. Nach Mailand zurückgekehrt, ſchickte er
dem Papſte zunächſt ſeine Ueberſetzung der lakoniſchen Apophthegmen
Plutarchs mit einer Dedication voll wohlberechneter Schmeicheleien.
„Alle tüchtigen Männer kommen zu dir. Was ſich immer durch
Geiſt, Beredtſamkeit oder in irgend einer der eleganten Künſte aus⸗
zeichnet, ſtrömt zu dir. Du aber als ein Mann von großartigem und
freigebigem Sinne vernachläſſigeſt keinen, du nimmſt alle gern auf, du
zeigſt dich gegen alle höchſt freigebig. —. — Du nützeſt allen ſowohl
durch das Vorbild deines Lebens als durch deine Großartigkeit im
Schenken.“) Dann fing Filelfo gar an, ein Leben des Papſtes zu
ſchreiben, und überſandte dieſem das erſte Buch. Zwar iſt uns dieſe
Schrift nicht durch den Druck zugänglich geworden, aber wir kennen
hinreichend den marktſchreieriſchen Ton, den Filelfo in ſolchen Fällen
bis zum Unſinn zu ſteigern pflegt. Seine Feinde verſicherten ſpäter,
der Papſt habe das Buch ſo albern gefunden, daß er es vor den Augen
des Verfaſſers dem Feuer übergab, ihm verächtlich den Lohn hinwarf
und verbot, weiter daran zu ſchreiben.) Das iſt nun zwar handgreif⸗
) Philelf i epist. XXVI, 1. an Lodriſio Crivelli. Ves pas iano II. cc.
2) Vergl. den Brief des Pier⸗Candido (Decembrio) an Poggio v. 11. Auguſt
1453 und Poggio's Antwort bei Ros mini l. c. T. III. p. 150, ferner Po ggii
epist. 57. an Piero da Noceto im Spicileg. Roman. T. X.
) Dieſe Praefatio iſt den Ausgaben der Reden Filelfo's beigefügt.
)Es iſt dies eine Invectiven⸗Nachricht, die wir im Briefe des Goro Lolli
an den Cardinal von Pavia leſen und zwar in den Werken des letzteren, die mit
Pii II Comment. etc. Francofurti, 1614 gedruckt find, p. 493. Vergl. File lfo's
Brief an Crivelli a. a. O.
V. Der Hellenismus. 328
lich erlogen, da Filelfo das Werk erſt nach feiner Rückkehr und in
Mailand ſchrieb, den Papſt aber ſeitdem nicht wiederſah. Indeß glau⸗
ben wir, daß Nicolaus ſtatt der plumpen filelfiſchen Schmeicheleien
lieber eine Ueberſetzung gehabt hätte. Wenn Filelfo zu jenem erſten
Buche das zweite nicht ſchrieb, ſo lag der Grund offenbar im Tode des
Papſtes, der in Filelfo's Buſen das ſtürmiſche Gefühl der Dankbarkeit
ſchnell erkalten machte.) Doch iſt ihm Nicolaus V immer das Ideal
eines Papſtes geweſen und vieren feiner apoſtoliſchen Nachfolger nal er
es als Muſter en,
Haben wir nun aus der Schaar der italieniſchen Gelehrten, die
der Hof Nicolaus’ V verſammelte, nur die berühmteren Namen her⸗
vorgehoben, ſo wird das noch nothwendiger ſein, wenn wir von den
Griechen ſprechen, die hier ein Aſyl fanden. Doch iſt zuvor ein Ver⸗
ſäumtes nachzuholen. Wir haben bisher nur beiläufig Gelegenheit ge⸗
funden, der helleniſchen Literatur zu gedenken, wie auch ſie aus
ihrem Schlummer erweckt und von Neuem den Geiſtern zugeführt
wurde. Der Einfluß, den die neuentdeckte Griechenwelt während des
erſten Jahrhunderts, alſo etwa von der Zeit Petrarca's bis zu der
Nicolaus’ V, auf das Abendland übte, iſt auch gar zu gering. Nur
ſchwach und aus der Ferne begann der helleniſche Geiſt auf den latei⸗
niſch⸗humaniſtiſchen zu wirken, mühſam mußte hier jeder Schritt der
Kenntniß und Erkenntniß errungen werden, weil das Medium, welches
zur Vermittelung berufen war, ein ſo mattes und trübes, weil die By⸗
zantinerwelt eine ſo entgeiſterte und abgelebte war. Es würde uns auf
ein entlegenes Gebiet führen, wollten wir das an den einzelnen Glie⸗
dern jenes alternden Organismus nachweiſen, ſo mögen uns denn die
literariſchen Repräſentanten deſſelben, die ſich im Abendlande ſehen lie-
ßen, als beweiſende Beiſpiele dienen.
Die Kenntniß der griechiſchen Sprache iſt in Italien zu keiner
Zeit völlig ausgeſtorben geweſen, gleichwie ſich immer einer fand, der
Cicero und Livius las oder der Hebräiſch verſtand. Hier aber kaun
) Vergl. zwei Briefe Filelfo's an Blaſio Ghilini aus den Jahren 1462
und 1464 in Domin. Georgii Vita Nicolai V. Praefat. p. XIX.
21 *
324 V. Der Hellenismus.
es nicht darauf ankommen, von den in Unteritalien hauſenden Griechen,
von den Ueberſetzungen des Ariſtoteles und Galenos, die das Bedürf⸗
niß der Schulen, oder einzelner Werke des h. Chryſoſtomos und Ma⸗
karios, die das Bedürfniß der Kirche erzeugte, oder von einzelnen Ken⸗
nern der griechiſchen Grammatik zu reden.) Unſer Intereſſe beginnt
erſt da, wo die Begeiſterung für die Werke der griechiſchen Literatur
wenigſtens dunkel aufſteigt, wo ſehnſüchtige Geiſter eine Ahnung von
ihrer Würde empfinden. Das aber iſt erſt geſchehen, ſeitdem Italien
die neue Pflegeſtätte auch des Hellenismus wurde.
Barlaam und Leontius Pilatus, fo lieſt man wohl in alten Bü⸗
chern, waren die erſten Griechen, welche nach Jahrhunderten wieder die
griechiſche Sprache im Abendlande lehrten, Petrarca und Boccaccio ihre
Schüler. Wir prüfen das Verhältniß dieſer Männer zu einander, es
iſt gleichſam ein vorbildliches. Wie damals, ſo ſtellte es ſich in der
ganzen Entwickelung heraus, daß der neuerſtandene Hellenismus dem
griechiſchen Volksſtamme nicht mehr verdankt als der kräftige, ſtattliche
Baum dem fauligen Stoffe, der einſt zu ſeiner Ernährung beigetragen.
Auch iſt es ein vielverbreiteter Irrthum, als habe ſich in Calabrien
mit dem griechiſchen Blute und mit den Reſten des griechiſchen Cultus
noch ſo viel Kenntniß der griechiſchen Sprache erhalten, daß von hier
die Neubelebung der helleniſchen Literatur hätte ausgehen können. Bar⸗
laamo und Pilato hatten ihre Weisheit zuverläſſig aus Byzanz geholt
und die griechiſche Sprache erſt auf griechiſchem Boden gelernt.
Barlaamo nämlich wie Pilato waren keine Griechen, nur Schwind⸗
ler, die ſich gern für Griechen ausgaben. Jener ſtammte gewiß aus
dem calabriſchen Seminara und auch dieſen bezeichnet Petrarca als
einen Calabrefen”), obwohl Boccaccio ſich von ihm einreden ließ, er
ſei in Theſſalonike geboren.) Wie dieſe Menſchen ihr Vaterland ver⸗
leugneten, ſo zeigt auch der bloße Umriß ihres Lebens und die Miß⸗
achtung derer, die als ihre Schüler von vornherein eher zur .
rung geneigt hätten, welche elenden Charaktere ſie waren.
) Darüber mag im Allgemeinen auf Tiraboschi T. V. p. 674 verwieſen
werden. Auch findet man eine brauchbare Ueberſicht (Della letteratura greca in
Italia etc.) bei Baldelli Vita di Giov. Boccacci. IIlustraz. I. p. 221 e seg.
) Epist. rer. senil. III, 6 (Opp. p. 857) an Boccaccio v. 1. März (1364).
) Geneal. Deor. XV, 6. Es könnte leicht fein, daß Boccaccio von einem
Theſſalier ſprechen will; denn auch Petrarca jagt, er habe ſich für einen Thessalus
ausgegeben. ö
v. Barlaamo und Petrarca. 325
Der Name Barlaamo's würde ohne ſeine flüchtige Berührung
mit Petrarca kaum der Erwähnung werth ſein. Um Glück und Ehre
zu ſuchen, als ein Abenteurer, ſicher aber nicht in der Abſicht, die
griechiſche Sprache zu lernen, trat er noch jung in den Orden des h.
Baſilius, ging nach Konſtantinopel und machte ſich hier auf einem
theologiſchen Lehrſtuhl breit. Zu den Unterhandlungen gezogen, die
Kaiſer Andronikos 1339 mit Papſt Johannes XXII über die Reunion
der griechiſchen Kirche mit der lateiniſchen anknüpfte, um gegen den
drohenden Türkenſturm eine Hülfe zu finden, trat Barlaamo als ge⸗
lehrter Vertheidiger der griechiſchen Dogmen gegen die lateiniſchen Ge⸗
ſandten auf. Dann zankte er, ſich Jahre lang mit den Mönchen vom
Athos über die große Streitfrage der byzantiniſchen Theologenwelt,
über das Licht vom Thabor, ob es ein göttliches oder nur ein gottge⸗
ſchaffenes geweſen, machte aber durch dieſe Parteinahme ſeinen ferneren
Aufenthalt in Konſtantinopel unmöglich. Nun verſuchte er ſein weiteres
Glück in Italien, ausgerüſtet mit Zeugniſſen des Kaiſers und andrer
griechiſcher Fürſten über ſeine Gelehrſamkeit, Zeugniſſen, die uns wenig
bedeuten würden, wollten wir ſie auch für echt halten. Um ſich zum
Biſchofe zu eignen, widerrief er ſeine griechiſchen Ketzereien und ſchrieb
ſogar gelehrte Werke zur Vertheidigung der lateiniſchen Kirche gegen
ſeine angeblichen Landsleute, das erſte, dann oft genug wiederholte Bei⸗
ſpiel einer verächtlichen Apoſtaſie.) So traf er 1342 in Avignon mit
Petrarca zuſammen. An Barlaamo's theologiſchem Kram, an ſeinen
mathematiſchen und philoſophiſchen Schuldisciplinen konnte dem begei⸗
ſterten Jünger des Alterthums nichts liegen, der aufgeblaſene Halb⸗
grieche war ihm zuwider. Er wollte Griechiſch von ihm lernen, der
Lehrer aber konnte es nicht dahin bringen, ſich in der lateiniſchen
Sprache mit erträglicher Leichtigkeit auszudrücken. Dennoch hätte Petrar⸗
ca's Feuereifer dieſe Hemmniſſe wohl überwunden, wenn nicht, nachdem
er kaum die Elemente gelernt, der Lehrer geſtorben wäre.) Wahrlich
nicht dieſer, Petrarca ſelbſt mit ſeiner tiefen Sehnſucht nach der Sprache
Homers war unter den Neueren der erſte Freund des ehrwürdigſten
1) Tiraboschi T. V. p. 681. 687.
2) S. oben S. 29. Petrarca de contemptu mundi Dial. II (Opp. p. 390).
Auch in einem ungedruckten Briefe an Boccaccio bedauert er 1361, daß er nicht
mehr gelernt und nur ein elementarius Grajus geblieben. Tirabos chi l. e
p. 696.
326 v. Pilato und Boeeaccio.
Sängers, der eigentliche Wiedererwecker der griechiſchen Literatur über⸗
haupt.
Boccaccio, durch ſeinen großen Freund angeregt und fortwährend
geſpornt, war im Erlernen des Griechiſchen ein wenig glücklicher. Wohl
ſchon zu Neapel hatte er ſich die Elemente dieſer Sprache angeeignet.
Dann kam Leonzio Pilato, der nach ſeiner eigenen Ausſage ein
Schüler Barlaamo's war, 1360 nach Venedig, um gen Avignon zur
päpſtlichen Curie weiterzureiſen. Boccaccio wußte ihn nach Florenz zu
ziehen, beherbergte ihn hier in ſeinem eigenen Hauſe und ſetzte es mit
vieler Mühe durch, daß Pilato unter die Doctoren der Hochſchule auf⸗
genommen und mit einem Staatsſold als Lehrer der griechiſchen Sprache
und insbeſondre als Erklärer Homers angeſtellt wurde. Boccaccio war
nun, wie er mit einem ihm ſonſt nicht geläufigen Stolze ſagt, der Erſte
unter den Italienern, dem privatim die Iliade erklärt wurde, der
nun aus dem Quell ſchöpfen konnte ſtatt aus dem Bache, der ſeine
Werke mit Citaten aus einem griechiſchen Autor zu ſchmücken wußte,
der erſte Begründer eines öffentlichen Lehrſtuhls für griechiſche Sprache,
der erſte Gaſtfreund der griechiſchen Muſe in Italien. Er verſchaffte
ſich ein Exemplar der homeriſchen Geſänge und gab ſich ihnen drei
Jahre lang mit dem ängſtlichen Fleiße des Schülers und doch mit
wahrhafter Andacht hin. Sorgſam ſchrieb er ſich alle die Notizen auf,
die aus dem Munde des griechiſchen Lehrers floſſen.). Von welcher Art
ſie waren und mit welcher Dreiſtigkeit der unwiſſende Grieche die Wiß⸗
begierde des Schülers befriedigte, ſehen wir aus den Albernheiten in
Boccaccio's Mythologie, als deren Autorität eben Pilato angeführt
wird. Fragte der Schüler zum Beiſpiel, woher der Name des Achil⸗
lens komme, fo erwiederte ihm der weiſe Grieche: von -u ns, fo
daß Achilleus einen bedeute, der ohne Futter aufgewachſen iſt.
Der Pfſeudo⸗Grieche hatte in Florenz nicht lange Ruhe, er ging
nach Venedig, wo er mit Petrarca zuſammentraf, und dann nach Kon⸗
ſtantinopel zurück. Petrarca wollte es mit ihm verſuchen, aber es ge⸗
hörte Boccaccio's Geduld dazu, um die widerhaarige Perſönlichkeit zu
ertragen. Den reizbaren Petrarca ärgerte es ſchon, daß ſich der Ca⸗
labreſe für einen Theſſaler ausgab, „als ſei es edler, ein Grieche zu
ſein als ein Italiener.“ In Griechenland, meinte er, wird ſich dieſer
Menſch wohl als Italiener gebärden. Auch hörte man ſpäter ee
— |
\
!
) Boccatii de Geneal, Deor. XV, 6. 7.
V. Pilato. N 327
daß Pilato, der in Italien, um den echten Griechen vorzuſtellen, weid⸗
lich auf das Abendland und auf die Lateiner geſchimpft!), in Konſtan⸗
tinopel auf dieſe Stadt leszog und Italien als ein Paradis rühmte.
Petrarca ſchildert ihn als einen mürriſchen, trübſinnigen Cyniker mit
wildem Haar und unreinlichem Bart. Dieſer Leo, ſagt er wortſpielend,
iſt doch wirklich in jeder Hinſicht ein großes Vieh.)
Wir müſſen immerhin von dieſer Schilderung einen Theil auf
Petrarca's üble Laune rechnen, weil Pilato bei dem Erlernen der la⸗
teiniſchen Sprache einen harten Kopf und für die römiſche Literatur
lein Intereſſe zeigte, weil höchſtens die Scherze des Terentius ihm ein
plumpes Lächeln abnöthigten. Er hatte doch unter Boccaccio's milde⸗
rer Anregung eine nützliche, wenn auch wahrlich nicht geiſtvolle Thätig⸗
keit entfaltet. Damals überſetzte er in Florenz den ganzen Homer.
Zwar gab es ſchon früher einen lateiniſchen Homer, deſſen Verfaſſer
wir nicht kennen und den man damals tollerweiſe einem Pindar von
Theben zuſchrieb, aber er wollte den Bewunderern nicht genügen. Die
Uebertragung Pilato's war ſchülerhaft wörtlich und offenbar auf Ler⸗
nende berechnet; ſie zeigt aber doch, wie elend er im lateiniſchen Aus⸗
drucke ſtümperte.) Boccaccio ſchrieb fie ſich mit eigener Hand ab und
Petrarca, der zu ſeinem griechiſchen Homer auch einen lateiniſchen zu
beſitzen wünſchte, borgte das Exemplar vom Freunde, um für ſich eine
Copie nehmen zu laſſen.) Jener las den griechiſchen Homer mit
) Wahrſcheinlich war er es, der in Petrarca's Gegenwart die Meſſe hörte und
verächtlich ſagte: ich kann dieſe Poſſen der Lateiner nicht ausſtehen! Petrarca epist.
rer senil. VII. 1 (Opp. p. 912.) N
) Petrarca an Boccaccio v. 1. März (1364) a. a. O. cf. epist. rer. senil.
V, 4 (Opp. p. 886). Aehnlich ſchildert ihn Boccaccio a. a. O. cap. 6.
) Zur Probe mag aus dem Wenigen, was Mehus Vita Ambr. Travers.
p. 273. und Baldelli vita di Giov. Boccacei p. 264 mittheilen, der Anfang der
Iliade dienen:
Iram cane Dea Pelidae Achillis
Corruptibilem, quae innumerabiles Graecis dolores posuit.
Multas autem robustas animas Inferno antea misit
Heroum: Ipsorum autem cadavera ordinavit canibus
Avibusque omnibus. Jovis autem perficiebatur consilium,
Ex quo jam primitus separatim litigaverunt
Atridesque Rex Virorum et Divus Achilles.
) Petrarca epist. rer. senil. III, 6. V, 1. VI, 1. 2 (Opp. p. 857. 876.
892. 893). Wenn in dieſen Briefen nur von der Ilias und einem Theile der
Odyſſee in Pilato's Ueberſetzung die Rede iſt, jo hat Hodius de Graecis illustr.
398 V. Der Hellenismus zur Zeit Petrarca’s.
Hülfe des lateiniſchen und auch dann noch mit kämpfender Anſtrengung,
Petrarca allein in dieſer erbärmlichen Ueberſetzung. Schon daraus iſt
erklärlich, daß ſie die Schönheit des Dichters mehr auf Treue und
Glauben Cicero's hinnehmen mußten als wirklich empfinden konnten.
Als greifbares Reſultat ſtellt ſich uns nicht viel mehr heraus als der
Zuwachs von mythologiſchen und antiquariſchen Kenntniſſen. Aber ein
Reſultat iſt auch die geſteigerte Anregung, der begehrende Drang nach
der Literatur und Kunſt der Hellenen. Wenn Petrarca einen ſeiner
ſehnſüchtigen Briefe an Homeros richtete, wenn er ſich durch Pilato
und Sigeros um die Werke des Heſiodos, Sophokles und Euripides
bemühte, wenn Boccaccio den kühnen Plan faßte, auch Werke Platon’s,
die Petrarca ſich zu verſchaffen gewußt, ins Lateiniſche zu überſetzen !),
ſo iſt zwar aus dem Allen keine unmittelbare Frucht erwachſen, aber
doch ein fruchtbarer Same in den Schooß der Zukunft geſtreut.
Petrarca rechnete in dem an Homeros gerichteten Briefe vom Jahre
1360, wie viele Freunde der Dichter wohl damals in Italien haben
mochte: es waren drei, höchſtens fünf in Florenz, zwei in Verona, einer
in Bologna, der Mutter der Studien, in Mantua vielleicht einer, in
Rom kein einziger!) Zu den »Freunden“ rechnet er dabei auch ſolche
Verehrer, die vom Griechiſchen ſo wenig verſtanden wie er ſelber.
Ja es ging mit den griechiſchen Studien nur langſam und ſchwer⸗
fällig vorwärts, nicht entfernt mit den Schwingen des Eifers, auf
welchen die lateiniſche Eloquenz ihren Flug durch die apenniniſche Halb⸗
inſel nahm. Wäre nicht das Lob, welches die alten Römer den Grie⸗
chen ſo reichlich gezollt, ein immer neuer Sporn geweſen, die Exem⸗
plare, die man in Italien zuerſt zu Geſicht bekam, waren wahrlich nicht
geeignet, das alte Vorurtheil gegen dieſe Schismatiker zu widerlegen.
Es ging wie im alten Rom: man verachtete dieſe Graeculi, aber man
verehrte ihre großen Ahnen. Schon Petrarca gebraucht wieder jenen
p. 10 doch erwieſen, daß Pilato auch die ganze Odyſſee überſetzt. — Es iſt von Pe
trarca wohl ein wenig Ruhmrednerei, wenn er epist. rer. senil. XV, 1 (Opp.
p. 1048) kurzweg von Homer ſagt: mea ope et impensa factus est latinus.
„) Nach einem ungedr. Briefe Petrarca's an Boccaccio bei Ti raboschi 1.
V. p. 696.
2) Der Brief bei de Sade Mémoires T. III p. 627. Wer jene Männer ge
weſen find, überlegt de Sade p. 501, gründlicher Tir a bosch i T. V. p. 690 und
Baldelli p. 258 e seg. N
V. Die Griechen und die Lateiner. 329
Spottnamen und hielt die Byzantiner für ein ſtabiles und verdumpftes,
aber deſto anmaßenderes Volk.)
Der griechiſche Lehrſtuhl zu Florenz ſtand ſeit Pilato's Abreiſe
(1364) unbeſetzt, bis 1396 Chryſoloras berufen wurde. Wir treten
nun in den Zeitraum, deſſen Erſcheinungen wir oben ſchon geſchildert,
und dürfen daher nur andeutungsweiſe die wichtigſten Momente wieder⸗
holen. Des Chryſoloras Perſönlichkeit erſchien ungleich achtungswerther
als die der Calabreſen und die der ihm nachfolgenden Landsleute, aber
auch auf ihr haftet der widerliche Fleck der Apoſtaſie: um ſich als ge⸗
treuen Anhänger der römiſchen Kirche zu beweiſen, verfaßte auch er
eine Streitſchrift in ihrem Sinn über das Ausgehen des heiligen
Geiſtes.)
Etwa zur Zeit des piſaniſchen Concils erſchien an der Curie zu
Bologna ein griechiſcher Geſandter, Namens Joannes: er ſtolzirte in
prachtvollen und immer wechſelnden Kleidern umher und diente den
Curialen nur zum Geſpött. Als Lionardo Bruni ſich erkundigte, ob
er wohl auch griechiſche Bücher mitgebracht, hieß es, die ſeien als zu
ſchwere Waare daheim gelaſſen. Dagegen erregte ebendaſelbſt der junge
Guarino von Verona Aufſehen, der mit jenem Geſandten aus Byzanz
gekommen war und ſich dort Bücher wie Sprachkenntniſſe in Fülle er⸗
worben hatte.) So ungefähr iſt das Verhältniß, zwiſchen den gebore⸗
nen Griechen und den griechiſch-lernenden Lateinern geblieben. Immer
haftete an jenen der Fluch der Lächerlichkeit: wer ſie nur ſah, machte
ſich über ihre langen Bärte, ihr verwildertes Haupthaar, ihre gemalten
Augenbrauen, ihren Kopfputz, ihre langen bauſchigen Gewande, über
die komiſche Tonſur ihrer Mönche und dergleichen luſtig. Man fand
immer, daß ihre aufgeblaſene Würde gar zu ſehr mit ihrer Beſchränkt⸗
heit contraſtire.)
Das Unionsconcil, welches 1438 zu Ferrara eröffnet wurde, hat
für die literariſche Verbindung Italiens mit Griechenland Epoche ge⸗
macht. Es fiel genau in die Zeit, in welcher der Humanismus Ita⸗
liens ſich in ſeiner jugendlichſten Kraft fühlte. Die byzantiniſche Kirche
hatte zum bevorſtehenden Glaubenskampfe ihre trefflichſten Gelehrten
N ) Petrarca epist. rer, senil. VII. 1 (Opp. p. 912.)
) Hodius J. c. p., 20 erwähnt dieſes in Paris handſchriftlich vorhandene Werk.
) Leon. Bruni epist. III, 14. 15.
) Vergl. Lapo da Caſtiglionchio bei Hodius de Graecis illustr. p. 31.
330 V. Die Griechen und die Lateiner.
herübergeſendet. Auch Papſt Eugen zog eine Anzahl der tüchtigſten
Humaniſten als Dolmetſcher zur Synode, Männer wie Traverſari,
Guarino, Aurispa. So trafen hier die Geiſter aufeinander. Wir wol⸗
len davon abſehen, welche Motive bei den dogmatiſchen Disputationen
über das Ausgehen des heiligen Geiſtes vom Sohne und über den rö⸗
miſchen Primat mitſpielten und den Ausſchlag gaben. Die Byzantiner
zeigten hier jene Hartnäckigkeit, die dünkelvollen Dummköpfen eigen
iſt,) ihre Ueberzeugungen wichen endlich dem Gelde, verſprochenen Eh⸗
ren und dem Befehl ihres Kaiſers. Ungleich anziehender und auch
fruchtbarer war der nebenhergehende Wettſtreit der Gelehrten, und da
die Griechen ſich mit ihrer Philoſophie am meiſten dünkten, wurden
Ariſtoteles und Platon die beiden, Parteifahnen.
Man führt die Verehrung Platon's gewöhnlich auf jene Griechen
zurück, die aus dem belagerten und dann von den Türken eroberten
Konſtantinopel ins Abendland flüchteten. Sie waren, wie wir ſehen
werden, in keiner Weiſe die Männer, von denen eine tiefgreifende Be⸗
wegung hätte ausgehen können. In der That wurde der Anſtoß ſchon
bedeutend früher durch Chryſoloras und ſeine Schüler gegeben, unter
beuen wir die rüſtigſten Förderer beider Literaturen finden, und auf
dem Unionsconcil wurde der Funke zur Flamme. Bekanntlich wurde
es zu Florenz fortgeſetzt, zugleich der Gelehrtencongreß in den Brenn⸗
punct der lateiniſchen Bildung verlegt; denn in der Kirche S. Maria
Novella disputirte man nicht minder über Platon und Ariſtoteles als
über das Filioque und das ungeſäuerte Abendmahlsbrod. Hier nun
lernte Coſimo de' Medici den Georgios Gemiſthos Plethon kennen,
den Fürſten griechiſcher Weisheit, der für Platon ſchwärmte und Ari⸗
ſtoteles in demſelben Maße verachtete. Der Mediceer hörte von den
erhabenen Myſterien der platoniſchen Philoſophie ſprechen und es wollte
ihn dünken, als ſei das Abendland noch nicht reif, ſie aufzunehmen.
Er faßte den Plan, dereinſt eine platoniſche Akademie zu ſtiften. Und
doch lag es ihm fern, Plethon ſelbſt oder andre Griechen heranzuziehen,
er beſtimmte vielmehr einen fähigen Knaben, Marſiglio Ficino, den
Sohn ſeines Arztes, zum Philoſophen der Zukunft, weshalb er ihn
ſorgfältigſt erziehen und vorbilden ließ. Dann ſchenkte er ihm ein
Haus in Florenz, in welchem er leben, und ein Gütchen bei Carreggi,
) ef. Ambros. Travers. .epist. XIII, 20.
V. Die Griechen und die Lateiner. 331
von deſſen Einkünften er ſich nähren könnte.) Man weiß, welche
Frucht dieſe Fürſorge zur Zeit Lorenzo's des Erlauchten getragen hat.
So lange die Sprache, in der Platon geſchrieben, im Abendlande
Wenigen und unvollkommen bekannt war, konnten ſich die Griechen
gleich den ägyptiſchen Prieſtern die Miene tiefer Weisheit geben: ſie
ſprachen in dunkeln Bildern, mit einer unverſtändlichen Terminologie,
und das nannten ſie Platoniſiren. Aber ſchon in Ferrara und Florenz
trat ihnen der lateiniſche Geiſt mit der Zuverſicht entgegen, daß er ſich
die Schätze der alten Hellenenwelt ebenſo wohl, ja beſſer aneignen könne
als dieſe Spottbilder der alten Hellenen, die ſich gebärdeten, als kämen
ſie geradesweges aus der Metropole aller Weisheit, aus Platon's Aka⸗
demie ſelber. Zu Ferrara erlitt der philoſophiſche Ruhm der Griechen
eine glänzende Niederlage, wenigſtens nach dem Urtheil eines Italie⸗
ners — man weiß freilich, wie es mit Disputationsſiegen ſteht. Ugo
Benzi nämlich aus Siena, der berühmte Arzt, zugleich aber auch ein
gewandter Dialektiker, lud die gelehrteſten unter den griechiſchen Gäſten
zu einer heitern Mahlzeit, bei welcher auch italieniſche Humaniſten und
Markgraf Niccolo von Eſte zugegen waren. Als das Mahl geendigt
und die Tiſche weggeräumt waren, wußte der kluge Wirth das Ge—
ſpräch gerade auf diejenigen Sätze zu lenken, in welchen Platon und
Ariſtoteles am meiſten auseinanderzugehen ſchienen; er erklärte ſich
dann bereit, jede Partei vertheidigen zu wollen, welche die Griechen l
angreifen würden, möchte es nun die Akademie oder die peripatetiſche
Schule ſein. Jene nahmen den Wettkampf an. Mehrere Stunden lang
wurde hitzig disputirt. Als endlich Benzi die griechiſchen Philoſophen
einen nach dem andern durch Gründe und Beredtſamkeit zum Schwei—
gen gezwungen, da war es offenbar geworden, ſagt unſer italieniſcher
Berichterſtatter, „daß die Lateiner, von welchen die Griechen durch die
Künſte des Krieges und den Ruhm der Waffen längſt beſiegt waren,
ſie in unſerm Jahrhundert auch in den Wiſſenſchaften und in allen
Zweigen der Gelehrſamkeit übertreffen.“)
Wahrſcheinlich hat Benzi weder Griechiſch verſtanden noch von
Platon's Philoſophie mehr gewußt, als er etwa aus Cicero's Schrif⸗
ten lernen konnte. Es war eben ein dialektiſches Turnier. In Flo⸗
renz dagegen gab es Männer, die Platon wirklich leſen konnten und
) Marsil. Ficinus Prooemium ad Laurentium Medicum ante Plotini vers.
Vespasiano: Cosimo de’ Medici 5 27.
) Aeneas Sylvius Europa cap. 52.
332 V. Die Griechen und die Lateiner.
verſtanden, zumal Bruni und Marſuppini; hier ſanken die Griechen
noch tiefer in der Achtung. N
Wie viel mehr Erfolg hatten jene drei Italiener gehabt, die ihre
Kenntniß der griechiſchen Sprache, der Literatur und einen Schatz von
Büchern aus Byzanz ſelber holten, Guarino, Aurispa und Filelfo!
Die Zahl ihrer Schüler und die zweite Generation, die das Griechiſche
von ihren Schülern gelernt, entzieht ſich ſchon jeder Berechnung. Was
im Beginn des Jahrhunderts noch auf wenige Glückliche beſchränkt ge⸗
weſen, war um die Mitte deſſelben ſchon ein nothwendiges Element in
der Bildung eines Gelehrten.
Mit den herüberwandernden Griechen ging es in demſelben Grade
abwärts, in welchem die Kenntniß ihrer Sprache und Literatur unter
0
den Italienern emporſtieg. Als ſie in immer größeren Schaaren und
meiſtens als Bettler kamen, ſchlug die Ehrfurcht, mit der man anfangs
dieſe Sprößlinge der homeriſchen Heldengeſchlechter und der alten Athe-
ner angeſtaunt, völlig um. Sie konnten, wie man ſah, den byzantini⸗
ſchen Dünkel nicht laſſen, auch wenn ſie von Wohlthaten lebten, ſie
waren mürriſch und launiſch, weil ſie nun die gewohnte Behaglichkeit
des Lebens entbehren, umherziehen, lehren und den Großen ſchmeicheln
mußten; man meinte aber, ſie hätten eher Urſache, ſich freundlich den
Sitten ihrer neuen Heimath zu fügen, ihre albernen Bärte zu ſcheeren
und ihr ſtupides Vornehmthun zu laſſen. Dazu zeigten ſie eine merk⸗
würdige Unbeholfenheit im Erlernen der lateiniſchen oder der italiſchen
Vulgärſprache. In erſterer brachten es nur Wenige und erſt nach lan⸗
gen Jahren zur Fertigkeit, kaum drei oder vier zum flüſſigen, elegan⸗
ten Ausdruck. So erſchienen ſie dem Lateiner, der doch ihre Sprache
mit lebhaftem Eifer lernte und mit Haſt zu den verſchiedenartigſten
Schätzen der griechiſchen Literatur ſtürzte, als bornirte und träge Men⸗
ſchen. Das ſtockige byzantiniſche Blut paßte einmal nicht zu dem leicht⸗
rollenden der Italiener. Schon zur Zeit des Papſtes Eugen minderte
ſich ſehr merklich die Luſt, dieſe griechiſchen Auswanderer, die ſich be⸗
ſonders zu Florenz anhäuften, meiſtens ganz unbrauchbare Menſchen,
zu unterſtützen. |
Unter Papſt Nicolaus kam noch einmal auch für die griechiſchen
Flüchtlinge ein glücklicher, wenn auch kurzer Spätſommer. Die nur
erträglich ſchreiben konnten, waren doch als Büchercopiſten zu brauchen.
Das Haupt und der Protector aller Griechen in Italien wurde der
Cardinal Beſſarion. Sein Name prangt in den Geſchichtsb üch ern
V. Beſſarion. 33
mit einem ganz ungewöhnlichen Nimbus, ohne daß man im Näheren
zu ſagen wüßte, worin ſein entſprechendes Verdienſt beſtanden.) Da
wir von ſeinen jüngeren Jahren, die er in Griechenland verlebte, ſonſt
wenig mehr hören, als daß er ſich zur Regel des h. Baſilius bekannt
und — obx old 671, ſagte er ſelbſt — Erzbiſchof von Nicäa gewor⸗
den war, müſſen wir einſtweilen ſchon ſeine eigene Ausſage hinnehmen.
Darnach galt er immer für ein Wunderkind. Schon als Jüngling,
behauptet er, bevor der erſte Bart ihm gekeimt, ſei er ein Name ge⸗
weſen, Allen bekannt, welche die griechiſche Sprache verſtanden; kaum
24 Jahre alt, ſei er von den Erſten ſeiner Nation allen ſeinen Alters⸗
genoſſen und auch älteren Leuten vorgezogen worden.) Er war theo⸗
logiſcher Philoſoph und philoſophiſcher Theolog wie die griechiſchen
Gelehrten alle. Als ſolcher wurde er mitgenommen, als im Frühling
1438 der paläologiſche Kaiſer und der Patriarch von Konſtantinopel
zur Unionsſynode nach Italien ſchifften. Sie kamen und ſuchten Hülfe;
ſchon in dieſer einfachen Situation war es ſtillſchweigend ausgeſprochen,
daß ſie bereit waren, ſich um guten Preis den Dogmen der lateiniſchen
Kirche zu fügen. Dennoch wurden erſt lange gelehrte Scheingefechte
eröffnet, mochte nun der griechiſche Klerus nicht ganz ſo glaubensbereit
ſein wie der Kaiſer oder mochte man auch nur den Schein retten
wollen. Endlich ging Beſſarion ſeinen Landsleuten mit dem guten Bei⸗
ſpiel voran: er war der erſte, der ſich vom Ausgehen des heiligen Gei-
ſtes auch vom Sohne überzeugte, zuerſt in der feierlichen Sitzung des
Concils ein feuriges Glaubensbekenntniß ablegte und den religisſen
Eifer, der die lateiniſche Kirche belebe, zur Erbauung feiner Landsleute
nicht genug zu rühmen wußte.“) Seinen früheren Mitdisputanten, den
Erzbiſchof Markos von Epheſos, nannte er nun einen wahnſinnigen
und von unreinen Geiſtern getriebenen Kakodämon. Der redneriſche
Pomp machte den neuen Glaubenseifer noch anſtößiger. Zuerſt lohnte
ihn eine päpſtliche Penſion von 600 Scudi. Als es dann paſſend
ſchien, nach Abſchluß der Union die neuen Glaubensbrüder auch im
) Die Biographie von Aloiſ. Bandini (de vita et rebus gestis Bessario-
nis Cardinalis Nicaeni Commentarius. Romae, 1774) iſt mir nicht zur Hand.
) Aus dem Hirtenbriefe, den er am 27. Mai 1463, von Papſt Pius mit dem
Titel eines Patriarchen von Konſtantinopel beehrt, an ſeine griechiſche Gemeinde rich⸗
tete. Wir leſen ihn in der lateiniſchen Ueberſetzung des Petros Arkudios in Ra y-
naldi Annal. eccles. ad a. 1463 n. 58— 71.
3) Ambros. Travers. epist. U, 19.
334 | v. Beſſarion.
heiligen Collegium vertreten zu ſehen, wurden Beſſarion und der noch
viel unbedeutendere Erzbiſchof von Kiew zu Cardinälen erhoben.) Je⸗
nen bezeichnete man immer noch als Cardinal von Nicäa, obwohl er
ſeine dortige Gemeinde niemals geſehen hatte und obwohl ſelbſt Papſt
Pius von ihr nicht zu ne wußte, ob fie ſehr klein oder garnicht
vorhanden fei.”)
Jene beiden reine waren bald das Einzige, was von der zu
Florenz geſchloſſenen Glaubensunion übrig geblieben war, und ſpielten
mit ihren griechiſchen Bärten an der Curie eine ſeltſame Rolle. Iſi⸗
doros von Kiew begab ſich mehrmals in die Gefahr, die Märtyrer⸗
palme zu verdienen, wußte ihr aber jedesmal durch geſchickte Flucht
wieder zu entgehen, bis er endlich altersſchwach wurde und ſich nun
in ſeine Unbedeutendheit ergab. Gleich ihm blieb auch Beſſarion der
unermüdliche Anwalt der griechiſchen Sache und beſchäftigte ſeine Phan⸗
taſie mit der Vorſtellung großer Kreuzzüge und mächtiger Türken⸗
ſchlachten. Aber waren die Fürſten und Völker zu unempfänglich und
ſtumpf für dieſe Gedanken oder lag es an dem ungeſchickten Benehmen
des Cardinals ſelber, es ſchlug Alles, was er begann, zum Nichtigen
und gewöhnlich auch zum Lächerlichen um. Allmählig ſah er dann
immer mehr ein, daß ſein Beruf allein auf dem literariſchen Ge⸗
biete liege.
Während ſeine Landsleute ſich im kümmerlichen Kampfe mit den
Bedürfniſſen des Lebens abmühten, war Beſſarion ſo glücklich, das Ge⸗
ſpenſt der Nahrungsſorge ſelber nicht fürchten zu dürfen und auch die
Exiſtenz Andrer erleichtern zu können. Er verſammelte einen Kreis
von griechiſchen und lateiniſchen Gelehrten um ſich her, die ihn als
gehorſame Clienten geleiteten, wenn er morgens von ſeinem Palaſte
am Quirinal nach dem Vatican ging. Im Umgange lernte er leichter
als andre Griechen, ſich frei und geläufig, wenn auch nicht beſonders
elegant, in der lateiniſchen Sprache auszudrücken. Die Griechen feſſelte
er durch ſeine patriotiſche Mildthätigkeit an ſich und war ſtets ihr Für⸗
bitter vor dem apoſtoliſchen Stuhle. Auch die hypochondriſche Gedrückt⸗
heit, die man ſonſt an den Byzantinern zu tadeln hatte, wich von dem
—
) Näheres in Raynaldi Annal. eccles. 1438 n. 17. 1439 n. 12. 1462 n. 72.
73. Die Schrift de processione Spiritus sancti, von Arkudios überſetzt, iſt mehr⸗
mals gedruckt, auch bei Bzovius Annal. eccles. 1440 8 1—15.
) Pii II Asia cap. 60.
V. Beſſarion. Perotti. 335
glücklicheren Cardinal, die griechiſche Hoffahrt machte hier freundlicheren
und höflicheren Sitten Platz und einer Eitelkeit, die man um Vieles
erträglicher fand. Dieſer zu ſchmeicheln, wurde den Literaten nicht
ſchwer; denn ihre Huldigungen wurden reichlich durch Gunſt und
Gnaden vergolten. Einen beſonderen Ruhm genoſſen Beſſarion's gelehrte
Banquets.)) Sein Literatenhof entſprach zur Zeit Eugen's IV freilich
noch ſeinen beſchränkten Einkünften, unter Nicolaus wurde er durch
den päpſtlichen in Schatten geſtellt, unter Pius II und Paulus II aber
darf man ihn als den Mittelpunct des römiſchen Literaturtreibens be⸗
trachten. |
Unter den Lateinern war Niccolo Perotti Beſſarion's Liebling,
aus Saſſoferrato gebürtig. Als ein blutarmer junger Menſch machte
er unter Guarino's, nach einer andern Nachricht *) unter des Vittorino
da Feltre Leitung ſeine lateiniſchen Studien und wurde dann im Alter
von zwanzig Jahren durch Zufall und gute Fürſprache in das Haus
des Cardinals aufgenommen. Hier lebte er als Gubernator der Fa⸗
milie, und im gelehrten Weſen war er Beſſarion, was Tortello dem
Papſte war. Während er Tag und Nacht Griechiſch ſtudirte, verſorgte
ihn der Cardinal mit Beneficien und kleinen Aemtern. Seine Ueber⸗
ſetzung des Polybios machte Papſt Nicolaus auf ihn aufmerkſam, er
wurde zum päpſtlichen Secretär ernannt und ſpäter (1458) zum Erz⸗
biſchof von Siponto (Manfredonia). Unter dieſem Namen iſt er als
Grammatiker, zumal auf dem Felde der Metrik und Lexikographie, be⸗
rühmt geworden.“)
Sonſt nennen wir von bekannten Männern, die Beſſarion um ſich
zu ſehen pflegte, vorläufig nur Theodoros Gaza den Theſſaloniker,
Andronikos und Platina, den Verfaſſer der Lebensbeſchreibungen der
Päpſte. Doch iſt zu bemerken, daß in der früheren Zeit es mehr eine
Schaar kleinerer Geiſter war, die ſich mit der Gunſt des Cardinals
begnügten, während die bedeutenderen ſich lieber unter der päpſtlichen
ſonnten. Außerdem ſtand Beſſarion ſehr bald mit ganz Italien in
‘
) Gas par Veronensis de gestis tempore Pauli II. ap. Muratori
Scriptt. T. III. P. II. p. 1032.
) Facius de vir. illustr. p. 14.
) Ves pas ian o: Vescovo Sipontino $1. 4. Facius l. c. In der Lebens⸗
beſchreibung, die W. Hoffmann für die „Allg. Eneyklopädie der Wiſſ. und Künſte“
lieferte, findet man viel Gutes und viel Unweſentliches.
336 5 V. Beſſarion.
literariſcher Verknüpfung. Seine Günſtlinge nun, vor Allen Platina,
und ſeine vielfachen Verbindungen haben ihn zum berühmten Manne
gemacht, im Weſentlichen alſo ſeine hohe und einflußreiche Stellung.
Das Beiwort des „gelehrten“, das feinem Namen faſt gewohnheits⸗
mäßig anhaftet, verdient er nur inſofern, als außerhalb der gelehrten
Sphäre nichts an ihm zu rühmen war.
Er hat theologiſche Tractate geſchrieben. Aber auch als Theologe
zeigt er ſich beſchränkt auf die Apologie des lateiniſchen Dogma gegen
die Griechen, auf die Lehre vom Ausgehen des heiligen Geiſtes, das
heißt eigentlich auf die Vertheidigung ſeiner Apoſtaſie. Als er zehn
Jahre nach der Eroberung von Konſtantinopel zum Nominal⸗Patriarchen
dieſes Sprengels erhoben wurde, erließ er ein Rundſchreiben an ſeine
griechiſchen Gemeinden,) durch welches er fie in den Schooß der la⸗
teiniſchen Kirche zurückrief, an die Beſchlüſſe der ökumeniſchen Synode
von Florenz mahnte und ihre Knechtung unter den Halbmond als die
gerechte Strafe ihrer Widerſpänſtigkeit bezeichnete. Zur Belehrung ver⸗
wies er ſeine griechiſchen Landsleute auf ſeine eigenen Schriften und
auf ſeine Perſon. Er ſprach von den Nächten, die er ſchlaflos zuge⸗
bracht, um über die Proceſſion des heiligen Geiſtes zu denken und zu
forſchen, und wie er endlich feine Augen vor der Wahrheit nicht habe
verſchließen können. Er ſprach ferner von den Ehren, deren er in
Griechenland nicht wenige und nicht geringe genoſſen und die ihn den
Erſten ſeiner Nation gleichgeſtellt hätten, wie er ſie dann um des er⸗
leuchtenden Glaubens willen aufgegeben und verachtet. Man ſollte
glauben, er habe mit dem römiſchen Cardinalat ein freiwilliges Mar⸗
tyrium auf ſich genommen. Und doch muthet er den Griechen zu, daß
ſie aus Stolz auf ſeine Perſon ſeinen Hirtenſtab verehren und ihren
alten Glauben laſſen ſollen. So kam denn ſeine ganze Theologie immer
auf dieſes eine Dogma hinaus, das ihm in Florenz aufgegangen war
und ſein Glück begründet hatte.
Auch in der Philoſophie verfolgte er eine beſtimmte Aufgabe: er
wollte Platon und Ariſtoteles zu gleicher Ehre bringen und mit ein⸗
ander verſöhnen. Damit trat er in das Gezänke ein, welches Abend⸗
länder und Griechen über die Superiorität der beiden Philoſophen
führten. Seine Schriften über fie waren nicht unfehlbarer wie die
Andrer, aber ſeine kirchliche Würde und ſein verträgliches Weſen
—
) Vom 27. Mai 1463 a. a. O.
V. Beſſarion. | 337
ſchützten ihn vor den hämiſchen Angriffen, mit denen jener Streit "ge-
führt wurde. Nur einer der Philoſophen in Rom, ein wüthender
Peripatetiker, trat mit dem Cardinal in offene Feindſchaft; ſonderbar,
daß es gerade jener Georgios war, der ſich den Trapezuntier zu nen⸗
nen pflegte — aus Trapezunt war auch Beſſarion gebürtig — der in
Florenz ziemlich zu derſelben Zeit wie er für das Ausgehen des Geiſtes
auch vom Sohne geeifert.
Der Cardinal hat aus dem Griechiſchen überſetzt, zumal Werke
des Ariſtoteles. An ſeinem Verſtändniß der Originale erlaubte ſich
niemand zu zweifeln, man vermißte aber an ſeinem Latein die Glätte
und Feinheit, die manche weniger getreue Ueberſetzung der Italiener
auszeichnete. Wollte er ſich zur Eloquenz erheben, ſo wurde er ſchwatz⸗
haft; wollte er ſich zierlich ausdrücken, ſo gerieth er in eine lächerliche
Ziererei. Er war einmal kein hervorragendes Genie und doch ließ er
ſich von seiner Eitelkeit und von Schmeichlern zu dieſem Glauben ver⸗
leiten. a
Trotzdem wäre er in einer andern Beziehung ganz der Mann für
den Hof Nicolaus' V geweſen, wenn nicht in ſolchen Fällen aus dem
gleichen Streben öfter eine trennende Rivalität als eine Vereinigung
entſpränge. Auch Beſſarion war der eifrigſte Bücherſammler und ver⸗
brauchte einen großen Theil ſeiner Einkünfte, um griechiſche und latei⸗
niſche Codices abſchreiben zu laſſen. Er verfolgte denſelben Plan wie
der Papſt: auch er wollte einſt ſeine Bücherſammlung zur öffentlichen
machen. Dennoch blieben die beiden Gelehrtenpatrone und Bibliotheken⸗
ſtifter einander fern. Wir irren wohl nicht, wenn wir eine Eifer⸗
ſüchtelei des Papſtes darin ſehen, daß er während feines ganzen Ponti⸗
ficats Beſſarion mit der Verwaltung der Legation Bologna betraute
und dadurch von ſich und von Rom entfernt hielt. In Bologna fand
der griechiſche Cardinal nur deshalb Sicherheit und Ehrerbietung, weil
er die apoſtoliſchen Rechte nicht geltend machte, das Volk und ſeine
Parteiführer nach Belieben ſchalten ließ und den Frieden bei ſeinen
Büchern ſuchte und bei ſeinem Perotti, der bei ihm blieb, zugleich auch
an der Hochſchule die Rhetorik und Poeſie lehrte.) Vielleicht war
jene Concurrenz mit dem Papſte auch der Grund, weshalb Beſſarion
ſeine Bibliothek einſt nicht in denſelben Mauern mit der päpſtlichen
wiſſen wollte. Er vermachte ſie der venetianiſchen Republik, die ihn
) Aeneas Sylvius Europa cap. 53.
Voigt. Humanismus. | u 22
338 | V. Georgios Trapezuntios.
bei einer Geſandtſchaft ehrenvoll aufgenommen und die er überdies
wohl als die natürliche Vermittlerin zwiſchen Orient und Oceident an⸗
ſah. Als man nach ſeinem Tode das Teſtament ausführte, fand man
über 600 Bände und berechnete, daß ſie dem. Cardinal 30,000 Gold⸗
ſcudi gekoſtet; in dreißig Kiſten verpackt gingen dieſe Schätze zum Aer⸗
ger der römiſchen Gelehrten auf See und nach S. Marco hinüber.)
Wir nennen unter den Griechen, deren viele an Nicolaus’ Literaten⸗
curie ein Unterkommen fanden, nur die beiden hervorragendſten. Ge⸗
orgios Trapezuntios der Kretenſer war einſt von dem Venetianer
Barbaro nach Italien gerufen worden und hatte dann in der Schule
des Vittorino die lateiniſche Sprache gelernt.) Das Schickſal, wan⸗
-
dern zu müſſen und nirgend eine dauernde Heimath zu finden, traf
ihn um io ſchwerer, da er Vater einer ziemlich zahlreichen Familie war.
In Venedig, Padua, Vicenza und Florenz, dann zu Rom, wohin ihn
Papſt Eugen rief, hatte er nicht ohne Erfolg gelehrt, doch nimmer ſich
glücklich und zufrieden gefühlt. Der Grund lag wohl in ſeinem an⸗
maßenden Weſen und in ſeiner choleriſchen Biſſigkeit. In Nicolaus
ſchien ihm endlich ein ſtätigeres Glück zu lächeln. Seine erſte Ueber⸗
ſetzung, es war die von Euſebios' evangeliſcher Vorbereitung, nahm
der Papſt ſehr wohlgefällig auf. „Nimm nur, nimm! Du wirft nicht
immer einen Nicolaus haben“, ſagte er ihm, indem er ihm unverhofft
eine große Summe Geldes ſchenkte, die Georgios ganz ſchüchtern machte.
Er wurde zum apoſtoliſchen Schreiber ernannt und erhielt auch außer⸗
dem als Lehrer einen anſehnlichen Sold.) Aber fein gutes Geſchick
ging auch ſchnell wieder abwärts. Er hatte in jener Ueberſetzung des
Euſebios ausgelaſſen, was ihm der orthodoxen Dreieinigkeitslehre zu
widerſprechen ſchien, Andres eingeſchoben, ganze Abſchnitte umgeſtellt.
Beſſarion und Perotti machten den Papſt auf dieſe Pfuſcherei aufmerk⸗
ſam. Es war ſchon ein deutliches Zeichen von der Unzufriedenheit
deſſelben, daß er das Buch einem andern Literator zur Emendation
gab. Georgios hatte den weiteren Auftrag erhalten, den ptolemäiſchen
. Amageft zu überſetzen und einen Commentar dazu zu liefern. Beide
Arbeiten machte er in neun Monaten fertig, natürlich mit der gewiſſen⸗
) Vespasiano: Card. Niceno Greco. Platina Panegyr. in Bessar. Ho-
dius de Graeecis illustr. Lib. I. cap. 5.
2) Hodi us p. 116. S. oben S. 254.
) Raphael Volaterr. Lib. XXI.
V. Georgios Trapezuntios. Gaza. 339
loſeſten Flüchtigkeit.) Auch die vielen Feindſchaften, die er ſich zuge⸗
zogen, mögen auf das Urtheil des Papſtes von Einfluß geweſen ſein.
Er erhielt 1452 den Befehl, Rom zu verlaſſen; Nicolaus wollte ihm
weder Audienz geben, noch die Befürwortung Andrer hören. Ein
kleines Vermögen, welches der unglückliche Grieche bereits geſammelt,
und was ſeine Söhne durch den Verkauf ihrer Curialämter löſten,
ging ihm durch Falliſſements gewiſſer Kaufleute verloren. Er zog mit
den beiden Söhnen und fünf Töchtern nach Neapel, die traurige Noth
zog mit ihm.) Später lud ihn Nicolaus auf die perſönliche Fürbitte
Filelfo's und des Venetianers Barbaro, der immer der Gönner des
armen Griechen geweſen und ſeinen edlen Sinn auch hier bethätigte,
zur Rückkehr ein. Aber unter Papſt Calixtus III mußte er 1458
Rom zum zweiten Male verlaſſen, weil er in ſeiner „Vergleichung der
Philoſophen Ariſtoteles und Platon“ wieder allen Platonikern vor den
Kopf ſtieß und Beſſarion verſpottete. Beſonders fürchterlich fand man
ſeine Behauptung, ſelbſt Mohammed ſei ein le Geſetzgeber ge
weſen als der Stifter der Akademie.“)
Des Trapezuntios Nebenbuhler und darum natürlich auch einer
ſeiner vielen Feinde war Theodoros Gaza aus Theſſalonike. Als
er 1430 nach Italien kam, empfing auch er zu Mantua in Vittorino's
Schule ſeine lateiniſche Bildung und zwar eine ſo gründliche, daß er
unter den Griechen wohl für den erſten Latiniſten gelten konnte und
daß ſeine Ueberſetzungen ihren Ruf bis heute behauptet haben. So
lange Beſſarion in Rom weilte, lebte, er in deſſen Familie, aber auch
Papſt Nicolaus hielt ihn in Ehren. Doch hat er ſein Haupt nicht
lange auf ruhigem Lager gebettet. Obwohl er geiſtlichen Standes war
und nur für ſich zu ſorgen hatte, mußte er ſpäter, nach dem Tode
jener Gönner, Rom verlaſſen und iſt als ein dürftiger Greis im apu⸗
liſchen Reiche geſtorben. Nie fühlte er ſich glücklich unter den La⸗
teinern, immer quälte ihn die Sehnſucht nach ſeiner griechiſchen Hei⸗
math.) Es war, als ob ein Fluch auf dieſen Griechen, ſelbſt auf
) Vergl. ſeinen Brief an Francesco Barbaro unter deſſen Epistt. ed. Qui-
rino 198.
) Vergl. feine Correspondenz mit Barbaro ibid. epist. 201 — 210.
) Ein ſehr gründliches und ausführliches Leben des Trapezuntios lieferte Bã hr
in der „Allg. Encyklopädie der Wiſſ. und Künſte.“ Die Acten dazu bei Hodius I. e.
Lib. I. cap. 4.
) Raphael Volaterr. Lib. XXI. Hodius Lib. I. cap. 3. Ueber fein
Leben und ſeine Schriften Bähr a. a. O. s. v. Gaza.
22 *
340 V. Die literariſchen Fehden am Hofe Nicolaus’ V.
den beſſeren, laſtete: Bald wurden fie geehrt und bewundert, dann
wieder beſchimpft und verläſtert, Vertrauen erwarben ſie niemals und
das Flüchtlingsloos fühlten ſie meiſtens bis an ihren Tod.
Stellen wir uns nun die obengenannten Italiener, einen Valla,
Perotti, Poggio, Decembrio, ſtellen wir uns die ebengenannten und
andre Griechen an einem Hofe vereinigt vor, jeden wieder von Schülern
und Anhängern umgeben, faſt alle in derſelben Situation, nämlich als
Curialbeamte und beſoldete Hofgelehrte, alle auf dieſelbe Beſchäftigung
gerichtet, nämlich auf Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen, alle zu den
vollen Geldſäckeln und Gnaden des Papſtes aufſchauend — was natür⸗
licher, als daß Eiferſucht und Zänkereien, boshafte Verleumdung und
widerlicher Schimpf der Umgangston dieſes Kreiſes wurden. Lateiner
und Griechen gegen einander, die Griechen unter ſich und die Lateiner
unter ſich führten Jahre lang bittere Fehden. Wie zu Niccoli's Zeit
Florenz, ſo wurde jetzt in erhöhtem Maße Rom der Schauplatz
der ſcandalöſen Gelehrtenchronik, gleichſam als hätte Papſt
Nicolaus mit den „großen Geiftern« auch allen Schmutz des literari⸗
ſchen Lebens zuſammengebracht. Florenz hatte neben den erhitzten
Kämpferpaaren auch edle und dauernde Freundſchaften geſehen: Niccoli
und Traverſari, Poggio und Marſuppini, Manetti und Bruni, ſie alle
hatte der Sinn für Kunſt und Alterthum zu einem ſchönen Bunde zu⸗
ſammengeſchloſſen, und die kleinen Vorfälle, die dieſen Umgang mit⸗
unter ſtörten, glichen ſich immer wieder aus. Sie waren alle Floren⸗
tiner oder wollten es doch ſein. Um den eigentlichen Haß wachzurufen,
mußte erſt Filelfo, der Fremde, kommen. Dagegen war der literariſche
Hof von Rom ein unverbundenes Conglomerat aus allen Landſchaften
Italiens und Griechenlands, ein wüſtes Durcheinanderlaufen, in wel⸗
chem doch Jeder für ſich allein lebte. Die Huld des freigebigen Papſtes
war hier das Motiv jeder Rivalität, den Ueberſetzerſtand reizte ſchon
mehr das Geld als der Ruhm, mehr der ſcheele Neid als die Ehre
der Feder. |
»Ein allgemeines Intereſſe hatten ſolche Gelehrtenkämpfe, wenn
Männer wie Poggio und Valla zuſammenſtießen. Dieſer kam aus
Neapel, wo er mit Beccadelli und Fazio in beſtändigem Kampfe ge⸗
V. Die Fehde zwiſchen Poggio und Valla. 341
legen; jener hatte außer einer Menge von Fehden die Kriege gegen
Guarino und Filelfo hinter ſich und konnte einmal nicht ſein, ohne
neue anzuknüpfen. Valla war in jeder Beziehung ſein bedeutendſter
Rival, der ihn in der Gründlichkeit des grammatiſchen Studiums bei
Weitem übertraf, dagegen in Federfertigkeit und Witz ihm vielleicht
nachſtand. Ein Anlaß, den Kampf zu eröffnen, war bald gefunden.
Poggio hatte einen Band ſeiner Briefe herausgegeben. Nun kam ihm
ein Exemplar derſelben zu Geſicht, welches einem jungen Catalonier,
einem Schüler Valla's, zugehörte und mit kritiſchen Randbemerkungen
ausgeſtattet war, in denen allerlei ſtiliſtiſche Fehler und Barbarismen
gerügt wurden. Mochte auch Valla nicht ſelbſt der Kritiker ſein, ſo
war der Schüler doch ſicher von ihm angeſtiftet. Poggio aber fuhr
ſogleich auf den los, den er nicht mit Unrecht für den eigentlichen
Gegner hielt: zu der ſchon anſehnlichen Zahl ſeiner Invectiven kam
eine neue gegen Valla. Dieſer antwartete in einem Antidoton, Poggio
aber in einer zweiten, dritten, vierten und fünften Invective, auf welche
Valla die Entgegnung nicht ſchuldig blieb. Der grammatiſche Streit
wurde zur Nebenſache, das Intereſſe haftete bald an den gehäſſigen
perſönlichen Angriffen, an denen es beiderſeits nicht fehlte. Das war
Poggio's eigentliches Feld. Ging derjenige als Sieger hervor, der die
infamſten Verleumdungen über den Gegner ausſchüttete, ſo darf ſich
Poggio des Sieges rühmen. Kleine anrüchige Vorkommniſſe, die ihm
ſchon in ſehr entſtellender Erzählung kund geworden, wußte er meiſter⸗
haft auszubeuten und zu Verbrechen zu ſtempeln, und wo es daran
fehlte, ſie zu erfinden. Betrug und Diebſtahl, Fälſchung und Ketzerei,
Trunk und Wolluſt jeder Art giebt er dem Gegner mit Beifügung
piquanter Geſchichtchen und derber Schimpfworte in Fülle Schuld,
wüthend und unerſättlich, wie er einſt gegen Filelfo geſtritten.)
Den vierundzwanzigjährigen Perotti, einen Schüler Valla's, ge⸗
lüſtete es, zur Vertheidigung ſeines Meiſters die erſte Lanze zu brechen.
) Dieſe Streitſchriften der Beiden findet man leicht in ihren Werken. Auffal-
lend iſt, daß Poggio's vierte Invective gegen Valla verloren oder doch nicht zum
Druck gekommen if. Daß ſchon die erſte von Florenz aus geſchrieben ſei, wie
Zuupt c. a. O. S. 428 anzunehmen geneigt iſt, widerlegt ſich einfach, wenn man
die bald zu erwähnenden Briefe Filelfo's und Barbaro's mit der Thatſache zuſam⸗
menhält, daß Poggio erſt nach dem Tode Marſuppini's (24. April 1453) an die flo⸗
rentiniſche Staatscancelei berufen wurde. Auch zeigt der Schluß von Valla's erſtem
Buche des Antidoton, daß es in Rom geſchrieben wurde und daß auch Poggio damals
in Rom war. N
342 Vi. Fehde zwiſchen Poggio und Vallck. Filelfo als Friedensſtifter.
Er griff Poggio in einer Invective an, wurde dafür aber in deſſen
Antwort ebenſo rückſichtslos und derb mißhandelt wie Valla ſelbſt. Na⸗
türlich befand er, „der junge Poet ohne alle Poeſie“, ſich ſtark im
Nachtheile gegen den unter Zank und Schmähſchriften ergrauten Poggio.
Erſt als dieſer bereits nach Florenz abgezogen war, gelang es dem
Cardinal Beſſarion, Frieden zwiſchen beiden zu ſtiften. Perotti, ſein
Schützling, mußte zuerſt die freundliche Hand reichen und den Gegner
bitten, er möge ihn als Sohn und Freund an ſein Herz ſchließen.
Dafür verſicherte ihm denn auch Poggio, der die Gunſt des Prälaten
nicht verſcherzen wollte, er habe das Geſchehene vergeſſen und werde
ihm fortan Vater und Freund fein. ')
Die Fehde gegen Valla indeß dauerte unausgeſetzt fort. Wir
wundern uns, daß der Papſt die Streitenden nicht zur Ruhe brachte.
Es ſcheint aber eher, daß er an dem Scandal ſein ſtilles Vergnügen
hatte, wie er ja auch die Satiren Filelfo's, in denen ſeine alten floren⸗
tiniſchen Freunde verhöhnt wurden, mit Behagen las. Valla widmete
ihm ſogar die Bücher ſeines Antidoton. Als der wüthende Kampf aber
Jahre lang fortdauerte und auch noch, nachdem Poggio ſich bereits
nach Florenz überſiedelt, fand ſich ein andrer Friedensſtifter, von dem
ſich wohl niemand dieſer Rolle verſehen hätte. Es war Filelfo. In
feinem Kriege mit Poggio war gerade damals ein kurzer Waffenftill-
ſtand eingetreten, den der Dichter Cenci vermittelt.) Während des⸗
ſelben richtet Filelfo einen Brief an Poggio und Valla zugleich,) er
ermahnt beide zur Mäßigung und ſtellt ihnen vor, wie ſie ſich durch
ihr Schimpfen vor den Menſchen nur lächerlich und verächtlich machen.
Er deutet auf des Ageſilaos Wort: man bilde ſich aus ſolchen Schmach⸗
reden ein Urtheil über den Schmähenden wie über den Geſchmähten.
Dieſer ſtolze unfehlbare Filelfo wirft ſogar auf ſeine eigene Vergangen⸗
heit einen reuigen Seitenblick und geſteht, er könne ſeine Satiren jetzt
nicht ohne Erröthen leſen, ja es berühre ihn in ſeiner friedlichen Stim⸗
mung unangenehm, wenn er des Demoſthenes Reden gegen Timarchos
und Philippos, des Cicero Reden gegen Antonius, ſelbſt wenn er des
heiligen Hieronymus Angriffe gegen Rufinus leſe. Ein erröthender
) Perotti's Invective von 1454 iſt nach Tiraboschi T. VI. p. 1651 in
den Miscell. Lazzaroni T. VIII. mitgetheilt. Vergl. die Reihe von Poggio's Brie⸗
Yen im Spicileg. Roman. T. IX. p. 628 —641.
) Poggii epist. ad Petrum Thomasium ibid. p. 629.
) Vom J. März 1453.
V. Fehde zwiſchen Poggio und Valla. 343
Filelfo wäre in der That ein unerklärliches Phänomen. Aber wir
müſſen wohl ſeine Worte nicht auf die genaue Wage legen. Warum
ſollte er, der Lehrer und Meiſter des Epiſtolarſtils, nicht auch einmal
eine litera reconciliatoria ſo gut wie eine Invective ſchreiben? Selbſt
Poggio trat gelegentlich als Friedensvermittler auf. Als er mit Bar⸗
baro zuſammen bemüht war, das Zerwürfniß zwiſchen Niccoli und
Bruni wiederauszugleichen, wußte er Bruni mit ſanftem Vorwurf zu
erinnern, daß es das Kennzeichen einer größeren Seele ſei, wenn ſie
Beleidigungen vergeſſe, als wenn ſie dieſelben räche, daß die Pflichten
der alten Freundſchaft über Alles gehen, daß das Geklätſche der Welt
den Ruf beider Streitenden beflecke, daß nach der Lehre des Apoſtels
einer den andern in Liebe tragen müſſe.)
Auf Poggio wie auf Valla ſcheint es nicht den mindeſten Eindruck
gemacht zu haben, wenn Filelfo ſie, die beiden Greiſe, an das jüngſte
Gericht mahnte. Selbſt Barbaro's Sühneverſuch blieb ohne Folgen.“)
Da mochte Filelfo ſich zum Propheten gratuliren, als Valla im Auguſt
1457, ſchon im November ſein alter Gegner Fazio und am 30. Octo⸗
ber 1459 auch der alte Poggio ins Jenſeits abgerufen wurden. Poggio
und Valla, die alten Fechter auf der literariſchen Arena, nahmen ihre
Feindſchaften mit ins Grab. Abgeſehen von dem edleren Falle mit
Guarino und dem beſonderen mit Perotti, hören wir nicht, daß Poggio
ſich mit einem feiner Gegner verſöhnt hätte.) Valla wurden Diſtichen
nachgerufen wie folgendes:
Ne vel in Elysiis sine vindice Valla susurret,
Facius haud multos post obit ipse dies.
Oder ein anderes:
Ohe ut Valla silet, solitus qui parcere nulli est.
Si quaeris, quid agat: nunc quoque mordet humum.
Unter den Griechen war Georgios Trapezuntios der berüchtigte
Händelmacher und überall der Stein des Anſtoßes, zumal bei den La⸗
) Die Briefe an Bruni in feinen Opp. p. 306. 347.
) Franc. Barbar i epist. 234.
) Wohl ließen ſich noch manche literariſche Feindſchaften Poggio's aufführen,
die von geringerer Bedeutung ſind. So verfolgte er den Bücherſucher Enoche da
Ascoli als einen hinterliſtigen Verleumder (ſeine epist. 24. 51. im Spicileg. Roman.
T. X); gegen ihn vermuthlich hat er die „Invective gegen Verleumder“ losgelaſſen
Gbid. T. IX. p. 622 sq.), in welcher er den Gegner vielleicht nur deshalb nicht
nannte, weil derſelbe ein Schützling des Papſtes war.
344 V. Fehde zwiſchen Poggio und Trapezuntios.
teinern, denen die ruhmredige Anmaßung des geborenen Griechen un⸗
ausſtehlich war. Gleich als er zu Venedig ſeine erſte Schule eröffnet,
hatte er in ſeinem Handbuche der Rhetorik von der Methode des alten
Guarino mit Geringſchätzung geſprochen, obwohl dieſer, wenn auch nur
kurze Zeit, fein Lehrer geweſen war. Guarino vertheidigte ſich und
es entſtand nun ein Federkrieg, in welchem natürlich die Italiener für
ihren Landsmann Partei nahmen. Daß jetzt Georgios mit Poggio
zuſammengerathen müſſe, war vorauszuſehen, da beide ſich als apoſtoliſche
Secretäre täglich trafen.
Es circulirte in Rom ein gegen Georgios gerichtetes Libell, wel⸗
ches dieſer ohne weiteres dem Guarino zuſchrieb und mit einer Invec⸗
tive gegen denſelben beantwortete. Poggio, der mit Guarino befreun⸗
det war und in dem Verfaſſer des Libells nur einen Schüler oder
Freund Guarino's vermuthete, fand die Annahme des Griechen zum
mindeſten unüberlegt und voreilig, er bediente ſich in einem Briefe,
den er nach Venedig ſchickte, darüber eines allerdings zweideutigen Aus⸗
drucks.) Der griechiſche Prahler war ihm im Herzen zuwider, aber
er bedurfte ſeiner noch: der Papſt nämlich, der ſehr wohl wußte, daß
das Griechiſche Poggio's ſchwächſte Seite war, dem Trapezuntios da⸗
gegen wenig Gewandtheit im lateiniſchen Stil zutraute, hatte die bei⸗
den auf einander angewieſen. Poggio überſetzte Xenophon's Cyropädie
und die geſchichtliche Bibliothek des Diodoros, Georgios half ihm bei
den ſchwierigeren Stellen.) Der Friede wurde zuerſt geſtört, als Geor⸗
gios aus Venedig von jener Aeußerung Poggio's Kunde erhielt, er
meinte nicht anders, als Poggio habe, wie man es von ihm gewohnt
war, eine Invective voll Spott und Gift gegen ihn gerichtet. Dies⸗
mal entſchuldigte ſich Poggio noch und ſuchte die Freundſchaft, die ihm
ſehr nützlich war, zu erhalten. Bald aber gab es neue Reibungen.
Der Grieche leugnete den Empfang einer Geldſumme aus dem päpſt⸗
lichen Aerar ab, die ihm wahrſcheinlich eben für die mit Poggio ge⸗
meinſamen Arbeiten angewieſen war. Er beſchuldigte dieſen ferner
beim Papſte, als habe er ihm durch Meuchelmörder nach dem Leben
geſtellt. Sie führten ſchon einen gereizten Briefwechſel. Poggio fand
—
) Non recte eonsulti hominis esse videtur. Poggii epist. 73. im Spici-
leg. Roman. T. X.
5) Poggio ſelbſt geſteht ihm: debeo enim tibi plurimum, qui mihi adjutor
praecipuus fueris in traductionibus meis. Die Ausſage des Trapezuntios bei
Georgius Vita Nicolai V. Romae, 1742. p. 177.
V. Fehde zwiſchen Poggio und Trapezuntios. 345
die Briefe des Griechen voll Schmähungen und Unverſchämtheiten. Er
gab ihm feine volle Verachtung zurück. „Ich kann dir auf das Hei-
ligſte ſchwören: ich habe nicht nur keinen Plan gehegt, dich aus dem
Wege zu räumen, ſondern du biſt vielmehr meinem Gedächtniſſe fo
ſehr entfallen, daß ich kaum zu ſagen wüßte, ob du noch lebſt oder
todt biſt. Ich müßte wahrlich viel Muße übrig haben, wenn ich an
den Trapezuntios denken ſollte. So hat mir jenes Verbrechen nie in
den Gedanken gelegen und liegt mir auch jetzt fern, ja ich muß ſogar
aus vielen Urſachen wünſchen, du möchteſt noch länger leben, beſonders
da du dein Geld, welches dich ſo übermüthig machte, durch Wucherei
verloren haſt. )
Einſt waren die Beiden mit Vielen ihrer Collegen in der päpſt⸗
lichen Cancelei zuſammen. Um Poggio zu ärgern, rühmte Georgios
ſich offen, er habe an ſeinen Ueberſetzungen den beſten Theil, der Un⸗
dankbare aber habe zur Beluſtigung ſeiner Freunde eine Invective ge⸗
gen ihn geſchrieben und nach Venedig geſchickt. Das lügſt du, in dei⸗
nen Hals! ſchrie Poggio. Der wüthende Grieche aber ſprang auf ihn
los und verſetzte dem alten Manne zwei derbe Ohrfeigen, dann rauften
fie ſich mit ſolchem Ingrimm, daß ihre Collegen fie nur mit Mühe
trennen konnten. Diesmal aber legte ſich doch der Papſt ins Mittel.
Wohl mit in Folge dieſes Vorfalles mußte Trapezuntios Rom ver⸗
laſſen.) |
So viel wir fehen, ſtanden die Italiener alle auf Poggio's Seite
und gegen den Griechen. Selbſt Valla mochte mit dieſem nicht ge⸗
meinſchaftliche Sache haben und ſein Knappe, der junge Perotti, ſchrieb
ſogar eine Invective gegen Georgios. Dieſe Verachtung der Griechen
war faſt das Einzige, was den italieniſchen Gelehrten an Nicolaus’
Curie gemeinſam war. Wenn Poggio feine Gegner wie Valla ! und
Perotti recht ſchimpfen wollte, jo nannte er fie semigracculi.“)
Die Griechen ihrerſeits hielten nicht zufammen. Bald gab es
unter ihnen Privatfehden, wie die des Georgios gegen Gaza, der
ſeine grammatiſchen Definitionen öffentlich getadelt, dann aber ſpaltete
) Zwei Briefe Poggio's an Trap., d. Rom 18. Febr. (1452) und 12. Febr.
1453 im Spicileg. Roman. T. IX. p. 648651. Georgius l. e.
) Valla e Antid. in Pogium Lib. I. ad fin. (Opp. p. 273).
) Poggii epist. ad Franc. Marescalcum im Spieileg. Roman. T. IX. p. 631.
346 V. Fehden der Griechen unter einander.
fie der Streit über den Vorzug des Ariſtoteles oder Platon in zwei
Heerlager, die einander unaufhörlich befeindeten. Gemiſthos Plethon
hatte die Lehren der beiden Philoſophen als durchaus unvereinbar dar⸗
geſtellt, Platon in den Himmel erhoben, dagegen Ariſtoteles und ſeine
Anhänger bitter verſpottet. Ihm zur Seite ſtand auf dem florentini⸗
ſchen Concil Nikolaos Sagundinos, aus dem eubziſchen Chalkis gebür⸗
tig: er machte Ariſtoteles zum Vorwurf, daß er mehr aus Neid als
aus Liebe zur Wahrheit Platon's Verdienſt herabgeſetzt.) Den Fehde⸗
handſchuh hatte Georgios Skolarios, auch Gennadios genannt, der
ſpätere Patriarch von Konſtantinopel aufgenommen und in demſelben
Tone geantwortet, den Plethon in ſeiner Replik natürlich noch ſteigerte.
Dieſer Kampf nun fand in Rom ſeine Fortſetzung. Theodoros Gaza
trat gegen Plethon und Platon auf, Beſſarion als Vertheidiger des
Plethon, ſeines Lehrers, und des Platon, deſſen Anſicht er oft dem
chriſtlichen Dogma nahe fand. Ihr Streit blieb noch in ziemlichen
Grenzen. Als einer von Beſſarion's Schützlingen, der geflüchtete Grieche
Michael Apoſtolios, ſeinem Brodherrn recht zu gefallen meinte, wenn
er von Gaza und von Ariſtoteles mit tiefer Verachtung ſprach, meinte
der Cardinal doch, das ſei nicht die rechte Art, eine gute Sache zu
vertheidigen. Obwohl ein perſönlicher Gegner Gaza's, mit dem er in
den ariſtoteliſchen Ueberſetzungen rivaliſirte, warf ſich Trapezuntios zum
Anwalt des Ariſtoteles auf und ſchrieb heftig gegen Beſſarion, der
Streit zwiſchen dieſen beiden wurde der ärgerlichſte.)
Der ſyſtemſüchtige Charakter des Streites, den die Byzantiner
unter ſich führten, iſt ſehr bezeichnend gegenüber den perſönlichen Mo⸗
tiven, durch welche die Abendländer gegen einander aufgeſtachelt wur⸗
den. Dieſe nahmen an dem Kampfe der Akademiker und Peripatetiker
kaum einen Antheil, doch ſtand bei ihnen Ariſtoteles, obwohl er nie
in Mißachtung kam, gegen die geheimniß⸗ und ſchwungvollere Lehre
Platon's bereits merklich zurück. Die platoniſchen Akademien, die rö⸗
miſche wie die um Lorenzo de' Medici gruppirte und die neapolita⸗
) Facius de vir. illustr. p. 21.
) Boivin in den Mémoires de littérature de l’Acad. Roy. des Inseript.
et Belles Lettres T. II. III (hier der bezeichnete Brief Beſſarion's). Paris, 1717.
1723. J. G. Buhle Geſch. der neuern Philoſophie ſeit der Epoche der Wiederherſt.
d. Wiſſ. Bd. II. Göttingen, 1800. Hier eine ausführliche und treffliche Darſtellung
der beſtrittenen Theoreme. Tiraboschi T. VI. p. 518—54g.
v. Vergleich der romiſchen Literateneurie mit der florent. Gruppe. 347
niſche, führten zwar zu wunderlichen Ausſchweifungen, waren aber ein
Binde- und Förderungsmittel des gelehrten Strebens, nicht Ringplätze
des Kampfes.
So ging es an der Literatencurie von Rom her, die ſich um die
Mitte des Jahrhunderts um einen Kirchenfürſten verſammelte, der
reiche Einkünfte, politiſche und kirchliche, moraliſche und religiöſe Rück⸗
ſichten dem humaniſtiſchen Treiben gern zum Opfer brachte. Wiederum
fühlt man ſich zu einer Vergleichung mit dem florentiniſchen Gelehrten⸗
kreiſe gedrängt, der im Beginn dieſes Jahrhunderts den humaniſtiſchen
Zug geführt hatte. Hier ſahen wir Perſönlichkeiten von ſcharfer Aus⸗
prägung, die an ſich, auch abgeſehen von ihren ſammelnden und ſchrift⸗
ſtelleriſchen Leiſtungen, als die Vorboten einer neuen Zeit und einer
andern Bildung gelten konnten. In Rom werden Menſchen zufammen-
geworben, wie fie ſich eben werben laſſen. Die Freunde und Schüg-
linge des mediceiſchen Hauſes lebten in einer gemeinſamen Richtung
hin, eine Tendenz vereinigte ſie, ſo ſehr auch die Individualitäten
auseinanderwichen: ſie bildeten unausgeſprochen einen großartigen Bund
im Namen der Wiſſenſchaft. Unter den Gunſtbuhlern des Papſtes
denkt ein Jeder nur an ſich und ſeinen Vortheil, ein ärmlicher Brod⸗
neid erzeugt ihre Zwiſte. Die Perſon eines nicht unwürdigen, aber
auch nicht hoheitlichen Sterblichen wird umſchmeichelt: von ihr em-
pfängt ein Jeder den Arbeitsauftrag und den Lohn. Gemeinſam
iſt ihnen keine Idee, nur der Hofdienſt. Den Papſt ſelber bezeichnet
es ganz, daß er die ihm gewidmeten und von ihm bezahlten Werke
nicht oder ſehr ungern abſchreiben ließ; er wollte den Beſitz und den
Ruhm für ſich allein haben.)
Den Beweggründen entſpricht der Erfolg, die Leiſtung. Welch'
ein anregender und treibender Geiſt geht von den florentiniſchen Freun⸗
den aus! Sie ſind ſich der Miſſion bewußt, das Vergangene wach⸗
zurufen und für ewig der Vergeſſenheit zu entreißen: ſie ſpüren und
ſammeln mit jugendlicher Luſt, das Neugefundene reizt zu neuen An⸗
ſtrengungen, ſie gehen in die Ferne und concentriren dann wieder die
) Vergl. den Brief des Georgios Trapezuntios an N Barbaro ım-
ter deſſen Briefen epist. 198. f
348 V. Die Leiſtungen der Literatencurie unter Nicolaus V.
zerſtreuten Schätze einer entſchwundenen Zeit in ihrem Florenz. Das
Alterthum liegt vor ihnen noch wie eine dunkle Maſſe mit geheimniß⸗
voll ſchimmerndem Kern. In ſie einzudringen, ſie zu beleuchten, zu
durchleuchten, ihr Weſen zu enthüllen, dahin geht ihr raſtloſes Streben.
In ihren Briefwechſeln pulſirt dieſe Fülle eines friſchen Lebens.
Das literariſche Rom Nicolaus’ V iſt nur eine erkünſtelte und er⸗
mattete Fortſetzung des literariſchen Florenz, nicht mehr eine originelle
Schöpfung, ſein Beruf iſt nicht mehr die Wiedererweckung und Neu⸗
belebung, ſondern ſchon die Verarbeitung des Errungenen in die Breite
und die ſichernde Aufbewahrung. Für den Augenblick mochte die Menge
der Gelehrten, die Nicolaus' kurzer Pontificat zuſammenführte, mochte
die Zahl ihrer Arbeiten wohl täuſchen. Wer aber zu wägen und zu
prüfen verſtand, mußte ſein Urtheil bald ernüchtern. Beobachten wir
doch den Gedankengang, mit dem Pius II, wenige Jahre nachdem ſeines
Vorgängers literariſche Curie auseinandergelaufen war, ſie betrachtet.
„So ſehr erweckte und nährte Nicolaus die Geiſter, daß man kaum ein
Zeitalter finden dürfte, in welchem die Studien der Humanität und
der Eloquenz und der andern ſchönen Künſte mehr als unter ihm ge⸗
blüht hätten. Das wenigſtens dürfte niemand leugnen, daß ihm von
den gelehrteſten Männern fo viele Bücher gewidmet find, wie weder
einem ſeiner Vorgänger noch einem der Kaiſer.“) Und nach einem
halben Jahrhundert, als die Generation ausgeſtorben war, als der dem
Papſte geſpendete Weihrauchduft ſich verzogen, da ſagt ein ſcharfſichtiger
Literarhiſtoriker von dieſer Periode Nicolaus’ V: „Viele über-
ſetzten unter ihm, durch die Ausſicht auf Belohnung ge—
trieben.“
So iſt es in der That. Im Weſentlichen war der gefeierte Ge⸗
lehrtenhof Nicolaus' V nicht mehr als eine große Ueberſetzungsanſtalt.
Aber allzu geringſchätzig dürfen wir auch dieſes Verdienſt nicht anſehen.
Die Kenntniß der griechiſchen Sprache iſt dadurch ſehr weſentlich und
die Kenntniß des Alterthums nicht unbedeutend gefördert, erweitert und
zumal verbreitet worden.
Nur Wenige waren ſo glücklich geweſen, die griecifce Sprache
in Griechenland ſelbſt oder aus erſter Hand von einem Griechen zu
lernen, der ſie wirklich verſtand und die Werke ihrer alten Literatur
) Europa cap. 58.
) Coccius Sabellicus Ennead. X. Lib. VI. p. 719.
\
V. Kenntniß des Griechiſchen. Die Ueberſetzungsliteratur. 349
zu ſchätzen wußte. Noch Wenigere beſaßen eine erträgliche Zahl grie⸗
chiſcher Claſſiker; es wird jedesmal als etwas Beſonderes bemerkt,
wenn jemand unter ſeinen Büchern auch griechiſche hatte. Bei Vielen,
die als Kenner der griechiſchen Sprache geprieſen wurden, reichte dieſe
Kenntniß nicht viel über das hinaus, was bei uns der Schulunterricht
zu Wege bringt, und dabei entbehrte ſie noch der Fundamente. Män⸗
ner wie Poggio und Valla fühlten ſich in einem helleniſchen Schrift⸗
ſteller durchaus nicht ſicher; ein angeſehener Helleniſt wie Francesco
Barbaro las die Schriften des Ariſtoteles doch lieber in einer lateini⸗
ſchen Ueberſetzung.) Ein griechiſches Buch fertig leſen, griechiſch ſchrei⸗
ben und ſprechen zu können, zugleich auch des eleganten Latein völlig
mächtig zu ſein, das war eigentlich nur dem Filelfo gegeben; darum
fühlte er ſich auch in unmäßigem Stolz als den König der Literatoren
und ſah mit tiefer Verachtung auf die Ungebildeten herab, die kein
Griechiſch verſtanden oder doch nur ſchülerhaft aus dem Griechiſchen
überſetzten.) Selbſt die Druckerkunſt hat der helleniſchen Bildung nicht
die ſchnellen Flügel geben können, mit denen die lateiniſche ſich, ſobald
jene Kunſt in Italien verbreitet war, über die civiliſirte Erde ſchwang.
So bedurfte die griechiſche Literatur durchaus noch eines Mediums,
um in die humane Bildung übergehen zu können. Im 13. und 14. Jahr⸗
hundert, als die claſſiſche Latinität erſt von Neuem gelernt werden
mußte, waren Ueberſetzungen aus ihr in die Vulgärſprache ein Bedürf⸗
niß; ) noch in den letzten Jahrzehnten des 14. und in den erſten des
15. Jahrhunderts ſind ſie beſonders den italiſchen Fürſten, die der la⸗
teiniſchen Sprache nicht mächtig, doch auch für die alten Römer inter⸗
eſſirt werden ſollten, vielfach dargebracht worden. Jetzt übertrug man
auch für die lateiniſch⸗ gebildeten Fürſten und Mäcene aus dem Grie⸗
chiſchen. Männer wie Coſimo de' Medici und Alfonſo von Neapel
waren der griechiſchen Sprache ganz unkundig, und trotz den entgegen⸗
ſtehenden Verſicherungen einiger Hofſchmeichler glauben wir uns zu der
Annahme berechtigt, auch Papſt Nicolaus habe vom Griechiſchen ſehr
wenig oder nichts verſtanden. Aber auch unzählige Andre wünſchten
1) cf. epist. 122. ed. Quirino.
2) Vergl. ſein an Tommaſo Tebaldo gerichtetes und fein In eloquii Graeci de-
„pravatores liberfchriebenes Epigramm bei Rosmini Vita di F. Filelfo T. III,
p. 163. 164.
) ef. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 157 sq., wo zumal von den Ueber⸗
ſetzungen des Brunetto Latini gehandelt wird.
350 f V. Die Ueberſetzungsliteratur.
die griechiſchen Autoren leichter und überſichtlicher zu genießen, als
wenn ſie ſich erſt durch Wortformen und Unverſtändlichkeiten, durch
fehlerhafte Handſchriften und mangelhafte Hülfsmittel hindurchkämpfen
mußten. Darum der ſonſt unbegreifliche Werth, der auf die Arbeit
des Ueberſetzens gelegt wurde.) Es lag ein gewiſſer Stolz in dem
Gefühl, den geiſtigen Schatz der untergehenden Griechenwelt der latei⸗
niſchen Bildung, einzuimpfen, man nannte das Ueberſetzen bezeichnend
„der Latinität ſchenken “ oder „mit der Latinität beſchenken.“
N Mit den alten Ueberſetzungen einzelner Werke konnte man ſich
nicht mehr begnügen, ſie waren kaum verſtändlich und die der Dichter
ganz ungenießbar. Man wollte den Ariſtoteles nun kennen, nicht mehr
bloß verehren, nicht mehr Geheimlehren aus ihm heraus- und in ihn
hineinleſen. In den lateiniſchen Ueberſetzungen griechiſcher Werke —
ſagt einmal Pius II, dem es in ſeiner Jugend nicht geworden war,
Griechiſch zu lernen, und der während ſeines Lebens jenſeits der Alpen
von dem literariſchen Treiben Italiens ein wenig abgeſchloſſen blieb —
zumal in den älteren, muß man errathen, was der Autor will; wenn
Ariſtoteles wieder auflebte, würde er Vieles, was wir ihm zuſchreiben,
nicht mehr als das ſeinige erkennen.)
Dazu kam ein recht wunderlicher Irrthum, der den Eifer des Ueber⸗
ſetzens nicht wenig angeregt hat. Man hatte von Eloquenz, die einmal
als die vornehmſte Schönheit der alten Literatur erſchien, den Begriff,
den man haben mußte, wenn Cicero als das Muſter galt. Nun
las man, wie er und die Römer überhaupt unaufhörlich auf Hellas
als das Mutterland der Schönheit hinwieſen; man zog den Schluß,
jene Eloquenz müſſe den Hellenen im höchſten Maße zu Eigen geweſen
ſein. Selbſt die Kenner des Griechiſchen hegten ſolche Pietät und Ehr⸗
furcht vor dem römiſchen Urtheil, daß ſie es nicht zu geſtehen wagten,
wenn ſie ſich in ihrer Erwartung getäuſcht fanden. Andre Leſer ſtanden
natürlich vor jeder Ueberſetzung, auch vor den beſſeren, unbefriedigt da:
ſie fanden nicht, was ſie geſucht hatten, und weil ſie die Schuld nicht
auf die verehrten Griechen ſelber zu ſchieben wagten, mußte jedesmal
der Ueberſetzer ſie tragen. Man blieb überzeugt, Homeros müſſe durch⸗
aus hinreißender und glühender geſungen, Thukydides anmuthiger er⸗
9 Darüber ſpricht ſich z. B. Frane. Barbaro opist. 127. ed. Quirino
p. 185 sq. in bedeutſamer Weiſe aus.
) Asia cap. 71.
V. Die Ueberſetzungsliteratur. 351
zählt, Demoſthenes herzergreifender geſprochen, Platon klarer und in
leichteren Sätzen, Ariſtoteles lebhafter und piquanter geſchrieben haben.
Es war gewiſſermaßen eine Naivetät, wenn jener Papſt Pius ſich er⸗
laubte zu ſagen, er finde den Ariſtoteles, deſſen Politik er ſich einſt in
Bruni's Uebertragung gekauft und deſſen Rhetorik er in des Trapezuntios
Bearbeitung las, „aller Eloquenz baar“, wenn er hinzuſetzt, dieſe Be⸗
merkung hätten eigentlich Viele gemacht und nicht begreifen können,
wie Ariſtoteles nach dem Berichte der Alten eloquente Schüler gebildet
haben ſolle.) Ueber Xenophon's Denkwürdigkeiten des Sokrates wollte
er ſich des Urtheils beſcheiden, weil er das Original nicht leſen könne;
in der lateiniſchen Ueberſetzung aber wollten ſie ihm wenig gefallen.
Des Arrhianos Beſchreibung der Feldzüge Alexanders fand er begreif⸗
licherweiſe ſehr trocken. Solcher Urtheile wüßten wir uns bei italieni⸗
ſchen Schulgelehrten nicht zu erinnern. Viel eher erlaubt ſich zum
Beiſpiel ein Filelfo, von Quintilianus' Beredtſamkeit zu bekennen, ſie
ſchmecke ihm nach einer gewiſſen Hispanität oder, offener geſagt, Bar⸗
barei, ſei ohne Glanz und Eleganz, ergötze und rühre nicht; Quinti⸗
lianus habe die Regeln der Kunſt, die er lehre, offenbar ſelbſt nicht
anzuwenden gewußt.) In dieſer Weiſe von einem Griechen zu ſprechen,
hätte ſelbſt Filelfo nicht übers Herz gebracht. Lieber gingen manche
Ueberſetzer darauf aus, mit ihrer lateiniſchen Eloquenz der griechiſchen
ein wenig nachzuhelfen, was die Leſer wieder noch mehr zu dem Glau⸗
ben verleitete, einſt müſſe die Zeit kommen, in welcher die volle, hohe
Redekunſt der Griechen auch aus den Ueberſetzungen hervorſtrahlen
werde. |
Florenz war die Mutter auch der Ueberſetzungsliteratur, in ihrer
Beförderung erſcheint Papſt Nicolaus wiederum nur als der Zögling
der florentiniſchen Kreiſe. Nur wurde bei ihm zur einſeitigen Lieb⸗
haberei, was dort nur ein Zweig unter vielen geweſen war. Während
der Unionsverhandlungen mit den Griechen wurden Ueberſetzungen grie⸗
chiſcher Kirchenväter geradezu ein praktiſches Bedürfniß, von den kirch⸗
lichen Autoren ging man dann zu den Claſſikern über. Lionardo Bruni
widmete ſich vorzugsweiſe dieſer Beſchäftigung. Sein Erſtlingswerk
war eine Homilie des h. Baſilios, die er aus Dankbarkeit Salutato
darbrachte, der ihm zum Erlernen der griechiſchen Sprache verholfen.
j 1) Pii II. Comment. p. 244. Ä
) Filelfo's Brief an Giov. Tuscanella v. 10. Juli 1440.
—
352 V. Brunt’s Weber] etzungen.
Es folgten acht Lebensbeſchreibungen Plutarch's, ein paar Reden von
Aeſchines und Demoſthenes, des Prokopios Geſchichte der Gothen und
die Geſchichte des erſten puniſchen Krieges aus Polybios, Platon's
Phädon, Gorgias, Phädros, Kriton und die Apologie des .
des Ariſtoteles Ethik, Oekonomik und Politik.)
Die letztgenannten Werke waren für dieſe Literatur epochemachend.
Den Platon in würdiger Geſtalt den Lateinern zu geben, hatte Bruni
ſein Patron Salutato als eine heilige Pflicht auf die Seele gebunden,
er ſelbſt betrachtete dieſe Arbeit als die ſchönſte Frucht, die der Unter⸗
richt des Chryſoloras, der mit einer Ueberſetzung der Republik voran⸗
gegangen, tragen konnte. Die Hoheit und Grazie des dichteriſchen
Philoſophen ging ihm immer heller auf, je mehr er als Ueberſetzer
gezwungen war, das Einzelne zu beachten und zu durchdenken. Die
Klarheit war ihm das erſte Gebot: man ſollte den Autor ohne Mühe
leſen können, als hätte er urſprünglich lateiniſch geſchrieben. Vom
Sinne erlaubte er ſich keine Abweichung; wo Wort für Wort leicht⸗
verſtändlich übertragen werden konnte, that er es, wo aber bei ſolchem
Verfahren der Sinn dunkel geblieben wäre, zog er die Umſchreibung
der Wörtlichkeit vor.) Den urſprünglichen Plan, alle Werke Platon's
zu übertragen, führte er freilich nicht aus; es blieb bei den obenge⸗
nannten Dialogen.
Ungleich mehr Ruhm haben ihm ſeine Ueberſetzungen ariſtoteliſcher
Werke eingebracht. Man nannte ihn ſelbſt wohl den modernen Ariſto⸗
teles. Er war der erſte, dürfen wir ſagen, der dem Abendlande den
wirklichen Ariſtoteles wieder zuführte. Die Politik übertrug er ſogar
nach dem erſten Exemplar des Buches, welches durch Vermittelung
Palla's de' Strozzi nach Italien gekommen war. Er verſichert, er habe
uͤber drei Jahre daran gearbeitet und Wort für Wort, Satz für Satz
erwogen. Jetzt erſt, ſagte man, könne man die Werke des Ariſtoteles
leſen und verſtehen, jetzt erſt könne man es glauben, daß er den Ruhm
des eleganten Ausdruckes, den ihm gewichtige Zeugniſſe der Alten zu⸗
ſchreiben, zumal Cicero, der ſeine Schriften einem goldenen Fluſſe ver⸗
gleicht, wirklich verdiene. Bruni's Arbeiten verbreiteten ſich ſchnell über
——
) Poggius Orat. in funere Leon. Aretini in Baluzii Miscell. Lib. III.
p- 248. Genaue Angaben bei Mehus Vita Leon. Bruni vor N Ausgabe der
Briefe deſſelben p. LXX sq. |
) Leon. Bruni epist. I, 8.
V. Bruni's Ueberſetzungen. Der neue Ariftoteles. 353
ganz Italien und über die Alpen hinaus: der Herzog von Glocefter
erbat ſich von ihm ein Exemplar ſeiner überſetzten ariſtoteliſchen Po⸗
litik, und ein anderes ſchickte Bruni dem Könige von Aragon nach
Spanien. Selbſt die Katheder⸗Philoſophen legten hier und da den
neuen Ariſtoteles ihren Vorträgen zu Grunde. Männer wie der Erz⸗
biſchof Antoninus von Florenz, die ſich um die Eleganz wenig küm⸗
merten, freuten ſich doch der Klarheit des Stils und der Schärfe des
Ausdrucks. Sogar ein gelehrter Grieche der ſpäteren Zeit, Andronikos
aus Theſſalonike, der die andern Ueberſetzer für gewiſſenloſe Para⸗
phraſten erklärte, rühmte Bruni's glaubwürdige Treue.“)
Dagegen gab es auch einige Anhänger des alten ſcholaſtiſchen Ari⸗
ſtoteles, die nach Kräften bemüht waren, an der neuen Uebertragung
Einzelnes auszuſetzen, und Bruni den Vorwurf machten, ihm fehle die
Vertrautheit mit der philoſophiſchen Discipflin. Wir nennen unter
dieſen nur Ugo Benzi von Siena, der gegen Bruni's Ueberſetzung Miß⸗
trauen faßte, weil 1 9 des Ariſtoteles darin nicht einfach durch
bonum, ſondern durch zummum bonum wiedergegeben war, und einen
gelehrten Juriſten Namens Alfonſo de S. Maria, einen Spanier aus
Cartagena und nachmaligen Biſchof von Burgos, der in der modernen
Ueberſetzung etwas wie Ketzerei witterte, die griechiſch⸗gebliebenen Aus⸗
drücke der alten Verſion beibehalten und den Text des Ariſtoteles um
jeden Preis mit den Forderungen der Moralphiloſophie in Einklang
gebracht wiſſen wollte, übrigens weder von der griechiſchen Sprache
noch von dem, was eine Ueberſetzung zu leiſten habe, eine Vorſtellung
beſaß.)
Die florentiniſchen Freunde, ſoweit ſie Griechiſch verſtanden, folgten
Bruni's Beiſpiel. Marſuppini überſetzte die Batrachomyomachie. Tra⸗
verſari pflegte mehr das Gebiet der kirchlichen Autoren, er übertrug
Werke des Baſilios und Chryſoſtomos, die Lebensbeſchreibung des
letztern von Palladios und die des Gregorios von Nazianz, welche
Gregorios Presbyter geſchrieben, Predigten Ephraem's des Syrers und
') Raphael Volaterr. Lib. XXI. — Manetti in Orat. funebr. ap. Me-
hus J. c. p. CI: haec Aristotelica vitio priorum interpretum corrupta atque
depravata nunc primum latina effecta fuisse intelligimus ete. Cf. Leon. Bruni
epist. IV, 19. 22. VIII, 1. 7. IX, 1. X, 10. Franc. Barbari epist. 127 ed.
Quirino p. 188. Facius de vir. illustr. p. 10.
) Leon. Bruni epist. V, 1. ef. IV, 22. VII, 4. 7. IX, 11. X, 24. 26.
Voigt, Humanismus. 23
354 V. Ueberſetzungen vor der Zeit Nicolaus' V.
dergleichen.) Von ſeiner profanen Beſchäftigung mit Diogenes von
Laerte wurde oben ſchon geſprochen.
Was ſonſt von Ueberſetzungen vor der Zeit Nicolaus’ V geliefert
wurde, ſteht entweder im Zuſammenhange mit den florentiniſchen Be⸗
ſtrebungen oder es ſind vereinzelte Verſuche. Erſteres gilt ohne Zweifel
von den Uebungen, welche die Venetianer Leonardo Giuſtiniani und
Francesco Barbaro mit Plutarchos anſtellten; denn die Lebensbeſchrei⸗
bungen und die ſogenannten moraliſchen Schriften deſſelben waren eben
eine Aufgabe, in die ſich Viele theilen mochten. Bei Filelfo's und
Guarino's Uebertragungen iſt die Zeit ſchwer zu beſtimmen, doch ſcheim
es, daß erſt der Wetteifer mit den Florentinern ſie anſpornte. Der
von Pier⸗Paolo Vergerio überſetzte Arrhianos, der in die früheſte Zeit
des Hellenismus gehört, hat ſich niemals zur Geltung bringen können,
aber merkwürdig iſt das Schickſal dieſes Buches. Vergerio hatte es
Kaiſer Sigmund dem Luxemburger gewidmet und mit dieſem war es
aus dem literariſchen Verkehr in das ferne Ungarnland verſchlagen.
Es kam dann in die Hand des Enea Silvio de' Piccolomini, der es
im Jahre 1454 dem Könige Alfonſo von Neapel verehrte.) Bei
dieſem erweckten die Thaten Alexander's des Großen keine geringe Nen-
gier. Als man aber begann, in Gegenwart der Hofgelehrten aus dem
Buche vorzuleſen, fand man die Sprache ſo ungeſchickt und ungenieß⸗
bar, daß jedermann der Entſchuldigung des Piccolomini beipflichtete,
als habe Vergerio eben dem Verſtändniſſe des kaiſerlichen Barbaren
angemeſſen geſchrieben. Alfonſo gab dem Bartolommeo Fazio den Auf⸗
trag, die Ueberſetzung zu revidiren, zu ſtiliſiren und zu feilen, bis fie
des großen Makedoners und der königlichen Ohren würdig fei. Wir
wagen zu behaupten, daß Fazio durchaus nichts von der griechiſchen
Sprache verſtand. Aber das machte ihn nicht verlegen, er ſollte ja
nur ein lesbares Buch herſtellen. Hier und dort zog er zwei Griechen
zu Rathe, den Nikolaos Sagundinos und Theodoros von Theſſalonile,
ſonſt aber ließ er weg, was ihm nicht paßte, ſetzte zu und änderte, wo
es ihm gut ſchien, kurz er verfuhr mit dem Arrhianos, um mit der
Indignation eines ſpäteren Herausgebers dieſes Autors zu ſprechen,
) Die Epistolae nuncupatoriae dieſer Ueberſetzungen find unter Traverſari's
Briefen in Lib. XXIII. recens. Canneto abgedruckt.
) Die Briefe des Aeneas Sylvius an den König und an Beccadelli v. 26. Ja-
nuar und an letzteren v. 29. Juni 1454 im Cod. msc. 3389. fol. der wiener Hof⸗
bibliothek.
V. Die Ueberſetzungsfabrik Nicolaus’ V 355
wie ein Eſel, wenn man die Albernheiten, wie ein Räuber, wenn man
die unverſchämten Willkürlichkeiten in Betracht zieht. Dennoch hat
man den Arrhianos lange Zeit in dieſer „ſehr angenehmen“ Ueber⸗
ſetzung geleſen und ſogar gedruckt.) Aehnliche Arbeiten dürften in
nicht geringer Zahl zum Vorſchein kommen, wenn man die für Fürſten
und Mäcene geſchriebenen Bücher genauer zu prüfen ſich die Mühe
nähme.
Papſt Nicolaus verfolgte jede literariſche Beſtrebung, die er einſt
in Florenz kennen gelernt, mit ſeinem ganzen Eifer, aber auch mit
ſeinem ganzen Eigenſinn. Gerade die Ueberſetzer, Bruni und Traver⸗
ſari, die nun beide todt waren, hatten ihm beſonders behagt. Vespa⸗
fiano hörte ihn einſt jagen, er verſtehe nun jene kirchlichen Autoren in
Traverſari's Ueberſetzung beſſer, als Andere ſie mit unendlichen Com⸗
mentaren verſtänden.) Jetzt ſollten ihm alle feine Hofliteraten Ueber⸗
ſetzungen machen, weil er immer leſen und claſſiſche Bücher aufſam⸗
meln wollte, zuletzt nur weil er einmal ſeine Luſt daran hatte. Die
Aufgaben theilte er ſelbſt aus, oft mit geſchickter Wahl, oft auch nach
Laune; den Lohn gab er mit dem freundlichſten Geſicht, meiſtens mit
eigener Hand. Führen wir uns, ohne um die Vollſtändigkeit verlegen
zu ſein, die anſehnlicheren Producte der päpſtlichen Ueberſetzungs⸗
fabrik vor.
Für Ariſtoteles war auch nach Bruni noch gewaltig viel zu thun
und der Papſt ſcheint der Meinung geweſen zu fein, daß dieſe Arbeit
vorzugsweiſe den geborenen Griechen zukomme. Georgios Trapezuntios
überſetzte die Phyſik und die Problemata, ferner die Metaphyſik, letztere
vielleicht aus Rivalität gegen Beſſarion, wie denn auch beide ſchon vor⸗
her die größere Rhetorik übertragen hatten. Nur zwei Werke übertrug
Theodoros Gaza, die Problemata und ſpäter die Bücher über die Natur
der Thiere, dieſe Arbeiten galten für beſonders gelungen. Die an
Nikomachos und die an Eudemos gerichtete Ethik übernahm Gregorius
Tifernas. Freilich iſt ihr Verdienſt ſo wie das Bruni's in der Folge
durch Argyropulos verdunkelt worden, und für ewige Zeiten haben ſie
alle nicht gearbeitet. Aber man las nun doch wirklich die Werke des
) Facius de vir. illustr. p. 8 und Mehus B. Facii Scripta vor der Aus⸗
gabe dieſes Werkes p. XXXXIV sq., meiſtens nach einem Briefe des Zeitgenoſſen
Sacopo Curlo.
1) Vespasiano: Nicola V Papa 8 26.
23 *
356 V. Die Ueberſetzungsfabrik Nicolaus’ V.
Hellenen, wobei wir ihre Echtheit dahingeſtellt ſein laſſen, nicht mehr
jene dunkeln Machwerke, wie ſie auf Veranlaſſung Kaiſer Friedrich's II,
Manfred's und des Papſtes Urban IV im 13. Jahrhundert entſtanden
waren, man ließ die Subtilitäten fallen, welche die Araber in das
Syſtem hineingebracht, und man bedurfte nun nicht mehr des großen
Commentators, der ebenſo wenig Griechiſch verſtanden hatte wie ſeine
und des Ariſtoteles zahlloſe Bewunderer in Frankreich und Italien.
Die kirchliche Autorität des Stagiriten war für immer geſtürzt, an
ihre Stelle trat das Verſtändniß. j
Die größeren Werke Platon's waren noch immer faft unbekannt.
Wenn ſelbſt von Männern wie Guarino und Filelfo erzählt wird, ſie
hätten die platoniſchen Schriften aus Konſtantinopel herübergebracht,
ſo ſcheint es doch, daß dieſe Bücher gleich mumiſirten Leichen in ihren
Bibliotheken ſtanden. Die Meiſten wußten von Platon nicht mehr,
als was Cicero von ſeinem idealen Staate mittheilt, von der Austrei⸗
bung der Dichter, der Gemeinſchaft der Weiber u. ſ. w. Von einem
und dem andern der Humaniſten hören wir dann, daß er Bruni's Bei⸗
ſpiel folgte und ſich an einzelne Dialoge machte. Sie wurden wenig
verbreitet, man verſtand ſie nicht. Jetzt übertrugen Decembrio und
Trapezuntios die Republik, wie ſchon Chryſoloras gethan; dieſes Buch,
zu welchem man einige Vorbegriffe mitbrachte, zog am meiſten an.
Trapezuntios fügte das Werk von den Geſetzen hinzu. Um ſeine Mühe
oder vielmehr den Auftrag des Papſtes zu rechtfertigen, ſprach der
Elende nun wieder mit entzücktem Lobe von Platon, deſſen Ruhm er
vorher nach Kräften verkleinert hatte. Im Ganzen war der Stifter
der Akademie immer noch ein geheimnißvoller Mann, mit dem wenige
Auserwählte prunkten, ohne doch wirklich viel mehr zu verſtehen als
andre. Erſt gegen das Ende des Jahrhunderts feierte Platon in den
Akademien ſeine Auferſtehung, aber eine Geheimlehre blieb ſeine Phi⸗
loſophie auch da noch.
Sein vorzügliches Augenmerk richtete Papſt Nicolaus auf die
Geſchichtſchreiber der Griechen. Sie erſchloſſen eben die Kenntniß des
Hellenenthums von allen Seiten, ſie boten die anziehendſte und leichteſte
Lectüre. Die Vergangenheit des helleniſchen Volkes hatte lange, lange
eine tiefe Nacht bedeckt. Wir begegnen ſelbſt bei den gelehrteſten Hu⸗
maniſten den gröbſten Verſtößen auf dieſem Gebiete. Wiederum war
Lionardo Bruni der erſte, der das Dunkel durchbrach, der erſte mo⸗
derne Bearbeiter der griechiſchen Geſchichte und der erſte, der griechiſche
V. Die Ueberſetzungsfabrik Nicolaus’ V. | 357
Hiſtoriker „der Latinität geſchenkt hat.“ Um nun die Heroen der grie-
chiſchen Geſchichtſchreibung in ein würdiges Latein zu bringen, erſah
ſich der Papſt auch die Heroen unter ſeinen Hofüberſetzern. Den Thu⸗
kydides mußte Valla übernehmen, eine Arbeit, der er wenig gewachſen
war;) wir erinnern uns, wie ihn Nicolaus dafür eigenhändig mit
500 Ducaten belohnte. Auch Herodotos war ihm zugetheilt, doch hat
er ihn erſt fpäter in Neapel vollendet. Den Diodoros von Sicilien,
der erſt kürzlich aus Griechenland herübergekommen war, übertrug
Poggio.) Auch Decembrio wird als Ueberſetzer des Diodoros ge⸗
nannt; vielleicht vertheilte der Papſt in Erwägung, daß beide mittel⸗
mäßige Gräciſten waren, dieſe leichtere Arbeit unter ſie. Decembrio
lieferte außerdem eine Uebertragung des Appianos. Den Polybios wies
der Papſt dem jungen Perotti zu, deſſen Arbeit ihm dann ſo gelungen
erſchien, daß er dem glücklichen Ueberſetzer 500 neugeprägte päpſtliche
Ducaten in einer Börſe überreichte und freundſchaftlich hinzufügte, er
ſei ihm eigentlich zu weit mehr verpflichtet und gedenke ſich dieſer
Schuld ſchon noch zu entledigen.) Kleinere Aufgaben fanden ſich
reichlich in des Plutarchos Schriften und wir haben bereits erwähnt,
wie vielfältig ſich die Ueberſetzer in dieſen Schriftſteller theilten.
Die Kosmographie gehörte auch zu den Lieblingsfächern des Papſtes.
So hatte er für Strabon den Guarino auserſehen und ihm für jeden
der drei Theile, für die Aſia, Africa und Europa, je 500 Goldgulden
verſprochen. Mit zwei Theilen wurde der gelehrte Achtziger noch bei
Lebzeiten des Papſtes fertig und 1000 Goldgulden hat er erhalten,
aber ug Nicolaus Tode wurde es ihm ſchwer, auch für den dritten
9 ef. E. J. Golisch de Thucydidis interpretatione a Laur. Valla latine
facta Disquisitionis Specimen. Olsnae, 1842.
) Die Nachricht bei Recanati Vita Poggii ap. Muratori Scriptt. T. XX.
cap. 11, als habe Poggio dieſer Ueberſetzung wie der von Lukianos' Eſel in trügeri⸗
ſcher Abſicht ſeinen eigenen Namen vorgeſetzt, iſt ebenſo unſinnig (vergl. Poggii
epist. 58. im Spicileg. Roman. T. X. und Mai's Note dazu) wie die Fabel, als
habe Bruni bei ſeiner Bearbeitung von Prokopios' gothiſchem Kriege dieſen Autor
verleugnen wollen. In beiden Fällen bediente ſich der Ueberſetzerſtolz nur etwas hoch⸗
trabender Ausdrücke. Auch daß Poggio eine frühere Ueberſetzung des Diodoros für
die ſeinige ausgegeben, iſt unwahrſcheinlich, da dieſer Autor erſt unter Eugen IV von
Garatone da Trevigi, Biſchof vom peloponneſiſchen Korone, nach Italien gebracht war
(Marini degli Archiatri Pontif. T. I, p. 153). Poggio's Ueberſetzung der Cyropädie
nennen wir hier nicht, da ſie auf Anregung des Königs Alfonſo von Neapel entſtand.
) Vespasiano: Nicola V Papa 5 26; Vescovo Sipontino $2 (hier find es
600 Ducaten). Zwei Dankbriefe des Papſtes an Perotti bei Georgius Vita Ni-
colsi V p. 206. 207.
358 v. Homeros 1 letzte Wunſch Nieolaus '.
Theil einen ſo freigebigen Lohnherrn zu finden. Wohl in der Meinung,
des alten Guarino Leben dürfte für den ganzen Umfang des Werks
nicht ausreichen, hatte Nicolaus die letzten fieben Bücher jener Erdb
ſchreibung gleichzeitig dem Gregorius Tifernas aufgetragen, und
folgt in den Ausgaben die Arbeit des letzteren hinter den erſten zehn
Büchern, die Guarino geliefert hat, welchen übrigens mehr die ehr⸗
würdige Perſönlichkeit als die ſprachliche Kunſt auszeichnete.)
Wir übergehen billig die kleineren Ueberſetzungsarbeiten, auch wenn
Werke darunter ſind wie des Theophraſtos Botanik aus Gaza's Feder,
in welcher man Genauigkeit und Eleganz in ſeltener Weiſe verbunden
fand, wir wenden uns nur noch zu der Aufgabe, die dem Papſte als
die höchſte der Ueberſetzerkunſt erſchien, die ſein ſehnlichſter Wunſch bis
an den Tod war. Er wollte die homeriſchen Geſänge lateiniſch im
heroiſchen Versmaße leſen. Natürlich konnten ihn die alten Ueber⸗
ſetzungen des Leonzio Pilato oder gar des ſogenannten Pindar von
Theben nicht befriedigen. Nach ihnen hatte Chryſoloras die Odyſſee
übertragen, aber gleichfalls in Proſa. Jedermann wußte, daß die
höchſte Gunſt des Papſtes hier zu verdienen ſei, und es wurden ihm
Verſuche eingereicht, die aber ſeinem ſcharfen Urtheile nicht genügen
wollten. Wahrſcheinlich gehörte dazu Valla's Ueberſetzung der Iliade,)
Decembrio überſetzte die zwölf erſten Bücher derſelben, ), aber beide
wagten es nicht, den homeriſchen Vers nachzubilden. Guarino wurde
aufgefordert, wir hören indeß nicht, daß er die ſchwierige Arbeit unter⸗
nommen.)
Endlich ging dem ſehnſüchtigen Bapfte eine Hoffnung auf:
junger Römer Namens Orazio überreichte eine Probe, die den e
Anforderungen wirklich entſprach. Er. erhielt alsbald das Amt eines
apoſtoliſchen Scriptors und wurde durch glänzende Verheißungen zur
Fortſetzung der Arbeit angeſpornt. Dennoch iſt ſie, wir wiſſen nicht
aus welchem Grunde, liegen geblieben. Ueberhaupt haben wir von der
Perſon jenes Orazio nur geringe Kunde. Auch ſein Werk ſcheint ver⸗
ſchollen. Ein Codex der Vaticana enthält etwa das erſte Buch der
5 ) Vespasiano: Nicola V I. c.; Guerino Veronese 32. Georgius l. c.
p. 186. Tirabos chi T. VI. p. 1221. 1463.
) Sie iſt Brixiae 1474 im Druck erſchienen. Es wäre immerhin intereſſant
zu wiſſen, ob er wirklich, wie Fazio ihm vorwarf, die Uebertragung Pilato's ausge
beutet hat. Letztere iſt leider nur handſchriftlich vorhanden.
) Nach Facius de vir. illustr. p. 24 nur fünf Bücher.
) Vespasiano: Nicola VI. c.
V. Homeros und der letzte Wunſch Nicolaus’ V, 359
Iliade in lateiniſchen Verſen und mit einer Widmung an Papſt Nico⸗
laus, indeß ohne den Namen des Ueberſetzers. Man hat vermuthet,
daß es Orazio's Arbeit ſei.) Papſt Pius II erwähnt aber »einige
Bücher“ dieſer Ueberſetzung und daß er fie kannte, geht doch wohl
daraus hervor, daß er ein Urtheil fällte.) Mit mehr Wahrſchein⸗
lichkeit glauben wir den Verfaſſer jenes vaticaniſchen Fragmentes in
Carlo d' Arezzo zu finden. Er hatte vorher die Batrachomyomachie
mit entſchiedenem Beifall bearbeitet und ſandte nun dem Papſte einen
Verſuch der Iliade ein.) Nicolaus war ſogleich wieder in vollem Feuer:
Marſuppini ſollte ſich nach Rom überſiedeln und ganz dem Homeros
widmen. Poggio mußte an die Prioren und den Gonfaloniere der Re⸗
publik ſchreiben und fie im Namen der Wiſſenſchaft bitten, ihren Canz⸗
ler zu entlaſſen. Ihm ſelbſt ließ der Papſt ſeine Bewunderung be⸗
zeugen, wie er die homeriſchen Verſe ſo treu übertragen, ihre Anmuth
wie ihre Majeſtät ſo glücklich nachgebildet. Da er aber während der
amtlichen Beſchäftigungen unmöglich die Muße finden könne, die zu
einer ſolchen Arbeit nöthig, möge er nach Rom kommen. Hier ſolle
er ſo geſtellt werden, daß er, ohne für etwas anderes ſorgen zu dürfen,
nur für dieſe Ueberſetzung leben könne.)
Auch dieſe Hoffnung wurde dem Papſte geraubt; in einem halben
Jahre rief der Tod den Staatscanzler und lateiniſchen Homeros ab.
Jetzt lebte nur noch Einer, dem Nicolaus eine würdige Ueberſetzung
der Jliade und der Odyſſee zutraute. Es war Filelfo. Die Aner⸗
bietungen, die ihm gemacht wurden, zeigen ein Verlangen des Papſtes,
das wir kaum anders als ein krankhaftes nennen können. Auch Filelfo
ſollte vom mailändiſchen Hofe losgebeten werden und um ſorgenfrei zu
arbeiten, in Rom ein ſchönes und eingerichtetes Haus nebſt einem er⸗
giebigen Landgute als Geſchenk erhalten. Ferner wollte der Papſt bei
einem beliebigen Banquier 10,000 Zecchinen niederlegen, die Filelfo zu⸗
fallen ſollten, ſobald er die beiden Gedichte Homers vollendet vor⸗
legte.) Dieſer Plan aber wurde, wohl um des Herzogs von Mai⸗
) Georgius l. c. p. 193. 210.
) Europa cap. 58.
) Aeneas Sylvius de vir. elar. XVI. Hieron. Aliottus (Epistt. et
Opusc. T. II. Arretii 1769) p. 330: Carolus Arretinus — latinum facere Home-
rum est adgressus et praegustionem quandam ingenii sui nobis reliquit, librum
unum aut item alterum transferens, eleganti quidem carmine ac terso etc.
) Die beiden Breven v. 24. October 1452 theilt Mai im Spicileg. Roman.
T. I. p. 574 mit. |
) Philelfi epist, XXVI, 1 an Lobriſio Crivelli. Rosmini Vita di Filelfo
360 | V. Uebertragungen kirchlicher Autoren.
land willen, ganz geheim gehalten. Wenige Tage vor ſeinem Tode
theilte ihn der Papſt wie ein ſchweres Geheimniß dem vertrauten Tor⸗
tello mit. Seinen ſchönſten literariſchen Traum hat er mit ſich ins
Grab nehmen müſſen. Die leichten Verſe des Niccolo della Valle,
eines römiſchen Jünglings, der zwei Decennien ſpäter die homeriſche
Aufgabe zur Bewunderung ſeiner Zeitgenoſſen löſte, fanden nicht mehr
den glänzenden Lohn, den Nicolaus für dieſe herzlichſte Sorge ſeines
Pontificats mit Freuden geſpendet hätte.
Auch die Ueberſetzungen kirchlicher Autoren verdienen hier wohl
Erwähnung, ) war doch Traverſari, der Florentiner, das Vorbild.
Gleich ihm hegte Papſt Nicolaus beſonders für die ältere Theologie
ein Intereſſe. Manetti übernahm eine neue Ueberſetzung der ganzen
Bibel, zunächſt des neuen Teſtamentes und des Pſalters, aus den Ur⸗
terten. Weder ihm noch dem Papſte war es anſtößig, daß darin ein
gewiſſes Mißtrauen gegen die Autorität des h. Hieronymus lag. Wie
weit Manetti in ſeiner Arbeit noch bei des Papſtes Lebzeiten kam,
wiſſen wir nicht genau, doch der ungeahnten Myſterien, welche er in
Folge dieſer neuen Bibelüberſetzung zu enthüllen verſprach, iſt die Welt
nicht gewürdigt worden. Tortello und Trapezuntios überſetzten das
Leben des Athanaſios von Gregor von Nazianz, letzterer auch einige
Werke des Kyrillos und Baſilios und das Leben des Moſes von Gre⸗
gorios von Nyſſa, mit denen er gerade ſo leichtfertig und willkürlich
ſchaltete wie mit des Euſebios evangeliſcher Vorbereitung. Als die
wünſchenswertheſte Leiſtung auf dieſem Gebiete erſchien dem Papſte eine
Ueberſetzung der achtzig Homilien des Joannes Chryſoſtomos über das
Matthäus⸗Evangelium; man wiederholte ſich die Erzählung, daß einſt
Thomas von Aquino, als ihm die bisher bekannten 25 Homilien in
der Ueberſetzung des Orontius zu Paris gezeigt wurden, geſagt haben
ſolle, er wolle lieber dieſes Buch als ganz Paris. Der Papſt hatte
dieſe Arbeit einſt dem Trapezuntios übertragen, der vor andern den
Vorzug hatte, mit Allem bald fertig zu ſein, hier indeß ſein Vertrauen ſo
wenig rechtfertigte, daß er ſpäter den Theodoros Gaza dafür gewann.)
T. II. p. 95 beſpricht auch die Frage, ob die unter Filelfo's Namen gedruckte Ueber⸗
ſetzung der Odyſſee von ihm verfaßt oder von ſeinem Sohne Mario oder überhaupt
untergeſchoben ſei.
) Ueber ältere Ueberſetzungen . derſelben cf. Mehus Vita Ambros.
Travers. p. 218.
) Vespasiano: Nicola V $ 26 ee Trabisonda 8 2. e
J. c. p. 180. Bähr a. a. O.
v. Nicolaus V als Bücherfammler. 361
Auch das Forſchen nach den etwa noch verborgenen Schriften der
alten Römer und der Kirchenlehrer, welches ſo eifrig, wie wir ſahen,
von Florenz aus betrieben wurde, hat Papſt Nicolaus mit demſelben
Eifer fortgeſetzt. Er bediente ſich dazu eines gewiſſen Alberto Enoche
aus Ascoli, der ihm von Florenz her bekannt war, wo er im Hauſe
der Medici Kinder unterrichtet.) Dieſer Menſch galt als geſchickter
Aufſpürer und Entführer alter Codices. Mit päpſtlichen Empfehlungs⸗
ſchreiben ausgerüſtet durchmuſterte er die Kirchen- und Kloſterbiblio⸗
theken von Italien bis in den ſcandinaviſchen Norden, von England
bis nach den Ufern der Weichſel und des Pregels.) Den Mönchen
befahl ein apoſtoliſches Breve bei Strafe der Excommunication, dieſem
Bücherſpürer die Bibliotheken zu öffnen. Der Papſt hatte ihm den
beſondern Auftrag gegeben, nach den vollſtändigen Dekaden des Livius
zu ſuchen, deren Exiſtenz irgendwo im Norden immer noch ſeit den
Tagen Martin's V und Niccoli's ſpukte.) Poggio ſchüttelte bereits
ungläubig den Kopf: als ſich wieder ein Menſch fand, der den ganzen
Livius geſehen haben wollte, bot er kühn für jede Dekade hundert
Ducaten, meinte aber gewiß ſehr richtig, jener wolle nur Geld er⸗
ſchleichen, um in fein nordiſches Vaterland heimkehren zu können.“)
) Ambros. Travers. epist. VII, 5.
2) Ich theile hier aus dem Geh. Archiv zu Königsberg das Breve Nicolaus’ V an
den Hochmeiſter Ludwig von Erlichshauſen mit. Es datirt v. 30. Apr. 1451 und iſt von
Poggio verfaßt. Dilecte fili. Salutem et apostolicam benedictionem. Jamdiu decre-
vimus atque ad id omni studio operam damus ut pro communi doctorum virorum
- comodo habeamus librorum omnium tum latinorum tum grecorum bibliothecam
condecentem pontificis et sedis apostolice dignitati, et jam ex iis qui reperiun-
tur omnis generis scriptorum majorem partem habemus. Sed cum multi libri
ex antiquis deficiant, qui culpa superiorum temporum sunt deperditi ad inqui-
rendum et transscribendum si reperiantur cjusmodi libros mittimus Dilectum fi-
lium Enoch Esculanum virum doctum grecis et latinis litteris familiarem no-
strum, qui diversa loca et Monasteria inquirat si quis ex ipsis deperditis apud
vos libris reperiretur. Idcireo nostri contemplatione velis omnes tui Territorii
libros sibi ostendere antiquos presertim et prisce scripture, et simul permittere
ut in tuo Territorio seribi possit expensis nostris. Nolumus enim ut aliquis
liber surripiatur, sed tantummodo ut fiat copia transcribendi super quibus ipse
Enoch tecum loquetur latius ex parte nostra. Datum Rome apud Sanctum Pe-
trum sub anulo piscatoris die Ultima Mensis Aprilis Pontificatus nostri Anno
quinto etc. a. C.1451. Insuper quia ad diversas mundi partes iturus est: hortamur
te, ut in omni sua necessitate nostri contemplatione sibi subvenias. — Poggius.
) S. oben S. 139. |
9) Poggii epist. 51. 52. im Spieileg. Roman. T. X. Mai hat dieſen Men⸗
ſchen offenbar irrig mit Enoche identificirt, der ja in Ascoli heimiſch war.
362 | V. Nicolaus V als Bücherſammler.
Den Enoche hielt er gleichfalls für einen beſchränkten und unwiſſenden
Menſchen, und allerdings ziemte es keinem ſo wohl wie dem alten
Poggio, darüber zu lachen, daß er nun ſeit zwei Jahren unterwegs
ſei und noch von keinem Funde Nachricht gegeben habe. Er und ſeine
Freunde hatten nicht mehr viel zu finden übrig gelaſſen. Mag Enoche
manches treffliche Exemplar aufgeſtöbert und über die Alpen gebracht
haben, was er von noch unbekannten Werken fand, iſt allerdings eine
ſehr ärmliche Ausbeute. Nur das Werk über die Kochkunſt der Alten,
welches dem Cölius Apicius zugeſchrieben wird, und der Commentar
des Pomponius Porphyrio zum Horatius werden uns genannt.“)
Bedeutender wohl war der Erwerb griechiſcher Bücher, die Nico⸗
laus vor und nach der Eroberung von Konſtantinopel, in Griechenland
und im türkiſchen Aſien zuſammenkaufen ließ. Geheime Agenten führten
das Geſchäft; denn man ſchämte ſich dieſer friedlichen Verbindung mit
dem Erzfeinde des chriſtlichen Namens, weil die Unthätigkeit des Papſtes
dem erſchütternden Sturze von Byzanz gegenüber ſchon Aergerniß ge⸗
nug gab. Der verrufene griechiſche Schmutz und Staub auf den per⸗
gamentenen Bänden, die aus dem Türkenlande herüberkamen, war dem
Papſte ein froherer Anblick als die griechiſchen Geſandten, die mit der
Bitte um Geld und Hülfe vor ihn traten. Griechenland, tröſtete ſich
der Humaniſt, geht nicht unter, es wandert nur nach Italien herüber.
Die griechiſchen Bücher blieben trotzdem noch lange Zeit ſehr ſelten
und koſtbar, weil der Copiſt ein Gelehrter ſein mußte und ein Ge⸗
lehrter ſich ungern zum Copiren bequemte. Guarino, der ſeit den
Tagen des Chryſoloras griechiſche Werke geſammelt, konnte die Proble⸗
mata des Ariſtoteles und die Aphorismen des Hippokrates nicht er⸗
langen, er wandte ſich nach Florenz an Poggio; auch dieſer wußte nur
von einem Exemplar der Problemata, welches Papſt Nicolaus beſaß
und aus welchem Gaza überſetzte, wegen der Aphorismen wußte auch
er keinen Rath.) Auch hebräiſche Bücher begann man nun zu ſam⸗
meln, beſonders war der Papſt nach dem hebräiſchen Matthäus⸗Evan⸗
gelium begierig, für deſſen Auffindung er 5000 Ducaten ausſetzte.)
Man ſieht aus dem Allen wieder, daß Nicolaus mehr das Bücher⸗
) Platin a p. 613. Vespasiano Enoche d' Ascoli: trovò poche degne
cose di memoria.
) Poggii epist. 84. im Spicileg. Roman. T. X.,
) Platina l. c. Manetti l. c. p. 926. Filelfo's Brief an Papſt Calix⸗
tus III vom 19. Februar 1456.
*
V. Nicolaus V als Begründer der Vaticana. 363
ſammeln und das Büchermachen liebte als unmittelbar die Förderung
der Geiſter, und ſo war auch der Endzweck ſeiner Beſtrebungen einfach
die päpſtliche Bibliothek. Sein Name ſollte einſt neben denen
eines Ptolemäos Philadelphos und eines Trajanus glänzen. Vielleicht
war er ſelbſt damals, als er Niccoli's Bibliothek zu S. Marco nach
dem von ihm ſelbſt entworfenen Syſtem aufſtellte, der Meinung ge⸗
weſen, Florenz ſei zum Archiv der alten Welt vorzugsweiſe berufen,
aber es iſt auch natürlich, daß auf dem apoſtoliſchen Stuhle Rom ihm
als der würdigſte Ort erſchien. Hier gedachte er mit großartigen
Mitteln in der begrenzten Zeit eines Pontificates zu Stande zu brin⸗
gen, was in Florenz die Energie eines einzigen Mannes, der freilich
ſein Leben darauf verwendete, ſo glücklich geſchaffen, eine dem öffent⸗
lichen Nutzen gewidmete Centralſtelle der Bücherwelt. Sie ſollte den
Prälaten der Curie und den Gelehrten Rom's zu bereitem Gebrauche
dienen, dem vaticaniſchen Palaſt zur ſchönſten Zierde gereichen und
Rom für ewige Zeiten zum Mittelpunct der Wiſſenſchaft erheben.
Man darf Nicolaus V immerhin als den Stifter der vaticaniſchen
Bibliothek bezeichnen, obwohl ſie vor ihm beſtanden hat und erſt nach
ihm eine öffentliche geworden iſt. Jene Bücherſammlung, die Martin V
von Avignon nach Rom ſchaffen ließ, war ohne Zweifel nicht mehr
als der zum Geſchäftsleben nothwendige Apparat. Noch zu den Zeiten
Eugen's IV waren die römiſchen Bibliotheken unbedeutender und ver⸗
wahrloſeter, als Städte und Höfe zweiten oder dritten Ranges ſie auf⸗
weiſen konnten. Traverſari hat ſie durchmuſtert: von der päpſtlichen
und der zu S. Peter gehörigen ſagt er ausdrücklich, daß er nichts von
erheblichem Werthe darin gefunden.) Der Ruhm der Vaticana ruht
auf ihrem claſſiſchen Charakter und dieſen erlangte ſie entſchieden durch
Nicolaus V. Bekanntlich hat hier erſt Sixtus IV die öffentliche Biblio⸗
thek begründet, mit regelmäßigen Fonds ausgeſtattet und an Stelle der
Auguſtinermönche, die bisher ein Privilegium auf dieſes Amt gehabt,
Gelehrte zur Präfectur ernannt, zuerſt den in der Geſchichte der claſſi⸗
ſchen Editionen wohlbekannten Biſchof von Aleria, dann ſeit 1475 den
nicht minder berühmten Platina. Und doch hat Sixtus nur die An⸗
ordnungen getroffen, die Nicolaus ausgedacht und angebahnt, ſo wie
er wiederum den Grundgedanken von Niccoli, dem florentiniſchen Pri⸗
vatmanne, überkommen.
) Ambros. Travers. Hodoeporicon und epist. VIII, 42. 48, XI, 21
364 v. Nicolaus V als Begründer der Baticane.
Dieſes Inſtitut war in den letzten fünf Regierungsjahren, alſo
ſeit dem Jubiläum der Stadt, die Lieblingsſorge des Papſtes. Den
financiellen Zuſammenhang der päpſtlichen Liebhabereien mit dem Jubel⸗
jahre legten wir oben dar. Seit jener Zeit begann der Papſt mit
rückſichtsloſer Vorliebe Bücher ſuchen zu laſſen und um jeden Preis zu
kaufen. An allen wichtigen Stapelplätzen der Literatur hatte er ſeine
Schreiber und eine Schaar derſelben umgab ihn in Rom.) Und wie
er in Allem den ſtattlichen Prunk liebte, ſo auch in der glänzenden
Ausſtattung der Bände, deren goldene oder ſilberne Spangen noch jetzt
davon zeugen.) Das Alles war des unermüdlichen Tortello Sorge
anheimgegeben, aber dieſer hatte auch in financieller Rückſicht die freieſte
Hand. 40,000 Scudi etwa hat nach einer Berechnung der Aſſemani “)
dieſer Papſt für Bücher ausgegeben. Doch ſind in Betreff der Bände⸗
zahl, die er zuſammengebracht, die Nachrichten auffallend verſchieden,
auch wenn wir nur ſolche Zeugen hören, die ihrer Lage nach genau
unterrichtet fein konnten. Tortello felbft, der das Verzeichniß der päpft⸗
lichen Bibliothek angefertigt, gab 9000 Bände an.) Papſt Pius II
ſchätzte die Sammlung dagegen auf nur etwa 3000 Bände) und der
Erzbiſchof Antoninus von Florenz gar nur auf 1000). So mögen
denn wohl Manetti und der Buchhändler Vespaſiano der Wahrheit
am nächſten kommen, wenn ſie mit Beſtimmtheit angeben, daß der Ka⸗
talog bei dem Tode des Papſtes 5000 Bände aufgewieſen habe.) Das
war nun die Freude des Papſtes: unter dieſen Büchern umherzuwan⸗
deln, ſie zu ordnen und zu ſtellen, ſich dieſes oder jenes reichen zu
laſſen und zu durchblättern, die ſchönen Bände zu beſchauen, ſein Wap⸗
pen auf denjenigen zu ſehen, die ihm gewidmet und überreicht waren
und zum voraus den Dank zu genießen, den einſt die Männer der
Wiſſenſchaft nach Jahrhunderten ihrem Förderer darbringen würden.
So iſt er, Bücher ordnend, in einem Saale der Vaticana dargeſtellt
zu ſehen.
) Ves pasiano: Nicola V. 5 25. 26.
) Aeneas Sylvius de rebus Basileae gestis stante vel dissoluto Con-
cilio Commentarius ed. Fea p. 109 ſtellt ſehr bezeichnend zuſammen: Libros nitidos
et vestes ornatas amavit. N
) Praefat. ad Vol. I. Catal. Cod. msc. Bibl. Vatic. p. XXI.
*) Ves pas iano: Giov. Tortello 5 1. Hier iſt ausdrücklich von volumi die Rede.
) Europa cap. 58.
) Chronicon hist. P. III. tit. XXII cap. 12 in princ.
) Manetti Vita Nicolai V. I. e. p. 926. Vespasiano: Nicola V 5 B.
V. Nicolaus V als Begründer der Vaticana. 365
Der unermüdliche Geiſt des Sammelns, der das Haus Niccoli's
zum Herde des literariſchen Lebens gemacht, verbunden mit dem um⸗
faſſenden Blick und den reichen Hülfsquellen eines Kirchenfürſten, der
vom apoſtoliſchen Stuhle aus mehr vielleicht die literariſche als die
kirchliche Welt zu feinen Füßen ſah, das giebt der Geſtalt Nicolaus’ V
ihre Bedeutung. Aber wir fühlen es doch wohl: die Jugendzeit des
Humanismus iſt vorüber, er iſt kein Rauſch der Geiſter mehr, wird
nicht mehr mit jünglinghaftem Staunen als eine neue Welt betreten,
in welcher der abenteuernde Geiſt mit kühner Eroberungsſucht umher⸗
ſchweift. Die Humaniſten haben an den Höfen und Univerſitäten, in
Canceleien und Aemtern feſten Platz gewonnen und zeigen das ent⸗
ſchiedene Streben, ihren Stand gleichſam zu fixiren. Die Trümmer
des Alterthums werden in Inſtituten geſammelt und geſichert, endlich
gar unter dem Schutze des Statthalters Chriſti. Man gewinnt die
Ueberzeugung, daß keine neue Barbarei ſie mehr in Vergeſſenheit und
Vernichtung reißen kann, daß ſie ein eiſernes und langſam wachſendes
Capital der Menſchheit geworden ſinz.
366 VI. Propaganda des Humanismus durch die Koneilien des 15. Jahrh.
Sechstes Buch.
Propaganda des Humanismus jenjeits der Alpen.
Wie man auch urtheilen mag über den Betrieb und die Erfolge
der Studien, die unter Papſt Nicolaus’ Mäcenat eine Schaar von
Geiſtern beſchäftigt, ſchon die bloße Erſcheinung, für ſich betrachtet, iſt
von unberechenbarer Wirkung geweſen. Rom und der Papſt waren
eben nicht nur Hauptſtadt und Haupt des Kirchenſtaates, ſondern zu⸗
gleich die Mittelpuncte des kirchlichen Weſens, welches die geſammte
europäiſche Civiliſation umſpannte.
Die kirchlichen Ereigniſſe, wie wir ſahen, hatten ſeit dem Beginn
des 15. Jahrhunderts immer ſchon einen Beigeſchmack von der neuen
Wiſſenſchaft gehabt. Auf den beiden großen Reformconcilien zu Coſt⸗
nitz und zu Baſel betrat der Humanismus, der bis dahin lediglich
italieniſch geweſen, zuerſt die Weltbühne, und wie hier die Berührung
mannigfacher Nationen auf ihn einwirkte, ſo ſind desgleichen auch ſeine
erſten, oft noch feinen und matten Ausſtrahlungen auf die ultra⸗
montanen Völker bemerkbar.) Während des päpſtlichen Schisma,
welches aus dem basler Concil entſprang, miſchten ſich die humaniſti⸗
ſchen Federn mehr als einmal durch Streit- und Schmähſchriften in
die Sache des heiligen Geiſtes, deren Entſcheidung ſonſt den Theologen
und Canoniſten zuſtand. Von dem Griechenunionsconcil darf man be⸗
haupten, daß ſeine literariſchen Tendenzen ungleich wirkungsreicher ge⸗
weſen ſind als . dogmatiſchen und kirchlich⸗politiſchen.
) Ich mag hier nicht wiederholen, was ich in meiner ebenem des
Enea Silvio de' Piccolomini Buch I. Cap. 11 darüber beigebracht.
7
VI. Der Humanismus als weltbürgerliches Element. 367
Es lag im Humanismus, ſchon weil ſeine Kunſtſprache die latei⸗
niſche und weil ſein eigentliches Vaterland im Schooße der Vergangen⸗
heit begraben war, von vorn herein ein weltbürgerliches Element, nicht
gar anders wie in der Kirche. Und gleichwie in dieſer die italieniſche
Bildung einen Principat errang, ſo hat ſie auch das ganze Mittelalter
hindurch in Wiſſenſchaft und Kunſt den Weltbürgerſinn am meiſten
vertreten. Gedenken wir hier zum Beiſpiel eines Mannes wie Bru⸗
netto Latini, den Dante als väterlichen Freund ehrte. Er übertrug
aus der lateiniſchen Sprache in die Vulgärſprache ſeiner Heimath, er
dichtete in dieſer wie in jener, er liebte die provencalifche Liederdichtung
und ſchrieb eine gelehrte Encyklopädie, ſeinen Tréſor, in der Sprache
von Oil, den Teſoretto, moraliſchen Inhalts, wieder in der mütter⸗
lichen Mundart. Aber ſchon Dante, Petrarca und Boccaccio haben
fich hierin mehr nur aneignend verhalten, ſie benutzten allenfalls das
Fremdländiſche, ſchrieben ſelbſt aber nur in der alten oder in der neuen
Sprache Italiens. So auch der auftauchende Humanismus. Ein volles
Jahrhundert lang finden wir ihn ſo ausſchließlich auf Italien beſchränkt,
daß ſeine Spuren in andern Ländern höchſtens wie einzelne losgeriſſene
und ſchnell erlöſchende Funken erſcheinen. Es war in der That, als
mußte er ſeine Leuchtekraft erſt recht concentriren, bevor er ſie über
die chriftliche Welt ausſtrahlen ließ. In Italien beherrſchte er be⸗
reits die gebildeten Kreiſe, die das geiſtige Erbtheil der Menſch⸗
heit verwalten, hier war er eingebürgert an den Hochſchulen und unter
den reichen Kaufherren, unter Adel und Prälatur, in den Republiken
wie an den Höfen, ja an der apoſtoliſchen Curie ſelbſt — und doch
iſt es erſt die Zeit Nicolaus’ V, die uns die erſten deutlichen Spuren
einer Propaganda jenſeits der Alpen erkennen läßt. Während es mit
der kirchlichen Autorität und der politiſchen Größe Italiens ſchon be⸗
denklich genug ſtand, wurde dieſe Halbinſel noch einmal, wenn auch
nur für kurze Zeit, die Lehrmeiſterin der Völker. Ein freier Gelehr⸗
tenſtand als neue Form, das claſſiſche Alterthum als neuer Bildungs⸗
ſtoff, das waren Dinge, die für die Ultramontanen noch ganz zu ler⸗
nen blieben, aber ſchnell gelernt wurden. |
Mit der Verbreitung der kirchlichen Ideen und hierarchiſchen Formen,
die doch auch einſt von Italien über einen Theil Europa's gekommen,
ließe ſich die des Claſſicismus nur ſehr zwangsweiſe vergleichen. Dort
bedurfte es einer jahrhundertelangen Miſſionsthätigkeit, eines ſyſtemati⸗
ſchen Organiſirens und Centraliſirens, der nachdrücklichen Kraft und
368 VI. Propaganda des Humanismus von Italien aus.
zähen Ausdauer. Hier ſprangen die Funken wie von ſelbſt herüber,
der Zündſtoff lag in den Geiſtern bereit. Waren nur erſt die wichtig⸗
ſten Literaturwerke der Römer und Griechen eingeführt, ſo pflanzte
ſich ihr Cultus von ſelber fort und der Schüler bedurfte ſehr bald des
Lehrers nicht mehr. Das Altclaſſiſche gehörte eben ſeiner Natur nach
keiner Nation insbeſondre an, ſeine weſentlichſten Reliquien waren leicht
transportabel, für ſeine Schönheit war der Norden und Weſten kaum
weniger empfänglich als der Süden und Oſten, auf dem es einſt empor⸗
gewachſen. Auch entſtand unter den Schülern des Alterthums nicht
das mindeſte Bedürfniß nach einer zuſammenfaſſenden Autorität oder
nach einem Einigungspuncte, wie unter den Anhängern eines religiöſen
Glaubens; ihnen bot beide das weltbürgerliche Alterthum ſelber.
Nur das Beiſpiel durfte Italien geben, nur Anregungen durften
von hier ausgehen, um die Verehrung des Alterthums den andern
Nationen zuzuführen. Italieniſche Lehrer oder Geſchäftsmänner ſuchen
in Verlegenheit ein Unterkommen bei fremden Fürſten, die Humaniſten
ſchreiben an dieſe und an die Großen ihres Hofes elegante Briefe,
widmen ihnen Bücher, oft nur in Erwartung eines deſto reicheren Loh⸗
nes. Der feingebildete Geſandte tritt mit einer Rede im Stile Cice-
ro's vor ſie. In Italien ſelbſt empfängt man fremde Potentaten mit
einem Hofſtaate, in welchem die neue claſſiſche Mode ſchon ein weſent⸗
liches Element iſt: der Hofdichter begrüßt ſie mit einer Prunkrede im
Tone der alten Panegyriken, Feſte werden ihnen gegeben, in welchen
die Geſtalten der helleniſchen Mythologie und der altrömiſchen Geſchichte
eine Hauptrolle ſpielen. Ueberdies iſt ja Italien das Ziel der Reiſen⸗
den, die feine Sitte, die das, was man Welt zu nennen pflegt, kennen
lernen wollen; andre kommen um des Handels willen nach Venedig
und Florenz, oder nach Rom, um an den Gräbern der Apoſtel zu
beten, vielleicht auch irgend ein Rechtsgeſchäft zu betreiben. Nun hört
der Fremde die gefeierten Namen jener Männer, die allgemeine Ehre
genießen und auch eines ewigen Nachruhmes gewiß zu ſein ſcheinen.
Vielleicht ſieht er nur auf der Straße die feierlichen Geſtalten eines
Bruni oder Marſuppini, der großen Staatscanzler, vorüberwandeln, oder
er iſt ſo glücklich, ſich ihrer Bekanntſchaft, ihres Geſpräches rühmen zu
dürfen. Ein gekrönter Dichter, ein Lehrer des Griechiſchen oder der
modernen Rhetorik, vor deſſen Lehrſtuhl ſich Hunderte von begeiſterten
Schülern verſammeln, ſind neue Dinge für ihn, auch er findet ſich im
Hörſaal ein und ſtaunt den genialen Profeſſor an, dem die Dichter
VI. Propaganda des Humanismus von Italien aus. 369
und Redner, die Geſchichtſchreiber und Philoſophen einer längſtverſcholle⸗
nen Zeit alle bekannt und wie ſein eigen Fleiſch und Blut ſind. Iſt
die Zeit des Lernens für ihn vorüber, ſo ſchickt er wenigſtens den Sohn,
daß er ſich der neuen Bildung theilhaftig mache. Oder er ſieht Nic⸗
coli's Muſeum und Poggio's Villa: hier lernt er mit einem Blick, daß
zerbrochene Statuen und Gefäße von Marmor noch Gegenſtände der
Verehrung ſein, daß Münzen, die nicht mehr im Handel gelten, noch
einen andern Werth haben können, und daß Pergament, welches vor
einer Reihe von Jahrhunderten beſchrieben wurde, werthvoller ſei als
unbeſchriebenes. Hier ſieht er, wie gewiſſen Büchern eine faſt andäch⸗
tige Ehrfurcht gezollt wird, und dieſe Büchermänner ſind doch nicht
Kloſterbrüder oder Juriſten, ſie jagen nicht nur nach Gewinn in dieſem
und nach der Seligkeit in jenem Leben, ſie ſind begeiſterte Schwärmer
und doch ihres Lebens froh, heiter und liebenswürdig im Umgang.
Er kauft Bücher der Art oder giebt Abſchreibern Aufträge und führt
die Quellen der neuen Bildung mit ſich in ſeine Heimath.
Man merkt wohl, daß es ſchwer iſt, die erſte Ueberſiedelung des
Humanismus in die transalpiniſchen Länder zu verfolgen. Dieſe kön⸗
nen natürlich nicht ſogleich große Gelehrte aufweiſen oder epochemachende
Bücher; um derlei zu finden, müßten wir ſchon an die Grenze des
Jahrhunderts treten oder ſie überſchreiten. Es ſind eben nur die An⸗
fänge, auf die hier hingedeutet werden ſoll, die erſten Anregungen und,
Eindrücke, die an ſich unbedeutend und unſcheinbar, erſt in der dritten
und vierten Generation Frucht bringen.
Dieſe Anfänge ſind aber nicht immer dieſelben: bald finden wir
ein allmähliges Hinübergleiten der neuen Bildung auf die andre Na⸗
tion, bald einen heftigeren Uebergang mit Reibungen, ja mit Kampf.
Der Grund dieſer Verſchiedenheit lag alſo, um es zu wiederholen, nicht
in dem humaniſtiſchen Stoffe ſelber, der überall ziemlich derſelben Auf-
nahme gewärtig ſein konnte, ſondern in der nationalen Stellung, welche
zu den einzelnen Völkern die Italiener einnahmen, die einmal die Ver⸗
künder und Vertreter des Humanismus waren. Man beurtheilte zuerſt
natürlich das neue Evangelium vom claſſiſchen Alterthum nach den
Apoſteln, die es predigten. So fand es bei den romaniſchen Völkern
ein allmähliges, freundliches Entgegenkommen, einen gleichſam geräufch-
loſen Eingang. Die natürliche Stammverwandtſchaft, das römiſche
Blut machte ſich geltend, wie denn auch während der hierarchiſchen
Zeit die höheren Kreiſe der italieniſchen Prälatur immer ſtark mit
Voigt, Humanismus. 24
370 VI. Der Humanismus in England. Cardinal Beaufort.
franzöſiſchen und ſpaniſchen Elementen verſetzt waren. Die Germanen
dagegen nahmen bereits Alles mit Mißtrauen auf, was von jenſeits
der Alpen kam, als müſſe die welſche Liſt, Anmaßung und Ververbt⸗
heit dahinter lauern. Demgemäß hat die Ausſäung des humaniſtiſchen
Geiſtes über Frankreich und Spanien nicht entfernt das Intereſſe wie
ſein Eindringen in Britannien und beſonders in das eigentliche Deutſch⸗
land, wo ſichtbar mit der Hingabe an das Lockend⸗Neue ein Geiſt des
Widerſpruches ringt. Unter den andern Nationen treten die Ungarn
und die Polen hier auffällig hervor; beide ſtehen dem italieniſchen
Stamme nahe, weil ſie die Lieblingsſöhne des apoſtoliſchen Stuhles
waren und in der Peripherie des abendländiſchen Kirchenſprengels ge⸗
legen, auf deſſen Mittelpunct mit deſto anſchließenderer Verehrung
blickten.
England war in den Augen des ſchöngeiſtigen Italieners eine
kymmeriſche Ecke der bewohnten Welt, in welcher craffe Unwiſſenheit
und ſinnverwirrende Scholaſtik miteinander um den Preis der Verfin⸗
ſterung kämpften. Bei dem großen Anſehen, welches hier die einhei⸗
miſchen Univerſitäten genoſſen, war es faſt unerhört, daß ein junger
Engländer auf eine italieniſche Hochſchule geſchickt oder daß ein italie⸗
niſcher Lehrer an eine engliſche berufen wäre. Dieſe Verknüpfung der
wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen verſchiedener Nationen, welche im Mittel⸗
alter neben der kirchlichen Autorität ſo ausgleichend und weltbürgerlich
gewirkt hat wie in ſpäterer Zeit das Bücherweſen, kam alſo dem Hu⸗
manismus nicht zu Statten. An ihre Stelle traten die Reformconci⸗
lien des 15. Jahrhunderts und das Band, welches die Prälaten Eng⸗
land's an Italien feſſelte.
Auf dem coftniger Concil war Henry Beaufort anweſend, der
Biſchof von Wincheſter, ein Oheim König Heinrichs V. Als ein Kir⸗
chenfürſt von königlichem Blute, der zugleich Doctor in beiden Rechten
war und den Beinamen des Reichen führte, war er der Hauptvertreter
der engliſchen Nation und nach dem Schluſſe des Concils ernannte ihn
Papſt Martin V zum Cardinal. Als Freund des apoſtoliſchen Stuhles
von Rom hatte er immer gegolten. Dieſer hohe Herr nahm an dem
Treiben der päpſtlichen Secretäre, die in der näheren und ferneren
Umgebung von Coſtnitz nach alten Codices jtöberten, einigen Antheil
und hörte ſich gern einen Freund der ſchönen Wiſſenſchaften nennen.
Er vermochte Poggio, ihm nach der Entſetzung Johann's XXIII nach
England zu folgen. Der Humaniſt erging ſich in großen Hoffnungen,
-
VI. Cardinal Beaufort und Poggio. 371
theils auf dem britiſchen Boden noch manchen verlorenen Claſſiker wie⸗
derzufinden, theils unter dem Schutze des königlichen Prälaten ſein
Glück zu machen. Aber vornehme Herren haben wandelbare Inter⸗
eſſen. Poggio ſpielte die Rolle nicht, anf die er gehofft, mußte warten
und erhielt nach wiederholten Mahnungen endlich eine mit Seelſorge
verbundene Pfarre, die ihm 120 Gulden Einkommen gewähren und
ihn dafür wahrſcheinlich an den geiſtlichen Stand feſſeln ſollte. Das
war nicht nach ſeinem Geſchmack; er wendet auf die Art, wie der Car⸗
dinal ſeine Verſprechungen erfüllt, das Sprichwort von dem kreiſenden
Berge und der Maus an.) Er war froh, aus dem Barbarenlande
wieder unter die Sonnenſtrahlen der feineren Bildung zurückzukehren,
die nur in Italien leuchteten. Der Cardinal ſcheint ſeine claſſiſchen
Gelüſte vergeſſen zu haben, obgleich wir hören, daß er die Dombiblio⸗
thek zu Canterbury ausgebaut und mit Büchern verſorgt hat.) Poggio
behielt ihn und England überhaupt im ſchlechteſten Andenken. Er ſprach
nicht leicht von dieſem Volke, ohne über ſeine Völlerei im Eſſen und
Trinken zu witzeln; gern erzählte er, wie er mehrmals von Prälaten
und Edelleuten geladen worden, wie man vier Stunden bei Tafel ge⸗
ſeſſen und wie er dann öfters habe aufſtehen und ſich die Augen mit
friſchem Waſſer netzen müſſen, um nur nicht einzufchlafen. °)
Das basler Concil hätte neue Anregungen gegeben, wäre es von
engliſchen Biſchöfen ſtärker beſucht worden. In ſeinem Beginne kam
Enea Silvio de' Piccolomini, der zu Baſel ungefähr das war, was
Poggio zu Coſtnitz, auf einer diplomatiſchen Sendung nach England.
Obwohl er nur durchreiſte, nahm er doch die Gelegenheit wahr, im
Sacrarium der Paulskirche ein wenig nach alten Büchern zu ſuchen:
man zeigte ihm einen Codex, der wer weiß was enthielt, hier indeß
für eine lateiniſche Ueberſetzung der thukydideiſchen Geſchichte ausge⸗
geben wurde.) Auch er nahm von England ziemlich unluſtige Be⸗
griffe mit, machte aber, wohl bald darauf zu Baſel, die Bekanntſchaft
1) Seine Briefe an Niccoli aus London unter denen des Ambros. Travers. XXV,
38. 39.
2) Er ſtarb erſt 1447. Ciaconius Vitae et res gestae Pontificum Roman.
et Cardinalium etc. T. II (Romae, 1677) p. 845. Shepherd the life of Pog-
gio p. 123—129. 186.
) Vespasiano: Poggio Fiorentino $ 1.
9) Sein Brief an Joh. Hinderbach v. 1. Juni 1451. Die Sendung fällt in das
Jahr 1435. |
245
979 VI. Adam Mulin. Humphrey von Gloeeſter.
eines Engländers Adam Mulin, der wahrſcheinlich ein demüthiger
Canceliſt war wie er ſelber, aber mit Lebhaftigkeit auf die humaniſti⸗
ſchen Studien des Italieners einging. Dieſer Mulin wurde in der
Folge Staatsſecretär König Heinrich's VI und Bewahrer des könig⸗
lichen Geheimſiegels; ſein Haupt fiel auf dem Schaffot, da er in die
Verhängniſſe der Lancaſter⸗Partei verwickelt ward. Er iſt vielleicht
der erſte Engländer, der einen feinen, mit claſſiſchen Sentenzen ge⸗
zierten Brief zu ſchreiben verſtand, und mit Enea Silvio ſtand er
längere Zeit im brieflichen Verkehr.)
Zu derſelben Zeit galt Herzog Humphrey von Glocefter,
ein Sohn König Heinrich's IV und in den Intriguen des Hofes der
Nebenbuhler des Cardinal Beaufort, dem man 1447 auch ſeine Er⸗
mordung zurechnete, für einen nach italieniſcher Weiſe modern⸗gebildeten
Fürſten. Es heißt, er habe ſich italieniſche Lehrer zur Erklärung der
lateiniſchen Dichter und Redner kommen laſſen,') doch wüßten wir für
dieſe vereinzelte Behauptung keinen näheren Beleg anzugeben. Auch die
Fürſorge für Bibliotheken in England wird ihm zugeſchrieben. Gewiß
iſtt aber, daß die italieniſchen Gelehrten ihn als einen freigebigen Maͤ⸗
cenas kannten, elegante Briefe an ihn richteten und ihm Bücher wid⸗
meten. °) Auch beſitzen wir ein Schreiben von ihm ſelbſt, worin er
ſich für die Ueberſetzung der platoniſchen Republik, die ihm Decembrio
darbrachte, bedankt.) Wir müſſen hier nicht die erlangten Kenntniſſe,
ſondern zunächſt den humaniſtiſchen Sinn in Anſchlag bringen: er zeigt
ſich doch empfänglich für den Ruhm, den ihm der Italiener durch eine
ſolche Widmung bereitet, er hat ein deutliches Gefühl von der neuen
Bildung, die aus der Wiederbelebung der lateiniſchen Eloquenz und
der helleniſchen Weisheit entſpringen wird. Wie das Beiſpiel eines
Mannes von ſo hervorragender Stellung anregend und entzündend auf
ſeine Nation wirken mußte, ſtellen wir uns leicht vor, wenn wir es
auch in dieſem Falle nicht gerade nachzuweiſen wüßten. Der literariſche
) Des Enea Silvio Briefe an ihn v. 18. Juli 1443, v. 30. Mai und vom
26. October 1444. Ein Brief Mulin's ſelbſt, offenbar die Antwort auf den erſten
der Briefe Enea's, ſteht unter deſſen Briefen edit. Basil. epist. 186. Seines ſpä⸗
teren Schickſals gedenkt Aeneas Sylvius Europa cap. 45.
) Brief des En ea Silvio an Herzog Sigmund von Oeſterreich v. 5. Decem⸗
ber 1443. \
) Hume the history of England chapt. XX end.
) Bei Saxius Histor. lit. typogr. Mediol. T. I. Prodr. p. 36.
VI. Humphrey von Gloceſter. William Gray. 373
Verkehr zwiſchen England und Italien war ſeitdem für alle Zeiten
angeknüpft und der Kenner der engliſchen Literatur wird wiſſen, welche
Früchte er getragen hat. Wir hören, daß Lionardo d' Arezzo, zumal
ſeit er in Florenz Staatscanzler wurde, in England eine beſondre Ver⸗
ehrung genoß, aber wir erkennen auch gleich wieder den Stolz, den er
den Halbbarbaren gegenüber fühlte. Der Herzog von Gloeeſter hatte
ihn einſt um ein Exemplar ſeiner Ueberſetzung der ariſtoteliſchen Ethik
gebeten und ſie dann ſo vortrefflich gefunden, daß er ihn dringend er⸗
mahnte, zum Nutzen der ſtudirenden Welt auch die Politik in dieſer
Weiſe zu übertragen.) Bruni, dadurch angeſpornt, widmet ihm letztere,
ſobald er die Arbeit vollendet, und ſandte ſie nach England. Als der
Herzog aber mit der Antwort und dem Danke fäumte, ließ er un⸗
muthig die Widmung des Buches wieder vernichten und eine andre an
Papſt Eugen in Stelle ſetzen.)
Bald hören wir auch von einzelnen Beiſpielen, daß junge Eng⸗
länder ausdrücklich deshalb nach Italien kamen, um unter einem der
gefeierten Lehrer die claſſiſchen Sprachen zu lernen und um Exemplare
der claſſiſchen Autoren zu erwerben. Schon zur Zeit Niccoli's ließ
ſich ein junger Britte Thomas bei ihm durch Lionardo Bruni empfeh⸗
len. Er war, ſagt Bruni, »ein glühender Verehrer der 1
ſtudien, ſoweit es einem Menſchen feiner Nation möglich iſt. .
wollte in Florenz Bücher zuſammenkaufen.“) Die italieniſchen >
giſter fühlten ſich durch vornehme Zöglinge aus dem hohen Norden
nicht wenig geſchmeichelt, ſie ſahen im Geiſte ihre Lehre und ihren
Ruf bis zum Ende der bewohnten Welt getragen. Ein beſonderes
Aufſehen erregte der junge William Gray, ausgezeichnet durch
Reichthum und durch ſein mit dem königlichen verwandtes Blut. Nach⸗
dem er zu Cöln dem Studium der Philoſophie und Theologie ſich
hingegeben, kam er nur deshalb nach Ferrara, um den Unterricht des
alten Guarino zu genießen, der überhaupt im Auslande für den vor⸗
züglichſten Lehrer ſeines Faches galt und dieſen Ruf ſogar auf ſeinen
Sohn vererbte. Um ſchneller zu lernen, nahm der Gray einen armen
jungen Mann in ſein Haus, der aber bereits ein fertiger Latiniſt war,
1) Leon. Bruni epist. VIII, 6. rec. Mehus.
) Vespasiano: Lionardo d' Arezzo 5 9. Wenn hier von einem Herzog von
Worceſter die Rede iſt, verbeſſert ſich der Irrthum leicht.
) Leon, Bruni epist. II, 18.
374 VI. Deutſchland und der Humanismus.
Niccolo Perotti, den ſpäter berühmten Grammatiker. Die Gelchrigm
keit, die ſich der Engländer ſo erwarb, war keine geringe. Er begab
ſich dann nach Florenz und kaufte hier eine Menge Bücher, vorzugs⸗
weiſe Claſſiker, deren mancher durch ihn zum erſten Male den Weg
über den Canal gefunden. In Rom war er eine Zeit lang Procurator
des Königs von England, Nicolaus V ernannte ihn 1454 zum Biſchof
von Ely, worauf er mit ſeinen Wiſſensſchätzen und Büchern in die
Heimath zurückkehrte.)
Die Roſenkriege und ſpäter die religiöſen Spannungen haben das
Gedeihen der humaniſtiſchen Ausſaat ſtark zurückgehalten. Erſt unter
Eliſabeth iſt das antike Weſen der Modeton des Hofes und der Ari⸗
ſtokratie geworden und Manches, was im Charakter und im Hofleben
der gefeierten Königin wie eine Wunderlichkeit erſcheint, findet hierin
ſeine Erklärung und an den Höfen Italiens ſeine Parallele.
Die erſte höchſt merkwürdige Berührung des deutſchen Geiſtes
mit dem des claſſiſchen Alterthums führt uns in das Zeitalter der
Carolinger und Ottonen zurück. Schon die Literatur, die jener Epoche
entſprungen, zeigt die bekannte Erſcheinung, daß der Deutſche jeden
Bildungsſtoff, der ihm nahe tritt, mit Willigkeit aufnimmt, immer aber
in ſeiner eigenen Weiſe verarbeitet und als ein Gut von allgemeinerem,
weltbürgerlichem Charakter zurückgiebt. Italien und den deutſchen Stamm
in allen ihren Wechſeleinflüſſen zu verfolgen, würde uns weit abwärts
führen. Wir gedenken daher nur im Allgemeinen der Thatſache, wie
dieſe beiden Nationalitäten einander unaufhörlich angezogen und abge⸗
ſtoßen haben, wie viele Bande zwiſchen ihnen geknüpft wurden und wie
doch in Sitte und Denkart ein immer ſchrofferer Abſtand ſie trennte.
In der Feinheit und Glätte des Italieners ſah der Deutſche nur List
und Verderbtheit; dennoch imponirten ihm jene Eigenſchaften. Die
ungehobelte Natürlichkeit und Derbheit des Deutſchen erſchien dem
Italiener als ein plumpes Barbarenthum und doch empfand er mehr
als einmal die Schläge dieſer Naturkraft und ahnte wenigſtens, daß
in jener vierſchrötigen Biederkeit etwas Sittliches verborgen liege.
Dieſer Antagonismus ſtellte ſich am ſchärfſten in den Kämpfen heraus,
die um die welſche Hierarchie geführt wurden. Dem Geiſte nach war
— nern
) Vespasiano: Guglielmo Graim, Vescovo d'Ely. Poggii epist. 39 epi-
scopo Eliensi im Spicilegium Romgn. T. X. Henr. Wharton Anglia aacıa P.
I. Londin., 1691. p. 672.
VI. Dentſchland und der Humanismus. 375
der Italiener unbeſtritten der überlegene. Mochte der Deutſche in
jedem Einzelnen, vom Cardinallegaten bis zum unterſten Schreiber der
Curie herab, nur einen Geld⸗ und Blutſauger ſehen, der ſeine Er⸗
preſfungen noch dazu mit Stolz und Verachtung übte, mochte er auch
oft anf dem Sprunge fein, den kirchlichen Verband, der ihn vornehm⸗
lich an Italien knüpfte, zu zerreißen, immer war es als ſagte ihm ein
tiefes Bedürfniß in ſeinem Innern, er habe von dieſer Nation noch
zu lernen. Mehr als einem Volke hat ſich das deutſche ſo mit einer
Verehrung und Unterwürfigkeit hingegeben, die oft den Schein der
geiſtigen Knechtſchaft trug, bis es ausgelernt, bis es durchgeſchaut und
ſich das edelſte Gut jenes Nachbarn zu Eigen gemacht. Die Anregung
zur modernen Wiſſenſchaft und Kunſt iſt ihm unbeſtreitbar am meiſten
durch italienifche Hand überliefert. Hier ſollen nur die erſten Anſtöße
und Zuſammenſtöße angedeutet werden.
Man hört wohl die Meinung, ſchon die Brüder der Deventer⸗
Schule bätten ſich mit der claſſiſchen Literatur beſchäftigt und ein Nico⸗
laus von Cues verrathe in ſeinen Schriften eine claſſiſche Beleſenheit,
die recht wohl mit der eines italieniſchen Humaniſten wetteifern könne.
Aber man beachte nur, wie die alten Autoren hier noch ganz im Dienſte
der Theologie und in die Formen der Scholaſtik gepreßt erſcheinen.
Die bloße Beleſenheit iſt noch lange nicht jene einſeitige Begeiſterung
der Humaniſten, die allein die Kraft hat, einer neuen Wiſſenſchaft Bahn
zu brechen. An Kenntnißnahme und ſelbſt Intereſſe für das Alterthum
hat es zu keiner Zeit ganz gefehlt. Kämen nur ſie in Betracht, ſo
könnte man mit mindeſtens demſelben Recht wie die Bruderhäuſer und
den Cuſaner auch etwa Abailard und Johannes von Salisbury an⸗
führen. |
Da der Humanismus in Italien ſehr bald zum Ton der Höfe
und der beſten Geſellſchaft wurde, ſollte man vermuthen, er müßte ſich,
mie wir das in England auch ſahen, auf die höfiſchen und vornehmen
Kreiſe Deutſchlands am leichteſten verpflanzt haben. Im Ganzen aber
finden wir in Deutſchland's Fürſten und Adel gerade den ſchroffſten
Gegenſatz gegen die Fürſten und den Adel Italiens. Wie indeß die
mindeſte und noch ſo tief ſchlummernde Empfänglichkeit durch Friction
alsbald geweckt wird, das zeigt Sigmund's Beiſpiel, des römiſchen
Königs. Er iſt vielleicht der erſte Deutſche, der vom humaniſtiſchen
Geiſte angehaucht wurde und der erſte Anhauch traf ihn wahrſcheinlich
auf dem coſtnitzer Concil, deſſen Bedeutung für die humaniſtiſche Propa⸗
316 VI. König Sigmund. Vergerio.
ganda wir ſchon mehrmals hervorgehoben haben. Unter den Huma⸗
niſten, die ſich zu Coſtnitz eingefunden, war auch Pier⸗Paolo Vergerio,
der einſt die Rechte ſtudirt, dann aber unter Chryſoloras die griechiſche
Sprache erlernt und in der lateiniſchen eine gewiſſe Eleganz erworben
hatte. Er war auch ein Philoſoph alten Stils und hat in Florenz
einmal die Dialektik, in Padua, wo er Hofdichter und Feſtredner der
Carrara war, das kanoniſche Recht vorgetragen. Nach längerem Um⸗
hertreiben ging er mit Cardinal Zabarella, ſeinem einſtigen Lehrer in
den Rechten, zur coſtnitzer Synode. Hier lenkte er die Aufmerkſamkeit
Sigmund's auf ſich, vielleicht behagte er dem König eben deshalb, weil
er zugleich ein Gelehrter der alten und ein Schöngeiſt der neuen Schule
war. Sigmund nahm ihn mit ſich, und an ſeinem Hofe in Ungarn
iſt Vergerio, man weiß nicht genau wann, geſtorben.) Wir gedachten
oben ſeiner Ueberſetzung des Arrhianos, die er auf des Königs Wunſch
arbeitete und ihm widmete; er ſchrieb ſie, wie man zu bemerken glaubte,
abſichtlich in einfachem und kunſtloſem Stil, weil der König einen fei⸗
neren nicht verſtanden hätte.) |
Während der erften Jahre des basler Concils trieb ſich Sigmund,
um ſeine Kaiſerkrönung zu betreiben, längere Zeit in Italien, zumal
in Tuscien umher. Zwar hinterließ hier ſeine politiſche Thätigkeit
kaum ein anderes Andenken als das königlicher Schulden, dafür aber
war ſeine Perſönlichkeit den Italienern und mehr noch den Italiene⸗
rinnen eine ſehr angenehme geworden. Er war ein Mann von ſehr
vielſeitiger, wenn auch nicht großartiger Regſamkeit: in Italien ſchien
er es recht darauf abzuſehen, wie er ſeine Statur und ſeine blühenden
Züge im ſchönſten Lichte zeige und den Abend ſeines Lebens mit Lieb⸗
ſchaften ſchmücke. Feine Sitte hatte er mit Leichtigkeit gelernt, hier
wurde er ihrer Meiſter. Immer vergnügt und leutſelig gegen jeder⸗
mann, erſchien er um ſo liebenswürdiger, da er als König und Kaiſer
auch das Schickſal, in ſteter Geldverlegenheit zu ſein, mit Vielen theilte.
So haben ihm die Italiener immer nachgerühmt, daß er auch am hu⸗
maniſtiſchen Treiben ihres Landes Geſchmack gefunden und ſein Inter⸗
eſſe dafür bekundet habe. Wenn er Dichter wie Beccadelli, den etwas
Sn
) Obiit aetate nostra, ſagt Pius II Europa cap. 2. Näheres über ihn bei
Muratori Scriptt. T. XVI. p. 111 sd. und bei Tir abos chi T. VI. p. 1056
bis 1062.
2) Neque enim sermonis capax sublimioris erat Sigismundus, meint Enea
Silvio in dem oben erwähnten Briefe an Antonio Panormita v. 26. Januar 1454.
VI. Die Könige Sigmund, Albrecht II u. Friedrich III. Enea in Deutſchland. 377
anrüchigen Sänger des Hermaphroditus, und Cambiatore krönte, ſo
war das zwar nicht mehr eine pomphafte und Aufſehen erregende Hands
lung wie die Krönung Petrarca's oder der Florentiner, aber man rech-
nete es ihm als feine Bildung zu, daß er an den Modedichtern Ita⸗
liens eine Freude hatte. Er ſprach ſogar fertig lateiniſch, was ſelbſt
unter den italieniſchen Fürſten nicht gewöhnlich war. Kaspar Schlick,
ſein Canzler, Banquier und der Vertraute der kaiſerlichen Liebeshändel,
ſtammte mütterlicherſeits aus italieniſchem Blut, war den Humaniſten
nicht unbekannt und las ſelbſt bisweilen den Livius.) Aber der Kai⸗
ſer wurde jedesmal ein andrer, wenn er in eine andre Atmoſphäre
kam; ſeit ſeiner Rückkehr aus Italien ſcheint er ſeine en Liebha⸗
bereien vergeſſen zu haben.
Sein Nachfolger Albrecht war wieder eine kernhafte deutſche
Natur, auf Jagd und Krieg gerichtet; der lateiniſchen Sprache war
er völlig unkundig. Es folgte Friedrich III, ein Phlegma, das ſich
durch nichts aus ſeinen ſtillen Beſchäftigungen mit Gartenzucht und
Hausthieren, mit Geld und Edelſteinen, mit ökonomiſchen Berechnun⸗
gen und Finanzjuden, mit Aſtrologie und Alchymie heraustreiben ließ.
Etwas Neues in ſich aufzunehmen, dazu war er völlig unfähig: der Sinn
für eigentliche Wiſſenſchaft hat ihn niemals angewandelt. Wenn trotzdem
gerade ſein Hof und zwar gleich im erſten Jahrzehent ſeiner Regierung
der Boden war, auf welchen die früheſten Saatkörner des deutſchen
Humanismus ausgeſtreut wurden, ſo hat er ſelbſt daran nicht den min⸗
deſten Antheil. Nicht auf ſeinen Ruf, ſondern auf Veranſtaltung Andrer
und als halber Abenteurer trat im Jahre 1442 Enea Silvio de'
Piccolomini in feine Reichscancelei, dieſer aber iſt unter den Deut⸗
ſchen der eigentliche Apoſtel des Humanismus geworden.
Der neue italieniſche Cancelei⸗Secretär, der in Baſel verſchiedenen
Prälaten mit ſeiner ſtiliſtiſchen Kunſt hofirt hatte, ließ es an dem Be⸗
mühen wahrlich nicht fehlen, deutſche Fürſten für dieſelbe anzuregen.
Mag es ſein, daß er dabei vornehmlich die Abſicht hatte, ſeine Perſön⸗
lichkeit, deren Schätzung damals noch allein auf der Feder beruhte, zur
Geltung zu bringen; doch iſt es auch natürlich, daß ein Jeder den Be⸗
ftrebungen, die ihm recht am Herzen liegen, Achtung und Anhang zu
ſchaffen ſucht. Aber an Friedrich, dem Könige und Kaiſer, ſcheiterten
alle ſeine Werbungen. Er widmete ihm einen politiſchen Tractat, aber
) Enea Silvio an Kaspar Schlick v. 12. Januar 1444.
378 VI. Friedrich Inn und Enea Silvio.
es ging demſelben wie den poetiſchen Verſuchen des tiroler Grafen
Francesco d' Arco, der auch den Einfall gehabt, feine Verſe dem Kö⸗
nige zu überſenden und durch Enea hören mußte, feine ſüße Muſe be⸗
wohne den königlichen Bücherſchrank und werde hier wohl gut bewahrt
hleiben. Die humaniſtiſchen Studien, ſo äußerte dabei vertraulich der
Dichter zum Dichter, haben hier keine Heimath, nescit toga barbara
versus.) Nicht als Schöngeiſt und Schriftſteller ſtieg der Piccolomini
in Friedrich's Gunſt empor, ſondern als geſchickter Diplomat, der ihm
ohne Koſten manchen Vortheil einzubringen und ihn aus mancher Ver⸗
legenheit gewandt zu retten wußte. Auch in Italien, wohin Friedrich
zwei friedliche Züge unternahm, einen zur Kaiſerkrönung, den andern
angeblich eines Gelübdes wegen, blieb er vom humaniſtiſchen Geiſte
ganz unberührt. Er verſtand ein wenig Lateiniſch, aber ſtatt kühn und
frei zu ſprechen wie Sigmund, ließ er ſich, wenn Empfangs⸗ und Feſt⸗
reden erwiedert werden mußten, überall bevormunden. Daß unter ſei⸗
nen Tugenden die fürſtliche Freigebigkeit die ſchwächſte war, wurde von
den Literaten ſchnell erkannt. Poggio, damals Secretär an der Curie,
hatte eine Rede verfertigt, die ſein Söhnchen vortragen ſollte. Als er
aber während der Krönungszeit „dieſe kaiſerliche Statue“ ſah, „dieſen
Dleivütchen, der nur Sinn hatte für das Geldzuſammenſcharren“, er⸗
ſparte er ihm die Ungelegenheit und ſich die Mühe.) Auch Friedrich
hat Dichter gekrönt, ſo 1442 zu Frankfurt den Enea Silvio, 1452
auf ſeinem Kaiſerkrönungszuge Perotti und Porcello, und ſeitdem wohl
noch ein Dutzend, aber dieſe Krönungen durch ein Patent waren eben⸗
ſowenig ein mäcenatiſcher Act, als es ein politiſcher war, wenn der
Kaiſer Pfalzgrafentitel verlieh; beides war um Verwendung oder Geld
zu haben. Alle dieſe Ehren hat Friedrich ſo völlig entwürdigt, daß
gegen Ende des Jahrhunderts Giammario Filelfo, der Sohn des be⸗
rühmten Francesco, ſelbſt ein gekrönter Dichter und Sohn eines ge⸗
krönten Dichters, ſich in einer Satire über alle die Ritter, Dichter
und Pfalzgrafen luſtig machte, die Friedrich ernannt. Von Männern
wie Agnolo Poliziano oder Gioviano Pontano hören wir nicht, daß
fie ſich um den Lorbeer bemüht hätten.“)
Dem noch jugendlichen Herzog Sigmund von Tirol ſchrieb Eno
) Enea Silvio an den Graſen Galeazzo d' Arce v. 15. Novemb. 1448,
) Poggii epist. 80. im Spicileg. Roman. T. X.
) Tiraboschi I. VI. p. 1438 — 1448.
VI. Enea Silvio und Deulſchland's Fürſten und Adel. 379
Silvio Briefe voll blinkender Gelehrſamkeit und redneriſcher Zier. Er
mahnte ihn, ſich ſtatt der Güter dieſes Lebens ewige zu erwerben, und
dieſe ewigen ſah er lediglich dem humaniſtiſchen Studium entſprießen.
Er empfahl ihm, ſich elegante Gelehrte zum Unterricht kommen zu
laſſen, er rühmte ihm die Fürſten, die ihre Ehre nicht in goldgeſtickten
Kleidern, in zierlicher Haartracht und im Pferdeluxus ſuchten, ſondern
mit den Geſchäften der Regierung die Grazien der Wiſſenſchaft zu ver⸗
binden wüßten. Den Markgrafen Lionello von Eſte und den König
Alfonſo von Neapel ſtellte er ihm als Muſterfürſten vor.) Doch
trotz den herrlichſten Ermahnungen zeigte der junge Herzog nur Sinn
für Liebeshändel und Jagden.
Es liegt an den Fürſten, ſagt Enea Silvio, daß in Deutſchland
die Poeſie gering geachtet wird; wenn ſie lieber Pferde und Hunde
halten wollen als Dichter, werden ſie auch ruhmlos wie Pferde und
Hunde hinſterben.) Er hätte ihnen etwas von jener reizbaren Eitel-
keit gewünſcht, welche die Fürſten Italiens insgeſammt einem Filelfo
tributär machte. Sein Eifern war umſonſt: auch die andern deutſchen
Fürſten hatten von dem, was er eigentlich wollte, ſo wenig eine Vor⸗
ſtellung wie jene Habsburger. Als einſt Herzog Ludwig von Bayern
in Neuſtadt mit ihm, dem damaligen Biſchofe von Siena zuſammen⸗
traf und ſich mit dem Manne bekannt zu machen wünſchte, der im
Rufe ſo hoher Gelehrſamkeit ſtand, fragte er ihn — nach dem Steine
der Unſichtbarkeit.)
Den deutſchen Adel, ſoweit er ihn am Kaiſerhof und ſonſt kennen
lernte, fand unſer Italiener in Rohheit und Völlerei verſunken, ohne
eine Ahnung von jener feinen Bildung, die der Stolz des italieniſchen
und zumal des tusciſchen Adels war. Der Marſtall und Weinkeller
genoſſen bei jenem das Anſehen wie bei dieſem Muſeen und Biblio⸗
thefen. Zumal von der deutſchen Trunkſucht liebte Enea ſpaßhafte
Geſchichten zu erzählen, wie vom. Grafen Heinrich von Görz, der feine
Knaben in der Vorausſetzung, ſie müßten durſten, des Nachts aus ih⸗
rem tiefen Schlummer weckte, ihnen mit Gewalt Wein einpreßte und
wenn ſie denſelben wieder von ſich gaben, die Gattin beſchuldigte, ſie
) So in einem Briefe an den jungen Herzog v. 5. Decemb. 1443. Aehnlich
im Tractatus de liberorum educatione an den jungen Ladislav von Böhmen und
Ungarn v. Febr. 1450.
) Brief an Wilhelm von Stein v. 1. Juni 1444.
) Enea Silvio's Brief an ihn v. 5. Juli 1457.
380 VI. Enen Silvio und feine Cancelei- Collegen.
müſſe dieſe durſtloſen Geſchöpfe von einem Andern, nicht von ihm em⸗
pfangen haben. Nicht höher war Enea's Meinung von dem Adel der
deutſchen Wiſſenſchaft, den Profeſſoren und Magiſtern der Hochſchule.
Er fand ſie tief in die Labyrinthe der Scholaſtik vergraben, unfrucht⸗
baren Träumereien und dürrer Speculation hingegeben. Mit den wie⸗
ner Gelehrten hatte er nicht den geringſten Umgang. Und der Typus
eines deutſchen Scholaren iſt ihm jener leipziger Student, den ſein Com⸗
militone glücklich pries, weil er unter 1500 andern die Palme des
Saufens davongetragen.)
An den Fürſten, dem Ritteradel und der Prälatur Deutſchlands,
an denjenigen Kreiſen alſo, die er ebenſowohl zum Mäcenatenthum als
zum Studium der Humaniora anzuregen verſuchte, ſind alle Bemühun⸗
gen Enea Silvio's durchaus geſcheitert. Er verzweifelte an der wiſſen⸗
ſchaftlichen Reformation Deutſchlands, weil er immer nur den einen
Weg dazu ſah, auf welchem nämlich Italien zu ihr gelangt war. Das
Senfkorn, welches auf einen andern unſcheinbaren Boden, aber doch
aus ſeiner eignen Hand gefallen war, hat er merkwürdigerweiſe nicht
beachtet, er hat keine Ahnung davon gehabt, daß es zur kräftigen Pflanze
erwachſen könne. Ein andrer Stand als in Italien, Frankreich und
England ſollte in Deutſchland der Träger des Humanismus werden.
In den beiden Canceleien, deren Mitglied Enea Silvio war, der
Reichscancelei und der öſterreichiſchen, ſammelte ſich ſehr langſam und
allmählig ein kleiner Kreis von Secretären, Advocaten, Hofaſtronomen
und auch Geiſtlichen, die an dem ſchöngelehrten Treiben ihres italieni⸗
ſchen Collegen Geſchmack fanden. Kein einziger von ihnen war mehr
als ein mittelmäßiger Menſch, kein einziger war einer ſolchen Begeiſte⸗
rung fähig, daß er alle Nützlichkeitsrückſichten bei Seite geworfen und
ſich ganz dem Dichterberufe gewidmet hätte. Anfangs hatte der Picco⸗
lomini durch den Neid, das Mißtrauen und den Spott der Cancelei⸗
collegen ſogar recht ſchwere Tage gehabt: er war der Eindringling, der
Liebling des Canzlers, und obwohl ſie ſelbſt keinesweges Spiegelbilder
der Tugend zu ſein meinten, erregte ihnen doch ſein geiſtreicher Liber⸗
tinismus mehr Anſtoß als ihre eigenen Völlereien. Dann traten ſie ihm
einzeln und mit Vorſicht näher; es zeigte ſich bald, wie das Lüſterne
und Frivole den ſtärkſten Reiz und die ſchnellſte Anſteckung übt. Die
) Dieſe und die obige Anekdote erzählt Aeneas Sylvius Comment. in
Anton. Panorm. I, 41.
VI. Enea Silvio und feine Caneelei⸗Collegen. 381
Briefe und die philoſophiſchen Tractätchen des Enea Silvio, beſonders
aber die erotiſchen und witzigen, wurden bald von ſeinen deutſchen
Freunden mit Luſt geleſen und auch nachgeahmt; ähnliche Dinge des
piquanten Poggio, von denen Enea Silvio Copien mitgebracht, kamen
hinzu. Von der Verbreitung dieſer Werkchen zeugt die Menge von
Abſchriften, deren faſt jede größere deutſche Bibliothek aufzuweiſen hat.
Man denke ſich ferner, wie dieſe Canceleifreunde in verſchiedene Theile
Deutſchlands zerſtreut wurden: den einen finden wir als Stadtſchreiber
zu Cöln wieder, den andern als Stadtſchreiber des huſſitiſchen Prag,
den dritten als Rathsſchreiber von Nürnberg, den vierten als Canzler
Georg's von Böhmen, den fünften als Biſchof an der Oder. Und
gerade im Puncte der Freigeiſterei, der dieſe Deutſchen anfangs zurück⸗
geſtoßen, hatten ſie nach einem Jahrzehent ſchon recht ſichtbare Fort⸗
ſchritte gemacht. Wir beſitzen ein merkwürdiges Schriftchen aus jener
Zeit (1454), worin einer der Schüler Enea's, Johann Tröſter, die
erotiſchen Erzeugniſſe feines Meiſters zum Vorbilde genommen hat.“)
Es iſt ein Dialog zum Beweiſe des Sprichwortes Initium amoris est
principium doloris. Gegen die Liebe, das heißt die ſinnliche Begier,
wird hier nicht mit dem moſaiſchen Gebote, ſondern mit philoſophiſchen
Gründen polemiſirt, wobei Cicero und Seneca, Virgilius und Ovidius,
recht wunderlich mit chriſtlichen Vorſtellungen untermiſcht, herangezogen
werden. Der erſte frivole Schritt iſt wie immer, daß die einfachen
Sittengeſetze des Chriſtenthums nicht geleugnet werden, aber als ein⸗
fältig und altmodiſch erſcheinen. Die helleniſche Mythologie dient noch
als ſtiliſtiſches Spielzeug, aber die Spielerei ſteht ſchon vor dem Heili⸗
gen nicht mehr ſtill und wird unvermerkt zur Frivolität, während ſie
nur geiſtreich ſein möchte. Was wir meinen, wird ein Beiſpiel zeigen:
der Verfaſſer jenes Dialogs vergleicht gelegentlich Chriſtus mit He⸗
rakles und die Jungfrau Maria mit Alkmene, die den Sohn nicht von
Amphitryon, dem Zimmermann Joſeph der Schrift, ſondern von Zeus,
dem heiligen Geiſte der Chriſten, empfing.
Indeß verſchwand noch die kleine Zahl von Jüngern, die ſich um
Enea Silvio ſammelten, unter der Schaar derer, die ſeine Beſtrebungen
) In Duelli i Miscellan. Lib. I. p. 228 8d. Der Herausgeber hat fälſchlich
die Jahrzahl 1450 beigefügt. In einem Briefe vom 9. Juli 1454 ſchulmeiſtert Enea
Silvio die ihm von Tröſter zugeſendete Schrift in einer Weiſe, die uns das Verhält⸗
niß zwiſchen Lehrer und Schüler recht anſchaulich macht.
382 VI. Enea Silvio als Verfechter des Humanismus in Deutſchland.
mit entſchiedener Feindſeligkeit anſahen. In vielen ſeiner Briefe und
Abhandlungen fand er es nöthig und es wurde dann eines ſeiner Lieb⸗
lingsthemata, die alten Dichter und Redner gegen die Einwürfe der
Juriſten und Theologen zu vertheidigen. Mit Solchen, welche die
Poeſie für eine unnütze Kunſt erklärten, weil ſie kein Brod ſchaffe und
nicht zu Anſehen bringe, wurde er noch am leichteſten fertig. Er
ſchlägt dann den Ton Poggio's an: „Du Eſel ſchätzeſt die Poeſie ge⸗
ring, du Ochs verachteſt die Muſen, du Schwein fliehſt die Humani⸗
tätsſtudien?“ ) Viel anziehender werden aber feine Vertheidigungs⸗
ſchriften, wenn den Einwürfen ein ſittliches und wahres Moment zu
Grunde liegt. Der Redner, der Sophiſt ſetzt dann alle Kampfmittel
ſeiner Kunſt in Bewegung.
Enea Silvio hört den Einwurf der nüchternen Verſtändigkeit:
„Du willſt mir da von den Thaten längſtverſchollener Männer erzählen
und mir dann zureden, ich ſolle fie nachahmen!“ — Dieſe Nachahmung
iſt recht das Centrum der Moral, welche die Verehrer der alten Ge⸗
ſchichte und Philoſophie, der alten Redner und Dichter unabläſſig zu
predigen pflegten. Für den moraliſchen Nutzen der Poeſie und Rede⸗
kunſt nimmt Enea den Fehdehandſchuh auf. Der Dichter, behauptet
er, lehrt, wie man leben, was man lieben, was haſſen ſoll. Der
Dichter ſchreibt dem Geiſte viel beſſer einen angemeſſenen Lebenslauf
vor als der Beichtvater; denn die Laſter flieht man nur aus Ueberzen⸗
gung, Ueberzeugen aber iſt der Beruf des Dichters und Redners.
„Wenn wir der Sache auf den Kern kommen wollen, wer ſind die,
welche die Tugend preiſen? Die Dichter! Wer find die, welche gegen
das Laſter donnern? Die Dichter! Wer ſind die, welche die Thaten der
Könige ſo herrlich beſchreiben? Die Dichter! Wer ſind die, welche groß⸗
artigen Männern den Ruhm und gleichſam die Unſterblichkeit gewähren?
Die Dichter! Wer alſo die Dichter verdammt, mag zuſehen, daß er
nicht auch die Tugenden verdamme und ſeinen Ruhm vernachläſſige.“)
Enea hörte ſich ferner die Frage entgegenſtellen: Was bringſt du
uns aus Italien die Dichter, was eilſt du, die heiligen Sitten Deutſch⸗
) Enea Silvio an Wilhelm von Stein v. 1. Juni 1444. Die Worte ſind
aber nicht an den Adreſſaten, ſondern an einen aufgeblähten u gerichtet, deſſen
Name nicht genannt wird.
2) Aus dem Pentalogus de rebus ecclesiae et imperil bei Pez Thessur.
Anecd. noviss. T. IV. P. III p. 645. 646. Aehnliches iſt in vielen andern Schrif:
ten Enea's zu finden. |
VI. Euea Silvio als Verfechter des Humanismus in Dentſchland. 383
lands durch die entnervte Schlüpfrigkeit der Dichter zu verderben bu
Man wird glauben, daß es ihm an Antworten nicht fehlte. Er wei⸗
fet auf die Dichter des alten Bundes hin und auf die Väter der Kirche,
einen Hieronymus, Lactantius, Augustinus, Ambrofius, Cyprianus und
andre, deren Schriften ihr Studium der poetiſchen Kunſt bezeugen und
voll alter Dichterworte find. Was man an den römifchen Dichtern
als thöricht oder verführeriſch tadle, finde man in ähnlicher Weiſe auch
in der heiligen Schrift, die dennoch mit Nutzen geleſen werde. Man
könne ja die Dornen vermeiden, wenn man die Roſen ſammle u. ſ. w.
Der verdiene Schläge, welcher ſich an der Schlüpfrigkeit der Dichter
ergötze.
Die Dichter, ſagte man in Dentſchland ferner, ſprechen von meh⸗
reren Göttern, ſie feiern im Geſange, wie dieſe Götter ſich unter ein⸗
ander zanken, die Ehe brechen und dergleichen. Nun, zu ihrer Zeit,
entgegnet Enea, ſei unter den Heiden die Lehre von einem Gotte eben
noch unbekannt geweſen. Jetzt werde niemand den Einfall haben, Ju⸗
piter oder Hercules zu opfern, weil er in einem alten Dichter davon
geleſen. Wenn bei den Dichtern auch die Laſter und Verbrechen der
Sötter erzählt werden, fo geſchehe es nur, um die Leſer davon abzuſchrecken,
dieſes Kunſtgriffes bedienten ſich ja auch die Theologen.)
Gegen wen Enea dieſe Feldzüge zur Ehre der Poeſie und des
Humanismus eigentlich führte, ſehen wir allerdings nicht. Perſönlich⸗
keiten von einiger Bedeutung traten ihm damals noch nicht entgegen,
aber er hat doch beſtändig zu klagen, wie die Poeſie in Deutſchland
mißachtet, verachtet, ja angegriffen werde. Es war eben die allgemeine,
hingemurrte, oft vielleicht kaum bewußte Stimmung, die der welſchen
Schöngeiſterei entgegentrat. Erſt als er Deutſchland verlaſſen und den
apoſtoliſchen Stuhl beſtiegen hatte, fand dieſe dumpfe Oppoſition ein
energiſches Organ in Gregor Heimburg, einem kerndeutſchen Cha⸗
rakter, auf den das volle Licht erſt durch den Gegenſatz zum Piccolo⸗
mini, dem Vertreter des modern⸗italieniſchen Geiſtes, fällt. Die Colli⸗
ſion der Beiden in den kirchlichen Tagesfragen, in denen es ſich um
) Die erſte und ausführlichſte Vertheidigung der Dichter und der Dichtkunſt,
die Enea in Deutſchland verfaßte, iſt nächſt dem angeführten Pentalogus eine Rede
in der Aula zu Wien (1445), die in der basler Ausgabe ſeiner Werke als epist.
1041 gedruckt iſt. Vergl. dann den Tractat de liberor. educat. p. 282 sq. und den
Brief an Sbignew Olsnicki, Cardinal und Biſchof von Krakau, vom 27. October
1453.
384 | VI. Gregor Heimburg.
römiſchen Supremat und deutſchen Territorialismus handelte, laſſen
wir hier unberührt; ebenſo denkwürdig zum mindeſten iſt der Wider⸗
ſtreit der Bildung, in welchem dieſe beiden Naturen als Typen ihrer
Nationalität gegen einander ſtehen. f
Heimburg war als Juriſt und fürſtlicher Geſandter in Baſel ge⸗
weſen und zwar zu derſelben Zeit, als Enea Silvio, der vielgewandte,
dort um die Gunſt der Concilienväter und einzelner Cardinäle buhlte.
Wir dürfen wohl annehmen, daß dieſer Aufenthalt am zeitweiligen
Tummelplatze der Oekumene, daß die Reden, die er dort hörte, die
Schriften, die er im Intereſſe des obſchwebenden Kirchenſtreites las,
daß Perſönlichkeiten wie Cardinal Ceſarini auch in Heimburg's Seele
den humaniſtiſchen Funken geworfen haben. Er war auf der Hoch
ſchule zu Würzburg gebildet, zunächſt als Juriſt, aber auch den Studien
der Phyſik, Metaphyſik und Ethik hat er hier obgelegen, das heißt
denjenigen Disciplinen, die ſich in damaliger Weiſe an den mißverſtan⸗
denen und in hundert abgeleiteten Bächen unkenntlich gewordenen Ari⸗
ſtoteles anlehnten.) So fern hier in Würzburg, ſo nahe lag ihm die
moderne Schöngeiſterei in Baſel. Er war damals immer noch jung
und einer jener Geiſter, die ſchnell lernen und denen mehr als ein
Gebiet der Wiſſenſchaft offen ſteht, bei denen aber das praktiſche Leben
und ein feſter Wirkungskreis gar bald dem Heißhunger des Wiſſen⸗
wollens Zügel anlegt. Daß er, wie die Fähigkeit dazu in ihm lag,
von den humaniſtiſchen Feinheiten genaſcht, zeigen ſeine Schriften. Er
weiß recht wohl Beiſpiele aus der alten Geſchichte einzuflechten, Cicero,
Terentius, Virgilius oder einen der eleganten Kirchenväter zu citiren,
er iſt inne geworden, wie viel ſüßer dem Ohre die ſchmucke oder pomp⸗
hafte Rede klingt als das ſchlichte Wort, er war gelegentlich ein eifri⸗
ger Vertheidiger der Poeſie gegen ihre Verächter.
In Baſel hat Heimburg mit Enea Silvio keine Gemeinſchaft ge⸗
habt. Wahrſcheinlich lernten ſich die Beiden erſt zu Neuſtadt, am Hofe
des römiſchen Königs kennen. Als hier einſt Heimburg öffentlich, ob-
wohl ein Deutſcher und ein Juriſt, mit eifriger Hingabe vom Studium
) Die Sammlung jeiner Schriften, die u. d. T.: Scripta nervosa justitiaeque
plena etc. ex. mss. nunc primum eruta etc. Francofurti 1608 erſchien, enthält
nicht mehr als was dann auch Goldaſt in den beiden erſten Bänden der Monarchiae
mitgetheilt hat. Nur letztere Ausgabe iſt mir zur Hand. — Die Studien ſeines
Jünglingsalters erwähnt Heimburg in ſeiner Apologia ap. Goldast I. c. T. II.
p. 1608.
VI. Gregor Heimburg. 385
der Humaniora ſprach, hörte ihn niemand mit dem Entzücken wie der
Italiener, der in ſeinem Geiſte ſchon ſah, wie jenes Studium in Deutſch⸗
land durch ſolche Männer zu Ehren kommen werde. Er gratulirte
Heimburg noch an demſelben Tage in einem Schreiben: er übertreffe
den gewöhnlichen Legiſten und nähere ſich der italieniſchen Eloquenz.)
Keine Spur leitet zu der Annahme, daß Heimburg ſich durch das
Lob des Italieners geſchmeichelt gefühlt und ſeinen humaniſtiſchen Stu⸗
dien deſto eifriger ergeben habe. Wohl aber wiſſen wir, daß die Bei⸗
den im Kampfe um die deutſche Kirchenneutralität den entgegenſtehen⸗
den Parteien angehörten und in Rom ſo wie dann im Jahre 1446 zu
Frankfurt heftig aufeinandertrafen. Dieſe Reibung entwickelte erſt recht
die Polarität der beiden Naturen. Heimburg war ein ſtämmiger Mann,
ein offener, frei⸗ und ſcharfſinniger Kopf. Zum Winden und Krüm⸗
men taugte er nicht, er konnte rechtſchaffen haſſen und wenn ihm ein
Aerger zu Herzen ſtieg, platzte er entweder derb mit ſeiner Meinung
heraus oder er machte ſich durch Spötteln und hämiſche Ironie Luft.
Wen er lobte, pflegte man zu ſagen, der müſſe wohl des Lobes wür⸗
dig ſein. Er wußte, daß man ihn gemeinhin für ſtolz, ſchmähſüchtig
und neidiſch hielt, weil er weder ſchmeichelte noch geſchmeichelt ſein
wollte.) Seit jenem Zuſammentreffen lag er mit dem Papſtthum
und mit allem welſchen Weſen im Kriege. Eleganz und feine Schmieg⸗
ſamkeit waren ihm innerlichſt zuwider, ſchon in Kleidung und Beneh⸗
men trug er ſeine trotzige Verachtung gegen dieſen welſchen Flitter
gerade vor Welſchen recht abſichtlich zur Schau. Zumal der Piccolo⸗
mini blieb ihm ein ſtetes Aergerniß, als Cardinal und Papſt der ver⸗
haßteſte Feind. Den Bannfluch Pius' II wehrte Heimburg mit De⸗
fenſions⸗ und Schmähſchriften ab, in denen es ihm recht . that,
ſeinem Groll rückſichtslos die Zügel zu laſſen.
Damals nun brach er mit ſeinen humaniſtiſchen Gelüſten,, Juriſt
wollte er fortan ſein mit Leib und Seele. Es iſt der tiefſte und zu⸗
kunftreichſte Zug des deutſchen Charakters, der hier zur Erſcheinung
kommt. Die Humaniſten Italiens müſſen aus ihrer eigenſten Natur,
1) Aeneas Sylvius epist. 120 edit. Basil. Ich glaube den Brief trotz der
Ueberſchrift episcopus Tergestinus in das Jahr 1444 oder 1445 ſetzen zu müſſen.
) Heimburg ſagt in der bald zu erwähnenden ungedruckten Schrift von ſich:
Ego ab illo artificio (adulationis) tam abhorreo ut a plerisque vel invidus pu-
ter vel superbus, et de me jam ortum est proverbium; ut quos ego laudem hii
digni sunt laudari.
Voigt, Humanismus. 25
386 VI, Gregor Heimburg.
aus ihren realen Zuſtänden heraustreten und phantaſtiſch in einer Welt
leben, deren Anſchauungen ſie erſt erlernt haben und die niemals ganz
‚in ihr Selbſt aufgehen kann. Ihre Perſon und das claſſiſche Ideal
bleiben ſtets in einem unlösbaren Widerſpruch, ihr Wort iſt eine
rhetoriſche Lüge. Einem Heimburg kann die Beſchäftigung mit der
feinen Stiliſtik und mit den Zierrathen des Alterthums nur ein vor⸗
übergehendes Spiel jüngerer Jahre und müßiger Stunden ſein. Die
eitle Nachahmungsſucht der Italiener erfaßt ihn nicht, den Sprung
von der nüchternen Wirklichkeit zum blendenden Scheine kann er nicht über
ſich bringen. Seine kräftige Originalnatur ſondert das Ungeſunde von
ſich aus. Das iſt es, was den Italienern als Unbeholfenheit erſchien,
während es gerade die Naturwahrheit, die Richtigkeit des Herzens war,
auf welcher die Zukunft des deutſchen Geiſtes ruhte.
Man ſieht nun wohl den tieferen Grund, weshalb Heimburg und
Piccolomini in Kampf mit einander treten mußten, ſobald ſie auf ihren
Lebenspfaden zuſammengeriethen, das . e und der ita⸗
lieniſche Schöngeiſt.
Im Jahre 1453 hörte Enea Silvio eine Rede, die Heimburg vor
einem Reichsgericht als Anwalt der Nürnberger gegen den brandenbur⸗
giſchen Markgrafen Albrecht Achilles hielt. Er hat ſie in ſeiner Ma⸗
nier, künſtelnd und glättend bearbeitet und in eines ſeiner Geſchichts⸗
werke aufgenommen.!) Doch fühlen wir immer noch das volle Herz
und die Keulenſchläge des deutſchen Juriſten durch. Wie er auf den
Rechtsſatz und das Document mit ſchlagender Schärfe hinweiſet, wie
er die Gründe des Gegners packt und mit bitterer Satire durch die
Zähne zieht, wie er dann ſeinem vollen Buſen Luft macht und den
Strom der Worte ungedämmt, wie über Felſen und rechts und links
an den Ufern reißend, einherrollen läßt! Die ihn hörten, ihnen ſchlug
das Herz, nicht aus Bewunderung für den Redner, ſondern aus Eifer
für die Sache, die er verfocht. Obwohl er in deutſcher Sprache re⸗
dete, konnte ſich doch auch Enea Silvio jenem Eindrucke nicht entziehen.
Er ſtaunt das natürliche Talent an, aber in der Redekunſt fühlt er
ſich ſogleich als Rival, die Wohlredenheit ſteht ihm doch höher als jene
Beredtſamkeit. Wir hören ſein Urtheil: er hütet ſich wohl, Heimburg
das Lob der Eloquenz zu ertheilen, das bleibt den Poggio, Filelfo,
) In die Historia Frideriei III in Kollari i Analecta Monum. Vindob.
T. II. p. 428 8d.
VI. Gregor Heimburg. 387
Valla und ihm ſelbſt vorbehalten; er ſpricht mit halber Anerkennung
und halber Mißachtung von einer „deutſchen Eloquenz“, von einer
„natürlichen Beredtſamkeit.“)
Heimburg dagegen macht entſchiedene Oppoſition gegen die Kunſt,
der er in jüngeren Jahren ſelbſt zugethan geweſen, er geſteht es wie
eine thörichte Jugendſünde ein, daß er ſich einſt um hohlen Wortkram
bemüht. Auch hier tritt die Energie ſeines geraden Weſens hervor;
überdies urtheilen wir meiſtens über eine Beſchäftigung oder Richtung
um fo ſchonungsloſer, wenn wir ſelbſt ihr einmal mit Hingabe gehul⸗
digt haben und davon zurückgekommen ſind.
Einer von Heimburg's Freunden, Johann Rhode (oder vielleicht N
Rott) war durch Enea Silvio für die humaniſtiſche Kunſt begeiſtert
worden und dann nach Rom gegangen, um im Kreiſe der Schöngeiſter,
die Nicolaus V um ſich verſammelte, feine rhetoriſchen Studien zu be⸗
treiben. Es war gerade zur Zeit, als Lorenzo Valla ſeine Schule der
Eloquenz eröffnete, im Jahre 1454. Er wurde Rhode's Lehrer. In
den Briefen, die dieſer an Freunde in der Heimath richtete, ließ er
nun ſein Licht leuchten, warf mit bunten Fetzen aus den alten Dichtern,
Philoſophen und Rednern um ſich, verſchwendete üppige Schmeichel⸗
worte in Valla's Weiſe und erhob die neue Kunſt, der er ſich gewid⸗
met, gen Himmel. Ein Brief der Art, den er an Heimburg nach
Nürnberg richtete, iſt uns nicht erhalten, aber er wird darin ohne Zwei⸗
fel, ähnlich wie er in einem ſpäteren Schreiben thut, ſeine „ſehr ge⸗
ſchmückten Briefe“ gelobt, ihn den „ausgezeichnetſten und ſehr eloquen⸗
ten Gregor Heimburg“ genannt und als „Zier und Schmuck Deutſchlands“
geprieſen haben. Heimburg weiſet dieſe Höflichkeiten zurück, aber er
thut es nicht mit den Beſcheidenheitsphraſen, wie ſie bei den welſchen
Schöngeiſtern im Schwange waren, ſondern mit jenem männlichen
Selbſtgefühl, welches ſich des verdienten Lobes nicht begeben, das un⸗
verdiente aber nicht haben will. Eine gewiſſe Gabe der Rede meine
er allerdings zu beſitzen, ſie ſei wohl ein Erbtheil von ſeinem Vater
her; ihrer habe er ſich bisweilen ſo wacker bedient, daß ſelbſt gelehrte
Männer ſich gewundert hätten, wie die rohe deutſche Sprache es ſo
—
) Er ſagt von Heimburg in der Histor. Frid. III. I. e.: tam facundia
quam juris seientia praestans; iu den Comment. in Anton. Panorm. III, 6: scien-
tig juris ac facundia inter omnes Germanos facile princeps; Pii II Comment.
p. 90: juris interpres celebratus et eloquentia Theutonica insignis.
25 *
388 | VI. Gregor Heimburg.
weit bringen könne. Dabei wende er wohl auch fein Weniges von
Gelehrſamkeit an. Weiter aber verdiene er kein Lob und müſſe es für
Schmeichelei nehmen. Vor dieſem Laſter warnt er den Freund. Es
ſei ein ſpitzfindiger Kunſtgriff, jemand zu loben, ihn vielleicht zu täu⸗
ſchen und dadurch ſeine Gunſt zu gewinnen. Leider ſei es ein ſo ſüßes
Gift, daß man nur ſchwer die Begierde nach Lob und Ruhm bekämpfe.
Er erinnert an diejenigen, die in ihren Büchern die Verachtung des
Ruhmes predigen und doch dieſelben Bücher nur ſchreiben und unter
ihrem Namen veröffentlichen, um Ruhm zu erlangen, um dafür gelobt
zu werden, daß ſie die Nichtigkeit des Lobes dargethan.
Zugleich bekämpft er die ſtiliſtiſche Kunſt in ihrem Kerne. Der
Freund dünke ſich damit, daß er die Schlagworte der alten Autoren
geſchickt anzuwenden wiſſe. „Doch iſt es das Zeichen eines erhabene⸗
ren Geiſtes, wenn wir uns nicht den Stil dieſes oder jenes Autors
aneignen, ſondern als Reſultat der Beſchäftigung mit ihnen gleichſam
unſern eigenthümlichen Geiſt für uns haben. Das Glücklichſte aber
iſt, nicht nach Weiſe der Bienen Zerſtreutes zu ſammeln, ſondern nach
dem Vorbilde jener Würmer, aus deren Eingeweiden die Seide kommt,
aus ſich ſelbſt heraus zu reden wiſſen.“ So hebt er gegen die Kunſt
der Eloquenz ſeine ſolide Wiſſenſchaft des bürgerlichen Rechtes hervor.
Dazu wolle er jetzt, wie ſein höheres Alter erfordere, das Studium
der göttlichen Dinge betreiben. „Sie bedürfen nicht der Bewäſſerung
durch die Fluthen der tullianiſchen Eloquenz, nicht der Redeblümchen
Quintilians. Hier genügt die Rede, welche die Sache erläutert, den
Sinn kennen lehrt, Dunkles aufhellt. Was ſoll hier die Rede, welche
in künſtlichen Worten üppig ſprießt? O wie oft ſagt dein Lactantius,
daß die Wahrheit der Schminke nicht bedürfe, und daſſelbe bezeugt
mehrmals Auguſtinus in feinem- Buche der Confeſſionen. Und doch
leiten Beide eben in jenen Büchern den Quell der Wohlredenheit, aus
dem ſie als Jünglinge geſchöpft, durch Bäche in ihre Geiſteswerke, um
nach dem verſchiedenen Geſchmacke der Leſer Würze auf Würze zu häu⸗
fen und ſie zu ergötzen“.
Solche Worte ſprechen für ſich ſelbſt. Jener Rhode verſtand ſie
jo wenig und war bereits fo durchdrungen von dem welſchen Gifte,
daß er mit einer gelehrten Abhandlung antwortete, die den Vorzug der
Eloquenz vor der Juriſterei darthun und Heimburg's Anſicht durch
claſſiſche Autoritäten widerlegen ſollte. Er wiederholte darin ungefähr,
was Enea Silvio und Valla, ſeine Lehrer, gegen die Geſchmackloſigkeit
VI. Gregor Heimburg. 389
der Juriſten, die Unfähigkeit der alten Rechtscompilatoren und die Wiſſen⸗
ſchaft des bürgerlichen Rechts im Allgemeinen vorzubringen pflegten.)
In den Streitſchriften, die Heimburg gegen den Piccolomini auf
dem apoſtoliſchen Stuhle und ſeine papiſtiſchen Anhänger gerichtet hat,
ſagt er dann unverhohlen das letzte Wort heraus. Sie ſind überhaupt
der leibhafteſte Ausdruck ſeiner Perſönlichkeit. Dieſer ſelbſtſtändige Stolz,
dieſe Kraft, die ſich bald im derben Worte, bald in der launigen Bit⸗
terkeit des Angriffes ſpiegelt! Nur gleichſam um den Italienern zu
zeigen, daß auch ein Deutſcher die alte Geſchichte kennen könne, um
den Streitſchriften der päpſtlichen Nuntien und des Papſtes ſelber auch
in der Gelehrſamkeit nichts nachzugeben, ſtreut er wie mit verachtender
Miene einige Brocken davon ein. Im Uebrigen ſchreibt er ſo ungenirt,
wie er ſich kleidet und wie er ſpricht, ja er trotzt wohl gar auf ſei⸗
nen domesticus stilus — ſo nennt er ſeine Schreibweiſe im Gegen⸗
ſatze zu der blumigen und zierlichen des Papſtes. Wenn du „Glanz der
Rede“ (nitor sermonis) die Wahrheit reden nennſt, ſagt er dem Bi⸗
ſchofe von Feltre, Pius' Schildträger, ſo bekenne ich, daß ich darin
ſehr erfahren bin.) Beſpöttelt Heimburg wieder diejenigen, welche
Demuth heucheln, über die Verachtung des Ruhmes ſchreiben und ihm
doch gerade am meiſten nachjagen, wer anders iſt gemeint als der hu⸗
maniſtiſche Papſt, der ſo oft über den Ruhm in Cicero's Weiſe ge⸗
ſchwatzt? Denſelben Enea Silvio, von dem er als der aufgehende Stern
des deutſchen Humanismus begrüßt worden, nennt Heimburg jetzt »ge⸗
ſchwätziger als die ſchlimmſte Elſter“, „einen Mann, der zufrieden mit
ſeiner Wortmacherei (verbositas) von den Rechtswiſſenſchaften frei⸗
lich nie einen Vorgeſchmack gehabt, der da meine, ſie ſeien in den
Kunſtgriffen des Rhetors enthalten, einen Beweisſtellenredner (orator
topicus) und Windmacher.“ — „Mächtig iſt die Gewalt der Beredt⸗
ſamkeit; nimm ſie vom Papſte und es bleibt wenig an ihm zu loben.“)
Das iſt die Oppoſition des geſunden deutſchen Geiſtes gegen die
Kunſt des Redens und Schreibens, die in Italien zu einem unnatür⸗
lichen Anſehen gekommen war. Man kann nicht leugnen, daß Heim⸗
) Beide Briefe, den Heimburg's, d. Nürnberg 16. März 1454, und die Ant⸗
wort Rhode's, d. Rom 16. Mai 1454, enthält der Cod. msc. lat. 519. 40. der
münchener Hofbibliothek fol. 46—64.
2) Seine Apologia gegen den Biſchof von Feltre bei Goldast I. c. T. II.
p. 1607.
) Aus der Apologia I. c.
390 VI. Italieniſche Humaniſten und deutſche Barbarei.
burg die wunde Stelle traf. Der Streit zwiſchen ihm und ſeinem
päpſtlichen Gegner iſt wie ein bedeutungsreiches Vorſpiel zu dem ge⸗
waltigen Kampfe, der zwiſchen den beiden Nationen noch geführt wer⸗
den ſollte, ſo wie Heimburg ſchon ſtark an Ulrich von Hutten erinnert.
Da iſt es leicht zu begreifen, wie die Italiener dieſe Sprödigkeit
der Deutſchen gegen ihre moderne Bildung aufnahmen. Der Deutſche
war in ihren Augen immer der rohe Barbar geweſen; dieſes Gefühl
der geiſtigen Ueberlegenheit wurde natürlich noch genährt, ſeitdem das
claſſiſche Studium der italieniſchen Bildung einen erhöhten Schwung
gab. Es erſchien noch wie ein nationales Eigenthum, für welches der
Germane völlig unempfänglich ſei. Verächtlich auf ihn herabzuſehen,
war ſeit Petrarca Modeton. Dieſer hielt mit ſeinem Unwillen nicht
zurück, als Zanobi da Strada aus der Hand Karl's IV zu Piſa den
Dichterlorbeer empfing: ein barbariſcher Lorbeer hat den Zögling der
auſoniſchen Muſe geſchmückt, ein deutſcher Richter hat ſich erkühnt,
über unſre Geiſter ein Urtheil zu fällen!) Er war erſtaunt, zu Cöln,
„mitten im Barbarenlande,“ eine wohlgebaute Stadt, ein anſtändiges
Weſen, würdige Männer und hübſche reinliche Frauen zu finden!), aber
er kann dieſe Stadt, ſelbſt beiläufig, nicht erwähnen, ohne ihr in derber
Weiſe vorzurücken, wie man hier nicht um Poeſie, nur um Geld und
Schlaf, um den Bauch und die Kehle ſich kümmere.) Seitdem er⸗
gingen ſich alle die Humaniſten, die ihr Schickſal einmal nach Deutſch⸗
land verſchlagen, mit beſonderem Wohlgefallen in Schimpf- und Witz⸗
reden über das Barbarenvolk. Selbſt der ernſte und wortkarge Bruni
wurde launig und aufgeräumt, wenn er Geſchichtchen aus Deutſchland
erzählte, wo er während des coſtnitzer Concils geweſen.) Und welch
eine Fülle des Stoffes war hier für Poggio's Laune! So oft er von
den Jahren ſpricht, in denen er auf deutſchem Boden nach alten Hand⸗
) Praefat. in libros Invectivarum c. medicum quendam (Opp. p. 1199):
Ante alios coenobius (Zanobius) noster, vir doctus et quem Ausoniis armatum
Musis, barbarica nuper laurus ornavit, deque nostris ingeniis, mirum
dictu, judex censorque Germanicus ferre sententiam non expavit.
) Epist. rer. famil. I, 4.
) Epist. metr. II, 11: — — — — Quid inepta Colonia tantis
Una nocet titulis, fulvi cui gratia nummi,
Ventris amor studiumque gulae sommusque quiesque
Esse solet potior sacrae quam cura poesis. |
) Vespasiano: Lionardo d’Arezzo $ 10.
VI. Italieniſche Humaniſten und deutſche Barbar. 391
ſchriften geſucht, vergißt er nie, den Deutſchen für die Schätze, die er
aus ihren Klöſtern entwendet,“) kräftige Schmähworte in den Kauf zu
geben. Die Deutſchen, ſagt er in einem Briefe an den Cardinal Ce⸗
ſarini,) waren einſt ein kriegeriſches Volk, jetzt find fie nur ſtark im.
Eſſen und Trinken und tüchtig je nach dem Maße des Weines, den
ſie zu verſchlucken haben. Er ſchiebt die Schuld der ſchmählichen Flucht
vor den Huſſiten bei Tauß ſcherzend darauf, daß der Cardinallegat
ſeinen Kämpfern nicht genug Wein geſpendet und gehofft habe, mit
nüchternen Deutſchen zu ſiegen. — „Sind das Menſchen! ruft er ein
andermal aus. Gute Götter, ſchlaftrunkene, blöde, ſchnarchende Ge⸗
ſchöpfe ſind es, niemals nüchtern, den Menſchen und Gott verhaßt!
Ob ſie leben oder todt ſind, kann man nicht unterſcheiden, wenn ſie
von Wein und Speiſe überwältigt daliegen.“)
Enea Silvio, jo lange er ein untergeordneter Secretär war, hatte
ſeinen Aerger am deutſchen Weſen oft bekämpfen müſſen oder ihm
doch nur in Briefen an italieniſche Freunde Luft machen können.
Deutſchland und ſeinem Kaiſer verdankte er dann ſein erſtes Bisthum
und den Cardinalat, überhaupt ſein Emporkommen. Da er ferner mit
den kirchlichen Beſtrebungen der deutſchen Fürſten und Prälaten in be⸗
ſtändigem Kampfe lag, war er gezwungen, mit der Nation in jeder
Weiſe behutſam zu verfahren. Trotzdem, wo er den Diplomaten ver⸗
geſſen darf, kehrt er den Italiener ſo übermüthig heraus wie Poggio
und Bruni. f
Den gründlichſten Verächter aber fanden die Deutſchen in dem
lebensluſtigen Giantonio Campano, der ſeine Laufbahn als Hofdichter
Pius' II begonnen. Er wurde einſt (1471) zu einem regensburger
Reichstage geſchickt, um die Deutſchen durch die Gewalt ſeiner Rede
zum Türkenkriege anzufeuern. Dieſe Miſſion glückte ihm ſchlecht, er
fror in dem kalten Lande und mußte viel Langeweile erdulden; denn
er verſtand niemand und wurde nicht verſtanden. Dafür rächte er ſich
in Briefen und Gedichten durch ein Schimpfeu gegen das deutſche Volk,
welches ſelbſt Poggio Achtung vor ſeinem Talent eingeflößt hätte.
) Wem dieſer Ausdruck zu ſcharf erſcheint, der höre Poggio's (epist. 52. im
Spieileg. Roman. T. X.) naives Geſtändniß über ein Bändchen mit Epitaphien:
unicus parvus est quinternio, quem inter pulverem repertum in manicam con-
jeci, cum libros quaererem apud Alamannos,
2) Opp. edit. Basil. p. 309. 310.
) Invectiva in Felicem Antipapam (Opp. p. 163).
392 VI. Der Humanismus und die Preſſe.
Das ganze Land, ſagt er, iſt eine Räuberhöhle, der Edelſte vom Adel
iſt der fertigſte Räuber. Leben iſt hier gleichbedeutend mit Saufen.
Die Barbarei der Geiſter iſt eine ganz unglaubliche: Freunde der Wiſſen⸗
ſchaft ſind äußerſt ſelten, Freunde der Eleganz nicht vorhanden, für
die Studien der Humanität fehlt alle Faſſungsgabe. Bei dieſen Bar⸗
baren wohnt keine Muſe. Alle Menſchen ſtinken in Deutſchland; ihm
werde übel, wenn er Deutſchland nennen höre.)
Aber die Völker bedürfen einander, mögen ſie ſich lieben oder
haſſen, eine höhere Hand leitet ihre Berührungen und Reibungen zu
einem höheren Zwecke, den ſie ſelbſt vielleicht erſt nach Jahrhunderten
zu erkennen vermögen. Der Büchereifer Italiens und deutſcher Ge⸗
werbfleiß ſollten ſehr bald einen Bund eingehen, deſſen Frucht nichts
geringeres war als eine gemeinſame Bildung aller Völker, eine Welt⸗
literatur.
Italien hatte einen ſeiner Humaniſten, den Piccolomini, wie einen
Miſſionär zu den deutſchen Barbaren geſendet; Deutſchland ſandte ihm
dagegen zwei gewerbtüchtige Männer, Konrad Schweinheim und Arnold
Pannartz, die zu Subiaco die erſte Preſſe aufſtellten. Jener Enea
Silvio ſchrieb für einen deutſchen Fürſtenſohn die Elemente der latei⸗
niſchen Grammatik nieder; jene beiden förderten als das erſte gedruckte
Buch, welches Italien ſah, die Grammatik des Donatus ans Licht.
Enea Silvio warnte den Herzog Sigmund von Tirol vor den Erzeug⸗
niſſen der dumpfen Scholaſtik: willſt du über Religion und über das
Heil deiner Seele nachdenken, ſchrieb er ihm am 5. December 1443,
jo ſchlage die Bücher des Hieronymus, Auguſtinus, Ambroſius, Lactan⸗
tius, kurz der guten Stiliſten auf. Jene Männer druckten 1465, gleich
nach dem Donatus, die Werke des Lactantius und Auguſtinus' Buch
vom Gottesſtaat. Enea Silvio hatte dem Erzbiſchof von Trier, einem
Markgrafen von Baden, ſeine Rhetorik gewidmet und den Deutſchen
) Jo. Ant. Campani Epistolae et Poemata recens. Jo. Burch. Mencke-
nius. Lipsiae, 1707. ef. epist. VI, 1. 2. 6. IX, 45 et al. Der Herausgeber
der Briefe hat p. 554 sq. eine Declamatiuncula de Campani odio in Germanos
hinzugefügt und die Kraftftellen darin geſammelt. Von der Laune des Dichters mö⸗
gen folgende Diſtichen Zeugniß ablegen (Carm. VIII, 1), die er bei ſeiner Rückkehr
aus Deutſchland fang:
Accipe Campani, sterilis Germania, terga,
Accipe nudatas, Barbara terra, nates!
Ille dies, iterum qui te mihi forte videndum
Offeret, extremus sit mihi et ille dies.
VI. Der Humanismus und die Preſſe. 393
manche Rede im Tone Cicero's gehalten; Schweinheim und Pannartz
ließen Cicero's Werk vom Redner folgen. Und als fie ihr Geſchäft
von Subiaco nach Rom überſiedelten, waren die familiären Briefe Ci⸗
cero's das erſte im Rom gedruckte Buch, gleichwie ſich Enea Silvio
in Wien zuerſt durch feine Briefe Bahn gebrochen hatte.) Die Hu-
maniſten Italiens hatten die ehrwürdigen Schriftſteller des Alterthums
aus ihren Gräbern wach- und ins Leben zurückgerufen; die deutſche
Erfindung ſtellte ſie vor neuem Untergange ſicher und ſtreute ihre Werke
durch die ganze gebildete Welt aus. Jene mochten ſich rühmen, die
Nacht der Barbarei durchbrochen zu haben, indem ſie die leuchtende
Fackel des Alterthums emporhoben; die Preſſe ſchützt die Welt für
ewige Zeiten vor der Wiederkehr der Barbarei. Jene brachten die
Kunſt des Wortes zu hohem Anſehen bei Fürſten und Höfen; die
Druckerkunſt gab dem Worte Flügel und Ewigkeit und erhob es zur
erſten Weltmacht, deren Reich keine Grenzen hat und kein Ende fürch⸗
ten darf.
Der Piccolomini ſah als Greis die Menſchheit tiefverderbt und
einem großen Gottesgericht entgegeneilen, in den Türken meinte er ſchon
die ſtrafende Hand des Herrn zu erkennen, welche dieſe Völkergeißel
über die Culturwelt herſchicken werde wie einſt die Hunnen und Van⸗
dalen. Die mühſam erworbene Bildung Italiens, ſelbſt ein Ariſtoteles
ſchienen ihm vor dem Untergange nicht ſicher. „Es iſt nicht wahr,
was Manche ſich einreden, daß die Denkmäler der Wiſſenſchaft nicht
untergehen. Auch ſie haben ihren Tod, leben gleich einige von ihnen
länger als andre. Die Zeit rafft Alles dahin und es giebt kein Men⸗
ſchenwerk, welches mit der Zeit nicht wieder hinſchwände. “') So der
finſterdenkende Papſt, der ſeinen Anſpruch auf Nachruhm nicht weniger
auf die Erzeugniſſe ſeiner Feder gründete als auf ſeine Würde und
ſeine Thaten. Er ahnte nicht, daß die Wiſſenſchaft ſich einer gewalti⸗
gen Kriſis nahte und daß die Kunſt bereits im Gange war, die mit
des Ariſtoteles Werken auch die ſeinigen verewigte. Und hätte er es
gewußt — ſah er doch wiederum als Wächter des Glaubens, wie ſchon
Menſchenhände und Gänſekiele emſig die Fundamente unterwühlten,
) Auf einzelne Controverſen über die Geſchichte der italienischen Buchdruckerei
einzugehen, iſt hier natürlich nicht der Ort. So entnehme ich dieſe Notizen ohne
Weiteres aus den Studien Tiraboschi's T. VI. p. 239 8.
) Pius II Asia cap. 71. |
394 VI. Durchbruch des Humanismus in Deutſchland.
auf denen ſeine Kirche ſtand. „Des Bücherſchreibens, ſpricht er im
Geiſte der zukünftigen Inquiſition, iſt nun kein Ende und Vieler Sinn
iſt verderbt, die in verkehrte Dogmen verfallen ſind. Deshalb handeln
diejenigen verſtändig, welche verdammte Bücher verbrennen und nicht
Allen die Erlaubniß zum Schreiben geben.“!) Hätte er gar die furcht⸗
bare Waffe gekannt, die den entfeſſelten Geiſtern ſchon wenige Jahre
nach ſeinem Tode zu Gebote ſtand!
Wir ſehen noch einmal nach Deutſchland zurück. Erſt gegen den
Schluß des Jahrhunderts ſchoß die Saat des Humanismus hier, trotz
der ungläubigen Verachtung der Italiener und trotz der Oppoſition eines
Heimburg, in vollen Aehren empor. Nur des erſten Anſtoßes hatte
es von Italien aus bedurft, die Entwicklung war dann eine andre und
ſelbſtſtändige. Die gedruckten Exemplare der Claſſiker erſparten dem
jungen deutſchen Humaniſten das mühſame Abſchreiben, das Vergleichen
der Codices, die hohen Bücherpreiſe, kurz Vieles von dem, was den
Humaniſten Italiens ihre Wiſſenſchaft ſo anſtrengend und koſtbar, da⸗
für aber auch ſo köſtlich gemacht. Sich in den Beſitz einer Bibliothek
zu ſetzen, war nun die Sache eines mäßigen Aufwandes, nicht mehr
eines Menſchenlebens.) Bücher machten den Lehrer entbehrlich: wer
ſich die Elemente der beiden claſſiſchen Sprachen erworben, half ſich,
wenn ihm überhaupt zu helfen war, auch unter ärmlichen Umſtänden
allenfalls ſelber fort. Man bedurfte alſo nicht etwa italieniſcher Leh⸗
rer oder des Beſuches einer italieniſchen Hochſchule; die Alten ſelber
waren die beſten und billigſten Lehrer, in Deutſchland dieſelben wie in
Italien. |
Kaiſer Maximilian iſt der erſte deutſche Fürſt, in deſſen Bildung
der Anhauch des Alterthums bemerkbar iſt, am deutlichſten in ſeinem
lebhaften Intereſſe für Geſchichte und Kosmographie. Hier könnte leicht
der dreiundzwanzigjährige Aufenthalt des Enea Silvio am Kaiſerhofe
ſeine Frucht getragen haben. Aber bei den Gelehrten und Epiſtolo⸗
graphen des elſaſſer Kreiſes, einem Peter Schott, Johann Geiler von
Kaiſersberg, Jakob Wimpfeling, oder bei den Nürnbergern vermögen
wir die Einwirkung des italieniſchen Geiſtes ſchon nicht mehr zu er⸗
—— — — —
1) Asia I. c. —
) Gleich der Erſte, der uns von den in Rom gedruckten Büchern berichtet,
Gaspar Veronensis (ap. Muratori Scriptt. T. III. P. II. p. 1046) wunderte
ſich über die billigen Preiſe der gedruckten Bücher.
VI. Der Humanismus in Ungarn. 395
kennen. Sie ſtehen ſchon ganz auf eigenen Füßen, daß heißt auf einem
ſelbſtſtändigen Studium des Alterthums. Noch eine Generation weiter
und es treten uns Namen entgegen, die neben den gefeiertſten Namen
italieniſcher Humaniſten nicht mehr erbleichen, Rudolf Agricola, Johann
Reuchlin, Konrad Celtes. Der deutſche Humanismus und der italie⸗
niſche haben Vieles gemeinſam, aber in einem Puncte weichen ſie auf⸗
fällig auseinander: die Frucht der claſſiſchen Studien war in Italien
ein religiöfer Indifferentismus, ja ein heimlicher Krieg der Ungläubig⸗
keit gegen Glauben und Kirche, in Deutſchland dagegen erwecken ſie
gerade eine neue Regſamkeit auf den Gebieten der Theologie und des
kirchlichen Lebens. In der Oppoſition gegen das römiſche Papſtthum
und gegen die hergebrachte Formalgläubigkeit bildet der deutſche Hu⸗
manismus kein unweſentliches, wenn auch nicht das tiefſte Moment.“)
In Ungarn bildete die Prälatur gleichſam eine Brücke zwiſchen
den Eingeborenen des Landes und Italien. Ferner kamen hier die
Hochſchulen wohl deshalb nicht auf, weil, wer irgend konnte, doch lie⸗
ber zu Cöln oder Leipzig, Prag oder Wien, ja in Frankreich und Eng⸗
land, ſeit geraumer Zeit aber am liebſten wieder in Italien ſeinen
Studien oblag. Die Neigung der beiden Völker, der Magyaren und
der Italiener, war eine gegenſeitige, obwohl es nicht leicht ſein möchte,
die verbindenden Elemente herauszufinden. Vielleicht lagen die Natio⸗
nen einander örtlich und politiſch fern genug, um Collifionen zu ver⸗
meiden, während doch der Ungar ſtets mit Frömmigkeit und Ehrfurcht
nach den Gräbern der Apoſtelfürſten blickte und nach dem Lande über⸗
haupt, in welchem einſt die Sprache ſeiner Geſchäftsführung und ſei⸗
ner Landtage als Mutterſprache geredet worden, der Italiener dagegen
mit freudiger Zuverſicht auf die öſtliche Glaubensmauer gegen den
Halbmond und die griechiſchen Schismatiker ſah.
Gerade im Zeitalter des Humanismus war die Türkengefahr eine
immer drohende und aufregende. Faſt jährlich gingen ungariſche Ge⸗
ſandte nach Rom, und römiſche Legaten weilten faſt unausgeſetzt in
Ungarn. So fand die italieniſche Bildung leicht Eingang. Schon der
) Ueber die ſpätere Geſchichte des deutſchen Humanismus findet man allenfalls
Belehrung bei Meiners Lebensbeſchreibungen ber. Männer u. ſ. w. 3 Bde. Zürich,
1795 — 97, bei H. A. Erhard, Geſchichte des Wiederaufblühens wiſſenſchaſtlicher
Bildung vornehmlich in Teutſchland bis zum Anfange der Reformation. 3 Bde. Magde⸗
burg, 1827 — 32, und am beſten bei K. Hagen, Deutſchlands literar. und relig.
Verh. im Reformationszeitalter. 3. Bde. Erlangen, 1841—44.
396 VI. Der Humanismus in Ungarn. Vitsz.
große Joannes Huniady war von ihr berührt: ſo ſehr ihn auch Staat
und Krieg in Anſpruch nahmen, hatte er doch für die Schriften eines
Poggio Zeit und Neigung, und der Florentiner fand ſich wiederum
nicht wenig geſchmeichelt, dem ruhmvollen Glaubensvertheidiger elegante
Briefe ſchreiben und feine neueſten Werke überſenden zu können.“)
Dionys Szechhn, der 24 Jahre lang die Würde eines Erzbiſchofs von
Gran bekleidete, zum Cardinal ernannt wurde und drei Könige von
Ungarn krönte, hatte einſt (1426) zu Padua ſeine Bildung vollendet.)
Er war vor Allem ein gelehrter Kenner der Rechte, aber zugleich ein
Freund der Italiener und ihrer Sitte. Daß er ſich indeß auch dem
Humanismus genähert, wüßten wir nicht zu beweiſen.
Der eigentliche Begründer der claſſiſchen Studien in Ungarn war
Joannes Vitéz von Zredna, ein Mann von außerordentlicher Rüh⸗
rigkeit und Vielſeitigkeit, der von Jugend an zugleich mit der Feder
und mit dem politiſchen Leben vertraut, Alles, was er wurde und war,
ſich ſelbſt verdankte und ſeine eigene raſtloſe Thätigkeit noch durch den
Eifer krönte, mit dem er Andere zu fördern ſuchte. Obwohl von Hauſe
arm, hatte auch er ſeine Studien in Italien gemacht, nicht nur die
philoſophiſchen und theologiſchen, die ihn zum geiſtlichen Stande vor⸗
bereiteten, ſondern mehr noch die humaniſtiſchen. Er wurde Schreiber
bei Joannes Huniady, dann (1447) Biſchof von Großwardein, er lei⸗
tete die Reichscancelei unter König Matthias und behielt die Functio⸗
nen des Canzlers bei, auch als er 1464 zum Nachfolger Szécſhy's
im graner Erzbisthum ernannt wurde. Man darf nur ſeine Staats⸗
ſchriften und Briefe leſen, um das Vorbild der florentiniſchen Cancelei
herauszuerkennen. Er war mit den politiſchen Mächten Italiens wie
mit ſeinen literariſchen Größen gleich bekannt und genoß bei letzteren
hohe Achtung, zumal da er ſie nicht ſelten mit Roſſen, edlem Pelzwerk
und Aehnlichem beſchenkte. Mit Florenz unterhielt er ſtete Verbindung,
hier ließ er emendirte Exemplare der Claſſiker, aber auch Ueberſetzungen
aus dem Griechiſchen und die Werke der Humaniſten ſelber abſchreiben.
Sein Lieblingsgedanke war die Errichtung einer Hochſchule in Ungarn,
die zugleich ein großes Nationalinſtitut ſein und alle Zweige der wiſſen⸗
ſchaftlichen und künſtleriſchen Bildung, wie man nur ſie in Italien be⸗
trieb, in ſich vereinigen ſollte. Er war es, der König Matthias zu allen
) Poggio's Briefe an ihn im Spicileg. Roman. T. X epist. 10. 11.
) Behmitth Archiepiscopi Strigon. T. I. p. 251.
VI. Janus Pannonius. 397
den Unternehmungen angeregt hat, die dieſem Fürſten den Lorbeerkranz
mäcenatiſchen Ruhmes eingetragen haben. Ihm alſo gehörte die Idee
zur ofener Nationalſchule, in der großen Bibliothek auf der Burg zu
Ofen bildeten die von Vitéz geſammelten Bücher die Grundlage, und
auch in der Vorliebe für italieniſche Gelehrte und Dichter, Architecten,
Maler, Bildhauer und Holzſchnitzer ging er dem Könige voran.)
Unter den Jünglingen, die Vitéz auf ſeine Koſten nach Italien
ſchickte, um auf dem claſſiſchen Boden das feinere Latein und die grie⸗
chiſche Sprache zu erlernen, war fein Neffe, Joannes Ceſinge, be-
kannter unter dem Namen Janus Pannonius als der geiſtreichſte
Dichter Ungarns in lateiniſcher Sprache. Als zarter Knabe wurde er
von feinem Oheim nach Ferrara in die Schule des alten Guarino ge-
geben, der mit Vitéz von früher her befreundet war und unter ſeinen
Zöglingen mehr als einen jungen Magyaren hatte. Dieſer Joannes
war der Stolz ſeines Lehrers, das Genie unter ſeinen Landsleuten.
Man ſtaunte, daß ein Nicht⸗Italiener es ſoweit bringen könne wie die⸗
fer Knabe“); nach vierjährigem Unterricht ſagte der alte Guarino von
ihm, er ſpreche Griechiſch, als wäre er im alten Athen, und Lateiniſch,
als wäre er im alten Rom geboren. Im ſechszehnten Lebensjahre zog
er die Aufmerkſamkeit durch beißende Epigramme auf ſich. Die Mark⸗
grafen von Ferrara und Mantua ließen ſich wohlgefällig von ihm an⸗
ſingen; bei einem Beſuche in Florenz wurde er von Coſimo de' Me⸗
dici, Poggio und Argyropulos freundſchaftlich aufgenommen. Noch
nicht 25 Jahre alt, ſehen wir ihn durch den Einfluß ſeines Oheims
zum Biſchof von Fünfkirchen gewählt und von Papſt Pius II zwar un⸗
gern, aber doch mit Rückſicht auf ſeine ungewöhnlichen Talente beſtätigt
(1459). So kehrte der dichteriſche Biſchof nun, mit griechiſchen und
lateiniſchen Büchern, die er in Italien zuſammengekauft, beladen und
von ſeinen italieniſchen Freunden als ein Wunder geprieſen, nach ſeiner
Heimath zurück. Aber mit ſeiner glänzenden Bildung brachte er auch
) Pius II Europa cap. 2; Comment. in Anton. Panorm. III, 8; Aeneae
Sylvii epist. Nicolao Hungaro v. 17. April 1453 im Cod. msc. 3389 der wiener
Hofbibl. Vespasiano: Arcivescovo di Strigonia (Gran). Von Vitéz, Staats⸗
briefen, die er im Namen Huniady's und des Königs Matthias verfaßte, ſind ſehr
viele bei Pray Annal. Reg. Hungar. gedruckt und bald, auch wenn ſie die Cancelei⸗
Signatur nicht führen, herauszuerkennen. Vergl. Fessler die Geschichten der
Ungarn und ihrer Landsassen Th. IV. Bd. II. S. 1076. 1262. Th. V. S. 654 ff.
) Denn Sogliono il più di questi oltramontani avere poco ingegno, fo
ſpricht der beſcheidene Vespaſiano nach, was eigentlich jedes Italieners Meinung war.
398 VI. König Matthias von Ungarn. Polen. Cardinal Olesnicky.
all die Leichtfertigkeit, Eitelkeit und Frivolität, kurz all den moraliſchen
Schmutz des italieniſchen Humanismus nach Ungarn herüber. Seine
Landsleute wußten die zierlichen Verſe des Dichters nicht zu ſchätzen,
aber an den Schlüpfrigkeiten des Biſchofs nahmen fie lebhaften Anſtoß,
und dieſen entſchädigten für ſolche Mißachtung nur ſeine Muſe, ſein
Stolz und ſein Anſehen am Hofe des Königs. Er hegte übrigens den
guten Vorſatz, einſt, wenn er alt ſein würde, dem frivolen Spiel der
Verſe zu entſagen und ernſtlicher an ſein Seelenheil zu denken, doch
war ihm ein höheres Alter nicht beſchieden.“)
Bekanntlich hat König Matthias eifrigſt dazu beigetragen, die
italieniſche Bildung nach dem Norden und Oſten Europa's zu ver⸗
pflanzen. Sein Muſenhof beſtand faſt ausſchließlich aus Fremden, zu⸗
mal aus Italienern. Sie lehrten die freien Künſte auf ſeinen Hoch⸗
ſchulen, waren die geehrten und reichbeſchenkten Schöngeiſter an ſeinem
Hofe, ſtanden ſeinen Bibliotheken vor, übten die Künſte der Architectur
und der Malerei, beſangen ihn und ſchrieben ſeine Geſchichte. Die
Eingeborenen fühlten ſich zurückgeſetzt und um ſo weniger zum Nach⸗
eifer geneigt. Der Humanismus in Ungarn erſcheint als ein fremdes
Gewächs, das ſchnell eine künſtliche Blüthe getrieben und dann ſeine
Blätter abgeworfen hat.
Sporadiſch und ſchwer nachzuweiſen ſind auch die erſten Anregun⸗
gen, die der Humanismus in Polen geübt. Auch hier iſt ſein erſter
Jünger der erſte Prälat des Königreichs, der Cardinal und Biſchof
von Krakau Zbignew Olesnicky. Aber auf welchem Wege war
dieſer Geſchmack an ihn gekommen? Hatte er in Italien ſtudirt, hatte
er vielleicht dem coſtnitzer Concil beigewohnt, oder begeiſterte ihn Fi⸗
lelfo's Beredtſamkeit, der 1424 mit Cardinal Branda zu Krakau er⸗
ſchien, um das Hochzeitfeſt des Königs Wladislaw durch glänzende
Reden zu verherrlichen? Oder empfing er von Wien aus, durch Enea
Silvio, den erſten Anſtoß? Er ſtand mit dieſem in einem Freund⸗
ſchaftsverhältniß eigener Art: brieflich war es angeſponnen und wurde
brieflich ein Jahrzehent lang unterhalten, geſehen haben ſie ſich nie.
Die erſte Widmung eines wohlgeſchriebenen Briefes, die Enea Silvio
im Juli 1442 dem Cardinal darbrachte, fand bei dieſem eine freund⸗
) Da mir die betreffende Literatur, insbeſondre die Werke des Janus Pan⸗
nonius ſelbſt, die 1734 zu Utrecht geſammelt erſchienen ſind, nicht zugänglich waren,
verweiſe ich auf Vespasiano: Vescovo di Cinque Chiese und beſonders auf
Fessler a. a. O. Th. V, S. 669 —679.
VI. Cardinal Olesnidy. 399
liche Aufnahme. Daß nun der Italiener die Gunſt eines ſo reichen
Prälaten nicht außer Augen ließ, daß er ihm eine politiſche Denkſchrift
widmete und ſpäter einen ganzen Band ſeiner Briefe zuſchickte, daß er
ihn mit reichlicher Schmeichelei köderte und außer Gegenſchmeicheleien
auch einen ſchönen Marderpelz dankbar in Empfang nahm, das Alles
wundert uns nicht.) Aber wir hören, daß der polniſche Prälat, von
Geſchäften überhäuft, verſtohlene Stunden der Nacht dazu verwendet,
um dieſe Briefe zu ſtudiren, deren Verfaſſer er einen neuen Cicero
nennt, daß er ſeine Freude an der klaren und wohlklingenden Schreib⸗
weiſe hat, wir ſehen, wie auch er nach feinen Gedanken haſcht und als
ein Schüler der claſſiſchen Beredtſamkeit erſcheinen möchte.) Wir be⸗
ſitzen von ihm mehrere Briefe politiſchen Inhalts, in welchen er in
der That als ein gebildeter Mann und guter Stiliſt erſcheint, ſein
Secretär Dlugoſſ theilt ſie im dreizehnten Buche ſeiner polniſchen Ge⸗
ſchichte mit. Man könnte argwöhnen, der Secretär möchte den beſten
Antheil an dieſen Briefen haben, aber man darf nur ſein Geſchichts⸗
werk ſelber leſen, um ſich zu überzeugen, daß Dlugoſſ höchſtens einige
claſſiſche Broſamen, die vom Tiſche feines Herrn abfielen, geſammelt
hat und im Uebrigen der ſtiliſtiſche Barbar geblieben iſt. Ueberhaupt
ſchritt die humaniſtiſche Bildung in Polen ſehr langſam vorwärts und
hat, wie wir daſſelbe von Ungarn bemerkten, der anfriſchenden Verbin⸗
dung mit Italien noch lange nicht und niemals ganz entrathen können.
) Enea's Briefe an den Cardinal von Krakau v. April oder Mai 1443, vom
13. Septemb. 1445, vom 27. Octob. 1453. cf. Aeneas Sy lvius de ritu, situ
etc. Germaniae (Opp. edit. Basil., 1571. p. 1043).
) Seine Antwort an Enea Silvio, dat. Krakau 10. Sept. 1453, handſchriftlich
im Cod. msc. 3389 (olim Salisb. 32 B) der k. k. Hofbibl. zu Wien fol. 181. Ich
hebe einige die ſtiliſtiſchen Beſtrebungen des Cardinals bezeichnende Worte heraus:
Equidem si verba epistolarum illarum (von denen des Enea Silvio iſt die Rede)
ipsarumque contextum attendo, purgata ab omni umbrosa nodositate in morem
laetis candidi nitent et placido claroque sensu in audientium aures fluunt etc. —
Ego sane ex quo aliquid litterarum intelligere coepi, detestatus sum morem il-
lorum, qui nescio qua persuasione ducti eam in dicendo et sententiarum suspen-
sionem et verborum obscuritatem imitantur ut nonnisi ab attentissima mente
quid velint intelligantur ete. — Novellum quemdam Ciceronem te dixerim etc, —
Enea Silvio erwähnt (Europa cap. 25) vom Cardinal epistolas multo sale et Ro-
mans elegantia conditas. Olesnicky ſtarb am 1. April 1455.
— . — —
400
Siebentes Buch.
Die Erſcheinungsformen und Tendenzen des italieniſchen
Humanismus im Allgemeinen.
Es giebt wohl Geiſterbewegungen, die ein Maß von Zeit durch⸗
laufen oder auch räumlich ihre Grenze finden. Andre dagegen ge⸗
hören, ſo weit unſer Blick reicht, der Allgemeinheit an und ſcheinen
berufen, ins Unabſehbare fortzuwirken, bald ſtarke Erſcheinungen zu
zeugen, bald wieder in ſtiller Propaganda ſich auszudehnen und in im⸗
mer weiteren Kreiſen ein Band um die Menſchen zu ſchlingen. Sie
werden gleichſam ein Eigenthum der menſchlichen Geſammtbildung, der
geſchichtlichen Menſchheit. So dürfen wir ſagen, mit dem Zeitalter
Nicolaus’ V ſei das claſſiſche Alterthum, das lange vergeſſene, wieder
ein unverlierbares Gut geworden, welches keine Barbarei der Zeiten
ins Grab zurückſtoßen konnte. Selbſt wenn Italien einer chaotifchen
Verwirrung anheimfiel, wie einzelne Peſſimiſten ſie vorauszuſehen mein⸗
ten, ſo hatte bereits der Wind geweht, der die Saatkörner ſeiner hu⸗
maniſtiſchen Bildung in andre Länder übertrug und ihre Fortdauer
ſicherte. Darum glauben wir mit dieſer Epoche unſere Schilderung
abſchließen zu dürfen.
Mannigfache Perſönlichkeiten und Gruppen ſind bald geſondert,
bald in ihren Verknüpfungen vorgeführt worden. Gingen wir bisher
willig auf die Eigenthümlichkeit der Geſtalten und Geſtaltungen ein,
ſo ſuchen wir jetzt die gemeinſamen Richtungen zuſammenzufaſſen. Lern⸗
ten wir bisher vorzugsweiſe die Humaniſten jener Zeit kennen, ſo haben
wir jetzt den ſie alle belebenden Humanismus zu analyſiren. Dabei
müſſen wir freilich vorausſetzen, daß eine Anſchauung bereits aus dem
VII. Der nationale Stolz ber italienischen Humaniſten. 401
Vorigen gewonnen iſt und daß wir jetzt auf einer Höhe ſtehen, von
welcher aus wir die Grenzen, die Beſchränktheiten jenes Zeitalters er⸗
kennen können. Denn eine begeiſterte Bewegung taucht jedesmal mit
dem Schein einer unendlichen Perſpective auf; erſt wenn ſie ſich ganz
entfaltet und bereits einer neuen Zeitwelle Platz gemacht hat, erreichen
wir die nöthige Ferne, um ſie als etwas Abgeſchloſſenes betrachten zu
können. Dann freilich weicht von ihr der Zauber des Unermeßlichen,
aber doch iſt es einmal ſo: wir erkennen nur ganz, was wir eigentlich
ſchon überſehen. ü
In verſchiedenen Ländern trafen wir Männer an, die ein Inter⸗
eſſe für die Studien des Alterthums, die Geſchmack an den formellen
Feinheiten des italiſchen Humanismus empfanden. Aber ſie ergaben
ſich dieſem Studium, dieſer Bildung nicht als einem Lebensberufe, ſie
widmeten ihnen nicht ihre ganze Perſönlichkeit, ſie waren vom Huma⸗
nismus mehr nur berührt und gefärbt. Eigentliche Humaniſten, einen
gemeinſamen Typus dieſer Menſchenclaſſe, einen humaniſtiſchen Stand
mit gewiſſen geſellſchaftlichen Formen gab es zu der Zeit, die wir be-
leuchtet, nur in Italien. Als die Schlüſſel Petri bereits über die Al⸗
pen getragen waren und die Völker ſtrebten, ſich von der Einheit des
hierarchiſchen Verbandes loszuringen, als die geiſtliche Weltherrſchaft
nur noch wie ein Echo fortlebte, da tritt Italien trotzdem noch einmal
in den Vordergrund des geiſtigen Lebens und zwar mit der Erbſchaft
jener Zeiten, in welchen ſeine Imperatoren die Welt beherrſcht. Es
hat den Zugang zum Alterthum gefunden, es hat in dieſer alten
Welt eine neue entdeckt und durchforſcht, es kann den andern Völkern
wieder mit dem Bewußtſein eines mehrwiſſenden Lehrers entgegentreten.
Was Wunder, wenn den Chorführern dieſer Bildung Italien immer
noch als das „Haupt Europa's und der kaiſerlichen Monarchie“, als
die „Königin der Provinzen,“ als die „Lehrmeiſterin der Völker“ er⸗
ſcheint, wenn ſie von den alten Römern als „unſern Ahnen“ ſprechen,
wenn ihr Stolz gegen die „transalpiniſchen Barbaren“ von Neuem
die kräftigſte Nahrung erhält. Petrarca hatte Paris, das gewerbthä⸗
tige Flandern und einen Theil von Deutſchland geſehen, in Frankreich
erſchien ihm die Barbarei noch in der gelindeſten Form, aber je weiter
er reife, ſagt er, deſto mehr bewundere er Italien, feine Heimath. ')
Sobald er an den Norden denkt, iſt ihm der Vergleich mit ſcythiſcher
) Epist. rer. famil. I, 3.
Voigt, Humanismus. 26
402 VII. Der nationale Stolz der italieniſchen Humaniſten.
Barbarei geläufig. Italien aber, das vielgeſpaltene, erſcheint ihm durch
ſeine edlere Bildung und durch das Andenken ſeines hehren Alterthums
wieder als ein Ganzes, ein allgemeines Vaterland, gegen deſſen Feinde
er freilich nur die Klage und die Entrüſtung, die Tage eines Marius
und Cäſar aufzurufen weiß.) Welches andre Volk könnte ſich an
geiſtiger Begabung mit dieſem meſſen! Was Ausländer geleiſtet, iſt
entweder in Italien zu Stande gebracht oder fie haben es in Italien
gelernt. Iſt hier doch die Grundlage aller Bildung, die lateiniſche
Sprache, heimiſch; ſo findet ſich denn auch Hoheit des Geiſtes und
wahrhafte Moralität allein in Italien.) .
Wir erinnern uns aus dem Vorigen manches Schlagwortes gegen
die aufgeblaſenen, windigen Griechen, die gefräßigen Engländer, die
trunkvölleriſchen Deutſchen. So äußerte ſich der ſpöttelnde Stolz der
Italiener. Aber ſie haben für dieſen Stolz auch einen großſprecheriſchen
Ton, in welchem ſie ſich wie im Rauſche ergehen. Weil ſich der Strom
ihrer Beredtſamkeit aus dem alten Quell des cäſariſchen Zeitalters
nährte und ihn im majeſtätiſchen Schwalle ſogar überbot, war den
Rednern oft, als müßte auch die Macht und Kraft der alten Zeiten
wiederkehren und Italien wieder einer Welt gebieten. Und ließ ſich
die Gegenwart wenig darnach an, ſo hofften ſie auf eine Zukunft, in
welcher die von ihnen erzogenen und mit dem Geiſte des Alterthums
großgenährten Fürſten ein neues Heldenzeitalter der Nation heraufbe⸗
ſchwören würden. Hätte man nur, wie es uns jetzt vergönnt iſt, von
der Pforte des Jahrhunderts bis zu ſeinem Ausgange ſehen können!
In ſeiner Mitte brach die Herrſchaft von Byzanz, dem griechiſchen
Rom, zuſammen und das alte Hellas mußte zur Schmach der Chriſten⸗
heit unter dem Joche der Barbaren ſeufzen. Gegen den Schluß des
Jahrhunderts verlor Italien den letzten Schimmer ſeiner Macht und
zum großen Theil auch ſeine nationale Freiheit an Völker, die es ſchon
nicht mehr Barbaren nennen durfte. Und dieſen Fremden hat nicht
jene „alte Tapferkeit“ Widerſtand geleiſtet, von welcher Petrarca in der
berühmten Canzone Italia mia geſungen. Doch iſt gerade in den ab⸗
wärtslaufenden Zeiten einer Nation nicht ſelten ein wehmüthiges Ge⸗
) Epist. rer. famil. VII, 1.
) Petrarca epist. rer. senil. IX, 1 (Opp. p. 937); Apologia c. cujusd.
Galli calumnias (Opp. p. 1179 s.); epist. metr. III, 24, einen Hymnus, der fei-
nem italieniſchen Vaterlande dei ſeiner Rückkehr aus Frankreich widmete.
VII. Das perſönliche Selbſtgefühl der Humaniſten. 403
fühl für ihre ruhmvolle Vergangenheit vorherrſchend, eine gleichſam
träumeriſche Vaterlandsliebe, die im ohnmächtigen Schlummer ſich die
Heldentugend und den Schlachtenmuth der Ahnen zurückruft. Als die
Unkraft Italiens ſchon die fremden Heere über die Alpen lockte, ſpielte
ſein kindiſcher Stolz noch mit Coſtüm und Maske der alten Römer⸗
helden.
Dem nationalen Stolze entſprach das perſönliche Selbſtgefühl
derer, die in ſich die Wiedererwecker der glorreichen Vergangenheit, die
Leuchten ihrer Zeit und die Propheten der Zukunft ſahen. Wir ſpra⸗
chen oben von Petrarca's grenzenloſem Hochmuthe, wir wieſen den
moraliſchen Gefichtspunct ſeitwärts und betrachteten jene Eigenſchaft
als Phänomen, welches faſt nothwendig zur Geſtalt des Mannes ge⸗
hört. Von dem, was bei Petrarca im geheimnißvollen Widerſtreit der
Gefühle aus dem Grunde des Herzens gährend emporquoll, haben feine
Nachfolger nur einige Tropfen aufgehaſcht, mit denen ſie wie mit Sei⸗
fenblafen ſpielend umherwarfen. Seine heiße Sehnſucht nach dem Ruhme
haben ſie nie als ein wühlendes und bohrendes Gefühl empfunden, ſo
blieben ihnen nur ſeine kleinen Eitelkeiten und Dünkelhaftigkeiten. Le⸗
ben und Schreiben, die er zur Eintracht bringen wollte, gingen bei
ihnen immer mehr auseinander; das „Erkenne dich ſelbſt“, ihm der
Inbegriff einer neuen und tiefen Weisheit, wurde bei ihnen wieder zur
geringen Phraſe. Sie glaubten bereits heimiſch zu ſein in dem Ge⸗
biete, das er entdeckt, aber ſie hauſten darin wie in dem neuen Welt⸗
theile, den Columbus gefunden, die ſpaniſchen Räuber. So erſcheint
denn, was an Petrarca immer noch groß und erſtaunlich genannt wer⸗
den mag, an ihnen oft kleinlich und lächerlich. Bald wuchs ihr Selbſt⸗
gefühl unter den Reibungen und literarifchen Kämpfen, die ſie gegen
einander führten, bald durch die Schmeicheleien, die ſie einander als
Freunde darbrachten. Am meiſten aber verzog ſie die Bewunderung,
die ihnen ihr Zeitalter ſo willig und ſo ungemeſſen entgegenbrachte.
Staatsämter und Geſandtſchaften gaben ihnen geſellſchaftlichen Rang,
Hofleute beugten ſich vor ihnen, Fürſten und Cardinäle drückten ihnen
freundſchaftlich die Hand. Sie waren die Zier des Ortes, in dem ſie
geboren, die Merkwürdigkeit der Stadt, in der ſie lebten. Man erkaufte
ihr Wort und ihre Feder durch Protection und Geſchenke; denn ihre
Schriften waren die Herolde des Ruhmes oder des Tadels und be⸗
ſtimmten das Urtheil der Nachwelt. Sie fühlten ſich als die Herren
der öffentlichen Meinung. N
26 *
404 VII. Die Humaniſten als Herren der öffentlichen Meinung.
Im Jahre 1392 hatte Carlo Malateſta, Herr von Rimini, die
Statue Virgils vom Marktplatze zu Mantua entfernen laſſen, als er
die Stadt erobert und gerade übler Laune war. Er meinte, Heiligen
gebührten Statuen, nicht heidniſchen Dichtern, nicht Männern wie Vir⸗
gilius, der ein Poſſenreißer geweſen wie alle Poeten, nicht Männern
wie Cicero, der ein windiger Rechtsanwalt geweſen. Niemand wagte
dem harten Kriegsführer zu widerſprechen, nur Pier⸗Paolo Vergerio,
der Humaniſt, richtete eine ſcharfe Invective gegen dieſe Rohheit, die
mit rechter Luſt geleſen und verbreitet wurde und den Condottiere bitterer
brandmarkte, als eine Niederlage oder ein Verrath es hätte thun kön⸗
nen. Die Statue wurde wieder aufgeſtellt; der Malateſta ſchämte ſich,
lernte ſelbſt Verſe machen und hielt darauf, für einen Mann von Bil-
dung zu gelten.)
Selbſt Päpſte fühlten ſich unter dieſem Einfluß, ja mehr als
andre Fürſten, weil ihre Herrſchaft vom öffentlichen Urtheil am meiſten
bedroht war. Eugen IV, der Bullen und Heere oft mit eigenſinniger
Kühnheit ausſandte, ſoll geſagt haben, man müſſe an dieſen Humani⸗
ſten nicht nur ihre Gelehrſamkeit lieben, ſondern auch ihren Zorn
fürchten; denn man beleidige ſie ſelten ungeſtraft.) Sein Nachfolger
Nicolaus Wiſt durch den Weihrauch der Huldigungen über die Maßen
verklärt worden, weil er mit immer voller Hand Aemter, Geld und
Gnaden unter jene Männer auswarf. Und wie lange hat Paulus II
nur deshalb im Rufe eines Barbaren geſtanden, weil er den Platina
einkerkern und foltern ließ und weil dieſer dafür in der Lebensbeſchrei⸗
bung des Papſtes Rache nahm.
Iſt es ein Wunder, wenn die Repräſentanten der ſchönwiſſen⸗
ſchaftlichen Bildung mit dem Gefühl einhergingen, als müßten noth⸗
wendig alle Augen auf ſie gerichtet ſein, wenn ſie mit einer Zuverſicht
von ſich ſelber, von der Ewigkeit ihres Namens und ihrer Werke
ſprachen, als ſei ein Zweifel daran ein Frevel? Man denke an Bruni
und Marſuppini, an Poggio und Valla. Wahrhaft groß aber in ſeiner
) S. oben S. 264. Facius de vir. illustr. p. 9. Mehus Vita Leon.
Bruni p. XXXVIII. Die Invective ſelbſt, fälſchlich dem Guarino zugeſchrieben, b.
Martene et Durand Collect. ampliss. T. III. p. 868 sq., unter Vergerio's Na⸗
men bei Muratori Scriptt. T. XVI p. 215. In einem Codex der Ambroſiana iſt
fie datirt: Boneniae XIV. Kal. Octobris 1392 (ibid. p. 112).
) Aegidius Viterbiens is bei Ciaconius Vitae et res gestae Pontif.
Roman. T. II. p. 885.
VII. Die Selbſtüberſchätzung der Humaniſten. 405
Selbſtgefälligkeit, der leibhaftige Typus aller Ruhmrednerei iſt der un⸗
ſterbliche Francesco Filelfo. Als ein junger Mann von kaum dreißig
Jahren, wie er zu Vorleſungen über Redekunſt und Moral nach Flo⸗
renz gerufen und mit großen Ehren empfangen war, meinte er in freu⸗
digem Stolze, ſelbſt die Steine in Florenz, wenn ſie nur reden könnten,
müßten ſein Lob verkünden.) Und als Greis von achtzig Jahren, in
der That durch andre Talente längſt überflügelt, ſagte er immer noch
mit derſelben Würde, es gebe einmal in der Welt nur einen Filelfo.
Sollte ihn wirklich Virgilius in der Kunſt des Verſes übertreffen, ſo
war Virgilius doch kein oder ein mittelmäßiger Redner; ſollte Cicero
ihm ja in der Schönheit der Proſa vorgezogen werden, ſo war Cicero
doch kein Dichter in Verſen. Zugleich in griechiſcher wie in lateiniſcher
Sprache zu ſchreiben und zu dichten vermochte weder Virgilius noch
Cicero; das kann allein der Filelfo.)
Mancher der damaligen Gelehrten und Dichter hat ſterbend, wie
ein guter Chriſt an das Jenſeits glaubt, ebenſo freudig und feſt an
die Ewigkeit ſeines Nachruhmes geglaubt. Und doch ſpielt ſein Name
jetzt in der Literaturgeſchichte eine gar kleine Rolle: der Forſcher ſieht
und überſchlägt ihn; im Munde der Welt, auch der gelehrten, iſt er
längſt nicht mehr. Seine Briefe und Reden werden vielleicht noch ein⸗
mal von gleichgültiger Hand durchblättert, ob ſich nicht Notizen darin
finden, zu andern Zwecken brauchbar, ſeine Gedichte, ſo ſchwungvoll er
gleich im erſten den kaſtaliſchen Quell und alle Neun anrief, verrotten
unbeachtet in irgend einem Bücherſaal. Filelfo's Epigramme, ja ſogar
ſeine Sforziade, in welcher er ſich und ſo viele gute Freunde, die ihn
beſchenkt, unſterblich wähnte, hat die undankbare Nachwelt nicht einmal
der Veröffentlichung durch den Druck werth gehalten, und wenn ſich
Einer hinter das ſtaubige Papier machte, ſo ſagte er nur den Andern,
wie ſchaal und trivial, wie gemein und unfläthig und welch' ein eitler
Narr der Dichter geweſen ſei.
) Sein Brief an Niccoli v. 13. April 1433.
2) So beſingt er ſich in Lib. IX de jocis et seriis bei Rosmini Vita di
Filelfo T. III. p. 149:
Quod si Virgilius superat_me carminis ullis
Laudibus, orator illo ego sum melior.
Sin Tulli eloquio praestat facundia nostro,
Versibus ille meis cedit ubique minor.
Adde quod et lingua possum haec praestare Pelasga
Et Latia. Talem quem mihi des alium?
406 VII. Schiefe Auffaſſung des Alterthums.
Wo liegt der Grund dieſes Widerſpruches? Zu allen Zeiten haben
Schriftſteller die Bedeutung ihrer Geiſteswerke überſchätzt, aber wohl
zu keiner Zeit ſonſt ſind literariſche Namen ſo hoch gefeiert worden,
die ſchon nach einem Jahrhundert ſo tief in Mißachtung und Ver⸗
geſſenheit ſinken ſollten. Das Mißverhältniß liegt offenbar mehr in
der Sache als in den Perſönlichkeiten.
Die einſeitige Beſchäftigung mit dem Alterthum machte die Jünger
deſſelben in gewiſſem Sinne alle zu Idealiſten und Schwärmern. Sie
maßen die Größe ihres Geiſtes nach dem Großen, welches er aufzuneh⸗
men und zu hegen im Stande war, nicht nach ſeinen Leiſtungen. In
dieſen leitete ſie ganz der Trieb der Nachahmung. Er iſt immer ein
beſchränkter und kindiſcher, das aber läßt die Begeiſterung den Nach⸗
ahmenden nicht empfinden. In der That konnte das Alterthum doch
nur ein Bildungsſtoff, nicht ein Lebenselement werden, ſeine Kenntniß
konnte die Geiſter in vielſeitigerer Weiſe erziehen, als ſie bisher er⸗
zogen worden, aber ſie konnte die modernen Herzen nicht ſchlagen machen,
wie das Herz eines plutarchiſchen Helden oder eines livianiſchen Alt⸗
römers geſchlagen haben mochte. Das Studium und das wirkliche
Leben dieſer Alterthumsverehrer mußten in einen wunderlichen Conflict
gerathen. |
Das Alterthum wie das Chriſtenthum bringt eine richtige Er⸗
ziehung dem kindlichen Gemüthe von ihren Urſprüngen her bei, jenes
von den Zeiten der grauen Sage, dieſes in ſeiner einfachſten Geſtalt,
in dem naiven Berichte vom Leben und Sterben des Erlöſers. Für
das Kind ſind die Thaten und Leiden der Helden Homer's und der
tragiſchen Geſtalten des helleniſchen Mythus eine geſunde Nahrung,
gleichwie die Evangelien uns dem Chriſtenthum am unmittelbarſten zu⸗
führen, nicht die lehrhaften Schriften der Apoſtel. Nun aber hat die
Neubelebung des Alterthums in ihrem Verlaufe faſt gerade den umge⸗
kehrten Weg eingeſchlagen. Man begann mit dem gealterten Römerthum,
vor Allem mit ſeiner Philoſophie, mit der markloſen Geſchmeidigkeit
Cicero's, mit Seneca's prunkenden Sentenzen. Kamen dazu noch Stücke
aus Boethius und den Schriftſtellern der Kirche, ſo wurde der Miſch⸗
teig der Lebensweisheit dadurch zwar mit etwas Chriſtenthum verſetzt,
aber an jugendlicher Gährungskraft gewann er nicht. Der moralphi⸗
loſophiſche Tractat wurde zuerſt und blieb für lange Zeit die Lieb⸗
lingsgattung, in welcher ſich die Humaniſten ſeit Petrarca bewegten.
In Reden und Briefen tönten immer die alten Schlagworte durch von
VII. Schiefe Auffaſſung des Alterthums. 407
der Tugend und vom höchſten Gut, von der Hinfälligkeit alles Irdi⸗
ſchen und vom Ruhm, von Freundſchaft und Haß, von Krankheit und
Alter. Die Philoſophie der Römer hatte ſchon zu den Zeiten Cicero's
und Seneca's ſelber keinen erfriſchenden Einfluß auf das Leben geübt,
ſie war doch immer nur eine Populariſirung griechiſcher Syſteme, ſollte
ſie nun in ihrer aufgewärmten Geſtalt große Staatsmänner und würde⸗
volle Märtyrer der Wahrheit heranbilden? Mit der beliebten Rede⸗
kunſt ging es ähnlich: über Cicero hinaus gelangte man bald zu den
panegyriſchen Reden der Kaiſerzeit, in denen das grellſte Pathos,
Schmeichelei und Unſinn wetteifern. Die helleniſche Literatur, die
Mutter der römiſchen, lag noch lange in tiefem Dunkel, auch als ihre
Sprache bereits Tauſenden bekannt war. Homer und die Tragöden
Athen's, Demoſthenes und Lyſias waren verehrte Namen, in ihre
Werke aber drang noch niemand mit einer Spur von Gefühl oder
Verſtändniß ein.
So ſtanden das Gold und die Schlacken des Alterthums ziemlich
in gleicher Schätzung. Wenige ſcharfe Geiſter ausgenommen, verfuhr
man meiſtens nicht kritiſcher und geſchmackvoller als die Theologen und
Juriſten, denen man doch das Aufthürmen eines wüſten Krames zum
Vorwurf machte. Der Ausſpruch irgend eines helleniſchen Naturphi⸗
loſophen, deſſen Cicero gedenkt, wurde unter demſelben Geſichtspuncte
betrachtet wie etwa eine Sentenz des Boethius; Moſes und Kyros
mußten ſo gut als Vorbilder der Tugend dienen wie Alexander von
Makedonien oder der Kaiſer Trajanus. Dieſelben Männer, die ſich
mit ſtolzem Bewußtſein von der bisherigen Autorität der Kirche und
per Scholaſtik losrangen, huldigten der des Alterthums nicht minder
befangen und knechtiſch.
Wie kindiſch iſt ferner das Beſtreben, die politiſche und die mo⸗
raliſche Welt nach dem Muſter des Alterthums zu reformiren. Es be-
gann wie eine Spielerei, indem man die alten Namen und Bezeichnungen
hervorſuchte. Rom wurde wieder zur Urbs, ſeine Engelsburg zum
Grabmal Hadrians. Den Papſt nannte man am liebſten Pontifex ma⸗
ximus, das Cardinalcollegium den heiligen Senat; die Gonfalonieri
und Rettori der Städte wurden zu Conſuln und Prätoren. In den
Provinzen des Kirchenſtaates tauchten die Sabiner, Umbrer und Picen⸗
ter wieder auf, der Ackerbauer der Campagna wurde zum Marſer oder
Herniker, in Savoyen hauſten wieder Allobroger und am genueſiſchen
Buſen Ligurer. Der gelehrte und ein wenig pedantiſche Flavio Biondo
408 VII. Schiefe Auffaſſung des Alterthums.
geräth oft nicht wenig in Verlegenheit, wie er die barbariſchen Aus⸗
drücke feiner Zeit in Cäſar's und. Livius' Sprache übertragen ſoll.
Manche Umtaufe, ſagt er, würde man ſelbſt bei Wiederleſen der eige⸗
nen Schrift nicht mehr verſtehen, und doch erregten die modernen Aus⸗
drücke Aerger und Ueberdruß, ſo daß man ſich ihrer nicht gut bedie⸗
nen könne.!) Andre verfuhren bei dieſer Namengebung mit genialer
Willkür. |
Auch die Menſchen follten andre werden, beſonders die Fürſten
und Staatsmänner, von welchen die alte Geſchichte am meiſten zu er⸗
zählen weiß. Blieben ſie, wie ſie waren, ſo phantaſirte ſie ſich der
Alterthümler mit heroiſchen Zügen aus, die er aus Plutarchos und
Valerius Maximus gelernt. Von einem Markgrafen von Mantua ſagt
er, das Glück habe ihn nicht zu frevelhaftem Uebermuthe verleitet und
das Unglück nicht gebeugt, von einem Papſte rühmt er, er habe Hun⸗
ger und Durſt mit Gleichmuth ertragen. Wenn zwei Condottieri gegen
einander im Felde liegen und nichts weiter geſchieht, als daß der Bauer
den Soldaten füttern muß, werden die Führer dem Geſchichtſchreiber
dieſes Krieges zu Hannibal und Scipio. Das war nicht etwa ein
jugendliches Weſen, welches nur den Anfang des Humanismus gezeich⸗
net hätte. Selbſt Macchiavelli, der kein bloßer Stubengelehrter war
und die Politik eines Ceſare Borja zu ſchätzen wußte, findet es doch
im Fürſtenſpiegel wie in den Discurſen über Livius ganz natürlich,
den Dynaſten ſeiner Zeit Theſeus und Romulus als Vorbilder hinzu⸗
ſtellen. Im vollen Ernſte empfiehlt er die Nachahmung großer Män⸗
ner; erreiche man auch nicht ihre ganze Hoheit, ſo doch wenigſtens
einen Duft derſelben.) Von den großen Männern ſelbſt aber hat er
ſich aus ſeinen Claſſikern ziemlich ſchülerhafte Vorſtellungen gemacht.
Die Wenigen, die thöricht genug waren, mit der claſſiſchen Schwär⸗
merei Ernſt zu machen, ſind traurig daran geſcheitert. Cola di Rienzo,
der anfangs auf dem Capitol ein Volk von alten und freien Römern
um ſich zu ſehen meinte und einen Brutus in ſich fühlte, wurde dar⸗
über zum Theaterhelden und da er von der Rolle nicht laſſen kounte,
zum Narren. Sein Nachfolger, der nach hundert Jahren den römiſchen
Freiheitstraum träumte, Stefano de Porcari, war an Schulden und
Wüſtheit allerdings ein Catilina, aber nicht an Energie und Muth;
) Fl. Blondi Historiarum ab inelinat. Roman. Dec. III. Lib. I. in princ.
) Principe cap. VI.
VII. Schein und Sein. | 409
auch er nahm ein elendes und feiges Ende. Noch manche Geſtalt in
der Weltgeſchichte, die ſo nach einem heroiſchen Muſter ihr Leben ein⸗
richtete, iſt zur Caricatur geworden. Aber die damaligen Fürſten Ita⸗
liens gingen damit nicht ſo aufrichtig zu Werke: ſie nahmen den alter⸗
thümlichen Weihrauch hin und blieben dabei doch ſehr vernünftig und
nüchtern, der eine als guter Geldwirth, der andre als Liebhaber einer
gefahrloſen Jagd, dieſer ein kleinlich berechnender Politiker, jener der
galanteſte Cavalier ſeines Hofes; ſie ließen ſich von den Hofpoeten be⸗
ſingen und beſchmeicheln und blieben gegen die Poeſie meiſtens doch ſo
kalt wie Auguſtus, ihr Vorbild.
Ungleich tiefer wurzelten die claſſiſchen Phantome bei denen, die
ſich berufsmäßig und unausgeſetzt mit ihnen beſchäftigten, bei den Hu⸗
manſſten ſelber. Wort und Wirklichkeit, Schein und Sein ſtanden hier
im eigenthümlichſten Widerſpruch. Es liegt ein Zug von Donquixoterie
in dieſen Männern; die Aehnlichkeit iſt auch Cervantes, zu deſſen Zeit
Spanien derſelben Bildung huldigte, wie Italien etwa in der erſten
Hälfte des 15. Jahrhunderts, am wenigſten entgangen, man vergleiche
nur die Vorrede zu ſeinem unſterblichen Werke.
Der Widerſpruch drang am tiefſten in die ſittliche Sphäre ein;
denn in ihr giebt ſich der Menſch am leichteſten den Selbſttäuſchungen
hin und ſucht auch am meiſten den Schein vor Andern. Eine neue
Welt war in der Lebensphiloſophie der Alten aufgegangen, ungleich
vielſeitiger und bequemer als die unerbittliche Moral der Theologen
und Asketen, geiſtreicher und reizender als die ſchwerfälligen Syſteme
der Doctrinale, Summen und Spiegel. Und das war eine Weisheit,
von welcher das unliterariſche Volk keine Ahnung hatte, eine neue Re⸗
ligion ausſchließlich für die geiſtige Ariſtokratie. In ihren Schriften
haben ſich faſt alle Humaniſten zur ſtoiſchen Lehre bekannt. Sie hatte
den großen Vorzug, ſich den chriſtlichen Sittenforderungen gar leicht
anzuſchließen und mithin keinen Anſtoß zu erregen wie jene beiden
Sätze, in denen man Epikur's Syſtem zu erſchöpfen meinte, daß näm⸗
lich die Luſt das höchſte Gut ſei und daß es keine Unſterblichkeit der
Seele gebe. Die gefeierten Tugendhelden des Alterthums hatten nach
damaliger Meinung alle am Scheidewege des Hercules geſtanden und
waren dann an Zenon's Hand der Unſterblichkeit zugewandelt. Auch
hatte die Stoa den Zauber einer großen Geſchichte für ſich, am meiſten
aber gefiel es, daß in ihr die Blumen der Redekunſt ſo berauſchend
dufteten und der Donner der Worte ſo prächtig wiederhallte. Sie
410 VII. Schein und Sein.
war recht der Ort für die ſtolze Phraſe, und die rhetoriſche Kunſt war
ja wieder der erſte Liebling der neueren Humaniſten, wie ſie der letzte
Liebling der Völker des Alterthums geweſen.
Ueberall wird man finden, daß Menſchen, welche die Kunſt des
Wortes als Beruf und erſte Beſchäftigung üben, gar leicht verwechſeln
und durcheinanderwirren, was ihrer Perſönlichkeit zu Eigen gehört und
was ſie nur als angelernten Stoff beſitzen. Sie reden ſich, wie man
ſagt, ins Zeug. Der Prediger meint bald ſo gottſelig zu ſein als feine
Worte. Der politiſche Redner oder Schriftſteller glaubt begeiſtert für
ſeine Sache zu ſein, weil er begeiſtert ſprechen kann. Der Schauſpieler
fühlt ein edles Künſtlerherz in ſich ſchlagen, weil ſein Mund der He⸗
rold des Kunſtwerkes iſt. Der Muſiker dünkt ſich ein Held in der
Empfindungskraft, weil er dem Anempfundenen Ausdruck zu geben
weiß. Und doch iſt noch lange nicht unſer ſittliches Eigen, was unſer
Geiſt zu faſſen und in Worten zu geſtalten vermag. So unerbittlich
prüfen Wenige ihr Herz, ihr liebes verzogenes Kind, daß ſie ihm nicht
dieſe oder jene Selbſttäuſchung hingehen ließen und die beſſere Einſicht
auch für den beſſeren Willen nähmen. Auch vergleicht ſich die eigene
Geſinnung ſchwer mit den eigenen Gedanken: nur am Beiſpiel Andrer
können wir lernen, wie ſie zu ſondern ſind. Unſre Gelehrten nun
waren wie geblendet von der Hoheit und Schönheit der neuen Welt,
in der ſie ſich bewegten und deren Eſſenz ſie in Wort und Schrift von
Neuem darzuſtellen wähnten. Die neue Anſchauung konnte unmöglich
ſogleich eine nüchterne, der neue Genuß ſogleich ein verſtändiger fein.
Sie griffen zuerſt nach dem Flittergolde der Rhetorik, welches ſie im
Grunde ſo wenig glücklicher machte wie das Gold von Peru und Me⸗
rico die ſpaniſchen Abenteurer. Sie fühlten die Tugend, die Virtus
als ein hohes Ideal und die verſchiedenen Tugenden auch ſchon tief in
ihren Buſen gepflanzt, weil ſie mit Cicero's Geläufigkeit und Seneca's
feierlichem Ernſte darüber zu reden gelernt. Dieſen Irrthum gewahren
wir mit Verwunderung auf jeder Seite ihrer Schriften. Der Lefer,
der ſich von der Möglichkeit ſolcher Selbſttäuſchungen ſchwer überzeugen
kann, ſei zumal auf die Werke Poggio's, Filelfo's und Valla's hinge⸗
wieſen, die überhaupt die ausgeprägteſten Typen des Humanismus ſein
dürften. In vollem Ernſte meinten dieſe Philoſophen die Güter der
Welt gering und die des Geiſtes und des Jenſeits deſto höher zu ach⸗
ten, wenn ſie ein Dutzend Gemeinplätze ſolches Inhalts aus den Claſ⸗
ſikern und der Bibel mit einem Dutzend Beiſpielen aus der profanen
VII. Schein und Sein. 411
und heiligen Geſchichte aufzureihen wußten. Sie glaubten das Lob
der Beſcheidenheit im vollſten Maße zu verdienen, wenn ſie einmal
von ſich in den wegwerfendſten Ausdrücken ſprachen und keine Ehre zu
verdienen behaupteten. Sie fühlten ſich durchaus demüthig, fromm und
gottergeben, wenn ſie bei Gelegenheit auch reden konnten wie der heilige
Auguſtinus. Ja ſie wähnten in der That recht ehrliche und aufrichtige
Naturen zu ſein, wenn ſie dem Geſchmeichelten ihre Aufrichtigkeit zu
verſichern und die Heuchelei als ein abſcheuliches Laſter darzuſtellen
verſtanden. |
So war denn in dieſen ſchöngeiſtigen Kreiſen die Sittlichkeit dem
einfachen Gewiſſen völlig entrückt und in eine Welt des Scheines ver-
ſetzt. Wohl kam es, daß Einzelnen in lichten Augenblicken einmal halb
die Beſinnung wiederkehrte und daß wir dann wenigſtens in der Form
allgemeiner Beobachtungen Geſtändniſſe hören, wie ſie mit wenig Gewinn
aber mit höherem Muthe ſchon Petrarca zu machen verſucht. Da
heißt es denn: „Mit dem Worte philoſophiren Viele, im Leben ſelbſt
äußerſt Wenige.“ — „Obwohl die Menſchen ſelten ſo leben wie ſie
ſchreiben, wiſſen ſie doch, daß ſie ſo leben ſollten.“ — „Die Meiſten
wollen lieber ſcheinen als ſein. Sie begehren nicht die Frucht der
Tugend, ſondern die Schmeichelei für ihre vorgeſtellte Tugend.“ —
„Die Mehrzahl der Menſchen hat ein gemachtes und geſchmücktes We⸗
ſen, die Meiſten wollen lieber gut erſcheinen als ſein.“ — Aber das
Sein ift dürftig und unvollkommen, der Schein ſchillernd und in ſüße
Irrniſſe verlockend; wer ſich einmal wohl gefühlt in ſeinen Wellen,
ſtürzt ſich immer wieder hinein.
Macchiavelli ſtellt fünf Tugenden auf, die ein Fürſt immer im
Munde führen, deren Schein er ſorgfältig wahren ſoll: er möge liebe-
voll, treu, leutſelig, religiös und aufrichtig erſcheinen.) Ein Jeder,
fügt er hinzu, ſieht, was du ſcheinſt, Wenige merken, was dn biſt, und
dieſe Wenigen kommen gegen die Menge nicht auf. Wir erſchrecken
über dieſe Moral, mehr noch über die Schaamloſigkeit, mit der ſie aus⸗
geſprochen wird. Dennoch war unter den Humaniſten, auf denen eben
Macchiavelli's Bildung ſteht, der Schein längſt ein Axiom der Sitten⸗
übung und einzelne Aeußerungen, wie ſie uns im „Fürſten“ frappiren,
finden wir bei den Vorgängern ſeines Verfaſſers unzählig; nur treten
ſie hier noch verſchleiert und ohne volles Bewußtſein auf, während der
— —
) Principe cap. XVIII: pietoso, fedele, umano, religioso, intero.
412 VII. Schein und Sein. — Die Gelehrtenrepublil.
ordnende Kopf des Florentiners ſie zu einem ſyſtematiſchen Ganzen
fügt. In die Denkweiſe dieſer Blüthe der italieniſchen Geſellſchaft muß
man eingeweiht ſein, um die weltgeſchichtliche Bedeutung zu verſtehen,
welche die Lehre von der Rechtfertigung aus dem Glauben, aus deut⸗
ſchem Gemüthe wiedergeboren, erlangt hat.
Um den Mundphiloſophen und Federſtoikern ihr würlliches Leben
gegenüberzuſtellen, dürften wir eigentlich nur auf die Züge hinweiſen,
die im Obigen von ihnen erzählt ſind. Wir gedenken hier auch nicht
ein Regiſter einzelner Sünden hinzuzufügen, wollen uns aber doch bei
den obigen drei Repräſentanten des Humanismus gerade jene Eigen⸗
heiten kleinlicher und gemeiner Geiſter zurückrufen, die gegen ihre glän⸗
zenden Tiraden am grellſten abſtehen. Poggio, der einen Tractat über
den Geiz ſchrieb, war ſelber geizig, zugleich neidiſch und biſſig: beides
war Valla in demſelben Grade, zugleich ein elender Schmeichler. Filelfo,
der von der Katheder die Moralphiloſophie zu lehren pflegte, war ein
Wüſtling, ein unverſchämter Bettler; im hündiſchen Schmeicheln fand
er nur in Valla, im niederträchtigen Verleumden nur in Poggio ſei⸗
nen Meiſter.
Was hatten alſo dieſe Lehrer der Menſchheit, dieſe Prieſter einer
neuen Moral an ſich ſelber erzogen? Wozu führte all jenes Schönthun
mit antiker Tugend? Durch den blendendſten Schein iſt nie Tüchtiges
und Dauerndes entſtanden, gleichwie ein nachgeahmtes Strahlenlicht,
vom Chemiker erzeugt, nimmer die treibenden Kräfte der Erde wachruft.
Wie eine Verbindung unter den Humaniſten, eine Gelehrten⸗
republik durch das Verhältniß der Lehrer zu ihren Schülern und der
Schüler unter einander, mehr aber noch durch ihre Gruppirung in den
republicaniſchen Hauptſtädten und an den Höfen entſtand, dürfen wir
hier um ſo weniger darlegen, da dieſer Geſichtspunct in den obigen
Schilderungen gerade der leitende war. Mit wie ſtolzem Gefühl der
Selbſtſtändigkeit traten dieſe Schöngeiſter aus der Schule in das Leben
hinaus, wie erhoben ſie ſich über diejenigen, die dem Brodſtudium der
Rechte oder der Heilkunſt obgelegen! Sie dienten der freien Wiſſen⸗
ſchaft und dieſe konnte ihnen Rang und Stand neben den Großen der
Welt erwerben. Nach der Geburt, ob ſie eine niedre oder gar unehren⸗
VII. Ariſtokratie des Taleutes. Entfernung von der Kirche. 413
hafte geweſen, fragte den Gelehrten niemand. Von den meiſten, deren
Lebensumſtände wir ſonſt ziemlich genau kennen, wiſſen wir doch nicht,
wer und was ihre Aeltern waren. Bei andern deckt es der ſchmäh⸗
ſüchtige Gegner auf und lügt wohl noch dazu. Valla warf dem Bar⸗
tolommeo Fazio vor, ſein Vater ſei Schuhmacher geweſen und habe am
liguriſchen Ufer die Fiſcher bedient.) Filelfo's Vater verdiente ſein
Brod, wenn wir Poggio Glauben ſchenken dürfen, im Schweiße des
Angeſichts als Tagelöhner, die Mutter empfing den Sohn im Ehebruche
und noch dazu von einem Prieſter.) Mochte das wahr fein oder
nicht, Fazio und Filelfo bewegten ſich an ihren Höfen wie geborene
Edelleute, kein Nobile trug das geringſte Bedenken, mit ihnen auf glei⸗
chem Fuße zu verkehren. Je mehr die Kirche, überall ſchon auf welt⸗
liche Stützen bedacht, bei ihren höheren Würdenträgern auf edle Geburt
und vornehme Verbindungen zu ſehen begann, deſto mehr flüchtete ſich
das Princip der Geburtsgleichheit und der Ariſtokratie des Talentes
in die Kreiſe der Wiſſenſchaft.
Die Lehrer an den Univerſitäten gehörten zum guten Theile dem
Stande der Religioſen oder des Klerus an; die theologiſchen, kanoniſti⸗
ſchen und philoſophiſchen Lehrſtühle waren gewöhnlich im Beſitze von
Dominicanern oder Minoriten. Unter den bedeutenderen Humaniſten
wüßten wir nur zwei Ordensmänner zu nennen, den Camaldulenſer
Traverſari und den Minoriten Antonio da Rho; vom Uebertritt eines
Humaniſten ins Kloſter iſt uus nur ein einziges Beiſpiel bekannt, das
des Maffeo Vegio. Sehr viele dagegen haben eine Prieſterweihe auf
ſich genommen, die einen nur vorläufig und in früher Jugend, die
andern, um ſich zur Uebernahme von Pfründen und Canonicaten, auch
allenfalls zur höheren geiſtlichen Laufbahn zu eignen, manche auch, um
nach genoſſener Jugend im geiſtlichen Stande eine bequemere Zuflucht |
zu finden. Nicht wenige ftreiften den geiftlichen Charakter wieder ab,
ſobald ſie die Luſt zu heirathen anwandelte oder wenn ſie durch ein
bürgerliches Amt wohl verſorgt wurden. Es gehörte dazu eine Dis⸗
penſation; die Humaniſten erlangten ſie leicht, theils durch gute Freunde
an der Curie, theils weil man ihrem Stande an ſich einige Nachſicht
ſchuldig zu ſein glaubte. Poggio ſteht ſogar in dem Verdacht, daß er
) Valla Invect. in Bart. Facium Lib. I (Opp. p. 460).
) Poggii Invect. III in Philelphum (Opp. p. 176) et in Facet. (Opp.
p- 470.
414 VII. Entfernung von den Hochſchulen. Die Epiſtolographie.
ſich um eine Dispenſation nicht einmal bemühte, als er die Buondel⸗
monti freite; denn Prieſter war auch er.
Wir haben mehrere der angeſehenſten Humaniſten als Univerſitäts⸗
lehrer angetroffen. Doch unterſchieden ſie ſich noch ſehr von den eigent⸗
lichen Magiſtern. Sie lehrten nur vorübergehend, um Geld zu er⸗
werben, verpflichteten ſich auch gewöhnlich nur auf ein oder ein paar
Jahre und zogen dann weiter, wenn ſie die ſchönſten Früchte ihrer
literariſchen Berühmtheit eingeerndtet. Eine langjährige Wirkſamkeit
an einer Hochſchule hat vielleicht nur Guarino aufzuweiſen. Immer
von Neuem die Regeln ihrer rhetoriſchen Kunſt vorzutragen und mit
den Schülern zu üben oder ihnen die Elemente der griechiſchen Sprache
beizubringen, war wenig nach ihrem Sinn. Das Verlangen nach einer
möglichſt freien und unabhängigen Stellung, die ſchon Petrarca ſo hoch
geſchätzt hatte, blieb auch ſeinen Nachfolgern eigen. Da ſie indeß der
Mehrzahl nach arm waren und ſich auch oft einer zahlreichen Familie
erfreuten, mußten ſie doch wieder an ein geſichertes Unterkommen
denken. Beneidenswerth war das Amt eines Hofdichters und Feſt⸗
redners, der nebenbei den Fürſten unterhielt und vielleicht auch die
fürſtlichen Kinder unterrichtete. Aber dieſes glückliche Loos war nur
Wenigen beſchieden. Die Andern mußten ſich mit Canceleiſtellen be⸗
gnügen, die zwar an ſich beſchwerlich ſein mochten, aber in der Staats⸗
verwaltung einen angeſehenen Rang, in Rom für den Unverehelichten
auch gute Ausſichten etwa auf ein Bisthum gewährten.
Ein umſchlingendes Band, welches die Humaniſten, lebten ſie gleich
räumlich von Venedig und Genua bis nach Neapel hin zerſtreut und
waren einzeln auch ins Ausland verſprengt, doch wieder vereinigte und
das Bewußtſein einer gemeinſamen Gelehrtenrepublik unter ihnen wach
erhielt, war ihre Epiſtolographie. Hier gewann ſich die Subjecti-
vität der Schriftſteller, in ihren Compoſitionen und Ueberſetzungen
mehr zurückgedrängt, Spielraum und Recht. Wer aus dem ſtillen
Studirzimmer kaum das Tageslicht ſah, trat doch, eine Fülle von
Briefen ausſendend und empfangend, mit ſeinesgleichen und mit dem
Treiben der Welt in unausgeſetzte Verbindung. Doch wurde der Brief,
das natürliche Bindemittel, welches zunächſt den perſönlichen Umgang
erſetzen ſoll, unter den Händen der Wortkünſtler zum Kunſtwerk und
ging ſomit weit über ſeine eigentliche Beſtimmung hinaus. Von ver⸗
traulicher Mittheilung war nun bald wenig mehr zu ſpüren; denn man
adreſſirte den Brief zwar an eine Perſon, richtete ihn aber an das
VII. Die Epiſtolographie. 415
literariſche Publicum. Man ſchrieb ihn mit dem Bewußtſein, daß er
Freunden vorgeleſen, copirt, kritiſirt und ſorgfältig bewahrt werden
würde, ja man behielt wohl ſelber den Entwurf oder ließ die Schrei⸗
ben vor der Abſendung copiren, um ſie einſt leichter ſammeln und
herausgeben zu können. Waren Cicero's Briefe für die Nachwelt der
Gegenſtand eines eifrigen Studiums und der Bewunderung geworden,
warum ſollte man nicht einſt auch unter Filelfo's und Poggio's Werken
die Epiftolä aufzählen. Sie wurden für die Ewigkeit geſchrieben und
für alle Völker weithin, wo nur die Sprache des alten Latium bekannt
war. Bei Dingen, die man nicht verbreitet, nicht, um Filelfo's Wort
zu gebrauchen, der Nachwelt überliefert wiſſen wollte, gab es noch einen
Ausweg: man ſchrieb fie in der „Pöbelſprache“, in der tuscifchen. ')
Für uns iſt dieſe Briefliteratur wie ein Spiegel, der uns die
Denk⸗ und Lebensweiſe jener Literaten offenbart. Nicht gerade daß
die Falten des Herzens ſich offen darlegten, wie es ſonſt wohl in einer
vertraulichen Correspondenz geſchieht, wir ſehen dieſe Menſchen aber
Jahre, Jahrzehnte lang mit einander verkehren, wir vergleichen, wie
ſie ſich zu dieſem, wie zu jenem, wie zum Fürſten oder Cardinal, wie
zum demüthigen Schüler benehmen, wir belauſchen wohl auch manchen
unbewachten Augenblick, in dem ſich der Vorſichtigſte bloßſtellt. „Wer
viel ſchreibt, wird dabei nothwendig ſeine Geſinnung verrathen,“ ſagt
einer der Humaniſten ſelbſt. Man bildet ſich, ſagt Bruni, aus Briefen
ein Urtheil, ähnlich wie aus den Augen eines Sprechenven. ?)
Der geſellſchaftliche Umgangston unterliegt der Entwickelung und
der Mode, ſo auch die Kunſt der Briefſchreibung. Daß Cicero's Briefe
die Vorbilder der Gattung waren, darf kaum erſt geſagt werden, doch
entnahm man zuerſt aus ihnen wenig mehr als die epiſtolare Form.
Petrarca führte das römiſche Datum, die einfache Anrede mit Du, die
Grußformeln und dergleichen wieder ein, nicht ohne anfangs Geſpötte
) Filelfo an Cicco Simonetta v. Decemb. 1453 bei Rosmini Vita di Fi-
lelfo T. II. p. 304: le cose che non voglio sieno copiate, le scrivo sempre alla
grossolana. An Marcaurelio v. 30. Januar 1477 ibid. p. 282 und 448: Hoc
autem scribendi more (lingua Ethrusca) utimur iis in rebus, quarum memoriam
nolumus trans ferre ad posteros. Et ethrusca quidem lingua vix toti Ita-
liae nota est, at latina oratio longe ac late per universum orbem est diffusa.
) L. Bruni epist. VII, 3: In bono scriptore (epistolarum) praeter verba
et sonum inest profecto aliquid repositum et tacitum judieium animi, quod ut
in loquente ex oculorum motu, sie in scribente ex vibratione ipsa orationis
deprehendas.
416 VII. Die Epiſtolographie.
zu erregen.) Doch ließen ſich bald Cardinäle, Fürſten und Päpſte
das tullianiſche Du gefallen und Salutato bediente ſich ſeiner ſogar in
den Geſchäftsbriefen. Enea Silvio wirft es den Deutſchen als eine
ihrer barbariſchen Sitten vor, daß es bei ihnen noch für ehrenvoller
gelte, im Pluralis der Majeſtät angeredet zu werden; für die edlere
alte Sitte führt er das Beiſpiel nicht nur Cicero's, ſondern auch des
Sokrates, Demoſthenes und Mäcenas an und beruft ſich auf Hierony⸗
mus und Auguftinus. )
Schon Petrarca entfremdete den Brief ganz ſeinem erſten und
nächſten Zweck. Wie es ihn immer drängte, die Fülle der Kenntniſſe
und Anſchauungen, die er durch Lectüre in ſich aufnahm, in verſchiede⸗
nen Formen und Verbindungen der Welt wiederzugeben, wurde ihm
auch der Brief ein willkommenes Gefäß, um ungebunden durch Plan
und Ordnung dieſem Drange genug zu thun.) So ſehr ſich ein Je⸗
der geehrt fühlte, einen Brief von Petrarca aufweiſen zu können, ſo
gern ſchrieb er. Briefſchreiben war ihm eine Erholung von ſtrengerer
Arbeit, er ſchrieb oft ohne beſtimmte Abſicht, wie ſich jemand ſorglos
in mannigfacher Natur ergeht, hier vom Wege abſpringend, dort dem
Gelüſte durch Grün und Wald nachfolgend, bald in ernſtes Sinnen
über Leben und Tod verloren, bald in eine Polemik vertieft, bald weh⸗
klagend, bald ſcherzend, einmal wie ein Lehrer, der zum Schüler ſpricht,
dann wieder wie ein ſchwärmender Freund, meiſtens aber wie einer,
der im Selbſtgeſpräche ſeine Seele entwickelt.) Immer wird er von
einem Satze zum andern fortgezogen, immer iſt er wie umlagert von
einer Menge von Gedanken und Empfindungen, Notizen und geſchicht⸗
lichen Beiſpielen, die alle nach der Feder drängen. Wir ſehen ihn in
ſeinem Lehnſtuhle ſitzen und eifrig ſchreiben, bis das Tageslicht matt
wird und die Buchſtaben, immer enger zuſammengedrängt, endlich den
Rand des Blattes erreichen, oder bis tief in der Nacht die ſchweren
—— nn nn nn
) Epist. rer. senil. XV, 1: Styli hujus per Italiam non auctor quidem,
sed instaurator ipse mihi videor, quo cum uti inciperem, adolescens a coeta-
neis irridebar, qui in hoc ipso certatim me postea sunt secuti.
) Vergl. feine Briefe an Herzog Sigmund von Oeſterreich v. 5. Decemb. 1443,
an Capiſtrano v. Anf. Januar 1455 u. a.
) Epist. rer. famil. I, 4: ostendemus nos in libris, in epistolis collo-
quamur. :
) Praefat. in Epistt. famil. (Opp. p. 634): Nihil quasi aliud egi (in epi-
stolis), nisi ut animi mei status, vel si quid aliud nossem, notum fieret amicis.
VII. Die Epiſtolographie. 417
Augenlider und die müde Hand dringend an den Schlummer mahnen.)
Er beſaß als Greis in Arqua zwei ſtarke Bände ſeiner Briefe, die über
400 der längeren und wichtigeren enthielten. Tauſend andre ſtanden nicht
darin, weil das Copiren ihm zu umſtändlich erſchien. Auf das Brief⸗
ſchreiben, ſagt er, habe er unſinniger Weiſe einen großen Theil des
kurzen Lebens verwendet.!) Seine Verehrer freilich dachten nicht fo.
Zu denjenigen Werken, durch welche Petrarca den Dichterlorbeer ver⸗
dient, rechnete ſchon Boccaccio die beiden Bände proſaiſcher Briefe, die
ſo voll Wiſſen und Weisheit, dazu in ſo glänzender Faſſung geſchrieben
ſeien, daß ein billiger Leſer ſie in nichts den Briefen Cicero's nach⸗
ſetzen könne.),
Die Briefe des Coluccio Salutato ſind zum Theil politiſche Ge⸗
ſchäftsſchreiben; welchen Einfluß dieſe auf die Form der Diplomatie
geübt, wie ſie einen edleren Canceleiſtil angebahnt, davon haben wir
bereits oben geſprochen. In ſeinen privaten Briefen liebte auch er es
noch, mit dem ſchweren Geſchütz philoſophiſcher Sentenzen und anti-
quariſcher Gelehrſamkeit vorzurücken, machte alſo wie Petrarca den
Brief zum gelehrten Tractat. Indeß ſcheint es, daß man dieſer ſchwer⸗
fälligen Weiſe bald überdrüſſig wurde.
Eine neue Schreibweiſe brachte Gasparino da Barzizza in Gang.
Er ſelbſt arbeitete nach dem theoretiſchen Modell, welches er vorzugs⸗
weiſe aus Cicero's Briefen abſtrahirt. Unbedeutenderen Inhalts iſt
kaum eine Briefſammlung als die ſeine: ſie bewegt ſich in den engen
Verhältniſſen eines Univerſitätsgelehrten und unter einem kleinen Kreiſe
von Freunden, die abgeſehen vielleicht von dem nachmaligen Cardinal
Zabarella und einigen venetianiſchen Nobili, lauter dunkle Männer ſind.“)
Erſt ſeine Schüler und die des Giovanni da Ravenna wußten die neue
Form mit geiſtvollem Gehalte auszuſtatten. Der Brief ſollte jetzt nicht
die Gelehrſamkeit, nur das Genie bezeugen. Lebhaftigkeit, Leichtigkeit und
Eleganz wurden die Haupterforderniſſe: das Beſte ſollte nur als glück⸗
liche Eingebung des Augenblicks erſcheinen, die Spuren des Studiums
unter der Feile verſchwinden. Wie ſich der Weltmann vor dem Stuben⸗
gelehrten durch ein bequemes und leichtes Betragen auszeichnet, ſo war
1) Epist. rer. senil. II, 3. XII, 1 in fin. Vergl. auch den Schluß der Praefat.
in Epistt. famil. und den Anfang der epist. famil. VIII, 5.
2) Epist. rer. senil. XV, 3.
) De geneal. deor. XV, 6.
) Seine Briefe in ſ. Opp. ed. Furietto p. 93—219.
Voigt, Humanismus. 27
418 VII. Die Epiſtolographie.
man jetzt bemüht, einfach und ungezwungen zu ſchreiben und die Funken
des Geiſtes wie zufällig in das liebenswürdige Geſchwätz einzuſtreuen.
Das nannte man familiariter scribere. Die Meiſter dieſes Stils konnten
ſich ihr Lob recht unbefangen ſelbſt ſprechen, indem ſie ſich darüber zu
wundern ſchienen, daß jemand an ihren Briefen etwas zu bewundern
finde. Poggio verſichert, er bilde ſich auf ſeine Briefe nichts ein, er
ſchreibe fie ſchnell und oft mitten unter den Gefchäften; ') ja er ge-
ſteht ſogar ein, daß er den ſtiliſtiſchen Schmuck abſichtlich vermeide,
um nicht pedantiſch zu erſcheinen.) Filelfo war von der Schönheit
feines Genius noch inniger überzeugt: »Meine Freunde halten meine
Briefe ſehr hoch. Ich wundre mich eigentlich darüber, da ich bei ihrer
Abfaſſung weder irgend welche Sorgfalt noch Fleiß anwende, ſondern
ſie aus dem Stegreif dictire, ohne viel Nachdenken und Ordnen. Ich
ſpreche auch, wie ich ſchreibe. Es mag daher wahr ſein, daß mein
Stil zwar nicht künſtlich und polirt, aber dafür leicht und gefällig
iſt.““) Dem Enea Silvio, Filelfo's Schüler, wird erzählt, daß jemand,
der ihn perſönlich nicht kannte, an ſeinen Briefen eine beſondre Freude
gefunden; er ſpielt den Naiven: wie könne das ſein! ſeien doch ſeine
Briefe ſo einfach aus der Feder gefloſſen und ganz im Stil der ge⸗
wöhnlichen Sprache, ſei doch kein Schmuck, keine Würde darin.) Ein
andermal ſagt er im ähnlichen Falle: „Ich mühe mich nicht ab, wenn
ich ſchreibe, ich berühre nicht zu hohe und mir unbekannte Dinge, ich
gebe, was ich gelernt. Der macht ſich den Andern leicht verſtändlich,
wer ſich ſelbſt klar iſt; wer ſich dunkel iſt, kann natürlich auch dem
Andern kein Licht geben. Ich fliehe die Verknotung und den Kunſtbau
langer Sätze. Wenn mir elegante Worte gerade zu Gebote ſtehen, nehme
ich keinen Anſtand ſie zu gebrauchen, wenn nicht, ſo ſuche ich ſie nicht
weiter und bediene mich der naheliegenden. Ich bin nur bemüht, verſtanden
) Poggii epist. Alberto Parisio cancellario Bononiensi im Spicileg. Roman.
T.1X p. 641. Vespasiano: Poggio Fiorent. $3: Furono e sono molto accette
le sua epistole per la facilità dello iscrivere, che le s sanza ignuna
fatica.
) Poggii epist. 12 in Epistt. LVII: Ego quoque consulto multa dicendi
ornamenta omisi, ne viderer nimis curiosus fuisse in scribendo.
) Sein Brief an Ludovico Pedroni bei Rosmini T. III p- 72, ähnlich der
an Traverſari unter deſſen Epistt. XXIV, 31.
) Sein Brief an den Aſtronomen Hans Schindel v. 20. November 1445.
VII. Die Epiſtolographie. 419
zu werden.“) — Mag nnn dieſe geiſtreiche Nachläſſigkeit eine natür⸗
liche oder ſtudirte ſein, in der That giebt ſie beſonders den Briefen
Poggio's und Enea's einen Reiz, den ſie weder durch Gelehrſamkeit
noch durch tullianiſche Glätte jemals erreicht hätten.
Der Inhalt der Humaniſtenbriefe gehört dem politiſchen oder dem
kirchlichen Leben am wenigſten an, das waren im Gegentheil Materien,
deren Behandlung man faſt ängſtlich vermied, nicht etwa aus Beſorg⸗
niß anzuſtoßen, ſondern lediglich aus Verachtung der nüchternen und
elenden Gegenwart, welche die Aufmerkſamkeit des Alterthumsfreundes
nicht verdiente. Eine Ausnahme machen hier die Briefe eines Staats⸗
mannes wie Francesco Barbaro, eines Enea Silvio, der in Deutſchland
eine ganz andre Stellung einnahm als ſeine Federcollegen in Italien,
die Schreiben der Staatscanzler, die indeß in den Briefcodices zu feh⸗
len pflegen, weil ſie nicht in den öffentlichen literariſchen Verkehr ka⸗
men, und etwa die Briefe eines Traverſari, inſofern ſie die Geſchäfte
ſeines Ordens betreffen. Bei den andern nehmen die Fürſten und ihre
Räthe, Cardinäle und reiche Adlige eine Menge von Adreſſen für ſich
in Anſpruch, aber als Mäcene. Wenn man die Aufſchriften der Briefe
Filelfo's durchmuſtert, kann man ſo ziemlich überſehen, welche Männer
von Stellung ſich in Italien für die humaniſtiſche Kunſt anregen lie⸗
ßen. Die Briefe an ſie zerfallen einfach in ſolche, die mehr oder min⸗
der offen betteln, und ſolche, die danken, das heißt eine künftige Bet⸗
telei vorbereiten. Die Kunſt zu ſchmeicheln, fein zu ſchmeicheln, in
immer neuen Variationen zu ſchmeicheln, wird hier in einer Weiſe ge⸗
übt, die nur da noch täuſchen und blenden kann, wo die mäcenatiſche
Eitelkeit und die ſchriftſtelleriſche ſich gegenſeitig bereits blind gemacht
haben. Briefe von einem Bruni ließ ſich ein Prälat wie der Erz⸗
biſchof von Mailand ſorgfältig abſchreiben, wo er ihrer nur habhaft
werden konnte, und jeden, der an ihn gerichtet war, ſchätzte er ſich zur
beſondern Ehre, ja er ſuchte wohl dem gefeierten Autor Briefe abzu⸗
locken, nur um ihre Zahl zu mehren.) Ein Filelfo war nicht nur über⸗
zeugt, ſelber durch ſeine Briefe unſterblichen Nachruhm zu erwerben, ſon⸗
dern er betrachtete dieſelben wie eine Ruhmeshalle, in welcher er die
Namen ſeiner Gönner nur aufzuſtellen brauchte, um auch ſie der Unſterb⸗
1) Sein Brief an den Cardinal und Biſchof von Krakau Zbignew v. 27. Oeto⸗
ber 1453.
) ef. Leon. Bruni epist. V, 3 rec. Mehus.
| 27*
420 VII. Die Epiſtolographie.
lichkeit theilhaftig zu machen.) Die Erfolge ſeiner Briefe waren wirklich
oft der Art, daß ſie ihm den Kopf verrücken mußten. Hier nur noch ein
Beiſpiel. Seine Schwiegermutter Manfredina war bei der Eroberung
von Byzanz mit zwei Töchtern in türkiſche Gefangenſchaft gerathen.
Sogleich richtete Filelfo einen Brief an den Sultan in griechiſcher
Sprache, ſtellte ſich ihm als einen vor, der durch ſein Wort über Ruhm
und Unſterblichkeit gebiete, *) legte eine verherrlichende Ode bei und bat
ſeine Verwandten los. Seine Bitte ward gewährt, ſelbſt der Eroberer
von Byzanz ſchien ein Gefühl für die Ehren und Schmeicheleien zu
haben, die ihm ein abendländiſcher Gelehrter darbrachte.
Unbedeutenden Gehaltes ſind im Ganzen auch die Briefe, welche
die Humaniſten unter ſich wechſelten; oft waren ſie nur ein Zeichen
freundlicher Erinnerung, wenn gerade ein Bote ſich fand. Sonſt be⸗
handeln ſie die kleinen Geſchäfte und Verbindlichkeiten der Gelehrten⸗
republik: man bittet um ein Buch, mahnt um ein dargeliehenes, ſchickt
es mit Dank zurück, man empfiehlt einen Schüler oder Verwandten,
bezeugt ſeine Theilnahme an einem Familienereigniß, gratulirt zu einer
Standeserhöhung, berichtet über Studien oder literariſche Funde, dankt
für dargebrachte Schmeichelei und erwiedert ſie, wehrt einen literari⸗
ſchen Angriff ab, hetzt auf einen Gegner, bittet um Belehrung über
irgend einen Punct und dergleichen. Dennoch geben uns gerade dieſe
Geringfügigkeiten das lebhafteſte Bild von dem Umgangstone, der un⸗
ter den Humaniſten herrſchte, wir ſehen ihre „gute Geſellſchaft“, wie
ſie ſich mit höflichen Worten und im feinen Kleide hin und her bewegt.
Valla hat treffend herausgefunden, daß die Briefe Cicero's und ſeiner
verſchiedenen Freunde einander ſo ähnlich ſähen, als ſeien ſie alle einer
Feder entfloſſen.) Ziemlich daſſelbe könnte man ſagen, wenn man die
Briefe von Poggio und Filelfo, Bruni und Traverſari, Guarino und
Aurispa, Valla und Enea Silvio, kurz aller derer, die ihre Kunſt von
der Schule des Gasparino da Barzizza herleiteten, mit einander ver⸗
gleicht. Den Grund aber müßte man hier wie dort nicht allzuweit
ſuchen: der ſchriftliche Umgang ſchafft ſeine Formen aus ſeiner Natur
) Vergl. feinen Brief an Nice. Ceba v. 15. Febr. 1451.
) or rob xcrd Yvoıw gονπνõοο α⁰õl ονο,⅝!qiò Tas xcldg noakeıs KIavarovs
1 OE mv more, 6 168. Der Brief v. 11. März 1454 bei Ros mini T. II.
p. 305. N | j
) Elegant. lib. III in princ.: Ita verba et sententiae characterque ipse di-
cendi ubique sui est similis.
vn. Die Epiſtolographie. 421
heraus fo gut wie der perjönliche, und im Formellen bildet ſich unter
Menſchen deſſelben Standes und Berufes leicht ein Hergebrachtes, in
welchem ſich ſogar oft ein überraſchender Einklang der Denkweiſe zeigt.
Während der einfache Umgangsbrief ſich des gelehrten Wuſtes und
der gekünſtelten Abfaſſung zu entledigen ſuchte, traten dieſe in einer
verwandten Gattung wieder hervor, in ſolchen Briefen nämlich, die vielmehr
Tractate oder Schauſtücke andrer Art waren und deren Adreſſe eigent⸗
lich nur eine Widmung iſt. Galt ſchon der freundſchaftliche Brief als
eine Ehre für den, an den er gerichtet wurde, wievielmehr die Dar⸗
bringung ſolch' eines kleinen Kunſtwerkes. Unter dieſem Geſichtspuncte
haben wir die Türkenbriefe zu betrachten, die Filelfo an verſchiedene
Fürſten ſchrieb '), rhetoriſche Compoſitionen, die er ebenſo wirkſam einem
eleganten Hofpublicum hätte vortragen können. Noch ein Beiſpiel.
Als Coſimo de' Medici nach kaum einjähriger Verbannung wieder in
Florenz eingezogen war, begrüßte ihn Poggio mit einem Kunſtbriefe:
er geſteht darin ſogleich, daß er dem Verehrten dieſen Glückwunſch aller⸗
dings auch in perſönlicher Anſprache darbringen könnte, doch ziehe er
die briefliche Form vor, da dieſe zu weiterer Verbreitung unter den
Freunden feines Genius komme.)
Vom Umfange der humaniſtiſchen Briefliteratur macht man ſich
nicht leicht die richtige Vorſtellung, wenn man außer den gedruckten
Sammlungen nicht auch in Betracht zieht, was noch handſchriftlich in
den italieniſchen Bibliotheken ruht. Es ſind lange nicht alle Briefe
Bruni's, die wir in der Mehus'ſchen Ausgabe leſen; er ſelbſt fing erſt
in ſpäteren Jahren an, wenigſtens diejenigen zu ſammeln, die ihm von
dauerndem Werthe ſchienen.) Von Poggio's Briefen fehlt trotz dem
Intereſſe, das ſie erregt, und trotz den wiederholten Veröffentlichungen,
noch weit über die Hälfte, wie ſich ungefähr, aus den Jahren erſehen
läßt, in welche die publicirten Reihenfolgen gehören. Als er ſie zu
ſammeln begann, konnte er ſelbſt die an die florentiniſchen Freunde,
zumal an Niccoli gerichteten kaum noch zuſammenbringen; dennoch wur⸗
) Der berühmteſte iſt der an Karl VII von Frankreich v. 17. Febr. 1451. Nach
dem Falle von Konſtantinopel ſchrieb er ähnliche Briefe an Kaiſer Friedrich und Kö—
nig Matthias von Ungarn, zweimal an den Herzog von Burgund, an Herzog Fede⸗
rigo von Urbino, an drei Dogen von S. Marco u. a. Rosmini T. III. p. 76.
) Der Brief in Poggii Opp. Basileae, 1538. p. 339,
) Leon. Bruni epist. VII, 10 ad fin.
422 vIl. Die Epiſtolographie.
den es 18 Bücher.!) Traverſari's Briefe in 23 Büchern füllen in der
Canneti⸗Mehus'ſchen Ausgabe faſt tauſend Folioſeiten, und doch fagt
Traverſari ſelber, er habe „faſt unzählige“ Briefe geſchrieben, von de⸗
nen ihm bei der Sammlung verhältnißmäßig nur wenige zu Gebote
geſtanden.) Die vom Cardinal Quirino veranſtaltete Ausgabe der
Briefe des Francesco Barbaro enthält 284 Briefe des Venetianers
ſelbſt und 94 von andern namhaften Männern, die an ihn gerichtet
ſind; doch haben wir hier nur die Briefe weniger Jahre, die den Her⸗
ausgeber gerade der Zufall auffinden ließ. Die Briefe Filelfo's, wie
ſie ſeit der erſten 1485 zu Brescia gedruckten Ausgabe in ſiebzehn Ab⸗
drücken verbreitet ſind, bilden einen recht anſehnlichen Band. Doch
enthält dieſe Ausgabe nur 16 Bücher, während in der vollſtändigeren,
die zuerſt in Venedig 1502 gedruckt wurde, 37 Bücher enthalten ſind.
Trotzdem fand der Biograph Filelfo's, Carlo de' Rosmini, in der Fa⸗
milienbibliothek der Trivulzi einen Codex, der alle Briefe der vollſtän⸗
digſten Ausgabe, außerdem aber noch 11 weitere Bücher unedirter Briefe,
90 einzelne noch ungedruckte und 110 gleichfalls neue griechiſche Briefe
Filelfo's enthielt.) Ihm freilich dürfte auch in der Ausdehnung der
Correspondenz kein andrer gleichkommen. Von den Briefen Gasparino's
da Barzizza, Guarino's, Decembrio's und andrer giebt es ſtarke hand⸗
ſchriftliche Bände, während nur einzelne Briefe durch den Druck bekannt
geworden ſind.) Diejenigen unter den Humaniſten bilden die Aus⸗
nahme, welche der Eleganz ihres Epiſtolarſtils nicht Werth genug bei⸗
legten, um für die Sammlung und Verbreitung ihrer Briefe Sorge
zu tragen. Von Carlo Marſuppini wird es als etwas Seltſames er⸗
wähnt, daß er nur wenige Briefe geſchrieben und hinterlaſſen. ) Uebri⸗
) So corrigirt Angelo Mai die Angabe des Vespaſiano (Poggio Piorent.
$ 9): Epistolarum libri decem. Während er noch in Rom war, hatte er bereits
ein Volumen von 10 Büchern zuſammengeſtellt und ein zweites von 3 Büchern be⸗
gonnen. ef. Poggii epist. 49. d. im Spicileg. Roman. T. X. Wie er die Briefe
an Niccoli in einem eigenen Bande ſammelte, vergl. Po ggii epist. 38. 39. in
Epistt. LVII. Mehus (Praefat. in Vitam Ambr. Travers. p. 33) gedachte etwa
500 Briefe Poggio's in 18 Büchern herauszugeben, doch iſt er nicht dazu gekommen.
) Epist. IV, 26. rec. Canneto. nn:
) Rosmini T. I. Prefaz. p. XV. XVI. T. II. p. 266.
) Ueber die Briefe des Enea Silvio habe ich im XVI. Bande des Archivs
für Kunde öſterreichiſcher Geſchichtsquellen geſprochen, über das Verhältniß der ge⸗
druckten zu den noch ungedruckten p. 324 ff.
) Facius de vir. illustr. p. 12.
VII. Die Epiſtolographie. Der Freundſchaftscultus. 423
gens war es guter Ton, von ſeinen Briefen mit ſcheinbarer Gleich⸗
gültigkeit zu ſprechen und ſich erſt durch Wande zu ihrer Veröffentlichung
drängen zu laſſen.
Indeß ſchwindet unſer Intereſſe an dieſen Briefen, je mehr die
Kunſt, fie zu ſchreiben, verbreitet und zum Mechanismus wurde. Schon
Gasparino ſchrieb Muſterbriefe, bloße Schemata, die zur Belehrung
ſeiner Schüler dienen ſollten.) Auch Giammario Filelfo, der Sohn
des berühmten Francesco, gab ein Epiſtolarium heraus, eine Samm⸗
lung zum Schulgebrauche, die von ſeinen familiären Briefen wohl zu
unterſcheiden iſt. Dieſe verhalten ſich zu jenen Schablonen, wie eine
geſellſchaftliche Converſation zu einem Complimentirbuche. Bald hatte
man auch Lehrbücher der Epiſtolographie, wie ähnliche Anleitungen zur
Redekunſt längſt verbreitet waren: der elegante Briefſtil wurde ſyſte⸗
matiſch vorgetragen, die Adreſſen, Anreden, Titulaturen, der vömifche
Calender, Höflichkeiten, Schmeicheleien, Empfehlungen, Entſchuldigungen,
aufgetragene Grüße u. ſ. w. Salutato's Buch de arte dietandi ent-
hielt vermuthlich derartige Anleitungen, wie fie beſonders zu Staats⸗
ſchreiben benutzt werden konnten. Ein ähnliches Lehrbuch, doch mehr
für familiäre Briefe, ſchrieb Agoſtino Dati, der ſaneſiſche Staatsſecre⸗
tär; dazu paſſen als Beiſpiele ſeine eigenen Briefe, lebhaft, fein und
glatt geſchrieben, aber in demſelben Grade nichtsſagend.) Man ſieht,
wie im eifrigen Betriebe der briefſchreibenden Kunſt ganz vergeſſen
wurde, was ein Brief eigentlich iſt und ſein ſoll.
In den Humaniſtenkreiſen herrſchte, den friedlichen Umgang regelnd,
der Cultus der Freundſchaft nach Cicero. Petrarca hatte ihn auf⸗
genommen; ſchon in ihm war dieſe Idee zur fixen geworden, nicht gar
anders als die der romantiſchen Liebe. So ſehr dann die Freundſchaft
in den Schriften der Humaniſten ein Lieblingsthema wurde, wüßten
wir ihrer doch kaum zwei, deren Verhältniß als Freundſchaft in einem
irgend idealen Sinne bezeichnet werden könnte. Petrarca noch hat wohl
an das Idol geglaubt, und doch gehörte es ſchon bei ihm zu den hoh⸗
len Götzen, die er aus den philoſophiſchen Theorien des Alterthums
herüberbrachte. Nach und nach aber wurden Freundſchaft und Liebe,
) Dieſe Epistolae ad exercitationem accommodatae in ſ. Opp. ed. Furietto
p. 220— 336.
9 Seinen Isagogicus libellus pro conficiendis epistolis ſah ich im Cod. lat.
4393 der münchener Hofbibl., feine Briefe ſtehen in feinen Opp. Senis, 1503.
424 VII. Der Freundſchaftscultus. Die Inveetiven.
mit den herrlichſten Worten verſichert und geprieſen, unter den Huma⸗
niſten zur hergebrachten Umgangsform, zur Höflichkeit, bei der man
ſich in der That nicht mehr dachte als wir, wenn wir vor jemand den
Hut abnehmen. Wiederum ſind die Briefe der Tummelplatz, auf wel⸗
chem das alte Thema mit neuen und zierlichen Wendungen eingeübt
wird. Wünſchte man von einem fremden, nie geſehenen Menſchen eine
Gefälligkeit, ſo modelte man Cicero's Satz, daß Freundſchaft nur unter
guten Menſchen beſtehen könne, dahin um, daß alle guten Menſchen
natürliche Freunde ſeien und einander lieben müßten, die Tugend aber
war man ſo höflich bei dem Fremden vorauszuſetzen. War auch er
ein Mann der Wiſſenſchaft, ſo wurde er wie ein geliebter Bruder be⸗
handelt; wußte man, daß er ſchriftſtellerte, ſo wurde er gar als genia⸗
ler Meiſter verehrt. Enea Silvio, der, obwohl ganz in das humani⸗
ſtiſche Treiben verſenkt, doch auch ſeine kühlen und nüchternen Momente
hatte, ſtellt einmal folgende Betrachtung an: „Eigentlich gilt heutzutage
die Freundſchaft, mit welcher ein reeller Nutzen verbunden iſt; jene
ſtoiſche Freundſchaft, die ſich lediglich an der Tugend erfreut, iſt längſt
erloſchen. — — Es iſt einmal fo: wir find Schmeichler, nicht
Freunde. — Ich denke, du verſtehſt mich ganz. Aber man muß ſchon
heucheln, da Alle heucheln. Nehmen wir die Menſchen, wie ſie ein⸗
mal find. ')" |
Dagegen waren die Feindſchaften unter den Humaniſten gewiß
ehrlich. Wenn ihre Schmähſchriften dafür nicht genügendes Zeugniß
ablegten, dürften wir nur auf die Fälle hinweiſen, wo auf die Spitzen
in Filelfo's Satiren ein gedungener Bravo mit der Dolchſpitze ant⸗
wortete oder wo Poggio und Trapezuntios ihren literariſchen Kampf
mit den Fäuſten fortſetzten. Wieder war Petrarca der Erſte, welcher
die Kunſt des Wortes gebrauchte, um ſeine Händel zu verfechten. Wir
gedachten ſchon oben der Veranlaſſung, die ihm zur erſten modernen
Streitſchrift oder Invective die Feder in die Hand drückte. Er fuhr
gegen einen unbekannten Arzt los, der ſeine Kunſt der Poeſie mißachtet,
und gab dieſe Mißachtung durch reichliche Ausfälle gegen die ärztliche
Praxis zurück. Schon er ließ, im Gegenſatz zu den Streitſchriften frü⸗
herer Jahrhunderte, den perſönlichen Charakter vorwalten. Was ſein
Gegner zur Unehre der Poeſie geſagt, nimmt er als einen Angriff auf
) Enea Silvio's Briefe an den Canzler Kaspar Schlick v. 1. Novemb. und
28. Decemb. 1443. 5
VI. Die Invectiven. 425
ſeine Perſon, ja ſogar ein ſcharfes Wort gegen Plinius erſcheint ihm
als eine perſönliche Beleidigung, weil er ſich zum Anwalt aller alten
Autoren berufen fühlt. Nachdem er den Feind, der ſich ſeinerſeits,
wie es ſcheint, nicht ungeſchickt vertheidigte, in vier Feldzügen zuſam⸗
mengehauen, erklärt er ihn als „für alle Ewigkeiten zerfleiſcht“ und
nur dadurch der Nachwelt aufbehalten, daß er einen Platz in ſeinen,
Petrarca's, Werken gefunden.) Dennoch iſt es nicht fo ſehr der Haß
gegen einen einzelnen Menſchen oder einen Stand, der Petrarca reizte,
als vielmehr das Verlangen, ſich als rüſtigen Kämpfer zu zeigen. Da⸗
her vergleicht er ſich mit Cicero, wenn dieſer den Verres, Catilina
oder Antonius angreift.) Nicht mit mönchiſchem Fanatismus fährt
er auf den Gegner los, nicht des Unglaubens, der Ketzerei oder ſitt⸗
licher Verworfenheit ſchuldigt er ihn an, ſondern es iſt ein Ringkampf
um die Superiorität des Talentes und des Berufes; Sieger bleibt,
wem es gelingt, den Gegner als unwiſſend, dumm und albern darzu⸗
ſtellen. Kein Tribunal wird angerufen als das Urtheil des literari⸗
ſchen Publieums. Da Petrarca im Grunde fo wenig von der Medicin
verſteht wie ſein Gegner von der Poeſie, ſo ſind die Waffen lediglich
dialektiſcher und rhetoriſcher Gattung, und derbe Schimpfworte, im
triumphirenden Tone losgeſchleudert, erſetzen die ſachliche Disputation.
Die Schmähungen Petrarca's leſen wir unmittelbar, aber auch ſein
Gegner hatte ihn nicht geſchont, als ehrgeizig, anmaßend und aufgeblaſen
bezeichnet. Es ſcheint, daß ſich Petrarca dieſer Schrift in der Folge ein
wenig ſchämte, er entſchuldigt ſie öfter mit ſeiner jugendlichen Reizbar⸗
keit. Doch hat er ſich, um von ſeinen Kämpfen gegen die Aſtrologen
und Averroiſten nicht zu reden, noch im hohen Alter, wie man meint
um 1371, in eine Fehde ähnlicher Natur eingelaſſen. Als es ſich näm⸗
lich um die Rückverlegung der päpſtlichen Reſidenz nach Rom handelte,
erſchien von einem Franzoſen eine Flugſchrift gegen Italien, welche die
Päpſte vor dieſer „Räuberhöhle“ warnte. Als Antwort ſchrieb Pe⸗
trarca eine Apologie feines Vaterlandes“), eine Verherrlichung Italiens
als des Mutterlandes aller Bildung. Gewiß kein unedler Kampf. Aber
die Nachfolger Petrarca's waren im Gegenſtande nicht ſo wähleriſch,
) Petrarchae Libri IV Invectivarum contra medicum quendam (Opp.
p. 1200 — 1233).
2) ibid. p. 1224.
) Apologia contra Galli cujusdam anonymi calumnias (Opp. p. 1178-1189).
426 VII. Die Juvectiven.
in der gemeinen und hochmüthigen Schmähung ließen ſie ihn weit hin⸗
ter ſich.
Salutato hatte ſich bis zu ſeinem ſiebzigſten Jahre vor ſolchen
Fehden gehütet, da forderte ihn eine Schrift des Antonio Loschi von
Vicenza heraus, der im mailändiſchen Solde die Republik Florenz an⸗
gegriffen. Er vergalt ſie mit einer Invective, die ſein Vaterland in
Schutz nahm und zugleich den Gegner, mit dem er bisher befreundet
geweſen, ziemlich ſcharf zurechtwies.)
Seitdem ſich die Männer der Feder nach den Höfen und Paläſten
drängten, ſeitdem ſie mit Schmeicheleien um die Gunſt der Großen
und Reichen buhlten, ſtellten ſich unter ihnen auch die Klatſcherei, der
literariſche Neid und der Brodneid in den widerlichſten Geſtalten ein.
Man weiß ja überhaupt, wie tief im politiſchen wie im privaten Leben
der Italiener Neid und Eiferſucht wurzeln. Kleinſtädtereien waren in
der Gelehrtenrepublik noch unvermeidlicher: bedenken wir daß dieſe Li⸗
teraten für ihre ſchriftſtelleriſchen Leiſtungen kein andres Publicum hat⸗
ten als ihren eigenen kleinen Kreis, iu welchem ein jedes Glied ein
Nebenbuhler war, als wenige hochgeborene Mäcene und einige Dilet⸗
tanten. Das Urtheil eines einzigen unter ihnen war ein wichtiges
Ding, wurde im Stillen herumgetragen, mit Zuſätzen ausgeſtattet und
endlich durch geſchäftige Freunde doch dem Autor hinterbracht. Dieſer
begann ſofort den Kampf und vertheidigte ſeine literariſche Ehre auf
die ehrloſeſte Weiſe. So entſtand die Gattung der In vectiven, die
halb als Reden halb als Briefe erſcheinen. Natürlich blieben ſie nicht
unerwiedert und ſo erwuchs ein literariſcher Krieg oder eine Paukerei,
deren Thaten von den Mäcenen und vom ganzen humaniſtiſchen Pu⸗
blicum mit der höchſten Geſpanntheit verfolgt wurden. Sehr richtig
iſt der Vergleich mit Fechtern der Arena, den die zankenden Literatoren
ſelbſt ohne Scheu durchzuführen pflegen: ſie fühlen ſich gleich Helden
in der Kraft und Gewandtheit des Angriffs, in der Geſchicklichkeit der
Abwehr, ſie weiſen prahlend auf ihre Siege, um den Gegner zu ſchrecken,
fie ſpreizen ſich in dem ſtolzen Gedanken, daß fo viele. Augen auf fie
gerichtet und ſo viele Hände bereit ſind, den Beifall auszutheilen.
Alles, was nur dazu dienen kann, den Gegner herabzuwürdigen, wird
2) Er ſchrieb fie im September 1404. Auszüge bei Mehus Vita Ambr. Tra-
vers. p. 298 sg. Manetti ibid. p. 288. Mazzuchelli zu Fil. Villani
Vite etc. Prefaz. p. 19 e p. XXVI nota 18.
—
vn. Die Invectiven. | 427
zur willkommenen Waffe: der gemeinſte Schimpf, die ſchaamloſeſte In⸗
discretion, die lügenhafteſte Verleumdung. Auch dieſe Kunſt zählte zu
den freien und humaniſtiſchen, auch ſie war eine Frucht der rhetoriſchen
Studien, ganz wie die hündiſche Schmeichelei in den Lob⸗ und Leichen⸗
reden, ihr Widerſpiel. Schenkten wir den Invectiven Glauben, ſo
müßten uns die Angegriffenen als Scheuſale erſcheinen, gleichwie wir
verſucht wären, vor einem Alfonſo von Neapel, Sforza von Mailand
oder Nicolaus V verehrend auf die Kniee zu fallen, trauten wir den
Lobpreiſungen ihrer literariſchen Schranzen. Alle Kritik iſt hier ver⸗
ſchwendet; ſelbſt das bekannte Wort, daß immer etwas haften bleibe,
darf nicht Anwendung finden. Für einen ſolchen humaniſtiſchen Gla⸗
diator iſt nicht der Schimpf, der auf ihn gehäuft, ſondern allein der,
welcher von ihm ausgeſchleudert wird, das Denkmal ſeiner Schande.
Und ſie rühmten ſich dieſer Hahnenkämpfe noch. Valla's Wahlſpruch
war: „der Streit mag ſchändlich ſein, aber dem Gegner zu weichen
erſcheint noch ſchändlicher.““) Als Filelfo dem Papſte Pius ſeine Sa⸗
tiren überſandte, kam er ſich wie ein in Ehrenkämpfen ergrauter Vete⸗
ran vor.) Man ſage hier nicht, daß die Sitte die Unſittlichkeit ent⸗
ſchuldige. Der edle Francesco Barbaro mahnte oft genug daran, wie
unwürdig dieſer pöbelhafte Ton gebildeter Männer ſei. Poggio hatte
recht wohl ein Gefühl davon, daß ſein Streit mit Guarino ein honet⸗
terer war, weil er um einen wiſſenſchaftlichen Gegenſtand und in ſcho⸗
nender Weiſe geführt wurde. Auch Bruni wußte Andern zum Frieden
zu rathen“) und vergalt doch ſelber die geringſte Mißachtung feiner
literariſchen Hoheit mit höhnenden Schmähungen. Konnte doch ſelbſt
Filelfo gelegentlich zum Friedensapoſtel werden. So gab es wohl Man⸗
chen, der den Klatſch und Scandal mißbilligte und doch ſeine geheime
Freude an ihm hatte. Auch iſt nicht zu leugnen, daß dieſe Läſterkriege
der Förderung der Wiſſenſchaft haben dienen müſſen: ſie lenkten den
Blick immer größerer Kreiſe auf das humaniſtiſche Treiben und erzeug⸗
ten unter den Schriftſtellern ſelbſt einen fruchtbaren Wetteifer.
) Laur. Vallae Opp. p. 460. A
) Ecce dedi Satyras ad te, Pater optime, centum,
Quis modo non uno praelia Marte tuli.
Intrepidus miles, cui mens sit conscia recti,
Vulnera nulla fugit invidiasve timet, — Ros mini T. II. p. 313.
) Epist. IX, 10. 11. rec. Mehus.
428 VII. Die Stiliſtik.
Wir haben nun, während wir eigentlich vom Verkehr der Huma⸗
niſten unter einander ſprechen wollten, unvermerkt zwei Gattungen ihrer
literariſchen Production, ihre Epiſtolographie und ihre Polemik, geſchil⸗
dert. Vervollſtändigen wir das Bild ihrer ſchriftſtelleriſchen Thätigkeit.
Daß bisher faft weniger von ihr als von dem Leben und den Perſön⸗
lichkeiten der Schriftſteller die Rede geweſen, erſcheint vielleicht für ein
literargeſchichtliches Buch befremdend. Nicht der Menſch, könnte man
ſagen, iſt das Kennenswerthe, ſondern das, was er geleiſtet, nicht der
Autor, ſein Werk hat nach Jahrhunderten noch Anſpruch auf ein ein⸗
gehendes Gedenken. Aber ſein Werk iſt nicht bloß, was ſeine Feder
niedergeſchrieben hat. Die lehrhafte Thätigkeit, das anregende Beiſpiel
der Humaniſten iſt mindeſtens ſo hoch anzuſchlagen als ihre Schriften.
Und dann iſt ſeine Perſönlichkeit gewiſſermaßen auch eine Leiſtung des
Menſchen. Ferner ſind wir hier in dem beſondern Falle, daß Schrif⸗
ten, die einſt als geniale Kunſtwerke geprieſen wurden, jetzt von nie⸗
mand mehr um der Form oder um des eigentlichen Inhaltes willen
geleſen werden, daß nur der kalte Blick des Forſchers das Phänomenon
an ihnen zu ergründen ſucht oder auch gar nur nach einzelnen beiläu⸗
figen Notizen ſpürt. Darum haben wir weder im Obigen auf eine
ſpecielle Aufzählung der Werke den Ton gelegt, noch gedenken wir hier
mehr zu thun, als die Tendenz der Autoren im Allgemeinen und den
Ausdruck dieſer Tendenz in den vorzüglichſten Gattungen der Schrift⸗
ſtellerei zu kennzeichnen.
Ein weſentlicher Punct, von dem aus alle andern beleuchtet wer⸗
den, jſt die überwiegende Sorgfalt, welche die Humaniſten auf die Form,
die Stiliſtik verwendeten. Wir begreifen, daß der ſüße Klang der
Verſe und Worte eher dem Ohre ſchmeichelte und die Ahnung der
Schönheit erzeugte, bevor eine verſtändige Hingabe an den Inhalt der
claſſiſchen Autoren möglich war. Auch läßt ſich das Formelle ſtudiren,
zerlegen, ablernen und nachahmen, während der künſtleriſche Geiſt mit
tieferen Kräften als ein Ganzes aufgefaßt ſein will.
Das erſte und nächſte Ziel war die klare und durchſchauliche
Schreibweiſe des goldenen Zeitalters, die Einfachheit der Sätze, die ab⸗
ſolute Verſtändlichkeit alles deſſen, was geſagt werden ſollte. Man
lernte lachen über die künſtliche Complication, in welcher ſich die Scho-
laſtik, und über die geheimnißvolle Verwirrung, in welcher ſich die
Myſtik gefallen hatte. Gegen jene ſollte der Gedanke aus den Feſſeln
der Pedanterie befreit, gegen dieſe ſollte er vom Gebiete des dunkeln
VII. Die Stiliſtik. 429
Gefühls und der Ahnung geſondert werden. Dieſes Streben ſtand
ſchon hell vor Petrarca's Seele, er ſpricht es wiederholt und entſchie⸗
den aus, es leitete ihn in ſeinen Schriften. Auch ging er einen Schritt
weiter: er ſuchte die einförmige Trockenheit des mönchiſchen Stils durch
die Lebhaftigkeit, Mannigfaltigkeit und Eleganz zu überwinden, er übte
auch im Briefe oder Tractate die Kunſt des Rhetors. Wie aber die
Nachfolger immer zu potenziren ſtreben, was ein tonangebender Geiſt
aufgeſtellt, ſo kam auch bald nach Petrarca der ſogenannte geſchmückte
Stil in die Mode, eine mit Redeblumen und claſſiſchen Feinheiten
aller Art geſpickte Schreibweiſe, die in jedem Satze das nächtliche Stu⸗
dium und die unermüdliche Feile ſehen ließ. Cicero hatte in der Vor⸗
rede zu ſeinen Paradoxen geſagt, nichts ſei ſo gemein und häßlich, was
nicht durch die Wohlredenheit Glanz empfangen könne. Das wurde
nun das Wahrzeichen dieſer Schule. Die Grammatik galt ihr nur
als eine vorbereitende Disciplin von geringer Würde, erſt das Stu⸗
dium der rhetoriſchen Figuren und die Nachbildung der beſten Muſter
führten zu den Künſten des Stils. Auch das Gewöhnliche ſollte un⸗
gewöhnlich geſagt werden, Gelehrſamkeit und Alterthum aus jeder Zeile
ſprechen. Cicero blieb „die Quelle, aus welcher aller Schmuck und
Reichthum der Rede für die nachfolgenden Geſchlechter gefloſſen.“ Fi⸗
lippo Villani meint Salutato in Betreff ſeines Proſaſtils eine Ehre
anzuthun, wenn er ihn einen Affen Cicero's nennt.) Dieſer ſtutzer⸗
hafte Latinismus iſt niemals untergegangen, wohl aber von andern
Schulen in den Schatten geſtellt worden.
Der Einfluß des Gasparino da Barzizza, den wir bei Gelegen-
heit der Briefſchreibung erwähnten, ging natürlich auf die geſammte
Stiliſtik über. Man behielt die feine Leichtigkeit und Natürlichkeit
ſeiner Sprache bei, ohne ſich deshalb an ſeinen leeren Schematismus
zu binden. Leicht, nachläſſig, genial ſollte man nun ſchreiben. Pog⸗
gio und Filelfo repräſentiren den neuen Stil am glänzendſten, ſie
ſtehen, wie an Geſinnung, ſo in ihrem Latein, dem Kloſter am
ſchroffſten gegenüber. Filelfo's Unterricht und Poggio's Beiſpiel zo⸗
gen den Dritten heran, der ſich ihnen an natürlichem Genie zur
Seite ſtellen darf und berühmter wurde als beide, den Enea Silvio
de' Piccolomini. Zu derſelben Schule gehörten aber auch Lorenzo Valla
und Lionardo d' Arezzo, Guarino und Aurispa huldigten ihr, wenn auch
) In ſeinem Leben Salutato's bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 286.
430 VII. Die Stiliſtit
mit weniger Glück, und mancher andre hätte ſich ihrer Weiſe gern er⸗
geben, hätte ſie nicht beſtimmte Fähigkeiten durchaus erfordert, die blo⸗
ßer Fleiß nicht erwerben konnte, einen lebhaften und vielſeitigen Geiſt,
raſchen Witz und eine gewiſſe Kühnheit, die ſich über Rückſichten
aller Art ſchnell hinwegſetzte. Durch dieſe Vorzüge erwarben ſich die
genannten Männer bei weitem den größten Leſerkreis und wurden die
bewunderten Koryphäen der damaligen Literatur. Im kecken Walten
der Laune und im lebhaften Fluſſe des Stils war Poggio der erſte,
obwohl man ihm mit Recht vorwarf, daß er der grammatiſchen Sprach⸗
kenntniß doch gar zu ſehr entbehre ); in der anmuthigen Schlender⸗
haftigkeit übertraf ihn Filelfo, der ſich nicht einmal die Mühe nahm,
ſeine Werke vor der Veröffentlichung noch einmal zu revidiren und zu
feilen. |
Eine neue Epoche in der humaniſtiſchen Schreibekunſt begründeten
Valla's Elegantien, ein Buch von eigenem Schickſal. Es war ſeinen
Zeitgenoſſen wenig bekannt und entſprach noch weniger ihrem literari⸗
ſchen Geſchmack. Erſt ſeit der Verbreitung der Buchdruckerkunſt in
Italien, alſo ſeit dem Ende des Jahrhunderts hat es ſeine volle Wir⸗
kung geübt, und noch heutzutage wird es von den Fachgelehrten mit
hoher Achtung genannt. Es begründet mit glänzendem Scharfſinn die
moderne Grammatik, es ſetzt der Eleganz und der Genialität des Stils
die Correctheit entgegen und klemmt den leichten, jugendlichen Schritt
in den claſſiſchen Zwangsſtiefel.) Valla ſelbſt ſprach es offen aus,
daß er ſich für den Vater der „reinen Latinität“ halte.) Dieſe aber
widerſprach dem Modeſtil, der eben durch ſeine freie Bewegung anzog
und ſich grammatiſche Fehler oder Barbarismen wenig zu Gewiſſen
nahm. Filelfo, Guarino, Poggio und ihre Schüler waren überzeugt,
daß die lateiniſche Wohlredenheit durch ſie ihren Gipfel erreicht habe
) Treffend urtheilt über ihn fein Bewunderer Aeneas Sylvius de vir. clar.
XVI: qui licet lingua ignarus fuerit, nulli tamen in dicendo fuit inferior.
Anton. Coccius Sabellicus Ennead. X. Lib. I in fine nennt ihn vir et
ipse non illepida Minerva, sed elocutionis minus diligens observator. Aehnlich
Timoteo Maffei (bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 395): quem mirandum
reddit incredibilis dicendi facilitas, und Fazio's Complimente in lu Briefe
an Poggio (de vir. illustr. p. 81).
) Raphael Valaterr. Lib. XXI: Laurentius Valla primus fere nostro
seculo, qui orationem Latinam nulla observatione fluentem in compedes quasi
redegerit ac in nervos (normas 7) observationis antiquae constrinxerit etc. —
Vergl. C. G. Zumpt a. a. O. 8.413.
) Vigerini Elogium Vallae bei Dom. Georgius Vita Nicolai V p. 207.
VII. Die Stiliſtik. Die Poeſie. 431
und derjenigen gleichſtehe, welche zu Octavianus Auguſtus' Zeiten ge⸗
blüht. Warf dem Enea Silvio jemand vor, daß er in ſeinen Verſen
turpis für deformis gebraucht habe, ſo antwortet er: „Mag das ein
pedantiſcher Ariſtoteles tadeln, lieber als ſeine dunkle Genauigkeit will
ich die feine Nachläſſigkeit eines Naſo und Maro nachahmen.“ ) Fi⸗
lelfo ſah mit grenzenloſer Verachtung auf die „Schulmeiſter“ herab,
die ihre hundertjährigen Irrthümer und ihre trockene Compendienweis⸗
heit wieder auf hunderte von Schülern verpflanzten. Am bezeichnend⸗
ſten iſt wohl, daß Valla ſelbſt gegen die feinen Regeln und Diſtinctio⸗
nen, die er aufgeſtellt, in feinen Schriften fortwährend fündigte und
ſeinen Schülern öfters zu ſagen pflegte, er wolle ſeine Schriften nicht
als Belege für feine Grammatik angeſehen haben.“) Auch er nämlich
ſetzte einen höheren Ruhm darin, mit ſorgloſer Leichtigkeit zu ſchreiben.
So erklärt es ſich leicht, daß an der Grenzſcheide des Jahrhun⸗
derts, als die tullianiſche Pedanterie einen correcten Ausdruck gebot,
als Piero Bembo und Jacopo Sadoleti die Muſter waren, der Stil
Poggio's einer ähnlichen Beurtheilung unterlag, wie ſie zu Poggio's
Zeit über Petrarca ergangen war. Man ſah auf ihn und ſeinesgleichen
aus vornehmer Höhe herab, erkannte die natürliche Begabung an und
entſchuldigte die Mängel mit der noch geringen Bildung des Zeitalters.
Uns aber feſſelt die eigenthümliche und freie Aeußerung des Geiſtes
durchaus mehr als ſeine Verknöcherung in Form und Regel, und den
Soldcismen zum Trotz, vielleicht gerade um ihretwillen ſetzen wir die
Blüthe der humaniſtiſchen Stiliſtik in die Mitte des 15. Jahrhunderts.
Die Wiederaufnahme einer edleren lateiniſchen Sprache und die
genauere Bekanntſchaft mit würdigen Muftern wirkten auch auf die
lateiniſche Poeſie unmittelbar ein. Während des Mittelalters wurde
ſie vorzugsweiſe von geiſtlicher Hand gepflegt, in Form und Inhalt
aber dem Alterthum ſehr entfremdet. Petrarca's Eclogen und ſeine
Africa gingen wieder ganz auf Virgilius zurück und erhoben den Poe⸗
ten, das heißt den claſſiſch⸗lateiniſchen Dichter, hoch über den Reim⸗
ſänger. Trotzdem übten auch Petrarca's tusciſche Reime ihren Zauber
fort, und das ganze 15. Jahrhundert hindurch verſuchten ſich die beſten
Geiſter auch der humaniſtiſchen Schule in ihrer Nachahmung. Lionardo
Bruni und Leo⸗Battiſta degli Alberti, die Florentiner, haben in Pe⸗
1) Sein Brief an Giov. Campiſio etwa vom Jahre 1443.
) Sabellicus Ennead. X. Lib. IV p. 687.
432 VII. Die Poeſie.
trarca's Weiſe geſungen. Leonardo Giuſtiniani, der edle Venetianer,
und Enea Silvio, der ſpätere Papſt, begannen ihre Laufbahn mit
Liebesreimen. Mariano de' Sozzini, der gelehrte Profeſſor der Rechte,
und Domenico da Capranica, der ernſte Cardinal, haben mit Sonet⸗
ten und Canzonen geſpielt. Unter den Fürſten trieben Lionello von Eſte
und Malateſta von Rimini die heitre Kunſt. Weil Filippo Maria
von Mailand ein Verehrer der petrarchiſchen Muſe war, mußten auch
ſeine Hofdichter ihr huldigen, Decembrio und ſelbſt Filelfo, der nur
mit Widerwillen zur „Pöbelſprache“ herabſtieg. Aber noch behauptete
die Sprache des alten Rom und die antike Poeſie ſo entſchieden den
Vorrang, daß die Zeitgenoſſen jener Männer es kaum der Mühe werth
halten, von ihren tusciſchen Tändeleien beiläufig einmal zu ſprechen.
Sie waren eben nur eine ſpielende Beſchäftigung, die jüngeren Jahren
wohl nachgeſehen und ernſten Männern. zur Erholung wohl gegönnt
werden mochte, keine Leiter zum Ruhme, ſie wurden weder unter Freunde
verbreitet noch ſpäter gedruckt. Erſt gegen das Ende des Jahrhunderts,
als die Nationalität von den fremden Eindringlingen am tiefſten ge⸗
kränkt und getreten wurde, erwachte die Liebe zur Mutterſprache von
Neuem und trieb, in zwei Vergangenheiten NT die claſſiſch⸗
romantiſche Blüthe der italieniſchen Poeſie.
Was ſoll man von der lateiniſchen Poeſie ſagen in einem Zeit⸗
alter, wo es der Poeten ſo viele gab, wo ihrer etwa ein Dutzend ſich
der Lorbeerkrönung rühmen durfte, wo in Filelfo der moderne Virgi⸗
(ins gefunden ſchien! Nicht die Unfähigkeit, nur die Genügſamkeit in
den Anſprüchen an die Kunſt und das erhabene Selbſtbewußtſein jener
Poeten erregt unſre Bewunderung. Wer den Fall des Hexameters und
des Pentameters glücklich herausgehört und ſo viel Gewandtheit in
der Sprache erworben hatte, daß die Worte ſich zwanglos und ver⸗
ſtändlich dem Tacte fügten, wer dann etwa noch von den alten Dich⸗
tern das gelernt, was man ihren Apparat nennen dürfte, der mochte
kühn unter die Schaar der Muſenjünger treten. Mit den Geſetzen der
Metrik nahm man es nicht genauer wie mit denen der Grammatik,
gegen den Inhalt war man faſt noch gleichgültiger. Doch ſonderten
„ſich auch auf dieſem Gebiete die beiden Schulen, deren wir ſchon mehr⸗
mals gedacht. Während die Einen nach Petrarca's Vorbild die Ge⸗
lehrſamkeit unmittelbar in die Poeſie trugen und möglichſt viel Alter⸗
thum in ihre Verſe packten, ließen Andre dem leichten Genius die
Zügel oder ſuchten durch Frivolität und Witz zu feſſeln. Unter letzte⸗
VII. Die Poeſte. Die Nedekunſt. 433
ren ragen Beccadelli und Campano hervor, neben welche vielleicht Por⸗
cello und Euea Silvio geſtellt werden könnten, hätten wir mehr Proben
ihres Talentes vor uns. Auf dieſem Gebiete durchbrach die natürliche
Anlage des Italieners zum Scherz und zur Zote noch am leichteſten
die Hemmniſſe einer fremden Sprache. Das kleine Epigramm war
hier die willkommenſte Form. Auch zum Feſtcarmen und zu den be⸗
liebten Epitaphien bediente man ſich der Diſtichen. Um den Gedanken
eines großen Epos zu verfolgen, fehlte es den beweglichen Humaniſten
zunächſt an Ausdauer. Petrarca's Africa blieb ohne Nachfolger, bald
auch ohne Bewunderer und Leſer. Wir würden von Salutato's oben
(S. 124) erwähntem Epos ſprechen, doch wiſſen wir nicht einmal ſeinen
Titel. Filelfo's Sforziade iſt ſchon ihrer Tendenz nach eine Caricatur
von Petrarca's Rieſenplan. Hatte dieſer ahnungsvoll von der höchſten
Palme geträumt, die ein Dichter für ſeine Nation erringen könne, ſo
glaubte Filelfo der Muſe zu genügen, wenn er Mars, Pallas und
Venus zur Erde herabſteigen ließ und die Plattheiten ſeiner gereimten
Chronik hin und wieder mit einer Phraſe vom Helikon oder den Pie⸗
riden würzte; im Uebrigen war ihm ſein Heldengedicht wie ein Wech⸗
ſelcomptoir, in welchem er ſein auf die Unſterblichkeit ausgeſtelltes
Papier um klingende Münze eintauſchte. Andre Zweige der vers⸗
machenden Kunſt ſind entweder der Erwähnung nicht werth, wie einzelne
Nachbildungen terenziſcher Luſtſpiele, oder es iſt ihrer, wie der poeti⸗
ſchen Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen und der filelfiſchen Satiren,
bereits gedacht worden.
Die Lieblingstochter der Wohlredenheit iſt die eigentliche Rede⸗
kunſt. Erſt das tönende Wort macht alle die Künſte lebendig, welche
das Gefühl und den Schönheitsſinn durch die Mittel einer verfeinerten
Sprache anzuregen, ſie zu erſchüttern oder ihnen zu ſchmeicheln ſtreben.
Doch bedarf der Redner eines Publicums, auf welches er einwirken
könnte, er bedarf eines Stoffes, der ihn mit einem ſolchen Publicum
verknüpfte. Die Redekunſt der Alten war eine republicaniſche. Als
ihre literariſchen Denkmale wieder erweckt wurden, war es gerade um
die Zeit, da in den meiſten Staaten Italiens die Tyrannis und in
den Republiken die geſchloſſene Ariſtokratie ihre Anwendung im politi⸗
ſchen Leben vereitelte. Wir hören die Klage, daß den Humaniſten die
öffentliche Rede ſo gut wie genommen ſei. Vor einer Staatsverſamm⸗
lung oder vor einem Fürſten müſſe man in der Volksſprache reden
und ſich nicht zur Kunſt, ſondern zur Sache halten. In die Gerichts⸗
Voigt, Humanismus. 28 ö
434 | VII. Die Nedekunſt.
höfe finde ver Kunſtredner nicht einmal Zutritt.) So blieben nur
vie ſeltenen Fälle übrig, wo einmal ein claſſiſch⸗ gebildeter Geſandter
Gelegenheit fand, ſein Licht leuchten zu laſſen. Auf den beiden großen
Refermconcilien des 15. Jahrhunderts nahm die humaniſtiſche eve
kunſt wirklich einen Anlauf, mit denſelben wurde ihr auch im lirch⸗
lichen Leben die Wirkſamkeit abgeſchnitten. Der geiſtlichen Beredtſam⸗
keit ſtanden wiederum die Humaniſten fern. Auf dieſem Felde herrſchten
faſt ausſchließlich die Minoriten von der Obſervanz, die mit mächtigen
Lungen die Volksmaſſen überſchrieen, die Gewiſſen aus dem Schlum⸗
mer poſaunten, mit Händen und Füßen gleich Wahnwitzigen geſtien⸗
lirten, ſich gegenſeitig in den Ruf der Wundergabe brachten, auf
Thränen und Erſchütterung losarbeiteten und endgültig auf vie Mild⸗
thätigkeit der Gerührten. Man darf nicht glauben, daß Predigten, wie
wir fie etwa vom heiligen Bernardino oder von Alberto da Sarteano
leſen, jemals gehalten ſind. Dieſe trockenen Moralitäten, voll ſchola⸗
ſtiſcher Spielereien und geſuchter Citationen, konnten auf die Menge
den Eindruck nicht hervorbringen, von dem uns ſo oft berichtet wird.
Da beſtand ihre Kunſt, wie die ihrer Nachfolger bis auf den heutigen
Tag, in donnernden Exclamationen, in Höllenmalerei und in luſtigen
Intermezzo 's. Wie verächtlich den Schülern Cicero's ſolche Gaſſen⸗
rebuerei erſchien, werden wir ſpäter noch von ihnen ſelber hören. Der
Bolksredner aber konnte zu feinem Zwecke wiederum den elaſſiſchen
Schmuck nicht brauchen, wenn er ihn nicht gar um des heidniſchen
Urſprungs willen verachtete. Im Ganzen alſo, wir wiederholen es,
entbehrte vie humaniſtiſche Beredtſamkeit, ſchon weil ſie von der latei⸗
niſchen Sprache unzertrennlich war, jede praktiſche Anwendung.
Bei dieſem Mißverhältniß lernte die Redekunſt dem Luxus dienen.
In Florenz gelang es ihr zuerſt. Der junge Bruno Eaſini, fo hören
wir, ein Florentiner, der 1348 ſtarb, alſo noch ganz Petrarca's Zeit⸗
genoſſe war, lehrte nicht nur öffentlich in feiner Vaterſtadt die Rheto⸗
ril, ſondern er ließ ſeine Schüler auch Declamationen halten und gab
ihnen Anleitung ebenſowohl zu einer gefälligen Haltung und Bewegung
des Körpers wie zu paſſenden und eindrucksvollen Worten.) Petrarca
ſelbſt hat weber rhetoriſche Werke noch Reden geſchrieben, doch in allen
ſelnen Werlen drängt es ihn gleichſam dazu hin; fo iſt, um nur ein
1) ef. Facius de vir. illustr. p. 7.
) Filippo Villani Vite d' uomini illustri Fiorentini p. 60.
VII. Die Rebelumf. 435
Beiſpiel zu erwähnen, fein Schreiben an Cola di Rienzo vielmehr eine
Freiheitsrede im livianiſchen Stil, an die Bewohner der Siebenhügel⸗
ſtadt gerichtet, wo ſie denn auch wirklich auf dem Capitol verleſen
wurde.) Salntato hat Declamationen und Reden hinterlaſſen, die
man indeß nur aus den in Florenz befindlichen Handſchriften kennen
lernen könnte. Wirklich gehaltene Staatsreden ſind es ſicher nicht,
vielleicht auch bloße Uebungsſtücke, wie wir deren ein paar von ihm
beſitzen. Da ſehen wir, wie man ſich ſchülerartig in fingirten Fällen,
in Stoffen aus der alten Geſchichte verſucht. In der einen Rede
ſuchen Vater und Gatte die von Sextus Tarquinius geſchändete Lu⸗
eretia vom Gedanken des Selbſtmordes abzubringen, in der andern ver⸗
theidigt ſie die Nothwendigkeit ihres Todes.)
Einen neuen Schwung gab der Kunſt die Auffindung vieler Reden
Cicero's und feiner rhetoriſchen Werke, fo wie auch die Textesverbeſſe⸗
rung von Quintilians Inſtitutionen. Antonio Loschi aus Vicenza ſetzte
zuerſt bei eilf Reden Cicero's auseinander, wie dieſer, was er in ſeinen
rhetoriſchen Werken gelehrt, in der Praxis angewendet. Er erklärte
die Veranlaſſung der Reden, wies ihre Theile und überhaupt die Geſetze
der Compoſition nach, zeigte die redneriſchen Figuren, kurz er behandelte
die Reden als Kunſtwerke. Sein Buch erſchien im Jahre 1413.)
Keine andre Arbeit hat nach Biondo's Urtheil der Beredtſamkeit eine
ſolche Frucht eingetragen.) Wir müſſen dieſe Meinung wenigſtens
inſofern beſtätigen, als die Redewuth im zweiten und dritten Jahrzehnt
des Jahrhunderts wirklich in überraſchender Weiſe losbrach und ſich
auf alle Felder warf, die nur irgend der ee durch prunkende
Worte offen ſtanden.
Von Gasparino da Barzizza haben wir 27 Reden, die er theils
bei höfiſchen, theils bei akademiſchen Gelegenheiten, der Mehrzahl nach
aber für andre verfaßt hat.) Obwohl ſämmtlich von regelmäßiger
Langweiligkeit, zeigen ſie uns doch am deutlichſten, wie man die aus
) Ad Nicolaum Laurentii de capessenda libertate hortatoria (Opp. p. 595 80).
2) Beide Reden finden ſich in Codices und Drucken unter die Briefe des Aeneas
Sylvius gemiſcht (edit. Basil. epist. 411); daß ſie aber Salutato eee wiſſen
wir durch Mehus Vita Ambr. Travers. p. 302.
) Antonii Luschi Vicentini Inquisitio super XI orationes Ciceronis.
Die Ausgabe, die vor mir liegt, iſt ohne Druckort und Jahrzahl.
) Italia illustr. p. 379. Facius de vir. illustr. p. 3: opus utile ac vel
doctis probatum. ö
°), In feinen Opp. ed. Furietto gedruckt.
28*
436 VII. Die Redekunſt.
Cicero und Quintilianus erworbenen Theorien in die Praxis umſetzte.
Jeder Satz erinnerte an die Schule. Es ſind eben Erzeugniſſe eines
Profeſſors der Beredtſamkeit.
Zur Uebung der Schüler trieb man es wie in den alten Rhetor⸗
ſchulen von Athen, Rhodos und Rom: man überlieferte die Theorie
und veranſtaltete praktiſche Uebungen. Gasparino und Guarino von
Verona waren die Verfaſſer der beliebteſten Lehrbücher.) Andre liefer⸗
ten compendiöſe Bearbeitungen dieſer Werke oder es war auch nicht
ſchwer, einige Zuſätze aus Cicero und Quintilianus zu entnehmen.
Eine Fülle von Beiſpielen, aus den alten Autoren zuſammengeſtellt,
erläuterte die Regeln, unter welchen die von den rhetoriſchen Farben,
vom Hiatus, von Vermeidung des Gleichklangs oder ſprachlicher Härten,
von der Klimax u. |. w. recht pedantiſch abgehandelt wurden.
Wie nun die Humaniſten ſelbſt meiſtens an den Höfen und in
den Staatscanceleien eine Unterkunft ſuchten, ſo drängte ſich auch ihre
Redekunſt zu den feſtlichen Gelegenheiten und wurde eine Modeſache.
Bei fürſtlichen Beſuchen und Friedensſchlüſſen, bei Hochzeiten und Todten⸗
feiern, kurz wo ſich nur ein Anlaß fand, wurde die Kunſt des Hof⸗
redners zur Verherrlichung aufgeboten. In Neapel bekleidete Beccadelli
dieſes Amt, in Mailand nach einander Gasparino, Decembrio und
Filelfo, bei den Eſte Guarino. Florenz hatte die beiden Staatscanzler
aus Arezzo, ferner Poggio und Manetti, Venedig ſeinen Giuſtiniani
und Barbaro, Siena den Agoſtino Dati. Die reichen Familien ahmten
die Sitte der Höfe nach: ihre Hochzeiten und Todesfälle wenigſtens
mußten mit Feſtreden ausgeſchmückt werden. Daß dabei überall der
panegyriſche Ton der herrſchende wurde, liegt in der Natur der Sache,
beſonders aber gingen die Leichenreden über die Grenzen der Laudationes
hinaus und wurden. zu Apotheoſen. Indeß find bei weitem die meiſten
nur redneriſche Schauſtücke und wurden niemals gehalten. So war
Poggio in Bologna, als er von Niccoli's zu Florenz erfolgtem Tode
hörte und ſeinen Freund durch eine Oratio funebris ehrte; in der⸗
ſelben aber nimmt er an, als ſtehe er vor der Bahre und die Bürger
von Florenz um ihn her. Er galt überhaupt für den Meiſter der
Gattung, denn er ſprach ganz wie ein Anwalt der Canoniſation. Seine
) Aeneas Sylvius erwähnt im Prolog feiner Artis rhetoricae Praecepta
(Opp. edit. Basil., 1551. p. 992 — 1034) auch das Werk eines Stephanus Fliscus
Sancinensis als berühmt.
VII. Die Nedekunſt. 437
Leichenreden auf die Cardinäle Zabarella und Albergati, auf Lorenzo
de' Medici und Papſt Nicolaus V, auf Niccoli und Bruni waren die
Muſterwerke glänzender Beredtſamkeit, aber geſprochen wurde wohl
keine von ihnen. Daſſelbe ſcheint von Filelfo's Gelegenheitsreden zu
gelten,) von denen die meiſten ſchon wegen des gelehrten Krames,
den er wie von der Katheder vorzutragen liebt, für den ungelehrten
Zuhörer ungenießbar ſein müßten; er trieb mit ihnen ſicher denſelben
Verewigungshandel wie mit feinen andern Schriften. Valla's Reden
ſind ungedruckt geblieben. Als er einſt zu Rom in der Kirche S. Maria
ſopra Minerva eine Feſtrede auf den heiligen Thomas von Aquino
hielt, meinte der Cardinal d'Eſtonteville, ein Franzoſe von feinem Ge⸗
ſchmack, der Menſch müſſe verrückt geworden ſein; der Cardinal hatte
Recht, ſagt unſer Berichterſtatter, denn Valla war in ſeinem Lobe über⸗
ſchwänglich bis zur Narrheit und ſeine ganze Rede war wie ein aus
bunten Fetzen zuſammengeflickter Lappen.) So erſcheint es denn als
bewundernswerthe Einſicht, wenn Papſt Pius II, ſelbſt ein gefeierter
Kunſtrevner, einmal fagte, eine künſtliche Rede wirke nur auf dumme,
nicht auf geſcheidte Menſchen.)
Uebrigens geben die Reden der Humaniſten, die wir in den Aus⸗
gaben ihrer Werke leſen, noch lange keinen Begriff von der Fülle der
Leichen⸗ und Hochzeitsreden, die in verdientes Vergeſſen zurückgeſunken
ſind. Ludovico Carbone, der Hofredner des Herzogs Borſo von Fer⸗
rara, bezeichnete in einer Rede an Kaiſer Friedrich (1469) die Ver⸗
dienſte, auf welche geſtützt er um den Dichterlorbeer bat: er habe gegen
200 Reden verfaßt und bei feſtlichen Gelegenheiten gegen 10,000 Verſe
geſprochen; alle namhaften Männer ſeiner Vaterſtadt, deren Tod er
erlebt, habe er mit Leichenreden geehrt, vornehme Damen hätten ſelten
ohne Feſtgedichte aus feinem Munde Hochzeit gemacht.) |
In den philoſophiſchen Tractaten der Humaniſten dürfen
wir weder eine philoſophiſche Behandlungsweiſe erwarten noch eine eigen⸗
thümliche Lebensweisheit. Am wenigſten freilich war für ſie die mittel⸗
alterliche Kathederphiloſophie zu brauchen. Was war ſie im 13. und
14. Jahrhundert geworden? „nichts anders als ein myſteriöſes und
) Ich habe die zu Paris 1515 gedruckte Ausgabe von mir.
) Gas par Veronens is ap. Muratori Seriptt. T. III. P. II. p. 1032.
Platin in Vita Pii II.
) Anton. Panormitae Hermaphroditus ed. Forberg p. VIII.
438 VII. Die philoſophiſchen Tractate.
dunkles Reden um die Runde, welches meiſtens ſelbſt diejenigen nicht
verſtanden, die fo redeten“) Im Gegenſatze zu den Scholaſtikern
rühmten ſich die Humaniſten, die Philoſophie aus der Schule ins Leben
zu führen, in Wahrheit aber führten ſie ſie nur in eine andre Schule.
Ihre thatſächliche Lebensweisheit war, wie wir oben zeigten, nicht mehr
als jene gemeine Klugheit, die ſich ſchlecht oder recht mit dem Leben
abfindet, ihre Schulweisheit aber der Stoicismus mit chriſtlichem An-
putz und mit einem bunten Ansputz, der allen Schriftſtellern des Alter⸗
thums entlehnt wurde. Was ſie Philoſophiren nennen, iſt nicht viel
mehr als die Wiederholung und Variation der claſſiſchen Gemeinplätze
über die Unbeſtimmtheit und Unabwendbarkeit des Todes und über bie
Hinfälligkeit alles Irdiſchen, über Tugend und Laſter, über das Glück
und das höchſte Gut, über Jugend und Alter, Freundſchaft und Dank⸗
barkeit, Reichthümer und Genügſamkeit, Stolz und Demuth, Ruhm
und Beſcheidenheit und dergleichen mehr. Oft tritt es deutlich hervor,
daß der Autor philoſophiſche Florilegien beſaß und ſich aus ihnen leicht
unterrichtete, was Terentius oder Virgilius, Cicero oder Boethius,
Horatius oder Auguſtinus über dieſes und jenes Thema geſagt hatte.
Die einzelnen Blumen der Weisheit ließen ſich dann mit einiger ſtili⸗
ſiſcher Kunſt zu einem Kranze ordnen und verbinden. Auch in der
Form bleibt Cicero das Muſter: der Tractat wird eingeleitet wie bei
ihm, er entſpinnt ſich dann entweder nach einem disponirenden Ent
wurfe, lieber aber in der ſchon von N aufgenommenen Weife
des Dialogs.
Indeß müſſen wir hier noch einmal Petrarca's Tractate von dem
großen Haufen der ſpäteren abſondern. Nur ein völliges Unverſtänd⸗
niß hat fie ſchlechthin für wüfte Compilationen von allerlei Gelehrſam⸗
keit und Geſchwätze erklärt. Einige und zwar die kleineren mögen
allerdings als geringfügig überſchlagen werden, ſo die Abhandlungen
über Staatsregierung, über das Amt und die Tugenden eines Feld⸗
herrn, über den Geiz. Aber die großen Werke über die Gegenmittel
gegen Glück und Unglück, über die Ein ſamkeit, über die Muße der Re
ligioſen, über die wahre Weisheit, über feine eigene und Anderer Ur
wiſſenheit, der merkwürdigen Dialoge über die Verachtung der Welt
zu geſchweigen, das ſind ihrem tiefſten Gehalte nach Erlebniſſe aus
dem Herzen eines kämpfenden Menſchen, bei welchen wir das Anti⸗
) Tiraboschi T. V. p. 276.
VII. Die philoſophiſchen Tractate. 439
quariſche und Ciceronianiſche immerhin als müßigen Beiſchmuck be⸗
trachten mögen.
Bald nach Petrarca zeigt ſich der Abfall und zwar zunächſt darin,
daß das ſubjective Intereſſe der Schriftſteller, der Trieb nach Wahr⸗
heit völlig zurückſchwindet und der ſchulmäßigen Behandlung weicht.
Hierhin gehören gleich Salutato's Tractate über Schickſal und Glück,
über Weltleben und Mönchthum, über die Ehrfurcht, ferner die politi⸗
ſchen über den Tyrannen, über Wahl⸗ und erbliches Fürſtenthum, über
die Königskrönung, inſofern wir auf ſie alle aus ſeinen philoſophiren⸗
den Briefen einen Schluß ziehen dürfen. Auch von der ſpäteren
Tractatenliteratur dürfen wir nur eine Reihe von Titeln namhaft
machen, um auf den Inhalt ſchließen zu laſſen. Poggis's Werke ſtehen
als die geleſenſten obenan, er wußte ihnen einen beſondern Reiz zu
geben, indem er nebenbei Späße erzählte, auf ſeine literariſchen Geg⸗
ner oder auf die Mönche und Juriſten loszog oder ſeiner frivolen Laune
den Zügel ließ. Seine moraliſchen Schriften über die Pflicht des
Fürſten, über den unglücklichen Stand der Fürſten, über den wahren
Adel, über die Veränderlichkeit des Glücks, über das menſchliche Elend,
über den Geiz zeigen trotz allen muntern und intereſſanten Beigaben
doch den antiken Stoiker. Der Dialog gegen die Heuchler iſt aber
ſchon eine Kriegserklärung gegen die Bettelmönche, gewürzt durch per⸗
ſönliche Angriffe und Anspielungen, und die ſchalkhafte Behandlung der
Frage, ob ein Greis noch heirathen ſolle, war um ſo piquanter, da
der Verfaſſer darin ſeine eigene Ehe vertheidigte. Auch das ernſtere
Werk des Francesco Barbaro über die Ehe wurde noch in ſpäteren
Zeiten gern geleſen. Des Enea Silvio Tractate ſchließen ſich an die
Poggio's geradezu als die eines Schülers an. Valla's Abhandlungen
über die Wolluſt oder das wahre Gut und ſein Dialog über die Willens⸗
freiheit ſind in einer andern Beziehung ſchon erwähnt worden. Und
wenn wir hören, daß Manetti vier Bücher über die Würde und Hoheit
des Menſchen, daß Bartolommeo Fazio gleichfalls über die Würde und
den Vorrantz des Menſchen oder über das menſchliche Lebensglück ge⸗
ſchrieben, fo ſpüren wir wenig Verlangen nach dieſen und ähnlichen
Werken, welche die bekannten und beliebten Themata immer nur von
Nenem vartiren.
Mit einem beſondern Stolz haben die Humaniſten ſelbſt auf ihre
Geſchichtſchreibung geſehen und die Italiener ſind bis auf den heu⸗
tigen Tag von der Trefflichkeit ihrer Leiſtungen überzeugt. In der
440 VII. Die Geſchichtſchreibung.
That liegt hier für die Nachwelt die ſchmackhafteſte Frucht ihrer Studien,
doch dürfen wir ſie nicht ohne Prüfung hinnehmen. Es erfolgte aller⸗
dings ein entſchiedener Umſchwung der hiſtoriſchen Kunſt zunächſt Ita⸗
liens, als die Chroniken der Mönche und Stadtſchreiber durch die Werke
der Humaniſten in den Hintergrund gedrängt wurden. Jene hatten
geſucht, den Stoff, der ihnen denkwürdig erſchien, in irgend welcher
Form zu geben, nur damit das Geſchehene nicht in Vergeſſenheit ge⸗
rathe. Dieſe ſchrieben Geſchichte um der Kunſt der Hiſtoriographie
willen, wobei der Stoff zum Momente zweiten Ranges wurde, ſie
ſchriftſtellerten für ein Publicum, welches durch lebhafte und angenehme
Darſtellung unterhalten fein wollte. Sie wünfſchten Autorruhm einzu⸗
legen und ihren eigenen Namen nicht minder als die Thaten derer,
von denen ſie erzählen, auf die Nachwelt zu bringen.
Cicero hat einmal über den Werth und die Hoheit der Geſchichte
eine Reihe von ſtolzen Worten in die Welt geſchickt: die Geſchichte ſei
die Zeugin der Zeiten, das Licht der Wahrheit, das Leben der Ver⸗
gangenheit, die Lehrmeiſterin des Lebens, die Verkünderin des Schönen.)
Seine modernen Schüler von Petrarca an ſprachen dieſe Phraſen mit
Wohlgefallen nach, zumal da die Würde der Geſchichte billig auch die
der Geſchichtſchreiber in ſich zu ſchließen ſchien. Gern betonten ſie den
moraliſchen Nutzen der Geſchichte. Dieſe hat nach ihrer Meinung vor⸗
zugsweiſe den Beruf, zu allen Tugenden anzufpornen, die das Alterthum
preiſet und deren erhabene Vorbilder es aufweiſet, zur Tapferkeit und
Beſcheidenheit, zur Vaterlandsliebe und Großherzigkeit, auch wohl zu
den Tugenden des Chriſtenthums und ſogar zu jenen Zierden der Per-
ſönlichkeit, die dem Italiener als Tugenden erſchienen, zur Urbanität
des Umgangs, zur Gewandtheit in allen Geſchäften des politiſchen und
ſocialen Lebens und vor Allem — zur Beredtſamkeit. In der Vor⸗
ausſetzung ferner, daß der Geſchichtſchreiber auch das zu üben verſtehe,
was er zu rühmen und mit glänzenden Beiſpielen aus dem Alterthum
zu belegen weiß, fühlte er ſich vor Andern zum politiſchen Beurtheiler
und Rathgeber, zu Ehrenſtellen und zum Gebieten berechtigt. Schon
Petrarca war dieſes wunderlichen Wahnes voll. Er hat Lebensbeſchrei⸗
bungen großer Männer des Alterthums verfaßt, ferner Beiſpiele von
Tugend und Weisheit aus der älteren Geſchichte in der beliebten Weiſe
des Valerius Maximus geſammelt (die vier Bücher rerum memoran-
) De oratore II, 9, 36.
VII. Die Geſchichtſchreibung. 441
darum), er hat endlich eine großartige allgemeine Geſchichte, die von
Nomulus bis auf die Zeiten des Kaiſers Titus reichen follte, wenig⸗
ftend entworfen und begonnen.) Seine Kenntniß des Alterthums er⸗
regte mit Recht das Staunen der Zeitgenoſſen. Kein Wunder, wenn er,
der nur im Studirzimmer und unter ſeinen Büchern wahrhaft lebte, doch
die ganze politiſche Weisheit des alten Rom in ſich fühlte und ſich be⸗
rufen glaubte, Kaiſern und Königen Rath zu ertheilen, Feldherren und
friedlich⸗waltenden Fürſten einen Idealſpiegel ihrer Thätigkeit vorzuhalten,
ſelber Geſandtſchaften zu übernehmen und ſein Wort überall in die
Waagſchale zu legen, wo es ſich um die Geſchicke Italiens handelte.
Unterſcheiden wir den zeitgendffifchen Ueberlieferer, den Verfaſſer
von Denkwürdigkeiten vom wiſſenſchaftlichen Geſchichtsforſcher, ſo wün⸗
ſchen wir dem erſteren eine unterrichtende Stellung, ein treues Auge
Hund eine naive, offene Weiſe zu erzählen. Gerade dieſe Eigenſchaften
find es, die den Humaniſten gar oft abgehen. Die wenigſten lebten
in einer Sitnation, die ihnen den Einblick in größere Staaten⸗ und
Weltverhältniſſe geöffnet hätte. Lionardo Bruni und Flavio Biondo,
vie uns Ereigniſſe aus ihrer Zeit erzählen, waren, als ſie dieſelben
erlebten, päpſtliche Secretäre. Des erſteren Blick reicht wenig über
das Intereſſe und Geſchwätze der Curie hinaus, er ſchreibt, was er
ſich erinnert in früheren Jahren gehört zu haben, und das Wenige,
was er feldft mitangeſehen; auf den klaren Stil legt er höheren Werth
als auf die Berichte.) Der wackere Biondo kennt eigentlich nur die
Kriege im Kirchenſtaat, über welche bei Papſt Engen tägliche Nachricht
einlief und in denen er ſelbſt mehrmals als Geſandter thätig war; die
gleichzeitigen Vorgänge am basler Concil, die nicht minder zu des Pap⸗
ſtes Noth beitrugen, verflüchtigen ſich ihm ſchon zu allgemeinen Klagen
und Phraſen, wie man fie eben an der Curie zu hören gewohnt war.“)
) De contemptu mundi Dial. III (Opp. p. 411), er nennt es ein opus im-
mensum temporisque et laboris capacissimum.
2) So ſagt er ſelbſt in der Vorrede ſeines Rerum suo tempore gestarum
(1378 — 1440) Commentarius (ap. Muratori Scriptt. T. XIX): Leider ſeien die
Zeiten des Demoſthenes und Cicero bekannter als die vor etwa ſechszig Jahren.
Der Grund liege bei letzteren im Mangel an würdiger Ueberlieferung. Literae qui-
dem, nisi sint illustres atque disertae, claritatem rebus afferre non possunt h
memoriam earum in longum extendere.
) Das Selbſterlebte erzählt er in ſeinen Historiarum ab else Roma-
norum Libri XXI. Basileae, 1559 im 2—10. Buche der dritten und im 1. Buche
ber vierten Decabe.
442 VII. Die Geſchichtſchreibung.
Die Humaniſten waren meiſtens an den Höfen ober in republiea⸗
niſchen Staatsämtern verſorgt, fie mußten daher den fürſtlichen ober
patriotiſchen Eitelkeiten ſchmeicheln. Daher wieder der lobfingende Ton,
der faſt in allen ihren Geſchichtswerken herrſcht, inſofern ſie ihr Ob⸗
jert der Gegenwart, der Geſchichte einer beſtimmten Stadt oder Dy⸗
naſtie entnehmen. Die blaſſen Thaten eines dürftigen Zeitalters wer⸗
den mit künſtlicher Schminke herausgeputzt, unbedeutende Menſchen und
Begebniſſe ſchwellen durch claſſiſche Streiflichter zu heldenhafter Größe
an. Der Hiſtoriograph ſelbſt des kleinſten und nüchternſten Fürſten,
irgend eines Condottiere oder der armſeligſten Provincialſt dt bedient
fich des antiken Apparates. Gedenken wir hier noch einmal jenes Por⸗
cello, der den erbärmlichen Söldnerkrieg von 1452 und 1453 als einen
puniſchen beſchrieb. Wenn Giacomo Zeno, ein venetianiſcher Nobile,
das Leben ſeines Großvaters Carlo ſchrieb, der einſt Truppen geführt,
ſchildert er ihn ganz wie einen livianiſchen Tonſul und läßt ihn lange
Reden mit Commilitones und Patres conscripti halten, als habe er
die Legion und den Senat des alten Rom vor ſich.) Ein ferrareſi⸗
ſcher Chronift, der eben auch nicht viel Großes zu erzählen hat, hebt
alſo an: „Es iſt erhabenen Gemüthern von der Natur eingepflanzt,
daß fie nach dem Ruhme der Unſterblichkeit trachten. Auf dieſem Wege
wandelten alle die edlen Römer, die Geiſt und Leib dem Freiſtaate
weiheten.“ Marmor und Erz, jo fährt er dann fort, ſchwinden be
hin; Redner, Dichter und Geſchichtſchreiber allein führen den, den ſie
feiern, ſicher der Unſterblichkeit zu. Daß der begeiſterte Autor dabei
auch ſeiner ſelbſt nicht vergißt, ſieht man aus ſeiner Aeußerung: „Was
find Julius Cäſar's Siege gegen die Feinheit und Eleganz feiner Con⸗
mentarien?“)
Eine Sitte der antiken Hiſtoriographie, die von den Humaniſten
mit großem Eifer aufgenommen wurde, war die Einlegung von Reden.
Man weiß, daß Thukydides ſie zur Ausmalung der Situation und zur
Charakteriſtik verwendete. Schon Salluſtius und Livius machten red⸗
neriſche Schauſtücke daraus und die Reden ihrer Nachahmer, der Hu⸗
maniſten, find vollends eher geeignet, auf das Erzählte ein falſches
) Seine Vita Caroli Zeni bei Murat ori Seriptt. T. XIX. In dieſem Sinne
äußert er ſich auch Praefat. p. 204 theoretiſch über die Aufgabe des Geſchichtfchreibers:
effingit cogitationes hominum, sermones conventionesque; temporum rationes,
motus, figuras corporum ef fert etc. 1
2) Bei Muratori Seriptt. T. XX. p. 442. 458.
VII. Die Geſchichtſchreibung. 443
Licht zu werfen als es deutlicher erkennen zu laſſen. Das Kunſtmittel
ſollte unn die nüchternen Ereigniſſe voller und hochherziger, die Dar⸗
ſtellung wärmer und lebhafter machen. In der Wirklichkeit gab es
nicht viel zu reden, ſeitdem die Adminiſtration und die Diplomatie
ſich immer mehr der Actenform ergaben. Nach den Geſchichtswerken
aber ſollte man glauben, in jedem kleinen Rathhauſe habe eine attiſche
Ekkleſia oder ein capiteliniſcher Senat getagt, ein Demoſthenes gegen
den Staatsfeind oder ein Cicero gegen den Verſchwörer gedonnert, die
Throne und militäriſchen Commando's term mit m Rhetoren
beſetzt geweſen.
Obwohl manche dieſer Mängel theilend, ragt doch er über bie
Mamoiriſten feiner Zeit hinaus Enea Silvio de’ Piccolomini, der fat
zwei Drittheile ſeiner männlichen Jahre auf deutſchem Boden, am bas⸗
ler Concil und am Hofe des Kaiſers zugebracht, den Italien erſt als
Cardinal und Papſt kennen lernte. Hier konnte er über ſeine Erleb⸗
niſſe in Deutſchland ſchreiben, was ihm beliebte, und dann überhob
ihn ſeine kirchliche Würde wenigſtens derjenigen Feſſeln, die den Höf⸗
ling beſchränkten. Er war als Geſchichtſchreiber ein wenig ruhmredig
und oft der Anwalt ſeiner Partei, aber ein Mann, der wirklich viel
erlebt und meiſtens an der Stelle, wo die Fäden des politiſchen Ge⸗
webes ausgingen und wohin ſie wieder gelangten, der zu ſehen und zu
erzählen verſtand, wenn er auch nicht ſelten mehr ausplauderte, als er
ſollte, und in andern Fällen mehr, als er wußte.
Nicht viel beſſer ſtand es auf dem Gebiete der Geſchichtsforſchung,
inſofern ſie vergangene Zeiten ergründet und beleuchtet. Die Periode
ſeit dem Verfall des römiſchen Reichs wurde wenig beachtet, ja von
Vielen gleich den Geſchichtſchreibern jener Zeit völlig verachtet. Poggio,
Bruni und Biondo konnten mit vollem Recht ſagen, daß die Zeiten
der Griechen und Römer ungleich genauer bekannt ſeien als die nächſt⸗
vergangenen, weil jene durch geſchickte Geſchichtſchreiber verherrlicht
wurden. Darum ſchilt ein Literat wie Poggio ſolche Fürſten, die es
verſäumen, ſich mit gelehrten und eloquenten Männern zu umgeben;
ſie verdienen, meint er, daß ihr Ruf mit dem Körper ſtirbt und ihr
Name der Ewigkeit verloren geht. Denn an würdigem Stoffe ſcheint
es ihm auch in der modernen Geſchichte nicht zu fehlen: warum ſollten
zum Beiſpiel die Thaten Tamerlan's nicht ebenſo gern geleſen werden
wie die des makedoniſchen Alexander? nur am Herold hat jener es
fehlen laſſen. Auch macht Poggio die Bemerkung, daß Lipius ja oft
444 VII. Die Geſchichtſchreibung.
recht winzige Dinge von den alten Römern erzähle, die nur durch ſeine
Darſtellung großartig und würdig erſcheinen, und daraus ſchließt er,
daß es niemals an Geſchichte fehle, wo nur tüchtige Geſchichtſchreiber
da ſind.) Um dieſes Mangels willen gaben die Humaniſten das
Mittelalter faſt ganz verloren. Die dürren Chroniken nahm höchſtens
einmal der ſtädtiſche oder fürſtliche Hiſtoriograph zur Hand, um den
Stoff durch ſchönen Stil und Reden auszuzieren und ſo zum neuen
Kunſtwerk umzugeſtalten. Selbſt die großen florentiniſchen Annaliſten
traten ins Dunkel zurück, ſeitdem Bruni und Poggio das Beſte ant
ihren Werken in elegantem Latein vorgetragen. Die allgemeine Ge⸗
ſchichte des Mittelalters beſchäftigte höchſt ſelten die Federn der Hu⸗
naniſten. Außer Biondo's oben beſprochener Arbeit wüßten wir nur
noch die Geſchichte des erſten Kreuzzuges von Benedetto Accolti und
des Bartolommeo Sacchi aus Piadena, des ſogenannten Platina, Ge⸗
ſchichte der Päpſte als Werke von einiger Bedentung aufzuführen.
Dürftige Ueberſichten wie die des Erzbiſchofs Antoninus von Florenz
und des Donato Boſſi kommen hier nicht in Betracht als nicht zur
humaniſtiſchen Schule gehörig.
Die alte Geſchichte war natürlich das Lieblingsfach der Humani⸗
ſten, aber auch ſie, zumal die nicht⸗römiſche, blieb den meiſten ein zer⸗
riſſenes Stückwerk, ein bunter Kram von Notizen, Schlagworten und
Anekdoten, wie er eben aus der planloſen Lectüre dieſes und jenes
Autors gewonnen und dann von einem Buch ins andre vertragen wurde.
Petrarca's Gedanken einer Univerſalgeſchichte des Alterthums, des rö⸗
miſchen mindeſtens, hat noch lange niemand aufzunehmen gewagt. Der
einzige Biondo hätte zugleich das Talent und die Beſtändigkeit zu einem
ſolchen Unternehmen gehabt, ihm fehlte die Aufmunterung und mehr
noch die Kenntniß des Griechiſchen. Mit beſſerem Erfolge wurde da⸗
gegen das Studium der römiſchen Alterthümer angebahnt: hier ift
Biondo in erſter Reihe zu nennen, neben ihm beherrſchten Filelfo, Pog⸗
gio und Bruni weitere Gebiete, und manches Beſondere ward von Ein⸗
zelnen geleiſtet. Dieſe Bemühungen haben, mag man auf ihren wiſſen⸗
ſchaftlichen Werth jetzt herabſehen, an ſich einen kaum zu ermeſſenden.
In ihnen erwuchs durch den Widerſtreit der Autoritäten, durch die
Nothwendigkeit, zu vergleichen und zu prüfen, zu ſichten und zu ſondern,
die Kritik, eine Kraft, deren ſich die naive Glaubenswelt nicht bewußt
) De variet. fort. Lib. I. p. 34 8d. 77.
vll. Die deſtructiven Tendenzen. | 445
geworden war. Man belauſche nur die kecken Flügelſchläge die⸗
fer Kraft in den Alterthumsſorſchungen eines Biondo, Valla und
Filelfo, man wird ſie dann in verſchiedenem Grade bei allen ihren
Vorgängern von Petrarca an, bei allen ihren Zeitgenoſſen und Nach⸗
folgern wiederzufinden wiſſen und die ungeheure Wirkung ahnen, welche
ſie gegen die Throne der Tradition und Autorität geübt hat. Im
Alterthum erhielt man ein Gebiet, welches den Glauben nicht in An⸗
ſpruch nahm, den Trieb der wahren Wiſſenſchaft aber berausforberte.
Wie nahe lag es, die hier geſchmiedete Waffe, die hier geſchulte Geſchick⸗
lichkeit auf andre. Gebiete der Ueberlieferung zu tragen! Die Kritik
hat dem Kampfe der Geiſter nicht minder eine neue Geſtalt gegeben
als das Feuergewehr dem Kampfe der körperlichen Kräfte.
Soviel von den poſitiven Leiſtungen dieſer Wiedergeburtsliteratur.
Geſtehen wir, jie iſt an ſich nicht entfernt das, was die Literatoren
ſelber wähnten. Sie hat kaum etwas Selbſtſtändiges und Nichts auf⸗
zuweifen, was nicht im nächſten Jahrhundert ſchon überflügelt worden
wäre. Die Humaniſten glaubten ein neues auguſteiſches Zeitalter be⸗
reits darzuſtellen, ſie haben in Wahrheit nur den Acker bereitet und
Keime für die Zukunft gepflanzt. Mindeſtens ebenſo bedeutſam find
ihre deſtruetiven Tendenzen, ihr Kampf gegen die beſtehende
Wiſſenſchaft. Dieſer Kampf nahm in dem Zeitraum, den wir hier
beſprechen, mehr den Charakter einer einſeitigen ſiegreichen Polemik an,
vurch welche die Humaniſten ihre Gegner, die Verfechter der überliefer⸗
ten Syſteme, aus dem Felde ſchlugen. Erſt nach den empfindlichſten
Niederlagen brachte es der Feind zu energiſchen Reactionen.
Es iſt ein fördernder und nothwendiger Gegenſatz, den die genie⸗
ßende Schöngeiſterei gegen ein zuſammenhängliches, oft trockenes und
mühſames Studium, den eine gleißende Univerſalbildung gegen die be⸗
ſchränkte und pedantiſche Stubengelehrſamkeit, den der künſtleriſche Trieb
gegen die dürre eingelernte Methode bildet. Reine Menſchenbildung
iſt ſelten aus der einförmigen Kloſterzelle, aus dem dumpfen Hörſaal
und bei der nächtlichen Lampe ans Tageslicht gefördert. Auf der andern
Seite wird ſie auch von den Glücklichſt⸗Begabten nicht ohne Mühe und
Kampf gewonnen. Der Gelehrte wühlt oft in den Hüllen, ohne den
Kern zu finden; der Schöngeiſt giebt die bunteſten Fetzen der Hülle
für den Kern ſelber aus. Jener zuckt die Achſeln, wenn er ſieht, wie
geſchäftig dieſer die flüchtig⸗ erworbenen Schätze auf den Markt trägt;
dieſer beſtiehlt den Fleiß der ſtillen Nächte und lacht über den Pedan⸗
448 vil. Der Kampf gegen bie Weisheit der Hochſchulen.
ten, ver ihn nicht zu verwerthen wußte. Denn die ſtrenge Wiſſenſchaft
hat immer geſtrebt, ihre überkommenen und erworbenen Gäter in enge
ren, kaſtenhaften Kreiſen zu ſichern und zu hegen; dagegen iſt es das
Beſtreben aller Schöngeiſter, ihr Publicum zu erweitern und ihm mit
eitler Prätenſion Alles darzubieten, was ſie ſelbſt nur gerade ſo weit
verſtanden, um es zugeſtutzt und aufgeputzt in weitere Circulation ſetzen
zu können. Während ſo die ausſchließende Wiſſenſchaft Maſſen von
unfruchtbarem Stoff anſammelt, führt ihre leichtfertige Nebenbuhlerin
eine Fülle von unreifen Kenntniſſen, von mißverſtandener Wahrheit
und flüchtig⸗erfaßter Halbwahrheit tändelnd in die Welt aus.
In dieſem Sinne begann der jugendliche Humanismus feinen Kampf
gegen die Weisheit der Hochſchulen. Wir fahen, wie ſchon Petrarcn
ihn auf allen Gebieten zugleich entzündete. Bewundernswerth iſt feine
Stegesgewißheit: er war feſt überzeugt, daß die Scholaſtik ſtürzen müſſe
und daß feinem chriſtlichen Humanismus die ganze Zukunft gehöre.
„Siehe jene an, die ihr ganzes Leben mit dialektiſchen Klopffechtereien
und Sophiſtereien zubringen und ſich beſtändig in eitlen Fragen ab⸗
mühen, und höre meine Wahrſagung über ſie alle: All ihr Ruhm wird
mit ihnen zuſammenſtürzen, für ihren un und ihre Gebeine win
ein Grab genügen!“ ')
Es waren nicht die Wiſſenſchaften ſelbſt, die von den Humaniſten
angegriffen wurden, es war die ſcholaſtiſche Methode und die Weisheit
der Kathedermänner, die ſich mit ihr breit machte. Wie hätte man die
einzelnen Disciplinen an ſich mißachten können, die Rechte und die
Medicin, deren ja das tägliche Leben bedurfte, die Philoſophie und die
Grammatik, auf deren ſchulender Kraft ja auch die Bildung des Schön⸗
geiſtes ruhte. Ferner waren alle dieſe Fächer aus dem Alterthum
überkommen und beriefen fich auf die Werke der Griechen und Römer,
ſo verfälſcht und unkenntlich dieſe durch die ſpäteren Zuthaten auch
geworden. Wer noch ſo keck gegen die aufgeblaſenen Lehrer der Arzenei⸗
kunde und gegen die gauneriſchen Aerzte loszog, blieb doch mit Ehr⸗
erbietung vor dem Namen eines Hippokrates ſtehen. Wer noch ſo ver⸗
ächtlich von den dialektiſchen Künſten ſprach, wagte doch nicht leicht
Ariſtoteles anzutaſten. Die Theologie befand ſich, wie wir ſehen wer⸗
den, in einem beſonderen Falle, aber auch ihr waren ehrwürdige Na⸗
men wie Hieronymus und Auguſtinus nicht überflüſſig. Den andern
) Petrarea epist. rer. famil. I, 1.
VI. Humaniſten und Juriſten. 447
Diselplinen muthete man eine Reform, zunächſt eine Rückkehr zu ihren
antiken Grundlagen an. Bei einigen meinte man den beſſeren Weg
ſchou gefunven: die Schulphiloſophie zum Beiſpiel ſollte zur Lebens⸗
moral, die Grammatik zur Eloquenz heranwachſen und heranziehen.
In der Medicin und den Rechten überließ man es den Fachgelehrten,
die neue Bahn zu ent und ſetzte ihnen unterdeß mit deſto biſſigeren
Angriffen zu.
Bald find es die Hochſchulmeiſter, bald die Praktiker, die dem
freien Humaniſten lächerlich erſcheinen. In beiden Fällen hatte der
Neiv an ihrem Haſſe keinen geringen Antheil. Im bürgerlichen Leben
ſpielten die Juriſten die erſte Rolle: „fie ſaßen an der Seite der Für⸗
ſten und waren das Orakel der Höfe.“ Auf den Univerfitäten ſtanden
fie obenan, fie waren hier oft auf Lebenszeit ſichergeſtellt und wurden
durch ihre Eonfilien reiche Männer. Ein Niccolo de' Tudeschi, der
Held der canoniſtiſchen Gelehrſamkeit und bekannter unter dem Namen
des Abbas Siculus, bezog während ſeines Aufenthaltes in Bologna
einen Sole von 800 Scudi, ſpäter trat er in neapolitaniſchen Dienſt
und wurde Erzbiſchof von Palermo. Zu Padua gab man dem berühm⸗
ten Giovanni da Imola (1406) und dann auch dem Paolo da Caſtro
(1480) Gehalte von 800 Ducaten.) Dagegen klagt Lauro Quirino,
der um 1453 ebendaſelbſt Rhetorik und Moral lehrte, daß man ihn
mit einem Solve von 40 Ducaten abfinde, während den Männern des
bürgerlichen Rechts glänzender Lehn würde.) Man nehme dazu, daß
Lorenzo Valla einmal um 50 Zecchinen zu Pavia die Eloquenz lehrte
und daß ſeine beiden Nachfolger, unter denen der nicht mehr unbe⸗
kannte Becradelli war, ſich in dieſen Sold gar theilen mußten.) Auch
Bologna wurde noch ganz von den Juriſten beherrſcht und war den
Humaniſten faſt unzugänglich. Hier galten Männer wie Antonio Bu⸗
trio, Flaviano, Niccolo della Jaba, die heutzutage völlig vergeſſen ſind,
und der Stolz der Hochſchule war Giovanni da Imola, der das ganze
Corpus juris commentirte. Dagegen verſuchte Aurispa als Lehrer des
Griechiſchen vergebens ſein Glück: „Ich bin hier verpflichtet, ſagt er,
die griechiſche Sprache zu lehren, aber ich finde nicht nur keine Ge⸗
) v. Savigny Geſch. des röm. Rechts im Mittelalter. Bd. VI (2. Ausgabe)
S. 278. 288.
2) Sein Schreiben an Francesco Barbaro unter deſſen Briefen epist. 216.
) Zumpt Leben und Verdienste des L. Valla a. a. O. p. 411.
448 VII. Humaniſten und Jnriſten.
legenheit dazu, ſondern alle Humanitätsſtudien liegen den Geiſtern ſo
fern, daß ich nicht ohne Ekel hier verweile.“) Auch Filelfo lehrte
nur ſehr vorübergehend in Bologna, ein halbes Jahr lang und indem
ihn Cardinal d' Allemand, der päpſtliche Legat, aus feiner Privateaſſe
bezahlte.) Keiner der Humaniſten hat ſich an dieſer Hochſchule halten
können. ä
Allerdings war der belebende und bewegende Geiſt aus den Rechte
ſtudien in demſelben Maße entflohen, als er in den humaniſtiſchen er⸗
wachte. Die alten Quellen des römiſchen Rechts hatte man durch die
Stoffe mehr verſchüttet als aufgedeckt, zur Gloſſe aber geſellte ſich noch
die Auslegung einer Reihe von berühmten Rechtslehrern und ſo rollte
ſich ein immer wachſender, unentwirrbarer Knäuel zuſammen von Ci⸗
taten und Autoritäten, von Definitionen, Diviſionen und Diſtinctionen,
von Exceptionen, Replicationen und Duplicationen. Die Zeiten eines
Cinus, Bartolus und Baldus waren nicht mehr, wohl aber lag ihr
Erbe wie eine drückende Laſt auf der Wiſſenſchaft. Die Wenigen, die
ſich mit unermüdlichem Fleiße durch den Wuſt durcharbeiteten und
einige Ordnung hineinzubringen wußten, galten als die großen Juriſten
des Zeitalters. Ihre Namen werden uns genannt und ihre Gelehr⸗
ſamkeit gerühmt, aber man ſprach von ihnen wie von Perſonen, die in
dunkler Ferne oder vor Jahrhunderten lebten, und über ihre Schriſt⸗
werke wußte der Laie nur unbeſtimmt und von Hörenfagen zu reden.
Männer, die zeitlebens unter Titeln, Capiteln und Gloſſen kram⸗
ten, mußten wohl Pedanten werden. Erzählte man ſich doch von dem
großen Bartolus, er habe ſich die tägliche Speiſe jedesmal abwiegen laſſen,
um auch feine Denkmaſchine in gleichem Gange zu erhalten. Den
Giovanni da Imola beſuchte einer der Humaniſten und fand ein ganz
‚unter Büchern vergrabenes Männchen, das ohne feine Bücher ein
völliges Nichts war.) Die neue, aus dem Alterthum geſchöpfte Bil⸗
dung blieb ihnen fremde. Wenn aber einzelne von ihnen, wie ſchon
Cino, dann Mariano de’ Sozzini aus Siena, Francesco d Accolti, ein
Schüler, Cato Sacco, ein Freund Filelfo's, Silano Negri, wirklich
Geſchmack an elegantem Latein und ciceronianiſcher Philoſophie gefunden
) Sein Brief unter denen des Ambros. Travers. XXIV, 55.
) Filelfo's Brief an Aurispa v. 23. Febr. und an Traverſari v. 17. März
1428, letzterer unter denen des Ambros. Travers. XXIV, 30.
) Aeneas Sylvius de vir. clar. XIX.
VII. Humaniſten und Juriſten. 449
oder wenn fie ſich in tusciſchen Liebesreimen verſuchten, fo blieb dieſe
Beſchäftigung ein Spiel der Erholungsſtunden und ohne jede Einwir⸗
kung auf ihre Fachwiſſenſchaft. Der Humaniſt in ihnen war gleichſam
ein andrer Menſch als der Juriſt.
Eine Reihe der namhafteſten Humaniſten hatte in jüngeren Jah⸗
ren, meiſtens gezwungen und widerwillig, den Rechtsſtudien obgelegen,
Petrarca, Boccaccio und Salutato, Bruni und Filelfo, Beceadelli,
Piccolomini und Vegio. Von den Muſen gelockt, waren ſie dann der
Rechtsſchule entlaufen und behielten nun mehr oder weniger vom Haſſe
der Apoſtaten gegen die ihnen aufgedrungene Juriſterei. Wen einmal
die ſriſche Genialität des Humanismus berührt, dem widerſtand dieſes
Spiel mit trockenen Formen und Formeln, deren Zuſammenhang mit
Menſchenthum und Leben dem Bewußtſein völlig entſchwunden war.
Seit Petrarca die Axt an den Baum gelegt, war kaum einer ſei⸗
ner Nachfolger, der ſich nicht in Hieben gegen die Juriſterei verſucht
hätte. Boccaccio, der immer nur die nachträglichen Streiche austheilt,
wo ſein Herr und Meiſter voran in den Kampf gegangen, ärgert ſich
beſonders an dem prunkvollen Auftreten der Juriſten, die freilich in
ihrem purpurnen Ornat und gefolgt von einer Schaar Clienten, auf
den armen Dichter wie auf einen erbärmlichen Hungerleider herab⸗
ſchauten. Aber an einem Laſter, ſagt Boccaccio, kranken ſie alle, dieſe
ſtolzen Lehrer der Rechte und Vorſitzenden der Gerichtshöfe, an niedri⸗
ger Geldgier. Kleben nicht an ihrem Erwerbe die Thränen der Armen
und Elenden, die ſie mit ihrer käuflichen Zunge ins Verderben geſtürzt?
Doch ihr Name, tröſtet er ſich, wird trotz den reichen Kleidern, die
ihren Körper umhüllen, mit dieſem ſterben, während des Dichters Name
mit feinen Gedichten unſterblich fortlebt.')
Von Coluccio Salutato wiſſen wir, daß er Tractate geſchrieben
hat de nobilitate legum et medicinae und Quod medici eloquen-
tiae studeant; beide liegen ungedruckt in einer florentiniſchen Biblio⸗
thek. Nur ſoviel hören wir, daß er gegen die ärztliche Quackſalberei
und gegen den aſtrologiſchen Spuk energiſch zu Felde zog, darin ein
echter Jünger Petrarca's. Die Rechte hat er vergleichungsweiſe in
Ehren gehalten und wenigſtens in ihren antiken Grundlagen als Wiſſen⸗
ſchaſt anerkannt. Der Stein des Anſtoßes wird ihm als eifrigem Ci⸗
ceronianer die ſtiliſtiſche Unbeholfenheit der neueren Juriſten geweſen
1) De geneal. Deor. Lib. XIV. cap. 4.
Voigt, Humanismus. 29
450 VII. Humaniſten und Juriſten.
fein, während auf der andern Seite die knappe Kürze, die klare Schärfe
der Juriſten des alten Rom ihn wieder mit ihrer Wiſſenſchaft aus⸗
ſöhnte.
Salutato's Zögling Lionardo Bruni ſprach von den Rechtswiſſen⸗
ſchaften, die ihm einſt aufgedrungen worden, mit Verachtung. Die
Studien der Humanität, ſagt er, vervollkommnen und ſchmücken den
Menſchen. Dazu kann die Rechtskenntniß nichts beitragen. Mag er
nun wiſſen, was bei der Ableitung des Regenwaſſers Rechtens iſt,
ob das Kind einer Sclavin zu den Früchten gerechnet wird, ob zur
Errichtung eines Teſtamentes durchaus ſieben Zeugen gehören, oder
mag er es nicht wiſſen, das iſt für ſeine menſchliche Bildung ganz
gleichgültig. Ihm mache alle dieſe Weisheit der Cino und Dino nur
Langeweile. Ganz andern Ruhm dürfe erwarten, wer Ariſtoteles und
Cicero ſtudirt, und auch im Leben könne er ſich eine hohe Stellung
erwerben — jo meint der wohlhabende Staatscanzler.')
Maffeo Vegio hat in jener erſten Periode ſeines Lebens, in wel⸗
cher er ſich noch ganz als Dichter fühlte, ein juriſtiſches Lexikon (de
verborum significatione) geſchrieben. Die Poeſie und die Rechts⸗
wiſſenſchaft ſind ihm wie Licht und Finſterniß. Er geſteht, daß er zu⸗
vor einen Abſcheu gegen die Leges gehabt, er ſpricht mit Verachtung
von den Roffredus, Matarellus und Rainerius Forolivienſis, auch von
Cinus und Bartolus, ſelbſt von Tribonianus, dem Günſtlinge Juſti⸗
nians, welcher die Schriften der alten Juriſten entſtellt und dadurch
der lateiniſchen Sprache einen unendlichen Schaden zugefügt habe. Nun
aber leſe er die Digeſten in ganz anderm Sinne, nicht um unendliche
Tractate und Commentarien daraus zu ſpinnen, ſondern um die Fein⸗
heit und Eleganz der alten Legislatoren zu bewundern.) Man ſollte
ſich indeß hüten, wegen ſolcher Aeußerungen Männer wie Vegio und
Traverſari als „Vorboten“ der Jurisprudenz eines Alciatus, Zaſtus,
Cujacius zu bezeichnen. Von der philologiſch⸗geſchichtlichen Methode,
welche das Studium des römiſchen Rechtes in eine neue Bahn geführt
hat, hatten ſie ſo wenig eine Ahnung als ihre Gegner. Ihre Bewun⸗
derung bleibt lediglich vor der „Eleganz, gefeilten Rede, Anmuth des
>
) Leon. Bruni epist. VI, 6. cf. epist. X, 24. pag. 197. 200.
) Die Zueignung des Werkes an den Erzbiſchof von Mailand Bartolommeo
della Capra v. 15. März 1433 bei Saxius Hist. liter. typogr. Mediol. p. 405
bis 408. ö
vll. Humaniſten und Juriſten. 451
Stils, Energie des Ausdrucks“, vor dem „Schmuck und Glanz der
Worte“ und der „Majeſtät der Sentenzen“ ſtehen, in denen ſie die
ehrwürdige Hand eines Mucius Scävola, Servius Sulpicius oder An⸗
tiſtius Labeo herauszuerkennen meinen.)
Das alles waren noch beſcheidene Meinungsäußerungen im Ver⸗
gleich zu dem Anſtoß, dem Valla's Kühnheit gab. Er lehrte die Rhetorik
zu Pavia, wo wie zu Bologna und Padua die Juriſten das große
Wort führten. Sie waren vielleicht ſchon deshalb gegen ihn gereizt,
weil er in ſeinen „Elegantien“ die Sprache der alten wie der neuen
Juriſten einer ſchonungsloſen Kritik unterworfen.) Ein angeſehener
Juriſt ſprach einſt gegen ihn die Anſicht aus, daß Bartolus dem Ci⸗
cero bei weitem vorzuziehen ſei; keine Schrift Cicero's könne ſich auch
nur mit dem kleinſten Buche des Bartolus, etwa dem de insigniis et
armis, meſſen. Ihr Redekünſtler, ſagte er, kümmert euch mehr um
die Worte als um den Inhalt, mehr um das Laub der Bäume als
um die Früchte. Cicero erklärte er für einen unwiſſenden Schwätzer.
Wir kennen Valla genügend, um uns vorzuſtellen, wie ihm die Galle
ſchwoll, er beſchloß, die Beleidigung ſeiner Kunſt glänzend zu rächen.
Er borgte jenes Buch von Cato Sacco, in einer Nacht verfaßte er die
Streitſchrift dagegen, zugleich gegen Bartolus und die Juriſten über⸗
haupt. Er ſelbſt hat es zwar ſpäter beſtreiten wollen, daß dieſe Schrift
eine Invective gegen Bartolus ſei, weil eine Invective nicht gegen Todte
gerichtet ſein könne. Indeß verfährt er mit ihm genau wie mit ſeinen
andern Gegnern, mit Fazio oder Poggio, und warum ſollte man nicht
gegen Todte ebenſowohl Angriffe richten können, wie Petrarca bewun⸗
dernde Briefe an ſie ſchrieb? Auch thut der Name nichts zur Sache.
Valla's Urtheil über das Buch von den Wappen war von vorn herein
fertig: „Unſterbliche Götter, wie iſt hier Alles ohne Würde, ohne Ge⸗
wicht, wie albern! Man ſollte glauben, ein Eſel ſpreche, nicht ein
Menſch.“ Bartolus wird mit Schimpfworten wie Dummkopf und Pin⸗
ſel behandelt, ihn und ſeinesgleichen, das heißt einen Accurſius, Bal⸗
dus und Dinus nennt Valla Gänſe, die nicht die römiſche ſondern
eine barbariſche Sprache geſprochen oder vielmehr auf allen Gaſſen
zum W der Menſchen geſchnattert. Den Vorwurf, den Vegio dem
1) Vergl. b Travers. epist. V, 18, ein Brief, den auch v. Savigny im
angebeuteten Sinne herangezogen bat. 8
) z. B. Lib. IV. cap. 48.
29 *
452 VII. Humaniſten und Juriſten.
Tribonianus gemacht, richtet Valla ſchon kecker gegen Kaiſer Juſtinia⸗
nus ſelbſt, in den Augen der Juriſten eine frevelhafte Majeſtätsbelei⸗
digung. Den neueren Juriſten, den Männern der Gloſſe, konnte Valla
nicht deutlicher ſeine Meinung ſagen als gleich im Anfange der Schrift:
„Von den Rechtsgelehrten iſt kaum einer, der nicht als völlig verächt⸗
lich und lächerlich erſcheine. Sie ſind ungebildet in allen Zweigen der
Wiſſenſchaft, die einem freien Menſchen ziemen, und zumal in der
Wohlredenheit, deren ſich doch die alten Jurisconſulti eifrigſt befleißig⸗
ten und ohne welche die Bücher derſelben unverſtändlich bleiben, ſie
ſind ſo armſeligen Geiſtes, ſo gedankenloſen und thörichten Sinnes,
daß ich das Mißgeſchick des bürgerlichen Rechts beklage, weil es der
Ausleger faſt ganz ermangelt oder vielmehr diejenigen, welche es jetzt
hat, nicht loswerden kann.“)
Valla betrieb die Verbreitung dieſer Invective recht gefliſſentlich.
Gleich am nächſten Tage ſandte er ſie Cato Sacco zu, dann dem alten
Guarino nach Ferrara, der ihm mit freudiger Beiſtimmung dankte;
Decembrio, dem Valla ſie widmete, las ſie in Mailand. Die Juriſten
waren nicht nur in ihrem verehrten Bartolus ſondern auch unmittelbar
und insgeſammt beleidigt. In Pavia hatte die juriſtiſche Facultät mit
der philoſophiſchen ſchon vorher im Streite gelegen, darum betrachtete
letztere Valla als ihren Bundesgenoſſen. Es kam zum Straßenſcandal
und dürfen wir einem Feinde Valla's Glauben ſchenken, ſo mußte die⸗
ſer in eine Kirche flüchten und wäre ohne die Vermittelung Beccadelli's
von den Studenten der Rechte zerriſſen worden.“)
Auch Poggio finden wir, wo es einen ſolchen literariſchen Krieg
gilt, allemal auf dem Kampfplatze. In jüngeren Jahren hatte er zwei
Reden verfaßt, die eine zum Lobe der Rechtswiſſenſchaft, die andre zum
Lobe der Medicin. Ob es bloße Exercitien waren oder ob er jene
beiden Disciplinen inſofern vertheidigte, als ſie ſich auf alte Autoren
ftügen, können wir nicht entſcheiden. Auch in feinen „gaſtlichen Dis⸗
putationen“ läßt er beide angreifen und in Schutz nehmen, aber leicht
fühlt man heraus, auf welcher Seite ſein Herz iſt. Valla, der auf
Hochſchulen lehrte, ging mehr den Männern der Katheder zu Leibe;
) Dieſer Libellus iſt mit der Widmung an Decembrio in Vallae Opp.
p. 633643 gedruckt.
) Valla leugnet dieſen Vorgang im Weſentlichen ab; vergl. ſeine Invectiva in
Bart. Facium IV (Opp. p. 629. 630).
VII. Humaniſten. — Juriſten und Aerzte. 453
Poggio, der Curialbeamte, ärgert ſich an den Praktikern und hält bald
ſeine Eloquenz bald ſeinen ciceronianiſchen Tugendbegriff als Maßſtab
an ihre Thätigkeit. Das römiſche Recht, meint er, werde lediglich
noch betrieben, um geldſchneideriſche Advocaten zu nähren. Nur in
Italien, ja nur in einem Theile Italiens gelte es und auch da gebe
es ſo viel Anlaß zu Händeln und Zank, daß man es lieber entbehren
möchte. Den aufgeblaſenen Menſchen, die mit ihren Bartoli und Baldi
gelehrt thun, komme es nicht darauf an, die Wahrheit zu ermitteln,
ſondern nur ſie durch allerlei Formalitäten zu verwickeln. Dieſe Ad⸗
vocaten thun Alles um des Geldes willen: ſie verdrehen Recht und
Geſetz durch kleinliche Diſtinctionen und Spitzfindigkeiten, ziehen ihre
Clienten Jahre lang mit eitlen Hoffnungen hin, verrathen ſie auch
wohl für Geld an die Gegenpartei. Zu ihren Entſcheidungen bedürfe
es keines ſcharfen Geiſtes, nur des Gedächtniſſes und des Herumkramens
in den unentwirrbaren Commentaren, die einander oft widerſprechen.
Weit entfernt, von der Rundung und Schärfe oder von der Eleganz
der alten Juriſten etwas gelernt zu haben, ſeien ſie oft nicht im Stande,
ſich in lateiniſcher Sprache auszudrücken. Die Kanoniſten gar ſprechen
oft noch pomphafter wie die Civiliſten und thun, als ob ſie göttliche
Geheimniſſe zu enthüllen hätten. Dieſe ſogenannten kanoniſchen Sane⸗
tionen ſcheinen überhaupt nur erlaſſen, um Zank unter die Kleriker zu
bringen. Die ganze Wiſſenſchaft, die im Grunde auf dem Belieben
der Päpſte beruhe, ſei eine „neue Erfindung“, wenig über dreihun⸗
dert Jahre alt, nur brauchbar, um ewig über Beneficien ſtreiten zu
können. er
Die Aerzte ſieht Poggio mit den Advocaten in würdiger Parallele.
„Es iſt lächerlich zu ſehen, wie ganz bäuriſche Tölpel, die nichts geleſen
und nichts gelernt haben, die nur auf ihre Unverſchämtheit vertrauen,
ſich zur Heilkunde bekennen. Das dumme Volk ſchenkt ihren Worten
Vertrauen und ruft ſie zu den Kranken, deren Uebel ſie nicht heben,
ſondern nur verſchlimmern. Wohl uns, wären ſolche Menſchen niemals
geboren; denn ſie ſcheinen nur zum Verderben des Volkes geboren zu
ſein.“ — „Ihr ſeht den Kranken, ſeinen Harn und ſeinen Auswurf
mit gekniffenen Augen und mit gerunzelter Stirn an, als ob ſeine
ſchwere Krankheit einer großartigen Cur bedürfe. Dann wird der Puls
befühlt, in welchem ihr die Kräfte der Natur erkennt. Darauf wird
Conſilium gehalten und nach vielem Streit zu den Heilmitteln geſchrit⸗
ten, wie ihr euch ausdrückt. Darin aber ſeid ihr oft ſo uneinig, daß
454 VII. Staud der Theologie.
man recht ſieht, wie leichtfertig, nichtig und vieldeutig eure Wiſſenſchaft
iſt. Wenn euer Tränkchen durch guten Zufall genützt hat, ſo erhebt
ihr eure Cur in den Himmel; hat es geſchadet, ſo trägt der Kranke
alle Schuld.“
Später noch griff Poggio durch eine Fülle von Späßchen und
Anekdötchen, wie er ſie immer bei der Hand hat, die nichtsnutzigen
Advocaten und Quackſalber an. Es erſcheint ihm lächerlich, daß er
ſolche Menſchen als Gelehrte anerkennen ſoll, die „irgend ein Colle⸗
gium“ zu Doctoren ernannt. Sie ſeien oft jo dumm und unwiſſend,
daß man ihnen nicht das Prädicat von Menſchen zugeſtehen möchte.)
Die Theologie war im Grunde in daſſelbe Stadium getreten wie
die Jurisprudenz. Wie die Gloſſe zu den juſtinianiſchen Rechtsbüchern
und die Bartoli und Baldi zur Gloſſe, ſo ſtanden die alten Lehrer der
Kirche zur heiligen Schrift, und Thomas von Aquino oder Nicolaus
von Lyra zu den Kirchenvätern. Man ſchrieb Erläuterungen zu den
Erläuterungen, Umſchreibungen zu den Umſchreibungen. Man philoſo⸗
phirte über Gott und die Verträglichkeit ſeiner diverſen Eigenſchaften,
über das Blut Chriſti und die heilige Dreieinigkeit und ähnliche Dinge,
welche die grübelnde Vernunft nimmer ergründet. Ferner ſchloß ſich
während der ſogenannten Reformconcilien die Theologie mit dem kano⸗
niſchen Recht enge zuſammen, es handelte ſich hier eben mehr um
kirchliche Formen als um Dogmen, die Dogmatik und die Exegeſe
mußten ſich mißbrauchen laſſen, um die Rechts⸗ oder Verwaltungsinſti⸗
tute der Kirche als göttlichen und unabänderlichen oder als menſchlichen
und verwerflichen Urſprungs zu erweiſen. Stellte man die Bibel und
die alten Traditionen nicht höher als den Magister sententiarum
oder die Summa des heiligen Thomas, als die Canones und Decre⸗
talen, ſo traf jede Autoritätserſchütterung dieſer auch ſie und ſie muß⸗
ten getheiltes Schickſal leiden.)
Wir ſahen oben, wie zen ng beſtimmte Veranlaſſung ge
) Poggii Histor. discept. conviv. II. (Opp. p. 37 — 51). Ejusd. epist. ad
Benedictum Aretinum a. 1436 in Poggii Epistt. LVII. epist. 47. Die Späße
meiſtens in den Facetien.
) Die gewöhnliche Anſicht der Humaniſten über die damalige Philoſophie und
Theologie, wie über Mediein und Jurisprudenz lernen wir am beſten aus den Aeuße⸗
rungen eines unbedeutenderen Menſchen kennen, wie des Saſſolo Saſſoli da
Prato, der eben nur nachredet, was man bei den Humaniſten überall hörte. Vergl.
jeinen Brief bei Martene et Durand Collect, ampliss. T. III p. 849 8d.
VII. Humaniſten und Theologen. 455
reizt wurde, den Chriſten mit gefliſſentlicher Energie herauszukehren.
Aber auch abgeſehen von der ſcharfen Betonung, zu welcher ihn die
Polemik führte, ſtand in der That das Evangelium ihm perſönlich
näher als feinen Nachfolgern. Da er nicht nur als Schriftſteller, ſon⸗
dern auch als Weltweiſer hoch über der Maſſe ſtehen wollte, bedurfte
er des chriſtlichen Elementes zur Vollendung ſeiner Perſönlichkeit. Aber
er legte ſich im Hochgefühl ſeiner ſingulären Stellung diejenigen Leh⸗
ren des Chriſtenthums ſelber zurecht, die ihm paßten, wählte ſich unter
den Lehrern der Kirche einen Liebling, den heiligen Auguſtinus, und
behandelte die moderne Theologie mit unverhohlener Mißachtung. Die
Humaniſten nach ihm begnügten ſich mit dem ſchriftſtelleriſchen Ehrgeiz
und wurden gegen das Chriſtenthum mehr und mehr gleichgültig; auch
lag ihrer Zeit die religiöſe Erregung ungleich ferner als der kritiſchen
Epoche, in welche Petrarca's Leben fiel.
Boccaccio konnte der Verſuchung nicht widerſtehen, den Stoß, den
ſein Meiſter gegen die neueren Theologen geführt, nachdrücklicher zu
wiederholen. Sie hatten von ſeiner verehrten Poeſie geringſchätzig oder
gar feindſelig geſprochen, dafür rächt er ſich an ihrer Wiſſenſchaft.
Sie wollen ſich, ſagt er, ein Anſehen geben, wenn ſie ſich mit erhabe⸗
nen und dunkeln Worten in erhabenen und dunkeln Materien bewegen,
als zum Beiſpiel wie einer Gottheit drei Perſonen beigelegt werden
können, ob Gott einen ſich Aehnlichen ſchaffen könne, warum er die
Welt nicht viele tauſend Jahre früher geſchaffen als er gethan, und
dergleichen. Was ein Andrer darüber ſagt, nehmen ſie mit Achſelzucken,
vornehmem Lächeln und einigen leichtfertigen Bemerkungen hin, dann
aber laſſen ſie ſich ſelbſt in langer verwirrter Rede aus und mit die⸗
ſem Unſinn glauben fie die Höhen der Theologie erſtiegen zu haben.!)
Boccaccio iſt ein guter Chriſt, wenn es für genügend ange⸗
nommen wird, daß er von der chriſtlichen Lehre nie ohne Ehrer⸗
bietung geſprochen. Er iſt noch unſicher, vorſichtig und vermeidet den
Conflict. Selbſt gegen die Theologen hat er ſich, ſo viel wir ſehen,
nur dieſen einen Ausfall erlaubt. Aber ein eifriger Chriſt iſt er wahr⸗
lich nicht. Die heilige Geſchichte intereſſirt ihn eigentlich nur in der⸗
ſelben Weiſe wie die profane, ſie iſt vor ſeiner Luſt an allegoriſchen
Spielereien ebenſowenig ſicher als die helleniſchen Mythen. Seine
Ehrfurcht iſt eine hergebrachte, aber keine herzliche.
) De geneal. Deor. Lib. XIV cap. 8.
456 VII. Humaniſten und Theologen.
Zu Petrarca's und Boccaccio's Zeit ließ ſich noch hin und wieder
eine Stimme hören, die im Namen des Glaubens vor der humaniſtiſchen
Schwärmerei warnte. Boccaccio hielt es ſchon für nöthig, die Poeſie
und das Alterthum gegen die Vorwürfe des Heidenthums und der
Lascivität zu vertheidigen. Er erzählt von einem greiſen, durch Ge⸗
lehrſamkeit und heiligen Wandel ausgezeichneten Theologen, der von
ſeiner Katheder zu Florenz vor vielen Zuhörern das Evangelium Jo⸗
hannis auslegte, dabei aus freien Stücken auf die Dichter zu ſprechen
kam und nun ſo ſehr ins Feuer gerieth, daß ſein Geſicht erglühte, die
Augen blitzten und die Stimme donnerte. Er betheuerte hoch und hei⸗
lig, daß er nie eines von den Werken der Dichter geſehen habe und
auch keines ſehen wolle.) Solche Eiferer aber wurden in demſelben
Maße ſeltener, in welchem die Humaniſten kühner wurden. Die Hoch⸗
ſchulen haben den Kampf gegen ſie niemals mit einiger Energie aufge⸗
nommen. Auch das Haupt und die Prälatur der Kirche ſah ihrem
Treiben über ein Jahrhundert lang ſorglos zu. Die großen Herren
der Kirche wandten ihren Eifer gegen die Episcopaliſten des basler
Concils, gegen die Unabhängigkeitsgelüſte der gallicaniſchen Biſchöfe
und der deutſchen Reichstage, während ſie zu den Jüngern Cicero's und
Platon's im freundſchaftlichſten Verhältniß ſtanden. Der Gleichgültige
und Ungläubige iſt der Kirche zu allen Zeiten minder gefährlich er⸗
ſchienen als der vorlaute Ketzer, der eine Partikel des Glaubens beſſer
verſtehen will und an einem Steine des äußeren Kirchenbaues zu rüt⸗
teln wagt. Die Mönche allein witterten mit feiner Naſe, daß die Liebe
zum Heidenthum einen gefährlichen Funken in ſich trage und daß auch
dem nicht ganz zu trauen ſei, der über bedenkliche Materien salva fide
"und dann deſto kühner disputirte. Aber auch die Mönche haben ſich
mit Gegenſchriften und kleinen Verfolgungen begnügen müſſen, der
Scheiterhaufen iſt für keinen der Humaniſten gerichtet worden.
Salutato war ein ſo blinder Ciceronianer, daß in ſeinem Herzen
für Chriſtenthum und Kirche ſchwerlich viel Platz blieb. An ihm rie⸗
ben ſich die Mönche zuerſt. Der Dominicaner Fra Giovanni di Do⸗
menico fand in ſeiner Abhandlung de fato et fortuna eine Reihe von
Sätzen, die dem katholiſchen Glauben zuwider ſchienen, er ſchrieb feine
Lucula noctis dagegen. Noch eifriger wollte der Camaldulenſer Gio⸗
vanni da San Miniato die Lectüre der profanen Dichter überhaupt
) Boccatii de geneal. Deor. Lib. XIV cap. 15.
VII. Das frivole Spiel mit dem Heidenthum. 457
verboten wiſſen, weil ſie die Gemüther mit eitlen und heidniſchen Vor⸗
ſtellungen füllten und wie eine Peſt die guten Sitten zerſtörten. Der
florentiniſche Staatscanzler fürchtete ſich ſo wenig, daß er den Streit
noch ſchürte, einige Briefe gegen den Mönch ſchrieb und ihn einen Ein⸗
fältigen ſchalt (1406). Wie heftig aber die Meinungen ſchon damals
auseinanderwichen, zeigt der Fanatismus einiger Frennde jenes Mönchs,
die ſelbſt von Auguſtinus' „Gottes ſtaat“ mit Unwillen ſprachen, weil
alte Dichter darin allegirt würden.)
Aber fanatiſche Ausfälle der Art erſchienen ſehr bald als bornirt
und abgelebt. Der ernſte Kampf ſchlief immer mehr ein. Auch zeigten
die modernen Dichter und Philoſophen als gewandte Hof- und Welt⸗
männer keine Anwandlung von hartnäckigen Meinungen und ketzeriſcher
Verſtocktheit. In ihrem Verkehr unter einander waren kirchliche und
religiöſe Themata eher gemieden als geſucht. Sie traten zum Theil in
den Dienſt der Kirche, ſchmeichelten den Päpſten, Cardinälen und Bi⸗
ſchöfen, ſprachen vom Glauben mitunter ſogar wie Begeiſterte. Warum
ſollte man ihnen nicht ihre claſſiſchen Tummelplätze laſſen, drängten
ſie ſich doch nicht auf das Gebiet der Kirche. Man gewöhnte ſich, ihr
Spielen mit dem Heidenthum als eine unſchuldige Liebhaberei zu be⸗
trachten, die man, ohne ſich lächerlich zu machen, nicht mit ernſter Rüge
verfolgen könne. Wer wollte einen Lärm daraus machen, wenn der
lebhafte Redner einmal eine claffifche Betheuerungsformel einflocht, wer
ihn der Vielgötterei beſchuldigen, wenn er, ſtatt den einen Gott anzu⸗
rufen, einmal ſagte: ihr Götter! Wer wollte den Dichter, wenn er die
Begier des ſündlichen Fleiſches als Amor perſonificirte und ſtatt der
göttlichen Gnade die Huld Apollon's und der Muſen anflehte, deshalb
der Abgötterei zeihen? Wer den Philoſophen vor die Ingquiſition zie⸗
hen, weil er vom Fatum und von der Fortuna ſtatt von der göttlichen
Vorſehung geſprochen und eine Sentenz Cicero's neben eine des Apo⸗
ſtels Paulus geſtellt? Allerdings ſchritt dieſe geiſtreiche Leichtfertigkeit
oft bis nahe zur Grenze vor, wo das Heidenthum ſich mit der chriſt⸗
lichen Lehre nicht mehr wohl vertragen wollte und nur noch die dichte⸗
riſche Licenz als Entſchuldigung dienen konnte. Filelfo ſprach in einem
Gedichte Papſt Nicolaus als denjenigen an, der „den Thron des olym⸗
) Leander Albertus de vir. illustr. Ord. Praedic. Lib. III. Salutati
Epistolae ed. Rigacci P. I. p. XVI. XX. Auszüge aus den Streitſchriften bei
Mehus Vita Ambr. Travers. p. 292. 302.
458 VII. Das frivole Spiel mit dem Heidenthum,
piſchen Jupiter hüte.“ Als er einem Freunde brieflich zur Hochzeit
gratulirte, behauptete er mit naiver Dreiſtigkeit, alle übrigen Sacra⸗
mente gründeten ſich auf menſchliche Geſetze und Sitten, nur die Ehe
ſei von Gott und im Paradiſe als Sacrament eingeſetzt.) Filelfo's
Schüler, Enea Silvio, war bereits Biſchof von Siena, als er von
einem Verſtorbenen mit Salbung ſchrieb: „Nicht mit jenem Jupiter,
den das blinde Alterthum für den Höchſten hielt, ſondern mit Chriſtus
und Gott leert er die Nektarbecher und trinkt vom Gewächſe des Wein⸗
ſtocks im Reiche des Vaters“. In demſelben Briefe bezeichnet er Gott
als den oberſten Arzt in allen Krankheiten, „und Gott iſt, wenn wir
dem Seneca glauben, ein Jeder ſich ſelbſt.“ )
Es liegt allerdings ein tiefer Sinn in dieſen dichteriſchen Spiele⸗
reien. Wer mit den helleniſchen Göttern und mit den römiſchen Dich⸗
tern und Philoſophen tändeln gelernt, verlor natürlich den Sinn für
ſtarre Glaubensformeln und für gewiſſenhafte Religioſität. Mit wel⸗
chen Augen betrachtete ein Poggio den Märtyrertod des Hieronymus
von Prag! Der Begriff eines Glaubenshelden und der eines Ketzers,
beide liegen ihm gleich fern. Er fieht in Hieronymus den Stoiker,
der gleichmüthig, ja verachtend dem Tode entgegengeht, er vergleicht
ihn mit Sokrates, Mucius Scävola und dem jüngeren Cato, er be⸗
wundert ſeine Beredtſamkeit vor den Vätern des Concils und findet,
daß ſie ſich der antiken nähere. Ob dieſer Mann wirklich ein Ketzer
war und den Tod verdient, will er nicht entſcheiden, er überläßt das
Urtheil denen, „die für weiſer gehalten werden“, den Theologen, ver⸗
hehlt aber ſeinen Zweifel nicht.) So ſchrieb er darüber ſeinen Freun⸗
den in Italien, einem Francesco Barbaro und Lionardo Bruni, und
dieſe bewunderten — die Eleganz ſeines Briefes, obwohl Bruni meinte,
er verrathe doch eine zu große Vorliebe für den Ketzer und möge in
Zukunft vorſichtiger über ſolche Dinge ſchreiben.) Aber Männer wie
Poggio hatten die geiſtliche Gewalt zu fürchten verlernt. Waren auch
die Wächter der Orthodoxie einmal geneigt, den Uebermuth irgend eines
Verhaßten zu ſtrafen, ſo entwanden ſich die leichten Humaniſten dem
y Philelphus Friderico Cornelio v. 15. Octob. 1439. Erſt der neueſte Her⸗
ausgeber feiner Briefe Meucei eitirt dagegen ernſthaft den Canon der 7. Sitzung
des Tridentinums.
) Brief an Piero da Noceto v. 7. Mai 1456.
) Der Brief iſt oft gedruckt, auch in Poggii Opp. p. 201.
.) Leon. Bruni epist. IV, 9 rec. Mehus.
VII. Frivolität der Sitte. 459
Arme der Inquiſition wie unfaßbare Neckgeiſter. Ein Beccadelli nahm
mit leichtem Herzen Alles zurück, was er Anſtößiges geſagt, ein Valla
verſicherte ſeine feſte Anhänglichkeit an die Mutter Kirche, und beide
lachten hinterdrein. N
Es wuchs unter dem humaniſtiſchen Treiben eine üppige Frivolität
heran, das Gegenſtück zu Petrarca's ernſtem Tugendſtreben. Sie zeigte
ſich in den Schriften, aber ſie zeigte ſich auch recht bedenklich im Le⸗
benswandel und in der vornehmen Indifferenz, mit welcher den ein⸗
fachen Geboten der Sittlichkeit Hohn geſprochen wurde. Die Prieſter⸗
weihe war ein Punct, um welchen jeder dieſer Schöngeiſter in feiner
Weiſe herumzukommen ſuchte. Meiſtens waren ſie arm, hatten aber
gute Freunde an der Curie und gute Protectionen bei den Großen der
Kirche und der Welt. Die Kirche als Verſorgungsanſtalt zu benutzen,
nach ihren Pfründen zu jagen, lag ihnen beſonders nahe; dazu aber
war die Uebernahme des geiſtlichen Charakters oft eine unerläßliche
Bedingung, der ſich die meiſten ohne Bedenken fügten. Die Einen
wurden nun Prieſter, wenn der Kelch der Lebensfreuden erſchöpft war
und fie ſich ein behagliches Alter zu ſchaffen wünfchten, Andre nahmen
die Weihe, kümmerten ſich aber nicht um die Pflichten, welche ſie auf⸗
legte, und wußten ſie wieder von ſich zu ſchaffen, wenn es ihnen ge⸗
legen war. Sehen wir bei einer Reihe der namhafteſten Humaniſten
zu, wie ſie es mit Weihe oder Ehe, Cölibat oder Concubinat hielten.
Bruni handelte nach damaligen Begriffen ohne Fehl: ſo lange er
ſich der römiſchen Curie anſchloß und hier zu ſteigen hoffte, war er
Kleriker; als man ihn nach Florenz an die Staatscancelei rief, ließ er
ſich dispenſiren und nahm eine Gattin. Filelfo war zwar ſchon jung
und dreimal vermählt, wir haben auch ſeine prieſterlichen Gedanken
erwähnt, die ihn jedesmal in den Intervallen nach dem Tode einer
Frau heimſuchten; dennoch gedenkt er in ſeinem Teſtament noch zweier
natürlicher Kinder und hatte ihrer wahrſcheinlich bedeutend mehr.“)
Dem Valla war von Poggio vorgeworfen worden, daß er die Magd
ſeines Schwagers geſchwängert. In der niedrigen Magd lag das be⸗
laſtende Moment, im Uebrigen will das Vergehen Poggio ſelbſt, indem
er die Wirkungen der Nacht und des Weines erwägt, verzeihlich ſchei⸗
nen. Valla's keckes Geſtändniß geht indeß noch weit über den Vor⸗
wurf des Gegners hinaus. Er habe nicht heirathen wollen, wozu ſeine
) Saxius Histor. liter. typogr. Mediol. p. 222.
460 VII. Frivolität der Sitte.
Verwandten ihn oft ermahnt, weil es ihm immer noch im Sinne ge⸗
legen, Kleriker zu werden. Sein Schwager aber und Andre hätten
ihn mit ſeiner jungfräulichen und froſtigen Natur geneckt und ſeine
Ehetüchtigkeit bezweifelt. Um ihnen nun zu beweiſen, daß ſeine Ent⸗
haltſamkeit vielmehr aus der Tugend entſprungen, zugleich aber auch,
um ſein dem Ausſterben nahes Geſchlecht irgendwie fortzupflanzen, habe
er mit jener Magd in zwei Jahren drei Kinder gezeugt.) Uebrigens
wird außerdem einer Concubine gedacht, von der er einen Sohn hin⸗
.terließ.”)
Poggio hatte die vorläufige Weihe genommen, weil ohne fie das
Fortkommen an der Curie zu dürftig ſchien. Deshalb aber fand er
keine Urſache zu leugnen, daß in Rom drei feiner Baſtarde umherliefen.
Cardinal Ceſarini, der den Literaten hold war, machte ihm darüber
Vorwürfe: er ſolle entweder die vollgültige Weihe oder ein Weib neh⸗
men. Poggio antwortete ihm ſcherzend. Die Tonſur wolle er nicht,
ſie nehme mit dem Haupthaar auch Gewiſſen und Tugend hinweg.
Auch fühle er ſeine allerdings ſehr ſchwankende Sittlichkeit der Würde
des geiſtlichen Amtes nicht gewachſen.) In allen Ländern ſei es Sitte,
daß Mönche und Aebte, Biſchöfe und höhere Würdenträger Kinder
hätten, auch von Wittwen, verheiratheten Frauen und ſogar von gott⸗
geweihten Jungfrauen. So müſſe er oft mit Lachen an einen gewiſſen
italieniſchen Abt denken, der in Begleitung eines erwachſenen Sohnes
vor Papſt Martin V trat; darüber zur Rede geſtellt, bekannte er frei⸗
müthig zur großen Beluſtigung des Papſtes und der ganzen Curie, er
habe noch vier andre Söhne, welche die Waffen tragen könnten, und
ſie alle ſtänden zu Seiner Heiligkeit Dienſten. Gewiß, wenn ein Abt
jo ſprechen durfte, warum ſollte ein junger Canceliſt, der auf Heilig:
keit des Wandels keinen Anſpruch machte, ſich ſeiner Nachkommenſchaft
nicht rühmen? Der Cardinal hatte ihm vorgeworfen, er habe nun ſchon
drei Kinder, was doch einem Kleriker zum Vorwurf gereiche, und er
lebe als Vater ohne Gattin, was ſelbſt einem Laien nicht zieme. Pog⸗
gio entſchuldigte ſich mit einer feinen Wendung: er habe Kinder, was
) Valla Antid, in Poggium Lib. IV (Opp. p. 362). Auch Enea Silvio de
Piccolomini könnte hier als Beiſpiel aufgeführt werden; vergl. meine Biographie
Bd. 1 S. 285 ff.
) Jo. Ant. Vigerini Elogium Vallae bei Georgius Vita Nicolai V. p. 208.
) Aehnlich reflectirt er in einem Briefe an Niccoli unter denen des Am br.
Travers. XXV, 39.
VII. Frivolität der Sitte. 461
einem Laien gut anſtehe, und er lebe ohne Gattin, der hergebrachten
Sitte des Klerus gemäß.) — Dieſe drei erſten Söhne hat Poggio
Soldaten werden, das will ungefähr ſagen, verkommen laſſen. Außer⸗
dem hatte er eine Tochter. Dann war er einer Concubine Namens
Lucia ſo wunderbar treu, daß er zwölf Knaben und zwei Mädchen
mit ihr erzeugte. Davon waren vier noch am Leben, als es ihm im
Jahre 1435 zum Erſtaunen ſeiner Freunde beifiel, zu heirathen. Die
Concubine erhielt nun den Laufpaß und auch die Legitimation feiner
noch übrigen Baſtarde wurde wiederaufgehoben.) Poggio war damals
ein Mann von 54 Jahren und die Erwählte war eine achtzehnjährige
Florentinerin Vaggia degli Buondelmonti. Freudig zeigte er ſeine Hoch⸗
zeit dem Cardinal Ceſarini an. Vor dem geiſtlichen Stande habe er
immer einen unüberwindlichen Abſcheu gehabt, weil er das Alleinleben
nicht gemocht. Darum habe er lieber ein ehrenhaftes Weib genommen.
„Da Gott mir gnädig war, als ich vom rechten Pfade abirrte, wird
er jetzt, nun ich ihn betreten, mit noch reicherer Hand ſeine Barmher⸗
zigkeit auf mich herniederſchütten.““) An Segen ſcheint es ihm in der
That nicht gefehlt zu haben: er war ſelbſt ein wohlhabender Mann und
Vaggia brachte ihm noch 600 Gulden Mitgift; an Kinderſegen auch
nicht, wenigſtens verkündete Poggio noch in ſeinem ſiebzigſten Lebens⸗
jahre dem Carlo d' Arezzo, Gott habe ihm fo eben ein Söhnchen ge-
ſchenkt, ſchöner und größer als die übrigen.) Der Papſt zwar meinte
lachend, als er von Poggio's Ehe erfuhr, dieſer werde ſeiner Frau
nach einem halben Jahre überdrüſſig ſein, und die florentiniſchen
Freunde lachten gleichfalls, den alten Sünder, der ſich bis dahin viel⸗
leicht mit der Hoffnung geſchmeichelt, an der Curie noch ein Bisthum
) Poggii epist. 27. in Epistt. LVII.
) Valla Antid. in Poggium Lib. IV (Opp. p. 349. 363). Obwohl dieſe letz⸗
teren Nachrichten alſo von dem heftigſten Gegner Poggio's kommen, ſcheinen es doch
Facten, die nicht leicht erfunden fein dürften. Au die Verſtoßung der Concubine,
deren Namen Filelfo Conviv. Mediol. Lib. II nennt, knüpft Shepherd, der Biograph,
folgende fromme Bemerkung: It is to be hoped, however, that he experienced
the keenest remorse of self-accusation for his former licentiousness (p. 301),
doch zeigen einige Briefe, die er in dieſer Zeit ſchrieb, keine Anwandlung von Reue,
im Gegentheil die ganze Seligkeit der Flitterwochen.
) Poggii epist. 37. in Epistt. LVII an den Cardinal von S. Angelo vom
26. Mai 1435. \
) Die Stelle des Briefes theilt aus der Handſchrift Mai mit im Spicileg.
Roman. T. X p. 293.
462 VII. Frivolität der Sitte.
zu erjagen, in den Hafen des ehelichen Lebens einlaufen zu ſehen.
Gewiß hat Niccoli, der alte Hageſtolz, ſo ſpöttelnd dreingeſehen, wie
es ihm Poggio in dem Werkchen unterlegt, welches er vamals ſcherzend
zu ſeiner Vertheidigung über die Frage ſchrieb, ob ein Greis noch hei⸗
rathen ſolle.) Es iſt ein Dialog zwiſchen Niccoli, der jede Ehe für
eine Laſt und die Ehe eines älteren Mannes für baare Thorheit er⸗
klärt, und Carlo von Arezzo, der Poggio's Sache vertheidigt, obwohl
im Leben auch er Junggeſelle blieb. Nebenher geht die Frage, ob der
ältere Mann beſſer thue, eine gleichaltrige Dame oder eine Wittwe
oder ein junges Mädchen zu ehelichen; ſie wird natuͤrlich auch im
Sinne Poggio's entſchieden.
Es iſt kein Zweifel, daß auch jene geſchlechtliche Verirrung, zu
deren Bezeichnung das Volk der Griechen feinen Namen leiht, in Sta
lien während des 15. Jahrhunderts nicht nur in einzelnen Fällen und
im ſcheuen Dunkel ſich regte, ſondern hier und dort wie eine mora⸗
liſche Peſt herrſchte. Die Kirche und die Geſetzgebung, die mit ihr
und unter ihrem Einfluß entſtanden, hatte dieſes Laſter mit furchtbarem
Ernſte bedroht, mit der Schande gebrandmarkt und nahezu ausgerottet.
Mit den helleniſchen Mythen, die es im reizenden Gewande vorführen,
und mit den römiſchen Dichtern, die es im leichtfertigen und üppigen
Tone behandeln, ſchlich es ſich in die moderne Welt wieder ein. Nea⸗
pel, Florenz und Siena werden als die Hauptſitze aller Schwelgerei
und der unnatürlichen Lüſte bezeichnet.) Neapel war es wohl, wo
der heilige Bernardino gegen das griechiſche Laſter ſeine öffentlichen
Predigten richtete und den Sündern den Zorn des Herrn verkündete,
der ſie mit Feuer und Schwefel wie Sodom und Gomorrha von der
1) An seni sit uxor ducenda. Von dieſem Dialog, der Coſimo de' Medici ge⸗
widmet iſt, befaß Apoſtolo Zeno (Dissert. Voss. T. I p. 48) eine Abſchrift, mehr
aber wußte auch Shepherd von ihm nicht zu ſagen. Unter ſolchen Umſtänden müſſen
wir zufrieden fein, eine vollſtändige Ueberſetzung im VI. Stück der „Tranßlation oder
tütſchungen des Nicolai uon wyle: den zyten Statſchreiber der Stat Eſſelingen“
(Straßburg, 1510 fol. und fpäter) zu leſen. Sie lieſt ſich, iſt gleich Poggio's Latein
unnachahmlich, doch mit viel Intereſfe. Poggio gedenkt des Werkes in epist. 29. im
Spicil. Roman. T. X, auch Aeneas Sylvius de vir. clar. XVI.
) Anton. Panorm. Hermaphr. Epigr. I, 13. — Ueber die zu Florenz
herrſchende Sittenloſigkeit klagen ſelbſt Florentiner, z. B. Poggio epist. 87. im
Spicileg. Roman. T. X: Nulla alibi tanta peccandi licentia pueris adolesoenti-
bus quam apud nos permittitur, nullo in loco tanta ejus aetatis est virtutis
incuria. Ueber Siena vergl. Filelphi Satyr. Dec. V. hec. 10.
VII. Die Zote als Literaturzweig. 463
Erde tilgen werde.) Unter den Schändlichkeiten, welche die Humani⸗
ſten einander vorwerfen, nimmt die Pädication gemeinhin die erſte
Stelle ein. Filelfo richtete dieſe Beſchuldigung gegen Porcello,) Bec⸗
cadelli gegen den ſaneſiſchen Profeſſor Mattia Lupi, der nicht etwa
irgend ein dunkler Grammatiker war, ſondern zugleich ein berühmter
Rechtslehrer und ein gekrönter Dichter, der Stolz der Republik,“)
Poggio gegen Valla, Valla gegen Poggio u. ſ. w. Wir ſind auch hier
weit entfernt, den Juvectiven Glauben zu ſchenken, aber ſchon daß in
dieſer Weiſe mit einem Schein von Glaubwürdigkeit geſprochen werden
durfte, daß überhaupt jenes Laſter als ein durchaus nicht ungewöhn⸗
liches behandelt wird, ſcheint uns ein unwiderlegliches Symptom der
Entſittlichung.
Die Zote und der frivole Witz wurden von den Humaniſten als
ein eigener Literaturzweig gepflegt. Darin kam den Italienern eine
unverkennbare nationale Anlage zu Hülfe, das Widerſpiel ihrer Nei⸗
gung zur ſtumpfen Bigotterie. Dieſe Literatur hat dem gemeinen Leben
immer am nächſten geſtanden und die höchſte Popularität genoffen.
Gleich der erſte Meiſter der tusciſchen Proſa und des erzählenden Stils
iſt der Schöpfer der Zote geworden, Franco Sacchetti ſtand ihm zur
Seite und dieſe Schule ſtarb in Italien nicht mehr aus. Die gemeine,
derbe oder ſchlüpfrige Sinnlichkeit blieb das Lieblingsmotiv; meiſtens
wurden Geiſtliche, Mönche und Nonnen die Träger der Handlung, die
Zielſcheibe des Witzes. Es bedurfte für die Humaniſten alſo nicht erſt
der reichen Erfahrungen, welche die Römer in ihre Dichtungen nieder⸗
gelegt, um dieſes Talent zu wecken, wohl aber erhielt es durch ſie eine
veränderte, gleichſam claſſiſche Richtung. Die namhafteſten Humaniſten
haben es nicht verſchmäht, die Gewandtheit ihrer Feder auch auf die⸗
ſem Felde zu erproben, durch leichte Darſtellung und feines Latein das
) Vespasiano: Vita di S. Bernardino 5 1. im Spicileg. Roman. T. I.
Die 15. Predigt des 2. Bandes der Werke Bernardino's handelt de peccato Gomor-
rhoeorum. Mit dieſem Namen oder dem der Sodomie ſcheinen die Bettelmönche
vorzugsweiſe die Knabenliebe zu bezeichnen.
) Er lehre feine Schüler ſtatt der Grammatik paedicandi leges — furis in
pueros — paedico unicus etc. Vergl. Filelfo's Werk de jocis et seriis bei
Rosmini T. III p. 161—163. Vielleicht ift es wiederum Porcello, der in Filel-
Phi Satyr. Dec. II. hec. 5. unter dem Namen Hypocritus als knabenſchänderiſcher
Schulmeiſter verſpottet wird.
)Mehus Vita Ambr. Travers. p. 379.
464 VII. Die Zote als Literaturzweig.
zu erreichen, was ſie bei den antiken Vorbildern als Urbanität be⸗
wunderten.
Von Beccadelli’s Fermaphroditus iſt bereits geſprochen wor⸗
den. Wir wiſſen, daß dieſes Buch zwar von den Mönchen angefein-
det und auf den Scheiterhaufen gebracht wurde, bei den Humaniſten
aber faſt ungetheilten Beifall errang.) Hier wollen wir hören,
wie der Dichter ſelbſt es vertheidigte; denn auch er fühlte ſehr wohl,
welch einen kühnen Sturm gegen das Moralſyſtem er gewagt, ob⸗
wohl er Religion und Kirche unmittelbar ganz unberührt gelaſſen.
Er bezeichnet die Feinde ſeines lasciven Buches entweder als Neider
oder als ungebildeten Pöbel, der keine Ahnung von den ehrwürdi⸗
gen claſſiſchen Muſtern habe, denen er als Dichter gefolgt ſei. Der
Gebildete werde wiſſen, daß „gelehrte, ernſte und heilige Männer“
Aehnliches geſchrieben, ſo Catullus, Tibullus, Propertius, Juvenalis,
in jüngeren Jahren auch Virgilius. Und Ovidius ſage doch oft ſcheuß⸗
liche, nur ins Bordell gehörige Dinge. Auch Solon, der Cyniker
Diogenes und der Stoiker Zenon hätten Verſe der Art gedichtet, vor
Allen aber die lesbiſche Sappho. Selbſt von Platon, der doch an
einen Gott geglaubt, beſitze man ein ſolches Epigramm.“) „Wer zwei⸗
felt, daß Annäus Seneca Chriſtum gekannt habe, ein Freund des Apo⸗
ſtels Paulus geweſen und in das Verzeichniß der Heiligen aufgenom⸗
men ſei? ) Und doch hat er, wenn wir Plinius Secundus“) Glauben
ſchenken dürfen, nicht nur ernſte Dinge, ſondern auch ſcherzhafte und
witzige geſchrieben.“ — Wir ſehen den claſſiſchen Autoritätsglauben,
wie er den kirchlichen verdrängt und an ſeine Stelle tritt. Dabei
meint Beccadelli, man könne recht wohl ein obſcöner Dichter und doch
ein reiner und keuſcher Menſch fein.) Er beruft ſich auf einen be⸗
1) Beccadelli bezeichnet es in einem Briefe an Guarino (in Forberg's
Ausg. des Hermaphroditus p. 2) als plurimorum judicio probatum e
magnifice.
) A. Gellius ſelbſt, der es anführt (Noct. Attic. Lib. XIX, 11) 85 ſeine
Echtheit dahingeſtellt ſein.
) An den Verkehr zwiſchen Paulus und Seneca und an die Echtheit des Brieſ⸗
wechſels zwiſchen ihnen hat man bekanntlich noch bis in die neueſten Zeiten geglaubt.
) Plinii epist. V, 3.
) Hermaphr. Epigr. I, 1:
Hac quoque parte sequor doctos veteresque poetas,
Quos etiam lusus composuisse liquet,
Quos et perspicuum est vitam vixisse pudicam etc.
VI. Die Zote als Literaturzweig. 465
redten und berühmten Mönch, deſſen Predigten er oſt beigewohnt, wahr⸗
ſcheinlich den heiligen Bernardino von Siena: der habe in ſeinem Eifer
oft ſo nackte Dinge geſagt, daß man ſich nicht in der Kirche, ja nicht
einmal auf offenem Marktplatze zu befinden gemeint; deshalb werde
man ihn nicht für einen ſchaamloſen Menſchen halten wollen. Den⸗
ſelben Sinn und dieſelbe Abſicht verfolge auch er in Witz und Scherz;
ſeine Verſe ſeien um ſo heiliger, weil ſie oſfen ſind.)
Zum Hermaphroditus bilden allein Poggio's Facetien ein würdiges
Seitenſtück. Als er ſie zuſammenſtellte und veröffentlichte, ſtand er in
ſeinem ſiebzigſten Lebensjahre. Der alte Curiale trug nicht die min⸗
deſte Scheu, Kleriker und Mönche, ja die heiligen Ceremonien der
Kirche in ſeine obſcönen Späßchen zu verflechten. Die Mehrzahl der⸗
ſelben ſtammte aus jenem Bugiale zu Rom, wo die apoſtoliſchen Se⸗
cretäre ihren Witz übten.) Poggio nimmt ſich nicht mehr die Mühe,
die Berechtigung ſolcher Schriften erſt aus dem Beiſpiel würdiger Vor⸗
gänger zu erweiſen. Die Rigoriſten, ſagt er kurz, mögen immerhin
aufhören, das Buch zu leſen, er habe es zur Erheiterung ſeines Ge⸗
müths und zur Uebung ſeines Geiſtes, für lachluſtige und humane Leſer
geſchrieben; denn der Geiſt müſſe eine Erholung von ſeinen Arbeiten
und Sorgen haben, und die Gewandtheit des lateiniſchen Ausdrucks
müſſe auch in der niedern Sphäre geübt werden.) Bemerkenswerth
iſt auch, daß Poggio von den Verfechtern des Heiligen nicht die ge⸗
Und Epigr. II, 1:
Crede velim nostra vitam distare papyro.
Si mea charta procax, mens sine labe mea est.
Er beruft ſich auf Catullus (Carm. XVI):
Nam castum esse decet pium poetam
Ipsum; versiculos nihil necesse est,
Qui tum denique habent salem ac leporem,
Si sunt molliculi ac parum pudieci
Et, quod pruriat, incitare possunt.
) Anton. Panormita Poggio, abgedruckt in Forberg's Ausg. des Herma⸗
phroditus p. 5.
) Vergl. oben S. 275. i
) Praefat. in Facet. Lib. — Gegen die verſuchte Nechtfertigung Recanati's,
als dürften viele der frivolſten Geſchichten erſt ſpäter und alſo nicht von Poggio der
Sammlung einverleibt fein, weil fie in zwei Handſchriften fehlen, hat Shepherd
Life of Poggio p. 443 mit Recht geltend gemacht, daß ſchon Valla (Antid. in
Pogg. Lib. IV) etwa 1452 einige der ſchlimmſten Geſchichten erwähnt, die wir in
der Sammlung wirllich finden. ö
Voigt, Humanismus. 30
466 VII. Die Zote als Literaturzweig.
ringſte Beläſtigung wegen ſeines Buches erfuhr. Noch vor etwa zwanzig
Jahren war Beccadelli's Werk wüthend verfolgt und bis auf wenige
Exemplare ausgerottet worden; die Facetien wurden in Frankreich,
Deutſchland, Spanien und Britannien geleſen, ſchon vor dem Jahre
1500 erſchienen ſie 26mal im Druck und in drei italieniſchen Ueber⸗
ſetzungen.) Erlahmte der Widerſtand der Mönche fo ſchnell und war
er in dem freiſinnigen Zeitalter Nicolaus' V ſo gänzlich dahingeſchwun⸗
den, oder flößte Poggio's giftige Laune ſelbſt dieſen Gegnern Furcht ein?
Noch manches Werk gehört hieher, deſſen Andenken durch ſpätere
Erſcheinungen ähnlicher Art, zumal durch die tusciſchen Novellenbücher
hinweggeſpült oder doch nicht durch die Buchdruckerkunſt verewigt iſt.
Porcello de’ Pandoni wurde wegen der Unfläthigkeit feiner Verſe als
Rival Beccadelli's aufgeführt, an der Perſon wie am Namen des
Dichters ſchien die Eſſenz der Unſittlichkeit und des Schmutzes zu haf⸗
ten. Auch Filelfo blieb nicht zurück: fein Werk de jocis et seriis,
eine Epigrammenſammlung in zehn Büchern zu je tauſend Deren, ift
niemals edirt worden, uns genügt das Urtheil ſeines Biographen, dem
das Schaamgefühl verbot, Proben aus der ihm vorliegenden Hand⸗
ſchrift mitzutheilen.) In den beiden Büchern, die Filelfo als Con-
vivia Mediolanensia herausgab, wird gleichfalls das Mahl durch der⸗
gleichen piquantes Beiwerk gewürzt?) und in den Satiren erreicht er
nicht ſelten die Schaamloſigkeit feiner römiſchen Vorbilder.“) Selbſt
Lionardo Bruni, der ernſte und feierliche Mann, widerſtand nicht der
Verſuchung, feine Feder in dieſem Stil, der ja als ein claſſiſcher galt,
zu üben. Er las in des Lampridius Geſchichte, wie Kaiſer Elagabal
die Dirnen Roms in ein öffentliches Gebäude zuſammengerufen, als
Commilitonen in einer Feldherrnrede begrüßt und mit ihnen über die
verſchiedenen Gattungen der Wolluſt disputirt habe.) Eine Rede der
Art aufzuſetzen, erſchien Bruni, zumal da ihn Niccoli noch anreizte,
als eine würdige Aufgabe.“) Als beliebt und gern geleſen haben wir
) Nach Ludo v. Hain Repertor. bibliograph. s. v. Po g gius.
2) Rosmini Vita di Filelfo T. II p. 154: molto potrebbe nuocere al buon
costume per le orribili oscenità che vi sono sparse, e per motti tolti di mezzo
ai trivj ed ai postriboli. — Handſchriften des Werkes in der Ambroſiana zu Mai⸗
land und in der Franciscaner⸗- Bibliothek zu Ceſena.
) Ich habe die Spiris 1508 erſchienene Ausgabe vor mir, ſie iſt nicht paginirt.
) Vergl. z. B. Dec. III. hec. 2.
) Aelius Lampridius in Antonino Heliogabalo cap. XXVI.
9) Proben derſelben vor Forberg's Ausg. des Hermaphr. p. V. Bruni ſchricb
VII. Lockerung der Autoritäten. 467
hier noch Enea Silvio aufzuführen, der feinen frivolen Stil ganz nach
Poggio gebildet und dieſen Meiſter beinahe erreicht hat. Seine Briefe
erotiſchen Inhalts, bald leichtfertige, Vertheidigungen der Liebe, das
heißt des Sinnengenuſſes, bald wenig ernſtgemeinte Mahnungen zur
Keuſchheit, feine ſchlüpfrige Novelle Euryalus und Lucretia, feine Scherze
und Hiſtörchen waren in Deutſchland nicht minder verbreitet als in
Italien Poggio's Facetien und erſchienen nur um ſo anziehender, ſeit⸗
dem ihr Verfaſſer ſeine Jugendſünden vom apoſtoliſchen Stuhl herab
verdammt hatte.
Doch warum einzelne Werke hervorheben, wenn wir den frivolen
Zug in dieſer humaniſtiſchen Literatur erkennen wollen? Dieſelbe Er⸗
ſcheinung, die ſich im Hermaphroditus und in den Facetien nur ver⸗
dichtet zeigt, tritt dem aufmerkſameren Auge eigentlich aus allen Schrif⸗
ten jener Männer entgegen. |
Die Autorität ift das zuſammenhaltende Band, durch welches die
Bewegung der Geiſter in eine ſtraffe Richtung geleitet wird, ſie iſt ein
einiges, aber aus vielen Fäden zuſammengeſchlungenes Band. Wer an
einem dieſer Fäden zerrt und lockert, verletzt das Ganze. So ſtehen
auch die religiöſen und ſittlichen Grundſätze eines Zeitalters alle ſoli⸗
dariſch für einander. Wo ſie mit dem Ernſte des innerſten Menſchen
angegriffen werden, reift die ſittliche Freiheit und Fortbildung heran.
Wo aber die Leichtfertigkeit das Heilige mit dem Gemeinen miſcht, da
entſteht überall und auf allen Gebieten die Frivolität. In ihr hebt
ſich der perſönliche Menſch in ſeiner intenſivſten Kraft, dem ſtechenden
Witz und dem verachtenden Spott, über das Ehrwürdige hinaus, ſeine
ſpielende Keckheit ſteht zu dem ernſten und ſchweren Object im reizen⸗
den Gegenſatz, er hat die Leichtfertigen, die Neuerungsſüchtigen, die
Lacher allemal auf ſeiner Seite. Wie ſich ſelbſt, ſo lockert er auch ſie
von dem Boden des guten alten Herkommens, des blinden Glaubens
und der keuſchen Sitte los, um ſie auf unſtäter, aber lieblicher Welle
ſchaukeln zu laſſen. So liegt in dem frivolen Treiben eine anſteckende
und gefährliche Kraft, die ſcheinbar im Kleinen ſpielt und doch unbe⸗
rechenbar ins Große wirkt, die das verjährte Vorurtheil und die Dumpf⸗
heit oft mit dem erſtaunlichſten Erfolge bekriegt, aber mit dem Unkraut
auch den geſegneten Halm ausreißt.
unter das Werk: Leonardus Arretinus recreandi ingenii causa ridens ludensque
dictavit, unde severiores rogat, ne legant, urbaniores, ne efferant. Mehus
Scripta Leon. Bruni p. 63. cf. Leon. Bruni epist. II, 16.
30 *
468 VII. Angriffe auf die Außenwerke der Religion und Kirche.
Warum ſollte dieſe Frivolität das religiöſe und kirchliche Gebiet
verſchonen? Keiner der Humaniſten hatte Gemüth für den Glauben
und Intereſſe für den Heilsberuf der Kirche, keiner hatte die mindeſte
Begier nach der Märtyrerpalme. Führten ſie einmal die ernſte Waffe,
ſo geſchah es zur Ehre ihrer Perſon oder der humaniſtiſchen Kunſt,
aber ſie liebten die ernſte Waffe überhaupt nicht. Erinnern wir uns
noch einmal, wie äußerlich die Motive Valla's waren, als er die con⸗
ſtantiniſche Schenkung angriff, wie leichtfertig ſeine Vertheidigung, als
er gewiſſe Traditionen der Kirche mit kritiſchem Scharfſinn angefeindet.
Er ſchrieb auch über das neue Teſtament, er tadelte mehrere Stellen
der üblichen Ueberſetzung und zeigte, wie man ſie getreuer wiedergeben
könne, aber nur um ſeine Gelehrſamkeit im Griechiſchen zu zeigen und
die Theologen zu ärgern. Manetti, ein Mann von notorifcher Recht⸗
gläubigkeit, meiſterte in ähnlicher Weiſe an den Pſalmen und hatte
eine neue Ueberſetzung des alten Teſtamentes im Sinne. Beide nah⸗
men keinen Anſtand, die ehrwürdige Vulgata zu bekritteln, beide aber
waren weit entfernt, dieſe nene Bahn der Theologie mit Ernſt und
Eifer zu verfolgen. Und ernſt meinte es auch Lionardo Bruni nicht,
wenn er gegen das Erlernen der hebräiſchen Sprache mit dem Argu⸗
mente declamirt, daß es ein Mißtrauen gegen die Treue der hieronh⸗
mianiſchen Ueberſetzung bezeuge, er ſprach wie der Fuchs von der Traube.)
Der Vulgata geſchah durch ſeine Aeußerung nicht mehr Ehre, wie
wenn Auguſtinus, Ambroſius und Lactantius geprieſen wurden, weil ſie
ein gutes Latein geſchrieben und demjenigen zur Folie dienten, der auf
die gelehrteſten Theologen der Scholaſtik, auf Hugo von S. Victor,
Alexander von Hales, Albertus Magnus und Nicolaus von Lyra los⸗
ziehen wollte. |
Im natürlichen und ſchneidenden Gegenſatz ſtanden die Humaniſten
gegen die Mönche und das Mönchthum. Sie ſelbſt lebten arbeitſam
und mit dem Stolze der Selbſtſtändigkeit, deſto mehr waren ihnen die
faulen Kloſterbrüder widerwärtig, die ihre knechtiſche Demuth recht
zur Schau trugen und doch den Dünkel, den der Humaniſt lieber der
Welt ins Geſicht zeigte, im tiefſten Herzen hegten. Die Mönche waren
Jahrhunderte hindurch die Träger der Gelehrſamkeit geweſen, das claſ⸗
ſiſche Alterthum aber war ihnen eine völlig ſremde Region, ſie buhlten
um die Gunſt der Reichen und der Höfe,, aber nicht mit dem Talente
ſondern mit dem Verdienſte ihres Glaubens und ihrer Regel, ſie galten
) Epist. IX, 12.
VII. Der Humanismus und das Miünchthium. 469
unter dem Volk als die großen Redner, aber ihre Beredtſamkeit war
keine Kunſt, ſondern eine gaukleriſche Fertigkeit. Sie geberdeten ſich
immer noch als das Salz der Erde, als die Wächter über Glauben
und Sitte, und doch hatten Männer ihres Standes ſchon oft genug
das Wehe über ſie gerufen, ein Orden zankte mit dem andern, faſt in
allen gab es Spaltungen und Scandal. Ihre Laſter zu brandmarken
war kein verbotenes Ding und konnte auf den ſtillen Beifall rechnen.
Die Mönche waren ja nicht die Kirche, ſo wenig als die Vulgata die
Religion war, beide waren aber die zuerſt dem Angriffe preisgegebenen
Außenwerke. \
Ob der Vortheil auf Seite der Angreifer oder der Angegriffenen
war, dürfen wir nicht erſt fragen. Die Frivolität iſt vor aller Welt,
was ſie iſt, ein Laſter in reizender Hülle; frommes Thun aber, iſt es
vom Verdacht der Heuchelei auch nur angehaucht, unterliegt ſofort der
tiefſten Verachtung. Die natürlichen Gegner mußten ſich bald finden.
Schon die Novelliſten, ein Boccaccio, Sacchetti und Ser Giovanni
machten gar gern Mönche und Nonnen zu den Helden obſcöner Ge—
ſchichten und am Ende des 15. Jahrhunderts erklärte Maſſuccio da
Salerno in der Einleitung zu feinem Novellino gerade heraus, die Ten⸗
denz ſeiner Novellen ſei, „das wüſte Leben der heuchleriſchen Mönche“
darzuſtellen. Boccaccio hat auch in ſeinen theoretiſchen Schriften die
Bahn bereits eröffnet. Zunächſt hatten ihn die Mönche gereizt, weil
ſie von der Poeſie als von Poſſenzeug und von den Poeten als von
Fabelmachern geſprochen, weil ſie den Dichtern ihre Lascivitäten vor⸗
geworfen und ſie der Verführung zum Heidenthum beſchuldigt hatten.
Dafür ſchont Boccaccio auch ſie nicht, dieſe Heuchler, die immer aus⸗
ſehen, als wollten ſie mit dem Propheten ſagen: der Eifer für das
Haus Gottes verzehrt mich. Sie ſchlagen die Augen zur Erde nieder,
als ſeien ſie mit tiefem Nachdenken beſchäftigt, ſie ſchleichen langſam
im einfachen Gewande umher, als lebten ſie nur für ihre heiligen und
erhabenen Speculationen, fie ſprechen wenig und wenn ſie gefragt wer⸗
den, nur nach einem vorausgeſchickten Seufzer und die Augen gen Him⸗
mel verdreht. Aber ſie wollen dadurch nur bewirken, daß das Volk
mit Fingern auf ſie zeige, vor ihnen aufſtehe und ſie Rabbi nenne.
Sie fügen ſich demüthig den Befehlen ihrer Oberen, aber nur, um zu
einem höheren Grade zu gelangen. Im Stillen wiſſen ſie auch recht
gut mit weltlichen Dingen umzugehen, Ehen zu vermitteln, Gaſtmählern
beizuwohnen und den Teſtirenden zu helfen. Und dieſe Heuchler thun,
470 VII. Der Humanismus und das Mönchthum.
als ergriffe ſie ein heiliger Zorn, wenn ſie von Poeſie und Poeten
hören!)
Als der Humanismus die herrſchende Richtung geworden war,
traten in den Vordergrund des Kampfes auf der einen Seite Filelfo
und Poggio, die keckſten und ſchmähſüchtigſten Großmäuler, auf der
andern die Minoriten von der Obſervanz, die ſchleichendſten und indu⸗
ſtriöſeſten Heiligen des Tages, angeſtaunt vom Volke, das zu ihren
Bußpredigten ſtrömte, oft von den Herrſchern begünſtigt und die ent-
ſchiedenſten Lieblinge Papſt Eugen's IV. Sie hielten ſich allein für
die echten Jünger des heiligen Franciscus, weil ſie allnächtlich ein
Benedicta mehr an die heilige Jungfrau ſprachen, täglich zweimal
Bußpſalmen mit doppelter Litanei ſangen, öffentlich im Refectorium
beichteten und ihren abgehagerten Leib ſowie ihre bettelarme Familie
beſtändig im Munde führten. Dabei ſuchten ſie die Conventualen —
ſo nannte man den Stamm des Ordens, der die ſogenannte Reforma⸗
tion nicht annehmen wollte — immer mehr einzuſchränken, auszuftechen,
um ihre Häuſer und um ihre Popularität zu bringen. Bruder Ber⸗
nardino war der Name, den ſie emporhielten und dem ſie, ſchon wäh⸗
rend er noch lebte, durch geſchäftige Vorbereitung auf ſeinen Einzug,
wenn er auf ſeinem Eſelein und ganz zerlumpt angeritten kam, und
durch Verbreitung und Beglaubigung ſeiner Wunder den Weg in die
heiligen Faſten bahnten. Er ſollte der beſondre Heilige des neuen
Ordens werden, der ſich von den Franciscanern zugleich abzuſondern
und doch ihr beſtes Erbe an ſich zu reißen trachtete.
Bernardino hielt zu Mailand die Faſtenpredigten, die ſeinen Ruf
als Volksredner und Wunderthäter recht eigentlich begründeten. Das
gemeine Volk ſchaarte ſich um ſeine Canzel, fiel vor dem Jeſusnamen
nieder, den er auf eine große Tafel gemalt mit ſich führte, horchte ſei⸗
nen Lobpreiſungen der Jungfrau Maria, zitterte zerknirſcht unter dem
Donner ſeiner Worte, wenn er die Hölle ausmalte und zur Buße rief.
Die Gelähmten wandelten wieder, die Blinden wurden ſehend, Kranke
aller Art genaſen plötzlich und Todte ſtanden wieder auf. Auch Filelfo,
der damals in Mailand die griechiſche Grammatik und die lateiniſche
Rhetorik lehrte, machte ſich das Vergnügen, den Gottesmann zu ſehen
und zu hören, er brachte wohl ſchon wenig Glaubensempfänglichleit
mit, als er kam. Mochte nun den claſſiſchen Prunkredner der Ruf
) Boccatii de geneal. Deor. Lib. XIV cap, 5.
VII. Der Humanismus und das Mönchthum. 471
des Volksredners ärgern, oder war es der abergläubiſche Spuk, der
ihn reizte, er zog ſeitdem mit Witzen und Schmähungen ſo bitter und
wüthend auf Bernardino los, wie er ſeinem Groll gegen andre minder
heilige Gegner Luft zu machen pflegte.) Viele ſeiner Ausfälle mögen
in dem ungedruckten Werke de jocis et seriis enthalten ſein; wir mei⸗
nen aber auch in einer feiner Satiren“) Bernardino deutlich herauszu⸗
erkennen, wenn er auf den Mann läſtert, der von ſeiner hohen Canzel
die ſüßen Freuden des ewigen Lebens und die Schrecken der Hölle zeige,
den das dumme Volk zum Himmel erhebe, der den Namen der Jung⸗
frau Maria mit fündlicher Liebesgluth feiere. Dieſen Mönch, von
dem ſeine Hagiographen erzählen, er ſei jedem weiblichen Weſen auf
der Straße ausgewichen und habe bei Seite geſehen, um ſeine Sinne
nicht in Verſuchung zu führen, ihn bezeichnet Filelfo als den gefähr⸗
lichſten Feind aller Jungfräulichkeit und Schaamhaftigkeit '), ihn ſtellt
er als Seitenſtück zu einem nichtswürdigen Knabenſchänder auf und
verhehlt nicht ſeine Anſicht, daß der ganze Stand ihm ähnlich ſein
möge.) Das ganze Treiben der Mönche erſcheint ihm als eitel Gau⸗
kelei und Gaunerei, er behandelt ſie gerade wie die albernen Aſtrologen,
deren Zunft am Hofe Filippo Maria's blühte.) Daß nur ſeine ver⸗
rufene Schmähſucht, nicht etwa Religioſität die Urſache ſeines Haſſes
iſt, bedarf keines Beweiſes. Vergebens wird man in ſeinen Schriften
irgend einen wahren Ausdruck des Glaubens ſuchen, man müßte ihm
denn, wie ſein Biograph wirklich gethan hat, ſeine Declamationen ge⸗
gen die Türken als miſſionären Eifer auslegen.) Wir finden es er⸗
ſtaunlich kühn, daß er jene Satire, in welcher Bernardino ſo handgreif⸗
lich gezeichnet war, mit den andern Papſt Nicolaus überreichte, der
zwar kein Gönner der Obſervanten war, aber Bernardino doch kano⸗
niſirt hatte. Da indeß der Name nicht offen genannt war, ſcheint der
1) Joh. Jovin. Pontanus de sermone V, 1 (Opp. T. II. Basileae, 1538.
p. 440). Ich geſtehe, die Zeit dieſer Vorfälle nicht beſtimmen zu können, da die ver⸗
worrenen Angaben in den Acta Sanctorum mit den Daten aus dem Leben Filelfo's
nicht übereinſtimmen wollen.
2) Dec. II. hec. 5.
) Qui nullum flagrare sinit tentigine cunnum ete.
) Ecce sacerdotes qui sacra deumque ministrant,
Ecce probos pietate viros! etc.
) v. Rosmini Vita di Filelfo T. III. p. 75. 76.
) Ros mini l. c. p. 76: fu ardente il suo zelo per la propagazione di lei
della sua religione) e per l’estirpamento dell' eresie e dell' infedeltä.
472 VII. Der Humanismus und das Mönchthum.
Papſt daran fo wenig Anſtoß genommen zu haben wie an den Läſte⸗
rungen gegen die Medici und ſeine florentiniſchen Freunde.
Denſelben Kampf, zu dem ſich Filelfo gelegentlich herausgefordert
fühlte, betrieb Poggio ſyſtematiſch und länger als ein Vierteljahrhun⸗
dert. Er war in das Intriguenſpiel, welches die Obſervanten an der
römiſchen Curie gegen die conventualen Franciscaner führten, verwickelt
worden. Papſt Martin V hatte ihm nämlich den Auftrag gegeben, in
der Cancelei gewiſſe Decrete aufzuſetzen, nach welchen bis zur Entſchei⸗
dung eines Generalcapitels die Obſervanten in ihrem Vordringen ge⸗
hemmt und beſchränkt werden ſollten. Nur eine kleine Zahl von ihnen
ſollte inzwiſchen predigen dürfen, die Errichtung neuer Häuſer für ihre
Familie ganz unterbleiben. Mag ſein, daß Poggio diesmal ſeine Amts⸗
pflicht mit beſonderm Eifer erfüllte. Die Obſervanten aber hielten ihn
für den Anſtifter jener Maßregeln und begannen ihn durch Beſchuldi⸗
gungen zu reizen. Poggio vergalt es ihnen. Zunächſt machte er ſofort
beim Papſte Anzeige, als die Obſervanten trotz dem Decret ein neues
Haus ihrer Familie gründen wollten und zwar auf einem Grundſtücke,
welches ihnen der Florentiner Carlo Ricaſſoli in der Nähe von Ter⸗
ranuova, Poggio's Geburtsflecken, und einer Villa, die Poggio dort
beſaß, geſchenkt hatte. Dieſe Mönche, meinte Poggio ſpöttiſch, thäten
beſſer, Wälder und Wüſten aufzuſuchen als ſo liebliche Gegenden, in
denen ihre Tugend allzuſehr in Gefahr ſei.) Er kannte die Wege der
curialen Verwaltung. Den Obſervanten wurde geboten, den Bau ſo⸗
fort einzuſtellen, ja die ſchon errichteten Mauern wieder zu brechen.
Sie ſchrieen ihn dafür als einen Feind des chriſtlichen Glaubens und
Verfolger der Gläubigen aus. Seitdem blieb Poggio bis in ſein hohes
Alter ein unverſöhnlicher Feind dieſes Ordens und der Mönche über⸗
haupt. Er wußte ihr Treiben in draſtiſchen Zügen und mit treffender
Lebenswahrheit auszumalen, er hatten ihre ſchwachen Seiten ſcharf aus⸗
geſpäht. Oft war er gegangen, um zu ſeiner Beluſtigung, wie er ſagt,
Männer wie Bernardino oder Alberto da Sarteano anzuhören, von
denen die Kirche den einen heilig, den andern ſelig geſprochen hat.
So unterſchied ſich ſeine Satire von dem Wehgeheul frommer Peſſi⸗
miſten, die überall und auch im Mönchsſtande Entartung und Verder⸗
) Sein Brief an Traverſari in deſſen Epistt. XXIV, 8, an Niccoli ibid. XXV,
41. Alberti Sarthianensis epist. 2. ap. Martene et Durand Collect.
ampliss. T. III. p. 758.
VII. Der Humanismus und das Mönchthum. 473
ben ſahen, ohne beſtimmte Gruppen und Perfonen zu bezeichnen. Hier
machte ein alter Curiale ſeine Enthüllungen, der vierzig Jahre lang
in der päpſtlichen Cancelei gedient und die Regierung von ſieben bis
acht Päpſten geſehen hatte. Wir ſtellen aus mehreren ſeiner Schriften
zuſammen, wie er dem Mönchthum zu Leibe ging.
Schon von den Motiven, welche die Menſchen zur Annahme des
religioſen Charakters bewegen, hat Poggio die Anſicht eines kühlen
Realiſten. Meiſtens beſtimme nur der Wunſch, ein faules Leben zu
führen, die Menſchen dazu, daß ſie die Kutte nehmen: einige ſeien zu
arm und ſchwach, andre zu faul und untauglich, um einen ehrlichen
Lebensunterhalt zu erwerben. Liederliche Burſchen, die nichts gelernt
oder ihr Vermögen durchgebracht haben und des wüſten Lebens wegen
verrufen ſind, ſtellen ihre Ehre dadurch her, daß ſie Religioſen werden
und ein ſchmutziges Kleid anlegen, ohne deshalb den Schmutz ihrer
Seele und ihres früheren Wandels von ſich zu werfen. Die meiſten
Obſervanz⸗Minoriten ſeien vorher faule Ackerknechte oder Söldner ges
weſen und nur in den Orden getreten, um nicht arbeiten zu dürfen.
Er ſelbſt, ſagt Poggio, ſei kein tugendhafter Menſch, aber er
verabſcheue jene Rotte, die durch den Heuchelſchein der Tugend nicht
ſowohl Andre als ſich ſelbſt betrüge, ſich für unbefleckt und vollkommen
halte und in ihrem Stolz alle andern Menſchen verachte. Wenn ſie ein
rauhes und ſchmutziges Kleid tragen und auf Holzſandalen gehen, wenn
fie den Nacken krümmen und den Kopf hängen laſſen, bleich und mager
ausſehen, ſo glauben ſie damit ſchon den unumſtößlichen Beweis ihrer
Heiligkeit und Demuth zu liefern. Man ſehe nur das Heuchlergeſchlecht,
welches ſich am Hofe Eugen's IV eingeniftet, wie fie öffentlich ihre
Verachtung des Geldes darlegen, immerfort den Namen Jeſus im
Munde führen, mit ihren Faſten Aufſehen machen, dabei aber ſich mit
Aeckern und Gütern zu bereichern, die frommen Männer zu betrügen
und die frommen Weiber zu verlocken wiſſen. Warum nennen ſie den
Heiland nur Jeſus, nicht wie Andre Jeſus Chriſtus, warum nennen
ſie ſich ſelbſt Jeſuiten, nicht wie Andre Chriſten? Sie wollen mit die⸗
ſer neumodiſchen Sitte als eine auserleſene Schaar erſcheinen. Sie
reden von ihrer asketiſchen Lebensweiſe wie von Herculesthaten, wie
ärmlich ihr magerer Leib umhüllt ſei, wie oft ſie des Nachts aufſtän⸗
den, um zu ſingen und Gott zu preiſen. „Wahrlich ein herrliches,
nicht genug zu lobendes Ding, nur Singens halber nächtliche Wachen
zu halten. Was würden ſie wohl ſagen, wenn ſie als Ackersleute zum
474 | VII. Der Humanismus und das Möndthuu.
Pfluge gehen müßten, auch bei Sturm und Regen, oft mit nackten Fü⸗
ßen und mit kaum bedecktem Leibe?“ Und trotz der ſtrengen Regel ver⸗
laſſen ſie ihre Klöſter, treiben ſich auf den Straßen und Maͤrkten umher,
wo Fleiſch, Gemüſe, Oel und Fiſche verkauft werden; als läſtige Bett⸗
ler, nicht als demüthig Bittende verlangen ſie zudringlich Geld, Schuhe
und dergleichen, was ſie nicht einmal annehmen ſollten. Selbſt jeder
Arbeit fremd, leben ſie vom Schweiße Andrer. Die verſchlagenſten
unter dieſen Obſervanten aber ſchleichen an der Curie umher, um für
ihren Orden Gnaden, Immunitäten und Privilegien auszuwirlen, für
ſich aber Bisthümer und Cardinalshüte. Erlangen ſie dann ſolche
Würden, ſo müſſen der Papſt und ihre Oberen die Schuld tragen,
die haben es ihnen befohlen und ihren Abſcheu vor der Ehre über⸗
wunden.
Und ihre Predigten, auf deren Verdienſt ſie ſich ſo viel zu Gute
thun, als entriſſen ſie dadurch die Seelen ſchaarenweiſe der Hölle —
ſie zu hören und zu ſehen, könne einen Melancholiſchen zum Lachen brin⸗
gen. Seitdem Bernardino mit ſeinen Bußreden ſo vielen Beifall ge⸗
funden, wolle es ihm jeder unverſchämte Dummkopf nachthun. Wie
ſie ſich bald emporſchnellen, als wollten ſie von der Canzel ſpringen,
bald wie Wahnſinnige ſchreien und dann wieder ganz leiſe flüſtern,
bald wüthend mit der Fauſt auf die Canzel ſchlagen, bald lachen, man⸗
nigfaltig wie Proteus, oft Affen ähnlicher als Predigern! Sie über⸗
laſſen ſich ganz ihrer ungebildeten Geſchwätzigkeit und wenn ſie einen
Zweck verfolgen, fo iſt es nicht das Heil der kranken Seele, ſondern
nur der Beifall und die Gunſt des dummen Volles, welches ſie zum
Lachen bringen und durch dieſe Abwechſelung unterhalten. Die guten
Weibchen ſind entzückt, ohne zu wiſſen warum, und laſſen ſich fromme
Gaben ablocken. Oft haben ſich dieſe Prediger in beſtimmten Materien
feſtgerannt und bringen fie überall vor, oft donnern fie in jo abſtruſen
Worten, daß weder Andre noch ſie ſelbſt das Zeug verſtehen, oft ſind
ſie ſo einfältig und langweilig, daß die Zuhörer bei ihren Dummheiten
einſchlafen, oft ziehen ſie gegen das Laſter in ſolcher Weiſe zu Felde,
daß ſie vielmehr darin unterrichten, erzählen alberne und ungehörige
Poſſen oder die ſcandalöſeſten Geſchichten. Von einem dieſer Obſer⸗
vanten will Poggio gar wiſſen, daß er nackt gepredigt habe, um die
Weiber anzulocken. So iſt denn der Erfolg, daß ſie heiſer und mit
Schweiß bedeckt, die Zuhörer aber dummer, als ſie gekommen, davon⸗
*
VII. Aufnahme des Humanismus in die Kirche ſelbſt, ſein Sieg. 475
gehen. Sie bellen und brüllen Jahre lang von ihren Canzeln, und
doch wird niemand und nichts in der Welt beſſer.)
Zu ſolchen Schilderungen bringt Poggio überall, beſonders aber
in ſeinen Facetien, eine Menge von Beiſpielen und Geſchichten von
habſüchtigen und gaunerhaften Mönchen, von ſolchen Heiligen, die durch
den ſchaamloſeſten Umgang mit ihren weiblichen Beichtkindern jene Bläſſe
des Geſichts und die Hagerkeit erwarben, um deren willen ſie das Volk
bewunderte, von ertappten und beſtraften Ehebrechern u. ſ. w. Die
Perſönlichkeiten werden oft ſo angedeutet, daß man ſie entweder erkannte
oder doch verſucht war, auf dieſen und jenen zu rathen, oft werden ſie
auch geradezu genannt. Erwägen wir, daß Poggio am Hofe Nicolaus’ V
ein angeſehener Mann war, als er ſeinen Dialog gegen die Heuchelei
ſchrieb, daß die Würde eines florentiniſchen Staatsſecretärs ihn hoch
über die Schaar der gewöhnlichen Literaten gehoben hatte, als er die
Facetien herausgab, erinnern wir uns ferner, wie vielgeleſen ſeine
Schriften und zumal die Facetien waren, ſo tritt erſt dadurch ihre Be⸗
deutung in das volle Licht, und der bittre Haß, den die Bettelmönche
auf ihn und auf ſein Andenken geworfen, wird uns erklärlich.
Indeß die Kirche iſt keinem Angriff erlegen, der ihr von außen
gekommen wäre. Was man von ihrer Verderbniß in Haupt und Glie⸗
dern ſagen mag, das neubelebte Heidenthum war ſicher auch nicht die
Macht, ſie zu ſtürzen oder gar zu erſetzen, wenn es nur eine Liebhaberei
nebenher geblieben, wenn es nicht von der Kirche ſelbſt aufgenommen,
gleichſam aufgeſogen wäre. Wir bezeichneten oben ſchon die Periode
Nicolaus’ V als die ſeines Sieges. Damals lebte in den Prälaten
und Cardinälen bereits ſo viel Sinn für das humaniſtiſche Treiben,
daß ſelbſt diejenigen, deren Bildung nicht in dieſer Richtung lag, ſich
gern wenigſtens den Anſchein von Freunden und Mäcenen der neuen
Literatur gaben, um nicht als rohe Menſchen zu erſcheinen. Nahm
doch kaum jemand Anſtoß daran, daß jener Papſt die Einkünfte der
apoſtoliſchen Kammer lieber auf eine Bibliothek als auf die Kirche
und das Heil der Seelen verwendete, daß er ſich lieber mit unruhigen
Literaten von aurüchigem Lebenswandel umgab als mit Mönchen und
frommen Dienern der Religion.
) Nach dem Dial. contra hypocrisim (I. s. c.), der Hist. conviv. discept.
de avaritia (Opp. p. 2sq.), de miser. condit. human. Lib. I (Opp. p. 100 sq.),
epist. Alberto suo (Opp. p. 317), Franc. Barbaro epist. 14. 27. inter Epistt.
LVII, epist. Nicolao suo inter Ambr. Travers. Epistt. XXV, 41.
476 VII. Aufnahme des Humanismus in die Kirche ſelbſt, ſein Sieg.
Das Mönchthum, ja das Bettelmönchthum ſelbſt iſt von der neuen
Richtung nicht unberührt geblieben, und ſich mit ihr befreunden hieß
ihr unterliegen. Schon in der Zeit nach Petrarca's Tode, als Filippo
Villani noch zu klagen hatte, er finde niemand, dem er ſein Werk über
den Urſprung von Florenz und über die berühmten Männer der Re⸗
publik widmen möchte, denn Alle hätten nur am Gegenwärtigen, an
Geld und Zins ihre Freude und würden ſtatt der Ehre, in den Vor⸗
reden eines Maro oder Livius erwähnt zu werden, lieber einen Gro⸗
ſchen geſchenkt nehmen, ſchon damals, als der Humanismus mit ſeiner
Ruhmesſehnſucht eben erſt erwacht war, weiß Villani den Klöſtern ein
ſeltſames Lob zu ſpenden. In den Orden, ſagt er, giebt es wohl lo⸗
benswerthe Geiſter, die neben ihren heiligen Studien auch durch welt-
liche Töne gelockt werden, aber ſie wagen dieſelben nur im Stillen
zu genießen und meiden das öffentliche Aufſehen, um nicht in den
Verdacht weltlicher Ruhmesliebe zu fallen.) Dieſe anfängliche Scheu
wurde bald überwunden. In Florenz gingen die Dominicaner von
S. Maria Novella und die Franciscaner von S. Croce voran. Wir
erinnern ferner an Traverſari den Camaldulenſergeneral, der mit dem
heidniſchen Marſuppini und mit dem frivolen Poggio im freieſten
Umgange ſtand, der um die tullianiſche Eloquenz buhlte und um ſei⸗
nen Ruhm ſchrieb, ganz wie die andern Literaten. Das Beiſpiel des
Generals trug ſeine Früchte, das zeigt ſchon die Geſchichte des Hauſes
degli Angioli, dem er angehört. Paolo Orlandini, ein Bruder aus
demſelben, bejahte nicht nur die Frage, ob es einem Mönche anſtehe,
ſich mit der heidniſchen Literatur zu beſchäftigen, er führte ſogar als
erſten Grund dafür an, daß durch die Bücher der Heiden eine glän⸗
zendere und reichere Rednergabe gewonnen werde.“) Und Guido, der
Prior des Hauſes, erklärte dieſe Studien für die N Füllung
der klöſterlichen Muße.)
Die Bettelmönche hätten vor andern den Prunk der claſſiſchen
Wiſſenſchaft wie jeden ſonſtigen Pomp der Welt energiſch von ſich
weiſen müſſen, und doch wurden auch ihrer nicht wenige in die ſchön⸗
geiſtige Sphäre gelockt. Antonio da Rho, der Valla in grammatiſchen
Fragen anzugreifen wagte und gleichfalls ein Werk über die Eleganz
) Aus ſeiner epist. ad anonymum bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 333.
2) Aus feinem Heptathicus ibid. p. 394. |
) ibid. |
VII. Aufnahme des Humanismus in bie Kirche ſelbſt, fein Sieg. 477
der lateiniſchen Sprache ſchrieb, war ein Franciscaner.) Sogar vom
heiligen Bernardino wird erzählt, daß er die Redekunſt nach dem Mu⸗
ſter der Alten ſtudirt. Mag das wahr ſein oder nicht, er wäre nicht
der erſte heilige Mann, deſſen Glaubenseifer von rhetoriſchen Studien
ausging. Als ein rechtes Zwittergeſchöpf der Art erſcheint jener Al⸗
berto da Sarteano, der Obſervanz-Minorit, von deſſen heiligen Ver⸗
dienſten die Acten ſeines Ordens gar viel zu erzählen wiſſen und den
der römiſche Stuhl heilig geſprochen. Noch als ein Mann von 37 Jah⸗
ren, alſo dem Alter der Spielereien und Extravaganzen bereits fern
genug, kam er nach Ferrara, um von Guarino die Rhetorik und Grie⸗
chiſch zu lernen.) Dann zog er herum, als der König der Volkspredi⸗
ger, als der würdigſte Nachfolger Bernardino's bezeichnet.“) Hätten wir
nicht von ihm eine Reihe von Briefen, die er in verſchiedenen Lagen
des Lebens geſchrieben “, es gelänge uns ſchwer, eine andre Vorſtellung
von dem Manne zu gewinnen, als die ſeine Ordensbrüder verbreitet
haben. So aber erkennen wir deutlich das Gift der Wohlredenheit,
welches den glaubenseifrigen Mönch inficirt hat. Der Schüler Gua⸗
rino's war mit dem florentiniſchen Kreiſe, zumal mit Niccoli und Bruni,
meiſtens auch mit Poggio befreundet. Nun fetzte es ihn in Verlegen⸗
heit, als Poggio bei dem Bau des Ordenshauſes zu Terrannova oder
Gangareto den Obſervanten nicht nur hindernd in den Weg trat, ſon⸗
dern über den ganzen Stand feine derbſte Meinung ſagte. Er mochte
gegen den Freund nicht, wie früher gegen Beccadelli's Hermaphroditus,
auf den Gaſſen predigen, ſo ergriff er die Feder, um ſeine Ordens⸗
brüder nicht nur zu vertheidigen, ſondern durch literariſches Lob zu
verherrlichen, damit nicht „die unſchuldigen Knechte Gottes“ dem Ta⸗
lente und Ruhme des Angreifers erliegen möchten.) Er will mit ihm
im Tone der chriſtlichen Liebe rechten und redet ihn daher gewöhnlich
als „ſüßeſten Poggio“ an, aber er will doch auch ſeinem Stande nichts
dergeben. Er wirft Poggio vor, daß er ſich an den Poſſen der heid⸗
niſchen Literatur ergötze, daß er ſeinen Leib mit antiken Sentenzen,
„gleichſam mit Schweineträbern« ſättige, wie die Schrift vom verlore⸗
) Aeneas Sylvius de vir. clar. XVI. Valla ſchrieb gegen ihn ſeine Ad-
notationes in errores Antonii Raudensis (Opp. p. 390 sq.).
2) Mehus l. c. p. 384. Maffei Verona illustr. P. II. p. 137.
) cf. Wadding Annal. Minor. edit. Lugdun. T. V. p. 101.
) In Martene et Durand Collect. ampliss. T. III. p. 7558.
) Epist. 1. I. c. an Niccoli. Epist. 2, an Poggio gerichtet, iſt die Schrift ſelbſt.
*
478 VII. Pius II, der Humaniſt auf dem apoſtoliſchen Stuhl.
nen Sohne erzähle. Und das zunächſt, weil Poggio den trefflichen
Wein von Gangareto, den er den Mönchen nicht gönnte, leichthin als
Jupitersnektar bezeichnet. „Was heißt das anders, ſagte Alberto, als
den wahrhaftigen Gott ſchmähen oder vielmehr offen bekennen, daß
Jupiter dein Gott iſt!“ Er that wohl, als laſſe er ſich gleichſam her-
ab, gegen den weltlichgeſinnten Gegner mit den weltlichen Waffen der
Gelehrſamkeit und Beredtſamkeit zu kämpfen; citirt er Cicero, fo foll
es ſcheinen, als füge er ſich nur der Anſchauung Poggio's: „dein Tul⸗
lind.u Und doch ſchüttet er ſelbſt feine claffifche Weisheit mit vollen
Schalen aus, wenn auch mit chriſtlichen Redeblumen vermiſcht. Pre⸗
digte er in einer Muſenſtadt wie Ferrara und in Gegenwart eines
Guarino, ſeines Lehrers, dann konnte er vier Stunden lang gegen die
Laſter donnern und außer durch theologiſche Gelehrſamkeit auch durch
einen unglaublichen Reichthum von claſſiſchen Dichter⸗ und Redner⸗
ſtellen ſein Publicum entzücken.) In der Schrift gegen Poggio ſprach
er mit Verachtung vom „Klang der Worte“, den ein heiliger Mann
der Kirche zurückweiſen müſſe, und doch legte er eben dieſe Schrift Nic⸗
coli zur Beurtheilung vor, durch Ben Cenſur er „täglich gefeilter“
zu ſchreiben hoffe.
Nur einen flüchtigen Blick werfen wir von der Epoche Nicolaus’ V
aus in die nächſtfolgenden Jahrzehnte und nur auf Rom beſchränken
wir dieſen Blick. Nach kurzer Zwiſchenregierung eines alten kraftloſen
Mannes folgt auf dem apoſtoliſchen Stuhle jener Pius II, deſſen welt⸗
licher Name Aeneas Sylvius in der humaniſtiſchen Literatur mindeſtens
ſo bedeutend iſt als ſein apoſtoliſcher Name in der kirchlichen Geſchichte.
Er war ein Schüler Filelfo's und bildete ſich vorzugsweiſe nach Pog⸗
gio's Schriften. Leichtfertig und frivol in jüngeren Jahren, eitel und
ruhmbegierig als Mann, keimte in ihm der Sinn für das Kirchliche
erſt auf, ſeitdem er unter die Großen der Kirche aufzuſteigen hoffte.
Als Papſt hatte er ſich allerdings bereits in ſeine Würde gefunden,
doch lebte auch der Humaniſt in ihm immer noch fort. Immer noch
liebte er die witzigen und lebensluſtigen Menſchen, gefiel ſich in geiſt⸗
) ef. Guari ni epist. 1. ap. Martene et Durand l. e. T. III. p. 855.
VII. Scheinbare Reaction unter Panlus IT. 479
reichen Sentenzen, hielt ſtattliche Reden nach der Kunſt und freute ſich
des Beifalls, ſchrieb oder dictirte pomphafte Breven, gleichwie er früher
mit Leidenſchaft Briefe geſchrieben, verfaßte Commentarien über ſeine
Regierung und ſeine Zeit und buhlte durch wiſſenſchaftliche Werke um
ein ruhmvolles Andenken in der Geſchichte.
Sein Nachfolger Paulus II iſt von einem gekränkten Curialen,
der eine Papſtgeſchichte ſchrieb, von Platina, in den Ruf gebracht wor⸗
den, als ſei er ein principieller Feind der claſſiſchen Studien und ein
ergrimmter Verfolger der platoniſchen Akademie geweſen. Als Mäcenas
ließe er ſich gleichfalls darſtellen, wollten wir einem Filelfo glauben,
den der Papſt mehrmals beſchenkt hat. Indeß haben wir genug Ma⸗
terial aller Art, um uns von ihm und von ſeinem Verfahren gegen
die Akademie eine Vorſtellung zu machen, und auch was Platina aus
erbittertem Herzen berichtet, zeugt für ſich ſelbſt. Nur müſſen wir,
‚um die Sache in das rechte Licht zu ſetzen, ein wenig ausholen.
Die Zahl der Secretäre, Scriptoren und Abbreviatoren der Curie
war unter Nicolaus V und Pius II unmäßig angewachſen, weil dieſe
Aemter wie Pfründen betrachtet wurden, mit welchen man allerlei
Günſtlinge, beſonders aber Humaniſten und Dichter am bequemſten.
abfand. So ſah ſich Papſt Paulus veranlaßt, das Collegium der 60
Abbreviatoren (del Pareo maggiore), welches ſein Vorgänger zur Ver⸗
beſſerung des Canceleiſtils geſchaffen und zum Theil mit Schöngeiſtern
beſetzt, alsbald wieder aufzulöſen, mochte er ſie nun unbrauchbar finden
oder mochte er ſich ſelbſt die Beſetzung der erledigten Stellen um Geld
und Gunſt vorbehalten wollen. Die entlaſſenen Literaten, unter denen
auch Platina war, erhoben ein großes Geſchrei, ſie dachten natürlich
alle wie er: ſie hätten als Dichter und Redner der Curie mindeſtens
ſo viel Ehre verliehen, als ſie von ihr empfangen; Männer von ihrer
Gelehrſamkeit und Bildung hätte der Papſt vielmehr vom ganzen Erd⸗
kreiſe zuſammenrufen müſſen. Sie verlangten, ihre Sache ſollte den
Richtern der Ruota vorgelegt werden, und wollten ſich in einer Audienz
vor dem Papſte vertheidigen. Als aber Paulus dieſe abſchlug und feſt
auf ſeinem Beſchluſſe beſtand, richtete Platina ein drohendes Schreiben
an ihn im Namen ſeiner Collegen: ſie würden die Fürſten aufzuregen
und ein Concil gegen den Papſt zu veranſtalten wiſſen. Kerker und
Feſſeln waren die Antwort. Es wurde eine Unterſuchung auf Pasquill
und auf jene Drohung mit dem Concil eingeleitet. Platina konnte
nach viermonatlicher harter Haft kaum mehr auf den Beinen ſtehen, als
480 VII. Die catilinariſche Bande in Rom.
er endlich in Folge der Verwendung eines Cardinals freigelaffen wurde;
doch durfte er Rom nicht verlaſſen.) Es war das erſte Mal, daß
der Uebermuth des lange gehegten und gehätſchelten Literatenvolkes eine
empfindliche Züchtigung erhielt. Doch war dies nur der erſte Act des
Drama's.
Es gab in Rom eine gefährliche Menſchenclaſſe, die aus den Söh⸗
nen ärmerer Adliger, aus böſen Schuldnern und heruntergekommenen
Menſchen aller Art beſtand. Die großen Adelshäupter, die Colonna
und Orſini, bedienten ſich dieſer ſogenannten Ritter zu ihren Fehden
und Aufſtänden. Sie waren es, die unter Eugen IV den Pöbel an⸗
geführt, den Papſt und die Cardinäle verjagt und die Republik aus⸗
gerufen hatten. Schon damals ſpielte unter ihnen Stefano de' Porcari
eine Hauptrolle), keinesweges ein roher Räuber, wie die Curialen,
die vor ihm gezittert, ihn darzuſtellen pflegten. Vielmehr war er einſt
ein Jüngling von hochfliegendem Geiſt und voll republicaniſcher Träume
geweſen, Humaniſt und Dichter, mit Poggio und Traverſari befreun⸗
det.“) In feiner wirren Phantaſie bezeichnete er ſich ſelbſt als denjeni⸗
gen, auf welchen Petrarca in der berühmten Canzone Spirto gentil,
deren Held bekanntlich Cola di Rienzo iſt, prophetiſch hingedeutet:
Sopra il monte Tarpejo, Canzon, vedrai
‘Un cavalier ch’ Italia tutta onora etc.?)
Aber in der wüſten Geſellſchaft, in die er gerieth, verſank er ret⸗
tungslos in Schulden und aus dem Brutus wurde ein Catilina. Wäh⸗
rend des Conclave, in welchem Nicolaus V gewählt wurde, ſtiftete er
neue Unruhen an. Damals hielt er in ſeinem Hauſe vor der verſam⸗
melten Bande eine Rede, an der er mehrere Tage gearbeitet, im Stile
Cola's: er beklagte den verlorenen alten Ruhm der Weltſtadt, wo jetzt
Männer von antiker Tugend in ſteter Gefahr lebten und dergleichen.)
) Platina in Vita Pauli II.
2) Ambros. Travers. epist. III, 7. 3. 10.
) Er begegnet uns häufig als Stephanus Porcius in den Briefen Traver⸗
ſari's, mitunter als poeta bezeichnet. Auch leſen wir hier zwei ſeiner Brieſe (XXIV,
27. 28). Eines veroneſiſchen Codex, in welchem neben Schriften Cicero's, Sallu⸗
ſtius', Petrarca's, Bruni's und Filelfo's auch einige von Porcari ſich befinden, gedenkt
Ros mini Vita di Filelfo T. I. p. 55.
) Vergl. Papencordt Geſch. der Stadt Rom im M. A. S. 483.
) L. B. Alberti de Porcaria conjuratione ap. Muratori Seriptt. T.
XXV. p. 310.
VII. Die eatilinariſche Bande in Rom. Die Akademie. 481
Aber der Verſuch wollte nicht gelingen, Porcari wurde nach Bologna
verbannt. Von da aus ſtiftete er wiederum eine Verſchwörung gegen
Nicolaus V nnd die geiſtliche Herrſchaft an, wurde aber gefangen ge⸗
nommen und mit neun ſeiner Genoſſen an der Engelsburg aufgeknüpft.
Er iſt das grellſte Gegenbild zu dem ſchüchternen, bücherſammelnden
Papſte und doch wie dieſer auf dem humaniſtiſchen Boden erwachſen.—
Als ſich unter Papſt Calixtus III das Geſchlecht der Borja in Rom
anſiedelte, beſtand ihr Gefolge aus Menſchen ähnlicher Art, verwilder⸗
ten Rittern. Während einer Abweſenheit Pius' II hauſten ſie in Rom
wie eine Räuberhorde und erhoben einen gewiſſen Tiburzio, den Sohn
eines angeſehenen Bürgers, als ihr Haupt und als den künftigen Her⸗
ſteller der Freiheit. Auch damals wurden die Rädelsführer gehenkt,
die Bande aber blieb beſtehen und ergänzte ſich fortwährend aus allen
unzufriedenen und desperaten Elementen.
Nicht minder gefährlich, als dieſe Menſchen der Stadt und dem
Pontificat, war die ſogenannte römiſche Akademie der Kirche und dem
Glauben. Es herrſchte in derſelben eine entſchiedene Verachtung des
theologiſchen Dogma und jeder hergebrachten Autorität, Alles dagegen
galten das Hirngeſpinnſt der römiſchen Republik und Platon, von dem
man ohne Weiteres vorausſetzte, daß feine Lehre der chriftlichen nicht
widerſpreche. Gewiß waren ehrenhafte Charaktere unter den Mitgliedern
der Geſellſchaft, zumal Pomponio Leto, ihr Gründer, der unter den
Trümmern des alten Rom nur dem Andenken der alten Römer zu
leben ſchien, der die Barone der Stadt und die Prälaten der Curie
kaum eines Blickes würdigte, der jeden Prunk und jede Heuchelei mit
ſtolzer Selbſtgenügſamkeit verachtete. Aber es waren auch leichtfüßige
Dichter und frivole Witzbolde in dieſem Kreiſe, denen gerade das Hei⸗
ligſte der lohnendſte Gegenſtand des Spottes ſchien. Bis jetzt hatte
der Ruf der tiefen Gelehrſamkeit und die Protection des alten Cardi⸗
nals Beſſarion die Akademie vor jeder Verfolgung geſchützt. Doch
wohnte unbeſtritten in ihren Verfammlungen auf dem Quirinal und
in ihren Sympoſien mehr als Ketzerei, das volle und deutliche Hei⸗
denthum.
Dieſe beiden Klaſſen der römiſchen Geſellſchaft, die zügelloſen
Ritter und die platoniſirenden Akademiker, hatten das Banner des
Republicanismus mit einander gemein. Nur zeigte er ſich dort mehr
in ſeiner demagogiſchen und tumultuariſchen, hier in ſeiner ſchwärme⸗
Voigt, Humanismus. öl
482 VII. Scheinbare Reaction unter Paulus II.
riſchen und ideellen Geſtalt. Eine wirkliche Verbindung zwiſchen beiden
Körperſchaften mag nicht ſtattgefunden haben, aber es iſt dennoch er⸗
klärlich, daß Paulus II ſie wie zuſammengehörig betrachtete, und auch
den weggejagten Abbreviatoren lag es in der That nahe, ſich den Un⸗
zufriedenen anzuſchließen. Einige wie Platina gehörten zur Akademie.
Nun ſprach man von einer Verſchwörung, die freilich nach Platina's
Angabe gar nicht beſtand. Ihr Haupt ſollte Filippo Buonaccorſi ſein,
ein unter dem Namen Callimachus-Experiens wohlbekanntes Mitglied
der Akademie; er ſei, wurde behauptet, nach dem Sturze des Papſtes
zum Herrſcher der Stadt, wohl gar ſelber zum Papſte deſignirt. Dieſe
Beſchuldigung erſcheint freilich ziemlich unſinnig, aber einige Urſache,
beſorgt zu ſein und einzugreifen, hatte Paulus II gewiß. Platina
wurde mit andern in der Engelsburg eingekerkert und mehrmals ge⸗
foltert, auch in der Haft behalten, als — nach ſeiner Darſtellung —
der Papſt anerkannte, daß er eingeſchüchtert worden und daß ſein Ver⸗
fahren grundlos geweſen ſei (1468). Unſer Humaniſt, voll Erbitterung
über das, was er ausgeſtanden, declamirt, das Grabmal Hadrians ſei
zum Stiere des Phalaris geworden, unſchuldige Gelehrte ſeien mit
tyranniſcher Grauſamkeit behandelt. Eine andre Erzählung aber, die
offenbar denſelben Vorfall berührt und um ſo unbefangener iſt, da ſie
ſeine tiefere Bedeutung nicht ahnt, läßt uns die Sache von einer an⸗
dern Seite ſehen. Der Papſt, heißt es, habe einige römiſche Jünglinge
von frechen und verderbten Sitten, die ſchon unter ſeinem Vorgänger
ein ungezügeltes Leben geführt, zum abſchreckenden Beiſpiel ein wenig
auf der Burg torquiren laſſen (aliquanta maceratione puniri) und
andre ungeſunde Elemente (consocii insanae conversationis) dadurch
bewogen, aus Rom zu flüchten. Er habe ſich öfters gerühmt, die rö⸗
miſchen Bürger müßten ihm viel Dank wiſſen, daß er ihre mißrathenen
Söhne durch ſolche Züchtigung beſcheidener und vernünftiger mache.)
Das Schickſal der Akademiker tritt hier in den Hintergrund, während
Platina es gefliſſentlich hervorhebt. |
Callimachus war nach Ungarn geflüchtet. Pomponio Leto wurde
zwar aus Venedig herbeigebracht, blieb aber, wie es ſcheint, unangefoch⸗
ten, obwohl er die Fragen der Unterſuchungsrichter mit Stolz und
Verachtung beantwortete. Platina dagegen richtete an den Papſt die
wehmüthigſten Bittſchreiben, in welchen er den Ton der kühnen Oppo⸗
) Cannesius Vita Pauli II ap. Muratori Scriptt. T. III. P. II. p. 1009.
VII. Scheinbare Reaction unter Paulus II. 483
fitton zu dem der kriechendſten Schmeichelei herabſtimmte. Er verſprach,
wenn man ihn freilaſſe und der Dürftigkeit enthebe, der feurigſte Lob⸗
redner des Papſtes zu werden, in Proſa und in Verſen „das goldene
Zeitalter ſeines glücklichſten Pontificates“ zu feiern oder auch die ſchö⸗
nen Künſte ganz zu laſſen und ſich den heiligen Schriften und der
chriſtlichen Religion zu widmen. Gegen ihn und ſeine Leidensgenoſſen
wurde nämlich aus einem andern Geſichtspuncte fortinquirirt. Er wurde
des Irrglaubens beſchuldigt: er habe in der Lehre von der Unſterblich⸗
keit der Seele Platon beigeſtimmt, ja im Laufe der akademiſchen Dis⸗
putation ſei ſogar das Daſein Gottes angezweifelt worden. Letzteres
wagte Platina nicht zu leugnen, er vertheidigte ſich mit einer Methode
aller Theologen und Philoſophen: man ſtelle etwas, zum Beiſpiel Gott,
in Abrede, um es dann auf dieſem Wege deſto glänzender zu beweiſen
(inveniendi causa). Ein Ketzer ſei er nicht, das Merkmal der ver⸗
ſtockten Hartnäckigkeit fehle. Auch ſei ſein Wandel ohne Fehl, man
könne ihm weder Diebſtahl noch Wegelagerung, weder Kirchenraub noch
Geldunterſchlagung, weder Mord noch Raub oder Simonie vorwerfen.
Er ſei wenigſtens einmal im Jahre zur Beichte und zum heiligen Mahle
gegangen und habe kein Wort geſprochen, welches gegen die Symbole
verſtoße oder nach der Ketzerei der Karpokratianer, Pauliner, Mani⸗
chäer u. ſ. w. ſchmecke.
Dagegen betonte der Papſt, daß die Beklagten in das Heidenthum
ganz vernarrt ſeien. Er wohnte dem Gericht, welches aus den Biſchö⸗
fen der Curie, einem Franciscaner und einem Dominicaner beſtand,
ſelber bei und miſchte ſich mit hart⸗anfahrenden Worten in die Inqui⸗
ſition, die trotzdem mit auffallender Milde gehandhabt wurde. Nur
Cardinal Barbo, ein Nepote des Papſtes, ſchmähte gegen die Ange⸗
klagten, ſie ſeien nicht Akademiker ſondern Schänder der Akademie.
Paulus gerieth außer ſich, ſobald er die Akademie nur nennen hörte:
wer fortan den Namen der Akademie im Ernſt oder im Scherz hören
laſſe, ſei ein Ketzer! Trotzdem wurden die Angeklagten von dem Vor⸗
wurfe der Ketzerei freigeſprochen und ihre Haft auf den päpſtlichen Pa⸗
laſt, dann auf die Räume des Vatican und endlich durch Vermittelung
der Cardinäle, unter denen Beſſarion ſich am dringendſten ſeiner Freunde
annahm, auf die Stadt Rom befchränft. ')
) Platin 1. c. bildet die Hauptquelle des Erzählten. Die Apologie des Car-
484 VII. Triumph des Humanismus im päpſtlichen Rom.
Es lag in dem Verfahren des Papſtes keine Conſequenz, nur per⸗
ſönliche und launiſche Willkür. Die unbeſtimmte Furcht vor einer
Verſchwörung der Republicaner, nicht ein bewußter Haß gegen das
Heidenthum leitete ihn. Er war übrigens ein ungebildeter, faſt roher
Menſch, nur durch Nepotismus und Cabale emporgeſtiegen. Zu den
Alterthumswiſſenſchaften hatte er weder Talent noch Luft. Wie er ſich
einſt, bevor ſein Oheim als Eugen IV den apoſtoliſchen Stuhl beſtieg,
dem Kaufmannsſtande gewidmet hatte, ſo blieb ſeine Lieblingsbeſchäfti⸗
gung auch während des Pontificates die mit Münzen, Edelſteinen und
Geſchmeide. Von Koſtbarkeiten ſtrahlend, ja mit geſchminktem Geſichte,
wie die Leute ſagten, erſchien er ſich würdig und majeſtätiſch. Trotz⸗
dem hatte der allgemeine Zug nach dem Alterthum hin auch auf ihn
ſeine Wirkung: er war ein Liebhaber und Kenner von alten Münzen
und Gemmen; fie zu ordnen, abzuwägen und zu entziffern, damit brachte
er die beſte Zeit des Tages hin.“) In die Fundamente feiner Bauten
ließ er jedesmal Münzen mit ſeinem Bilde niederlegen, eine Sitte, die
allerdings, wie Platina bemerkt, mehr an die römiſchen Cäſaren als
an Linus und Anakletus erinnert. Und noch in einer Beziehung er⸗
innerte ſein Herrſcherthum ſtark an das der alten Imperatoren: das
Panem et Circensia machte er wieder zum Wahlſpruch für den Pöbel
von Rom. Er vermehrte den Glanz des Carneval und andrer fFeſt⸗
lichkeiten durch neue Spiele und erhöhte Preiſe. Zu dem Wettlauf
von Pferden, der immer ſchon üblich geweſen, fügte er den von Eſeln,
Büffeln, jungen Burſchen, Greiſen und — Juden hinzu. Am Tage
nach dieſen „Spielen“ gab er der Stadtbehörde von Rom in einem
bei S. Marco dazu errichteten Gebäude ein glänzendes Gaſtmahl. Um
den Reſt der mit Fiſchen, Fleiſch, Geflügel und verſchiedenen Weinen
wohlbeſetzten Tafel zu vertilgen, wurden die Armen, das heißt der
Pöbel zugelaſſen. Die Familie des Papſtes mußte die einzelnen Tiſche
bedienen: ein Biſchof und andre Geiſtliche gingen umher und hießen
dinals Querini (Pauli II. Vita etc. Romae, 1740), der dieſen Papſt gegen Pla⸗
tina in Schutz genommen, habe ich nicht geſehen, doch ſcheint er ſich nach Tira-
bos chi T. VI. p. 105 nur auf die bekannten Quellen zu beziehen. Die neueſte
Darſtellung der Sache von Stefano Biss olati le Vite di due illustri Cremo-
nesi (I. Bart. Platina. II. M. Girol. Vida) Milano, 1856 nimmt natürlich Platina's
Partei.
) Card. Papiens. Comment. I. s. c. p. 371, 372. Raphael Volat err.
Lib. XXII. p. 817. "
VII. Triumph des Humanismus im päpſtlichen Rom. 485
einen Jeden ſich gütlich thun. Der Papſt ſelbſt freute Silbermünzen
unter das Volk aus..
In demſelben altrömiſchen Geſchmacke waren auch die Spiele, welche
einſt die Römer dem Papſte gaben. Dieſer ſah aus einem entlegenen
Fenſter — man erkennt darin noch eine gewiſſe Scheu — mit einigen
Cardinälen zu. Perſonen als Giganten gekleidet ſchritten voraus, es
folgte ein geflügelter Cupido mit dem Köcher an der Seite, Diana zu
Pferde, umgeben von einer Nymphenſchaar, dann 160 Jünglinge in
weißen Kleidern, die ein altrömiſches Heer darſtellten, Könige und Für⸗
ſten, die von den Römern beſiegt waren, die von Octavianus über⸗
wundene Kleopatra, Mars, Faunen, Bacchus und andre Götter, Tafeln,
auf welchen Plebiscite und Senatusconſulte geſchrieben waren, Fahnen,
Adler und andre Kriegszeichen. Den Zug beſchloſſen die Beamten der
Stadt Rom als conſulariſcher und ſenatoriſcher Stand gekleidet.)
Wir wüßten der Fülle des Stoffes nicht zu gebieten, wollten wir
den Humanismus in allen ſeinen Kundgebungen, und wäre es auch nur
am römiſchen Hof, in ſpätere Zeiten verfolgen. Wer kennte nicht
Sixtus IV, den Eröffner der Vaticana, den freigebigſten aller Päpſte,
und Alexander VI, den Helden in leichtfertiger Genußſucht, wer wüßte
nicht von Julius II, der ſeinen apoſtoliſchen Namen von dem großen
Römer borgte, oder von Leo X, an deſſen Audenken ſich das mediceiſche
Zeitalter mit all ſeiner Formenſchönheit in Stil und Plaſtik, mit ſei⸗
nem künſtleriſchen Strahlenglanze knüpft!
Das claſſifche Alterthum, obwohl es in jeder Beziehung eine neue
Zeit entbunden, hat dennoch die Kirche, der es im tiefſten Innern die
furchtbarſten Erſchütterungen bereitet, nicht umgeſtürzt und nicht um⸗
ſtürzen können, nur in einen andern Geiſt und in andre Formen hat
es ſie gedrängt. Der Jeſuitenorden als Repräſentant der katholiſchen
Reſtauration und die germaniſche Reformation ſind, jedes in ſeiner
Weiſe, vermittelnd in dieſen Kampf getreten. Jener hat die fruchtloſe
Oppoſition gegen die neue Wiſſenſchaft von vorn herein aufgegeben,
vielmehr geſucht, ihren zügelloſen Geiſt zu bändigen, ſie in den Dienſt
der Kirche zu nehmen, wie einſt die Scholaſtik derſelben gedient hatte,
) Cannes ius l. e. p. 1012. Stefano Infess ura Diario della eittà di
Roma ap. Muratori ibid. p. 1140.
) Cannesi us p. 1019.
Voigt, Humanismus.
486 VII. Triumph des Humanismus im päpftlichen Rom.
und mit ihren Mitteln zum Ruhme des Glaubens zu ſtreiten. Die
Reformation hat dem Denken und dem Glauben, der alten und der
neuen Zeit geſonderte Gebiete zugewieſen und den ewigen Kampf der
Arbeit der Jahrhunderte überlaſſen. Sie wird immer mehr die Fäden
ordnen, die noch wirr und verwirrend von einem Gewebe zum andern
hinüberführen, und verſchiedene Beſtrebungen des Menſchengeiſtes zu
einem hohen Ganzen zuſammenleiten.
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über die Entwicklung des menſchlichen Geiſtes
in Briefen an einen Laien |
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römiſche Alterthümer,
an der ee au Bonn gehalten
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Herausgegeben von M. Isler.
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GAI GRANI LICINIANI
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KAROLVS AVG. FRID. PERTZ.
Accedit tabula. 1 Thlr.
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die Entſtehung der Ilias und der Odyſſee.
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entſcheidende Frage im Streit.
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